Leben hat Gewicht - BZgA Essstörungen

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Leben hat Gewicht - BZgA Essstörungen
Leben hat Gewicht
Fachtagung zum Thema Essstörungen
am 12. und 13. Februar 2009 in Berlin
Tagungsdokumentation
Impressum
Herausgeber
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Ostmerheimer Str. 220
51109 Köln
Verantwortlicher: Reinhard Mann
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www.bzga.de
Im Auftrag des
Bundesministeriums für Gesundheit
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Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
51101 Köln
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HEALTH-CARE-COM GmbH – Verlag und Agentur
Hanauer Landstraße 135-137, 60314 Frankfurt
August 2010, Köln
Alle Rechte vorbehalten
Gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit
aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages
Leben hat Gewicht
Fachtagung zum Thema
Essstörungen
am 12. und 13. Februar 2009 in Berlin
Tagungsdokumentation
INHALTSVERZEICHNIS
Einleitung
Begrüßung und Einführung
Parlamentarischer Staatssekretär Rolf Schwanitz, Bundesministerium für Gesundheit
Die Kommerzialisierung des Körpers
Prof. Susie Orbach (Übersetzung)
Beratung bei Essstörungen
Sigrid Borse, Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen gGmbH
Beratung bei Essstörungen – Zwischen Autonomiekonflikt und Empowerment
Kathrin Harrach, magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V.
Online-Beratung vs. herkömmlicher psychosozialer Beratung
Sylvia Baeck, Dick und Dünn e.V., Face to face-Beratung und Multiplikatorenarbeit
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Beratung“
Therapie bei Essstörungen
Dr. Ulrich Hagenah, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
Universitätsklinikum RWTH Aachen,
Therapie – Neue Aspekte der Behandlung
Prof. Dr. Manfred Fichter, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V. /
Klinik Roseneck (Prien) und Universität München
Zur stationären Behandlung von Essstörungen
Andreas Schnebel, ANAD e.V.
Integrierte Versorgung im „Therapienetz Essstörung“
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Therapie“
Gesundheitsförderung und Prävention von Essstörungen
Prof. Dr. Iris Pahmeier, Deutscher Olympischer Sportbund
Prof. Dr. Alexander Woll, Universität Konstanz, Sprecher der dvs Kommission Gesundheit
Prävention von Essstörungen und Gesundheitsförderung durch Sport
Margrit Hasselmann, Landesinstitut für Schule in Bremen
“Kribbeln im Bauch“ – ein präventives Tranzprojekt
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Prävention und Gesundheitsförderung“
Kommunikation & Medien
Daniela Kühne, Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V.
Die Rolle des Internets in der Kommunikation rund um das Thema „Essstörungen“
Bericht aus der Podiumsdiskussion „Kommunikation & Medien“
Schlusswort
Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Anhang
Tagungsprogramm im Überblick
Autorenverzeichnis / Kurzbiografien
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Die Präsentationen zu den Vorträgen finden Sie im Internet unter
www.leben-hat-gewicht.de und www.in-form.de
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EINLEITUNG
„Essen, was man will, essen, wenn
der Hunger da ist, jeden Bissen
genießen und aufhören, wenn man
satt ist, das ist die beste Prävention.“
(Prof. Susie Orbach)
Einleitung
Es hört sich so einfach an, ohne Essstörungen
durchs Leben zu gehen und ist für die Betroffenen
doch so schwierig.
Die Vorträge und Diskussionsbeiträge aus der
Tagung „Leben hat Gewicht – Fachtagung zum
Thema Essstörungen vom 12. bis 13. Februar 2009“
machen deutlich, dass abgestimmte und anschlussfähige Konzepte in Beratung, Therapie und Prävention notwendig sind, um den immer jünger werdenden, von Essstörungen betroffenen Patientinnen und
Patienten zu helfen. „Die enge Zusammenarbeit
aller – der beteiligten Ärzte und Ärztinnen, der Beratungs- und Therapieeinrichtungen sowie natürlich
der im Präventionsbereich Tätigen“ – sieht Rolf
Schwanitz, Parlamentarischer Staatssekretär des
Bundesministeriums für Gesundheit als wesentliche
Aufgabe, als er die Tagung eröffnet.
Diese Dokumentation richtet noch einmal den
Blick auf die drei Versorgungsformen Prävention/
Gesundheitsförderung, Beratung und Therapie einschließlich der Nachsorge, die im Mittelpunkt der
zahlreichen Vorträge und Workshops während der
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Tagung standen. Aus ihrem jeweiligen Blickwinkel
schildern die Vortragenden aus Wissenschaft und
Praxis ihre Arbeitsbereiche, vermitteln Probleme,
Erkenntnisse und Erfordernisse für eine bessere
Versorgung. Einen erweiterten Blick auf das Thema
Essstörungen erlaubt abschließend die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion „Kommunikation
und Medien“.
Die Dokumentation orientiert sich in ihrer Gliederung nicht mehr am zeitlichen Ablauf der Tagung
sondern folgt einem inhaltlichen Aufbau, um die
Debatte auch für diejenigen, die nicht teilnehmen
konnten, nachvollziehbar wiederzugeben. Die Beiträge der Vortragenden wurden redaktionell bearbeitet und gekürzt und doch weitgehend im jeweiligen persönlichen Stil belassen, die Diskussionen in
konzentrierter Form den Vorträgen zugeordnet.
Allen an der Tagung und dieser Dokumentation
Beteiligten danken wir für ihre engagierte Mitarbeit und wünschen uns, dass diese Veröffentlichung
dabei mitwirkt, die Situation von Betroffenen zu
verbessern.
BEGRÜSSUNG UND EINFÜHRUNG
Referent/Autor: Rolf Schwanitz
Parlamentarischer Staatssekretär im
Bundesministerium für Gesundheit
Begrüßung und Einführung
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
im Namen von Frau Bundesgesundheitsministerin
Ulla Schmidt begrüße ich Sie recht herzlich zur heutigen Fachtagung. Frau Ministerin hätte den Termin
gerne selbst wahrgenommen, da ihr das Thema Essstörungen sehr am Herzen liegt. Allerdings musste
sie kurzfristig zu einer Plenarsitzung zur Gesundheitspolitik in den Bundestag. Ich möchte Ihnen
allen für die konstruktive Vorbereitung der Veranstaltung und die aktive Unterstützung der Initiative
„Leben hat Gewicht“, in deren Rahmen Sie seit längerer Zeit tätig sind, danken.
Nach den Zahlen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys weist jeder fünfte Jugendliche in
Deutschland – in den meisten Fällen sind es Mädchen – Symptome einer Essstörung auf. 56 % der
13- bis 14-Jährigen sagen von sich selbst, sie wären
gerne dünner. Das sind erschreckende Zahlen, die
letztlich Auslöser dafür gewesen sind, dass die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Initiative
„Leben hat Gewicht“ gestartet hat. Sie setzte damit
ein Signal gegen ein unnatürliches und ungesundes
Körperideal. Die Initiative wird von prominenten Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus den verschiedenen
gesellschaftlichen Bereichen unterstützt: aus der Modeund Modellbranche, aus den Medien, der Werbebranche, Sport, Kultur, Musik sowie von Verbänden,
Beratungseinrichtungen und Fachgesellschaften.
Seit dem Auftakt der Initiative im Dezember 2007
ist viel passiert. Wir haben im Juni 2008 Jugend-
liche eingeladen, um mit ihnen über ihre Erfahrungen, Anliegen und Ängste zu den Themen „positives
Körperbild“ und „Schönheitsideal“ zu diskutieren.
Im Juli 2008 haben Vertreter der Deutschen Textilund Modebranche die Nationale Charta im Rahmen
der Initiative „Leben hat Gewicht“ unterzeichnet.
Mit dieser Charta ist ein wichtiges Zeichen gesetzt
worden: Die Unterzeichner verpflichten sich,
Models erst ab einem Body-Maß-Index von mindestens 18,5 und ab einem Mindestalter von 16 Jahren
zu beschäftigen. Das ist ein erster wesentlicher
Schritt, Veränderungen in der Praxis zu bewirken.
Zur Förderung der Selbsthilfepotentiale der Betroffenen führen wir ein Modellprojekt durch, bei
dem auch ländliche Gebiete einbezogen werden.
Wir alle wissen, dass die neuen Medien einen starken Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben.
Magersucht verherrlichende Blogs, die zum Teil konkrete, fehlorientierte Handlungsanleitungen
geben, sind ein großes Problem. Deshalb ist auch
die Stärkung der Medienkompetenz ein Anliegen
der Initiative „Leben hat Gewicht“. Wir wissen aber
noch nicht alles! Im Forschungsetat wurden daher
Mittel zur Verfügung gestellt, um neue Erkenntnisse zur Prävention und Therapie von Essstörungen zu erlangen.
Mit der heutigen Veranstaltung wollen wir den
fachlichen Dialog der Akteure verstärken und eine
bessere Vernetzung der Aktivitäten erreichen. Wir
sind uns alle einig, dass Essstörungen dann erfolgreich vorgebeugt werden kann, wenn sowohl die
zugrunde liegenden als auch die auslösenden
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BEGRÜSSUNG UND EINFÜHRUNG
Risikofaktoren besser behandelt werden. Das
gelingt nur, wenn es zu einem abgestimmten Agieren in der Behandlungskette kommt, die Information, Prävention, Beratung und Therapie integriert. Ein solches Ineinandergreifen muss das Ziel
sein – dazu brauchen wir das gemeinsame Gespräch
aller Beteiligten.
Wir müssen auch, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Prävention, das Umfeld der Betroffenen ansprechen. Denn es geht nicht nur um die
erkrankte Person allein. Es ist auch der Freundeskreis, das Lebensumfeld, die Eltern, die Lehrkräfte
und die Schule, die für eine erfolgreiche Präventionsarbeit erreicht werden müssen. Es darf keine
langwierige Odyssee von der Beratung zur Behandlung geben. Denn dadurch kann sich die Krankheit
erst manifestieren, sodass gravierende, teilweise
massive, invasive Eingriffe notwendig werden.
Wenn frühzeitig behandelt wird, können Folgeerkrankungen verhindert werden. Die enge Zusammenarbeit aller – der beteiligten Ärzte und Ärztinnen, der Beratungs- und Therapieeinrichtungen
sowie natürlich auch der im Präventionsbereich
Tätigen – ist die eigentliche Aufgabe die vor uns
liegt. Und hierzu, so hoffe ich, wird diese Fachtagung wichtige Impulse geben.
In den zurückliegenden Monaten haben wir verstärkt die Erfahrungen der Betroffenen für die Prävention herangezogen. Ich erinnere an die Jugendveranstaltung im Juni 2008 im Bundesministerium
für Gesundheit als ein Mitglied von der Musikgruppe Lexington Bridge seine eigene Erfahrung
geschildert hat. Dabei ist deutlich geworden: Es
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macht einen Unterschied, ob über Bulimie abstrakt
berichtet oder das Erleben aus eigener unmittelbarer Betroffenheit mitgeteilt wird. Für den Austausch
nutzen die Betroffenen häufig die neuen Kommunikationsmedien, insbesondere das Internet. Dies ist
heute ein zentrales Kommunikationsinstrument
wie beispielsweise die sogenannte Pro-Ana-Seiten
zeigen. Die Anonymität des Netzes hat für viele
Betroffene eine große Bedeutung. Deshalb ist es
unverzichtbar, dieses auch für die Präventionsarbeit einzusetzen und für die positiven Botschaften der Initiative zu nutzen. Ich bin froh, in dieser
Hinsicht bereits auf einen Erfolg hinweisen zu können. Vor kurzem wurde eine dieser Pro-Ana-Seiten
von der zuständigen Landesstelle für Medien aus
dem Netz genommen. Hinter diesem Erfolg stecken
zwei Monate intensive Beobachtung. Das ist ein
Beispiel, das hoffentlich Schule macht.
Es gilt aber auch weitere Herausforderungen
anzugehen. So ist mir die Stärkung der Zielgruppenarbeit ein besonderes Anliegen. Ich habe Informationsmaterial gesehen, das sich speziell an Jungen
richtet. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen wir ebenso gezielt ansprechen,
sodass unsere Botschaften möglichst viele Betroffene erreichen. Wie dies am besten gelingen kann
wird auch ein Thema dieser Fachtagung sein. In
den nächsten zwei Tagen werden Sie aus den Vorträgen und Diskussionen neue Anregungen – auch
aus dem internationalen Bereich – gewinnen. Dabei
werden gewiss auch neue Impulse für die Initiative
„Leben hat Gewicht“ gegeben. Ich wünsche Ihnen
ein gutes Gelingen!
DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS
Referentin/Autorin: Prof. Susie Orbach
Die Kommerzialisierung des Körpers
Körpergefühl und Körperhass
Ich werde nicht aus der Perspektive eines Psychotherapeuten oder Psychoanalytikers sprechen,
sondern von der Warte eines Menschen, der zu verstehen versucht, wie es heute um unseren Körper
und unser Körpergefühl bestellt ist. Sprechen werde
ich auch darüber, welche Gewalt wir uns in diesem
Zusammenhang antun und über die Industriezweige, die uns ein Gefühl von Körperhass („body
hatred“) vermitteln.
Ich beginne daher mit etwas, das mich derart
schockiert, dass ich immer wieder geneigt bin, es
aus meinem Kopf zu verbannen: Genitaloperationen. Es geht dabei nicht unmittelbar um Essstörungen, aber sie gehören zum Komplex des Angriffs
auf unseren Körper und dessen Kommerzialisierung. Genitaloperationen bei Frauen nehmen stark
zu. Der Zuwachs zwischen 2005 und 2006 betrug
20 % und steigerte sich im Jahr darauf nochmals um
denselben Prozentsatz. Betroffen sind hauptsächlich junge Frauen, die der Meinung sind, ihre Genitalien seien nicht so, wie sie sein sollten. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Behandlungsmethoden, wie Botox-Behandlungen im Schamlippenbereich bis hin zur operativen Wiederherstellung des Hymens. Wenn Sie sich die Websites
einiger New Yorker Schönheitschirurgen ansehen,
dann sehen Sie, wie eine perfekte Schamlippe auszusehen hat.
Es besteht eigentlich kein Unterschied zu dem,
was wir auf den Titelseiten der Magazine sehen:
perfekte Wimpern oder Fingernägel. Es handelt
sich lediglich um eine andere Körperregion – den
Genitalbereich – mit deren Aussehen man sich
nicht abfinden möchte.
Profitierende Industriezweige
Nach diesem – hoffentlich erfolgten – Schock,
möchte ich die Industriezweige benennen, die von
der Destabilisierung unserer Körper und der Erzeugung eines ablehnenden Körpergefühls profitieren:
Es sind die Glamour-Industrien, das ist ganz offensichtlich, es ist die Diätindustrie, es sind die Pharmaunternehmen, die Schönheitsindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und die Schönheitschirurgie.
Diese Branchen können nicht per se und in Gänze
für die Erzeugung von Körperhass verantwortlich
gemacht werden, aber sie profitieren sicherlich
davon und mit ihrer Hilfe ließe sich die Situation
verändern. Das gilt wohl nicht für die Diät- oder die
Pharmaindustrie, aber man könnte darüber nachdenken, auf welche Weise einige der genannten
Branchen einen positiven statt eines negativen
Beitrags leisten könnten.
Lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wie sehr wir umgeben sind von visuellen Landschaften und Eindrücken. Jeden Tag werden wir von
einer wahren Bilderflut überschwemmt, denn unsere gesamte Umgebung besteht aus Bildern. Nun
leben wir nicht nur in einer visuellen Kultur, sondern
diese Kultur erzeugt Darstellungen, in denen Schönheit lediglich ein oder zwei wünschenswerte Formen
besitzt. Diese Bilder werden gepaart mit dem An-
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DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS
spruch, dass wir stets und alle Zeit schön sein müssen.
Diese Bilder-Umwelt hat großen Einfluss auf Mädchen und Frauen. So zeigt eine weltweite Untersuchung, an der ich gemeinsam mit der Harvard-Wissenschaftlerin Nancy Ettcough beteiligt war, dass
90 % aller Frauen etwas an ihrem Körper verändern
möchten und sich keineswegs nur vorübergehend
mit diesem Gedanken beschäftigen. Sie sind mit sich
unzufrieden. Das ist beunruhigend, bedeutet es
doch, dass es möglicherweise auch 90 % der hier Anwesenden so geht! Und da dieser Zustand von außen
erzeugt wird, sollte niemand, der beruflich im
Bereich Essstörungen arbeitet, glauben, er sei von
diesem Druck nicht betroffen.
Das in der Glamour-Industrie erzeugte Bild von
Schönheit ist in den letzten 30 Jahren mit der Ästhetik eines immer schlankeren und immer hochgewachseneren Körpers verbunden gewesen. Dafür
gibt es eine Vielzahl kultureller Gründe. Interessant
ist jedoch, auf welche Weise wir von dieser Norm
beeinflusst werden, denn nur ein geringer Prozentsatz sieht tatsächlich so aus. Was noch verstörender
ist – selbst die Models, die für uns Schönheit repräsentieren, haben nicht das Gefühl einer integren,
stabilen Körperlichkeit. Nicht dass sie sich selbst
überhaupt auf den Fotos erkennen könnten, da ihr
Bild, egal in welcher Zeitschrift es erscheint, mit
Sicherheit digital verfremdet wurde.
Ein besonders abscheuliches Beispiel zum Thema
Missachtung des Körpers ist die Verwendung des
Body-Maß-Indexes – einer überkommenen und seltsam darwinistisch-statistischen Maßeinheit, die
absolut nichts mit Gesundheit zu tun hat. Ich habe
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eine Abbildung mit einem fettleibigen Mann und
einem, der sehr muskulös ist. Beide haben exakt
denselben BMI und werden – nach einer Neubewertung des BMI – nicht mehr den Übergewichtigen,
sondern den Fettleibigen zugerechnet. Beide Männer gelten als adipös – dazu braucht man schon eine
gehörige Portion Phantasie! Wenn Sie also das nächste Mal etwas über den BMI hören, dann sollten Sie
das nicht fraglos hinnehmen, stellen Sie die Politik,
die Gesundheitsindustrie in Frage! Es lässt sich viel
Geld verdienen mit der Schaffung einer Ästhetik des
Dünnseins und mit einem BMI-Standard, der auf die
meisten von uns gar nicht zutrifft. Gewinner hierbei
sind nicht wir, es ist die Diätindustrie. Sie sollen
Ihren BMI zwischen 20 und 25 halten, was eine willkürliche Maßgabe ist, aber eine einflussreiche und
genau die, von der die Diät-Industrie zehrt. Deshalb
sind viele Frauen und auch immer mehr Männer
ständig auf Diät und sie wähnen sich damit auf dem
richtigen Weg. Worauf ich Sie an dieser Stelle aufmerksam machen möchte: Wenn Diäten funktionieren würden, müsste sie jeder nur ein einziges Mal
machen. Diäten beruhen aber auf ihrem Scheitern.
Es bedarf einer Rückfallquote von 97 %, um die Diätindustrie so profitabel zu machen, wie sie es heute ist.
Es ist eine Form von Gewalt, die uns da angetan wird.
Am Beispiel der Firma Nutri-Chem, die begonnen
hat ihre Werbebotschaften auch an Männer zu richten, lässt sich vor Augen führen, wie erfolgreich
diese Industrie ist. Nicht genug, dass sie zielstrebig
und mit großem Ehrgeiz bereits große Teile des
weiblichen Markts – zumindest in den westlichen
Ländern – erobert haben. Es ist ihnen gelungen, das
Firmenwachstum innerhalb von 2 Jahren von zirka
1 Millionen auf 85 Millionen zu steigern und damit
einen Platz unter den reichsten 500 einzunehmen.
Das ist einfach nicht in Ordnung, oder? Was für eine
unglaubliche Wachstumsrate!
Nicht einmal die Pharmaindustrie verzeichnet
solche Erfolge. Wenn Sie sich die Zeitungen ansehen: fast jede Woche gibt es ein neues Wundermittel, eine neue Diätpille. Sie können an den Aktienmärkten beobachten, wie viel Geld in Aktien
dieser Firmen fließt. Selbst wenn ein solches Mittel
bekanntermaßen gefährlich ist, wie Fen-Phen,
bleiben die Produkte auf dem Markt, denn das ökonomische Risiko, Schadenersatz zahlen zu müssen
wiegt bei weitem nicht die Profite aus dem Verkauf
DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS
Es gibt eine große Zahl berechtigter und fundierter Kritikpunkte an der Lebensmittelindustrie, die
von Menschen geäußert werden, die selbst keinerlei
Interesse an Essstörungen haben. Die meisten dieser
Kritiker haben meiner Ansicht nach Recht. Es geht
darum, uns dazu zu bringen, mehr Lebensmittel aus
mehr Kategorien zu kaufen. Interessant ist jedoch,
dass parallel zum Verzehr von fettarmer Milch – in
der lediglich 1 % oder 2 % weniger Fett enthalten ist,
je nachdem ob Sie fettarme Milch oder Magermilch
kaufen – auch die Adipositas-Rate ansteigt. Denken
Sie einmal darüber nach, was da geschieht. Was
wird dem natürlichen Produkt entzogen? Was erzeugt dieses Gefühl mangelnder Befriedigung, sodass auf anderem Wege – und eher erfolglos – nach
dieser Befriedigung gesucht wird?
Mädchen, deren Körper noch mitten im Wachsen
begriffen sind: Dort ist von 2006 auf 2007 ein Anstieg
um 55 % zu verzeichnen. Unter äußerem Druck geben
viele ihrem Körper nicht einmal mehr die Chance,
sich von selbst richtig zu entwickeln. Wenn Sie in
Amerika zum Arzt gehen – ich hoffe das ist in Deutschland nicht genauso –, dann finden Sie dort sicher ein
kleines Heftchen auf dem etwas steht wie „Ihr Wunschkörper – noch heute!“. Der Doktor behandelt Sie
überaus freundlich, dabei sind Sie noch gar nicht
beim Schönheitschirurgen, sondern erst bei jemandem, der Sie dorthin überweist. Der Schönheitschirurg, wenn Sie denn hingehen sollten, weiß dann,
wie er aus ihnen einen schönen Menschen macht.
Etwa im Sinne von „Ich verstehe Ihren Schmerz!“.
