Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an Protein folding
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Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an Protein folding
Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an Protein folding – why speed matters Leidel, Sebastian A. Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, Münster Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Proteine sind die Arbeitstiere aller Zellen und funktionieren nur, w enn sie richtig gefaltet sind. Forscher konnten durch Messungen zeigen, dass die richtige Geschw indigkeit bei der Herstellung darüber entscheidet, ob die Faltung stimmt. Funktionieren diese Prozesse nicht richtig, verklumpen die Proteine. In Mäusen führt das zu Entw icklungsdefekten, da ihre Hirnzellen ein falsches Differenzierungssignal empfangen. Die Experimente beantw orten eine grundlegende Frage der Molekularbiologie und haben Konsequenzen für die Erforschung einiger degenerativer Erkrankungen und für die Biotechnologie. Summary Proteins are the w orkhorses of our cells. To fulfill their roles they need to adopt a functional conformation. Scientists have now experimentally determined how fast proteins are made and have show n that the correct speed is critical for functional folding. Perturbing translation leads to protein aggregates. This can cause severe developmental defects in mice. Their brain cells receive the w rong differentiation signal due to protein stress. These results answ er a fundamental question of molecular biology and have far reaching consequences for neurodegenerative diseases and biotechnology. W ie w erden die Proteine einer Zelle hergestellt? Um die Frage zu beantw orten, stellen Sie sich zunächst am besten die Fertigungsstraße einer modernen Autofabrik vor. Verschiedene Maschinen führen eine Vielzahl von Arbeitsschritten in einer festgelegten Reihenfolge und einem genau abgestimmten Rhythmus aus. Nur durch dieses perfekte Zusammenspiel entsteht am Ende ein fehlerfreies Auto, das auch nach vielen Jahren noch fährt. Ganz ähnlich funktioniert im menschlichen Körper die Herstellung der Proteine, der Arbeitstiere aller Zellen. Die sogenannten Ribosomen, große Komplexe aus Proteinen und Ribonukleinsäure (RNS), schw eißen einzelne Aminosäuren zu Peptidketten zusammen (Abb. 1). Diese w erden von speziellen Faltungshelfern, sogenannten Chaperonen, in die richtige Form gebracht. Was aber passiert, w enn diese Prozesse in Zellen aus dem Takt geraten? In einer Autofabrik ist die Antw ort einfach: Liefe das Band langsamer, w ährend die Maschinen im gleichen Tempo w eiterarbeiten, säße die Schw eißnaht am falschen Fleck und das Auto w ürde die abschließende Qualitätskontrolle nicht überstehen. © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an A bb. 1: Proteinherstellung – schematische Darstellung R ibosom e n (rot) le se n e ine Bote n-R ibonuk le insä ure (schwa rz). Die e ntste he nde Am inosä ure k e tte (grün) wird von C ha pe rone n (bla u und viole tt) in die richtige Form ge fa lte t. © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Biom e dizin/Le ide l In Zellen fiel die Antw ort schw er, und trieb W issenschaftler aus dem Bereich der Protein-Qualitätskontrolle schon lange um. Es w ar klar, dass Chaperone entscheidend sind, damit Proteine ihre endgültige Form annehmen. Was aber passiert, w enn man die Produktionsgeschw indigkeit der Ribosomen stört? Auch w enn es zunächst so scheint, ist diese Frage nicht rein akademischer Natur. Wenn Proteine Qualitätsprobleme bekommen, klumpen sie zusammen und bilden Aggregate. Proteine, die sich in solchen Aggregaten befinden, können ihre Funktion nicht mehr erfüllen und mehr als das: Sie können sogar toxisch w erden. Dass dies äußerst schlecht für unsere Zellen ist, sieht man daran, dass Proteinaggregate als Ursache oder Symptom verschiedener Degenerationserkrankungen