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KODIKAS / CODE
Ars Semeiotica
Volume 32 (2009) No. 1 – 2
Gunter Narr Verlag Tübingen
Machinima: Zwischen Dokumentation,
Performanz und Abstraktion
Karin Wenz
The following contribution introduces machinima under the following principles: (1) the
specific use of the computer as database/archive, (2) the principle of modularity, (3) the numeric
representation and (4) transcoding. These aspects will be analyzed in respect of their concrete
and abstract representation. The use of the medium for archiving and documentation can be
understood as a concrete usage. The medium’s modularity has the effect that several sources can
be combined to one new expression form or modified on several levels as e.g. the level of
textual representation, the programming code or the interface, which can be understood as a
more abstract representation on a scale from concrete to abstract. The most abstract representation is transcoding. Additionally the following questions will be answered: “Who produces
machinima?” and “what is the function of the communities producing machinima?”
Der folgende Beitrag diskutiert am Beispiel von Machinima die spezifische Nutzung des
Computers als (1) Datenbank/Archiv, (2) die Prinzipien der Modularität, (3) der numerischen
Repräsentation und (4) der Transkodierung Diese Prinzipien werden unter den Aspekten von
konkreter und abstrakter Repräsentation erörtert. Während die Nutzung des Mediums zur
Archivierung und Dokumentation ein Beispiel für eine konkrete Nutzung ist, ist das Prinzip der
Modularität des Mediums eine Option verschiedene Quellen zu einer neuen Ausdrucksform
zusammenzuführen bzw. Modifikationen auf unterschiedlichen Ebenen, wie Textrepräsentation,
Programmcode oder Interface durchzuführen. Auf einer Skala von konkret zu abstrakt sind diese
Modifikationen in einem neutralen, mittleren Bereich anzusiedeln. Als letzte Kategorie wird die
Transkodierung als abstrakte Repräsentation diskutiert. Abschließend wird die Fragen “Wer
produziert Machinima?” und “was ist die Funktion der Communities, in denen Machinima
produziert werden?” beantwortet.
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Materialität der Medien
Im Kontext der digitalen Medien wurde zunächst in den 90ern besonders der immaterielle
Status des digitalen Textes betont. Autoren wie unter anderem Manovich (2004), Hayles
(2008), und Bouchardon (2008) haben diese Immaterialität als einen Mythos entlarvt und die
Materialität der digitalen Medien unter unterschiedlichen Aspekten beleuchtet.
Während Photographie noch als materielle Relation zwischen dem Photo und einem
konkreten Referenten verstanden wurde – ich verweise hier nur auf die Diskussion der
indexikalischen Relation (cf. Barthes) – hat sich der Status der Bilder durch die digitalen
Medien verändert. Durch die Übersetzung des Bildes in numerische Daten ist die Modifikation und Transkodierung ohne weiteres möglich. Beispiele hierfür sind Programme, durch die
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eine Übersetzung eines Textes in ein Bild, eines Bildes in Sound etc. anbieten (cf. Christa
Sommerer und Laurent Mignonneaus Verbarium oder Beispiele der ASCII-Art). Anstelle des
indexikalischen Verweises des Bildes auf einen externen Referenten, wird hier ein indexikalischer Bezug systemintern erstellt. Wesentlich ist hier die Betonung des indexikalischen
Bezuges systemintern, denn die Semantik des Ursprungstextes wird bei dieser Transkodierung
in den meisten Fällen nicht erfasst. Eine Ausnahme stellt dabei ASCII-Art dar, denn hierbei
handelt es sich um die Übersetzung von einem visuellen System, wie zum Beispiel Film,
in ein anderes visuelles System, den ASCII Code, wodurch ein Teil der Semantik des
Ursprungstextes beibehalten werden kann. Für alle Beispiele jedoch gilt, dass die gemeinsame
numerische Kodierung die Transkodierung von einem Zeichensystem zum anderen möglich
macht. Diese Transkodierung hat einen tief greifenden Einfluss auf unsere Interpretation der
Zeichensysteme, was Katherine Hayles (2008) als “the mark of the digital” bezeichnet.
