Bunte (Interview Ministerin von der Leyen

Transcrição

Bunte (Interview Ministerin von der Leyen
P ol itik
In einem Boot
Familienministerin Ursula von
der Leyen, CDU, und Schauspielerin Mariella Ahrens beim
Fotoshooting für BUNTE
beim Café am Neuen See im
Berliner Tiergarten
44 BUNTE 31 | 2009
So wollen
wir alt werden
Foto: thomas kierok für bunte
Ursula von der leyen &
Mariella Ahrens
Warum die Ministerin und der
TV-Star gemeinsam für
ein engeres Zusammenleben der
Generationen kämpfen
31
11 | 2009 BUNTE 45
p ol itik
Enten füttern Mariella
Ahrens und Ursula von der Leyen
W
as haben die Ministerin
und der TV-Star gemeinsam? Ein großes Ziel:
Ursula von der Leyen,
50, und Mariella Ahrens
(verheiratete Gräfin von Faber-Castell),
40, wollen ältere Menschen wieder in die
Mitte unserer Gesellschaft holen. Mariella
Ahrens durch ihren gemeinnützigen Verein
Lebensherbst. Ursula von der Leyen – sie
lebt mit ihrem kranken Vater, Ex-Ministerpräsident Ernst Albrecht, 79, unter einem
Dach – durch die Aktion Mehrgenerationenhäuser. Ein Gespräch über Alter, Ängste –
und viele wertvolle Erfahrungen.
u
Es gibt viele Initiativen für Kinder, aber
kaum welche für Senioren. Warum?
Ursula von der Leyen: Weil sich unsere Gesellschaft wandelt, wir darauf aber noch
nicht reagiert haben. Wir werden immer
älter – und bleiben dabei immer fitter.
Gleichzeitig gibt es aber häufig nicht mehr
die Großfamilie, die Dorfgemeinschaft, in
der die Älteren ganz natürlich dazugehören.
Daher sehen viele nicht mehr den Erfahrungsschatz, den diese Generation bietet.
Mariella Ahrens: Das fängt schon bei den
Kindern an. Wenn man nicht von klein auf
mit älteren Menschen umgeht und lernt zu
akzeptieren, dass sie vielleicht anders sind,
aber trotzdem so viel zu geben haben, dann
wird es später schwierig.
Viele stehen nicht mal im Bus auf, damit
sich ein älterer Mensch setzen kann.
M. Ahrens: Das finde ich furchtbar! Kinder
haben keine Älteren mehr in ihrem Umfeld – und werden häufig auch gar nicht
mehr mit Respekt vor dem Alter erzogen,
obwohl diese Generation ihnen das heutige
Leben erarbeitet hat.
U. v. d. Leyen: Ich glaube, die Gesellschaft
hat ein Stück weit verlernt, den Nächsten
wahrzunehmen. Stattdessen gibt es den
isolierten Tunnelblick auf sich selbst.
M. Ahrens: Und leider Vorurteile gegen Senioren, die als umständlich, langsam und
als Belastung abgestempelt werden.
U. v. d. Leyen: Auch weil wir bislang in der
Öffentlichkeit beim Thema Senioren immer
nur in zwei Extremen diskutieren: nämlich über Pflegebedürftigkeit – oder über
46 BUNTE 31 | 2009
die Frage der Rentenfinanzierung, Ältere
Daher haben Sie 2008 die Mehrgeneraauf Kreuzfahrten und die Jungen, die da- tionenhäuser ins Leben gerufen.
für schuften müssen. Dabei vergessen wir U. v. d. Leyen: Das ist sozusagen die modie Vielfalt und Buntheit zwischen diesen derne Variante einer Großfamilie. Ich
Extremen. Wir brauchen ein ganz anderes habe mich gefragt, wer mich eigentlich in
Bild des Lebensalters zwischen 55 und über meinem Leben getragen und gehalten hat.
100. Das sind Menschen, die agil und aktiv Es ist die Familie. Aber warum muss man
sind, die viel Zeit haben und bereit sind, dafür verwandt sein? In den Mehrgeneratiuns davon etwas zu geben – wenn wir sie onenhäusern treffen ältere Menschen und
lassen.
Familien mit kleinen Kindern zusammen.
Wie hat 2005 Ihr Umfeld auf die Grün- Die Älteren werden zu Leihgroßeltern oder
dung von Lebensherbst reagiert?
helfen bei den Hausaufgaben, dafür wird
M. Ahrens: Manche Reaktionen waren wirk- ihnen geholfen, wenn es nötig ist.
lich erschreckend. So hieß es zum Beispiel: M. Ahrens: Wenn man Ältere abschiebt,
„Was willst du denn mit den Alten? Die le- ihnen ständig alles abnehmen will und
ben doch sowieso nicht mehr lange.“ Man nichts mehr zutraut, verlieren sie schnell
will „den Alten“ möglichst nicht begegnen. an Selbstbewusstsein und Kraft. Aber wenn
Eben aus den Augen, aus dem Sinn. Es är- man ihnen zeigt, dass sie gebraucht werden,
gert mich, dass sich viele unter Alter et- blühen sie richtig auf und haben wieder
was Schlimmes vorstellen – und
Lebenswillen.
kaum Schönes sehen.