gelten. Aber spielt es w irklich eine Rolle für die Funktion von Proteinen, w ie schnell sie hergestellt w erden? Die Antw ort auf diese Frage kam w ie so oft in der Forschung aus einer ganz anderen Richtung: der Qualitätskontrolle von Ribonukleinsäuren. Die Schnörkel des genetischen Codes In Lehrbüchern liest man oft, dass RNS-Moleküle die genetische Information in vier unterschiedlichen Bausteinen – sogenannten Nukleotiden – w eitergeben. Das w ird der natürlichen Komplexität vieler RNSMoleküle aber nicht gerecht. Tatsächlich sind einzelne Nukleotide jedes RNS-Moleküls in der Zelle noch chemisch modifiziert (Abb. 2A) [1]. Die Modifikationen können zum Beispiel einfache Methylgruppen, aber auch komplexe chemische Gruppen sein (Abb. 2B). © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an A bb. 2: Modifizierte Ribonukleinsäure (RNS) (A) Dre idim e nsiona le Da rste llung de r Struk tur e ine r Tra nsfe rR NS. Ka nonische Nuk le otide sind in gra u, che m ische Modifik a tione n sind a ls fa rbige Kuge ln da rge ste llt. (B) Zwe i Be ispie le für R NS-Modifik a tione n. 1-m e thylgua nosin trä gt e ine e infa che Me thylgruppe . 5-m e thox yca rbonylm e thyl-2thiouridine ge hört zu de n k om ple x e n Modifizie runge n und trä gt zwe i unte rschie dliche Modifik a tione n. Die che m ische n Modifik a tione n sind je we ils rot da rge ste llt. © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Biom e dizin/Le ide l; Te rm a the (Abb. 2A) Man könnte sagen, dass der genetische Code „Schnörkel“ trägt. Und genau w ie beim Lesen von Texten, w urden diese RNS-Schnörkel von vielen W issenschaftlern ignoriert, w eil unklar w ar, w elche Funktion sie haben. Dabei sprach einiges dafür, dass die Modifikationen w ichtig sind: Erstens findet man sie in allen Organismen. Zw eitens befinden sich Modifikationen häufig in den Abschnitten der RNS-Moleküle, die für ihre Funktion w ichtig sind. Schließlich w urde in den letzten Jahren bei mehreren Krankheiten entdeckt, dass die Modifizierungsenzyme mutiert sind. Dazu gehören neurodegenerative Erkrankungen, Krebs und Diabetes, um nur die w ichtigsten zu nennen [2]. Ein guter Grund, genauer hinzuschauen. Und das hat die Max-PlanckForschungsgruppe für RNA-Biologie dann auch getan. Geschwindigkeitskontrolle bei der Proteinherstellung Die Hypothese lautete, dass das Fehlen von Modifikationen die Geschw indigkeit der Proteinherstellung verändert. Doch w ie lässt sich diese Vermutung testen? Bei Autos kann man sich an die Straße stellen und ihre Geschw indigkeit messen. Bei Ribosomen geht das nicht so einfach. Hier kam der technische Fortschritt in Form des sog. Ribosomen-Profilings den Forschern zur Hilfe (Abb. 3) [3]. © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 3/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an A bb. 3: Ribosomen-Profiling – schematische Darstellung R ibosom e n (rot) le se n Bote n-R NS (schwa rz). Durch e nzym a tische n Ve rda u wird die Bote n R NS, die sich nicht in de n R ibosom e n be finde t, ve rda ut. Die R NS-Schnipse l we rde n von de n R ibosom e n ge tre nnt, se que nzie rt und cha ra k te risie rt. © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Biom e dizin/Le ide l/ W ik im e dia (Sche re ) Durch diese neue Methode lässt sich bestimmen, w elche Proteine gerade von den Ribosomen einer Zelle hergestellt w erden. W irklich faszinierend ist aber, dass sich dabei viele Details des Lesevorgangs beschreiben lassen, unter anderem die Geschw indigkeit. Dazu liest man beim Ribosomen-Profiling mittels Hochdurchsatzsequenzierung alle RNS-Abschnitte, die gerade von Ribosomen in ein Protein übersetzt w erden. Schaut man genug dieser Schnipsel an, kann man eine Aussage über alle Ribosomen einer Zelle treffen. Doch es dauert etw a drei Wochen, ehe die W issenschaftler die vielen Millionen Sequenzschnipseln eines Experiments in ihrem Computer gespeichert