Unter dem Begriff einer Ästhetik der Materialität werde ich die spezifische Nutzung des
Computers als Datenbank/Archiv, die Prinzipien der Modularität, der numerischen Repräsentation und Transkodierung am Bespiel von Machinima diskutieren und diese Prinzipien
in den Kontext von konkreter zu abstrakter Repräsentation kurz erörtern. Während die
Nutzung des Mediums zur Archivierung und Dokumentation ein Beispiel für eine konkrete
Nutzung ist, ist das Prinzip der Modularität des Mediums eine Option verschiedene Quellen
zu einer neuen Ausdrucksform zusammenzuführen bzw. Modifikationen auf unterschiedlichen Ebenen, wie Textrepräsentation, Programmcode oder Interface durchzuführen. Schließlich wird die Transkodierung als abstrakte Repräsentation diskutiert.
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Technologie
Machinima basieren auf der Aufnahme einer Spielsequenz eines Computerspieles als ein realtime Video auf dessen Basis dann durch Nachbearbeitung neue Videos produziert werden.
Der Begriff wurde von zwei bedeutenden Machinima Produzenten Hugh Hancock und Paul
Marino (2004) eingeführt. Machinima-Produzenten betonen die Bedeutung der neuen Form
zum einen aufgrund ihrer Medienkonvergenz zum anderen aber auch darin, dass diese
Gamevideos eine Möglichkeit bieten, mit sehr begrenzten Ressourcen Filme zu produzieren.
Die notwendigen Ressourcen sind hier zum einen die Hardware, ein Computer, auf dem ein
3D-Computerspiel gespielt werden kann, und im Falle von Machinima, die auf Onlinespielen
basieren eine Netzwerkverbindung. Da es verschiedene Aufnahmemöglichkeiten gibt, besteht
eine Option im Gebrauch einer Videokamera, mit der die Spielsequenz aufgenommen wird.
Zum zweiten die entsprechende Software: das Computerspiel, als Alternative zur Kamera
wird heute eine Aufnahmesoftware, Software zur Nachbearbeitung des Videos und eventuell
auch eine spezielle Machinima-Software die zwischen Spiel und Aufnahme geschaltet werden
kann und durch die visuelle Repräsentation des Spieles modifiziert werden kann, verwendet.
Machinima basieren auf der Möglichkeit des Replay und damit einer Erweiterung der
Spielerfahrung, die seit den 1990ern von Gamedesignern diskutiert wird. Dies hat zur Bereitstellung von Tools geführt, die zunächst Replay und später auch Aufnahmen der Spielesequenzen erleichtern, aber auch zur Entwicklung spezieller Software zur Aufnahme, die im
Hintergrund des Spieles mitläuft und keine weitere Hardware nötig macht. Die Produktion
von Machinima ist mittlerweile durch die Entwicklung von Tools in den Spielen selbst
(Second Life, Halo3) und spezieller Software, mit der man während des Spielens Spielsequenzen aufnehmen kann (wie z.B. FRAPS), einfacher geworden.
Machinima: Zwischen Dokumentation, Performanz und Abstraktion
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Die Dokumentation
Die Materialität der digitalen Texte kann als “layered”/geschichtet beschrieben werden, da sie
aus zugrundeliegendem Kode, der Datenbank und der textuellen Repräsentation bestehen.
Wesentlich für den Gebrauch von Machinima als Dokumentation ist, dass ihre Speicherung
getrennt von der Ausführung ist. Die Distribution des Materials findet über verschiedene
Distributionsplattformen statt. Hier finden wir spezifische Machinima-Sites, aber ebenso
offizielle Seiten der Spielehersteller. Blizzard, der Entwickler von World of Warcraft, hat
einen link zu einer Site, die ausschließlich World of Warcraft Videos hosted. Und natürlich
werden die meisten Machinima-Videos zusätzlich auf YouTube bereit gestellt und erreichen
dadurch auch diejenigen Nutzer, die das Spiel selber nicht spielen.
