Glaubhaftmachung der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den

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Glaubhaftmachung der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den
FG München, Beschluss v. 29.01.2016 – 7 V 2979/15
Titel:
Glaubhaftmachung der Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Normenketten:
AO § 355
AO § 110
Leitsatz:
Der bloße Hinweis auf Arbeitsbelastung und durch ihre Außendiensttätigkeit verursachte
Abwesenheit genügt den Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht.
Wiedereinsetzungsgründe sind insbesondere durch Vorlage entsprechender Unterlagen
(Fahrtenbuch, Protokolle o.ä.) vollständig, substantiiert und genau vorzutragen..
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Kindergeld, Einspruchsfrist, Außendienst, Abschlusszeugnis, Aussetzungsverfahren
Tatbestand
I.
Streitig ist im Hauptsacheverfahren, ob die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für das Kind K,
geboren am 11. März 1994, für den Zeitraum August 2013 bis einschließlich Juli 2014 zu Recht aufgehoben
hat.
Die Antragstellerin erhielt für K laufend Kindergeld. K begann am 1. September 2011 eine zweijährige
Ausbildung zum Verkäufer bei der Firma A (Berufsausbildungsvertrag vom 13. Mai 2011, Abschlusszeugnis
vom 25. Juni 2013) und im Juni 2013 eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann, die bis 31. August 2014
dauern sollte (Bestätigung des Ausbildungsbetriebs vom 8. August 2013). Mit Schreiben vom 15. Juni 2015
forderte die Familienkasse die Antragstellerin zur Vorlage eines Nachweises über das Ende der
Berufsausbildung bei der Firma A an. Da keine Reaktion erfolgte, hob die Familienkasse die Festsetzung
von Kindergeld für K für den Zeitraum August 2013 bis Juli 2014 mit Bescheid vom 28. Juli 2015 auf. Der
Bescheid ist mit einem Absendevermerk vom 28. Juli 2015 sowie einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen.
Mit Schreiben vom 1. September 2015 legte die Antragstellerin Einspruch gegen den Bescheid vom 28. Juli
2015 ein. Wegen einer beruflichen Schulung habe sie den Bescheid der Familienkasse vom 28. Juli 2015
erst jetzt gesichtet. Das beigefügte Abschlusszeugnis sowie die übrigen Unterlagen habe sie bereits vor
einem Jahr an die Familienkasse geschickt. Auf Nachfrage der Familienkasse vom 11. September 2015
wegen der Versäumung der Einspruchsfrist teilte die Antragstellerin mit Schreiben vom 28. September 2015
mit, dass sie beruflich sehr stark eingebunden und viel auf Tagungen und Schulungen unterwegs war, da
sie im wissenschaftlichen Außendienst arbeite. Auch im August sei sie unterwegs gewesen, die letzte
Woche habe sie in Hannover verbracht. Die Frist habe sie ohne Absicht in der Hektik des Alltags
übersehen. Mit Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2015 verwarf die Familienkasse den Einspruch als
unzulässig.
Mit ihrem bei Gericht gestellten Antrag wendet sich die Antragstellerin weiterhin gegen die Rückforderung
des Kindergelds. K habe im Jahr 2013 für seine im Jahr 2011 begonnene Ausbildung bei der Firma A ein
sehr gutes Abschlusszeugnis erhalten, das die Antragstellerin an die damals zuständige Familienkasse
geschickt habe. Die Familienkasse verhalte sich widersprüchlich, wenn sie die Festsetzung von Kindergeld
unter Bezugnahme auf das nichteingereichte Abschlusszeugnis aufgehoben habe. Am 20. November 2015
habe die Antragstellerin eine Vollstreckungsankündigung erhalten.
Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung des Bescheids vom 28. Juli 2015 und der Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2015
auszusetzen.
Die Familienkasse beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung im Wesentlichen auf die Einspruchsentscheidung.
Wegen des weiteren Sachverhalts und hinsichtlich des rechtlichen Vortrags wird auf die Schriftsätze der
Beteiligten sowie auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen.
Gründe
II.
Der Antrag ist gemäß § 69 Abs. 4 Satz 2 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig, da die Familienkasse
Vollstreckungsmaßnahmen durchgeführt hat, er ist aber unbegründet.
Bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen und auch ausreichenden summarischen Beurteilung des
Sachverhalts anhand präsenter Beweismittel bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3
und Abs. 2 FGO an der Rechtmäßigkeit des Bescheids (vgl. Bundesfinanzhof-BFH-Beschluss vom
24.2.2000 IV B 83/99, BStBl II 2000, 298), und zwar aus folgenden Erwägungen:
1. Die Familienkasse hat den Einspruch zu Recht als unzulässig verworfen, da er verspätet eingelegt
worden ist.
Gemäß § 355 Abgabenordnung (AO) ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des
Verwaltungsakts einzulegen. Im vorliegenden Fall gilt der Aufhebungsbescheid, der mit Absendevermerk
vom 28. Juli 2015 (Dienstag) versehen war, gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 31. Juli 2015 (Freitag)
bekannt gegeben. Die einmonatige Einspruchsfrist begann gemäß §§ 365 Abs. 1, 108 Abs. 1 AO i.V.m. §
187 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) an dem Tag, der auf die Bekanntgabe des Verwaltungsakts
folgte, somit am 1. August 2015 (Samstag) und endete gemäß § 108 Abs. 1 AO i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB
mit Ablauf des 31. August 2015, einem Montag. Da der Einspruch erst am 3. September 2015 bei der
Familienkasse eingelegt wurde, wurde die Einspruchsfrist versäumt.
2. Die Voraussetzungen für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 110 AO
lagen bei summarischer Prüfung nicht vor. Wiedereinsetzung ist gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1 AO zu
gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war. Dies
setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des
Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im
Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung
ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist
vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (vgl. BFH-Beschluss vom 24.1.2005 III R 43/03,
BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass es für eine Wiedereinsetzung nicht ausreicht, innerhalb der Antragsfrist
des § 110 Abs. 2 AO lediglich die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Vielmehr müssen innerhalb
dieser Frist auch die für eine Wiedereinsetzung wesentlichen Tatsachen schlüssig vorgetragen werden (vgl.
nur BFH-Beschluss vom 17.6.2010 IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655 m.w.N.). Lediglich die
Glaubhaftmachung der innerhalb der Frist vorgetragenen Gründe kann auch noch "im Verfahren über den
Antrag" erfolgen. Nach Ablauf der Frist des § 110 Abs. 2 AO können Wiedereinsetzungsgründe nicht mehr
nachgeschoben, sondern nur noch unklare und unvollständige Angaben ergänzt oder vervollständigt
werden (vgl. BFH-Beschluss vom 17.6.2010 IX B 32/10, BFH/NV 2010, 1655 m.w.N.; Rätke, in: Klein, AO,
11. Auflage 2012, § 110 Rn 45).
Im Streitfall war der Antragstellerin spätestens aufgrund der Ausführungen der Familienkasse im Schreiben
vom 11. September 2015 bekannt, dass sie die Einspruchsfrist versäumt hatte. Der bloße Hinweis auf ihre
Arbeitsbelastung und die durch ihre Außendiensttätigkeit verursachte Abwesenheit genügt den oben
genannten Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht, insbesondere hat sie die
Wiedereinsetzungsgründe nicht durch die Vorlage entsprechender Unterlagen (Fahrtenbuch, Protokolle
o.ä.) vollständig, substantiiert und genau vorgetragen.
3. Eine Aussetzung der Vollziehung kann auch nicht im Hinblick auf eine "unbillige Härte" gemäß § 69 Abs.
3 Satz 1 Halbsatz 2 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 FGO gewährt werden.
Eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte im Sinne dieser Vorschriften
liegt vor, wenn dem Steuerpflichtigen durch die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsaktes Nachteile
drohen, die durch eine etwaige spätere Rückzahlung des eingezogenen Betrages nicht ausgeglichen
werden oder nur schwer gutzumachen sind, oder wenn die Vollziehung zu einer Gefährdung seiner
wirtschaftlichen Existenz führen würde (Beschlüsse des BFH vom 21. Februar 1990 II B 98/89, BStBl II
1990, 510 und vom 5. März 1998 VII B 36/97, BFH/NV 1998, 1325).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im
Hauptsacheverfahren sind auch im Fall der Aussetzung der Vollziehung wegen unbilliger Härte zu
berücksichtigen. Da – wie oben ausgeführt – keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsaktes bestehen, kommt eine Aussetzung wegen unbilliger Härte nicht in Betracht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.