Die Operationen werden zu einem Empowerment-Thema. Feministische Ideen werden vereinnahmt – Frauen sind nur gut zu sich selbst, wenn sie
sich den Körper schenken, den Sie verdienen und
auf den sie ein Recht haben. In Amerika – wo Klassenunterschiede eine größere Rolle spielen als an
den meisten anderen Orten der Welt – sieht man das
Ganze sozusagen demokratisch. Man kann für eine
Schönheitsoperation einen Kredit aufnehmen, so
als würde man ein Auto kaufen. Früher nahm man
einen Kredit auf, um sich einen schönen Swimming
Pool in den Garten zu stellen, heute lässt man seine
Brust vergrößern.
Wir kommen zur Schönheits- und Kosmetikindustrie – 160 Milliarden Dollar schwer. Die Wachstumsraten liegen derzeit – wie im letzten Jahr und im
Jahr davor – etwa beim 3-fachen der Wachstumsrate
unseres Bruttoinlandsprodukts. Sehr erfolgreiche
Firmen wie L’Oreal erzielen gar ein Wachstum von
14 %. Man muss den Menschen wirklich das Gefühl
geben, sie seien nichts wert, um solche Umsatzzahlen zu erzielen. Alle Zeitschriften, die ich heute
Morgen im Flugzeug durchgeblättert habe, wollten
mir die eine oder die andere Beauty-Creme verkaufen. Eine teurer als die andere, versteht sich. Die
gesamten Redaktionen dieser Zeitschriften gibt es
nur, damit sie solche Produkte verkaufen. Und wir,
wir lesen diese Zeitschriften zu unserem Vergnügen.
Die Ausgaben für Schönheitsoperationen lagen
2007 bei 14 Milliarden Dollar; für 2008 geht man von
einen Anstieg um eine weitere Milliarde aus – die
genauen Zahlen liegen uns noch nicht vor. Betrachten Sie die Zahlen für Brustvergrößerungen bei
Ich hoffe, ich konnte Sie davon überzeugen, dass
es sich hier um eine Kommerzialisierung des menschlichen Körpers handelt und dies ein wirklich
ernstzunehmendes und gravierendes Problem ist,
das wir in die ganze Welt exportieren – 35.000
Nasen-Operationen im Jahr im Iran; in China lassen
sich „fortschrittliche“ Leute die Beine brechen, um
mit Hilfe eines eingefügten Stabes um 10 Zentimeter
zu wachsen; Koreanerinnen lassen sich eine zusätzliche Lidfalte operieren; Frauen aus Lettland, Fidji
oder Nigeria, die modern sein wollen, machen eine
Diät und versuchen, ihren Körper in den Wunschkörper zu verwandeln, wie er überall auf der Welt
mit entsprechenden Bildern vorgegeben wird.
Wir müssen uns dagegen wehren und diesen
Industrien, die seelische Qualen und Leid erzeugen,
eine Abfuhr erteilen. Unter Ihnen sind viele Ärztinnen und Ärzte; Sie wissen von diesen Folterqualen
und den Schwierigkeiten, welche die betroffenen
Menschen ein Leben lang begleiten. Wir sehen
solcher Produkte auf. Verzeihen Sie meine Empörung, aber über so etwas muss man wirklich in Zorn
geraten!
Dann gibt es da noch die Nahrungsmittelindustrie.
Deren Wachstum entsteht dadurch, dass sie Lebensmittel in verschiedene Kategorien einteilt. Wenn Sie
fettarme Produkte herstellen, können sie auch fettreiche Nahrungsmittel verkaufen; wenn sie Lebensmittel für Feinschmecker anbieten, so muss es auch
„einfache“ Nahrungsmittel geben; verkaufen sie
Fertigprodukte et cetera.
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DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS
Kinder im Alter von sechs Jahren, die an einer
Essstörung leiden und bei denen wir nicht sicher
sind, ob wir ihnen helfen können; ihre körperliche
Instabilität ist so sehr Teil ihres Selbst, dass diese
Problematik sie bis ins Alter begleiten wird. Wir wissen von Frauen in Seniorenheimen, die sich seit
Jahren nicht so ernähren, wie ihr Appetit es ihnen
eigentlich gebieten würde. Das Traurigste für
jemanden wie mich, der sich seit langem mit diesen
Themen befasst, ist, dabei zuzusehen, wie nun auch
noch unsere Söhne Opfer werden.
Top-5-Agenda: Strategien und Maßnahmen
Wie gehen wir damit um? Zuallererst müssen wir
darauf aufmerksam machen. Bitte sprechen Sie über
diese erschreckenden Fakten, denn es sind Tatsachen, die uns alle angehen. Wie können wir in juristischer Hinsicht vorgehen? Hierzu habe ich eine Top5-Agenda, die zum Beispiel Vorbeugung und das
Ausüben von Druck beinhaltet. Ich bin sicher, Sie
haben selbst noch weitere Ideen. Bei einer Veranstaltung in Wien, an der ich kürzlich teilgenommen
habe, wurde als Maßnahme genannt, Klagen gegen
die Diätindustrie anzustrengen. Sie bewegt sich weit
außerhalb jeglichen gesetzlichen Rahmens für das
Funktionieren eines Produktes. Wenn wir in unserer
Kultur eine Fett-Phobie haben, dann sollten wir es
wirklich mit der Diätindustrie aufnehmen. Auch die
sexuelle Diskriminierung sollte thematisiert werden, die von den Herausgebern der Zeitschriften
durch die Darstellung – oder besser: Entstellung –
von Frauen ausgeübt wird. Das ist eine Art von
Gewaltausübung, gegen die wir uns wehren sollten.
Lassen Sie uns die Zusammenhänge aufdecken und
entlarven, die zu dieser lächerlichen Vorstellung von
einem BMI geführt haben, der überhaupt nichts mit
uns als Menschen zu tun hat, aber eine Menge mit
Profit für die Diätindustrie, die pharmazeutische
Industrie und die Gesundheitsindustrie. Die Maßzahlen des BMI wurden vor zwölf Jahren verändert, und
die Leute mussten plötzlich feststellen, dass sie dick
sind. Ein schönes Beispiel an dieser Stelle ist George
Clooney; unser Schwarm Clooney gehört zur Kategorie der Fettleibigen! Sollten Sie die Bilder, die ich
gezeigt habe, noch nicht überzeugt haben, denken
Sie an George Clooney! Ich glaube eine ganze Menge
der anwesenden Damen und auch Herren würden
Clooney nicht in die Kategorie „fettleibig“ stecken,
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sondern fänden ihn vielmehr doch recht attraktiv.
Als vierten Punkt brauchen wir Aufklärungs-Programme. Wir benötigen Programme, die einerseits
auf das emotionale Vermögen abzielen, sodass
Kinder und Jugendliche aus den ganz normalen
Problemen des Heranwachsens keine Aggression
gegen den eigenen Körper machen müssen. Wir
müssen ihnen aber auch dabei helfen, die Medien
kritisch zu betrachten, Medienkompetenz zu erwerben, damit sie den Herausgebern der Zeitschriften
gegenübertreten und verlangen können, dass sich
etwas ändert.
Es gibt schlichtweg keinen Grund anzunehmen,
Menschen könnten nicht mit ganz verschiedenen
Körperformen fabelhaft aussehen. Dafür gibt es
schon jetzt Beispiele. Rankin, der bekannte englische Mode-Fotograf, hat genau das gemacht. Er hat
für eine Zeitschrift Querschnittsgelähmte fotografiert. Das war so unglaublich sexy und verführerisch,
dass man sich am Ende tatsächlich gefragt hat, wozu
man selbst all diese Extra-Gliedmaßen hat, die auf
diesen Bildern nicht zu sehen waren. Es ist also möglich. Bildkünstler sind außerordentlich clever. Wir
brauchen sie nur auf unserer Seite.
Vorbeugung liegt mir ganz besonders am Herzen;
ich hoffe, dass die Anwesenden aus den Ministerien
dies vielleicht aufgreifen werden: Helfen Sie jungen
Müttern, die vielleicht Probleme mit ihrem eigenen
Essverhalten haben, denen nicht geholfen ist mit
einer Kultur von Stars und Promis, die ihnen suggeriert, dass sie ihr Kind per Kaiserschnitt auf die Welt
bringen sollten und kurz darauf wieder ganz obenauf sind, wie etwa die frühere französische Justizministerin. Wir wissen, dass junge Mütter ihre eigene körperliche Instabilität an die nächste Generation
weitergeben, auch wenn sie das gar nicht wollen. So
ließen sich zwei Zielgruppen auf einmal ansprechen:
Wir könnten junge Mütter und ihre Kinder dabei
unterstützen, keine Angst zu haben. Denn das ist genau das, was geschehen ist: Appetit und Körper sind
verängstigt.
Diskussion
Je früher Prävention stattfinde, desto besser, antwortet Frau Prof. Orbach auf die Frage nach frühen
Präventionsprogrammen zur Ernährung. Allerdings
sei die Einteilung in „gutes“ und „schlechtes“ Essen
nicht richtig. Besser sei es, verschiedene Nahrungs-
DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS
mittel kennen zu lernen und über Hunger und
Sattsein zu sprechen. So sei das Ampelsystem, das in
Großbritannien Nahrungsmittel in „gute“ oder
„schlechte“ einteile, ihrer Auffassung nach lächerlich. Es führe eben nicht dazu, dass die „grünen“
Sandwichs gekauft würden, sondern das Gegenteil
sei der Fall, da Verbotenes immer einen Reiz ausübe.
Sie empfiehlt stattdessen, den Umgang mit Essen
ähnlich „regellos“ wie das körperliche Bedürfnis des
Toilettengangs zu behandeln.
Frau Prof. Orbach weist in diesem Zusammenhang auf die Erfolg versprechende Arbeit mit jungen Müttern hin. Alles, was Mütter ihren Kindern
bewusst oder unbewusst im Umgang mit Essen zeigten gäben sie ihren Kindern vorbildhaft weiter.
Wenn die Kinder sähen, dass ihre Mütter nicht mit
Appetit essen oder einen verkrampften Umgang mit
dem Essen pflegten, präge sie dies in hohem Maß.
Deshalb müsse Prävention bei den Müttern ansetzen. In der Beratungsarbeit zeige sich immer wieder,
so eine Teilnehmerin, dass viele essgestörte Mädchen auch schon essgestörte Mütter hätten. Frau
Prof. Orbach stimmt dem zu und beschreibt, welche
verheerenden Auswirkungen es für Töchter habe,
wenn sie die Mutter, die ihren Körper hasst, vor dem
Spiegel erlebten. Ihrer Ansicht nach müsse es darum
gehen, Mütter im komplexen Beziehungsgefüge
Essen, Appetit und Hunger zu unterstützen, wieder
einen natürlichen Umgang damit zu finden. Ein solches Programm wäre sogar kostengünstig, denn es
gehe wirklich nur darum, den Unterschied zwischen
„hungrig“ und „nicht hungrig“ herauszufinden:
Essen, was man will, essen, wenn der Hunger da ist,
jeden Bissen genießen und aufhören, wenn man satt
ist, das sei die beste Prävention.
Auf die Frage, ob mit der industriellen Babynahrung als Ersatz für das Stillen nicht die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind beeinträchtigt werde, antwortet Frau Prof. Orbach, dass in
England diskutiert würde, wie lange Stillen empfohlen werden kann. Sie persönlich vertrete die Auffassung, dass sich dies selber reguliere, solange noch
eine ausreichende Sensibilität vorhanden sei. Beim
Stillen entstehe eine enge Abstimmung der Bedürfnisse von Mutter und Kind. Deshalb würden Frauen,
die in den ersten drei Monaten nach der Geburt hun-
gern, ihren Kindern eine große Last aufbürden, was
ihnen oft gar nicht bewusst sei. Frau Prof. Orbach
betont weiter, dass darüber hinaus Multiplikatoren
in Kindergärten und Schulen angesprochen werden
müssten. Auch sehr viele Lehr- und Fachkräfte unterlägen einem zwanghaften Umgang mit ihrem Körper
und Essen. Fett- und Magersucht seien immer nur die
augenfälligen Aspekte von Essstörungen. Es werde
deshalb ein differenzierter Ansatz benötigt, der
Hunger und Sattsein zum zentralen Schlüsselpunkt
erhebe.
Frau Prof. Orbach unterstützt auf Nachfrage aus
dem Publikum den Ansatz, kommerzielle Partner zu
finden und die Unternehmen mit in die Verantwortung zu nehmen. Sie berichtet von ihren Erfahrungen
mit dem Unternehmen Dove, mit dem sie seit fünf
Jahren zusammenarbeitet. Sie weist darauf hin, dass
nur einige wenige Frauen in der Dove-Kampagne
rund seien, gerade diese aber interessanterweise in
erster Linie mit der Kampagne in Verbindung gebracht
würden. Bemerkenswert an der Kampagne sei aber
vielmehr, dass Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit
dargestellt würden: mit ihren verschiedenen Körpergrößen, in unterschiedlichen Altersstufen, mit unterschiedlichen Hautfarben. Frau Prof. Orbach plädiert
nicht dafür, nun in Umkehrung des Hergebrachten
eine neue Ästhetik der runden Frauen zu etablieren,
sondern dafür, Frauen in ihrer Vielfalt Raum zu geben.
Entsprechende Kampagnen und Aktionen dürften
allerdings nicht langweilig „gesund“, sondern sie müssten spritzig, mit Glamour und „sexy“ aufgebaut sein.
Frau Prof. Orbach verweist in der Diskussion auch
auf die Irrationalität der Bekleidungsindustrie. Die
Kleider blieben im Laden hängen und dennoch hielten Unternehmen an dieser Verkaufsstrategie fest.
Sie halte es deshalb für einen guten Weg, mit den
Geschäften zusammenzuarbeiten, damit Kleidergrößen in ihrer ganzen Bandbreite angeboten würden. Es müsse darüber hinaus Wettbewerbe für
Modedesigner geben, die großartige und aufregende Mode für die unterschiedlichsten Größen entwikkelten. Nach ihrer Einschätzung bleibe nicht mehr
viel Zeit, um eine Bewusstseinsveränderung einzuleiten. Im postindustriellen Zeitalter habe eine beispiellose Bemächtigung des Körpers eingesetzt. Da
Veränderungen Zeit benötigten, hält sie es für dringend geboten, unmittelbar aktiv zu werden.
13
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Beratung bei Essstörungen
Beratung bildet in der gegenwärtigen Versorgungskette bei Essstörungen zumeist den ersten
Abschnitt. Hier finden die Betroffenen und Angehörigen in der Regel erstmals und niedrigschwellig
Gehör für ihre Fragen und Probleme. Der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten wird in
der Beratung zur ärztlichen oder klinischen Behandlung motiviert und findet auch in der Nachsorge
erneut Unterstützungen durch dort angesiedelte
Selbsthilfegruppen oder Online-Angebote. Mit mehreren Beiträgen und unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und Handlungsbedarfe wird dieses spezifische Versorgungsfeld abgesteckt.
Sigrid Borse vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen skizziert die Beratung bei Essstörungen im
Spannungsfeld zwischen Autonomiekonflikt und
Empowerment. Neben dem Clearing-Prozess, den Beratungsstellen mit den Betroffenen einleiten können und
dem Case Management, mit dem sie diese individuell
begleiten, beschreibt sie den Bereich der Prävention
und Gesundheitsförderung sowie die Fortbildung von
14
Multiplikatoren als wichtigen Aufgabenbereich der
Beraterinnen und Berater.
Online-Beratung als oft ersten und niedrigschwelligen Kontakt mit dem Hilfesystem ist Thema des
Beitrages von Kathrin Harrach. Seit 1999 arbeitet
magersucht.de mit dieser Beratungsform und zählt
mit einer umfangreichen Adressdatenbank, Klinikberichten, Literaturhinweisen und Foren zu den führenden Portalen für Selbsthilfe und Informationen
bei Essstörungen im Internet.
Kooperationen und lokale wie internationale Vernetzung beschreibt Sylvia Baeck als unabdingbar für
gute Beratungsarbeit. Sie ist Mitbegründerin der seit
25 Jahren tätigen Beratungseinrichtung Dick und
Dünn e.V. in Berlin, deren Angebot jährlich zirka
1.000 Menschen wahrnehmen.
Mit Impulsreferaten von Frau Katrin Raabe, Mädchenhaus Heidelberg e.V., und Ulrich Weigeldt,
Deutscher Hausärzteverband, wurde die Arbeitsgruppe „Beratung“ eingeleitet. Ihre Beiträge werden hier
ebenso wiedergegeben wie der anschließende
Diskussionsverlauf innerhalb der Arbeitsgruppe.
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Referentin/Autorin: Sigrid Borse
Frankfurter Zentrum
für Ess-Störungen gGmbH
Beratung bei Essstörungen – Zwischen
Autonomiekonflikt und Empowerment
Essstörungen – Betroffene und Ursachen
Die Prävalenz von Essstörungen hat in den letzten
30 Jahren zugenommen. Insbesondere Mädchen
und junge Frauen sind von Essstörungen betroffen:
bis zu 5 % der Mädchen und Frauen zwischen 14 und
35 Jahren leiden an Anorexie oder Bulimie. Hinzu
kommen Essstörungen mit Essanfällen, die sogenannte Binge-Eating-Störung. Hierunter leiden vor
allem erwachsene Frauen, aber auch Männer. Die
Prävalenz von Übergewicht und Adipositas, die
nicht im eigentlichen Sinne zu den Essstörungen
zählen ist in den letzten Jahren ebenfalls erheblich
gestiegen – sowohl bei Kindern und Jugendlichen
als auch im Erwachsenenalter. Die neueste Erhebung
zur Kinder- und Jugendgesundheit des Robert KochInstituts hat ergeben, dass bereits jedes fünfte Kind
in Deutschland im Alter zwischen 11 und 17 Jahren
essgestörte Verhaltensweisen zeigt. Diese Ergebnisse weisen deutlich auf die Notwendigkeit eines
Beratungsangebotes hin, das frühzeitig ansetzt und
den Betroffenen eine adäquate „Nahrung“ bietet.
Ein entscheidender Faktor bei der Entstehung von
Essstörungen sind die spezifisch weiblichen Sozialisationsbedingungen in unserer Gesellschaft. Wir
wissen, dass Essstörungen überwiegend Mädchen
und Frauen betreffen und müssen diese Dimension
in der Beratung berücksichtigen. Hierzu zählen die
widersprüchlichen Rollenanforderungen an Frauen
und insbesondere das gesellschaftlich vermittelte
Schönheits- und Schlankheitsideal, das rigide Normen für den weiblichen Körper vorgibt. Heute kön-
nen bereits 7-Jährige ausführlich über ihre Diäterfahrungen berichten. Auch die Zahl der Schönheitsoperationen hat in den letzten Jahren zugenommen. Wir erleben, dass nicht nur die Kleidung
zugeschnitten, sondern der Körper selbst zum
„zuschneidbaren“ Material wird.
Mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und
mit ihnen über Schönheitsideale, ihre Wünsche, die
Heilsversprechen von Schönheit und Attraktivität zu
sprechen, ist daher überaus wichtig. Es geht nicht
um den erhobenen Zeigefinger, nicht um Tabus und
auch nicht um unsere Normen sondern darum, in
einen Dialog zu treten.
Bei Schönheitsidealen denken wir in erster Linie
an die Normierung von Frauen und Mädchen. Aber
auch Jungen und Männer sind in den letzten Jahren
einem zunehmenden Konkurrenzdruck in Bezug
auf ihr Aussehen unterworfen. Bei ihnen spielt der
muskulöse Körper eine wichtige Rolle.
Beratung als qualitätsgesicherter ClearingProzesses
In der professionellen Versorgungskette von Essstörungen ist Beratung zumeist der erste und entscheidende Abschnitt. Beratungsstellen bieten Betroffenen und ihren Angehörigen Aufklärung und
Unterstützung sowie einen Raum, um Weichenstellungen für den weiteren Verlauf der Erkrankung
vornehmen zu können. Beratung kommt somit im
Versorgungssystem eine eigenständige und wichtige Rolle zu.
15
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Der Bundesfachverband Essstörungen e.V. hat Leitlinien zur Beratung von Essstörungen entwickelt,
die auf einer Studie zur Qualitätssicherung in der
Beratung und ambulanten Behandlung von Essstörungen beruhen. Eine zentrale Forderung der Leitlinien zielt auf eine essstörungsspezifische Beratungskompetenz. Die Beraterinnen und Berater müssen
über eingehende Kenntnisse der verschiedenen
Formen von Essstörungen, ihre möglichen Ursachen
und Konsequenzen und über Kooperationspartner
im ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen
sowie im stationären Bereich verfügen. Neben dem
Wissen über psychosoziale Zusammenhänge sind
grundlegende Kenntnisse über Ernährung und Ernährungsnotwendigkeiten erforderlich.
In der Beratung bei Essstörungen muss berücksichtigt werden, dass Betroffene oftmals erst sehr
spät Beratungsangebote in Anspruch nehmen und
dass sie in vielen Fällen mehrmals eine Beratungsstelle aufsuchen, bevor eine Behandlung begonnen
wird. Essstörungen sind mit starken Autonomie- und
Schamkonflikten verbunden. Für Betroffene – aber
auch für Angehörige – bedeutet das Aufsuchen einer
Beratungsstelle oftmals eine Kapitulation. Man hat
den eigenen Körper und das eigene Leben nicht
mehr im Griff. So sollten Beratungsstellen vor allem
für junge Menschen ein flexibles und offenes Setting
bieten, damit sensibel und zum passenden Zeitpunkt,
ein Behandlungsprozess eingeleitet werden kann.
Im Rahmen der Beratung erfolgt ein ClearingProzess. Das bedeutet zum einen Situationsabklärung – also psychologische Diagnostik und Erfassen
des sozialen Kontextes. Was ist das Beratungsanliegen? Welche Veränderungswünsche sind vorhanden? Worauf kann aufgebaut werden? Wichtig ist
auch die Vermittlung von Informationen über die
Risiken von Essstörungen. Oftmals werden gerade
die gesundheitlichen Risiken von den Betroffenen,
aber auch von Angehörigen negiert. Möglicherweise
können im Erstkontakt bereits mehrere Gespräche
im Sinne einer Beratungsreihe vereinbart werden.
Eine Klinikbehandlung ist zu diesem Zeitpunkt noch
nicht vorstellbar. Wir müssen also schauen: An
welchem Punkt steht die Person? Was kann sie zum
heutigen Zeitpunkt annehmen? Wie können wir sie
im Sinne von Empowerment begleiten ihren Weg
weiterzuentwickeln, selbst Verantwortung für den
eigenen Heilungsprozess zu übernehmen.
