PDF ansehen
Transcrição
PDF ansehen
64 KUNSTMARKT WOCHENENDE 16./17./18. OKTOBER 2015, NR. 200 1 1 D Marktfrisches aus dem Museum Ist die Frieze im 13. Jahr nicht mehr jung und spritzig, aber auch nicht edel genug, nicht mehr Leitmesse des Neuen, sondern eben nur zum Mittelmaß verdammt? Vielleicht verschlägt das Geld, das gerade in dieser vollgepackten Woche in die Londoner Szene drängt, der Messe den Atem. Dutzende von Vernissagen – Cy Twombly in der Londoner Gagosian Gallery, Gerhard Richter bei Dominique Levy, Edelstes von Fontana bei Tornabuoni – haben den jungen Satellitenmessen schon den Garaus gemacht. Und dann wirbt, weit hinten im Regent’s Park versteckt, die Parallelmesse Frieze Masters mit ihren seriöseren und überlegteren Bemühungen. Im letzten Jahr enttäuschte Frieze Masters, weil zu viele Altmeister-Händler zu dröge Ware ausbreiteten. Nun strebt man wieder entschlossen nach Qualität und Extravaganz, ist breiter aufgestellt. Nicht jede Vermischung von Altem und Neuem, passionierter Sammlerkunst und Spekulationsobjekten für flinke Investoren überzeugt, und nicht jedes alte Objekt schlägt die Brücke in die Gegenwart so umstandslos robust wie die italienischen „Bracciale“, eine Art hölzerner BaseballHandschuhe, mit ihren abstrakten Formen, die Georg Laue schnell verkauft hat. Der Bestsellerautor Lothar-Günther Buchheim war ein besessener Expressionismus-Sammler. Das Auktionhaus Neumeister versteigert jetzt Dubletten. Sabine Spindler München S Aus der Vorhölle ins Kunstparadies Gliederpuppe aus Frankreich, um 1750: Wer in der Frieze-Woche Außergewöhnliches finden will, muss sich sputen. Die Messen Frieze und Frieze Masters buhlen in London um die Gunst der Sammler. Dabei verliert sich die ältere Frieze in Flitterund Glitzer-Kunst. Die jüngere überzeugt hingegen mit echten Entdeckungen. Ein Rundgang mit Matthias Thibaut © Handelsblatt GmbH. Alle Rechte vorbehalten. Zum Erwerb weitergehender Rechte wenden Sie sich bitte an [email protected]. „Hub. London Studio“von Do Ho Suh : Der aus Gaze geschaffene Hingucker des Koreaners am Stand von Lehmann Maupin ist schon reserviert. m Doppelstand von Hauser & Wirth und dem AltmeisterHändler Moretti erklärt Marie de Limburg-Stirum, worauf der Dialog von Alt und Neu zielt: „Das Publikum ist jung und kann sich Alte Kunst vielleicht nicht so recht in modernen Interieurs vorstellen.“ Wie’s gehen soll, zeigt eine „Magdalena“ der Malerin Marlene Dumas neben einer Goldgrund-Madonna von Luca di Tommè. Letztere mit 3,5 Millionen Pfund zehnmal so teuer wie die Dumas-Arbeit, meist ist es anders herum. Ein Agnes-Martin-Aquarell kostet hier mit 350 000 Dollar ein Drittel mehr als das Goldgrundwerk des „Meisters von Staffolo“ (190 000 Euro), das daneben hängt. Aber viele ausgewogene Stände verzichten auf solche Tricks. Jörn Günther breitet hochkarätige Illuminationen zur minutiösen Betrachtung aus. Die Lebensbeschreibung des „bon chevalier Jacques de Lalaing“, des besten burgundischen Turnierkämpfers seiner Zeit, gemalt um 1520 von Simon Bening und seiner Werkstatt, hat 18 Miniaturen. Die werden immer Kostbarkeiten aus einer anderen Welt bleiben (3,8 Millionen Euro). Himmlische Konzentration ist die Stärke dieser Messe, die Ruhe, mit der in vielen monografischen Ständen übersehene oder vergessene Werke in Erinnerung gebracht werden. Weniger Verkaufsgerassel, mehr zum Entdecken. Papierarbeiten von Alexander Calder bei Pace (35 000 bis 350 000 Dollar), die hundertjährige Kubanerin Carmen Herrera bei Lisson, neue afrikanische Künstler, Papier-Frottagen des Koreaners Chung Sang-Hwa, die in der „Spotlight“ Sektion für Preise bis eine Million Dollar sofort verkauft waren. Frieze Masters ist vielleicht nicht der Umsatzbringer (einige haben zusätzlich Stände auf der PAD am Berkley Sqaare, wo superreiche Laufkundschaft Dekoratives kauft) –, aber man lernt und staunt. Altmeister-Händler Johnny van Haeften hat zu dem großen Bild mit einem von Dudelsackbläsern angeführten Hochzeitszug des Martin van Cleve eine Tonspur komponieren lassen. Sie macht das Werk mit Schweinsgrunzen, Dudelsack, Trommeln und Kirchenglocken hörbar. „Eine Installation“, lacht er. „Wer die 1,8 Millionen Pfund für das Bild bezahlt, bekommt Kopfhörer und Tongerät dazu.