Wer waren und sind die Produzenten von Machinima? Die ersten Machinimaproduktionen
kamen aus einer Szene der Computerspieler, die ihre eigene Spielerfahrung aufnehmen
wollten, das so genannte game footage. Dies hatte zwei Funktionen. Zum einen konnte so ein
Video produziert werden, das als Dokumentation diente. Das Spiel konnte so erläutert
werden. Spiele wurden im Schnelldurchlauf vorgestellt und zugleich die eigenen Fähigkeiten
als Spieler herausgestellt, wie dies beispielsweise in Speedruns geschieht, Videos, in denen
ein Spieler das Spiel so schnell wie möglich durchspielt. Damit wurden diese Videos ebenso
eine Möglichkeit der Selbstdarstellung in der Szene der Computerspieler und eine Möglichkeit die eigene Spielerfahrung mit anderen Spielern zu teilen. Diese Selbstdarstellung ist
verschieden von derjenigen in vielen Videos, die wir auf YouTube finden, denn die reale
Person des Spielers wird nicht gezeigt, sondern ein Spielcharakter, der Avatar, mit dem der
Spieler in der Spielwelt agiert. Auch die Namen, die sich die Spieler selber geben, sind so
genannte Screennames, die die reale Person nicht preisgeben. Dies ist eine Schwierigkeit, will
man Aussagen über die Produzenten von Machinima machen, da sich natürlich hinter solchen
Namen auch kommerzielle Produzenten verbergen können, die auf diese Weise Werbung für
das Produkt selbst machen und von der Spieleindustrie bezahlt werden. Die Spieler und die
jeweiligen Screennames haben eine Reputation in der Machinima-Szene. Handelt es sich um
Spielergruppen, die sogenannten Gilden oder Clans, sind diese Namen den anderen Spielern
auf dem entsprechenden Spiele-Server bekannt.
Die Dokumentation ist nach wie vor ein wichtiger Bestandteil der Machinima. In Onlinespielen werden sie häufig benutzt, um das Teamplay der Gilde zu dokumentieren und dieses
wird im Anschluss dann in einem so genannten Debriefing auf den entsprechenden Foren von
den Spielern analysiert und diskutiert. Oder aber es werden Machinima als Werbung, die
sogenannten Promotion-Videos, produziert, um Spieler für die eigene Gilde in einem Onlinespiel anzuwerben. In diesen Promotion-Videos werden die Avatare der Spieler und die
Aktivitäten der Gilde im Onlinespiel gezeigt und der Zuschauer aufgefordert, sich bei der
Gilde als Mitglied zu bewerben. Voraussetzung ist natürlich, dass der Spieler das Spiel gut
kennt und beherrscht und das seine Spielziele und Fähigkeiten mit denen der anderen Spieler
in der Gilde übereinstimmen. Diese Promotion-Videos können die Gilde eher witzig-ironisch
darstellen und den Spass des Miteinander-Spielens betonen, sehr ernsthaft rekrutieren, um die
besten Spieler auf dem Server zu gewinnen oder aber sogar aggressiv-ironisch Rekrutierungsstrategien der US-Army übernehmen und ad absurdum führen, wie dies im Falle einer
amerikanischen World of Warcraft Gilde geschehen ist.1 Ausgehend von der Präsentation
einiger einzelner Spielcharaktere der Gilde wird die Gruppe der Spieler als eine Armee
identischer Avatare vorgestellt, die die bestmögliche Ausrüstung im Spiel bereits erworben
haben. Diese Armee sucht nicht nur neue Mitspieler, die natürlich ebenso gut sein müssen,
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wie die aktuellen Mitglieder der
Gruppe, sondern zusätzlich
auch spielerfahrene, junge Erwachsene sein sollen. Deutlich
wird gesagt: Kinder sind nicht
erwünscht. Nach der Vorstellung der Gilde und der Frage,
wer sich bewerben kann, werden die Ziele der Gilde präsentiert: “Wir erobern die Welt!”
Hierbei kommt es zu einer Vermischung der Rekrutierungstrategien der amerkanischen
Figur 1: Screenshot aus dem Rekrutierungsvideo
Armee mit einer Darstellung,
die Hitler und seine Pläne Europa, und letztlich die Welt zu erobern, kopiert. Aufgefangen und abgeschwächt wird dieses
faschistische Bild, das die Gilde von sich selbst erstellt, durch die Persiflage eines Plakates
der amerikanischen Armee, auf dem der Avatar des Gildenmeisters, Mute, also des Anführers
der Gruppe, als “Uncle Sam” dargestellt wird.
