Die Machtverhältnisse in der NBA sind teilweise

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Die Machtverhältnisse in der NBA sind teilweise
Interview: Christian Orban
„Die Machtverhältnisse
in der NBA sind teilweise
rassistisch.“
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Die diskriminierenden Äußerungen
von Clippers-Besitzer Donald
Sterling gegen Afroamerikaner
haben den Fokus auf das Thema
Rassismus im US-Sport gelenkt. Wir
sprachen mit dem NordamerikaHistoriker Christian Orban (31)
über die Geschichte des Rassismus,
Vorurteile und den Zustand der NBA.
Interview: Thomas Fritz
Fotos: Getty Images/NBA photos/Andrew D. Bernstein
FIVE: Herr Orban, ist das Thema Rassismus in
den USA ein Tabu?
Christian Orban: Meist kommt es darauf an, wer
gefragt wird. Für diskriminierte Minderheiten ist
es eine Lebenswirklichkeit und somit weniger
ein Tabu als in der breiten, vor allem weißen
Öffentlichkeit. Die Debatte um Donald Sterling
ist ein Beleg dafür. NBA-Commissioner Adam
Silver will ihn aus der Liga werfen lassen,
aber eine tiefgehende Diskussion über die
rassistischen Aussagen Sterlings und ihren
Ursprung wird weiterhin vermieden. Immerhin
hat Silver gesagt, dass Rassismus noch längst
nicht der Vergangenheit angehört. Eigentlich eine
Selbstverständlichkeit, die in den USA aber gerne
geleugnet wird – mit Verweis auf US-Präsident
Obama oder schwarze Sportstars.
1950 brach Earl Lloyd als erster Afroamerikaner
die sogenannte Rassenschranke in der NBA
und ebnete den Weg für weitere schwarze
Pioniere. Wo haben Afroamerikaner davor
Basketball gespielt?
Es gab analog zur Segregation, die sich etwa in
getrennten Schulen oder Wohnvierteln ausdrückte,
auch afroamerikanische Sportklubs, Verbände,
Turniere sowie unabhängige und überaus
erfolgreiche Profiteams wie die New York Rens
und Harlem Globetrotters. Diese Parallelstrukturen
entstanden ab 1900 und verloren mit der
Präsenz schwarzer Athleten in der NBA ihre
Existenzgrundlage. Jedoch war die Integration
ein sehr langsamer Prozess. Es gab lange Zeit
Absprachen unter den Teambesitzern und von
Trainern umgesetzte Quotenregeln, die die Zahl
schwarzer Spieler beschränkten. Erst in den
1970er-Jahren kann von einer afroamerikanisch
dominierten NBA die Rede sein.
Trotzdem fiel die Rassenschranke im US-Sport
früher als in der übrigen Gesellschaft der
Vereinigten Staaten. Woran lag das?
Der Sport war für Afroamerikaner eines der
wenigen zugänglichen Felder, die sie bewusst
nutzen konnten, um sich gesellschaftliche
Anerkennung und Teilhabe zu erkämpfen. Der
Boxer Joe Louis, Weltmeister in den 1930erund 1940er-Jahren, oder der LeichtathletikOlympiasieger Jesse Owens sind zwei prominente
Beispiele. Alle frühen Pioniere sahen sich
allerdings mit vielförmigen Herabsetzungen und
Ausgrenzungen konfrontiert, die sie nachhaltig
prägten. Das sollte nicht vergessen werden.
Boston Celtic Bill Russell gilt mit seinen elf
Ringen heute als Prototyp des Gewinners. Wie
sah ihn die breite Öffentlichkeit in den 1950erund 1960er-Jahren?
Russell war für das fast ausschließlich weiße
Publikum damals nur schwer konsumierbar. Der
Boston Garden war oft halbleer. Als Bob Cousy
1963 zurücktrat, gingen die Zuschauerzahlen
zurück. Russell trat als selbstbewusster und
unangepasster schwarzer Mann auf, der auch
gesellschaftliche Missstände anprangerte und
sich in der Bürgerrechtsbewegung engagierte –
für viele weiße Amerikaner eine Zumutung. So
galt er lange als unzugänglicher und schwieriger
Charakter, als Troublemaker.
Heute besteht die Association zu etwa 80
Prozent aus Schwarzen. Warum ist die NBA
so attraktiv für sie?
Viele Afroamerikaner leben nach wie vor in
ärmlichen Verhältnissen, der Sport erscheint oft
als möglicher Weg aus der Misere. Die mediale
Präsenz schwarzer Sportler macht diesen
Weg zusätzlich attraktiv und schafft eine hohe
Identifikation. Zudem ist Basketball ein sehr leicht
zugänglicher Sport, der ohne teure Ausrüstung
gespielt werden kann. Überall gibt es Körbe und
Freiplätze, und als Schul- und Zuschauersport
besitzt er einen hohen Stellenwert.