“ Neumeister / VG-Bildkunst Galerie Lehmann Maupin A Kunstkammer Georg Laue, München ie Passage aus der Ruhe des Regent’s Park ins Gewühle des Frieze-Messezelts war immer ein herausforderndes Schwellenerlebnis. In diesem Jahr führt der Weg durch einen schwarzen Kanal, Schriftzüge warnen „Das Ende ist nah“ und „Willkommen im Purgatorium“. Der Künstler Lutz Bacher hat den Eingang als eines der „Frieze Projects“ gestaltet, die oft kritische Gegenpositionen zum überschlagenden Kommerz des Messegeschehens formulierten. „Purgatorium“ sei „kein Ort, sondern eine Daseinsbedingung“, erläutert die Installation. Das gilt auch, wenn man in den Kunsthimmel der Messe eingelassen ist, wo Versuche paradiesischer Verortung scheitern. Physisch, weil die Orientierung in dem Messelabyrinth schwer ist. Die Gänge bieten in alle Richtungen Gleiches. Geistig, weil es überall so blinkt und funkelt, als sei man in eine Spielhölle in Las Vegas geraten. Bunt ist Gegenwartskunst schon lange. Nun wird sie von Phosphorfarben, Glattlack, Edelstahl, Flitterwerk und Glitzer übernommen, denn jedes Werk ist vor allem eine Reklametafel für sich selbst. Das gilt für die Großformate des Amerikaners Chris Martin mit Glitzer und Leuchtfarben bei Anton Kern (55 000 Dollar) oder Mickalene Thomas’ Collagen aus Lackverkrustungen, Strass-Juwelen und Goldblech, die bei Maupin Lehman für um 150 000 Dollar bereits verkauft wurden. Typisch sind Wandkästen von Evren Tekinoktay bei Approach, in denen Lackfarbflächen rotieren und Neonröhren wie in Flipperspielen blinken oder bei White Cube an der Außenwand, Eddie Peakes phosphorisierende Bilder, wo die Lackfarben auf Edelstahlflächen gesprüht wird. „Give us work now“, ruft ein Triptychon von Duncan Campbell (Rodeo Istanbul) das Messemotto aus. Sogar karge Monochrome, die die Nerven beruhigen könnten, haben nun Goldränder (etwa die von Ettore Spalletti bei Marian Goodman). Bei der figurativen Kunst ist Infantiles aktuell. Der Japaner Ken Kagami sieht Messebesuchern kurz ins Gesicht und malt dann in 20 Sekunden ihre Genitalien. Kamel Mennour hat seinen Stand der derzeit angesagten Camille Henrot gewidmet, die auf großformatigem Papier die „Erniedrigungen des täglichen Lebens“ beschreibt – Masturbationskarikaturen, die auf Großpapier 40 000 Euro kosten. Vielleicht ist das Kunstparadies doch nur die Vorhölle. Gelegentlich gibt es Ruhepunkte. Messebesucher verweilen vor der schnell verkauften, riesigen Kohlezeichnung einer Zeder von Robert Longo (650 000 Dollar), kontemplativ sind die Wohnelement-Skulpturen aus hauchdünner Gaze von Do Ho Suh, die Victoria Miro für 100 000 bis 230 000 Pfund anbietet. Lehmann Maupin hat Suhs „Studio Hub“, eine rot leuchtende, transparente Hütte, die mit ihren in Handarbeit nachgebildeten High-TechGadgets die prekäre Position des modernen Menschen zwischen Autonomie und gnadenloser Vernetzung markiert (400 000 Dollar). Aber wirkliche Blue-Chip-Kunst ist rar. White Cube hat als Höhepunkt ein vier Meter breites neues Damien HirstGemälde, das – nicht sehr originell – die Farbtafel für „Holbein Artist Watercolours“ penibel nachmalt (750 000 Pfund laut Galerie). Gagosian widmet seinen Stand ganz dem Malerstar Glenn Brown. KUNSTMARKT 65 WOCHENENDE 16./17./18. OKTOBER 2015, NR. 200 eine Gegner beschimpfte er rüde als Gullyratten. Aber wenn es um moderne Kunst ging, war er höchst sensibel. Der Verleger, Bestsellerautor („Das Boot“), Maler und Fotograf Lothar-Günther Buchheim (1918 – 2007) sammelte schon in den frühen 1950er-Jahren begeistert die Kunst der Expressionisten, als kaum einer in Gemälde von Max Pechstein und Erich Heckel investierte. Bis heute gilt seine Graphik- und Gemäldesammlung, die seit 2001 im Buchheim Museum in Bernried beheimatet ist, als eine der profiliertesten. Am 28. November versteigert das Auktionshaus Neumeister rund 150 Blätter expressionistischer Graphik aus der Sammlung des ewig polternden Modernekenners. Hauptlos der