Diese Promotion-Videos betonen den Status der Spieler deutlich. Spielcharaktere einer
Gilde werden als Stars eingeführt, ein Status, den diese in der Tat in der Spielergemeinschaft
auf dem entsprechenden Server erworben haben. Diese Dokumentation hat für die Spieler und
Produzenten eine sehr konkrete Funktion: Archivierung, Selbstdarstellung und Information
für die Spielergemeinschaft.
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Modifikation
Die Archivierung des game footage ermöglicht eine Nutzung des Materials, die über die reine
Dokumentation hinausgeht. Durch Modifikation kann das Material dazu benutzt werden
eigene Narrationen zu erstellen, was zum Teil schon in dem Rekrutieriungsvideo deutlich
wurde. Machinima haben ihren Ursprung in der Hackerszene, die die Software der Spiele
modifizierten, um das Spiel als Bühne für eigene Performances benutzen zu können. Nach der
Hackerethik, die im Kontext des MIT entwickelt wurde2, geht es um einen offenen Umgang
mit Software, der Distribution und Modifikation von Code und der Dokumentation. Hier liegt
die Basis des so genannten Modding; Machinima werden als eine spezielle Form des GameModding gesehen. Modding bezeichnet, die Veränderung von Spielen durch die Spieler
selbst, um ihre eigene Spielerfahrung zu erweitern oder den eigenen Bedürfnissen anzupassen. Da die meisten Spiele keine Open Source Software anbieten, bedeutet dies also den Code
zu hacken (oder nach der MIT Ethik “zu cracken”) und sich damit in den Bereich der Illegalität zu begeben. Ein mittlerer Weg ist, eine spezielle Machinima-Software zu gebrauchen und
die Charaktere und Spielwelt mit Hilfe dieser Software zu bearbeiten.
Die Frage nach den Produzenten dieser Videos ist nicht in jedem Falle einfach zu beantworten. Handelt es sich um game footage, sind dies einzelne oder oft auch mehrere Spieler,
die gemeinsam an einem Video gearbeitet haben. Bei Online-Spielen wird der Name der
Gilde dann oft als Produzent genannt und nicht der individuelle Spieler, oder es wird ein
Name erfunden, der einen Bezug zur Spielwelt hat. Hinter solchen Namen können sich aber
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auch Produzenten verbergen, die auf diese Weise Werbung für ein Spiel machen. Niemand
weiß, wer sich hinter den Namen ‘Evilhoof’ und ‘Flayed’ verbirgt, aber jeder in der Szene
weiß sofort, welches Video diese beiden produziert haben: Das Video For Porn verwendet
den Song The Internet is for Porn aus dem Broadway Musical Avenue Q. Gespielt wird der
Song in World of Warcraft durch verschiedene Spielcharaktere. Die Frage im Forum der
Machinima-Site machinima.com, wer die Produzenten dieses Videos sind, wurde nicht
beantwortet. Auch weitere Videos unter denselben Screen-Namen sind nicht zu finden. Der
Bekanntheitsgrad dieses Videos ist so hoch, dass sich in anderen Videos Videokommentare
zum Video von Evilhoof und Flayed finden. Ein Beispiel für einen solchen Kommentar ist in
einem anderen Machinima zu World of Warcraft zu finden sind, wie in der Schlussszene
(6:25) des Videos And now the news3, in der sich der Nachrichtenreporter mit “nine out of ten
people really do believe that the internet is for porn” verabschiedet.
Die einfache Nutzung des Spiels als Bühne, zum Nachspielen einer Szene eines berühmten Dramas, Films oder Musikvideos im Spiel bis hin zum Schreiben eines eigenen Drehbuchs, das dann im Spiel mit Hilfe von mehreren Spielern umgesetzt wird, sind Beispiele des
Modding, die sich im Bereich der Legalität bewegen. Diese Bespiele erschaffen eine eigene
neue fiktionale Welt, die auf der virtuellen Welt des Onlinespiels basiert und ist daher auf
einer Skala von konkret zu abstrakt in einer mittleren Position zu verorten, wenn wir diese
Opposition hier anwenden wollen. Sie sind konkret im Sinne der Materialität des Mediums,
da sie die Interaktionsmöglichkeiten eines Computerspieles nutzen, setzen sich aber über die
Spielregeln und das eigentlich Ziel des Spiels hinweg, indem sie die Spielwelt zweckentfremden und ausschließlich als Rahmen ihrer eigenen Narrationen nutzen.
