Abgefahren | Für die Flinders Street Station in Melbourne gibt es

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Abgefahren | Für die Flinders Street Station in Melbourne gibt es
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Bauwelt 33 | 2013
Wettbewerbe Entscheidungen
Bauwelt 33 | 2013
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1. Preis | HASSEL + Herzog & de Meuron wollen
das Gleisareal mit mehreren Tonnen­gewölben
überdachen, die an der Westseite mit einer er­
höhten Glaswand abschließen.
Abgefahren | Für die Flinders Street Station
in Melbourne gibt es große Pläne
Benedikt Crone
Offener, zweistufiger Wettbewerb
1. Preis (500.000 AUD) HASSEL + Herzog & de Meuron, Melbourne
und Basel | Engere Wahl/Publikumspreis (100.000 AUD) Eduardo
Velasquez + Manuel Pineda + Santiago Medina, Melbourne |
Engere Wahl (jeweils 100.000 AUD) Zaha Hadid Architects + BVN
Architecture, London und Melbourne | ARM – Ashton Raggatt
McDougall, Melbourne | NH Architecture, Melbourne | John Wardle
Architects + Grimshaw, Melbourne
Das Bahnhofsgelände im Geschäftszentrum soll sich zu allen Seiten öffnen – auch zum Yarra River
In der City von Melbourne blüht das Geschäft, doch
mittendrin verkümmert der verkehrsstärkste Bahn­
hof der Stadt. Für neuen Glanz, Gloria und vor allem
Geld soll nun ein internationaler Wettbewerb sorgen.
Blick von Westen auf die City von Melbourne.
Im Süden grenzt das Gleisareal der Flinders
Street Station an den Yarra River, im Osten
an den Federation Square und im Westen an
den 250 Meter langen Bahnhofsflügel.
Foto: Tim Keegan
Dazu auf Bauwelt.de | Film: Vom perforierten Gewölbe zum verglasten
Schwamm – die Entwürfe aus der engeren
Wahl in bewegten Bildern
Die Welt steht Kopf – am anderen Ende der Welt. Aus
Melbourne, der mit 4 Millionen Einwohnern zweitgrößten Stadt Australiens, erreichen skurrile Bilder
die Öffentlichkeit. Mitten in der City legt sich mal
eine durchlöcherte Riesenserviette, mal ein gezwirbelter Weißwal und mal eine hügelige Märchenlandschaft auf die unter den knochigen Dachkonstruktionen schutzlos ausgelieferten Gleise der Flinders
Street Station, des verkehrsstärksten Bahnhofs der
Stadt. Was ist geschehen?
Die Regierung des Bundesstaates Victoria beschloss 2011, an dem großen Durchlaufbahnhof ih­
rer Hauptstadt müsse dringend Hand angelegt werden. Über 100.000 Menschen hasten hier täglich von
der Straße zum Zug oder von der Bahn zum Bus. In
der Rush Hour drängen sich Pendler, Touristen und
Angestellte der umliegenden Bürotürme auf die bis
zu 700 Meter langen, aber nur im Ostteil überdachten Bahnsteige. Zwar konnte sich das 1910 errichtete Empfangsgebäude mit Kuppel und Verwaltungsflügel das Ansehen einer lokalen Bauikone sichern.
Doch viele Räume in den oberen Geschossen, die ursprünglich als Büros, Bücherei und Gymnastikraum
für das Institut der örtlichen Bahngesellschaft gedacht und mit Leben gefüllt waren, stehen heute leer.
„Zurück zur einstigen Pracht“, lautete daher die Aufgabe für einen im Herbst 2011 ausgelobten offenen
Wettbewerb. Weltweit wurden Ideen gesammelt, wie
nicht nur der Bestand vor dem Verfall gerettet, son-
dern vor allem ein neues architektonisches Highlight
ins Geschäftszentrum der Stadt gezaubert werden
kann. Die deutlichste Nachricht des nach Aufmerksamkeit schreienden Projekts aber ist: Melbourne
will mitspielen in der Weltliga der Großstädte – und
mit einem medial inszenierten Wettbewerb zahlungsfreudige Investoren ins Land locken. Verdaut ist die
Finanzkrise der Stadt in den frühen 1990ern samt
der darauf folgenden Rezession. Vergessen ist die deprimierende Rolle des nach Sydney ewigen Zweiten.
Stattdessen greifen in der City neue Türme nach den
Sternen, wie der Eureka Tower (Fender Katsalidis Architects), passend benannt nach einem Aufstand von
Goldsuchern gegen die Staatsmacht 1854. Langsam
wandelt sich die Innenstadt, auch dank der Eingriffe
des dänischen Stadtplaners Jan Gehl, von der autozur fußgängerfreundlichen Zone. Zuletzt wählte die
Zeitschrift „The Economist“ Melbourne zur lebenswertesten Stadt der Welt.
In dem pulsierenden Geschäfts- und Einkaufszentrum soll nun die neue Flinders Street Station
sicherstellen, dass Verkehrs- und Geldströme hier reibungsloser fließen als jemals zuvor. Eine Jury unter
Vorsitz von Lokalarchitekt Geoffrey London pickte im
Oktober 2012 aus insgesamt 118 eingereichten Entwürfen sechs Favoriten heraus und präsentierte ihre
Wahl mit Nennung der Büros im Internet. Die Vorauswahl, die dazu dienen sollte, dass die sechs Teams
ihre Pläne in Absprache mit der Politik überarbeiten konnten, geriet rasch in Kritik: Ein Juryprotokoll,
das die Entscheidung der Preisrichter hätte nachvollziehbar machen können, wurde nie veröffentlicht.