haben. Und dann müssen die Sequenzen gelesen und interpretiert w erden. Doch schlussendlich geben die Ribosomen ihre Geschw indigkeit preis, als ob die Experimentatoren Radarfallen in die Zellen gestellt hätten. Für die Experimente bieten sich Hefezellen an, denn sie sind einfach aufgebaut, bestehen aber aus denselben Bauteilen w ie eine menschliche Zelle: Die Erbinformation w ird im Zellkern aufbew ahrt, Mitochondrien erzeugen Energie und Ribosomen sind die Fertigungsstraßen. Außerdem kann man auf einfache Weise Hefemutanten gew innen, in denen Modifikationsenzyme defekt sind. Wer bremst, verliert ... Ein Blick auf die Daten zeigte sofort: Auch w enn die RNS nicht modifiziert ist, können Ribosomen die genetische Information grundsätzlich noch lesen. Nur die Abschnitte bzw . "W örter", die RNS-Modifikationen benötigen, w erden in Modifikationsmutanten deutlich langsamer gelesen als in normalen Hefezellen [4]. Die Genauigkeit des Lesens schien sich hingegen nicht zu ändern. Das w ar der erste direkte Hinw eis darauf, dass Ribosomen tatsächlich langsamer lesen, w enn RNS-Modifikationen fehlen. Sofort w urde die Chance deutlich, die in diesen Mutanten lag: Bislang konnten W issenschaftler nur die Gesamtgeschw indigkeit der Proteinherstellung mit Hemmstoffen verändern. An den Modifikationsmutanten ließ sich untersuchen, w as passiert, w enn nur © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an einzelne Abschnitte der Produktion gestört w erden und der Rest scheinbar normal abläuft. Was also passiert, w enn die Koordination der Ribosomen verloren geht? Die Zellen sind voll von Proteinaggregaten. Das w ar unerw artet, und daher w ar es w ichtig, die Mechanismen anzuschauen, mit denen sich die Zelle davor schützt. Zellen versuchen aggregierte Proteine entw eder durch Chaperone zu reparieren oder sie durch ihr Entsorgungssystem abzubauen. Die Experimente zeigten, dass beide Systeme massiv überfordert w aren (Abb. 4A). Und so kann man die Proteinaggregate biochemisch aus den Zellen isolieren. Proteinaggregate sieht man nicht, w enn man die Normalgeschw indigkeit in den langsamen RNS-Abschnitten künstlich w iederherstellt. Es ist also w irklich die jew eilige Geschw indigkeit, die entscheidend ist. Gerät das Zusammenspiel zw ischen der Herstellungsgeschw indigkeit der Proteine und der Faltung durch die Chaperone aus dem Gleichgew icht, entsteht ein Schaden. Es gilt hier: W er bremst, verliert. A bb. 4: Stress durch Proteinaggregate in Zellen mit verlangsamter Proteinherstellung (Modifikationsmutanten). (A) Fluore sze nza ufna hm e e ine r He fe -Modifik a tionsm uta nte . P rote ina ggre ga te sind durch e in R e porte rprote in sichtba r ge m a cht. (B) Sche m a tische Da rste llung von (A). P rote ina ggre ga te sind a ls rote P unk te , R e porte rprote in a ls grüne P unk te da rge ste llt. (C ) Bioche m ische Isolie rung von P rote ina ggre ga te n. P rote ina ggre ga te a us He fe ze lle n sind e rk e nnba r a ls dunk le Ba nde n in e ine m P rote inge l. Nur die Modifik a tionsm uta nte (re chts) e nthä lt Aggre ga te , wä hre nd norm a le He fe (link s) k e ine Aggre ga te e nthä lt. R e chts: Morphologische P hä notype n in Muta nte n für R NSModifizie rungse nzym e (D) Fa de nwürm e r und (E) Mä use . (D) Fa de nwürm e r in Fluore sze nzm ik rosk opie ze ige n e in diffuse s P rote insigna l. In Muta nte n bilde n sich P rote ina ggre ga te (we iße P fe ile ). (E) Ge hirn e ine r Ma us k urz na ch de r Ge burt. Da s Ge hirn e ine r Muta nte ist de utlich k le ine r a ls norm a l (unte n). © Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Biom e dizin/Le ide l / Else vie r (Abb. 4D) Ob Hefe, Würmer oder Mäuse – das Problem bleibt das gleiche Als die Forscher nachschauten, w elche Proteine sich in den Aggregaten befanden, kam die nächste Überraschung. Es sind nicht Proteine, die langsam gelesen w erden, sondern