klinikum stuttgart kundenorientierte ausrichtung des it - Medizin-EDV

Transcrição

klinikum stuttgart kundenorientierte ausrichtung des it - Medizin-EDV
E R FA H RU N G E N
KLINIKUM STUTTGART
KUNDENORIENTIERTE AUSRICHTUNG DES
IT-SERVICES NACH ITIL-GRUNDSÄTZEN
Regelwerke wie ITIL sind von großem Nutzen, wenn sie an die individuellen Bedarfe
eines Krankenhauses angepasst werden. ITIL
„verordnet“ vor allem Transparenz und Neuordnung. Diese Intentionen standen auch
im Mittelpunkt der Reorganisation des ITBenutzerservices im Klinikum Stuttgart.
Die Rolle des ITBenutzerservices (BNS)
Die diagnostischen und therapeutischen
Prozesse einer Klinik sind zunehmend abhängig von einer leistungsfähigen IT. Bei
Störungen und Unterbrechungen der komplexen und zeitkritischen klinischen Arbeitsabläufe muss ein aktiver und reaktiver Benutzerservice verfügbar sein. Bei
gleichzeitig knappen Budgets stellt diese
Leistungsanforderung eine echte Herausforderung für jeden IT-Leiter eines Krankenhauses dar. Des Weiteren ist innerhalb
des Benutzerservices insbesondere die Hotline in der Regel erster Ansprechpartner
für Anwender. Damit ist der Benutzerservice das Aushängeschild für die Leistungsfähigkeit und Serviceorientierung der
gesamten IT-Abteilung – ein nicht zu vernachlässigender Image-Faktor.
Ausgangslage
Ausgangspunkt für die Initiierung des
Projekts „Organisationsentwicklung des
Benutzerservice“ war die juristische und
organisatorische Fusion der vier städtischen Krankenhäuser – Bürgerhospital, Katharinenhospital, Krankenhaus Bad Cannstatt und Olgahospital – zum Klinikum
Stuttgart. Im Zuge der damit verbundenen
Verwaltungsreorganisation wurden auch
die bisher dezentral organisierten und lokal zuständigen EDV-Abteilungen zu einem zentralen IT-Servicecenter mit vier
serviceorientierten Fachbereichen zusammengeführt (vgl. Abbildung 1: Organigramm des IT-Servicecenters).
40
Intention und
Konzeption
Auch, wenn einige
Fachbeiträge berichten,
dass in Krankenhäusern
der Begriff „ITIL“ nahezu unbekannt sei [1],
vertreten die Autoren
dieses Artikels die Ansicht, dass ITIL als RahAbbildung 1: Organigramm des IT-Servicecenters
menwerk in der IT
Im Unterschied zu den IT-Fachbereibranchenunabhängig allgemein durchgechen Klinische Systeme, Verwaltungssyssetzt und auch in spezieller Ausprägung
teme und Systemadministration, deren
für den Betrieb von Krankenhäusern geAufgabenbereiche, Zuständigkeiten und
eignet ist. Die Umsetzung von ITIL-InProzesse relativ problemlos unter einer
strumenten in Krankenhäusern erfordert
neuen optimierten Organisation zusamjedoch u.U. ein Verlassen der „reinen ITILmengeführt werden konnten, musste der
Lehre“ zu Gunsten von praxisorientierFachbereich Benutzerservice differenziert
ten, z. T. auch pragmatischen Lösungsbetrachtet werden. Über mehrere Jahre gewegen (ITIL nicht zum Selbstzweck).
wachsene und pro Haus unterschiedliche,
Im vorgestellten Reorganisations-Proteilweise ungeregelte Prozesse waren zu
jekt wurden die Best-Practice-Empfehlunkonstatieren (vgl. Abbildung 2: Das „alte“
gen zur Konzeption und Implementierung
Organisationsmodell des BNS). In jedem
von idealtypischen IT-Services entspreHaus wurden eigene Hotline-Nummern
chend den Richtlinien des OGC (Office of
verwendet, die zu unterschiedlichen AnGovernment Commerce) [2] bzw. des BSI
sprechzeiten erreichbar waren. Es bestand
(British Standard Institution) an die spegrößtenteils Unklarheit und Uneinheitzifischen Anforderungen im Klinikum
lichkeit, an wen sich der Anwender bei AnStuttgart angepasst. Die ITIL-Zielsetzunfragen und Störungen wenden kann. Pagen [3] [4] spiegeln sich in den folgenden
rallele und unabgestimmte DirektkontakProjektintentionen wieder:
te zu Applikationsspezialisten oder Systemadministratoren entsprechend der VerServiceorientierung
mutung des Anwenders bezüglich der Ur● Betrachtung des Anwenders als
sache seines Problems waren die Folge. Die
Kunden (Voraussetzung hierfür ist eine
Vergabe von Leistungen an Externe Dienstdienstleistungsorientierte
Grundeinstellung bei den Serviceleister (Outtasking) war unterschiedlich
Mitarbeiter)
ausgeprägt – die Steuerung dieser Firmen
gestaltete sich mangels geeigneter Instru● Serviceorientierung und Teamfähigkeit
mente als sehr zeitaufwendig.