Welche Erfahrungen haben
U. v. d. Leyen: Weil ihnen die ErSie ganz persönlich gemacht?
fahrung fehlt. Früher waren die
M. Ahrens: Ich habe in einer
Ältesten in unserer Gesellschaft
Großfamilie in unserem Haus
In einem
diejenigen, die Wissen weitergein Bulgarien gelebt und fand
Haus mit
tragen haben – als Richter, Hei- ganz vielen es immer schön, mit meinen
ler, Weise. Heute kann man FakGroßeltern zusammen zu sein.
freunden
ten blitzschnell jederzeit übers
Das war Normalität. Sie wurden
Internet abrufen. Aber gelebte Erfahrung zu Hause von der Familie gepflegt. Es ist zu
kann man nicht in Bits weitergeben.
schaffen, solange es nicht nur an einer PerM. Ahrens: Ich höre die Geschichten auch son hängen bleibt, sondern sich die ganze
lieber direkt von meinen Senioren. Das sind Familie abwechselt. Ich will meine Eltern,
nicht nur Zeitgeschichten – auch Liebesge- wenn sie pflegebedürftig werden sollten,
schichten etwa. Und was man daraus lernt, nicht in ein Heim geben.
ist niemals veraltet.
U. v. d. Leyen: Viele wollen ihre Eltern zu
U. v. d. Leyen: Aber man muss auch sehen, Hause pflegen, haben aber große Probleme,
dass heute Jung und Alt kaum aufeinan- das mit ihrem Beruf zu vereinbaren, den sie
dertreffen. Was wir schaffen müssen, sind ja nicht einfach aufgeben können. Deshalb
Möglichkeiten, dass sie gemeinsam etwas müssen wir Familien, die pflegen wollen,
erleben und Alltag miteinander teilen.
mehr bezahlbare Hilfe im Alltag bieten. Wie
M. Ahrens: Zum Beispiel Kindergärten, zum Beispiel durch Tagesambulanzen, PfleSchulen und Seniorenheime nebeneinan- gedienste oder auch Ehrenamtliche.
der. Oder unseren Seniorentreffpunkt neWar es für Sie selbstverständlich, Ihren
ben dem Spielplatz am Berliner Lietzensee. erkrankten Vater zu sich zu holen?
Leider gibt es das noch viel zu wenig.
U. v. d. Leyen: Ja, weil ich es als Kind auch
so erlebt habe, dass sich die ganze Familie
um die Großeltern kümmerte, als sie allein
nicht mehr weiterkonnten! Natürlich hatte
Mehr Informationen
ich auch Angst vor der neuen Situation.
Und auch vor dem Prozess, dass man einen
■ 500 Mehrgenerationenhäuser
Vater, der einen 45 Jahre lang beschützt
in Deutschland – siehe http://www.
hat, nun selbst schützen muss. Aber man
mehrgenerationenhaeuser.de
wächst in diese Rolle hinein. Natürlich ist
■ Lebensherbst e. V. Pflegeheime und
die Situation nicht immer einfach. Denn
Hilfe für Senioren unter http://www.
Demenz bedeutet auch Irritationen, Ängste
lebensherbst.de oder Tel. 01 63/
des Betroffenen, Loslösungprozesse und
1 52 33 75. Spenden-Kto. 0 697 771,
auch riskante Situationen, aber es gibt eben
BLZ 100 700 24 (Deutsche Bank)
Fotos: thomas kierok für bunte (2), thomas & Thomas (2), laif, a-way, ARD Degeto/tivoli film/thorsten jander
Erfahrung kann kein PC ersetzen
auch die schönen Momente. Ich merke auch,
dass meine Kinder damit sehr viel selbstverständlicher umgehen.
Beschäftigen wir uns – aus Angst vor dem
Alter und dem Tod – zu selten mit Senioren?
U. v. d. Leyen: Wahrscheinlich. Was wir wieder
lernen müssen, ist, dass der Tod nichts Fremdes ist, dass man den letzten Weg gemeinsam
gehen und dass der Tod auch friedlich sein
kann. Deshalb ist Palliativmedizin auch so
wichtig. Ich habe als Kind den Tod meiner
Großmutter jedenfalls nicht als etwas Schockierendes begriffen. Als sie starb, standen wir
mit allen Angehörigen um ihr Bett.
Macht Ihnen der Tod Angst?