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Über die diagnostische Abklärung werden Art und
Schwere der Essstörung bestimmt, um angemessene
ambulante wie stationäre Behandlungsangebote
empfehlen zu können. Oft verfügen Beratungsstellen
selbst über ein Angebot zur ambulanten Behandlung oder auch über Gruppenangebote für Betroffene sowie für Angehörige. Es ist ein ganz entscheidender Punkt, Angehörige bei der Frage nach Schuld
und Versagen zu entlasten. Auch dies ist eine Form
von Empowerment, eine Förderung von Selbstverantwortung für das eigene Leben, damit sich bei den
Angehörigen nicht alles nur auf die erkrankte
Tochter oder den erkrankten Sohn konzentriert. Ist
dieser Prozess bei den Eltern erst einmal eingeleitet,
entspannt sich oftmals auch das Verhalten der
Kinder, die in vielen Fällen Verantwortung für ihre
Eltern mit übernehmen.
Wurde eine stationäre Behandlung eingeleitet, ist
es wichtig, dass Beratungsstellen eine Möglichkeit
der Nachsorge im Anschluss an einen Klinikaufenthalt anbieten, damit die erlernten Schritte vertieft
werden können und eine weitere unterstützende
Begleitung für die Betroffenen stattfindet. Nachsorge kann auf vielfältige Weise geschehen – online
sowie face-to-face. Mittlerweile gibt es sogar Erfahrungen, dass Nachsorge auch über SMS hilfreich sein
kann. Wir müssen uns an den Kommunikationsstrukturen der Jugendlichen orientieren und sollten
ihre Sprache sprechen, ihre Kommunikation aufgreifen und verschiedene Angebote nebeneinander
vorhalten.
Online-Beratung – Beratung zu jeder Zeit und an
jedem Ort
Bei Essstörungen werden Beratungsangebote von
den Betroffenen häufig zu spät aufgesucht, wenn
bereits eine Chronifizierung der Erkrankung eingetreten ist. Als Beratungsstelle bieten wir vor allem
„Komm-Strukturen“. Wir müssen aber insbesondere
neue „Geh-Strukturen“ entwickeln. Hierzu müssen
wir die entscheidenden Settings identifizieren, in
denen sich die betroffenen Jugendlichen aufhalten
und ihre Fragen stellen, zum Beispiel auf Pro-AnaSeiten im Internet. Die Jugendlichen, die auf ProAna-Seiten gehen, suchen eine Peer Group, und sie
suchen Unterstützung – zunächst einmal altersspezifisch und in Abgrenzung von Erwachsenen.
Online-Beratung ist eine aufsuchende Form der
Beratung, denn wir begeben uns in einen anderen
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Raum, in diesem Fall in einen virtuellen Raum. Wir
stellen ein professionelles Beratungsangebot zur
Verfügung und nehmen damit den Wunsch der Jugendlichen nach Peer Group-Unterstützung moderierend auf und bieten gleichzeitig ein professionelles Gegengewicht zu den Pro-Ana-Seiten.
Entscheidend bei jugendspezifischen Beratungsangeboten sind schnelle und unkomplizierte Zugangsmöglichkeiten. Jugendliche müssen jederzeit,
allerorts, kurzfristig Zugang zu Beratungsangeboten haben, kostenlos und bei Bedarf auch anonym,
wie beispielsweise bei der Online-Beratung.
Schnittstellen zwischen Beratung und
Prävention
Die Ergebnisse der KiGGS-Studie (Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts)
zeigen deutlich die Notwendigkeit, im frühen
Jugendalter anzusetzen, zielgruppenspezifische
Angebote zu entwickeln, Maßnahmen zur Früherkennung zu erweitern, Fachberatung und Fortbildung für pädagogische Fachkräfte zu intensivieren.
Settings wie Kinderbetreuungseinrichtungen,
Schulen und Jugendeinrichtungen kommt dabei
eine Schlüsselrolle als Schnittstelle von Prävention
und Beratung zu. In ihnen arbeiten pädagogische
Fachkräfte, die von ihrem Auftrag her als Partner
der Eltern zur Verfügung stehen. Und wir können
in einem Alter ansetzen, in dem sich gesundheitsschädigende Verhaltensweisen bei den Kindern
noch nicht verfestigt haben.
Beratungsstellen können den dort tätigen pädagogischen Fachkräften eine qualifizierte Fachberatung bieten, bei problematischen Einzelfällen
frühzeitig zur Verfügung stehen und auf weiterführende Hilfsmöglichkeiten verweisen. Ganz entscheidend ist hierbei, den Einrichtungen einen integrierten Ansatz von Gesundheitsförderung zu vermitteln,
der Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung
umfasst. Die Präventionsangebote sollten altersund entwicklungsgerecht aufgebaut sein. In Schulworkshops spielt beispielsweise das kritische Hinterfragen von Medienbildern eine große Rolle.
Eine weitere Aufgabe von Beratungsstellen sehe
ich in der Fortbildung pädagogischer Fachkräfte:
Ziele sind die Sensibilisierung für die Problematik
und eine Enttabuisierung von Essstörungen. Ein
wichtiges Thema in den Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte ist die eigene Essgeschichte der
Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Wie gehen wir
selbst mit Essen um – bei Stress, bei Trauer, bei Ärger
und so weiter? Hier gilt es, die eigene Geschichte,
das eigene Verhalten zu reflektieren. Pädagogische
Einrichtungen stoßen beim Thema Ernährung und
Essen schnell an sensible Grenzen. Eltern erleben
Ernährungserziehung in den Einrichtungen oftmals
als einen Angriff auf ihre Intimsphäre. Für Eltern
unterstützende Angebote bedeutet dies, offen zu
sein für die Fragen der Eltern, frühzeitig Orientierung zu geben, Beratung zur Verfügung zu stellen und Elternkompetenzen zu stärken. Nicht die
Defizite sollten im Vordergrund stehen sondern eine
ressourcenorientierte Betrachtung der
Möglichkeiten und Kompetenzen.
Bedarfsgerechte Beratungs- und
Behandlungsketten
Eine bedarfsgerechte Versorgung bei Essstörungen erfordert sequenzielle, aufeinander abgestimmte Versorgungsangebote und eine starke Vernetzung aller in einer Region beteiligten gesundheitsrelevanten Akteure. Das sind Ärztinnen und Ärzte,
Lehrerinnen und Lehrer, pädagogische Fachkräfte in
Kinderbetreuungseinrichtungen und viele andere
Institutionen wie Gesundheitsämter. Diese Kooperation sollte auch dazu beitragen, dass wir über die
Grenzen der unterschiedlichen Professionen hinaus
voneinander lernen, stärker aufeinander zugehen
und das Thema Essstörungen als Querschnittsaufgabe begreifen. Alle Angebote sollten als eine
Beratungs- und Behandlungskette ineinander greifen.
Exemplarisch kann dies folgendermaßen aussehen:
Es findet ein Erstkontakt über eine Online-Beratung
statt. Diese führt zur Aufnahme eines Beratungsgespräches in einer Beratungsstelle. In einer Beratungsreihe kann die Behandlungsmotivation der
betroffenen Person gefördert werden, was die Aufnahme einer stationären Behandlung zur Folge hat.
Im Anschluss an den Klinikaufenthalt findet eine
ambulante Nachsorge oder eine Unterstützung über
Online-Beratung und SMS satt. Hier heißt es, kreativ
zu sein, Vielfalt zu bieten und die individuelle
„Nahrung“ zu finden, welche die betreffende Person
benötigt.
Diskussion
Die Gründe für eine späte oder ausbleibende
Inanspruchnahme seien vielschichtig, entgegnet
17
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Frau Borse auf die Frage, warum viele Betroffene erst so
spät Beratung, Behandlung und Therapie in Anspruch
nähmen und seien sowohl im Krankheitsbild als auch in
der schwachen Versorgungsstruktur zu finden.
Bundesweit existierten bislang viel zu wenige Beratungsstellen für kurzfristige Hilfen. Und der Zugang zu
Beratung und Hilfe müsse niedrigschwelliger angelegt
werden, damit diese frühzeitiger aufgesucht würden.
Betroffene sollten ihre Fragen dort stellen können, wo
sie sich ohnehin aufhalten und bereits Vertrauen zu
Bezugspersonen aufbauen konnten. Aus diesen Settings
– etwa der Jugendarbeit und Schule – heraus könnten
die Jugendlichen dann auf den Weg zur Beratung und
Therapie „mitgenommen“ und begleitet werden.
Aus Sicht der Eltern gebe es viele nachvollziehbare
Gründe, oft „zu spät“ – wie sich eine Teilnehmerin ausdrückt – Hilfe aufzusuchen, erläutert die Referentin.
18
Die körperlichen und seelischen Symptome der Erkrankung entstünden schleichend, und durch die Gewöhnung im täglichen Miteinander könnten sie aus der
Wahrnehmung geraten.
Allerdings hätten es auch die Eltern, die sich bei Ärztinnen und Ärzten melden, oft schwer. In einigen Fällen
würden sie mit dem Vorwurf konfrontiert, zu spät gekommen zu sein, wodurch im Nachhinein die Ängste
bestätigt würden, die Eltern vom frühzeitigen Aufsuchen
von Beratungs- und Hilfsangeboten abhielten. Eltern
berichteten aber auch, dass sie sich um medizinische
Hilfe bemüht hätten, dort aber kein Problembewusstsein bestanden habe beziehungsweise sie abgewiegelt
worden seien. Auch hier wirkten sich die bundesweit
uneinheitlichen und lückenhaften Versorgungsstrukturen aus, ergänzt Frau Borse. Es sei nicht ohne
weiteres möglich, fachkompetente Stellen zu finden,
wenn Beratung und Hilfe dringend erforderlich seien.
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Referentin/Autorin: Kathrin Harrach
magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V.
Online-Beratung vs. herkömmlicher psychosozialer Beratung
magersucht.de
magersucht.de ist eines der führenden Internetportale für Selbsthilfe und Informationen bei Essstörungen. Anbieter ist der gleichnamige, gemeinnützige Verein, der 1999 gegründet wurde und seit
dieser Zeit auch Online-Beratung zu allen Formen
von Essstörungen anbietet. Aufgrund begrenzter
Kapazitäten liegt der Informations-Schwerpunkt
jedoch in der Beratung bei Magersucht. Unser Team
besteht vor allem aus ehrenamtlich Tätigen und
Honorarkräften, darunter auch ehemals Betroffene,
die sich engagieren wollen.
Wir stellen eine große, nach Postleitzahlen sortierte Adressdatenbank zur Verfügung, die Kliniken,
Therapeuten und Beratungsstellen umfasst, die sich
mit Essstörungen auseinandersetzen. Durch über
20 Klinikberichte, die von Betroffenen geschrieben
wurden, können Interessierte etwas über den stationären Therapiealltag erfahren. Die umfangreiche
Materialiensammlung ist nach Literatur für Angehörige, Ratgeber, Erfahrungsberichte sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen sortiert. In einem Forum
können sich Betroffene untereinander austauschen.
Beratungsangebot
Unser zentrales Angebot ist die Online-Beratung.
Diese umfasst E-Mail-Beratung, Einzelchat, Gruppenchat und Online-Foren. E-Mail-Beratung bieten wir
über die Software beranet.de an. Dabei stellt der
Nutzer seine Anfrage im Internet – anonym ohne
Angabe von Namen oder E-Mail-Adresse. Die Anfrage
erscheint bei der Beraterin/dem Berater, die/der ihre/
seine Antwort auf dem Server ablegt, wo sie nur
vom Betroffenen „abgeholt“ werden kann. In der Einzel-chat-Beratung bieten wir Termine an, die von
Betroffenen gebucht werden können. Wenn bei
der Buchung eine E-Mail-Adresse hinterlassen wird
– welche die Beraterin/der Berater nicht sehen kann –
erhalten die Nutzer eine Bestätigung. Werden keine
E-Mail-Angaben hinterlegt, müssen sie sich den
Termin merken und zum gebuchten Zeitpunkt auf die
Internet-Seite gehen. Der Chat ist dann nur für diesen
Benutzer offen und für 40 Minuten besteht die Möglichkeit im Zweierchat anonym zu kommunizieren.
Der Gruppen-Chat findet einmal im Monat statt.
Hier haben Betroffene die Möglichkeit, sich untereinander – ebenfalls anonym – auszutauschen. Dabei
chatten Nutzer „verschiedener Stadien“: Personen,
die am Anfang einer Essstörung stehen und Betroffene, die bereits durch einen Therapieprozess gegangen sind und andere unterstützen wollen.
Das moderierte Online-Forum kann man sich als
schwarzes Brett vorstellen. Man loggt sich ein, erhält einen Benutzernamen und kann dann Beiträge
schreiben, auf die andere gegebenenfalls antworten. Für die Betroffenen ist es sehr wichtig, dass darüber auch längerfristige Kontakte entstehen können.
magersucht.de unterhält noch ein weiteres Forum,
mit Unterforen für Betroffene, Angehörige, Lyrik et
cetera. In allen Foren achten Ehrenamtliche auf die
Einhaltung der Regeln, zum Beispiel darauf, dass
keine Tipps pro Magersucht ausgetauscht werden.
19
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Nutzen-Statistik
Online-Beratung bedeutet viel Arbeit und kann
nicht von einer Beratungsstelle oder Klinik zwischen-
durch oder nebenbei angeboten werden. Unsere Web-
site hat derzeit über 1.000 Besucher pro Tag. Bei uns
gehen jährlich zwischen 350 und 400 E-Mails ein und
etwa 100 bis 150 Einzelchats werden wahrgenommen.
Wir haben unsere Zahlen mit denen der Beratungs-
stelle beim Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen
dahingehend verglichen wie viele Beratungen abge-
sagt oder nicht wahrgenommen werden. Die Online-
Beratung kommt bei diesem Vergleich sehr gut weg
und ist damit recht verbindlich. An Gruppenchats sind
ungefähr acht bis 12 Personen pro Chatabend betei-
ligt. Die Zahlen variieren, die Gruppenchats werden
aber im Grunde gut angenommen.
Etwa 95 % der Nutzer sind weiblich, 2 % geben als
Geschlecht männlich an, der Rest macht keine Angaben. Die Hauptnutzer unserer Online-Beratung
bewegen sich zwischen 15 und 25 Jahren mit einer
Konzentration auf der Altersgruppe der 20-Jährigen.
Beratungsanlass sind in 83 % der Fälle Essstörungen
und Themen, die damit zusammenhängen:
Therapie, Ängste und Depressionen, sexueller Missbrauch, selbstverletzendes Verhalten.
Gründe für die Online-Kontaktaufnahme
Bei 80 % der Nutzer ist der Kontakt zu uns die erste
Begegnung mit dem Hilfesystem. Das sind Frauen
oder Mädchen, die noch nie in einer Beratungsstelle
oder bei einer Therapeutin/einem Therapeuten
waren und keinerlei Klinikerfahrung haben. Diese
Niedrigschwelligkeit ist ein Grund für die Nutzung
der Online-Beratung. Online können die Frauen
über ihre Befindlichkeit sprechen, ohne befürchten
zu müssen, dass sie jemand am Arm nimmt und
direkt zur Beratungsstelle oder zur Therapeutin/
zum Therapeuten führt. Sie können sich notfalls
wegklicken und fühlen sich so geschützt. Sie haben
die freie Wahl und die volle Kontrolle, was für
Essgestörte sehr wichtig ist. Genau das ermöglicht es
ihnen, den ersten Kontakt herzustellen.
Ein häufiger Grund für die erste Kontaktaufnahme
ist die Abklärung, ob überhaupt eine Essstörung vorliegt. Die Frauen erzählen, dass sie sich schon ein
halbes Jahr lang dreimal am Tag erbrechen und wissen scheinbar immer noch nicht genau was los ist.
Eigentlich wissen sie es schon, aber sie brauchen die
20
Bestätigung, dass tatsächlich eine Essstörung vorliegt und sie krank genug sind, um Hilfe in Anspruch
nehmen zu dürfen. Es wenden sich auch Angehörige
an uns, die vor allem für Betroffene Hilfe suchen.
Und natürlich stellen die Betroffenen auch Fragen
nach Unterstützungsangeboten, Therapiemöglichkeiten, nach Kostenübernahme durch die Krankenkasse und so weiter.
Zwei Wege führen üblicherweise in die OnlineBeratung. Zum einen der Gruppenchat, durch den
man sich auch ein Bild von der Person machen kann,
die Beratung anbietet. Wenn die Nutzer den Eindruck gewinnen, die sei in Ordnung, kommen sie
auch in den Einzelchat oder in die E-Mail-Beratung.
Häufig erfolgt aber die erste Kontaktaufnahme über
E-Mail, darauf senden wir eine Antwort, und wenn
sich eine kommunikative Beziehung ergibt – die
Beraterin/der Berater etwas Hilfreiches zurückmelden konnte – geht es weiter. Der nächste Schritt ist
meistens die Einzelchat-Beratung und evtl. die
Nutzung weiterer Angebote.
Grenzen der Online-Beratung
Es gibt natürlich auch Grenzen der Online-Beratung, beispielsweise, wenn eine tiefer gehende Behandlung, etwa ambulante oder stationäre Therapie
notwendig wird. Wir können dann allenfalls an den
Ängsten davor arbeiten. Die Grenze ist auch erreicht,
wenn die Online-Beratung sich über einen längeren
Zeitraum erstreckt. Für die Frauen besteht dann die
Gefahr, dass sie in diesem Kontakt stecken bleiben
und nicht in der Behandlung fortschreiten. In solchen Fällen bemühen wir uns, die Betroffenen aus
der Online-Beratung in eine Therapie überzuleiten.
Online-Arbeit stößt auch an Grenzen, wenn die
Betroffenen das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt äußern. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass
sie online mit jemanden reden konnten und halten
nun auch ein persönliches Gespräch für möglich.
Und die Grenze erreichen wir, wenn eine individuelle, nicht-anonyme Einschätzung der Beratungssituation geboten ist, das heißt wenn aus unserer
Sicht ein persönliches Gespräch, ein persönlicher
Kontakt – zum Beispiel zu einer Ärztin/einem Arzt –
wichtig wäre.
Vernetzung
Vernetzung herzustellen ist uns ein wichtiges
Anliegen. Ein Online-Angebot ist ortsungebunden,
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
aber irgendwann gehen die Frauen in die persönliche Beratung und dazu ist es notwendig, vernetzt zu
sein und über weiterführende Angebote Bescheid
zu wissen. Hierfür sollten qualitätsgesicherte Informationssammlungen und Adressdatenbanken aufgebaut werden, damit Betroffene sicher sein können,
dass sie an kompetente Ansprechpartner geraten.
Pro-Ana
Zum Abschluss möchte ich kurz auf das Pro-AnaPhänomen und die entsprechenden Web-Seiten eingehen. Grundaussage der Betreiber dieser Seiten ist,
dass Anorexie und Bulimie keine Krankheiten sind,
sondern ganz bewusst gewählte Lebensentwürfe
und Livestyles. Die Betreiber pochen auf freie Meinungsäußerung, aber wenn so viele Menschen dadurch geschädigt werden, sollten wir doch dagegen
vorgehen. Wir haben von magersucht.de aus schon
mindestens zehn Seiten abschalten lassen. Deshalb
möchte ich auch zu einer Vernetzung gegen ProAna aufrufen. Auf jugendschutz.net gibt es beispielsweise die Möglichkeit, bedenkliche InternetSeiten zu melden.
Darüber hinaus wäre es meines Erachtens richtig,
in der Öffentlichkeit Zurückhaltung beim Pro-AnaThema zu üben. Ich finde es gefährlich, öffentlich
über Pro-Ana zu sprechen, und bedauere, dass in
Zeitungen dauernd darüber geschrieben und Betroffenen dadurch der Weg zu Pro-Ana gewiesen wird.
Diskussion
Eine Teilnehmerin wendet ein, ob nicht die Gefahr
bestünde, dass Eltern von Betroffenen nicht von ProAna-Seiten erfahren und ihre Kinder somit schlechter schützen könnten, wenn nicht mehr öffentlich
darüber berichten würde. Frau Harrach beschreibt
dazu, dass in der Beratung viele Mädchen angäben,
dass sie erst über die öffentliche Berichterstattung
von diesen Seiten erfahren und diese daraufhin
besucht hätten. Insofern sei abzuwägen, was gefährlicher sei. Wenn man sich klarmache, dass Eltern
ohnehin nur sehr begrenzte Kenntnis davon hätten,
was ihre Kinder im Internet ansteuerten sei der
Schutz der Betroffenen durch ausbleibende Publicity höher zu bewerten.
Eine Vertreterin von jugendschutz.net weist
auf die neu erschienene Broschüre „Gegen Verherrlichung von Essstörungen im Internet. Ein Ratgeber
für Eltern, Fachkräfte und Provider“ hin, die beim
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
und Jugend kostenfrei bestellt oder heruntergeladen werden könne. In dieser Broschüre werde
sachlich über die Problematik aufgeklärt und es
würden Hinweise gegeben, wie Eltern, Fachkräfte
oder Provider reagieren könnten. Es sei wichtig,
dass Eltern und Fachkräften sachliche und seriöse
Informationen dazu vorlägen und diese Seiten von
möglichst vielen bei jugendschutz.net gemeldet
würden.
21
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Referentin/Autorin: Sylvia Baeck
Dick und Dünn e.V.
Face to face-Beratung und Multiplikatorenarbeit
Dick und Dünn e. V.
„Dick und Dünn e. V.“ ist seit 25 Jahren im Bereich
psychogener Essstörungen tätig. Durchschnittlich
suchen zirka 1000 Menschen im Jahr Kontakt zu uns
und etwa 23 Gruppen werden jährlich betreut. Wir
können daher Trends beobachten und auf diese reagieren, zum Beispiel dass Anfragen von Eltern und
Angehörigen deutlich zugenommen haben. 300
Menschen sind zurzeit bei uns in Betreuung; zum
Teil sind sie von Kolleginnen und Kollegen geschickt
worden, die ihnen eine Gruppe empfohlen haben.
Etwa 300 kommen ab und zu wieder – weil sie rückfällig geworden sind oder weil sie uns erzählen
wollen, wie gut es ihnen inzwischen geht. Meistens
sind es aber doch diejenigen, die eine neue Klinik
suchen oder einen weiteren Anlauf zur Behandlung
nehmen. Hier bietet die Beratungseinrichtung
einen wichtigen „roten Faden“.