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Transkodierung
Die Modifikation des Materials wurde bisher als Modifikation der Interaktion mit der Spielwelt beschrieben. Eine Modifikation kann allerdings bis hin zur Veränderung des Programmcodes oder der zusätzlichen Nutzung von Software ausgeweitet werden und führt uns dann in
den Bereich der Transkodierung. In den Beispielen von Alan Sondheim, einem Vertreter der
Codeworks, wird die visuelle Darstellung des Computerspiels verändert.
Für Alan Sondheim bedeutet Codework:
Codework is a practice, not a product.
It is praxis, part and parcel of the critique of everyday life.
It is not canonic, although it is taken as such.
It is not a genre, although it is taken as such.
The term is relatively new and should always be renewed.
We are suffused with code and its intermingling with surface phenomena.
Wave-trains of very low frequency radio pulses for example.
Phenomenology of chickadee calls.
Codework is not a metaphor, not metaphorical.
It exists precisely in the obdurate interstice between the real and the symbolic. It exists in the
arrow.
It is not a set of procedures or perceptions. It is the noise in the system.4
Auch wenn der Begriff Codework häufig benutzt wird, um ein Genre zu bezeichnen, so ist für
Sondheim der Prozess zentral und nicht das Objekt. Alan Sondheim nutzt das Onlinespiel
Second Life um mit einer Gruppe von Spielern in Second Life eine Performance zu planen und
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auszuführen. Dabei spielen 4–5 Spieler zusammen mit ihren Avataren, tanzen, und bewegen
sich in einer Performance, die auf Improvisation basiert. Die anschliessende Modifikation und
Bearbeitung der Videos und die Veränderung der zugrundeliegenden Kodierung führt zu
Resultaten, die sowohl unsere Wahrnehmung von Körperlichkeit, die zugrunde liegenden
Konstruktionsprinzipien der 3-D Graphik und in den begleitenden Texten auch die Modifikation und Transkodierung zum Thema haben. Dabei erscheinen die Arbeiten von Alan Sondheim als hochgradig abstrakt – verwenden wir die Begriffe konkret und abstrakt in unserem
Alltagsverständnis – denn sie sind ein Kommentar zur Materialität der digitalen Medien.
Damit sind sie allerdings konkret im Verständnis des Konkretismus, als dessen Fortsetzung
sich Codeworks und Codepoetry verstehen. Diese Produktionen, von Alan Sondheim ohne
Kommentar oder Erklärung auf YouTube unter den Tags ‘Avatar’, ‘Sex’, ‘Nudity’ bereitgestellt und damit erst für Nutzer ab 18 Jahren zugänglich, stoßen auf ein Publikum, dessen
Erwartungen hier nicht erfüllt werden, und das mit Unverständnis reagiert. Dies führt zu
Kommentaren wie:
“i guess something went wrong with the rendering”
“okay…..highly disturbing, therefore it should be flagged”
“If only Jack Kerouac had lived long enough to see this…he probably would have gone into
used car sales. Bad singer, bad sex, bad poetry – The future is yours!”5
Alan Sondheim kommentiert dies nicht. Der Text und Gesang, der das Video begleitet,
verwendet teilweise Worte aus seinem “Maya-Prayer-Extension”, einem Text Sondheims, auf
den er in anderem Zusammenhang in einem Interview mit Gary Sullivan (1999) hinweist: “the
chanting of the syllables of god, speaking the unspeakable”.6
6
Communities
Die Online Communities haben eine bedeutsame Funktion für die Machinima Produktion. Es
werden Tutorials geschrieben, wie ein Machinima erstellt werden kann. Anleitungen gegeben,
wie Software zur Nachbearbeitung gut eingesetzt werden kann, welche Video Codeci notwendig und sinnvoll sind. Die Videos werden nicht nur aufgrund ihrer technischen Qualität
diskutiert und kommentiert sondern ebenso wird die Originalität eines eigenen Drehbuches
kommentiert. Einige herausragende Videos führen zu Videokommentaren oder zur Verwendung einer Idee in einem anderen Kontext. So wurde The Internet is For Porn als Machinima
in World of Warcraft auch als Grundlage für ein Video mit dem gleichen Titel verwendet,
allerdings mit Figuren aus der Sesamstraâe (2007).7 Eine wichtige Funktion besteht hier nicht
nur im Video-Sharing, sondern auch in der Hilfe beim Ausbau der Medienkompetenz durch
ein peer-to-peer Netzwerk. Vor allem die Foren, die Teil der Sites sind, zeigen aus welchem
Datenmaterial der Populärkultur geschöpft wird. Die intermedialen Bezüge werden deutlich und in den meisten Fällen entweder als Kommentar oder als Parodie eingesetzt. Als Teil
des Kanons der (Populär-)Kultur, auf denen einige der Videos basieren, werden nicht nur
Klassiker wie Shakespeares Dramen nachgespielt, sondern ebenso Filmszenen aus Casablanca, Musikvideos beliebter Bands aber ebenso eigene Drehbücher geschrieben und umgesetzt.
