SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
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SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst
SÜDWESTRUNDFUNK SWR2 Wissen – Manuskriptdienst Schweinegrippe und Co. Wer bestimmt, wogegen geimpft wird? Autorin: Eva Schindele Redaktion: Detlef Clas Sendung: Montag, 6. Dezember 2010, 8.30 Uhr, SWR 2 Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Wissen/Aula (Montag bis Sonntag 8.30 bis 9.00 Uhr) sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für 12,50 € erhältlich. Bestellmöglichkeiten: 07221/929-6030 Kennen Sie schon das neue Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. 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Ihm gefällt das gar nicht gut und er lässt sich auch nicht von den Seifenblasen beeindrucken, mit denen die Praxismitarbeiterin ihn abzulenken versucht. Atmo: Weinen Ansage: Schweinegrippe und Co. – Wer bestimmt, wogegen geimpft wird? Eine Sendung von Eva Schindele Cut 1: Kleppe Die Meningokokkenimpfung wird ab einem Jahr geimpft. Es geht um eine Erkrankung, die ist extrem heimtückisch und die führt einem innerhalb eines halben Tages in lebensbedrohliche Bereiche ... aber sie schützt nur gegen einen Teil der Krankheiten. Sprecherin: Michael Kleppe ist seit 17 Jahren als Kinderarzt in Bremen niedergelassen. Er hält Impfen generell für sinnvoll und verweist dabei auf den hohen präventiven Nutzen. So konnten schwere Krankheiten wie Pocken und Kinderlähmung nahezu ausgerottet werden. Außerdem erkranken viel weniger Kinder heute an Röteln oder Keuchhusten. Atmo: Kinderarztpraxis Sprecherin: In den letzten Jahren sind vermehrt neue Impfstoffe für seltene Erkrankungen auf den Markt gekommen. Dazu gehört die Impfung gegen Meningokokken. Die Erreger können in sehr seltenen Fällen zur schweren Hirnhautentzündung und einer Blutvergiftung führen. Gegen einen Teil der Bakterien kann man nun impfen. Lohnt sich das? Eine Abwägung, die den Kinderarzt ins Grübeln bringt. Cut 2: Kleppe Im Jahr 100 bis 150 Krankheitsfälle. Dann können Sie sich ausrechnen, 700.000 Kinder geboren, dann können Sie ausrechnen, wie viel man impfen muss, um überhaupt einen Krankheitsfall, an dem nicht jeder stirbt, zu verhindern. Da kann man als Gesundheitsökonom sagen: Lohnt sich das, 100 Millionen im Jahr zu zahlen, damit 10 Kinder nicht sterben? 2 Sprecherin: Die Zahlen, die Kinderarzt Kleppe hier nennt, sind schon hochgegriffen – in Deutschland ist das Risiko für Kinder, an dieser Infektion zu erkranken oder gar daran zu sterben, noch niedriger. Aber kann, darf man so eine Kosten-Nutzen-Rechnung überhaupt aufmachen? Oder ist es vielleicht sogar ethisch geboten, darüber nachzudenken, wie das Geld der Krankenversicherten möglichst gut und gerecht angelegt wird? [Cut 3: Kleppe Die Impfungen empfinde ich alle als sinnvoll. Es gibt Abwägungen. Es gibt sehr schwere Erkrankungen, die aber sehr selten sind, andere Krankheiten, darüber kann man diskutieren, ob man z.B. gegen Windpocken impfen muss.] Sprecherin: Wofür das Geld der Versicherten ausgegeben werden soll, bestimmt bei Impfungen die Ständige Impfkommission, kurz Stiko. Sie entscheidet, wogegen in Deutschland geimpft werden soll. Das ehrenamtlich arbeitende Expertengremium hatte 2006 die Meningokokken-Impfung als Standardimpfung für Säuglinge und Kleinkinder empfohlen. Die Stiko ist beim Robert Koch Institut angesiedelt; ihre 16 Mitglieder – es sind meist Virologen, Ärzte und im Gesundheitsdienst Tätige – werden vom Bundesministerium für Gesundheit für drei Jahre