Verschiedene Zielgruppen in der Beratung
Wir beraten Betroffene in der Gruppe oder im
Einzelgespräch. Und wir beraten Eltern und Angehörige. In den letzten Jahren haben wir als Trend
beobachtet, dass Eltern Essstörungen sehr viel früher entdecken. Sie kommen in die Beratungseinrichtung und sagen: „Wissen Sie, ich habe da so einen
Verdacht ...“. Sie hoffen natürlich, dass wir diesen
nicht bestätigen. In 99 % der Fälle ist der Verdacht
der Eltern aber leider berechtigt. Dann stellt sich
häufig die Frage: Was machen die Eltern, wenn die
Kinder/Jugendlichen nichts machen wollen? Hier
22
setzt unsere Arbeit an. Drei, vier Monate später
kommen meist auch die Töchter beziehungsweise
Söhne mit, oft weil sie ärgerlich über das sind, was
wir den Eltern empfehlen und an Wissen vermitteln.
Die Jugendlichen kommen zunächst nicht sehr
wohlwollend zu uns, sondern eher neugierig und
auch kontrollierend. Sie sind aber immer willkommen! Bei der Terminvergabe für die Elternberatung
bieten wir deswegen an, dass die Tochter oder der
Sohn immer, auch spontan mitkommen kann.
Die Einbeziehung von Eltern und Angehörigen ist
sehr wichtig. Als ich vor über zwanzig Jahren anfing,
war das nicht so selbstverständlich. Da hieß es: Autonomiekonflikt – weg von den Eltern. Möglichst nach
der Klinik gleich in eine eigene Wohnung. Inzwischen haben wir ganz andere Erfahrungen. Mein
Anliegen ist es stets, auch die Eltern mit ins Boot zu
holen. Natürlich arbeiten wir getrennt, wenn die
betroffenen Mädchen und Jungen sagen, sie wollen
nicht gemeinsam mit den Eltern beraten werden.
Ebenfalls entwickelt hat sich ein Beratungszweig
für Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen
Fachbereichen – beispielsweise Kindergärten. Wir
haben einen fixen Profi-Beratungstermin eingeführt, um uns zu entlasten und fassen damit ähnliche Anliegen zusammen. Als zusätzlichen positiven
Effekt ergibt sich eine Vernetzung, die den kollegialen Austausch ermöglicht und fördert. Seit kurzem
findet einmal monatlich eine Schülerinformation
statt, denn sehr häufig kommen auch Schüler, die
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Arbeiten über Essstörungen schreiben müssen und
Material erfragen. Die Schülerinformation bündelt
diese Anfragen.
Ziele und Inhalte der Beratung
Eines unserer wesentlichen Ziele bei der Beratung
ist die Entlastung und Information über Hilfsmöglichkeiten für Eltern und natürlich auch für Betroffene. Es werden vor allem Fragen nach Diagnostik
und Folgebehandlung gestellt. Eltern sind oft sehr
niedergeschlagen und am Ende ihrer Kraft. Da kann
bereits ein Gespräch Erleichterung schaffen. Fast
wichtiger als diese Fachinformationen ist die Motivationsarbeit, die wir als Beratungseinrichtung leisten. Wir arbeiten in der Regel an der Eigenmotivation der Klientinnen und Klienten, selbst eine
professionelle Behandlung aufzunehmen. Das ist
häufig sehr schwer, vor allem dann, wenn schon
viele andere Versuche gescheitert sind.
Kooperationspartner/ lokale Vernetzung
Vernetzung ist unabdingbar. Wir haben versucht,
Klinikerinnen/Kliniker, Psychologinnen/Psychologen, Therapeutinnen/Therapeuten, Ärztinnen/Ärzte,
an einen Tisch zu bringen – unter anderem auch bei
Tagungen. Wir arbeiten mit Hausärztinnen/Hausärzten zusammen, mit Fachärztinnen/Fachärzten für
Inneres, für Gynäkologie, Kinderheilkunde, mit
Zahnärztinnen/Zahnärzten. Wir geben den Klientinnen und Klienten eine Checkliste 1 mit, was Ärztinnen/Ärzte untersuchen sollen, da niedergelassene
Mediziner in diesem Bereich häufig nicht ausreichend kompetent sind. Wir wünschen uns hier
eine bessere Aus- beziehungsweise Fortbildung
und sind froh, dass wir inzwischen einige Ärztinnen/Ärzte auf unserer Liste haben, auf die wir uns
verlassen können.
Vor mehr als zwei Jahren haben wir die Wohngemeinschaften „Bitter & Süß“ mitgegründet.
Solche Nachsorgeangebote sind ein wichtiges Behandlungselement. Was fehlt sind fachspezifische
tagesklinische Einrichtungen. In Berlin gibt es
tagesklinische Einrichtungen, aber keine, die auf
Menschen mit Essstörungen spezialisiert sind. In
allgemeinen tagesklinischen Einrichtungen sind
unsere Frauen nicht optimal untergebracht. Problematisch ist es auch, wenn eine Klientin/ein Klient
mit einer Essstörung in einer psychosomatischen
Klinik ist, in der aufgrund mangelnder Patientinnen
und Patienten mit Essstörungen keine Gruppenarbeit möglich ist.
Viele bulimische Frauen sind hoch verschuldet
und wissen gar nicht, wie sie ihr Leben mit dieser
Last gestalten sollen. Auch diese Probleme müssen
wir einbeziehen – zum Beispiel in Verbindung mit
Schuldnerberatungsstellen. Ebenfalls eingebunden
sind Familienberatungsstellen, wenn es familiäre
Konflikte gibt, schulpsychologische Dienste, Wohngemeinschaften, Frauen- und Mädchen-Beratungsstellen, SEKIS Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle. Vernetzt sind wir auch mit Alkohol- und
Drogenberatungsstellen, denn wir haben viele
Klientinnen und Klienten mit Mehrfachabhängigkeiten. Es ist ganz selten, dass jemand „nur“ eine
Magersucht oder „nur“ eine Bulimie hat. Gerade bei
Männern, die bulimisch sind, oder bei Übergewichtigen mit Binge Eating Disorder besteht häufig eine
zusätzliche Alkoholproblematik. Bei Bedarf kooperieren wir mit Einrichtungen zum Thema sexueller
Missbrauch; denn viele unserer Klientinnen und
Klienten haben grenzverletzende Erfahrungen hinter sich. Um bundesweite Vernetzung bemühen
wir uns über den Bundesfachverband Essstörungen
und Internetanbieter wie magersucht.de und
Hungrig-Online.de. Auch Krankenkassen betrachten
wir als unsere Kooperationspartner, da sie Selbsthilfegruppen inzwischen zumindest finanziell
unterstützen müssen.
Weitere Aufgaben einer Beratungseinrichtung
Beratungseinrichtungen sind der rote Faden für
Betroffene und Angehörige – bis in die Folgearbeit,
die häufig in den Selbsthilfegruppen stattfindet.
Selbsthilfegruppen werden von uns initiiert und
betreut. Dieses kostengünstige und niedrigschwellige Versorgungsinstrument ist auch für Angehörige
eine große Hilfe. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützten Initiative
„Wenn Essen zum Problem wird“ erheben wir zurzeit, wie viele Beratungseinrichtungen und Selbsthilfeangebote es bundesweit zu Essstörungen gibt.
Die Recherche ist noch nicht abgeschlossen, aber
wir haben bis jetzt festgestellt, dass es nur zirka 26
ausschließlich essstörungsspezifische niedrigschwellige Beratungseinrichtungen gibt. Es gibt viele
Stellen, die unter anderem zu Essstörungen beraten,
aber diese 26 beschäftigen sich ausschließlich mit
dem Thema Essstörungen. Sie konzentrieren sich in
23
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Hamburg, München, Frankfurt und Berlin. Es gibt
ganze Flächen in der Bundesrepublik, die überhaupt
nicht versorgt sind. Deswegen sind Online-Angebote
auch so wichtig. Wenn man überlegt, dass es ebenso
viele essgestörte Menschen geben soll wie Alkoholkranke, sind bundesweit 26 Einrichtungen doch viel
zu wenig!
Diskussion
Auf die Nachfrage einer Teilnehmerin bestätigt
Frau Baeck, dass die Selbsthilfe in den letzten
1
24
Jahren grundsätzlich unter Imageverlust leide. Es
werde die Frage aufgeworfen, was das Erzählen
über die Krankheit den Betroffenen wirklich bringe.
Diese negative Einschätzung sei ihrer Meinung
nach aber nicht zutreffend, da Selbsthilfegruppen
tatsächlich Hilfe auf hohem Niveau bieten könnten. Allerdings vertritt auch Frau Baeck die Ansicht,
dass angeleitete und moderierte Gruppen am zielführendsten arbeiten könnten; es gebe jedoch
durchaus selbstgesteuerte Selbsthilfegruppen, die
gut funktionieren.
Informationen – zum Beispiel unsere Untersuchungs-Checklisten – finden Sie auf unserer Internetseite www.dick-duenn-berlin.de.
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Referenten: Katrin Raabe, Ulrich Weigeldt
Moderation/Bericht: Karin Reupert
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Beratung“
Heidelberger Mädchenhaus
Frau Raabe berichtet, dass das Heidelberger Mädchenhaus im Rahmen seines Präventionsangebotes
vier Module zur Sekundärprävention entwickelt
habe, die sich mit Essstörungen beschäftigten.
Diese zielten darauf ab, bereits betroffene Jugendliche und auch junge Erwachsene frühzeitig zu
erreichen und sie auf dem Weg in eine Behandlung
zu motivieren:
Geschlechtsspezifische Workshops für Mädchen
und Jungen;
medienkritische Workshops zu manipulativen
Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung;
Informationsabende für Eltern;
Fortbildungen für Lehrerinnen/Lehrer und
Multiplikatoren.
Ein weiteres Präventionsprogramm PriMa (Primärprävention Magersucht) werde in Kooperation
mit der Universität Jena durchgeführt. Dahinter
verberge sich ein Manual in neun Lektionen, mit
dessen Hilfe Lehrerinnen und Lehrer das Programm
eigenständig an Schulen durchführen könnten.
Zusätzlich biete das Heidelberger Mädchenhaus
E-Mail-Beratung als ersten Schritt für Hilfesuchende
an. Die Betroffenen könnten ermutigt und gestärkt
werden, ihre Essstörung ernst zu nehmen und deren
Krankheitswert anzuerkennen. Darüber hinaus
könne dazu motiviert werden, sich vor Ort Unterstützung zu suchen und Behandlungsangebote
zu nutzen.
„Stolpersteine“ in der Schule
Kritisch merkt Frau Raabe an, dass Programme,
die an Schulen durchgeführt würden beziehungsweise für Lehrkräfte konzipiert seien häufig mit
bereits bestehender Überlastung des Personals kollidierten. („Was sollen wir denn noch alles machen?“) Wenn betroffene Mädchen und Jungen zu den
Workshops kämen, sei es oft schwierig, sie in eine
adäquate Beratungsstelle zu vermitteln. Die Beratung sollte sehr niedrigschwellig sein und im günstigsten Fall von der Pädagogin angeboten werden,
die das Präventionsprojekt durchführt. Auch Eltern
seien in der Regel schwer zu erreichen und zu den
Informationsabenden kämen häufig jene, die bereits
für die Problematik sensibilisiert seien.
Funktion der Hausärzte
Als Vertreter des Deutschen Hausärzteverbandes
weist Ulrich Weigeldt auf die Differenzierung zwischen Prävention und Früherkennung von Essstörungen hin. Als Hausarzt sehe er sich in der Praxis
eher für die Früherkennung zuständig.
Da Essstörungen viel mit Ängsten zu tun hätten,
sei es für die betroffenen Menschen oft nicht einfach, die Problematik im Rahmen eines Arztbesuches
anzusprechen. Daher sei die psychosomatische
Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte gefordert. Versteckte Aufrufe zur Hilfe müssten erkannt und entsprechend geleitet werden. Die Hausärztin/der
Hausarzt begleite die Familien oft über einen langen Zeitraum und könne daher Strukturen, die eine
25
BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN
Gefährdung für Essstörungen begünstigten, eher
erkennen. Dieses Potential sollte genutzt werden,
um frühzeitig Verdachtsmomente anzusprechen.
Die Hausärztin/der Hausarzt sollte auf psychosoziale
Beratung hinweisen beziehungsweise den Weg für
ein Behandlungsclearing bahnen. In konkrete
Beratungssituationen direkt einzusteigen sei aufgrund von hierarchischen Strukturen und Zeitknappheit nur bedingt sinnvoll. Die somatische
Untersuchung sollte gründlich und gewissenhaft
durchgeführt, jedoch nicht überbewertet werden.
Es gehe darum, die Lösung des Kernproblems
(psychosomatisch!) nicht zu blockieren.
„Stolpersteine“ für Ärzte
Zu Bedenken gibt Herr Weigeldt, dass Kenntnisse
über lokale Beratungsangebote oft begrenzt beziehungsweise Einrichtungen dieser Art nicht oder nur
begrenzt vorhanden seien. Auch die Ausbildung für
den Bereich der Psychosomatik sei bei Hausärztinnen/Hausärzten, Kinderärztinnen/Kinderärzten und
Gynäkologinnen/Gynäkologen noch immer unzureichend und nicht in deren Fortbildungscurricula
verpflichtend verankert.
„Stolpersteine“ für Eltern
Im Rahmen der anschließenden Diskussion wird auf
die Unterversorgung mit Beratungseinrichtungen in
ländlichen Gebieten hingewiesen. Besonders betroffene Eltern fühlten sich in ihren Fragestellungen wenig
wahrgenommen und unterstützt. Spezielle Hilfsangebote seien selten zu finden. Fehlende Transparenz bei
der Behandlung ihrer Kinder und ein Ausgeschlossensein aus Behandlungspfaden wurden als Punkte der
Unzufriedenheit deutlich artikuliert.
Forderungen
In der Arbeitsgruppe wurde festgehalten, dass im
Bereich der Prävention dringend mehr finanzielle
Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten – gleichermaßen für Einrichtungen, die Präventionsan-
26
gebote zum Thema Essstörungen entwickeln und
durchführen und Schulen sowie Einrichtungen der
Jugendarbeit. Lehrerinnen und Leherer sollten ein
zusätzliches Stundenkontingent für die eigene
Fortbildung in diesem Bereich und für die Durchführung von Projekten zugesichert werden.
Das Netz der Beratungsstellen, die ein fachspezifisches und kompetentes Angebot für Menschen
mit Essstörungen vorhalten, müsse dringend ausgeweitet und finanziell wie personell deutlich besser
ausgestattet werden. Nicht nur in den Großstädten
und Ballungszentren sollten Facheinrichtungen für
alle erreichbar sein. Den hohen Bedarf an niedrigschwelligen Angeboten gelte es dabei zu beachten.
Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
in psychosozialen oder suchtbehandelnden Beratungsstellen könnten ein erster wichtiger Schritt
sein. Vor allem Eltern von Betroffenen wiesen auf die
Notwendigkeit von Selbsthilfeeinrichtungen hin, die
gerade für sie ein wichtiges und entlastendes Angebot seien. Selbsthilfegruppen sollten idealer Weise
in Zusammenarbeit und unter Anleitung von
Fachberatungsstellen realisiert werden.
Im Rahmen des medizinischen Studiums und der
Fortbildungscurricula sollte das Thema Essstörungen
als verbindlicher Wissenspool verankert werden.
Dies gelte für Fachärztinnen und Fachärzte aus den
Gebieten Gynäkologie, Kinderheilkunde,
Allgemeinmedizin und der Zahnheilkunde. Alle
Angebote, seien sie noch so sinnvoll und effektiv,
könnten ohne eine Vernetzung nicht wirklich zielführend arbeiten. Runde Tische, Fachausschüsse
und Koordinationsstellen auf regionaler und überregionaler Ebene müssen flächendeckend gegründet
und unterstützt werden.
Verbindliche Qualitätsstandards, wie sie in vielen
Bereichen der Suchtbehandlung und der Behandlung von psychosomatischen Erkrankungen vorlägen und den Arbeitsalltag prägten, sollten auch für
das multiprofessionelle Tätigkeitsfeld bei Essstörungen in nächster Zukunft entwickelt werden.
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Therapie bei Essstörungen
Für viele von Essstörungen Betroffene wird in
einem ersten Beratungsgespräch oder einer ersten
Beratungssequenz deutlich, dass sie einer ambulanten oder stationären Therapie bedürfen. Dieser
Weg in die Therapie wird aus klinischer Sicht aber
als zu lang angesehen und erfolgt verzögert.
Aus medizinischer Sicht beschreibt Dr. Ulrich
Hagenah, leitender Oberarzt der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am
Universitätsklinikum Aachen, die Problematik der
Essstörungen. Mit anschaulichen Worten schildert
er seine Erfahrungen mit den zum Teil schwer
kranken Mädchen, referiert neuere Studien und
Aspekte der Behandlung und betont die Bedeutung
von Früherkennung und Frühbehandlung bei Essstörungen.
Um die nachhaltige Wirkung stationärer Behandlungen geht es im Beitrag von Prof. Manfred Fichter
von der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen
e.V. Befinden und Mortalität von Patienten und
Patientinnen nach stationärer Behandlung und häufig auftretende psychiatrische Komorbidität mit
Depression und Angstkrankheiten thematisiert er
ebenso wie aktuelle Erkenntnisse zur Rückfallvorbeugung via Internet.
Im „Therapienetz Essstörungen“, das Andreas
Schnebel von ANAD e.V. vorstellt, haben sich mehrere große Krankenkassen sowie namhafte Kliniken,
die ANAD-Wohngruppen und ambulante Ärztinnen/
Ärzte und Psychotherapeutinnen/ Psychotherapeuten zusammengeschlossen. Die Arbeit der multiprofessionellen Teams und der „therapeutischen Wohngruppen“ stehen im Mittelpunkt seines Beitrages.
Prof. Dr. Hans-Martin Deter, Direktor der Abteilung
für Psychosomatik und Psychotherapie an der Charité
und Dr. Ernst Pfeiffer, Leitender Oberarzt an der Charité, spannten mit ihren Eingangs-Beiträgen in der
Arbeitsgruppe „Therapie“ einen breiten Bogen von den
Essstörungen im Kindes- und Erwachsenenalter hin
zu Patientinnen und Patienten im höheren Erwachsenenalter. Fragen nach Prognosefaktoren, der
Betreuung ohne Behandlungsauftrag, der Chronifizierung und der „Begleitung zum Tode“ kamen
dabei zur Sprache. Das Protokoll dieser Impulsvorträge
sowie der anschließenden Diskussion schließt den
Themenschwerpunkt „Therapie“ ab.
27
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Referent/Autor: Dr. Ulrich Hagenah
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
-psychotherapie, Universitätsklinikums RWTH Aachen
Therapie – Neue Aspekte der Behandlung
Epidemiologische Befunde
Anorexia nervosa, die Magersucht, ist mittlerweile
die dritthäufigste chronische Erkrankung bei adoleszenten Mädchen. Der Häufigkeitsgipfel für die Erkrankung liegt im Alter zwischen 15 und 19 Jahren. Die
Prävalenzrate beträgt etwa 0,3 % bis 1 % bei Jugendlichen und jungen Frauen. Die Studien weisen ein
Geschlechterverhältnis von etwa 10:1 – manche sogar
bis 30:1 – zu Lasten des weiblichen Geschlechts aus
und die Betroffenen werden zunehmend jünger.
Die Bulimia nervosa beginnt in der Regel später,
meist zwischen 16 und 19 Jahren. Auch hier behandeln wir immer jüngere Patientinnen, die oft nicht
mehr den Weg über eine Magersucht genommen
haben, sondern bereits im Alter von 12 Jahren direkt
entdecken, wenn sie nach dem Essen erbrechen,
dann nehmen sie nicht so viel zu. Die Prävalenz der
Bulimia nervosa liegt bei 1 % – 4 % und auch hier sind
der überwiegende Teil der Betroffenen weiblichen
Geschlechts (20:1). Entgegen der landläufigen
Meinung scheint es generell nicht mehr so zu sein,
dass die Störungen zunehmen. Eine Studie von
Laura Currin aus dem Jahr 2005 zeigt ein für die
Magersucht mittlerweile relativ konstantes Bild.
Eine Zunahme der Inzidenz wird jedoch für die
Gruppe der 10- bis 19-Jährigen festgestellt.
Verlauf und Folgen
Die Krankheit nimmt in sehr vielen Fällen – mehr
als 20 % – einen chronischen Verlauf über mehr als
zehn Jahre. Dabei besteht ein hohes Risiko für die
28
Entwicklung weiterer psychiatrischer Erkrankungen
und viele erwachsene Frauen sind aufgrund der
Essstörung oder der Folgeerkrankungen beruflich
nicht mehr integriert.
Unter den psychiatrischen Erkrankungen weist
die Anorexie immer noch die höchste Mortalität auf.
Je nach Studie ergeben sich Zahlen zwischen 1 % und
12 %, sehr häufig bedingt durch kardiale Folgeerkrankungen und die hohen Zahl von Suiziden. Ein
weiteres großes Folgeproblem der Magersucht im
Alter zwischen 11 und 20 Jahren ist die Beeinträchtigung des Knochenstoffwechsels genau in der
Phase, in der die Hauptknochenmasse bei Jugendlichen aufgebaut wird. Studien beschreiben bei bis
zu 40 % frühe Anzeichen von Osteoporose in der dritten und vierten Lebensdekade bis hin zu spontanen
Knochenbrüchen, im Einzelfall Rollstuhlpflichtigkeit und Berufsunfähigkeit.
In Folge der Mangelernährung wird darüber hinaus das Gehirn in einer sehr deutlichen Weise verändert. Moderne Bildgebungsverfahren zeigen, dass
es sowohl zum Verlust von weißer wie auch grauer
Hirnmasse kommt. In neuropsychologischen Untersuchungen sehen wir in vielen Fällen verschlechterte Funktionen, in manchen aber auch Verbesserungen. Diese Ergebnisse sind daher noch nicht
endgültig zu bewerten. Festzuhalten ist jedoch, dass
das Gehirn im Zustand der Mangelernährung anders arbeitet.