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Control
Die Bereitstellung des Computerspiels auf dessen Basis Machinima produziert werden hat
verschiedene Auswirkungen. Zum einen limitiert die Auswahl eines Spiels als Grundlage die
Möglichkeiten bei der ästhetischen Gestaltung des Videos. Der Spieler und Produzent ist
durch die Interaktionsmöglichkeiten mit dem Spiel beschränkt. So ist die Kameraeinstellung
vorgegeben und kann nicht wirklich flexibel verwendet werden. Die Perspektive ist diejenige
des jeweiligen Spielers. Die Video-Ästhetik folgt der Ästhetik des jeweiligen Spiels. Die
Spieleindustrie legt fest, dass Produktionen, die auf ihrem Spiel basieren, dem Copyright
unterliegen. Im Falle von Fanprodukten, die nicht kommerziell genutzt werden, führt dies
normalerweise nicht zu Problemen, die kommerzielle Nutzung von Machinima hingegen ist
problematisch. Zugleich nutzt die Spieleindustrie Machinima zur Eigenwerbung. MachinimaWettbewerbe werden für spezielle Spiele ausgeschrieben und die Videos prämiert, allerdings
die Rechte dann an den Spielehersteller abgetreten.
Zunehmend werden Machinima in kommerziellen Produkten verwendet. Mit der großen
Zunahme an Spielern von Online-Spielen weltweit, ist auch die Bekanntheit und Akzeptanz
dieser Spiele gestiegen. Hatte Coca-Cola in Japan 2002 bereits einen Werbespot, der ein
Machinima des Spiels Final Fantasy 98 darstellte, so wurde dieser im Westen aber nicht
eingesetzt. Ebenso wurde 2006 ein Machinima-Film aus World of Warcraft von Coca Cola in
China gezeigt. Das Interesse in Asien Machinima zu Werbezwecken einzusetzen war offensichtlich früher da, wurde aber auch durch eine höhere Akzeptanz von Computerspielen
unterstützt. Toyota hat dann 2007 mit seinem WoW [World of Warcraft] Toyota Commercial
ein Machinima weltweit zu Werbezwecken benutzt.9
Für die Fernsehserie South Park, hier speziell Episode 10, wurde 2006 eine Kombination
eines Machinima auf der Basis von World of Warcraft mit Techniken des Animationsfilm
erstellt.10 Die Idee entstand dadurch, dass ein Mitglied des South Park Teams in jeder freien
Minute World of Warcraft spielte und generelles Interesse für Machinima in der Crew
bestand. Vereinfacht wurde die Produktion dadurch, dass dieses Machinima nicht auf einem
öffentlichen Server gespielt werden musste, wo es zu Störungen durch andere Spieler hätte
kommen können, sondern dass Blizzard, die Entwickler von World of Warcraft, einen eigenen
Server sowie drei Mitarbeiter zur Verfügung gestellt haben. Die Mitarbeit und das Einverständnis von Blizzard war natürlich die Voraussetzung, dass eine solche kommerziell genutzte
Machinima-Produktion möglich war. Das Ergebnis ist eine transmediale Form, die Computerspiel und Animationsfilm auf spannende Weise miteinander verbindet. Während die Spielerfahrung eines individuellen Spielers changiert zwischen aktiver Beteiligung in der virtuellen
Welt und den Einflüssen der realen Welt auf das Spiel – sei es, dass das Telefon klingelt oder
Mitbewohner oder Familie in das Zimmer kommen und eine Bemerkung machen – so wird
in dieser Episode die Spielerfahrung in der virtuellen Welt von World of Warcraft mit den
Geschehnissen in der virtuellen Welt von South Park gekoppelt. Die Art und Weise, wie die
virtuelle Welt von South Park dabei Kommentare aus dem Diskurs über Computerspiele in
den Medien und Erfahrungen der Spieler aus der realen Welt integriert, führt dazu, dass South