Schwarze werden im Vergleich zu Weißen oft
als athletischer beschrieben. Ist da was dran?
Dafür gibt es keine wissenschaftlichen Belege.
Die Reduzierung auf eine scheinbar natürliche
Körperlichkeit ist eine Konstruktion, die auch
durch Marketingentscheidungen oder die
Medienberichterstattung befeuert wird. Genau
wie beim stereotypen Gegenentwurf angeblich
unathletischer weißer Spieler wie Larry Bird
oder Dirk Nowitzki. Bekanntlich ist die Mehrheit
der NBA-Spieler schwarz, in den produzierten
Highlightvideos sind daher zwangsläufig mehr
spektakuläre Dunks von Schwarzen zu sehen.
Hinter dieser Athletik steckt allerdings zumeist
jahrelange harte Trainingsarbeit und keine
„schwarze“ Veranlagung.
War Bird auch deshalb so beliebt, weil er so
aussah wie der durchschnittliche NBA-Fan?
Bei Bird ist behauptet worden, dass ihm
als Schwarzer nicht diese Heldenverehrung
zuteilgeworden wäre. Sein Äußeres, sein Auftreten
und seine soziale Herkunft waren seiner immensen
Popularität sicher zuträglich. Das ganze CelticsTeam galt ja als hart arbeitende, intelligent
spielende Einheit. Also als weiß. Dagegen wurden
die Showtime-Lakers durchaus so dargestellt,
als ob sie viel mehr von ihrer körperlichen
Überlegenheit, von ihrer Athletik und Schnelligkeit
profitieren würden. Merkmale, die eher Schwarzen
zugeschrieben werden.
Gibt es in dieser Hinsicht auch einen
umgedrehten Rassismus gegen Weiße?
Den gibt es. Weiße Spieler gelten tendenziell zwar
als spielintelligent und wurfstark, aber auch als
unathletisch. Daher versuchen sie ihre Nischen zu
finden oder werden auch in diese gedrängt. Ein
Paradebeispiel ist Kyle Korver von den Atlanta
Hawks. Aber die Hautfarbe ist im Übrigen nicht
hinreichend, um jemanden als „schwarz“ zu
definieren.
Sondern?
Das Verhalten und die Selbstpräsentation sind
ebenso wichtig. Trägt ein Spieler Cornrows,
Tattoos oder Kapuzenpullis, wird er viel leichter als
schwarz wahrgenommen, weil er gesellschaftlich
verfestigte Stereotype bedient. Michael Jordan
etwa bemühte sich stets – von seinem weißen
Manager David Falk beraten –, sich nicht als
Afroamerikaner zu inszenieren. Er wollte möglichst
neutral und damit maximal konsumierbar
sein. Fast alles ordnete Jordan geschäftlichen
Interessen unter. In der Öffentlichkeit
wurde er aufgrund seines angepassten
Mittelklasseauftretens zumeist gar nicht als
schwarz wahrgenommen. Rasse ist also kein
biologisches Konstrukt, sondern ein Konstrukt des
sozialen Miteinanders.
In der NBA sind zwar 80 Prozent der Spieler
schwarz, die meisten Besitzer und eine
Mehrheit der Trainer aber noch weiß. Ist das
ein diskriminierendes System oder einfach
Spiegel der Machtverhältnisse in den USA?
Die Liga ist ein Produkt ihres Landes. Man kann
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Interview: Christian Orban
„Was Rassismus bedeutet,
erfahren viele schwarze
Sportstars, wenn sie mit
dem teuren Auto von der
Polizei permanent angehalten
oder beim Hauskauf im
weißen Vorort versehentlich
festgenommen werden.“
sie nicht getrennt von den gesellschaftlichen
Bedingungen in den USA betrachten. Insofern
ist es kein Zufall, dass Teambesitzer, General
Manager und andere wichtige Entscheider
überwiegend weiße Amerikaner sind. Hingegen ist
vor allem bei den Trainern ein positiver Trend zu
beobachten. Allerdings gibt es Untersuchungen,
die nahelegen, dass schwarze Trainer später
eingestellt und schneller gefeuert werden. Im
Vergleich zu den anderen großen US-Ligen
NFL, MLB und NHL steht die NBA in puncto
Gleichstellung aber recht gut da.
Also sind Vergleiche mit einem
Sklavenhaltersystem, wie sie der Autor William
Rhoden in seinem 2006 erschienenen Buch
„40 Million Dollar Slaves“ gezogen hat, am
Ende übertrieben?
