Vamedecum nachehelicher Unterhalt
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Vamedecum nachehelicher Unterhalt
Vademecum zum nachehelichen Unterhalt Art. 125 Abs. 1 ZGB: "Ist einem Ehegatten nicht zuzumuten, dass er für den ihm gebührenden Unterhalt unter Einschluss einer angemessenen Altersvorsorge selbst aufkommt, so hat ihm der andere einen angemessenen Beitrag zu leisten." → Grundsatz des "clean break" Prinzips: Wenn immer möglich, soll jeder Ehegatte nach der Scheidung für sich selber aufkommen; d.h. es ist eine gegenseitige finanzielle Unabhängigkeit anzustreben. → Frage: Wann ist es einem Ehegatten nicht oder nur teilweise zuzumuten, für sich selber aufzukommen? Art. 125 Abs. 2 ZGB: "Beim Entscheid, ob ein Beitrag zu leisten sei und gegebenenfalls in welcher Höhe und wie lange, sind insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Aufgabenteilung während der Ehe; 2. die Dauer der Ehe; 3. die Lebensstellung während der Ehe; 4. das Alter und die Gesundheit der Ehegatten; 5. Einkommen und Vermögen der Ehegatten; 6. der Umfang und die Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Betreuung der Kinder; 7. die berufliche Ausbildung und die Erwerbsaussichten der Ehegatten sowie der mutmassliche Aufwand für die berufliche Eingliederung der anspruchsberechtigten Person; 8. die Anwartschaften aus der eidgenössischen Alters- und Hinterlassenenversicherung und aus der beruflichen oder einer anderen privaten oder staatlichen Vorsorge einschliesslich des voraussichtlichen Ergebnisses der Teilung der Austrittsleistungen." → Einstieg erfolgt über die Frage nach der lebensprägenden Ehe. Lebensprägende Ehe (hier fallen insbesondere die Kriterien gemäss Ziff. 1, 2 und 6 ins Gewicht) Kurze Ehe (weniger als 5 Jahre bis zur Trennung), keine gemeinsamen Kinder. → Kein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt. Anknüpfung an die Lebensverhältnisse vor der Ehe. Allenfalls Unterhaltszahlungen für kurze Zeit um Karriereeinbussen auszugleichen oder Zeit bis zum vollen beruflichen Wiedereinstieg zu überbrücken. Mittellange Ehe (zwischen 5 und 10 Jahren bis zur Trennung), keine gemeinsamen Kinder. → Beurteilung im Einzelfall wie nachhaltig die Ehe das Leben der Ehegatten geprägt hat. Je nachdem besteht ein Anspruch auf nachehelichen Unterhalt oder nicht. Lange Ehe (mehr als 10 Jahre bis zur Trennung), gemeinsame Kinder (vgl. aber BGer 5A_167/2007) oder bei Entwurzelung eines Ehegatten aus seinem Kulturkreis. → Grundsätzlich Anspruch auf nachehelichen Unterhalt. Für die Bestimmung der Höhe und der Dauer sind die Kriterien gemäss Art. 125 Abs. 2 ZGB zu berücksichtigen. Kriterien gemäss Art. 125 Abs. 2 ZGB (aus der Reihenfolge ergibt sich keine Gewichtung) Ziff. 1: Aufgabenteilung während der Ehe Welchen gemeinsamen Lebensplan hatten die Ehegatten? Hausgattenehe, Zuverdienerehe, Doppelverdienerehe. Ziff. 2: Dauer der Ehe Vgl. dazu oben zu lebensprägende Ehe. Ziff. 3: Lebensstellung während der Ehe Zuletzt in der Ehe gelebter Standard. Soziales Gefälle bei Eheschliessung (Reinigungsfachfrau heiratet Arzt)? → Wiederaufnahme der ursprünglichen Arbeitstätigkeit nach lebensprägender Ehe nicht mehr zumutbar. Ziff. 4: Alter und Gesundheit der Ehegatten Wiedereinstieg ins Erwerbsleben: Alte Rechtsprechung sah die Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit dann nicht mehr als zumutbar, wenn im Zeitpunkt der Trennung das 45. Altersjahr erreicht war. Dies ist jedoch keine starre Regel; vielmehr eine Vermutung, die durch andere Anhaltspunkte, die für die Wiederaufnahme sprechen, umgestossen werden kann. Die Tendenz geht zudem dahin, die Alterslimite auf 50 Jahre anzuheben (BGer 5A_340/2011 E. 5.2.2). Ausdehnung der Erwerbstätigkeit: weitgehend unproblematischer (BGer 5A_474/2013 E. 4.3.3: