Oraler Glukosetoleranztest im Rahmen der

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Oraler Glukosetoleranztest im Rahmen der
DOI 10.1515/labmed-2013-0063 J Lab Med 2014; 38(2): 101–104
Erich Krendl* und Maria Elisabeth Mustafa
Oraler Glukosetoleranztest im Rahmen der
Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen:
Analyse der Daten 2010–2012
Oral glucose tolerance test within the scope of prenatal care: evaluation 2010–2012
Zusammenfassung
Einleitung: Seit 01.01.2010 werden in Österreich alle
Schwangeren einem standardisierten oralen Glukosetoleranztest (75 g/2 h-OGTT) zwischen der 24. und 28.
Schwangerschaftswoche (SSW) unterzogen. Ziel dieser
retrospektiven Studie war, die Häufigkeit des Gestationsdiabetes (GDM) im Raum Salzburg und Umgebung zu
erfassen und die Anzahl postpartal durchgeführter OGTTs
zur Reklassifizierung der Stoffwechselsituation nach der
Geburt zu evaluieren.
Methoden: 3963 Gravide wurden einem standardisiertem
75 g/2 h-OGTT unterzogen. Die Glukosemessung erfolgte
aus venösem Fluoridplasma mittels Hexokinasemethode.
Ergebnisse: Gestationsdiabetes konnte bei 8,5% der
Schwangeren festgestellt werden, wobei 5,1% der Graviden pathologische Nüchternglukosewerte vorwiesen.
Nach der Geburt unterzogen sich 4,2% der Schwangerschaftsdiabetikerinnen einem oralen Glukosetoleranztest.
Schlussfolgerungen: An unserem Labor wurde bei jeder
zwölften Schwangeren Gestationsdiabetes festgestellt. Das
Screeningverfahren verbessert die Vorsorge während der
Schwangerschaft. Eine kostengünstigere, weniger belastende Alternative zum derzeitigen Screening könnte, ausgehend vom Wert der Nüchternplasmaglukose (NPG), ein
mehrstufiges Verfahren darstellen. Postpartal besteht bei
der Betreuung der Patientinnen, die während der Gravidität einen Gestationsdiabetes entwickelten, erhebliches
Verbesserungspotential, um das erhöhte Risiko für Diabetes sowie Herz-Kreislauferkrankungen zu reduzieren.
Schlüsselwörter: Gestationsdiabetes (GDM); oraler Glukosetoleranztest (75 g/2 h-OGTT); Nüchternplasmaglukose (NPG).
Abstract
Background: General screening for gestational diabetes mellitus (GDM) is recommended in Austria since
2010. As a result of the guidelines, pregnant women are
tested between 24 and 28 weeks of gestation with the
75 g/2 h-oral glucose tolerance test (75 g/2 h-OGTT). The
aim of this study was to evaluate the prevalence of GDM
in our laboratory retrospectively. Furthermore, we wanted
to study the pattern of abnormal 1 h- and 2 h-glucose
values from 75 g/2 h-OGTTs compared with fasting plasma
glucose values. Further testing of GDM patients after delivery is recommended. As a result of this issue we analyzed
all follow-up screening.
Methods: Standardized 75 g/2 h-OGTTs were assessed
in 3963 pregnant women. The cut-off value for fasting
plasma glucose (FPG) is ≥ 5.1 mmol/L, for 1 h value
≥ 10.0 mmol/L, and for 2 h value ≥ 8.5 mmol/L. One or more
abnormal values were considered as GDM, respectively.
Results: GDM was detected in 8.5% (n = 335) of the
tested pregnant women. Elevated FPG values were
measured in 5.1% (n = 2 01). These are 60% of all GDM
patients. After delivery we analyzed 14 out of 335 GDM
patients (4.2%) to reevaluate postpartum glucose tolerance with the standard OGTT (World Health Organization criteria).
Conclusions: GDM is a common disease, and in our
study 8.5% of pregnancies were affected. When and how
to screen is still a matter of discussion. One strategy to
become more cost-effective is to use a two-step screening
algorithm including FPG measurement and a risk estimation model. In postpartum follow-up, there is still considerable potential to reduce diabetes-associated illness and
costs.
Keywords: fasting plasma glucose (FPG); gestational diabetes mellitus (GDM); 75 g/2 h-OGTT.
*Korrespondenz: Dr. Erich Krendl, Bergstraße 14, 5020 Salzburg,
Austria, Tel.:+43 662 2205; Fax: +43 662 2205 421,
E-Mail: [email protected]
Erich Krendl und Maria Elisabeth Mustafa: Medizinisch – chemisches
Labor, Dr. Mustafa – Dr. Richter OG, Salzburg, Österreich
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102 Krendl und Mustafa: Oraler Glukosetoleranztest im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen
Einleitung
Eine schwangerschaftsassoziierte Glukosetoleranzstörung
führt zu erhöhter kindlicher und mütterlicher Morbidität.
