Clemens Brentano Der Spinnerin Lied (24 V.) Joseph von

Transcrição

Clemens Brentano Der Spinnerin Lied (24 V.) Joseph von
Clemens Brentano
Der Spinnerin Lied (24 V.)
Joseph von Eichendorff
Die zwei Gesellen (30)
Heinrich Heine
Das Fräulein stand am Meere … (8)
Eduard Mörike
Verborgenheit (16)
Annette von Droste-Hülshoff
Der Knabe im Moor (48)
Gottfried Keller
Schlafwandel (41)
Conrad Ferdinand Meyer
Der römische Brunnen (8)
Theodor Storm
Abseits (24)
Theodor Fontane
John Maynard (62)
Arno Holz
Rote Dächer (28)
Gedichte Zeitraum2.doc
Clemens Brentano
[1778-1842]
Der Spinnerin Lied
Es sang vor langen Jahren
Wohl auch die Nachtigall,
Das war wohl süsser Schall,
Da wir zusammen waren.
Ich sing und kann nicht weinen,
Und spinne so allein
Den Faden klar und rein,
So lang der Mond wird scheinen.
Da wir zusammen waren,
Da sang die Nachtigall,
Nun mahnet mich ihr Schall,
Dass du von mir gefahren.
So oft der Mond mag scheinen,
Gedenk ich dein allein,
Mein Herz ist klar und rein,
Gott wolle uns vereinen.
Seit du von mir gefahren,
Singt stets die Nachtigall,
Ich denk bei ihrem Schall,
Wie wir zusammen waren.
Gott wolle uns vereinen,
Hier spinn ich so allein,
Der Mond scheint klar und rein,
Ich sing’ und möchte weinen!
Gedichte Zeitraum2.doc
Joseph von Eichendorff
[1788-1857]
Die zwei Gesellen
Es zogen zwei rüst’ge Gesellen
Zum erstenmal von Haus,
So jubelnd recht in die hellen,
Klingenden, singenden Wellen
Des vollen Frühlings hinaus.
Die strebten nach hohen Dingen,
Die wollten, trotz Lust und Schmerz,
Was Recht’s in der Welt vollbringen,
Und wem sie vorübergingen,
Dem lachten Sinnen und Herz. –
Der erste, der fand ein Liebchen,
Die Schwieger kauft’ Hof und Haus;
Der wiegte gar bald ein Bübchen,
Und sah aus heimlichem Stübchen
Behaglich ins Feld hinaus.
Dem zweiten sangen und logen
Die tausend Stimmen im Grund,
Verlockend’ Sirenen, und zogen
Ihn in der buhlenden Wogen
Farbig klingenden Schlund.
Und wie er auftaucht’ vom Schlunde,
Da war er müde und alt,
Sein Schifflein das lag im Grunde,
So still war’s rings in die Runde,
Und über die Wasser weht’s kalt.
Es singen und klingen die Wellen
Des Frühlings wohl über mir;
Und seh ich so kecke Gesellen,
Die Tränen im Auge mir schwellen –
Ach Gott, führ uns liebreich zu dir!
Gedichte Zeitraum2.doc
Heinrich Heine
[1797-1856]
Das Fräulein stand am Meere …
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang.
Es rührte sie so sehre
der Sonnenuntergang.
„Mein Fräulein! Sein sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.“
Eduard Mörike
[1804-1875]
Verborgenheit
Lass, o Welt, o lass mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
Lasst dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Was ich traure, weiss ich nicht,
Es ist unbekanntes Wehe;
Immerdar durch Tränen sehe
Ich der Sonne liebes Licht.
Oft bin ich mir kaum bewusst,
Und die helle Freude zücket
Durch die Schwere, so mich drücket,
Wonniglich in meiner Brust.
Lass, o Welt, o lass mich sein!
Locket nicht mit Liebesgaben,
Lasst dies Herz alleine haben
Seine Wonne, seine Pein!
Annette von Droste-Hülshoff
[1797-1848]
Der Knabe im Moor
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn es wimmelt vom Heiderauche,
Sich wie Phantome die Dünste drehn
Und die Ranke häkelt am Strauche,
Unter jedem Tritte ein Quellchen springt,
Wenn aus der Spalte es zischt und singt,
O schaurig ist's übers Moor zu gehn,
Wenn das Röhricht knistert im Hauche!
Fest hält die Fibel das zitternde Kind
Und rennt, als ob man es jage;
Hohl über die Fläche sauset der Wind Was raschelt drüben am Hage?