M. Ahrens: Ehrlich gesagt, denke ich darüber
nicht gern nach. Irgendwie ist es für mich
schwer zu begreifen, dass ich irgendwann
nicht mehr auf dieser Welt bin. Auch das Thema Altern habe ich früher verdrängt und mir
immer eingeredet, ich hätte ja noch Zeit. Aber
bei den Begegnungen mit den Senioren ist
mir klar geworden: So viel Zeit habe ich gar
nicht. Je früher man darüber nachdenkt, wie
man im Alter leben will, umso besser.
U. v. d. Leyen: Ich frage mich schon manchmal, wer mich pflegt, sollte ich dement werden. Natürlich schiebt man das Thema Tod
gern beiseite, aber ich habe die Erfahrung
gemacht, dass ich mich zunehmend mehr
damit befasse. Je älter ich werde, umso unausweichlicher werde ich auch mit dem Tod
in der eigenen Familie konfrontiert.
Viele sagen: Ich habe Angst vor Einsamkeit im Alter.
M. Ahrens: Das geht mir auch so. Und ich sehe
bei meiner Arbeit für Lebensherbst auch viele
Senioren, die einsam sind. Deshalb würde ich
gern im Alter mit ganz vielen Freunden in
einem Haus wohnen – am liebsten natürlich
mit meinen Kindern in der Nähe.
U. v. d. Leyen: Diese Angst haben viele und
sie ist berechtigt. Aber im Gegensatz zu vielen
Krankheiten kann man gegen die Einsamkeit
im Alter schon früh etwas tun – sich nämlich
Freundeskreise, Betätigungsfelder schaffen.
Auch das sehe ich heute bei meinem Vater:
Viele Freunde besuchen ihn regelmäßig, weil
er ihnen im Leben viel gegeben hat und sie etwas davon zurückgeben möchten. Das würde
ich mir für mein Alter auch wünschen.
■
Ursula von der
Leyen (M.),
Mariella Ahrens
(r.) und BUNTERedakteurin
Kerstin Jäckel
Bunte fragte Prominente
fr age 1
Wie würden Sie im ALTER gern leben?
Ulla Schmidt
Dagmar Berghoff
Hörfunk- und Fernsehmoderatorin, 66
„Ich möchte so lange wie
möglich in meiner eigenen
Wohnung leben. Wenn ich
aber merken sollte, das geht
nicht mehr, oder ich dement
werde, würde ich auch ins
Seniorenheim ziehen.“
Jytte-Merle Böhrnsen
Schauspielerin („Geld.Macht.Liebe“), 25
„In meinem Alter denkt man
an so eine Frage eigentlich
noch nicht. Aber ich glaube,
wenn ich alt bin, würde ich
gern ein ruhiges, sorgloses
Leben führen mit einem wunderschönen Garten und
einem Haus in der Nähe von einem Wasser.
Am allerliebsten zu zweit. Mit vielen Enkelkindern.“
Susanne Uhlen
Schauspielerin, 54
„Ich könnte mir gut vorstellen, meinen Lebensabend mit meinem Mann in unserem
Haus in Südfrankreich zu verbringen. Jedenfalls solange man noch einigermaßen gesund ist. Ansonsten halte ich eine gepflegte
Seniorenresidenz für eine gut denkbare
Alternative.“
Bundesgesundheitsministerin, SPD, 60
„Im Kreis meiner Familie und
meiner Freunde.
Teilhaben am Leben der Menschen,
die ich schätze und
liebe. Und auch für sie da sein,
wenn sie wollen. Ich möchte
meine Kraft auch später noch
nutzen, um zu helfen, um mich
sozial zu engagieren.“
Costa Cordalis
Schlagersänger, 65
„In Griechenland wohnen
alle unter einem Dach. Ich
bin in einer Großfamilie
aufgewachsen: Uroma
und Uropa, Großeltern,
Eltern und Kinder haben
zusammengewohnt. Das
ist ein sehr schönes Bild, der Zusammenhalt in der Familie.“
Margot
Kässmann
Landesbischöfin, 51
„Ich würde gern selbstständig leben, mit lieben
Menschen in der Nähe:
In einem Haus mit vielen
Wohnungen vielleicht, in
denen Freundinnen und
Freunde leben. Mit einer
Aufgabe in der Kirchengemeinde, die sinnvoll ist
und bei der ich meine Erfahrung einbringen kann.“
Gaby Dohm, Schauspielerin, 65
„Ich möchte von Freunden,
Natur und Sonne umgeben
sein. Ich muss aber nicht mit
anderen zusammen in
einem Haus wohnen, an
Alters-WGs glaube ich nicht.
Jeder muss sich auch mal
zurückziehen können,
deshalb reicht es, in derselben Stadt zu wohnen.“
fr age 2
BUNTE im Internet
Mehr zum Thema unter:
www.bunte.de
100 werden?
Möchten Sie gern
TNS EMNID fand für BUNTE
heraus: Jeder zweite Deutsche
will 100 Jahre alt werden.
Bei Einzel-Haushalten sind es
jedoch nur 38 Prozent.
51% 48%
ja
nein
1% der Befragten gab keine Antwort
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