bis hin zu Stressresistenz und tiefgehenEine als Vorprojekt aufgesetzten Studem Verständnis der medizinischen Prodie zu potentiell möglichen Organsisatizesse (z. B., wenn ein Arzt im OP Probleonsformen empfahl, den IT-Benutzerservice
me bei der Dokumentation der Schnittzu weiten Teilen in eigener Verantwortung
Naht-Zeiten hat, muss sich ein Servicedes Shared Service Center IT zu betreiben,
Mitarbeiter in die Situation des Klinikers
jedoch zukunftsfähig auszurichten.
hineinversetzen können)
Change Management –
Organisationsentwicklung
Abbildung 2: Das „alte“ Organisationsmodell des BNS
● Klare Regelungen zu Kontaktierung und
Bearbeitungsablauf sowie Kommunikation dieser an die Anwender.
Kostenoptimierung
● Kostenstabilität bzw. Kostenreduktion
bei wachsender Breite, Tiefe und Komplexität der IT-Infrastruktur
● Umschichtung und Entlastung interner
Ressourcen durch Bündelung von externen Dienstleistungen
● Konsequenter Einsatz von Fernbetreuungs-Software als betriebswirtschaftlich
kostengünstigste Form der Fallbearbeitung,
● Konsequente Standardisierung bei Hardund Softwareausstattung
Transparenz
● Jederzeit kann der Bearbeitungsstatus einer jeden Meldung aufgerufen, verfolgt und
für Auswertungen bereitgehalten werden
Flexibilität
● Hohe Anpassungsfähigkeit an Änderungen der IT-Infrastruktur im Zuge von
Einführungsprojekten, Release-Wechseln
und organisatorischen Umstrukturierungen innerhalb des Klinikums. Bezüglich
der Verfahrensregeln sowie internen Prozess- und Organisationsvorschläge gliedert sich ITIL in zehn Module, die jeweils
einen Teilbereich des IT-Service-Managements abdecken [5]. Diese zehn Module
sind in zwei Gruppen gebündelt:
● Service Support – Schnittstelle zu den
Anwendern (Leistungsbezug der IT) – tägliche Erbringung und Unterstützung der
IT-Services
● Service Delivery – Schnittstelle zu den
Kunden (Leistungsdefinition der IT) – langfristige Planung und Weiterentwicklung
der IT-Services.
Im Rahmen einer Mehrprozessstrategie zur
Einführung [6] konzentrierte sich das Projektteam auf die ITIL-Module Incident-, Problem-, Release und Configuration Management als Module des Service Support [7].
Nach Freigabe des Projekts durch die
Krankenhausbetriebsleitung erfolgte nach
einem Kick-off eine eingehende Ist-Analyse. Neben einer Anwenderbefragung
(Stichprobe aus allen Anwendern des KS,
strukturierte Interviews) wurden alle Abläufe, Dokumente, ggf. vorhandenen Werkzeuge sowie die formalen, z. T. auch informellen Regelungen der bestehenden dezentralen Organisationsstruktur erhoben
und in wesentlichen Aspekten dokumentiert. Da den Projektverantwortlichen bewusst war, dass der Projekterfolg entscheidend von der Identifizierung der Mitarbeiter mit den Inhalten des Projekts abhängt, wurden in dieser Phase alle BNSMitarbeiter einbezogen.
In der nachfolgenden Phase des Designs erarbeitete ein Kernteam ausgehend
von den Anforderungen des Klinikbetriebs
in einer Reihe von Workshops, unterstützt
von einem externen Moderator, Schritt für
Schritt eine Neu-Definition und Vereinheitlichung der Dienstleistungen.
Abbildung 3 zeigt das neue Benutzerservicemodell: Kern und Herzstück des Benutzerservice ist die Hotline [8]. Sie ist für
alle Anwender des Klinikum Stuttgart und
alle Arten von IT-Fragen über eine Rufnummer sowie eine E-Mail-Adresse erreichbar. Angepasst an die typische Bedarfsentwicklung wurde ein rollierender
Schichtdienst aufgebaut. Vormittags ab
7:00 Uhr versetzt drei Mitarbeiter werden
überlappend von zwei Mitarbeitern abge-
E R FA H RU N G E N
löst, die bis 17:00 Uhr tätig sind, danach
greift für unternehmenskritische klinische
Systeme eine Rufbereitschaft.