berufen. Die Stiko – so steht es in ihrer Satzung – entscheidet unabhängig. Sprecher: Gemäß dem unabhängigen Arzneimittelreport erreichten Impfstoffe 2008 einen Gesamtumsatz von 1,55 Milliarden Euro, ein Jahr später waren es bereits 1,8 Milliarden. Umsatzstärkste Impfstoffe waren die gegen die saisonale Grippe, gefolgt von dem Vierfach-Impfstoffen gegen Diphterie-Tetanus und der 2006 eingeführten HPVImpfung, die vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll. Cut 4: Kleppe Die Gesellschaft oder Krankenversicherungen, wir alle zahlen viel mehr Geld für Impfstoffe als früher ... Sprecherin: Der Zuwachs spricht nicht gerade für die oft von Impfexperten beklagte Impfmüdigkeit. Der Berliner Krebsmediziner Wolf Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft: Cut 5: Ludwig Impfstoffe gehören zu den Biopharmazeutika. Die Biopharmazeutika sind der Bereich der Arzneimittel, die in den letzten Jahren geradezu explosionsartig zugenommen haben. Die Hersteller haben natürlich sehr moderne Fabrikmöglichkeiten jetzt, um diese Impfstoffe auch herzustellen, sie haben ein großes materielles Interesse daran, diese Impfstoffe dann auch zu verkaufen. Und ich habe den Eindruck, dass doch auch sehr merkantile Interessen hinter dieser Impfeuphorie stehen [und man muss natürlich deswegen auch die Impfstoffe sehr sorgfältig bezüglich ihres Nutzens beurteilen.] Sprecherin: Der Kinderarzt Michael Kleppe, der sich auf die Empfehlungen der Stiko verlässt: 3 Cut 6: Kleppe Ich hoffe, dass die Mitglieder der Ständigen Impfkommission so viel Standing haben, Lobbyismusbestrebungen zu widerstehen und wirklich unabhängige Entscheidungen zu treffen. Sprecher: „Fragwürdige Interessenskonflikte – Unabhängig und neutral sollen die Empfehlungen ... sein. Zunehmend werden aber Zweifel geäußert, ob die Impfstoffkommission wirklich unabhängig ist.“ Sprecherin: ... schreibt die Berliner Tageszeitung am 16.11.2007. Und die Süddeutsche Zeitung titelt am 26.1.2008: Sprecher: Kleine Stiche, große Freunde – die für Impfungen zuständige Kommission pflegt allzu enge Industriekontakte und riskiert ihre Glaubwürdigkeit. Sprecherin: Kinderarzt Kleppe hat noch die Schlagzeilen der letzten Jahre vor Augen. Es fing damit an, dass 2007 der langjährige Stiko-Vorsitzende Heinz Josef Schmitt von der Universität Mainz zur Pharmafirma Novartis wechselte und damit die Stiko verließ. Novartis stellt auch den Meningokokken-Impfstoff her. Die Impfung war ein Jahr zuvor von der Stiko empfohlen worden. Außerdem bekam er einen mit 10.000 Euro dotierten Preis für seine Verdienste um den Impfgedanken. Gesponsert von Sanofi-Pasteur. Diese Firma brachte mit Gardasil den ersten Impfstoff gegen Humane Pappillom-Viren, kurz HPV auf den Markt. Auch diese Impfung war 2006 für Mädchen zwischen 12 uns 17 Jahren von der Stiko empfohlen worden. Um diese Impfung entzündeten sich heftige Konflikte. Atmo Musik – Eine Schutzimpfung gegen Krebs – ja die gibt es wirklich. Leider nicht gegen Krebs allgemein. Aber Mädchen können sich zumindest gegen einen wirklich bösartigen Krebs – den Gebärmutterhalskrebs impfen lassen (Musik) Sprecherin: Viele Fachleute waren erstaunt, als die Stiko so überstürzt die mit 480,-- Euro unverhältnismäßig teure HPV-Impfung empfahl. Denn Gardasil, so der Produktname des Impfstoffes, war erst gerade wenige Wochen zuvor von der europäischen Zulassungsbehörde EMA zugelassen worden. Die Studien, die die Wirksamkeit belegen sollten, waren noch nicht einmal öffentlich publiziert. Atmo In den meisten Fällen sind nämlich sogenannte Humane