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Nicht übersehen dürfen wir, dass die Patientinnen
auch physisch schwerstkrank sind. Wenn die Mädchen zu uns kommen stellen wir fest, dass sie eiskalte Hände haben und sehr blass sind. Wenn wir sie
untersuchen, entdecken wir sehr trockene, schuppige Haut und Druckstellen zum Beispiel am Rückgrat, weil es kein schützendes Unterhautfettgewebe
mehr gibt. In 10 % der Fälle stationär behandelter
Jugendlicher mit Magersucht diagnostizieren wir
einen Herzbeutelerguss, das heißt eine Flüssigkeitsansammlung zwischen Herzbeutel und Herzmuskel,
die die Herzfunktion beeinträchtigen kann. Eine
körperliche Untersuchung jeder Patientin, die eine
Magersuchterkrankung oder eine Bulimie hat, sollte
daher obligat sein und manche Patientinnen müssen auch akut überwacht werden.
Früherkennung und Frühbehandlung
Bisher ungelöste Probleme sind, dass ein Großteil
dieser Essstörungen nicht oder zu spät entdeckt werden und die Abbruchraten bei den Behandlungen
sehr hoch sind. Bis zu 50 % der Erkrankungsfälle werden nicht erkannt. Beratung, Therapie und medizinische Hilfe werden oft erst mit einer Verzögerung
von drei bis vier Jahren aufgenommen. Nach fünf
Jahren sind noch immer 20 % nicht in einer medizinisch-psychotherapeutischen Behandlung gewesen.
Und bis zu 50 % der stationären Behandlungen werden
nicht zu Ende geführt, sondern von den Patientinnen
wegen Unzufriedenheit vorzeitig abgebrochen.
Zur Entstehung von Essstörungen legen die empirischen Daten nahe, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Was wir bei den Patien-
tinnen in der Vorgeschichte und
in der Erkrankung oft feststellen,
sind ein niedriges Selbstwertgefühl und erhöhte soziale Ängstlichkeit und Unsicherheit. Diese
Konstellation ist sicher maßgeblich mit entscheidend in einer
Umwelt, die als Schönheits- und
Erfolgsideal Schlankheit vorgibt
und Übergewicht gesellschaftlich stigmatisiert. Hier gilt es
auch eventuell negative Effekte
von Kampagnen gegen Übergewicht zu beachten. Wissenschaftliche Befunde legen nahe, dass
bei Personen mit Selbstwertproblematik die „Lawine“ zur Erkrankung häufig durch
eine Diät ausgelöst wird. Wenn wir die Mädchen fragen, was sie zur Diät bewogen hat, erzählen sie zum
Beispiel von Bemerkungen Angehöriger, wie „Du
hast aber dicke Backen bekommen!“ Das reicht bei
manchen schon aus.
Entgegen ursprünglichen Annahmen, dass bestimmte Familientypen eine Magersucht oder eine
Bulimie begünstigen, haben empirische Studien das
nicht nachweisen können. Die häufig zu beobachtende protektive Haltung von Müttern essgestörter
Patientinnen ist wohl eher eine Folge der Erkrankung und verliert sich meist, wenn die Krankheitssymptome nachlassen. Eltern können hingegen eine
wichtige Ressource in der Behandlung sein. In den
meisten Fällen sind sie es, die die Patientin in die
Behandlung bringen.
Die Chancen von Früherkennung und Behandlung
liegen in der Reduktion von Chronifizierungen und
medizinischen Folgeschäden sowie in der Senkung
der Mortalitätsrate. Wenn die Mädchen früh aus
ihrem Hungerzustand herauskommen besteht die
Hoffnung, dass sich eine dauerhafte Fokussierung
aller Gedanken auf das Thema Essen abmildern oder
vielleicht sogar verhindern lässt. Es geht in diesem
Zusammenhang auch darum, wer wo was wahrnehmen kann. Das betrifft die Familie, die Ärztinnen
und Ärzte sowie bei den Jugendlichen natürlich vor
allen Dingen auch die Schule.
Eltern können feststellen, dass die Tochter nicht
mehr so oft mitisst, sich plötzlich für die Zusammensetzung der Ernährung interessiert und beim Kochen
29
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
„reinredet“. Symptome können auch Unzufriedenheit mit dem Äußeren sowie zunehmende Leistungsorientierung und exzessiver Bewegungsdrang sein.
Weitere Warnzeichen sind Schwindel oder blaue,
eiskalte Hände und dass die Kinder häufig frieren
und anfangen, sich wärmer anzuziehen. Was die
Mädchen sehr beunruhigt und manchmal die Motivation für die Gesundung stärken kann, sind der
Haarausfall und das Ausbleiben der Menstruation.
In der Schule haben die Mädchen oft schon vorab
eine sehr ausgeprägte Leistungsorientierung. In der
Anfangsphase der Essstörung ist ihre Konzentration
und Leistungsfähigkeit häufig noch verbessert,
gleichzeitig ziehen sie sich mehr und mehr von anderen zurück.
Für die Ärztinnen und Ärzte sollte klar sein: Bei
Kindern oder Jugendlichen, die ohne ärztliche
Intervention anfangen abzunehmen, muss man
immer – egal ob das drei oder fünf Kilo sind – nach
den Ursachen forschen. Dabei sind besonders die
übergewichtigen Mädchen zu beachten, die 30, 40
Kilo innerhalb von wenigen Monaten abnehmen.
Temperatur messen macht bei den Mädchen mit
Magersucht Sinn, da sie häufig Untertemperatur im
Bereich von 34,5 bis 35,5 Grad haben. Der Körper
versucht so, Energie zu sparen.
Zahnärztinnen und Zahnärzte haben die Möglichkeit, Warnzeichen zu erkennen, wenn Jugendliche plötzlich Karies entwickeln. Bei Bulimie und
bei Anorexie mit bulimischer Symptomatik, also
Erbrechen, kommt es durch die Magensäure zu
einer Schädigung des Zahnschmelzes und in der Folge zu Karies. Bei vielen chronisch kranken Patientinnen mit bulimischer Symptomatik geht das bis
hin zum Verlust des vollständigen Gebisses.
Ambulante oder stationäre Behandlung
Die Datenlage und empirische Evidenz durch kontrollierte Studien zur Magersuchtsbehandlung im
Kindes- und Jugendalter ist immer noch sehr schlecht.
Zur Bulimie gibt es gute empirische Evidenz sowohl
zur Psychotherapie wie auch zur Pharmakotherapie
bei erwachsenen Frauen, aber nicht für die Gruppe
der Jugendlichen. Die Empfehlungen zur AnorexieBehandlung beschränken sich aktuell fast ausschließlich auf Expertenmeinungen und klinische Erfahrungen. Wir raten grundsätzlich dazu, sehr frühzeitig die Untersuchung und Behandlung einzuleiten.
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Wenn der Verdacht auf eine Essstörung besteht, sollte möglichst niedrigschwellig – eine sorgfältige und
kompetente Klärung ohne Wartezeiten erfolgen.
Ob diese durch eine Beratungsstelle, eine/n erfahrene/n Psychotherapeutin/en oder eine/n Ärztin/Arzt
erfolgt, ist aus meiner Sicht unerheblich.Wichtig ist
jedoch, dass derjenige, der den Fall betrachtet,
Essstörungen als Krankheit kennt und auch eine körperliche Untersuchung durchführt oder veranlasst.
Wenn es die körperliche Verfassung der Patientinnen erlaubt, ist oft zunächst ein ambulanter
Behandlungsversuch möglich. Eine stationäre Behandlung sollte hingegen bei einem sehr kritischen
Untergewicht durchgeführt werden. Da es für
Jugendliche keine Body-Maß-Grenze gibt, orientieren wir uns an den Altersperzentilen und schlagen
die dritte Altersperzentile als absolutes Aufnahmekriterium für eine stationäre Behandlung vor. Das
ist schon ein sehr niedriges Gewicht, denn ab der
zehnten spricht man bereits von Untergewicht.
Bei den ehemals übergewichtigen Patientinnen
sollte beachtet werden: Wer in drei Monaten 20 kg
abnimmt ist krank, auch wenn er noch Normalgewicht und einen normalen Body-Maß-Index hat.
Manchmal ist diese Patientin viel schwerer krank
als jemand, der bei 1,60 m Körpergröße nur 40 kg
wiegt und vielleicht über ein Jahr fünf bis sechs Kilogramm – aber eben langsam – abgenommen hat.
Weitere medizinische Kriterien für eine stationäre
Behandlung sind Befunde wie Herzbeutelerguss und
Kreislaufprobleme oder wenn bereits eine Suizidgefährdung im engeren Sinne besteht. Auch wenn
in einer ambulanten Behandlung bei einer hohen
Frequenz von Heißhungerattacken und Erbrechen –
mehrfach in der Woche bis mehrfach am Tag – nicht
innerhalb von zwei Wochen ein Einstieg gelingt,
würde ich eine stationäre Behandlung empfehlen,
bis das Erbrechen seltener auftritt.
Neue Erkenntnisse aus der Leptin-Forschung
Durch die Leptin-Forschung haben sich in den
letzten Jahren neue Erkenntnisse für den exzessiven
Bewegungsdrang bei Essstörungen ergeben. Man
hat Ratten hungern lassen und ihnen dann ein Laufrad im Käfig angeboten. Mit zunehmendem Hunger
ist es zu einem sich ständig steigernden Bewegungsdrang gekommen, im Mittel auf etwa 300 % bis 400 %
des Ausgangswertes. Wurde den Ratten Leptin ge-
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
lung drehen. Das sind zum Beispiel bei bulimischen Patientinnen
das Angebot von regelmäßigen
kleinen Mahlzeiten, um den
Heißhunger zu reduzieren, Planessen und in manchen Fällen
Trinkpäckchen. Etwa 20 % bis 30 %
unserer Patientinnen benötigen
eine Sondenernährung. Die Erfahrung zeigt, dass die allermeisten
Mädchen, die es nicht mehr schaffen, selbst zu essen, sich für die
Sonde entscheiden, und die Sondierung nicht gegen ihren Willen
durchgeführt werden muss.
spritzt – ein Hormon, das dem Gehirn Sättigung
signalisiert – haben sie ihre Aktivität wieder auf das
Ausgangsniveau reduziert. Zumindest im Tiermodell gibt es also Hinweise darauf, dass Hunger den
Bewegungsdrang verstärken kann.
Auch bei unseren Untersuchungen stellen wir fest,
dass Patientinnen mit einem niedrigen Bewegungsdrang einen relativ hohen Leptinwert haben. Bei
Aufnahme in die Klinik ist das Leptin durch die
Mangelernährung meist extrem niedrig und steigt
im Behandlungszeitraum an. Patientinnen, die noch
mehr Fettgewebe haben, haben auch mehr Leptin
und einen weniger ausgeprägten Bewegungsdrang.
Deshalb integrieren wir in unserer Klinik von Anfang an ein Bewegungsprogramm in die stationäre
Behandlung. Was früher – bis vor 10, 15 Jahren –
gemacht wurde, nämlich schwer erkrankte Patientinnen über weite Strecken des Tages ins Bett zu
legen, ist heute obsolet. Der Knochenabbau wird
durch die Bettruhe noch gefördert und die Osteoporosegefahr erhöht, sodass innerhalb von wenigen
Tagen eine stark negative Bilanz im Knochenstoffwechsel entsteht. Da die Patientinnen unter quälender Unruhe leiden, versuchen wir durch ein auf die
jeweilige Energiesituation abgestimmtes Bewegungsprogramm den Alltag erträglicher zu machen.
Stationäres Behandlungsprogramm für
Essstörungen im Jugendbereich
Ein stationäres Behandlungsprogramm für Essstörungen im Jugendbereich muss komplex aufgebaut
werden. Kernkomponenten bilden Therapieangebote, die sich um die spezifische Essstörungsbehand-
Nach einer Stabilisierung des Essverhaltens gibt es
Übungsessen, auswärts Essen, Modellessen, Teilnahme an einer Kochgruppe, Übungen zum selber
portionieren. Die Patientinnen müssen wieder ein
Gefühl dafür bekommen, wie viel sie brauchen und
wie viel auf dem Teller ist, denn die Wahrnehmung
hinsichtlich der notwendigen Menge ist durch die
Krankheit in kaum vorstellbarer Weise verzerrt.
Zum Teil haben sie zuvor nicht mehr als 300 bis 400
Kilokalorien am Tag zu sich genommen.
Neben der Normalisierung des Essverhaltens ist
die psychotherapeutische Behandlung die zweite
Säule unseres Therapieansatzes. Die psychotherapeutische Arbeit in der Klinik umfasst sowohl eine
Einzeltherapie – zu Beginn täglich und sehr kurz –
als auch eine Gruppentherapie. Die Gruppentherapie ist der Rahmen, in dem die Patientinnen für sich
spüren, andere verstehen mich, ohne dass ich erklären müsste, wie es mir geht. Das, was Ärztinnen/
Ärzte, Eltern, Lehrerinnen/Lehrer nicht verstehen,
das verstehen die Patientinnen untereinander.
Wenn die Gewichts- und Ernährungssituation sich
stabilisiert, sollte hinterfragt werden, warum Figur
und Gewicht eigentlich so wichtig sind. Hierüber
gelangt man zum Selbstwert und zur Selbstakzeptanz. Wir lassen die Patientinnen unter anderem
Pro- und Kontra-Listen in Form von „Briefen an die
Magersucht“ formulieren: „Liebe Magersucht, Du
bist meine beste Freundin weil ….“. Oder: „Du bist
meine ärgste Feindin, weil ….“. Man merkt solchen
Briefen an, wie wichtig die Erkrankung auch im
positiven Sinn ist und wie die Patientinnen sich weh-
31
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
ren, wenn man das einfach wegbehandeln will,
ohne diese Seite zu sehen. Der andere Aspekt dieser
Briefe ist, dass wir erfahren, dass die Patientinnen
letztlich wissen, wie schlimm die Krankheit in ihr
Leben eingreift. Mit diesem Material kann man gut
arbeiten: „Wie kann ich das, wofür die „Freundin“
steht, auf einem anderen Weg erreichen, damit ich
diesen Weg mit seinen vielen negativen Folgen
nicht mehr nötig habe?“ Das ist ein Prozess über
zehn, elf Wochen, in dem die Patientinnen Hoffnung schöpfen, aber – das muss man auch sehen –
die Krankheit noch nicht endgültig überwinden. Es
gelingt aber sehr häufig, den Kontakt herzustellen
und Einsicht in das Ziel zu vermitteln.
Die Einbeziehung der Familie ist ein weiterer
Schwerpunkt innerhalb unseres Behandlungssettings. Dabei geht es weniger darum, nach den
Ursachen der Magersucht zu suchen, sondern Eltern
Hilfestellung zu geben: Was ist das für eine Erkrankung? Was kann ich jetzt tun? Was ist mein Job
als Vater, als Mutter? Wir legen den Eltern nahe,
endlich mit den Diskussionen aufzuhören, denn davon wird die Tochter nicht satt. Und sie wird auch
nicht einsichtig, nur weil man noch eine Woche
abwartet. Wenn es nicht gelingt, die Ernährungssituation zu verbessern, rutscht die Tochter immer
mehr in die Erkrankung hinein.
Über zehn Jahre haben wir Eltern von mehr als
300 Patientinnen in einem Schulungsprogramm betreut, und die Eltern sind – das zeigen die Rückmeldungen – sehr zufrieden damit. Sie sagen unter ande-
32
rem, das Programm helfe ihnen,
sich von Schuldgefühlen zu entlasten. Durch die sachliche
Information, die wir in diesen
Schulungen vermitteln, gelingt
es den Eltern wieder besser zu
unterscheiden, was Krankheit ist,
was ihre Tochter ist. Und sie erfahren durch die anderen Eltern,
dass es anderen genauso oder
ähnlich ergeht.
Darüber hinaus führen wir
– mindestens vierzehntäglich –
Beratungsgespräche mit den Eltern. In der späteren Phase, wenn
es den Mädchen besser geht, können nach Bedarf auch familientherapeutische
Gespräche stattfinden. Wir achten dann auch auf
die Probleme der Geschwister, die in der Krankheitsphase oft etwas aus dem Blickfeld der Eltern geraten. In der Interaktion zwischen Eltern und erkrankter Patientin muss es auch darum gehen, wie
die Eltern die Tochter eine altersgemäße Autonomie
entwickeln lassen.
Erfreulich ist, dass die Mortalität bei den behandelten Jugendlichen zu sinken scheint. Während
in den 1980er Jahren noch über Mortalitätsraten
von 11 % und 6 % berichtet wurde, sind in der letzten
Dekade im Rahmen von drei Langzeitstudien keine
jugendlichen Patientinnen verstorben.
Studie zur Wirksamkeit von stationärer und
tagesklinischer Behandlung
Zum Abschluss möchte ich kurz über ein BMBFProjekt informieren, an dem wir beteiligt sind. Es
handelt sich um ein Teilprojekt im Forschungsverbund von EDNET 1. In einer Multizenter-Studie wird
die Wirksamkeit von stationärer und tagesklinischer
Behandlung bei Anorexia nervosa im Kindes- und
Jugendalter untersucht. Neben unserer Klinik in
Aachen sind Kliniken in Köln, Berlin, Würzburg,
Mannheim und Freiburg beteiligt, die auf der
Grundlage unseres Behandlungskonzepts geschult
wurden. Die Fragestellung ist, ob bei Patientinnen
mit Anorexia nervosa – nach einer kurzen Stabilisierungsphase in der Klinik – eine tagesklinische
Behandlung gleichwertig zur stationären ist und
welche Vorteile und Nachteile die jeweiligen
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Behandlungsarten haben. In die Studie werden nur
ersterkrankte Patientinnen aufgenommen.
Die erste Phase ist für alle Patientinnen gleich:
zwei Wochen stationäre Behandlung, in der alle
Untersuchungen gemacht werden und der Status
der Erkrankung festgehalten wird. Dann wird randomisiert, noch eine Woche weiter stationär behandelt und nach drei Wochen kommt der Wechsel in
das jeweils zugeloste Behandlungssetting. Nach
der Entlassung wird eine ambulante Weiterbehandlung gesichert.
Abbruchkriterien für die teilstationäre Behandlung sind (1) Suizidalität, (2) wenn das Erbrechen
sehr häufig ist, das heißt öfter als zweimal täglich
stattfindet, (3) wenn es medizinische Komplikationen gibt, (4) wenn im tagesklinischen Setting
keine Gewichtszunahme erreicht werden kann.
Vielleicht hilft die Studie bei der Verringerung eines
leider immer noch sehr großen Problems in der
Anorexie-Behandlung – den sehr hohen Rückfallraten. In vielen Fällen gelingt es bislang nicht ausreichend, das im stationären Bereich Gelernte in
den Alltag zu übertragen. In dieser Hinsicht könnte
die Tagesklinik ein besserer Weg sein.
Diskussion
In der sich anschließenden Diskussion erläutert
Dr. Hagenah, dass es ein wesentlicher Bestandteil
der Krankheitsbilder sei, diese „schlecht anneh-
men“ zu können und schnell in Autonomiekonflikte zu geraten. Das erschwere auch den
Zugang zur professionellen Hilfe. Das Gehirn
der betroffenen Mädchen sei unterversorgt und
„schreie“ geradezu nach Essen, aber (wie es allgemein bei Angststörungen bekannt ist) das Hinauszögern des Essens lasse die Hürde zur Nahrungsaufnahme immer höher werden. Eltern und
Betroffene merkten zwar in der Regel früh, dass
etwas nicht stimme. Zugleich hätten die Eltern
aber Zweifel, ob sie in die Autonomie ihrer pubertierenden Kinder eingreifen dürften, und sie hegten bis zuletzt die Hoffnung auf die Einsicht der
Betroffenen selbst. So könne viel wertvolle Zeit
verloren gehen.
Bezogen auf den Umgang mit essgestörten
Patientinnen und Patienten zeige die Praxis, dass
Warnungen vor Langzeitfolgen – wie zum Beispiel
Osteoporose – kein Einsichtsverhalten zur Folge
habe. Wenn allerdings unmittelbare und direkte
Folgen wie Haar- und Zahnausfall oder Hautveränderungen angesprochen würde, löse dies in der
Regel eine erhöhte Beratungsoffenheit und Veränderungen im Essverhalten aus. Wenn die Betroffenen wieder an das Essen herangeführt werden
könnten, entstünde erst die Voraussetzung, dass
sich psychische Prozesse stabilisierten und altersgemäße Fragen und Auseinandersetzungen wieder
ihren Platz fänden.
1 „Eating Disorders Diagnostic and Treatment Network“ (EDNET) ist einer von fünf durch das Bildungsministerium für
Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbünden zur Psychotherapie mit Schwerpunkt Essstörungen.
Weitere Informationen unter www.ednet-essstoerungen.de.
Hagenah, U.: Stigmatisierung bei Essstörungen und Übergewicht. In: Groß, D., Müller, S., Steinmetzer, J. (Hrsg.)
Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Medizinisch
Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Berlin 2008, S. 211-227.
Ausgewählte aktuelle Publikationen zur Thematik:
Herpertz-Dahlmann B., Hagenah U., Psychotherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa. In: Remschmidt H (Hrsg.)
Praxis der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart.
Hagenah, U., Herpertz-Dahlmann, B.: Essstörungen. In: Kiess, W.,Merkenschlager, A., Pfäffle, R., Siekmeyer, W. (Hrsg.)
Therapie in der Kinder- und Jugendmedizin. Urban & Fischer. München, Jena.
Holtkamp K, Herpertz-Dahlmann B, Vloet T, Hagenah U., Group Psychoeducation for Parents of Adolescents with Eating
Disorders: The Aachen Program. Eating Disorders, 2005, 13: 381-390.
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THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Referent/Autor: Prof. Dr. Manfred Fichter
Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V./
Klinik Roseneck (Prien) und Universität München
Zur stationären Behandlung von Essstörungen
Krankheitsverlauf und Mortalität
Wir haben Krankheitsverläufe essgestörter Patientinnen mit stationärer Behandlung nach zwei,
sechs und zwölf Jahren untersucht und festgestellt,
dass – je nach Krankheitsbild – etwa 50 % bis 70 %
der Untersuchten nach 12 Jahren „ohne Essstörungsdiagnose“ waren. Das heißt nicht unbedingt, dass sie
„gesund“ waren, sondern lediglich, dass die Kriterien für eine Essstörungsdiagnose nach ICD 10 oder
DSM-V nicht mehr erfüllt wurden. Die höchste Sterberate (Mortalität) von allen Essstörungen ergab
sich bei Anorexia nervosa mit 7,9 %. Bei Bulimia nervosa lag die Sterberate im Vergleich dazu bei 2,5 %.