Ein Zusammenhang zwischen erhöhten Glukosewerten in
der Schwangerschaft und Folgeerkrankungen des Säuglings ist in der Literatur ausreichend beschrieben [1–9].
In Österreich wurde im Jänner 2010 die orale
Glukosebe­
lastung in der 24.–28. SSW in die MutterKind-Pass (MKP) – Untersuchungen integriert. Die
Betreuung Gravider und die Durchführung der MKPUntersuchungen erfolgt im Wesentlichen durch niedergelassene Gynäkologen.
Die Normwerte dieses 75 g/2 h-OGTTs wurden auf
Basis der HAPO-Studie (Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome study) von einer Experten-Kommission
festgelegt (OGTT; Internationale Konsensuskriterien). Bei
einem oder mehreren Risikofaktoren, sowie bei Auftreten
von klinischen Symptomen, die auf das Vorliegen von Diabetes hinweisen, sollte die Glukosestoffwechselsituation
bereits zu Beginn der Schwangerschaft beurteilt werden
[10]. Wird während der Gravidität Gestationsdiabetes
diagnostiziert sollte 6–12 Wochen nach der Geburt wiederum ein oraler Glukosetoleranztest (2 h/75 g; Messung
von Nüchtern- und 2 h-Plasmaglukosewert) durchgeführt
werden. Bei unauffälligem Befund ist dieser Test in 2-jährigen Abständen zu wiederholen (WHO-Kriterien). Ist der
Test pathologisch, werden präventive bzw. therapeutische
Maßnahmen eingeleitet.
Material und Methoden
In einem Zeitraum von drei Jahren (Jänner 2010–Dezember 2012) wurden durch Gynäkologen 3963 gravide Frauen
an unser niedergelassenes Labor überwiesen. Im Bundesland Salzburg wurden von Anfang Jänner 2010 bis Ende
Dezember 2012 15227 Geburten verzeichnet. Der Anteil
aller Graviden, die zur Durchführung der Blutzuckerbelastung in unser Labor mittels 75 g/2 h-OGTT kamen,
beträgt 26%. Unberücksichtigt blieben Belastungstests,
die in unserem Labor vor der 24. bzw. nach der 28. SSW
durchgeführt wurden (d.h. außerhalb des Screenings,
z. B. Bei Verdacht auf GDM oder GDM in früherer Schwangerschaft), bzw. OGTTs ohne Angabe der genauen
Schwangerschaftswoche.
31 Untersuchungen mussten vorzeitig abgebrochen
werden und wurden daher nicht in die Statistik einbezogen: 3 Patientinnen hatten Nüchternglukosewerte ≥ 126
mg/dL und somit bestand der Verdacht auf manifesten
Diabetes Mellitus. 28 schwangere Frauen beendeten den
Test auf Grund von Nausea oder Emesis vorzeitig. Nach
der Geburt wurden bei 335 GDM-Patientinnen Untersuchungen zur Reklassifizierung des Glukosestoffwechsels
(HbA1c, NPG, OGTT) durchgeführt. Diese postpartalen Untersuchungen fanden bis Ende März 2013
Berücksichtigung.
Durchführung
75 g/2 h-OGTT: Nach mindestens 8-stündiger Nahrungskarenz werden die Schwangeren morgens in unserem Labor
einem standardisierten Glukosetoleranztest unterzogen.
Es wird venöses Nüchternplasma entnommen, mittels
POCT Methode vorgetestet und bei Blutglukosewerten < 126 mg/dL 75 mg Glukose verabreicht. Die Flüssigkeit
wird schluckweise in maximal fünf Minuten getrunken.
Eine neuerliche Blutabnahme erfolgt nach einer bzw.
nach zwei Stunden. In dieser Zeit wartet die Gravide in
ruhiger, sitzender Position. Das venöse Blut wird mit Hilfe
des Vacuette®-Abnahmesystem (Greiner Bio-One, Kremsmünster, Österreich) gewonnen. Die Röhrchen enthalten
Natriumfluorid und K3EDTA als Glykolyse- bzw. Gerinnungshemmer. Die Untersuchung der gewonnenen Probe
erfolgt umgehend. Nach 15 minütiger Zentrifugation bei
2500 × g wird der Plasmaüberstand gewonnen und eine
Glukosemessung auf einem Cobas®-Modular-Analyzer
(Roche Diagnostics, Basel, Schweiz) durchgeführt. Zur
Anwendung kommt ein qualitätsgesicherter In-vitro-Test.