Papillom Viren die Ursache für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs – abgekürzt heißen sie HPV. Sprecherin: Aber der Impfstoffhersteller Sanofi-Pasteur hatte bereits eine Werbe-Kampagne in der Schublade, um den Impfstoff auf dem Markt zu etablieren. Dafür mobilisierte die Firma viele Unterstützer. Ärzte sowieso, aber auch Promis, Lehrer und die Deutschen Krebshilfe, die mit ihrer DVD „Mädchen checken das“ in die Offensive ging: 4 Atmo (Trommel) Also jetzt gibt es eine Impfung, die vor der Infektion mit diesen PapillomViren schützt – man nennt sie HPV-Impfung. Sprecherin: Der Werbefeldzug schürte bei Frauen die Angst vor Gebärmutterhalskrebs. [Das sollte er wahrscheinlich auch.] Dabei handelt es sich um eine seltene Krebsart. 6.500 Frauen erkranken jährlich etwa daran. Anders verhält es sich mit der HPV-Infektion. Etwa zwei Drittel aller Frauen stecken sich beim Sex an. Doch der Körper wird mit den Erregern in der Regel gut fertig und die Infektion heilt – ohne dass die Frau überhaupt etwas von der Ansteckung gemerkt hat - von selbst wieder aus. Nur: Das sagt niemand. [Mütter heranwachsender Mädchen sind beunruhigt. Cut 7: Marie-Luise Ich habe schon viele Spots gesehen - im Fernsehen und überall wurde man damit konfrontiert und … ich fand sie ein bisschen aufdringlich … Sprecherin: sagt Marie-Luise Brecht, deren Tochter gerade 15 geworden ist. Cut 8: Marie-Luise …dass wenn man Freundschaften eingeht und sexuellen Kontakt haben wollte, dass man aufpassen sollte und in der Hinsicht eher impfen lassen sollte, weil die Gefahr des Gebärmutterhalskrebses auftauchen kann.] Sprecherin: Die Kampagne lohnt sich für den Impfstoffhersteller. Sprecher: Laut Arzneimittelreport liegen die Gesamtkosten der Impfung bereits im zweiten Jahr nach der Markteinführung bei 245 Millionen Euro. Dafür wurden 544.000 junge Frauen geimpft. Der Impfstoff ist mit 480 Euro in Deutschland fast doppelt so teuer wie in den Niederlanden oder den USA. Sprecherin: Hinzu kommt: Die Kampagne für die HPV-Impfung stellt den Nutzen besser dar, als überhaupt erwiesen ist. Denn bisher schützt die Impfung nur gegen die Ansteckung durch zwei der 13 krebsauslösenden Papillom-Virenstämme. [Und das auch nur dann, wenn sich die Frau nicht schon vor der Impfung mit dem Erreger infiziert hat.] Auch wusste man 2006 noch nicht, wie lange der Impfschutz anhält. Inzwischen rechnet man übrigens mit mindestens sechs Jahren. Diese Unklarheiten veranlassten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im November 2008 zu einer spektakulären öffentlichen Stellungnahme, die als „Bielefelder Manifest“ bekannt wurde. Eine davon war die Hamburger Gesundheitswissenschaftlerin und Medizinerin Prof. Ingrid Mühlhauser: Cut 9: Mühlhauser Wie das damals von der Industrie gemacht wurde, ... ist inakzeptabel. … Das war der auslösende Grund für den Initiator des Manifestes dagegen vorzugehen, dass plötzlich in seiner Schulklasse, wo er unterrichtet hatte, Vertreter der Firma Sanofi-Pasteur saßen und versucht haben, Einfluss zu nehmen auf die Information der Schülerinnen. 