Was die Krankheitsentwicklung anbetrifft, war die Rate der
Essstörungsdiagnosen am ungünstigsten bei den Patientinnen, die
12 Jahre zuvor mit einer Magersucht in die Klinik kamen; etwas
günstiger war der Verlauf bei
einer ursprünglichen Bulimie
nervosa oder einer Binge EatingStörung. In einer Übersichtsarbeit von Harris & Barraclough
wurden 1998 die Sterblichkeitsraten für verschiedene Störungsbilder psychischer Erkrankungen
dargestellt. Während die Sterblichkeitsrate (Mortalität) bei Depression nur etwas erhöht war,
lag die von Magersucht am höch-
34
sten von allen dargestellten psychischen Erkrankungen. Bei Bulimia nervosa war die Mortalitätsrate
zwar nicht so hoch wie bei Magersucht, aber immer
noch weit höher als bei Vergleichserkrankungen,
die in der öffentlichen Wahrnehmung als gravierender eingeschätzt werden, wie etwa Schizophrenie,
schwerer Depression oder bipolarer Störung.
Stationäre Behandlungsformen
Kliniken, die in eigenen Stationen ausschließlich
essgestörte Patientinnen und Patienten behandeln –
davon gibt es inzwischen eine ganze Reihe – können
sehr viel zielgerichteter arbeiten als Kliniken ohne
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
diese Spezialisierung. Als nicht sinnvoll und notwendig hat es sich erwiesen, Gruppen nach Magersuchtund Bulimia-Erkrankten aufzuteilen. Wenn bulimische Patientinnen und Patienten und asketisch
Magersüchtige in einer Gruppe zusammen sind, ist
die Interaktion viel lebendiger. Diese gezielte
Behandlung hat einen weiteren Vorzug: Eine einzelne Magersüchtige oder Bulimikerin kann eine ganze
Station „aus den Angeln heben“, wenn das Personal
für den Umgang mit diesen Patientinnen nicht
geschult ist. Wenn aber 25 Essgestörte auf einer
Station von dafür geschultem Personal behandelt
werden, geht dies in der Regel sehr gut. In der Klinik
Roseneck haben wir allerdings eine Schwerpunktstation für schwer Übergewichtige. Viele Themen
sind für diese Patientinnen und Patienten zwar
gleich, durch das Übergewicht entstehen aber weitere Probleme, die man besser auf einer eigenen
Station angeht.
Häufige Begleiterkrankungen von Essstörungen
sind Depressionen und Angsterkrankungen. Viele
entwickeln dysfunktionale, irrationale Gedanken
und negative grundlegende Werthaltungen. Beispielsweise denken sie nicht nur „Es wäre schlimm,
wenn ich das Flugzeug verpasse“, sondern sie entwickeln eine grundlegende Überzeugung „Ich verpasse jedes Flugzeug!“, „Ich bin ein Versager!“. Hier
gilt es – im Sinne der Kognition – mit einer Verhaltenstherapie in Richtung einer positiveren Lebenseinstellung zu arbeiten.
Perspektiven der Versorgung
Künftig wird die Transparenz in der Therapie und
ihre Ergebnisse sowie Qualitätsmanagement und
-sicherung für die stationäre Behandlung bei Essstörungen zunehmende Bedeutung erlangen. Verbände, wie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen und der Bundesfachverband für Essstörungen,
werden sich für hohe Qualitätsstandards bei der
Behandlung von Essstörungen einsetzen, die natürlich auch für die ambulante Therapie und Beratungsstellen gelten. Derzeit gibt es noch Kliniken, in
denen die Patientinnen und Patienten nur sehr
wenig oder gar nicht zunehmen. Und es gibt ambu-
lante Therapeutinnen/Therapeuten und Beratungsstellen, die nicht auf dem Boden empirisch fundierter
Therapie arbeiten. In diesem Zusammenhang werden auch Informationen aus dem Internet und der
Austausch in Chat-Rooms weiter an Bedeutung
gewinnen.
Hinweisen möchte ich noch auf unsere gegenwärtige
Studie zur Internet-Rückfallvorbeugung nach stationärer Behandlung von Magersüchtigen im Rahmen
des vom BMBF geförderten EDNET-Forschungsverbundes. Wir untersuchen den Effekt dieser Form
der Nachsorge in einer kontrollierten, randomisierten Studie. Ein Teil der Probanden erhält die Standard-Behandlung, der andere Teil nimmt nach der
Entlassung an einem speziellen Internet-Programm
teil. Damit soll die Lücke, die bei sehr vielen Patientinnen und Patienen nach der stationären Behandlung entstehen kann, geschlossen werden. Erste
Ergebnisse dazu sind viel versprechend, um die Behandlung über den Klinikaufenthalt hinauszuführen.
Diskussion
Auf die Frage, nach welchen Kriterien die knapp
bemessenen Therapieplätze in der Klinik vergeben
werden, berichtet Dr. Fichter, dass die Kostenübernahme für die Therapien immer problematischer werde.
Er hält es für bedenklich, dass diese nicht mehr im
Vorfeld durch die Kassen sondern stichprobenartig im
Nachgang der Therapien geprüft würden. Wenn es
dann zu abweichenden Krankheits- und Behandlungseinschätzungen durch die Krankenkassen komme, sei
dies für die Therapieeinrichtungen (dies treffe alle,
egal ob ambulant, stationär oder Wohngruppen) mit
hohen Kostenrisiken verbunden. Unabhängig von der
Finanzierungsproblematik werde aber auch die Motivation der Patientinnen und Patienten berücksichtigt:
Sie müssten diese in einem Brief darlegen und zum
Teil in einem Vorgespräch ausführen.
Hinsichtlich der Therapiedauer können sich die
Krankenkassen voneinander unterscheiden. Bei
einigen privaten Krankenversicherungen gebe es mit
einer Dauer von 30 Tagen eine deutliche Unterversicherung, während mit anderen Versicherungen
Regelsätze vereinbart werden könnten.
Literaturnachweise:
Harris EC, Barraclough B. Excess mortality of mental disorders. Br J Psychiatry 1998; 173:11; Fichter MM, Quadflieg N, Hedlund S.
Twelve-Year Course and Outcome Predictors of Anorexia Nervosa. Int J Eat Disord 2006; 39(2):87-100; Fairburn CG, Harrison PJ.
Eating disorders. Lancet 2003; 361:407-416; Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome of bulimia nervosa.
Psychol Med 2004; 34:1395-1406; Fichter MM, Quadflieg N, Hedlund S. Long-Term Course of Binge Eating Disorder and Bulimia
Nervosa: Relevance for Nosology and Diagnostic Criteria. Int J Eat Disord 2008; 41:577-586.
35
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Referent/Autor: Andreas Schnebel
ANAD e.V.
Integrierte Gesundheitsversorgung im „Therapienetz
Essstörung“
Clearing-Prozess durch multiprofessionelle Teams
Das „Therapienetz Essstörung“ wurde 2005 als
eine der ersten Initiativen zur Integrierten Gesundheitsversorgung im Essstörungsbereich ins Leben
gerufen. Mittlerweile sind darin mehrere große
Krankenkassen, namhafte Kliniken, die ANAD-Wohngruppen und ambulante Ärztinnen/Ärzte und
Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten zusammengeschlossen.
In einem multiprofessionellen Team bieten wir
einen sogenannten Clearing-Prozess an, eine individuelle Beratung, Diagnostik und Begleitung für
Frauen und Männer mit Essstörungen. Fragen, die
zunächst geklärt werden, sind zum Beispiel: Liegt
eine Essstörung vor? Und wenn ja: welche Essstörung? Wie schwerwiegend ist die Essstörung? Wie
kann den Betroffenen geholfen werden? Inwieweit
will sich die/der Betroffene helfen lassen? Sobald die
Kostenübernahme geklärt ist, erfolgt eine umfassende Diagnostik der Essstörungs-Symptome und eventuell auftretender Begleiterscheinungen. Ein Team
von Fachleuten berät danach, welcher Behandlungsplan für die/den jeweilige/n Patientin/en optimal ist. Das Team organisiert den Therapieplatz und
bietet Überbrückungsmöglichkeiten, falls Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz entstehen. Für
stationäre Aufenthalte gibt es ausgewählte Kooperationskliniken, denen die Patientinnen/Patienten
zugewiesen werden. Bei ambulanter Behandlung
können die Betroffenen selbst unter den vorgeschla-
36
genen Therapeutinnen und Therapeuten des Netzes
auswählen. Auch nach einer Therapiemaßnahme
wird die/der Patientin/Patient weiter betreut – im
Idealfall so lange bis es ihr/ihm wieder gut geht.
Entscheidend ist, dass jede Patientin und jeder
Patient im Therapienetz eine feste Ansprechperson
hat und zwar über den gesamten Zeitraum. Wichtig
ist auch, dass wir flexibel sind und die Patientinnen
und Patienten wirklich mit gestalten können, was im
normalen Hausarztkontakt nicht immer der Fall ist.
In der Regel sind die Patientinnen und Patienten
etwa zwei Jahre im Therapienetz. Die Krankenkassen
zahlen für diese Leistung eine Pauschale.
Therapeutische Wohngruppen
Ein neueres Modell, mit dem wir 1992 begonnen
haben, sind die therapeutischen Wohngruppen.
Unsere Patientinnen und Patienten kommen aus
ganz Deutschland und sogar aus Österreich und erleben es oft als sehr angenehm, einmal wirklich wegzukommen aus ihrem Umfeld, das ja nicht selten ein
schwieriges ist. Entscheidend ist bei den Wohngruppen die Alltagsnähe. Wir bestehen darauf, dass alle
unsere Patientinnen und Patienten in die Schule
gehen, eine Ausbildung machen oder ihrem Beruf
nachgehen beziehungsweise – wenn die nur vorübergehend in München leben – eine Art von Kursus oder
Praktikum machen. Wir sind sehr gut vernetzt und
können viele verschiedene Praktikumsstellen bieten,
zum Beispiel im Münchener Tierpark, in Werbeagenturen, Anwaltskanzleien oder bei Friseuren.
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Ein wesentlicher Effekt der
Wohngruppen ist die Herausbildung von Eigenständigkeit,
die ja in der Klinik immer nur
begrenzt umsetzbar ist. Man
könnte es so formulieren: Die
Klinik ist für junge Patientinnen
und Patienten so eine Art
Grundkurs und die Wohngruppen sind dann der Fortgeschrittenenkurs, in dem ganz neue Dinge und eine neue Selbständigkeit
eingeübt werden können. Viele
der Patientinnen und Patienten
haben ja bislang immer bei den
Eltern gewohnt; für sie ist eine
solche Wohngruppe eine ganz
neue Erfahrung. Nicht zu unterschätzen ist die Unterstützung
durch die Peer Group, welche die Patientinnen und
Patienten in den Wohngruppen erfahren. Wenn
man ein halbes Jahr oder länger mit jemandem zusammenlebt, ist viel Unterstützung möglich und
manchmal entstehen auch Freundschaften für später.
Wir haben in unseren Wohngruppen eine AlpinTherapie eingeführt. Dabei geht es darum, sich beim
Klettern zum Beispiel durch gemeinsames Naturerleben weiter zu entwickeln – unserem Claim entsprechend: „Gemeinsam Schritt für Schritt aus der
Essstörung“. Viele Menschen mit Essstörungen sind
– salopp gesagt – sehr kopfgesteuert, wissen viel,
haben zum Teil auch sehr weitreichende TherapieErfahrungen. Sie tun sich aber schwer, ihren Körper
und ihre Gefühle positiv zu erleben. Bewegungs- und
Naturerlebnisse können in diesen Fällen sehr hilfreich sein.
Die Patientinnen und Patienten erhalten eine
intensive Betreuung durch Psychotherapeutinnen/
Psychotherapeuten, Sozialpädaginnen/Sozialpädagogen und Ernährungstherapeutinnen/Ernährungstherapeuten, die in multiprofessionellen Teams
zusammenarbeiten. Ähnlich wie in einer Klinik,
haben wir immer eine/n Ärztin/Arzt im Hintergrund
und die Betreuung ist rund um die Uhr gewährleistet. Auch unsere Therapieangebote entsprechen
mit Psychotherapie und sozialpädagogischer
Betreuung denen einer guten Klinik. Da viele der
Jugendlichen nach dem Aufenthalt in den Wohngruppen wieder nach Hause gehen, beziehen wir
auch das familiäre Umfeld mit ein und organisieren
zum Beispiel Elterntreffen.
Sehr wichtig für die Stabilisierung des Heilungsfortschrittes ist die Unterstützung der Patientinnen
und Patienten bei ihren Bemühungen, nach der
Therapie auch schulisch oder beruflich weiterzukommen. Im Rahmen der weiteren Nachsorge bieten wir einen Internet-Chat an.
Diskussion
Auf die Frage, nach welchen Kriterien die Therapieund Wohnheimplätze vergeben würden, betont
Dr. Schnebel, dass es auch hier zunächst darum gehe,
eine Kostenübernahme zu erreichen. Da unterschiedliche Kostenträger (Krankenkassen, Jugendämter, Sozialhilfeträger) involviert seien, erfordere
dies einen hohen Arbeitsaufwand. Erst in zweiter
Linie könne man die “richtigen” Kriterien anlegen,
nämlich die Krankheitseinsicht und Therapiemotivation der Patientinnen und Patienten.
37
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Referenten: Prof. Dr. Hans-Christian Deter, Dr. Ernst Pfeiffer
Moderation: Dr. Wally Wünsch-Leiteritz
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Therapie“
Betroffene und Erscheinungsformen von
Magersucht
Prof. Deter beschreibt in seinem Vortrag „Magersucht nach der Pubertät – Chronifizierungsprozesse
und Komplikationen“, dass es neben der Pubertätsmagersucht einen zweiten Gipfel des Beginns einer
Magersucht zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr
gäbe, der meist mit einem schwierigen therapeutischen Zugang verbunden sei. Dabei betont er, dass
es entgegen einer häufig verbreiteten Meinung
unter den Erwachsenen einen höheren Prozentsatz
betroffener Männer gäbe. Er gehe von einem Verhältnis von etwa 1:10 aus im Gegensatz zu Angaben, die
das Verhältnis der Geschlechter bei bis zu 1:30 ansiedelten. Die Erkrankung der betroffenen Männer
würde häufiger unerkannt bleiben, da sie nicht richtig diagnostiziert werde. Die Anorexia nervosa sei
mit einer Prävalenz von 0,5 % in der Gesamtbevölkerung jedoch die seltenste Essstörungserkrankung
– im Gegensatz zu „unkomplizierten“ Essstörungen,
die deutlich häufiger vorkämen.
Chronifizierung und Komplikationen
Hinsichtlich des diagnostischen Vorgehens empfiehlt er eine sorgfältige psychologische, psychiatrische und internistische Eingangsdiagnostik. Er
betont, dass Hausärztinnen/Hausärzte für die medizinische Basisversorgung die entscheidenden
Ansprechpartner seien und auch sein sollten und
empfiehlt entsprechende Weiterbildungen und bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit. Er weist auf
38
die Gefahr der Chronifizierung und möglichen
Gewöhnung an niedrige Gewichtsbereiche hin, die
mit einem sehr reduzierten Leben und der Entwicklung zum Teil sehr schwerwiegender medizinischer
Folgeschäden, wie Osteoporose und Niereninsuffizienz verbunden seien. Langzeitkatamnesen würden
zeigen, dass Veränderungsprozesse zu jedem noch
so fortgeschrittenem Zeitpunkt möglich seien und
sich das Befinden von Patientinnen und Patienten
mit therapierter Anorexia nervosa im Langzeitverlauf (ohne negative Prognosefaktoren) über die
Jahre verbessere. Je schneller und effektiver also in
das Krankheitsgeschehen eingewirkt werde, umso
positiver seien die Verläufe.
Signifikant negative Prognosefaktoren seien ein
langer Krankheitsverlauf, ein schwergradiges Untergewicht, ein gleichzeitig bulimischer Typ, psychische Symptome wie Angststörungen, Depressionen
und Psychosen und eine schlechte soziale Integration. Auch das Thema „Begleitung zum Tode“ wird
in diesem Zusammengang angesprochen: Es müsse
transparenter gemacht werden, wo es in Deutschland Behandlungsplätze für sehr schwer chronifizierte erwachsene Patientinnen und Patienten gebe.
Behandlung ohne Behandlungsauftrag
Wie solle man mit Patientinnen und Patienten
umgehen, die keinen Behandlungsauftrag erteilten,
wenn ein mangelndes Krankheitsgefühl oft ein
Krankheitssymptom ist!? Eine gesetzliche Betreuung könne für Patientinnen und Patienten ohne
THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN
Compliance, mit Therapieresistenz und auch als
Folge einer Hirnatrophie eine Möglichkeit zur
Therapie-Betreuungsabsprache sein. Die Betreuung
sollte jedoch wegen krankheitstypischer familiärer
Schuldverstrickungen nicht durch die Familie – vor
allem die Eltern – wahrgenommen werden.
Essstörungen im Kindes- und Jugendalter
Im zweiten Referat formuliert Dr. Pfeiffer „Empfehlungen zur abgestuften Behandlung von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter“. Er betont, dass in
dieser Altersgruppe Essstörungserkrankungen die
vierthäufigsten psychiatrischen beziehungsweise
psychosomatischen Erkrankungen seien. Dabei
seien die oft kritisierten und als Ursache der Erkrankung angeschuldigten Diäten und allgemeinen
soziokulturellen Faktoren zwar Auslöser, aber nicht
Ursachen der Erkrankungen (von 50 Patientinnen
und Patienten hätten nur 23 angegeben, dass das
herrschende Schlankheitsideal bei ihnen als
Auslöser der Erkrankung eine Rolle gespielt habe).
Im Kindes- und Jugendalter müssten die Perzentilenkurven für Mädchen und Jungen zur Gewichtserfassung herangezogen werden. Dr. Pfeiffer empfiehlt, bei einem Gewicht unterhalb der dritten
Perzentile keine ambulanten Behandlungsversuche
mehr vorzunehmen. Von Seiten der Kinderärztinnen/Kinderärzte werde dieser Gewichtsbereich als
deutlich anorektisch angesehen (Hypotrophie), vergleichbar mit einem Body-Maß-Index unter 14/15 bei
den Erwachsenen.
Empfehlungen
Dr. Pfeiffer hält es für falsch, mit den Betroffenen
nicht über Essen, Essverhalten und Symptomatik zu
sprechen, denn essgestörtes Verhalten dürfe ebenso
wie anderes auffälliges Verhalten in den Familien
nicht totgeschwiegen werden. Dauernde Streitereien um das Essen, die wiederum zu erhöhten familiären Belastungen führen, seien jedoch zu vermeiden. Falsch sei auch die Behauptung, man könne
nur motivierte Patientinnen und Patienten behandeln. Insbesondere Anorexia-nervosa-Patientinnen/
Patienten mit ihrem mangelnden Krankheitsgefühl
könnten unmotiviert wirken, obwohl sie sich Hilfsangebote wünschen.
Dr. Pfeiffer fordert, den raschen Zugang der Betroffenen zu Therapieangeboten – insbesondere
auch ambulanten Angeboten – zu ermöglichen und
die Gewichtsnormalisierung als übergeordnetes und
gemeinsames Ziel aller Behandlungspfade festzulegen. Dazu bedürfe es einer Verbreiterung der Fachkenntnisse zu Essstörungen bei Kinderärztinnen/
Kinderärzten, Hausärztinnen/Hausärzten et cetera
und der Integration dieses Wissens in die Aus- und
Weiterbildung der Mediziner. Auch er plädiere für
einen stärkeren Austausch zwischen Therapeutinnen/Therapeuten, Ärztinnen/Ärzten und Beratungsstellen: um einander kennen zu lernen, zum
Austauschen und zur Vereinheitlichen von Angeboten, aber auch für eine differenzierte gegenseitige Zuweisung von Patientinnen und Patienten,
damit auch Betroffene mit komplizierten Krankheitsbildern rasch früh einsetzende, spezifische
Hilfen bekommen. Falsch wäre es in diesem Zusammenhang, Parallelbehandlungen abzulehnen, denn
gerade bei den Krankheitsbildern mit medizinischen, zahnärztlichen oder anderen Folgen und
Komplikationen seien diese häufig notwendig.
39
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Gesundheitsförderung und Prävention von Essstörungen
In den wissenschaftlichen Vorträgen zu Beratung
und Therapie bei Essstörungen als auch in zahlreichen Praxisbeiträgen wird deutlich, dass beide
Versorgungsformen oft zu spät zum Einsatz kommen und damit kostbare Zeit verloren geht. An die
Gesundheitsförderung und Prävention richtet sich
daher der Anspruch, frühzeitig über Essstörungen
zu informieren und somit aufklärend und vorbeugend zu wirken. Der Gesundheitsförderung wird
dabei bisweilen das Potential zugeschrieben, Kinder
und Jugendliche gegen Diätenwahn und Modebeziehungsweise Schönheitsdiktate immunisieren
zu können. Was Gesundheitsförderung und Prävention im Rahmen des Versorgungsnetzes leisten können und welche Unterstützung sie dafür benötigen,
wird in den nachfolgenden Beiträgen aus mehreren
Blickrichtungen diskutiert.
Prof. Iris Pahmeier vom Deutschen Olympischen
Sportbund und Prof. Alexander Woll von der Universität Konstanz diskutieren in ihrem gemeinsamen
Beitrag das Thema „Sport und Gesundheit“ beziehungsweise „Essstörungen und Sport“. Beide betonen, dass Sport wichtige Sozialerfahrungen ermöglicht und die Entwicklung von Wagnis- und
40
Risikokompetenz befördert. Durch den Aufbau
eines stabilen Körperselbstkonzeptes könne sportliche Betätigung auch zu einem positiven
Selbstkonzept beitragen.
Dass Bewegungsprojekte Selbstwert stärkende
Effekte hervorbringen bestätigt auch Margit
Hasselmann vom Landesinstitut für Schule in Bremen. Mit dem Schulprojekt „Kribbeln im Bauch“
werden Jugendliche bei ihrem Live-Style angesprochen und über jugendgerechte Tanzangebote
Zugangsbarrieren aufgebrochen und Körpererfahrungen ermöglicht.