Ausdehnung einer 60 % Erwerbstätigkeit auf 100 % für eine 51-jährigen Ehefrau bei lebensprägender Ehe zumutbar). Ziff. 5: Einkommen und Vermögen der Ehegatten Massgebend für die Bestimmung von Eigenversorgungskapazität und Leistungsfähigkeit der Ehegatten. In der Regel auf tatsächliches Einkommen abstellen; allenfalls hypothetisches Einkommen prüfen. Vermögenserträge sind anzurechnen; Vermögen muss in der Regel nicht angezehrt werden. Ziff. 6: Umfang und Dauer der von den Ehegatten noch zu leistenden Kinderbetreuung Grundsatz: Teilzeiterwerb, wenn das jüngste Kind 10 Jahre wird; Vollzeiterwerb, wenn das jüngste Kind 16 Jahre alt wird (BGE 115 II 6 E. 3c). Bei schlechteren finanziellen Verhältnissen oder wenn die Kinder (teilweise) fremdbetreut werden, wird schon früher ein finanzieller Beitrag des betreuenden Ehegatten verlangt. Ist ein behindertes Kind zu betreuen, ist allenfalls länger Unterhalt geschuldet; sind mehr als zwei Kinder vorhanden, sind die Altersgrenzen (10/16) allenfalls zu erhöhen. Ziff. 7: Ausbildung und Erwerbsaussichten der Ehegatten Mangelnde Berufsausbildung (z.B. ausländischer Abschluss, der in der Schweiz nicht anerkannt wird) und Sprachkenntnisse erschweren die Annahme der Zumutbarkeit. 2/3 Berechnung des nachehelichen Unterhalts Das Gesetz schreibt keine konkrete Berechnungsmethode vor. Im Wesentlichen bestehen zwei Methoden. Gemäss dem Bundesgericht erfolgt die Bedarfsberechnung grundsätzlich konkret, anhand der tatsächlichen Ausgaben (= "einstufig-konkrete Methode"). Die "zweistufige Methode" mit (erweiterter) Existenzminimumberechnung und Überschussverteilung kann dann zuverlässige Ergebnisse gestatten, wenn die Ehegatten nichts angespart haben oder die bisherige Sparquote durch die trennungsbedingten Mehrkosten (z.B. doppelte Wohnkosten) aufgebraucht wird (BGE 140 III 485 E. 3.3). - Zweistufige Methode (wenn keine Sparquote bestand oder diese von den trennungsbedingten Mehrkosten aufgebraucht wird): Zuerst wird das Existenzminimum berechnet. Basis für die Berechnung sind die Positionen, wie sie auch für die betreibungsrechtliche Existenzminimumberechnung verwendet werden. Bei guten finanziellen Verhältnissen wird das Existenzminimum um Position für Versicherungen, Telefon und Steuern erweitert. Das (erweiterte) Existenzminimum wird dem Gesamteinkommen der Ehegatten gegenübergestellt. Resultiert ein Überschuss, wird dieser auf die Ehegatten und die unterhaltsberechtigten Kinder verteilt. In der Regel erfolgt die Verteilung bei kinderlosen Ehegatten je hälftig und bei Eltern mit Kindern zu zwei Drittel zugunsten des Elternteils, der im Wesentlichen die Kinder betreut, und zu einem Drittel zugunsten des anderen Elternteils. Resultiert ein Manko, verbleibt dem Unterhaltspflichtigen gemäss konstanter Praxis des Bundesgerichts das Existenzminimum; die unterhaltsberechtigte Partei muss den Fehlbetrag vom Sozialamt decken lassen. - Einstufig-konkrete Methode (wenn eine Sparquote bestand und diese nicht von den trennungsbedingten Mehrkosten aufgebraucht wird): Bei der einstufig-konkreten Methode wird auf den konkreten Bedarf der unterhaltsberechtigten Partei abgestellt, welcher gleichzeitig den maximalen Anspruch darstellt; ein Anspruch auf Sparen besteht nicht (BGer 5A_593/2014 E. 4.2.2). Der Bedarfsanspruch ist von der unterhaltsverpflichteten Partei zu decken, soweit die berechtigte Partei dies nicht aus eigenen Kräften zu tun vermag und soweit die verpflichtete Partei leistungsfähig ist. Dauer der Unterhaltsverpflichtung Bis der Unterhaltsberechtigte für seinen gebührenden Unterhalt selber aufkommen kann. Spätestens bis die Leistungsfähigkeit beim Unterhaltspflichtigen nicht mehr gegeben ist (oft bei Erreichen des AHV-Alters). Zürich, 1. März 2016 / Christine Arndt 3/3