5 Das war der Anlass zu kontrollieren, was wissen wir zur möglichen Wirksamkeit und zu dem Schaden der Impfung? Und da ist man daraufgekommen, dass die Annahmen der Stiko unzulässig waren. Sprecher: Heftige Kritik an Impfempfehlung – Wissenschaftler fordern Neubewertung der HPVImpfung und ein Ende der irreführenden Informationen. … Die Empfehlung der Stiko muss dringend überprüft werden. Sprecherin: ... schreibt die Süddeutsche Zeitung am 26. November 2008. Cut 10: Mühlhauser Die Empfehlung der Stiko aus der damaligen Zeit basierte auf Hochrechnungen, die durch wissenschaftliche Daten nicht abgestützt waren. Die Annahmen waren, dass es einen lebenslangen Impfschutz gibt von über 90 Prozent und dass mindestens 70 Prozent der Mädchen zum Impfen gehen. Sprecherin: Im April 2009 bestätigt die Stiko die Empfehlung von 2006 – allerdings auf einer erweiterten Datenlage. Ein zweiter HPV-Impfstoff war inzwischen in Europa zugelassen worden. Neue Studien belegen zwar die Wirksamkeit des Impfstoffes gegen einen Teil der Krebsvorstufen am Muttermund – doch, in welchem Ausmaß die Impfung Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, wird erst in 20 Jahren klar sein. [Falls überhaupt, denn sie wurde eingeführt ohne Abstimmung mit anderen Gesundheitsmaßnahmen, die auf das gleiche Organ zielen, wie die Krebsfrüherkennung. Der jährliche Krebsabstrich am Muttermund wird auch weiterhin geimpften Frauen empfohlen – da die Impfung keinen Vollschutz gegen die HPVInfektion bietet.] Die Stiko hätte damals die Impfung nur im Rahmen von qualitätssichernden Maßnahmen empfehlen dürfen, meint die Medizinerin Mühlhauser. Cut 11: Mühlhauser Maßnahmen, die berücksichtig hätten werden müssen, sind einerseits die Dokumentation des Anteils der geimpften Mädchen und Frauen, eine Dokumentation der Krebsvorstufen und unerwünschten Nebenwirkungen. Ein weiterer wichtiger Punkt, der nicht erfüllt worden ist, ist die Qualitätssicherung der Früherkennung auf Gebärmutterhalskrebs … und das ist eine Voraussetzung um Nutzen zu haben aus der HPV-Impfung. Sprecherin: Warum diese überstürzte Einführung der Impfung in Deutschland? Gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ räumt der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses, in dem Vertreter der Krankenkassen und der Ärzteschaft sitzen, ein, dass die Empfehlung 2006 unter enormem Druck geschah. Dr. Rainer Hess: Sprecher: Es gibt eben Entscheidungen, die nicht evidenzbasiert, sondern aus politischen Gründen gefällt werden. 6 Cut 12: Antes Da hatte ich Glück, das war vor meiner Zeit. Also ich kam erst in den laufenden Prozess hinein. Da wird auch die Stiko teilweise zu Unrecht an den Pranger gestellt. Sprecherin: ... so Dr. Gert Antes, der Ende 2007 in die Stiko berufen wurde. Der Mathematiker leitet das Cochrane Zentrum in Freiburg. Es gehört zu einem internationalen WissenschaftlerNetzwerk, das sich um mehr Wissenschaftlichkeit und Evidenz in der Medizin bemüht. Cut 13: Antes Also einmal ist natürlich klar, dass die Hersteller das Interesse haben, die Impfung möglichst schnell in den Markt zu drücken … Aber dann übersieht man im nächsten Moment, dass das Verhalten von Krankenkassen genauso indiskutabel ist, wenn die auch in einem Stadium, wo es eigentlich viel zu früh ist, solche Entscheidungen zu fällen, aus Gründen des Kundenfangs, also Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, so eine Impfung in die Erstattung reinnimmt. Und damit praktisch Vorentscheidungen fällt, wo die Stiko danach nur noch als böser Bube sagen kann. Wir empfehlen jetzt was, was gegen die scheinbar ja vernünftige Entscheidung von der Krankenkasse steht. Sprecherin: Diese Vorgehensweise hat damals Fakten geschaffen. Es war übrigens die Technikerkasse, die vorgeprescht war und damit warb, die Kosten für die HPV-Impfung zu übernehmen – ohne die Empfehlung der Stiko abzuwarten. Cut 14: Antes Eigentlich müsste die Reihenfolge sein, der Impfstoff wird zugelassen, dann ist natürlich Werbung erst mal völlig außen vor und dann wird es bewertet