Auf Kooperationen und Netzwerke setzen die
BZgA-Aktionen GUT DRAUF für Jugendliche und
„Unterwegs nach Tutmirgut“ für Kinder, die von
Reinhard Mann, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, und Dr. Werner Müller, transfer
e.V. im Rahmen der Arbeitsgruppe „Beratung“ vorgestellt werden. Ihre Beiträge zu den epidemiologischen Grundlagen der gesundheitsfördernden
Aktionen und deren Kooperationskonzept sowie
die intensive Diskussion innerhalb der Arbeitsgruppe runden das Thema Gesundheitsförderung und
Prävention von Essstörungen ab.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Referenten/Autoren:
Prof. Dr. Iris Pahmeier
Deutscher Olympischer
Sportbund
Prof. Dr. Alexander Woll
Universität Konstanz,
Sprecher der dvs
Kommission Gesundheit
Prävention von Essstörungen und Gesundheitsförderung
durch Sport
Bildungs- und Entwicklungspotential des Sports
Welche Bildungs- und Entwicklungspotentiale
wohnen dem Sport inne, die Kindern, Jugendlichen
und auch Erwachsenen zugute kommen, wenn sie
sportlich aktiv sind? Hier geht es um mehr als das,
was man gemeinhin dem Sport zurechnet, nämlich
um mehr als Leistungs- und Fitnesskriterien, die wir
speziell vom Hochleistungssport her kennen. Denn
Sport ermöglicht vor allem Sozialerfahrungen:
Durch Sport lernt man, sich zu integrieren, zu kommunizieren, beisammen zu sein, Anschluss zu
finden und Geselligkeit zu erleben. Dieser Bereich
spielt vor allen Dingen im Vereins-, aber auch im
Schulsport eine zentrale Rolle.
Kinder und Jugendliche erfahren auch etwas über
Wagnis und Risiko, erleben sich in der Anspannung
und deren Bewältigung. Bereits ein kleines Kind
fühlt das, wenn es zum Beispiel am Rand eines
Beckens steht und plötzlich in dieses hineinspringen
soll. Das ist eine Wagniserfahrung. Das Kind steht
am Beckenrand und fragt sich: „Traue ich mich oder
traue ich mich nicht?“ Wenn es dieses Risiko eingegangen ist, hat es eine positive „Könnenserfahrung“
gemacht.
Wir lernen durch Bewegung auch, uns auszudrücken, erfahren etwas über Ästhetik und unser Darstellungsvermögen. Menschen, die Sport treiben präsentieren sich mit ihrem Körper in Bewegung und
stellen sich damit dar. Sie nehmen aber auch Eindrücke von außen in ihren Körper auf. Beides, Aus-
drücken und Aufnehmen, ruft Emotionalität hervor.
Dieses Potential zu nutzen ist zum Beispiel ganz zentral, wenn in der therapeutischen Arbeit mit Essgestörten Bewegungs- und Tanzelemente eingesetzt
werden.
In den letzten Jahren ist zudem die Erfahrung von
Gesundheit und Wohlbefinden im Sport immer
mehr ins Blickfeld gerückt. Wir liegen damit auf der
Linie der WHO, die einen breiten Begriff von Gesundheit und Wohlbefinden kreiert hat, an den wir
uns mit unserer Forschung anlehnen.
Bewegungsmangel als zentrales gesundheitliches Problem
Körperliche Inaktivität und ein Mangel an regelmäßiger, sportlicher Betätigung werden zunehmend zu einem grundsätzlichen Gesundheitsproblem in unserer heutigen Gesellschaft, berichtete
die WHO im Jahr 2002. 60 % bis 85 % aller Menschen
– sowohl in Industrienationen als auch in ökonomisch weniger entwickelten Ländern – seien in ihrem Leben inaktiv.
Wenn man die Energiebilanz des Körpers in den
Blick nimmt, dann ist neben dem Thema Ernährung
immer auch die Bewegung mit einzubeziehen. Es
geht einerseits um Nahrungszufuhr, auf der anderen Seite um den Verbrauch von Energie über Bewegung. Lange Zeit wurde dieses Thema ausschließlich
in Bezug auf Erwachsene diskutiert, zum Beispiel
41
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
beim Thema Übergewicht. Die Zahlen der sogemannten MoMo-Studien1 zeigen jedoch, dass auch
Kinder und Jugendliche zunehmend betroffen sind,
und inzwischen spricht die WHO von der Epidemie
des 21. Jahrhunderts.
Das WHO-Ziel bei Kindern und Jugendlichen – eine
Stunde körperliche Aktivität an mindestens fünf
Tagen der Woche – erreichen bei den 4- bis 5-Jährigen gerade noch zwei Drittel, bei den 14- bis 17-Jährigen sind es gerade mal 30 %, mit deutlichen Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen.
Aktivität/Inaktivität ist inzwischen also nicht mehr
nur ein Thema des mittleren und späteren Erwachsenenalters, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen angekommen und eng verbunden mit Gewichtsregulation, Übergewicht und Untergewicht.
Verschiedene Studien kommen unisono zu dem
Schluss, dass ungefähr 50 % der
Kinder und Jugendlichen in
Industriestaaten das Ziel von
einer Stunde moderater körperlicher Alltagsaktivität nicht erreichen. Die Daten für Deutschland
bewegen sich dabei im europäischen Mittelfeld.
Diese deutliche Zunahme von
Bewegungsmangel bedingt zunehmend Erkrankungen und
Beschwerden gerade für das Kinder- und Jugendalter. Noch
Anfang der 1990er Jahre konnte
Klaus Hurrelmann schreiben:
Das Grundschulalter ist die
42
Lebensphase mit den wenigsten
gesundheitlichen Problemen.
Wenn man heute die epidemiologischen Daten betrachtet, müssen wir feststellen, dass sich viele
gesundheitliche Probleme in der
Lebensspanne immer weiter nach
vorne verlagern. Mit Bewegungsmangel hängen auch viele andere Probleme – beispielsweise im
Aufmerksamkeitsbereich – zusammen. Viele ADHS-Kinder sind
eigentlich keine, sondern zappeln,
weil sie sich nicht genügend bewegen dürfen.
Bestätigt werden diese Befunde
auch durch die aktuellen Daten aus der KiGGS-Studie:
Zirka 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche sind
in Deutschland übergewichtig, zirka 800.000
davon adipös.
Der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder
und Jugendliche steigt von 9 % bei den 3- bis
6-Jährigen nach dem Eintritt in die Schule auf
15 % bei den 6- bis 10-Jährigen bis hin zu 17 % bei
den 14- bis 17-Jährigen, wovon 8,5 % adipös sind. 2
Hier ist es wichtig zu sehen, dass sich der Anteil
bei den 14- bis 17-Jährigen seit den 1980er, 1990er
Jahren fast verdreifacht hat; ein alarmierender
Anstieg.
Sportliche Aktivität und Körpergewicht
Der Problemkreis Körpergewicht hat zwei Facetten: Untergewicht auf der einen Seite, Übergewicht
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
auf der anderen. Was kann sportliche Aktivität in
diesem Feld leisten? Die klassische sportmedizinische, sportwissenschaftliche Sicht auf dieses Thema
ist: Wie viel Energie verbrauche ich? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen körperlicher Aktivität und Fitnessparametern? Diese Sichtweise greift
sicher zu kurz, trotzdem stellen wir einige Ergebnisse aus dieser Perspektive vor. Wenn man das Thema
ganzheitlich betrachtet und fragt, wie sportliche
Aktivität psychosoziale Ressourcen insgesamt stärken kann, geht das weit über die Frage hinaus, inwieweit Körpergewicht durch mehr Aktivität beeinflussbar ist. Auch diese Facetten versuchen wir zu
beleuchten.
Die MoMo-Studie „Motorik Modul“– eine Unterstudie der KiGGS-Studie – hat sich explizit mit der
Frage beschäftigt, welche Zusammenhänge es zwischen körperlicher Aktivität, motorischer Leistungsfähigkeit und gesundheitlichen Parametern – wie
beispielsweise dem Gewicht – gibt. Es handelt sich
um eine bundesweite Studie, die über drei Jahre hinweg ungefähr 4.500 Probanden im Alter von vier bis
17 Jahren beobachtete. Das Ergebnis für diese Stichprobe: Wir haben fast 8 % untergewichtige und 80 %
normalgewichtige Kinder; ungefähr 15 % sind übergewichtig, davon 5,4 % adipös. Zusammenhänge
zwischen motorischer Leistungsfähigkeit und der
Frage des Übergewichts ergaben sich bei einem einfachen Test: Weitsprung aus dem Stand. Die übergewichtigen Kinder liegen in Bezug auf ihre motorische Leistungsfähigkeit bei den 4- bis 5-Jährigen
leicht unterhalb der Normalgewichtigen, bei den
14- bis 17-Jährigen deutlich stärker. Wir haben also
bei den kleinen Kindern noch geringe Unterschiede
in der motorischen Leistungsfähigkeit, aber mit
zunehmendem Alter geht die Schere immer weiter
auseinander. Dieser Befund deckt sich mit denen
anderer motorischer Tests.
Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen dem Body-Maß-Index – als Maßzahl für das
Körpergewicht – und den Ergebnissen der verschiedenen Motoriktests. Wir finden einen solchen
Zusammenhang jedoch nicht bei feinmotorischen
Übungen wie beispielsweise Linien nachfahren und
Stifte einstecken. Wir können einen negativen
Zusammenhang zwischen dem Übergewicht und
der motorischen Leistungsfähigkeit nur da nachwei-
sen, wo das Körpergewicht als limitierender Faktor
ins Spiel kommt: bei Fitnesstests, bei denen das
Körpergewicht bewegt werden muss, bei Ausdauerleistungen et cetera. Bei Kindern, die sich eine
Stunde pro Tag moderat bewegen (AktivitätsGuideline), kann man feststellen, dass sich die
Untergewichtigen und die Normalgewichtigen hinsichtlich ihres Aktivitätsgrades nicht unterscheiden,
bei den Übergewichtigen dieser Grad aber erwartungsgemäß signifikant geringer ist. Der Aspekt,
Sport zu treiben, um das Gewicht kontrollieren zu
können spielt für Übergewichtige eine ganz zentrale
Rolle. Gerade Kinder und Jugendliche mit hohem
Körpergewicht versuchen, über ihr Aktivitätsverhalten Kontrolle über den Körper zu bekommen und
Einfluss auf ihr Gewicht zu nehmen. Bei den
Untergewichtigen spielt das interessanterweise
keine so bedeutsame Rolle – zumindest bei den
Angaben, die hier gemacht wurden.
Körperliche Aktivität und psychosoziale
Ressourcen
Was wissen wir über den Zusammenhang zwischen
körperlicher Aktivität und psychosozialen Ressourcen? Wie können Sport und Bewegung psychosoziale
Ressourcen bei Kindern und Jugendlichen aufbauen?
Eine zentrale psychosoziale Gesundheitsressource
ist das Selbst- und Körperkonzept. Vor allem junge Mädchen und Frauen mit Ess- und Ernährungsstörungen
haben oft Selbstwertprobleme. Die Forschung sieht
einen positiven Zusammenhang zwischen den Parametern Selbst- und Körperkonzept und der Ausübung
von Sport.
Das Selbst- und Körperkonzept sind Kognitionen,
die der Mensch im Laufe seines Lebens aufbaut. Es
besteht aus vier Unter-Selbstkonzepten: dem akademischen Selbstkonzept, dem sozialen Selbstkonzept,
dem emotionalen Selbstkonzept und dem Körperselbstkonzept. Das Körperselbstkonzept wiederum
ist relativ komplex. Es ist nicht angeboren, sondern
ebenfalls ein sozialisiertes Faktum. Wir sind also
darauf angewiesen, positive Körper- und Bewegungserfahrungen zu machen, um dieses Körperselbstkonzept positiv auszuprägen. Wenn ein Kind durch
sportliche Aktivität und Bewegung die Erfahrung
macht, dass es etwas kann und gut kann, es sich mit
dem, was es tut in seinem Körper gut fühlt, dann
ist es wahrscheinlich, dass es ein sportspezifisch posi-
43
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
tion beeinflussen. Es kann somit
davon ausgegangen werden,
dass körperliche Aktivität über
ihre positiven Auswirkungen auf
Selbstwirksamkeit und -regulation
sowie auf das allgemeine Selbstkonzept einen gesundheitsförderlichen Effekt auch im Hinblick auf
Essstörungen hat.
Diskussion
tives Körperselbstkonzept entwickelt. Das wiederum
fließt ein in ein übergreifendes positives Körperselbstkonzept und damit auch in einen positiven
Selbstwert.
Es ist relativ gut dokumentiert, dass sportliche
Aktivität einen großen Beitrag zum Selbstwert leisten kann – und zwar vom Kindergarten oder von der
„Baucherfahrung“ an – ich sage das vorsichtig: von
der Fötuserfahrung an.
Wir wissen, dass Sport und Bewegung
die Selbstwirksamkeit verbessern (Ich kann!),
das sportspezifische Können, die Kompetenz und
das Vertrauen stärken,
den Selbstwert stärken (Ich bin gut!),
die körperbezogene Selbstregulationskompetenz
fördern,
das Körpergefühl und das Körperbewusstsein
positiv beeinflussen,
die Kontrolle über Bewegung und Körper stärken,
das Wohlbefinden verbessern,
die Stimmung verbessern und damit die psychi
schen Ressourcen entwickeln und stabilisieren.
Wir können also nachweislich durch Sport und
Bewegung im Kindes- und Jugendalter die Gesundheitsressourcen – vor allem die psychosozialen –
positiv und im Sinne gesundheitsbezogener Präven-
In der Diskussion wird darauf
aufmerksam gemacht, dass Bewegung und Sport Kindern und
Jugendlichen wichtige Anreize
und Impulse böten. Da Kinder
und Jugendliche noch sehr empfänglich für Autorität, Ehrgeiz und Leistungsorientierung seien, müsse jedoch auch die mögliche
Kehrseite beachtet werden. Im Skisport, bei rhythmischer Gymnastik oder Eiskunstlauf im Hochleistungssport begünstige beispielsweise ein niedrigeres Gewicht hohe sportliche Leistungen. Dies führe
zu spezifischen Gefährdungen, besonders wenn problematische Vorbilder für eine einseitige Leistungsorientierung stünden. Der Diskussionsbeitrag erhält
viel Zustimmung. Es wird festgehalten, dass man die
problematischen Aspekte des Sports – besonders des
Hochleistungssports – offensiv aufgreifen und angehen müsse. Prof. Dr. Iris Pahmeier berichtet, dass in
den Sportverbänden ein Umdenken festzustellen sei.
So gebe es Trainerschulungen, Beratungen und
Informationsmaterial zu diesem Problemkomplex.
Zwar müsse noch viel Überzeugungsarbeit geleistet
werden, bis das Wissen zur Basis vordringe, aber der
Prozess habe eingesetzt.
In weiteren Beiträgen wird darauf hingewiesen,
dass die Multiplikatoren im Sportbereich entsprechend geschult sein müssen, um Fragen der Ernährung, Bewegung und Stressregulation sowie die
psychosozialen Bedürfnissen von Jugendlichen
handlungslungssicher aufzunehmen und gegebenenfalls an professionelle Beratungs- und Hilfssysteme verweisen zu können.
1 Homepage: www.motorik-modul.de
Endbericht Motorik-Modul: Eine Studie zur motorischen Leistungsfähigkeit und körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern
und Jugendlichen in Deutschland, Forschung, Forschungsreihe Band 5, Nomos Verlag: Baden-Baden 2009.
2 vgl. Kurtz & Schaffrath Rosario, 2007, S. 7.
44
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Referentin/Autorin: Margrit Hasselmann
Landesinstitut für Schule in Bremen
„Kribbeln im Bauch“ – ein präventives Tanzprojekt
Gesundheitsförderung – „Was hat das mit mir
zu tun?“
Die Prävention von Sucht und Essstörungen war
und ist – ebenso wie Gesundheitsförderung – ein
Bereich, über den wir Fachkräfte sagen, dieser sei
nötig und fördernswert. Zugleich ist es ein Aspekt,
welcher die Jugendlichen selbst überhaupt nicht
interessiert.
Bei Projektangeboten zu Essstörungen an Schulen
waren es immer nur relativ kleine Gruppen von
Jugendlichen, die kamen und interessiert waren.
Das waren die Jugendlichen, welche betroffene
Freundinnen und Freunde hatten. Für diese war
das Angebot zwar auch richtig, aber die Betroffenen
selbst kamen nicht und auch nicht diejenigen, die
als besonders gefährdet gelten. Die Jugendlichen
sagen vielmehr: „Gesundheitsförderung, was hat
das mit mir zu tun? Essstörungen – das betrifft diejenigen, über die in Zeitungen geschrieben wird,
das hat auch nichts mit mir zu tun. Diäten – machen
wir doch alle.“ Krank – das sind in dieser Wahrnehmung die Anderen.
Im Rahmen einer Untersuchung wurden Bremer
Achtklässlerinnen/Achtklässler analog der KiGGSStudie zu ihrem Gesundheitsbefinden befragt. Das
Ergebnis war dem der bundesweiten Studie des
Robert Koch-Instituts sehr ähnlich. Die Achtklässlerinnen/Achtklässler waren der Meinung, sie seien
sehr gesund, und genau so sahen das auch deren
Eltern. Weniger als 5 % der Achtklässlerinnen/Achtklässler gaben an, sie hätten irgendwelche Probleme
mit ihrer Gesundheit. Wie sollen wir bei solchen
Selbsteinschätzungen den Kindern und Jugendlichen Gesundheitsförderung nahe bringen?
Das Thema Körper interessiert
Es ist dennoch wichtig, die Jugendlichen anzusprechen – auch in der schwierigen Abwehrhaltung,
die ich beschrieben habe. Wir wissen, wie wichtig
in dieser Entwicklungsphase alles ist, was mit dem
Körper in Zusammenhang steht. Dies ist die Zeit der
Pubertät mit Disco-Besuchen, ersten Annäherungen
an das andere Geschlecht, ersten sexuellen Erfahrungen. Die Jugendlichen gehen miteinander ins Bett
und dann berichten die Mädchen: „Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wie es war, ich habe nur darauf
geachtet, wie ich meinen Bauch gehalten habe, damit er nicht denkt, dass ich zu dick bin.“
Das Thema Körper interessiert also, aber nicht mit
dem Etikett Gesundheitsförderung. Wir müssen das
Thema „sexy“ machen.
Am Lifestyle der Jugendlichen ansetzen
Deshalb haben wir das Projekt „Kribbeln im
Bauch“ entwickelt. Wir wollen die Jugendlichen mit
diesem Projekt ermutigen, einen besseren Zugang
zu den eigenen Gefühlen zu finden und Handlungsalternativen bei Gefühlslagen kennen zu lernen und
einzuüben. Die Jugendlichen sollen ihre Ausdauer
trainieren und ihre Frustrationstoleranz erhöhen,
die Arbeit an sich selbst intensivieren und sich mehr
zutrauen. Wir wollen gleichzeitig ihr Wissen über
45
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
die Entstehung von Sucht und Gewaltbereitschaft
erweitern, handlungsbezogen auf die eigene Person
und auf andere und wir wollen sie ermutigen, verstärkt Eigenverantwortung zu übernehmen. Wie
erreicht man das? Man muss unkonventionell an die
Jugendlichen herangehen und nicht „brav und bieder“. Wir setzen mit „Kribbeln im Bauch“ am tatsächlichen Lifestyle der Jugendlichen an – bei HipHop und Krumping 1 – und holen sie da ab, wo sie
mit ihren Gedanken und Gefühlen beheimatet sind.
Wir haben dieses Projekt für die Jugendlichen entwickelt, die es „am nötigsten“ haben: Hauptschülerinnen und Hauptschüler aus Gebieten in Bremen
mit sehr niedrigem sozialem Index. Wir wollten mit
unserem Pilotprojekt genau an die Zielgruppen herankommen, von denen immer gesagt wird, man
könne sie nicht erreichen.
Eine gemeinsame Haltung finden
Wenn wir mit diesen Jugendlichen arbeiten – so
unser Ausgangspunkt – dann müssen wir eine gemeinsame Haltung entwickeln und eine spezifische
Methodik finden. Wir haben Erkenntnisse aus der
Resilienz-, Bindungs- und neurobiologischen Forschung berücksichtigt und die Grundgedanken der
Salutogenese haben uns beeinflusst. Wichtig war
uns auch, dass Essstörungen nicht dauernd thematisiert werden. Wir arbeiten primär am Körpergefühl
und streifen das Thema explizit eher selten. „Es ist
zwar immer Essstörung drin, aber es steht nicht
drauf“, sagen wir uns. Und wir müssen mit Peers
arbeiten! Das Projekt darf nicht nur von Erwachsenen getragen werden, sondern es müssen auch
Jugendliche dabei sein, die selbst bestimmte Erfahrungen gemacht haben und näher an der Zielgruppe dran sind. Das Team muss aus jungen, gut
geschulten Fachkräften bestehen, die sich eng am
Bedarf der Jugendlichen orientieren und mit dem
„was aus der Gruppe kommt“ arbeiten können.
Wir Teamer leben alle eine systemische, wertschätzende, ressourcenorientierte Haltung vor, die
die Beziehung in den Mittelpunkt stellt. Zur Identifizierung eventueller Auffälligkeiten müssen die
Teamer sowohl persönlich als auch fachlich in der
Lage sein vertiefende Einzelgespräche zu führen.
Dabei wird sensibel ausgelotet, was zu tun und welche professionelle, weiterführende Hilfe die richtige
ist, und es wird versucht, Hemmschwellen zur In-
46
anspruchnahme von Beratung abzubauen. Nach einer ersten Pilotphase mit sechs Klassen stand fest,
welche weiteren Projektelemente für den Erfolg beizubehalten waren. Dazu gehörte, dass die Projektwoche grundsätzlich außerhalb der Schulen stattfinden muss und dass immer eine halbe Gruppe tanzt,
während mit der anderen Gruppe präventiv gearbeitet wird.
Mit einer Projektwoche Nachhaltigkeit realisieren
Herzstück von „Kribbeln im Bauch“ ist die Projektwoche mit den Jugendlichen. Musik, Rhythmus,
hämmernde Beats, Schweiß, Gefühle, Frust und Lust
bestimmen diese Woche, in der die Jugendlichen in
Kontakt mit ihrem Körper, ihren Gefühlen, ihrer
Kreativität sowie ihren Potentialen und Schwächen
gebracht werden. Was im Schulalltag oft so schwer
fällt kann beim Tanzen erreicht werden. Das Beherrschen des eigenen Körpers oder einer Abfolge von
Tanzschritten erfordert Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen. Außerdem trainiert es die Konzentrationsfähigkeit. Und: Tanzen in einer Gruppe heißt
immer auch miteinander zu tanzen. Dabei geht
nicht darum, wer der/die Beste, Coolste ist; es geht
darum gemeinsam etwas zu erreichen, im Team.