Der Service-Mitarbeiter übernimmt die
Gesamtverantwortung für einen Call. Abhängig vom Schweregrad des Problems
kann er den Fall selbst lösen oder an nachgelagerte Mitarbeiter bzw. Servicepartner
eskalieren. In jedem Fall steuert der Service-Mitarbeiter bis zur erfolgreichen
Schließung der Meldung den gesamten Ablauf. Der Verweis „mein zuständiger Kollege kommt gleich“ oder eine parallele und
unabgestimmte Bearbeitung eines Calls
von mehreren Kollegen wird vermieden
Im Folgenden werden die Aufgaben
der einzelnen BNS-Einheiten im Überblick
dargestellt:
Die Hotline nimmt folgende Aufgaben wahr:
● Pflege der Prozessdaten im Ticket-System und 1st Line Support (über Remote-Zugriff)
● Zentrale Meldungserfassung (Single
Point of Contact) für alle Standorte des
Klinikums Stuttgart
● Weiterleitung der Meldungen (Meldungsbearbeitung und -überwachung)
● Auslösen von Eskalationsroutinen
● Zentraler Meldungsabschluss und Qualitätssicherung der Ticket-Bearbeitung.
Der zentrale Benutzerservice (ZBS) hat folgende Funktion:
● Weitere Meldungsbearbeitung und Pflege der Prozessdaten im Ticket-System
sowie 2nd Line Support
● Beauftragung von Geräten / Verbrauchsmaterialien über SAP
● Software Zertifizierung, Paketierung
und Verteilung; Hardware-Integration
42
(Betrieb Integrationslabor)
● Vertretung
des lokalen
BNS
Der lokale Benutzerservice (LBS)
hat nachstehenden
Auftrag:
● Pflege der
Prozessdaten im
T i c ke t - S y s t e m
● Ausführen aller nicht über den
zentralen BNS
ausführbaren Aufgaben (auch 2nd oder 3rd Line Support)
● Vor-Ort-Installation sehr spezifischer
Software und Anbindung sehr spezifischer
Hardware (vor allem im medizinischen Bereich)
● Pflegen des Kunden- und Anwender Direktkontaktes Vor-Ort
● Vertretung des zentralen BNS
● Jeder größere Standort verfügt über einen lokalen Benutzerservice, der durch eigenes Personal besetzt ist.
wortlichkeiten übernahm, z. T. verbunden
mit einem räumlich Arbeitsplatzwechsel
an einen anderen Standort des Klinikums.
Zur Erhöhung der Transparenz wurde für
jeden Mitarbeiter eine Rollen- und Aufgabenbeschreibung entwickelt. Zur Vertiefung des neuen gemeinsamen Qualitätsverständnisses und Prozessdenkens fanden mehreren Gespräche statt, in denen
auch Kritik und Korrekturen zugelassen
waren.
Gleichzeitig wurde das neue Organisationsmodell und die damit verbundenen
Prozesse sehr früh im Projektverlauf systemtechnisch abgebildet. Einerseits um den
Mitarbeitern ein Werkzeug zur Steuerung
ihrer eigenen Aufgaben zu geben, auf der
anderen Seite um eine Verfeinerung und
Korrektur der reorganisierten Abläufe zu
ermöglichen.
Im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses wurde ein Qualitätszirkel etabliert, in dem unter Beteiligung
von Vertretern der anderen IT-Fachbereiche ein regelmäßiges Review [10] stattfindet und u. a. kritische Eskalationsprozesse
gemeinsam optimiert werden.
Der Benutzerservice kann auf Basis eines definierten Leistungskatalogs Fremdleistungen ordern. Die Leistungen des externen Dienstleisters konzentrieren sich
primär auf hoch standardisierbare Instandhaltungs- und setzungsaufgaben, die
gleichermaßen über alle Häuser hinweg
und i.d.R. vor Ort am Arbeitsplatz des Anwenders erbracht werden.
In der Phase der Umsetzung stand insbesondere die Frage im Mittelpunkt: Wie
bekommt man die Prozesse und das Organisationsmodell „vom Papier in die Köpfe
der Mitarbeiter“? Wie stellt man sicher,
dass die Prozesse aktiv gelebt werden? [9]
Insbesondere vor dem Hintergrund, dass
im Zuge der Realisierung von neuen Abläufen und Strukturen nahezu jeder Mitarbeiter andere Aufgaben und Verant-
Werkzeuge
Viele ITIL-Berater messen den eingesetzten Werkzeugen nur eine untergeordnete Bedeutung bei [11]. Geht man jedoch von einem geschlossenen PDCARegelkreis im Sinne des Qualitätsmanagements aus, kann der Erfolg von restrukturierten Prozessen nur gemessen
werden, wenn die notwendigen Daten dokumentiert und damit auswertbar sind.