und dann sollten die Kassen sich daran halten … Das ist ja in dem Fall wirklich fürchterlich schiefgegangen. Sprecherin: In der Regel werden heute Impfstoffe auf europäischer Ebene von der EMA zugelassen, das ist die Abkürzung für „European Medicines Agency“ mit Sitz in London. Mit am Tisch der EMA sitzen die einzelnen EU-Länder, für Deutschland sind es zwei Vertreter des Paul-Ehrlich-Instituts. Ein Impfstoff wird dann zugelassen, wenn der Hersteller in Studien belegen kann, dass sich im Körper der gesunden Testpersonen Antikörper gegen die meist durch Viren verursachte Erkrankung bilden. Diese Studien finden an ein paar hundert Probanden statt, zu wenig um unerwünschte Nebenwirkungen eines Impfstoffes herauszufiltern. Die Verträglichkeit eines Impfstoffes zeigt sich deshalb erst nach der Markteinführung, wenn zig-Tausende Menschen damit immunisiert worden sind. Deshalb sind neue Impfstoffe, ähnlich wie auch neue Arzneimittel, immer auch Feldversuche an der Bevölkerung, meint Prof. Wolf-Dieter Ludwig. Cut 15: Ludwig Ich habe mich damals auch dafür stark gemacht, dass auch bei einer Impfung wie HPV, einer Impfung deren Nutzen wir erst in 2, 3 Jahrzehnten endgültig beurteilen können, wir ganz sorgfältig auch die unerwünschten Wirkungen dieser Impfung – das heißt nicht, dass sie auftreten müssen, aber wir wissen es nicht, ob sie auftreten – dass wir diese unerwünschten Wirkungen registrieren müssen. … 7 Sprecher: Tod nach Krebsimpfung – 15-jährige Britin stirbt nach HPV-Impfung. Die Sicherheit der Impfstoffe gegen Gebärmutterhalskrebs gerät in Zweifel. Sprecherin: ... meldete die Wochenzeitung „Focus“ Ende 2007. Und die Osnabrücker Zeitung schrieb am 3.Juni 2009: Sprecher: Junges Mädchen schwer erkrankt – Zusammenhang mit Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs? Atmo: Kinderarztpraxis Sprecherin: Eltern beunruhigen die Berichte über die unerwünschten Nebenwirkungen. Und auch der Bremer Kinderarzt Michael Kleppe ist verunsichert. Cut 16: Kleppe Das war wie eine Welle. Am Anfang viel nachgefragt, dann kamen Veröffentlichungen, dass irgendwelche Lähmungen auftreten. Dann haben alle erst mal Schiss gehabt – auch ich habe zu Eltern, die einen Impftermin hatten gesagt: „Okay, lass' uns das erst mal aussetzen.“ Ich habe das dann nicht mehr aktiv angesprochen. Sprecherin: Inzwischen impft Michael Kleppe wieder gegen HPV. Die internationalen Aufsichtsbehörden haben keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen Impfung und Todesfällen festgestellt. In seltenen Fällen litten Mädchen an Lähmungen, dem sog. Guillain-Barré Syndrom. Diese schwerwiegende Nebenwirkung kann nur durch ein gutes Meldesystem überhaupt entdeckt werden. Doch ein solches System fehlt in Deutschland. Ärzte sollen Impfkomplikationen direkt ans Paul-Ehrlich-Institut melden oder alternativ an die zuständigen Gesundheitsämter. Kritisiert wird seit Jahren, dass dieses Verfahren nicht zuverlässig funktioniert und dass deshalb viele Nebenwirkungen nicht erfasst werden. Cut 17: Ludwig Es wäre ein leichtes gewesen ein Register einzurichten und diese jungen Mädchen oder jungen Frauen dann auch über die nächsten Jahre zu verfolgen. ….Aber diese Register erfreuen sich leider nicht großer Beliebtheit, sie sind natürlich aufwändig, aber sie sind für mich eine wichtige Informationsquelle um über Nutzen und Risiken von Impfstoffen oder auch Arzneimitteln zu informieren. Sprecherin: Die öffentliche Debatte um Sinn und Unsinn der HPV-Impfung rüttelte an der Glaubwürdigkeit der Stiko. Man fragte sich, nach welchen wissenschaftlichen Kriterien die Expertenkommission eine Impfung bewertet und empfiehlt. Doch darüber herrscht Stillschweigen, kritisiert der Bremer Pharmakologe Prof. Peter Schönhöfer, der sich auch bei „Transparency international“ engagiert. 