Das ist der gespenstische Gräberknecht,
Der dem Meister die besten Torfe verzecht;
Hu, hu, es bricht wie ein irres Rind!
Hinducket das Knäblein zage.
Vom Ufer starret Gestumpf hervor,
Unheimlich nicket die Föhre,
Der Knabe rennt, gespannt das Ohr,
Durch Riesenhalme wie Speere;
Und wie es rieselt und knittert darin!
Das ist die unselige Spinnerin,
Das ist die gebannte Spinnlenor',
Die den Haspel dreht im Geröhre!
Voran, voran! nur immer im Lauf,
Voran, als woll' es ihn holen;
Vor seinem Fusse brodelt es auf,
Es pfeift ihm unter den Sohlen
Wie eine gespenstige Melodei;
Das ist der Geigenmann ungetreu,
Das ist der diebische Fiedler Knauf,
Der den Hochzeitheller gestohlen!
Da birst das Moor, ein Seufzer geht
Hervor aus der klaffenden Höhle;
Weh, weh, da ruft die verdammte Margret:
»Ho, ho, meine arme Seele!«
Der Knabe springt wie ein wundes Reh;
Wär' nicht Schutzengel in seiner Näh',
Seine bleichen Knöchelchen fände spät
Ein Gräber im Moorgeschwehle.
Da mählich gründet der Boden sich,
Und drüben, neben der Weide,
Die Lampe flimmert so heimatlich,
Der Knabe steht an der Scheide.
Tief atmet er auf, zum Moor zurück
Noch immer wirft er den scheuen Blick:
Ja, im Geröhre war's fürchterlich,
O schaurig war's in der Heide!
Gottfried Keller
[1819-1890]
Schlafwandel
Im afrikanischen Felsental
Marschiert ein Bataillon,
Sich selber fremd, eine braune Schar
Der Fremdenlegion.
Lang ist ihr wildes Lied verhallt
In Sprachen mancherlei;
Stumm glüht der römische Schutt am Weg,
Schlafend ziehn sie vorbei.
Unter der Trommel vorgebeugt
Der schlafende Tambour geht,
Es nickt der Kommandant zu Ross,
Von webender Glut umweht;
Es schläft die Truppe, Haupt für Haupt
Unter der Sonne gesenkt,
Von der Gewohnheit Eisenfaust
In Schritt und Tritt gelenkt.
Und was sonst in der dunklen Nacht
Das Zelt nur sehen mag,
Tritt unterm offnen Himmelblau
Im Wüstenlicht zu Tag.
Es spielt das schmerzliche Mienenspiel
Unglücklichen Manns, der träumt;
Von Gram und Leid und Bitterkeit
Ist jeglicher Mund umsäumt.
Es zuckt die Lippe, es zuckt das Aug,
Auf dürre Wangen quillt
Die unbemeisterte Träne hin,
Vom Sonnenbrand gestillt.
Sie schaun ein reizend Spiegelbild
Vom kühlen Heimatstrand:
Das grüne Kleefeld, rot beblümt,
Den Vater, der einst den Sohn gerühmt,
Verlorenes Jugendland!
Ein Schuss – da flattert's weiss heran,
Und schon steht das Karree
Schlagfertig und munter, und keiner sah
Des andern Reu und Weh;
Nur zorniger ist jeder Mann,
Willkommen ihm der Streit;
Doch wie er kam, zerstiebt der Feind,
Wie Traum und Reu so weit!
Conrad Ferdinand Meyer
[1825-1898]
Der römische Brunnen
Aufsteigt der Strahl und fallend giesst
Er voll der Marmorschale Rund,
Die, sich verschleiernd, überfliesst
In einer zweiten Schale Grund;
Die zweite gibt, sie wird zu reich,
Der dritten wallend ihre Flut,
Und jede nimmt und gibt zugleich
Und strömt und ruht.
Theodor Storm
[1817-1888]
Abseits
Es ist so still; die Heide liegt
Im warmen Mittagssonnenstrahle,
Ein rosenroter Schimmer fliegt
Um ihre alten Gräbermale;
Die Kräuter blühn; der Heideduft
Steigt in die blaue Sommerluft.
Laufkäfer hasten durchs Gesträuch
In ihren goldnen Panzerröckchen,
Die Bienen hängen Zweig um Zweig
Sich an der Edelheide Glöckchen,
Die Vögel schwirren aus dem Kraut –
Die Luft ist voller Lerchenlaut.
Ein halbverfallen niedrig Haus
Steht einsam hier und sonnbeschienen;
Der Kätner lehnt zur Tür hinaus,
Behaglich blinzelnd nach den Bienen;
Sein Junge auf dem Stein davor
Schnitzt Pfeifen sich aus Kälberrohr.