Im Unterschied zu den i. d. R. eingesetzten Spezialsystemen zur Abbildung des
User Help Desk (UHD) entschied sich die
Projektgruppe für die Einführung von
SAP CS / PM. Die Vorteile in Bezug auf
die Verknüpfung der Meldungen mit den
ebenfalls im SAP geführten Arbeitsplätzen (Assets) sowie die medienbruchfreie
Tabelle 1: Im BNS eingesetzte Systeme
Auslösung von Beschaffungen bzw. das
Ordern von Dienstleistungen machten den
höheren Zeitbedarf zum Customizing des
Systems sehr schnell wett.
Ausblick
Start des neu organisierten Benutzerservices war nach einer Gesamt-Projektlaufzeit von 1,5 Jahren der 01.12.05. Durch
die aktive Unterstützung und das große
Engagement aller beteiligter Mitarbeiter
(auch unter z. T. schwierigen Rahmenbedingungen) war die Reorganisation des ITBenutzerservices im Klinikum Stuttgart ein
Erfolg in mehrfacher Sicht: Inhaltlich, wirtschaftlich und zeitlich erreichte das Projekt alle gestellten Zielsetzungen. Langfristig ist im Klinikum Stuttgart geplant,
das Service Management im Hinblick auf
weitere integrierbare ITIL-Module weiterzuentwickeln. Im nächsten Schritt soll die
TK-Anlage mit einem entsprechenden
Werkzeug ergänzt werden, um schon an
diesem Kontaktpunkt Kennzahlen zur Erreichbarkeit erheben zu können. Des Weiteren sollen Konzepte zu einem einheitlichen Service-Level-Management sowie zur
Erhebung der Kundenzufriedenheit entwickelt werden. www.klinikum-stuttgart.de
Kennzahlen
Im Klinikum Stuttgart (mit insgesamt 2500 Betten über die vier Standorte Bürgerhospital,
Katharinenhospital, Krankenhaus Bad Cannstatt, Olgahospital) sind 4300 Anwender
mit 3100 Arbeitsplätzen zu betreuen. In die Infrastruktur eingebunden sind ca. 160
Server-Systeme sowie ca. 90 Applikationen. Im Benutzerservice des Sercicecenters IT
kümmern sich 10,5 Mitarbeiter um die Unterstützung der Anwender.
Autoren
Anke Simon,
Leiterin des Servicecenters Informationstechnik des Klinikum Stuttgart,
w w w. k l i n i k u m stuttgart.de, [email protected]
Literatur:
[1] Beenen, B.: Einführung von ITIL in Krankenhäusern. Bezahlbare IT im Krankenhaus, in: KrankenhausIT, 5/2005, S. 41–43, Teil 2, 6/2005, S. 28–29
[2] OGC, Office of Government Commerce. Service
support: ITIL managing IT services, 6. Auflage. London: TSO (The Stationery Office), 2002
[3] Zarnekow, R.; Hochstein, A.; Brenner, W.: Serviceorientiertes IT-Management, Berlin: Springer, 2005
[4] IT Service Management: Eine Einführung, in: Van
Bon, J.; Kemmerling, G.; Pondman, D. (Hrsg.): Van
Joachim Oetinger, Fachbereichsleiter Benutzerservice
des Servicecenters
Informationstechnik,
w w w. k l i n i k u m stuttgart.de, [email protected]
Haren Publishing, 2002.
[5] Weigel, A.: Ein Gerüst für IT-Services, in: Informationweek 19/20/2005, S. 14 ff
[6] OGC, Office of Government Commerce: Planning
to Implement Service Management. London: TSO (The
Stationery Office), 2002
[7] Ludwig, B.: IT Infrastructure Library. Neue Mode
oder neuer Standard? in: IT Management 12/2004, S.
44–45
[8] Mollbach-Elbert, M.: Strategien für einen erfolg-
Rainer Heck, Berater bei PriceWaterhouseCoopers AG
WPG, Leiter des Arbeitskreises „Operational Service Management“
des
itSMF Deutschland, ITIL Service Manager,
www.pwc.de, [email protected]
reichen Help-Desk, in: IT-Management, 11/2005, S.
28–31
[9] Markus, L.: Technochange management: using IT
to drive organizational change. Journal of information technology 19, 2004
[10]
Kütz, M. [Hrsg.]: Kennzahlen in der IT – Werk-
zeuge für Controlling und Management. Heidelberg:
dpunkt Verlag, 2003
[11]
Bienert, B.: Kritische Erfolgsfaktoren für die
ITIL-Umsetzung, in: IT Management, 9/2005, 34, S.
43–47