8 Cut 18: Schönhöfer Der Vorwurf der Intransparenz ist sicher korrekt. Was ausgehandelt wird, von wem und wie und was die Argumente für eine Empfehlung sind, wird nicht offengelegt. Sprecherin: Auch Stiko-Mitglied Gert Antes gibt zu, dass es keine systematischen Kriterien gibt, nach denen der Nutzen einer Impfung beurteilt wird. Oft fehlten dazu auch die Studien. Außerdem wäre die Stiko finanziell und fachlich nicht ausreichend ausgestattet, um eigene wissenschaftliche Expertisen anstellen zu können. Deshalb orientieren sich die Ehrenamtlichen gerne an Expertenkommissionen anderer Ländern oder der WHO. Cut 19: Antes Das große Problem ist da, wie weit kann ich den Ergebnissen trauen aus anderen Ländern? Gibt es da vielleicht Einflüsse zum Beispiel von der pharmazeutischen Industrie oder andere ökonomische Interessen oder hat man dort nicht so genau hingeschaut auf das, was als wissenschaftliche Grundlage zu berücksichtigen wäre und deswegen ist das nicht so einfach, wie es ausschaut. Sprecherin: Bei der Stiko bemüht man sich zumindest inzwischen um mehr Transparenz, was die Nebentätigkeiten der Mitglieder anbelangt. Cut 20: Antes Sie finden jetzt ja zum Beispiel die Erklärung der Interessenkonflikte von den Mitgliedern im Internet und zwar schon schmerzhaft lange zurück. Also, sie finden da, ich glaube über acht Jahre die Erklärungen, an welchen Studien die mitgemacht haben. Die Entscheidungen selbst werden nicht gefällt mit Mitgliedern, die zu dem Thema eine Impfstudie durchgeführt haben, das heißt, die sind dann aus dem Entscheidungsprozess raus. Sprecherin: Die Selbstauskünften der ehrenamtlichen Mitglieder zeigen, dass die Mehrheit im Auftrag von Pharmafirmen Studien durchführt und an Impfforen beteiligt ist, die für das Impfen werben – gesponsert von der Industrie. [Sprecher: Prof. Dr. Ulrich Heininger, Universitätskinderspital Basel, Mitgliedschaft in Gremien/Tätigkeiten für Gremien: Advisory Board Pseudomonas-Impfung 2004-2006 (Berna, Schweiz); Advisory Board FSME + Meningokokken 2002-2007 (Baxter, Schweiz); usw. Prof. Dr. Fred Zepp, Universitätsklinik Mainz, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), Mitglied im Übersichtsgremium für eine Studie zu Meningokokken der Firma Baxter (2002/2003); Teilnahme am Pandemic Advisory Board der Firma Novartis (2007); Mitglied des „Internationalen Editorial Board“ der Firma Glaxo Smith Kline seit 2008 ...] Cut 21: Schönhöfer Was problematisch war und noch immer ist, ist die Tatsache, dass diejenigen, die in der Stiko arbeiten, gleichzeitig enge Kontakte zu den Herstellern haben und die Hersteller dort mit materiellen Unterstützungen, Vortragshonoraren, Entgelte für Gutachten, Einfluss nehmen. Wie kann denn ein Gremium unabhängig ein Produkt werten, wenn 9 die Leute, die das entscheiden gleichzeitig Profiteure von den Herstellern sind? Das geht nicht ... Auch in den USA geht man weiter, und sagt, es ist nicht nur notwendig anzugeben, dass ein Interessenskonflikt vorliegt, sondern wie sich die materielle Einflussnahme manifestiert, welche Geldbeträge da fließen. Sprecherin: Soweit der Pharmakologe Peter Schönhöfer. Bisher wurde noch keinem Stiko-Mitglied direkte Bestechlichkeit nachgewiesen. Trotzdem beeinflusst das Umfeld in dem man sich als Impf-Experte tagtäglich bewegt, auch die Entscheidungen. Deshalb