Der Sklaverei-Vergleich ist nicht unbegründet: Die
NBA baut auf Macht- und Arbeitsverhältnissen
auf, die teilweise rassistisch sind. Schwarze
Jugendliche werden mit der Aussicht auf
eine Sportkarriere in jungen Jahren aus ihrem
Umfeld herausgerissen, um im meist von
Weißen dominierten Sport ihre Körper für die
kommerziellen Ziele der Universitäten oder
Teambesitzer zur Verfügung zu stellen. Sie werden
zwar finanziell angefüttert, aber zu politischer
Unmündigkeit und Abhängigkeit erzogen sowie
als Ware bewertet und gehandelt. Sie sollen die
von weißen Autoritäten aufgestellten Regeln
und Normen – etwa den Dresscode – befolgen.
Andernfalls drohen Sanktionen, von technischen
Fouls über Geldstrafen und Spielsperren bis hin zu
verkürzten Karrieren. Dies alles geschieht, damit
das Produkt profitabel und für zahlungskräftige,
mehrheitlich weiße Zuschauer konsumierbar
bleibt. Letztlich gehören schwarze Athleten nie
wirklich dazu: weder zur weißen Mehrheit der
NBA-Entscheider, der Mehrheitsgesellschaft, noch
zu den schwarzen Communities, von denen sie
sich durch den finanziellen Aufstieg Schritt für
Schritt entfremden.
Viele Menschen würden
gern mit einem angeblichen
Sklaven tauschen, der ja zum
Teil mehr als 10 Millionen
Dollar im Jahr verdient …
Das mag sein. Aber wir sollten
nicht nur auf trügerische
Zahlen schauen. Zumal sich
das Leben nun mal nicht nur
auf dem Court abspielt. Was
Rassismus bedeutet, erfahren
viele schwarze Sportstars, wenn
Zur Person:
Fotos: Getty Images/NBA photos
Christian Orban
Der Nordamerika-Historiker Christian
Orban (31 Jahre) beschäftigt sich mit
afroamerikanischer Geschichte sowie
Körper- und Sportgeschichte. Er forschte
und lehrte an der Universität Erfurt, wo er
gegenwärtig an einer Dissertation über
afroamerikanische Leichtathletinnen in den
1930er/1940er-Jahren arbeitet.
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sie mit dem teuren Auto von der Polizei permanent
angehalten oder beim Hauskauf im weißen Vorort
versehentlich festgenommen werden. Ein LeBron
James mag ein gefeierter Star sein, aber wenn
seine Fans ihm nachts im Dunkeln auf der Straße
begegnen, würden wohl viele von ihnen die
Straßenseite wechseln.
Auf der einen Seite gibt es in einigen USMedien eine Angstmache vor dem schwarzen
„Thug“, andererseits werden Schwarze von
Millionen angehimmelt. Wie kann man diesen
Widerspruch erklären?
Er ist ein integraler Bestandteil der USamerikanischen Gesellschaft, die von Anfang an
auf Rassismus und der Ausbeutung schwarzer
Menschen gründete. Dazu gehört auch die
Faszination des vermeintlich gefährlichen
Anderen, gewissermaßen der dosierte Konsum
von einem stereotypen Schwarzsein. Dabei muss
gefragt werden: Wer kann auf welche Weise
an der nach wie vor zutiefst gespaltenen und
verunsicherten Gesellschaft teilhaben? Und wer
besitzt die Deutungshoheit, wird gehört und wie
gesehen? Auch die hoffnungsvolle Präsidentschaft
Obamas hat dem Kampf gegen Rassismus leider
keinen Schub gegeben. Wie schwarze Athleten
fungiert Obama als Symbol für eine Gesellschaft
ohne Schranken, die jedoch weiterhin auf weißen
Normen und Privilegien basiert.
Was kann die beste Basketballliga der Welt aus
dem Sterling-Skandal lernen?
Gewisse Dinge dürfen öffentlich nicht mehr
ungestraft gesagt werden – anders als etwa
noch 1950. Allerdings sind die Schritte der NBA
mehr darauf bedacht, einen Imageschaden
abzuwenden, politisch korrekt zu sein. Ich
wünsche mir eine nachhaltige Auseinandersetzung
mit Rassismus, die nicht nur kurzsichtig an der
Oberfläche kratzt, sondern Ursachen und Effekte
benennt sowie deren Bekämpfung angeht.
Denn Rassismus wird nicht einfach dadurch
verschwinden, dass eine Besitzermehrheit
einen anderen Franchise-Chef mit einer
Sklavenhaltermentalität ausschließt und dann
wieder zur Tagesordnung übergeht.
[email protected]
Earl Lloyd,
unten links:
Bob Cousy, Bill
Russell, Tom
Heinsohn
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