solche, die instabil in der Zelle vorliegen. Auch im Normalfall braucht die Zelle w ichtige Enzyme, die nur schw er löslich sind und daher schnell Aggregate bilden. Dadurch, dass die Lesegeschw indigkeit in den Mutanten aus dem Tritt gerät, kann die © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 5/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an Qualitätssicherung der Zelle diese schw ierigen Proteine nicht mehr reparieren und sie klumpen zusammen. Dadurch versagt die gesamte Zelle. Dies w ar ein ganz neuer Ansatz, um die Defekte von Modifikationsmutanten zu erklären. Kann man aber von Hefe auf andere Organismen schließen? Eine w ichtige Frage, w enn Aussagen über Krankheiten gemacht w erden sollen. Eine Antw ort erfolgte in zw ei Schritten: Fadenw ürmer lassen sich leicht untersuchen und besitzen ein Nervensystem. Ein Blick ins Mikroskop zeigte, dass Modifikationsmutanten Proteinaggregate enthalten und kürzer leben als normale W ürmer (Abb. 4B) [4]. Doch funktionieren ähnliche Mechanismen auch in W irbeltieren? Dieser Frage gingen die W issenschaftler am Beispiel einer seltenen Erbkrankheit nach: Bei familiärer Dysautonomie ist ein Modifizierungsenzym defekt, w as dazu führt, dass bei den Patienten ein Teil des Nervensystems nicht angelegt w ird. Sie können daher kaum Sinnesreize w ahrnehmen und sterben in relativ jungem Alter. Um zu untersuchen, ob es einen Zusammenhang zu den Ergebnissen in Hefen und W ürmern gibt, arbeitete die Forschungsgruppe mit dem Labor von Laurent Nguyen zusammen [5]. Die belgischen Forscher hatten Mäuse, in deren Gehirn das Enzym nicht funktioniert. Auch hier stellte sich heraus, dass die Proteinherstellung verlangsamt und Proteinstress die Folge w ar. Dadurch kommen die Mäuse mit einem kleineren Gehirn zur Welt als ihre gesunden Geschw ister (Abb. 4D). Ein scheinbar kleiner Effekt hat also schw erw iegende Konsequenzen. Es zeigt sich, dass die Proteinherstellung ein komplexer Prozess ist, bei dem viele Faktoren eine Rolle spielen. W ie entscheidend die Geschw indigkeit ist, hat die Max-Planck-Forschungsgruppe für RNA-Biologie jetzt zeigen können, und man muss diesen Aspekt in Zukunft im Blick behalten. In der Vergangenheit haben Forscher in der Regel die Herstellungsgeschw indigkeit von Proteinen ignoriert und sich nur für deren Faltung und Abbau interessiert. Das muss sich nun ändern. Konsequenzen hat das Thema damit auch für die Biotechnologie. Die Herstellung von Proteinen, die in der Chemie- oder Pharmaindustrie verw endet w erden, ist oft sehr schw ierig und ineffizient. Ein genauer Blick auf die Herstellungsgeschw indigkeit mag auch hier W under w irken. Literaturhinweise [1] Jackman, J. E.; Alfonzo, J. D. Transfer RNA modifications: nature's combinatorial chemistry playground W iley Interdisciplinary Review s: RNA 4, 35-48 (2013) [2] Sarin, L. P.; Leidel, S. A. Modify or die? - RNA modification defects in metazoans RNA Biology 11, 1555–1567 (2014) [3] Ingolia, N. T.; Ghaemmaghami, S.; Newman, J. R. S.; Weissman, J. S. Genome-wide analysis in vivo of translation with nucleotide resolution using ribosome profiling Science (New York, NY) 324, 218–223 (2009) [4] Nedialkova, D. D.; Leidel, S. A. Optimization of Codon Translation Rates via tRNA Modifications Maintains Proteome Integrity Cell 161, 1606–1618 (2015) © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 6/7 Jahrbuch 2015/2016 | Leidel, Sebastian A. | Proteinfaltung – auf das richtige Tempo kommt es an [5] Laguesse, S.; Creppe, C.; Nedialkova, D.D.; Prévot, P.P.; Borgs, L.; Huysseune, S.; Franco, B.; Duysens, G.; Krusy, N.; Lee, G.; Thelen, N.; Thiry, M.; Close, P.; Chariot, A.; Malgrange, B.; Leidel, S.A.; Godin, J.D.; Nguyen, L. A Dynamic Unfolded Protein Response Contributes to the Control of Cortical Neurogenesis Developmental Cell 35, 553-567 (2015) © 2016 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 7/7