Kaum zittert durch die Mittagsruh
Ein Schlag der Dorfuhr, der entfernten;
Dem Alten fällt die Wimper zu,
Er träumt von seinen Honigernten.
– Kein Klang der aufgeregten Zeit
Drang noch in diese Einsamkeit.
Theodor Fontane
[1819-1898]
John Maynard
John Maynard!
"Wer ist John Maynard?"
"John Maynard war unser Steuermann,
aushielt er, bis er das Ufer gewann,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron',
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Die "Schwalbe" fliegt über den Erie-See,
Gischt schäumt um den Bug wie Flocken von Schnee;
von Detroit fliegt sie nach Buffalo die Herzen aber sind frei und froh,
und die Passagiere mit Kindern und Fraun
im Dämmerlicht schon das Ufer schaun,
und plaudernd an John Maynard heran
tritt alles: "Wie weit noch, Steuermann?"
Der schaut nach vorn und schaut in die Rund:
"Noch dreissig Minuten ... Halbe Stund."
Alle Herzen sind froh, alle Herzen sind frei da klingt's aus dem Schiffsraum her wie Schrei,
"Feuer!" war es, was da klang,
ein Qualm aus Kajüt und Luke drang,
ein Qualm, dann Flammen lichterloh,
und noch zwanzig Minuten bis Buffalo.
Und die Passagiere, bunt gemengt,
am Bugspriet stehn sie zusammengedrängt,
am Bugspriet vorn ist noch Luft und Licht,
am Steuer aber lagert sich´s dicht,
und ein Jammern wird laut: "Wo sind wir? wo?"
Und noch fünfzehn Minuten bis Buffalo. Der Zugwind wächst, doch die Qualmwolke steht,
der Kapitän nach dem Steuer späht,
er sieht nicht mehr seinen Steuermann,
aber durchs Sprachrohr fragt er an:
"Noch da, John Maynard?"
"Ja,Herr. Ich bin."
"Auf den Strand! In die Brandung!"
"Ich halte drauf hin."
Und das Schiffsvolk jubelt: "Halt aus! Hallo!"
Und noch zehn Minuten bis Buffalo. - "Noch da, John Maynard?" Und Antwort schallt's
mit ersterbender Stimme: "Ja, Herr, ich halt's!"
Und in die Brandung, was Klippe, was Stein,
jagt er die "Schwalbe" mitten hinein.
Soll Rettung kommen, so kommt sie nur so.
Rettung: der Strand von Buffalo!
Das Schiff geborsten. Das Feuer verschwelt.
Gerettet alle. Nur einer fehlt!
Alle Glocken gehn; ihre Töne schwell'n
himmelan aus Kirchen und Kapell'n,
ein Klingen und Läuten, sonst schweigt die Stadt,
ein Dienst nur, den sie heute hat:
Zehntausend folgen oder mehr,
und kein Aug' im Zuge, das tränenleer.
Sie lassen den Sarg in Blumen hinab,
mit Blumen schliessen sie das Grab,
und mit goldner Schrift in den Marmorstein
schreibt die Stadt ihren Dankspruch ein:
"Hier ruht John Maynard! In Qualm und Brand
hielt er das Steuer fest in der Hand,
er hat uns gerettet, er trägt die Kron,
er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn.
John Maynard."
Arno Holz
[1863-1929]
Rote Dächer
Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch,
oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu Tauben.
Es ist Nachmittag.
Aus Mohdrickers Gartern her gackert eine Henne,
die ganze Stadt riecht nach Kaffee.
Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge
und liege, das Kinn in beide Fäuste,
platt auf den Bauch
und kucke durch die Bodenluke.
Unter mir, steil, der Hof,
hinter mir, weggeworfen, ein Buch.
… Franz Hoffmann…
Die Sklavenjäger…
Wie still das ist!
Nur drüben in Knorrs Regenrinne
zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken,
ein Mann, der sägt,
und dazwischen, deutlich von der Kirche her,
in kurzen Pausen, regelmässig, hämmernd,
der Kupferschmied Thiel.
Wenn ich unten runtersehe,
sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett:
ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie
und mittendrin, zierlich in einem Zigarrenkistchen,
ein Hümpelchen Reseda.
Wie das riecht! Bis zu mir rauf!
Und die Farben!
Jetzt! Wie der Wind drüber weht!
Die wunder, wunderschönen Farben!
Ich schliesse die Augen. Ich sehe sie noch immer.