würde mehr Transparenz auch die Glaubwürdigkeit steigern. Und es könnte die Experten vor unliebsamer Umgarnung schützen. Denn dass die großen Pharmafirmen versuchen, massiv Einfluss zu nehmen, zeigt die Impfkampagne zur Schweinegrippe, die vor etwa einem Jahr die Welt in Panik versetzte. Der Industrie gelang dabei der große globale Coup, der sie um geschätzte 18 Milliarden Euro reicher machte. Dabei geholfen hat die WHO mit ihrem Ausruf der höchsten Pandemiestufe 6 und international tätige angeblich „unabhängige“ Experten, von denen sich im Nachhinein herausstellte, dass sie auf der Gehaltsliste großer Pharmafirmen standen. Sprecher: „Chronik einer Hysterie“. Fast ein Jahr hielt die Schweinegrippe die Welt in Atem. Eine gigantische Impfkampagne sollte ihr Einhalt gebieten. Dabei handelte es sich nur um einen eher harmlosen Virenstamm. Wie konnte es zu solch einer Überreaktion kommen? Sprecherin: ... fragte der Spiegel im März 2010. Die Antwort gab einige Monate später das britische Fachblatt „Britisch Medical Journal“: Sprecher: Die WHO und das Schweinegrippe-Komplott – wie bis dato für unabhängig gehaltene Grippe-Experten, die WHO und Regierungen beeinflusst haben. Sprecherin: Die Impfstoffhersteller warteten in den Startlöchern, denn schließlich hatten sie bereits 2007 mit EU-Mitteln einen Impfstoff gegen die gefährliche Vogelgrippe entwickelt, die sich dann aber nicht weiter ausdehnte. Der Grippe-Experte Tom Jefferson: „Alles, was es jetzt brauchte, um diese Maschinerie in Gang zu bringen, war ein kleines mutiertes Virus“. Cut 22: Schönhöfer Die Manager der Impfstoffhersteller … suchten dann eine solche Grippe, die von dem Impfstoff, der schon entwickelt wurde abgedeckt wurde. Und dann bot sich eben dieser H1N1 Virus-Infekt, der in Mexiko aufgetreten war, an. Also wurde ein Experte für Pandemiefragen – der Sir Roy Anderson, der die englische Regierung berät – dazu gebracht, diese mexikanische Wintergrippe zur Pandemie zu erklären ... Es wusste keiner, dass dieser Mann nicht nur Berater der englischen Regierung war, sondern auf der Payrole der Firma Glaxo Smith Kline stand; und zwar mit einem Betrag von 135.000 Euro pro Jahr. Und dann wundert man sich, dass dieser Mann eine Wintergrippe zur Pandemie erklärt, die zu der Zeit – das wussten wir bereits – kein Risiko darstellt. So erfindet man Krankheiten, um den Impfstoff, den man auch mit Hilfe von Regierungen entwickelt hat, endlich vermarkten zu können. 10 Sprecherin: WHO, EU-Kommission und auch deutsche Politiker und Experten entwickelten Bedrohungsszenarien mit zig Tausenden von Toten. In Nachbarländern wie Großbritannien wurden die Bürger richtig moralisch unter Druck gesetzt, sich impfen zu lassen. Zur gleichen Zeit, also im Spätsommer 2009, wiesen bereits Fachleute wie der Vorsitzende der Arzneimittelkommission auf den harmlosen Verlauf der Grippe auf der Südhalbkugel hin. Wolf-Dieter Ludwig: Cut 23: Ludwig Man hätte aufgrund dieser Daten natürlich auch sagen können, wir machen ein abgestuftes Vorgehen, aber die Flexibilität hatte man nicht. Man hatte durch die Pandemiestufe 6 sozusagen ausgelöst, dass für eine gewisse Zahl der Bevölkerung Impfstoff beschafft wird, egal wie der weitere Verlauf der Erkrankung ist …. Aber hier ist es ja nicht nur die Impfstoffbeschaffung gewesen, sondern das ganze Szenario drumherum [- man hat diese Impfstoffbeschaffung auch mit einer Vielzahl von Horrorszenarien verbunden, so dass die Bevölkerung verunsichert war und letztendlich ja aufgrund dieser Unsicherheit auch sich eigentlich gegen eine