Auktion ist die Graphikfolge „Der Krieg“ von Otto Dix. Bis heute gilt das Werk von 1924 als bedeutendster Radierzyklus des 20. Jahrhundert. Neumeister schätzt ihn auf 100 000 bis 150 000 Euro. Die große Auswahl an Drucken von Max Beckmann wird angeführt von einem Probedruck des „Selbstbildnisses mit steifem Hut“. Im Auktionshaus Villa Grisebach hat kürzlich ein anderer Probedruck dieses Motivs 220 000 Euro (brutto) eingespielt. Im Museum in Bernried, wo Vorbesichtigung und Auktion stattfinden, liegt der Schätzwert bei 40 000 bis 60 000 Euro. Als Buchheim um 1950 zu sammeln begann, kostete im Stuttgarter Kunstkabinett Ketterer beispielsweise ein Blatt wie Beckmanns „Selbstbildnis mit steifem Hut“ oder ein einzelnes Blatt aus Otto Dix’ Zyklus „Krieg“ etwa 15 Mark. Das Multitalent glaubte fest an die Wertsteigerung seiner Sammlung. Das Bewusstsein für die kürzlich noch verfemte Kunst schuf er mit Bildbänden über den Expressionismus. Manche Taxen liegen extrem tief: Beckmanns „Die Nacht“ startet bei 2 000 Euro, Erich Heckels früher Holzschnitt „Stralsund“ bei 2 500 Euro. Mit nur 200 Euro geschätzt sind Druckwerke von Oskar Kokoschka und Lovis Corinth. Expressionistische Kunst ist heute von der Raubkunstdebatte nicht mehr zu trennen. Wie Neumeister-Geschäftsführerin Katrin Stoll im Gespräch mit dem Handelsblatt erklärte, hat sie die Erforschung der Provenienzen auch in Auftrag gegeben, um auf die Vorwürfe vom Sommer 2014 zu reagieren. In Zusammenhang mit der Sammlung Gurlitt wurden Fragen nach Provenienz und Max Beckmanns „Selbstbildnis mit steifem Hut“: Eines der Toplose aus der Sonderauktion Buchheim von Neumeister, die in Bernried stattfinden wird. möglicher Raubkunst im Buchheim-Museum laut. Auch wenn es weder im „Art Loss Register“ Kunstwerke aus dem Bestand gab noch Restitutionsansprüche, das Buchheim-Museum hat daraufhin Gelder für Provenienzforschung beantragt. Die Recherchen zu den Auktionslosen ergaben in keinem Fall Anhaltspunkte auf Raubkunst. Auch drei DixRadierungen mit einem Stempel des Kupferstichkabinetts in Stuttgart erhielten grünes Licht. „Diese Blätter“, so Stephan Klingen vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte, „hatte das Museum schon Jahre vor der NS-Aktion ,entartete Kunst’ freiwillig verkauft.“ Dass ein Museum, selbst wenn es nicht staatlich ist, Teile seiner Bestände verkauft, ist in Deutschland ungewöhnlich. Doch das Buchheim Museum will die Vielfalt seiner Bestände keinesfalls schmälern. Wie das Handelsblatt von Museumsdirektor Daniel J. Schreiber erfuhr, handelt es sich ausschließlich um Dubletten. Zum Teil stammen sie aus dem Konvolut von etwa 1 000 Graphiken, die nach dem Tod von Buchheims Ehefrau Diethild 2014 ins Museum gelangten. Zum Teil sind es Blätter, die bereits Eigentum der 1996 gegründeten Buchheim-Stiftung waren. Als Galerist hat Buchheim in den Jahren 1949 bis 1951 mit Werken von Georges Braque und Pablo Picasso gehandelt. Eine kleine Reminiszenz daran dürften die gut 50 zur Versteigerung kommenden Drucke von Braque, André Masson, Georges Rouault und Raoul Dufy sein, deren untere Taxen zwischen 200 und 1 000 Euro liegen. Toplos der französischen Offerte ist Picassos Farblithografie „Buste de Femme au Chapeau Bleu (Dora Maar)“ von 1955 zur Taxe von 6 000 bis 8 000 Euro. Neumeisters Geschäftsführerin Katrin Stoll erwartet einen Umsatz von mindestens einer Million Euro. Ein Konvolut wie dieses mit der Provenienz eines der populärsten Expressionisten-Sammler wird wohl kaum wieder auf den Markt kommen. Der Name Buchheim wird seinen Reiz entfalten, aber Kenner nicht benebeln. Denn so kräftig und kontrastreich wie Karl Schmidt-Rottluffs Holzschnitt „Melancholie“ von 1914 (8 000 bis 10 000 Euro) sind nicht alle Blätter. Viele gehören zu den zehn letzten Abzügen einer Auflage. Daniel Schreiber sagt es unmissverständlich: „Wir haben nicht die schlechtesten behalten.“ Der Verkaufserlös soll der Erweiterung der Expressionisten-Sammlung zugute kommen. „Ein Gemälde von ErnstLudwig Kirchner oder ein Bild von Emil Nolde kann ich mir sehr gut vorstellen“, meint Daniel Schreiber.