In den Reihen der übrigen 112 Teilnehmer machte
sich Frust breit, Gerüchte wurden lauter. Der Melbour-
Für die Gewölbeform orientierten sich die Architekten an Bögen und Kuppeln des alten Bahnhofgebäudes
Vom Amphitheater blickt das Publikum auf eine schwimmende Bühne
Haupteingang neben dem alten Bahnhofsbau
Bauwelt 33 | 2013
10 Wettbewerbe Entscheidungen
Bauwelt 33 | 2013
BAUNETZ WISSEN
Fachinformationen
schöner finden.
Publikumspreis | Bei einer Internetabstim­­
mung erhielt der Entwurf von drei Studenten der University of Melbourne die meisten
Punkte. Eduardo Velasquez, Manuel Pineda
und Santiago Medina entwarfen einen drei Hektar großen, mehrgeschossigen Stadtpark
über den Schienen der Flinders Street, mit
Durchbrüchen über den Bahnsteigen und
ei­nem gläsernen Atrium für Veranstaltungen.
Engere Wahl | Zaha Hadid Architects + BVN Architecture, London und Melbourne
ner Architekt Warwick Mihaly beklagte auf seinem
Blog, laut einem ihm bekannten Preisrichter hätte
die Jury 80 Prozent der Entwürfe trotz ihrer Anonymität Büros zuordnen können. Er glaubt: „Die Jury
wird, wenn sie einen Entwurf von Zaha Hadid auf dem
Silbertablett serviert bekommt, keine andere Wahl
gehabt haben, als ihn in die engere Auswahl zu nehmen.“
Die zweite Kritik galt dem Publikumspreis.
Online konnten Nutzer aus aller Welt von Juli bis August dieses Jahres Punkte auf die sechs Favoriten
verteilen. Da die insgesamt 19.000 Stimmen, die zu
72 Prozent von unter 40-Jährigen stammten, bis zum
5. August abgegeben wurden, die finale Jurysitzung
allerdings bereits im July stattfand, wurde das Verfahren zur Pseudopartizipation – und es kam, wie es
kommen musste: Der Publikumssieger stimmte nicht
mit der Empfehlung der Juroren überein. Der 1. Preis
der Jury ging an den Entwurf von HASSEL + Herzog &
de Meuron; die Online-Welt klickte dagegen den
Vorschlag von drei Melbourner Studenten zum Liebling der Herzen. Das Ergebnis überrascht kaum.
Schließlich konnten die Studenten nicht nur mit viel
Grün, sondern sicherlich auch mit einem Davidgegen-Goliath-Bonus punkten. Wenig Lob gab es im
Netz dagegen für den Achterbahn-Bau von Zaha
Hadid und BVN Architecture, der die Gleisstruktur
im Osten aufnimmt und sich im Westen in die Senkrechte dreht. Auch die Architekten von Grimshaw,
die 2007 bereits die Southern Cross Station für Melbourne entworfen hatten, schafften es zusammen
mit den australischen John Wardle Architects unter
die Favoriten. Ihr Vorschlag: eine zerstückelte Bebauung des Gleisareals, um das Gelände in alle Richtungen mit seinem Umfeld zu verbinden.
Im Vergleich zu den Vorschlägen der anderen
Teilnehmer wirkt der Entwurf von HASSEL + Herzog &
de Meuron geradezu angenehm bescheiden. Die Architekten wollen das gesamte Schienengelände mit
mehreren Tonnengewölben überachen, die sich wiederum aus miteinander verwobene Bögen zusammensetzen. In der Mitte der Bahnhofshalle klafft eine
kreisrunde Öffnung. Hier führt ein Amphitheater hinab zu einer schwimmenden Bühne auf dem Yarra
River. Das Bahnsteigsgelände würde von allen Seiten
zugänglich sein, mit dem Haupteingang an der geöffneten Ostseite, gegenüber des 2002 errichteten
Kulturzentrums Federation Square.
Wie verhindert werden kann, dass solche Pläne
nun nicht wie so oft in Schubladen verstauben oder
auf Festplatten versauern, bleibt die größte Frage.
Eine Million australische Dollar (circa 680.000
Euro) ließ sich der Bundesstaat das Verfahren kosten. Für die Umsetzung fehlt in den öffentlichen
Kassen jedoch das Geld. Alle Versuche im letzten
Jahrhundert, die Flinders Street Station großflächig zu überplanen, sind gescheitert. Diesmal war
der Wettbewerb von einem lauten Trommelwirbel
begleitet. Gespannt warten die Auslober auf das
Echo.
Engere Wahl | John Wardle Architects + Grimshaw, Melbourne
Brandschutz
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Engere Wahl | NH Architecture, Melbourne
www.baunetzwissen.de/Brandschutz
Von der Horizontalen im Osten dreht sich der Bau in die Senkrechte im Westen
Engere Wahl | ARM – Ashton Raggatt McDougall, Melbourne
Das Online-Fachlexikon für Architekten und Planer

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