Impfung entschieden hat.] Sprecherin: Verunsichert war die Bevölkerung auch über die Berichte zu unerwünschten Nebenwirkungen des Schweinegrippe-Impfstoffes. Ihm war ein Wirkstoffverstärker, ein sogenanntes Adjuvanz, beigefügt worden, um ihn zu strecken. Dieser Impfstoff war kaum getestet, trotzdem betonten Politiker und viele Experten seine Unbedenklichkeit. Cut 24: Ludwig Es hat sich ja auch gezeigt, dieser Impfstoff hat deutlich häufiger allergische Reaktionen ausgelöst, Unverträglichkeitsreaktionen. Die waren nicht schwerwiegend, aber ich muss natürlich einen Bürger darüber informieren, was auf ihn zukommt. Sprecherin: Stiko-Mitglied Gert Antes erinnert sich an hektische Abläufe bei der Impfkommission, die ja bei den Kaufentscheidungen des Impfstoffes vorher gar nicht eingebunden war, aber jetzt die Impfung empfehlen sollte. Und was nützen Bedenken oder schlechte Studienlage, wenn es keine andere Option gibt, sprich kaum anderer Impfstoff verfügbar ist. Aus Vorsicht empfahl die Stiko aber doch zumindest schwangere Frauen nicht mit dem adjuvanten Impfstoff zu immunisieren. Cut 25: Antes Und dann kommt bei so einer hektischen Situation natürlich als nächstes Problem hinein, dass man plötzlich Impfstoff haben muss, den man auch Monate oder Jahre vorher in Verträgen irgendwie reserviert hat oder gekauft hat. Das heißt, man kann dann irgendwann, wenn man … die Entscheidung fällen will, sich nicht mehr frei bewegen. Dann ist der Handlungsspielraum fast null. Sprecherin: Der Skandal um die Schweinegrippe hat an der Glaubwürdigkeit der WHO gekratzt. Jetzt soll eine unabhängige Untersuchungskommission die genauen Umstände aufklären. Auch die europäische Zulassungsbehörde EMA verspricht ab Mitte 2011 mehr Transparenz. Jeder Experte muss zukünftig finanzielle Zuwendungen und Abhängigkeiten von Pharmafirmen öffentlich erklären. Und in Deutschland fordern die 11 Gesundheitsminister der Länder eine Aufarbeitung der Vorkommnisse um die Schweinegrippe. Wenn der Bund Vorgaben formuliert, soll er auch die Finanzverantwortung tragen, meinen die Bundesländer. Auch solle das Arzneimittelrecht für den Pandemiefall mehr Flexibilität ermöglichen. Das betrifft auch die Arbeit der Ständigen Impfkommission, die Ende 2010 neu besetzt wird. Ob dadurch auch ihre Impf-Entscheidungen transparenter werden, bleibt abzuwarten. Für diese Grippesaison jedenfalls hat die Stiko einen Grippe-Mix empfohlen, deren Antigene auch vor Schweinegrippe schützen. Dass sich die Grippeerreger von Jahr zu Jahr etwas verändern – darauf haben sich übrigens die Impfstoffhersteller längst eingestellt. Doch dafür, dass der Schweinegrippevirus diesen Winter gefährlicher geworden wäre, gibt es keinerlei Anzeichen. Atmo: Kinderarztpraxis: Ciao Malte … Sprecherin: Der kleine Malte hat sich wieder beruhigt. An der Hand seiner Mutter, den kleinen Bären im Arm, verlässt er die Praxis. Der Kinderarzt Michael Kleppe betont noch einmal, wie wichtig für seinen Alltag die Empfehlungen der Stiko sind und dass er hofft, dass die Entscheidungen unabhängig geschehen. Die Impfstoffe findet er heute besser als früher, aber den Preis oft viel zu hoch. Cut 26: Kleppe ... Ich würde mir wünschen, dass es eine zentrale Einkaufsstelle der Bundesregierung für Impfstoffe gibt, dass es so eine Art Nachfragemacht gegenüber der Pharmaindustrie gäbe. Zum Beispiel: Ihr kriegt die allgemeine Impfempfehlung, wenn der Preis halbiert wird oder so ... Das finde ich total nervig, dass Deutschland eines der Länder ist, wo Impfstoffe am teuersten auf der ganzen Welt sind ***** 12