Park und reale Welt in ikonischer Weise miteinander verbunden erscheinen. Zugleich wird
durch die South Park Episode deutlich, dass ebenso wie in der virtuellen Welt von South Park
auch in der realen Welt in vielen Fällen Freunde aus der realen Welt gemeinsam die virtuelle
Spielwelt nutzen, um miteinander zu spielen und kommunizieren. Die Kritik des einsamen
Spielers, der sich aus sozialen Kontexten zurückzieht, wird so in Frage gestellt. So wie hier
die Trennung von virtueller Spielwelt und virtueller South Park-Welt aufgehoben wird, hebt
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die kommerzielle Nutzung von Machinima die Trennung zwischen virtueller und realer Welt
auf. Die Materialität unserer realen Welt wird auf diese Weise in die virtuelle Welt hinein
projiziert. Die Opposition konkret – abstrakt scheint hier keinen Sinn zu machen, da diese
immer an die Kontextualisierung und Materialität innerhalb einer konsistenten Welt gebunden
ist.
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Schlussdiskussion
Die Entwicklung von Computern, die in der Lage sind nicht nur 3D-Spiele ohne Ruckeln
auszuführen, sondern parallel dazu auch zugleich die Aufnahme durch Aufnahmesoftware
von Spielesequenzen möglich machen, haben den technischen Aufnahmeprozess ungemein
erleichtert. Während zu Beginn ein sehr hoher Grad an Medienkompetenz beim Produzenten
vorausgesetzt wurde, ist dies heute weniger bedeutsam. Zugleich ist durch die Zunahme von
Online-Spielern weltweit (allein World of Warcraft wird zur Zeit von 11,5 Millionen Spielern
weltweit gespielt11) das Interesse an dieser Medienform gewachsen und damit auch die
Community, die diese Videos produziert und kommentiert. Aus einer kleinen Gruppe von
Produzenten, die sich ursprünglich aus Hackern und Spielern, die als ProGamer bezeichnet
werden, Spieldesignern und Studenten von Animationsfilm zusammensetzte, finden wir heute
Computerspieler in großer Breite ebenso wie auch kommerzielle Nutzungen. Die Community
hat durch Tutorials die Produktion ebenso gefördert, wie auch durch Einrichtung von Websites, Foren und einer Machinima Akademie in New York durch die beiden Praktiker Hugh
Hancock and Paul Marino, Machinima dazu verholfen, aus dem Umfeld einer Fankultur zu
einem etablierten populärkulturellen Phänomen aufzusteigen.
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[29.07.2009]
Anmerkungen
1 Das Rekrutierungsvideo der Gilde “Rogues Take Zero Skills” findet sich unter anderem auf Youtube unter:
http://www.youtube.com/watch?v=TW2u2cRPAwo [29.07.2009].
2 http://hacks.mit.edu/misc/ethics.html [29.07.2009], sowie die Publikation von Eri Izawa (1996):
http://hacks.mit.edu/Hacks/books/articles/engineering_in_action.html [29.07.2009].
3 http://www.youtube.com/watch?v=Yp5HC63eZo4 [29.07.2009]
4 Alan Sondheim: What is Codework?, im Internet unter http://www.alansondheim.org/whatiscodework.txt
[29.07.2009]
5 Das Video sowie die Kommentare sind im Internet unter http://www.youtube.com/watch?v= Y_ueR8XTT9M&
feature=channel_page [29.07.2009] zu finden.
6 http://home.jps.net/~nada/sondheim.htm [29.07.2009]
7 http://www.youtube.com/watch?v=cNARJPNz2CA [29.07.2009]
8 http://gameads.gamepressure.com/tv_game_commercial.asp?ID=217
9 http://www.youtube.com/watch?v=ghANtP1JPPg
10 http://www.southparkstudios.com/clips/155263 [29.07.2009]
11 http://www.blizzard.com/us/press/081121.html

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