Die Analyse erfolgt nach der Hexokinase-Methode. Als
Normwerte gelten: nüchtern: ≥ 92 mg/dL; nach 1 h: ≥ 180
mg/dL; nach 2 h: ≥ 153 mg/dL. Gestationsdiabetes liegt
vor, wenn mindestens einer der drei Grenzwerte erreicht
oder überschritten wird.
Ergebnisse
Zwischen Jänner 2010 und Dezember 2012 wurden 3963
schwangere Frauen untersucht. Erhöhte Glukosewerte
konnten bei 335 Personen (8,5%) nachgewiesen werden
Tabelle 1 OGTTs und GDM 2010–2012.
n
OGTT gesamt
GDM gesamt
GDM mit NPG ≥ 92 mg/dL GDM mit NPG < 92 mg/dL 3963
335
201
134
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%
100
8,5
5,1
3,4
Krendl und Mustafa: Oraler Glukosetoleranztest im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen 103
Tabelle 2 Analyse durchgeführter OGTTs.
OGTT
GDM
NPG 1 h 2 h
≥ 92 < 180 < 153 mg/dL ≥ 92 ≥ 180 < 153 mg/dL ≥ 92 < 180 ≥ 153 mg/dL ≥ 92 ≥ 180 ≥ 153 mg/dL ≥ 92 mg/dL
< 92 ≥ 180 < 153 mg/dL < 92 ≥ 180 ≥ 153 mg/dL < 92 < 180 ≥ 153 mg/dL < 92 mg/dL
n 2010 %
1226 101 43 18 0 6 67 21 9 4 34 100 8,2 5,4 2,8 (siehe Tabelle 1). Bei 201 Frauen (5,1%) wurden pathologische Nüchternwerte bei normalen oder pathologischen
1 h-bzw. 2 h-Werten gemessen. Die übrigen 134 Patienten (3,4%) hatten pathologische 1 h- und/oder 2 h-Werte
bei physiologischen Nüchternwerten (siehe Tabelle 2).
Eine Reklassifizierung des Glukosestoffwechsels nach
der Geburt mittels OGTT, wie von der WHO vorgesehen,
konnte bei 4,2% (14 von 335 Frauen) der GDM-Patientinnen beobachtet werden. Bei 13,1% (44 von 335) der
betroffenen Frauen wurde zumindest eine Nüchternglukose- und/oder HbA1c-Messung durchgeführt.
Diskussion
Eine Therapie des Schwangerschaftsdiabetes führt zu
signifikanter Reduktion kindlicher Komplikationen [11,
12]. Daher wurde eine effektive, kostengünstige und für
schwangere Frauen wenig belastende Screeningmethode
gefordert. Das derzeitige Verfahren erleichtert die frühzeitige Diagnose eines Gestationsdiabetes, ist jedoch nur
bedingt kosten- und patientenfreundlich. Aus unseren
Daten geht hervor, dass durch die Bestimmung der
n 2011 %
2012
n %
1294 102 42 9 3 6 60 14 5 23 42 100 7,9 4,6 3,3 1443 132 57 9 4 4 74 19 9 30 58 100
9,1
5,1
4,0
NPG 60% der Schwangerschaftsdiabetikerinnen erfasst
werden, jedoch 40% der Patientinnen ohne oralen Glukosetoleranztest unerkannt blieben. Es wurden bereits vielversprechende, mehrstufige Modelle zur GDM-Diagnostik
auf Basis von Nüchternglukosemessungen entwickelt, um
die Zahl der Belastungstests zu senken (z.B. NPG-Messung
und Risikostratifizierung mit OGTT nur bei Bedarf [13]).
Diesbezüglich sind noch weitere wissenschaftliche Untersuchungen erforderlich, um eine sinnvolle, für Schwangere wenig belastende Alternative zu finden.
Auffallend gering ist die Anzahl der an unserem Labor
durchgeführten OGTTs 6–12 Wochen postpartal nach GDM
(WHO-Kriterien). Sicher ist, dass effektives GDM-Screening in Verbindung mit konsequenter postpartaler Betreuung der Patienten eine gute Basis für die Reduktion von
Folgeerkrankungen und –kosten darstellt.
Interessenkonflikt: Die Autoren erklären, dass keine
wirtschaftlichen oder persönlichen Interessenkonflikte
bestehen.
Eingang 29.9.2013; Akzeptanz 27.2.2014; vorab online veröffentlicht
25.3.2014
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