Das Projekt sollte nachhaltig sein und im Schulalltag verankert werden. Wir führen daher jeweils eine
zweitägige Intensiv-Lehrerfortbildung durch, bei
der die Lehrkräfte vor allem auch selbst tanzen und
ins Erleben kommen sollen. In Bremen wurde das
Projekt nur an Schulen durchgeführt, an denen die
Lehrenden bereit waren, an dem zweitägigen
Workshop teilzunehmen. Auch während der Projektwoche sind sie nicht „die Lehrerinnen/Lehrer“,
sondern tanzend mit dabei. Im Nachgang gibt es
weitergehende Angebote wie Einzelberatung oder
Klassen-Coachings für die Schulen.
Kooperation macht’s möglich
Wir haben bei diesem Projekt versucht, verschiedene Akteure vor Ort zusammenzubringen. Die AOK
hat sich am Pilotprojekt mit 24.000 Euro beteiligt,
ohne die es nicht hätte realisiert werden können.
Für die praktische Umsetzung und theoretische
Basierung haben wir unter anderem die School of
Performing Arts und den Bremer Tanzclub GrünGold, die Weltmeister in Lateinformation, gewinnen
können.
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Die Kosten liegen bei 2.900 Euro pro Projektwoche.
Die Evaluationsergebnisse 2 haben gezeigt, dass sich
diese Investition lohnt.
Effekte hinter dem Rücken der Betroffenen?
Vor zwei Jahren lief der erste Durchgang des Pilotprojektes, zurzeit läuft der dritte. Sechs Monate
nach dem Projekt sagten noch 67 Schülerinnen und
Schüler, dass Musik und Bewegung ihnen hilft, mit
ihren Gefühlen besser umzugehen, und dass das
Projekt „Kribbeln im Bauch“ ihnen Musik und Bewegung näher gebracht hat. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Die Verschränkung von Bewegung und
theoretischer Arbeit ist wichtig; es ist nicht nur
Tanz, sondern genauso die Arbeit daran. Insgesamt
haben mehr als zwei Drittel durch das Projekt ein
besseres Körpergefühl gewonnen. 64 Schülerinnen
und Schüler haben das Gefühl, selbstbewusster
geworden zu sein. Das sind immerhin zwei Drittel –
und das sechs Monate später.
Zurzeit läuft eine wissenschaftliche Erhebung zu
den Ergebnissen nach zwei Jahren. Wieder sagen
viele: „Och, eigentlich ist mit mir ja gar nichts passiert, aber das war schön.“ Wenn dann aber nachgefragt wird, ob das Umfeld Veränderungen bemerkt
habe, dann heißt es: „Ja, klar, meine Eltern haben
gesagt, seit diesem Projekt bin ich ganz anders, es
gibt diese schlimmen Auseinandersetzungen zu
Hause gar nicht mehr.“ Oder sie berichten, dass Freunde Veränderungen bemerkt hätten. Die Jugendlichen
selbst haben das Gefühl, ihre Entwicklung sei „normal˝ und bruchlos weitergegangen, aber von außen
gibt es ganz eindeutig die Rückmeldung, dass in dieser Woche unheimlich viel passiert ist.
Diskussion
Ein Lehrer aus dem Publikum äußert sich dahingehend, dass in Schulen an der Basis immer mehr
abgebaut würde, während der Event- und Projektbereich zunähme. Durch die Schuljahrsverkürzung
in Gymnasien hätten die Jugendlichen täglich bis
16:00 Uhr Unterricht und es bleibe keine Zeit mehr
für Sport sowie musische und kreative Aktivitäten;
Schule würde mit diesem eingeschränkten Bildungsbegriff immer „verkopfter“. Deshalb müsse seiner
Einschätzung nach in den Schulen selbst eine Strukturveränderung im Hinblick auf Prävention und
Gesundheitsförderung stattfinden. Dieser Beitrag
findet im Auditorium viel Zuspruch und wird im
weiteren Diskussionsverlauf präzisiert. Statt Projekt
an Projekt zu reihen, sollten zukunftsweisende und
erfolgreiche Ansätze in die Strukturen aufgenommen werden.
1 Krumping
2
ist ein aus dem Afroamerikanischen stammender, aggressiver Tanzstil mit Freestyle-Tanzbewegungen.
Die Evaluationsergebnisse können beim Landesinstitut Bremen angefordert werden (http://www.lis.bremen.de/).
47
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Referenten: Reinhard Mann, Dr. Werner Müller
Moderation/Bericht: Dagmar Grundmann-Isanovic
Bericht aus der Arbeitsgruppe „Prävention und
Gesundheitsförderung“
Risiko- und Schutzfaktoren
Herr Mann erläutert, dass Risiko- und Schutzfaktoren eine entscheidende Rolle dabei spielten, wie
stabil Heranwachsende sich auf den Weg machen
könnten und für ihre Entwicklungsaufgaben gewappnet seien. Als Risikofaktoren auf dem Weg zu essgestörtem Verhalten würden weibliches Geschlecht,
Alter zwischen 13 und 15, depressive Störungen, Übergewicht, erlebte sexuelle Übergriffe sowie Selbstwertproblematik und familiäre Konflikte gelten.
Bezüglich der Schutzfaktoren sei nach individuellen, familiären und soziokulturellen Faktoren zu
differenzieren. Zu den individuellen Faktoren zählten genetische Prädispositionen für Schlankheit,
Durchsetzungsfähigkeit und Selbstwertgefühl, souveränes Rollenverhalten und gute Copingstrategien
im Umgang mit Stressoren, Medienkompetenz und
eigene Wertvorstellungen gegen ein mediales
Schlankheitsideal. Familiäre Faktoren, die schützend in Bezug auf essgestörtes Verhalten gewichtet
würden, seien eine diätfreie Atmosphäre, enge, aber
offene Beziehungen zu Familienmitgliedern und
ein hohes Maß an Kommunikation innerhalb der
Familie. Schutzfaktoren mit soziokulturellem Hintergrund stellten die Akzeptanz unterschiedlicher
Körperformen dar, enge Beziehung zu Freunden
und Freude an sportlicher Betätigung sowie die
Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit mit
geringer Assimilation zu westlichen Schönheitsidealen.
48
Präventionsangebote der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung (BZgA)
Auf der Basis epidemiologischer Erkenntnisse und
dem Wissen um Risiko- und Schutzfaktoren entwickle die BZgA ihr Informationsangebot und Maßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen. Broschüren
im Handlungsschwerpunkt würden für Multiplikatoren, Eltern und Angehörige sowie Betroffene entwickelt und könnten unter www.bzga.de abgerufen
werden. Über das Internetangebot www.bzga-essstoerungen.de und die Telefonberatung bemühe
sich die BZgA um einen niedrigschwelligen Zugang
zu Informationen und Beratungsangeboten.
Mit ihren Präventionsprojekten verfolge die BZgA
einen übergreifenden Gesundheitsförderungsansatz,
der die Themen Ernährung, Bewegung und Stressregulation beziehungsweise psychische Gesundheit
systematisch miteinander verbinde. Die Arbeit in den
Settings erfolge über einen Multiplikatoren-Ansatz:
Fachkräfte aus den relevanten Tätigkeitsfeldern würden fortgebildet und dauerhaft qualifiziert und
jugendrelevante Einrichtungen und Institutionen
nach Qualitätsstandards zertifiziert. Hohe Fachlichkeit und Nachhaltigkeit durch kontinuierliche Evaluation trügen ebenso zum Erfolg bei wie die Vernetzung in Regionen und ein regelmäßiges Update mit
aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen.
GUT DRAUF und „Unterwegs nach Tutmirgut“
Für die Zielgruppe der 12- bis 18-Jährigen stellt
Herr Mann die BZgA-Jugendaktion „GUT DRAUF –
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
bewegen, entspannen, essen – aber wie?“ vor, die sich
bereits in mehreren Regionen und Bundesländern
etabliert habe und in zahlreichen Handlungsfeldern
(Schule, Jugendarbeit, Sport, Jugendreisen et cetera)
um strukturell gesundheitsförderliche Veränderungen bemüht sei. Für die Zielgruppe der 6- bis 11-Jährigen habe die BZgA in den letzten Jahren die Aktion
„Unterwegs nach Tutmirgut“ ergänzend entwickelt,
die sich zwischenzeitlich als Bestandteil von GUT
DRAUF verstehe. Primäre Ansprechpartner seien
Lehrkräfte, Erziehungsfachkräfte und Eltern, die in
den Themen Ernährung, Bewegung, Stressregulation, Erste Hilfe, Gefühle sowie Lärm und Geräusche
sensibilisiert und qualifiziert würden. Allgemeine
Medien und Maßnahmen der BZgA im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit, sowie spezifische zum
Thema Essstörungen ergänzten die beiden Aktionen.
GUT DRAUF – inhaltlich/konzeptionelle Basis
Die Jugendaktion GUT DRAUF strebe gesundheitsförderliche Veränderungen auf der Verhaltensebene
in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Stressbewältigungsstrategien von Kindern und Jugendlichen an, ergänzt Dr. Müller und
wolle auf der Verhältnisebene
gesundheitsförderliche Settings,
Rahmenbedingungen und Strukturen schaffen. Der integrierte
Ansatz zur Gesundheitsförderung
bei GUT DRAUF basiere auf dem
erwiesenen Wechselspiel zwischen Bewegung, Ernährung und
Stress und fuße auf der WHODefinition von Gesundheit und
Gesundheitsförderung und dem
salutogenetischen Ansatz.
und 16 Jahren dabei zu unterstützen, sich in und mit
ihrem Körper wohler zu fühlen. Mädchen und
Jungen sollten ein Gefühl für ihre eigenen Fähigkeiten und Talente entwickeln, ein positives Körpergefühl aufbauen und so in ihrem Selbstwert gestärkt
werden. Das Projekt verstehe sich als Beitrag zur
Prävention von Essstörungen, wie Anorexie, Bulimie
und Binge-Eating-Disorder. Sowohl methodisch als
auch inhaltlich seien viele Parallelen zwischen GUT
DRAUF und BodyTalk identifiziert worden, sodass
eine Kooperation zielführend erschien und die
BodyTalk-Ausbildung zukünftig in das Qualifizierungskonzept von GUT DRAUF integriert werde.
Die Auseinandersetzung mit Schönheit, Figur und
Gewicht bei BodyTalk, die starke Berücksichtigung
der emotionalen Seite des Essens und die Konzentration auf Körpererleben und Selbstakzeptanz
würden die Jugendaktion GUT DRAUF weiter bereichern. Mit dem Unternehmen Dove, das als privater
Partner 50 % der Kosten trage, sei das Jahresziel
festgelegt worden, mit BodyTalk 15.000 Jugendliche
zu erreichen. Auch wenn damit nur eine begrenzte
Kooperation mit dem Projekt
BodyTalk
Die Jugendaktion verstehe sich
als Prozessberatung und -begleitung für Institutionen und Einrichtungen, die mit
Jugendlichen gesundheitsförderlich arbeiten wollen. Im Zuge dieser Entwicklung sei auch die Zusammenarbeit mit dem Präventionsprojekt BodyTalk
entstanden, das vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen und der „Aktion für mehr Selbstwertgefühl“ der Kosmetikfirma Dove initiiert worden sei.
Ziel des Projektes sei es, Jugendliche zwischen 12
Anzahl Jugendlicher unmittelbar angesprochen
werde, entstünde durch die Multiplikatorenarbeit
eine Breitenwirkung, da die geschulten Fachkräfte diesen Weg in der Regel auch nach Abschluss
des Projektes weiter verfolgten. Eine Flächendeckung – für die prinzipiell Konzepte vorlägen – könne
aufgrund der begrenzten Finanzmitteln nicht erzielt
werden.
49
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
Kooperationen mit regionalen Projekten und
Einrichtungen
Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurde
nach den Chancen für Kooperationen mit anderen
bereits bestehenden Projekten gefragt. Herr Mann
plädiert dafür, bei der Jugendaktion GUT DRAUF vor
Ort bereits laufende Maßnahmen einzubeziehen.
Voraussetzung dafür sei allerdings, dass bestimmte
Rahmenbedingungen erfüllt würden, dass Strukturen aufgebaut und der ganzheitliche Ansatz von
GUT DRAUF qualitätsgerecht umgesetzt würde. Ein
neuer Start sei in einer Region immer dann möglich,
wenn die Handlungsfelder Schule, Jugendeinrichtungen und Bewegungspartner gemeinsam gewonnen werden könnten und eine regionale Steuerungsgruppe die inhaltliche, organisatorische und
finanzielle Begleitung übernähme. 1
Plädoyer für die Zielgruppe der Jugendlichen
Einige Teilnehmende halten es für erforderlich,
dass die Prävention von Essstörungen sehr früh
ansetzen und schon in der frühen Kindheit beginnen müsse. Auch wenn die Referentinnen und Referenten dieser Einschätzung grundsätzlich zustimmen, setzt sich Herr Mann vehement für die
Fokussierung auf die Zielgruppe der Jugendlichen
ein, da Recherchen ergeben hätten, dass für Jugendliche nur unzureichend Angebote vorgehalten
würden. Kinder seien in der Regel noch sehr begeisterungsfähig, während bei Jugendlichen mehr
Widerstände vorhanden seien; sie seien somit schwieriger zu erreichen, unbequemer und würden deshalb auch weniger berücksichtigt. Hinzu komme,
dass die Phase der Pubertät entwicklungspsychologisch von sehr hoher Bedeutung sei. In dieser Zeit
würden im Gehirn alle Synapsen noch einmal neu
verknüpft. Zuvor Erlerntes würde dabei in einen
anderen kognitiven Zusammenhang gestellt und
Verhaltensweisen, die bis zum Erwachsenenalter
überdauerten, neu herausgebildet. Darin läge eine
große Chance, die bei der Jugendaktion GUT DRAUF
genutzt würde.
Neue Wege zur Gesundheitsförderung und
Prävention in Schulen
Viele Diskussionsbeiträge weisen darauf hin, dass
in Schulen zunehmend eine starke Zurückhaltung
und regelrechte Projektmüdigkeit anzutreffen sei
und die personellen Ressourcen knapp seien, was ein
50
Engagement in den Schulen für Prävention und
Gesundheitsförderung schwierig mache. Im Zuge der
Schulzeitverkürzung an Gymnasien stünden darüber
hinaus immer weniger zeitliche Freiräume zur Verfügung, und Gesundheitsförderung würde in Randzeiten abgedrängt. Dr. Müller bestätigt diese Erfahrungen. Im Rahmen von GUT DRAUF werde daher
inzwischen eine veränderte Strategie angewandt, die
als eine Mischung von „TopDown“ und „BottomUp“
charakterisiert werden könne: Über die Schulaufsichtsbehörden würden Lehrkräfte und Fachkräfte
aus der Schulsozialarbeit verpflichtet, an den Einführungsveranstaltungen von GUT DRAUF teilzunehmen.
Dort würden Angebote vorgestellt, die für Lehrkräfte
einen unmittelbaren Nutzen erkennbar machten
und ihnen die Arbeit erleichterten. Den Schulen
werde in diesem Zusammenhang deutlich gemacht,
dass sie die Teilnahme am GUT DRAUF-Projekt auch
als Imagezuwachs nutzen könnten.
Wenn auf diese Weise Unterstutzung durch die
Entscheidungsträger und die Lehrkräfte zusammenkomme, entstehe eine gute Grundlage für nachhaltige Projektumsetzungen und Strukturveränderungen.
Auch die inzwischen beginnende Öffnung von Schulen
nach außen könne für die Aufnahme von Gesundheitsförderung in Schulen gut genutzt werden:
Durch den Ausbau zu Ganztagsschulen müssten dort
vielfach auch Verpflegung, Freizeitangebote und
Feriengestaltung aufgenommen werden. Dabei seien
Lehrkräfte stärker auf externe Fachkräfte und deren
Know-how angewiesen, was die Kooperation beschleunigen und verbessern könne.
Einzelprojekte versus Strukturaufbau
Ausführlich wird in der Arbeitsgruppe die Kontroverse Einzelprojekte versus Strukturaufbau diskutiert. Herr Mann erläutert dazu, dass für eine nachhaltige Gesundheitsförderung der ganzheitliche
Ansatz von Ernährung, Bewegung und Stressregulation sowie tragfähige Strukturen Voraussetzung
seien. Ausschließlich Einzelprojekte, wie sie früher
gefördert wurden, zeigten nicht die gleiche Durchschlagkraft wie Projekte, die in einem nachhaltig
angelegten Zusammenhang stünden. Man habe in
jahrelanger Erprobung einen Zertifizierungsprozess
und ein standardisiertes Verfahren entwickelt, das
sich schließlich zu einem großen Programm entwikkelt habe. Die Geldmittel, die in dieses Programm
GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN
fließen entsprächen denen, die zuvor in zahlreiche
Einzelprojekte geflossen seien; die Wirkung des umfassenden Programms sei jedoch größer. Einer Kooperation mit Einzelprojekten unter dem Dach von
GUT DRAUF stehe prinzipiell nichts entgegen, wenn
die Kriterien übereinstimmten und eine regionale
Bedarfsabstimmung deutlich werden lasse, dass
Synergien möglich seien.
Bezüglich einer nachhaltigen Strukturförderung
gibt Frau Borse positive Erfahrungen mit dem Projekt BodyTalk weiter. Um in die Breite zu gehen,
habe man nicht einzelne Lehrkräfte angesprochen,
1 Die
sondern zunächst die politische Entscheidungsebene, dann die Administration, im Anschluss die
Leitungsebenen in den Schulen, dann die Lehrund Fachkräfte und von hier aus die Jugendlichen
selbst und manchmal auch die Eltern. Auf diese
Weise würden Gesundheitsförderung und Prävention aufgewertet und aus den Randzeiten herausgeholt. Deshalb betont Frau Borse mit Nachdruck,
dass sich Gesundheitsförderung nur über Strukturaufbau effektiv umsetzen lasse. Allerdings könnten
Einzelprojekte nach wie vor ihre Bedeutung behalten,
wenn sie in dieser Strukturlandschaft aufgingen.
idealtypischen Schritte des GUT DRAUF-Prozesses können detailliert unter www.gutdrauf.net eingesehen werden.
51
KOMMUNIKATION UND MEDIEN
Referentin/Autorin: Daniela Kühne,
Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V.
Die Rolle des Internets in der Kommunikation rund um das
Thema „Essstörungen“
Essstörungen im Web 2.0
„Das Internet spielt bei der Kommunikation unter
und mit Essgestörten eine zunehmend wichtige
Rolle“ berichtet Frau Kühne in ihrem Beitrag zur
Einleitung der Podiumsdiskussion „Kommunikation
& Medien“. Tag und Nacht sei es erreichbar. 24 Stunden täglich sei die Kommunikation über das Netz
und damit der interaktive Austausch möglich;
sowohl unter Gleichgesinnten als auch mit Expertinnen und Experten. Es gewährleiste Anonymität
bei gleichzeitig niedrigschwelliger Hilfe. Vernetzung und maximale Synergieeffekte kombinierten
sich mit kostengünstiger Aufklärung und Kommunikation. Aber Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen
und Gesundheitsbehörden seien nicht allein im
Netz. Internetforen, wie etwa Pro-Ana sorgten für
ein gefährliches Spiel mit der tödlichen Krankheit.
Es lohne sich also ein intensiver Blick auf die Kommunikation im Social Web (Web 2.0) zum Thema
Essstörungen, um herauszufinden, wie dieses künftig noch besser in die Kommunikation mit Betroffenen und Angehörigen eingebunden werden könne.
Zielgruppen
Mittels Zielgruppenanalyse im Rahmen einer
Studie 2 von ANAD e.V. im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) seien 7 Zielgruppen
identifiziert worden, die in drei „Klassen“ eingeteilt
werden könnten. Zu den „Expertinnen/Experten“
rechne die Studie Therapeutinnen/Therapeuten
52
und Geheilte. Sie stellten die „Opinion Leader“ in
den Communities dar, die sich intensiv mit dem
Thema Essstörungen beschäftigen. Größtenteils
seien es jene, die die Krankheit erfolgreich bekämpft hätten und nun anderen Betroffenen helfen
und Mut machen wollten. Ebenso gebe es Therapeutinnen und Therapeuten, die den Betroffenen
mit Rat in den Foren zur Seite stünden. Die „Expertinnen/Experten“ seien Garanten für Reputation und
Authentizität der Seite. Nur wenn sie in einer
Community vorhanden seien, könnten weitere User
langfristig gebunden werden.
Die Erkrankten – die größte Gruppe der User – bilden die „Hilfesuchenden“ ab. Dabei handele es sich
meistens um junge Mädchen und Frauen, die schon
mehrere Jahre erkrankt seien. Viele von ihnen gingen in die Foren, um sich mit „Ihresgleichen“ auszutauschen, weil sie sich nur hier verstanden fühlten.
Einige suchten Rat, wie sie aus der Essstörung rauskommen, andere wollten sich einfach nur über ihren Alltag mit der Krankheit austauschen, weil sie
sonst mit niemanden darüber reden könnten.
Neu betroffene Patientinnen und Patienten oder
auch Angehörige, Freunde und Bekannte von
Erkrankten informieren sich in den Communities
ohne häufig an regen Gesprächen teilzunehmen.
Viele neu betroffene Patientinnen und Patienten
wendeten sich an die Foren, weil sie sich nicht
sicher seien, ob sie magersüchtig sind und hätten
Angst davor in die Krankheit hinein zu geraten.
KOMMUNIKATION UND MEDIEN
Andere hingegen suchten die Bestätigung, dass sie
mit ihrem Essverhalten so viel wie möglich abnehmen; das Risiko in eine Essstörung zu geraten werde
von ihnen zumindest indirekt in Kauf genommen.
Da von Essstörungen vor allem junge Mädchen im
Pubertätsalter betroffen seien bildet die Gruppe
der Eltern den größten Anteil unter den Angehörigen. Sie fühlten sich meist hilflos, da gerade in der
Jugendphase das Verhältnis zwischen Kind und
Eltern durch Rebellion seitens der Kinder geprägt
sei, was es für die Eltern noch schwieriger mache,
auf ihre essgestörten Kinder einzuwirken. Einige Angehörige schlössen sich über die Foren zusammen,
um nach der Therapie den Betroffenen beizustehen,
sich über Erfahrungen während der Therapie auszutauschen und anderen zu helfen.
Themen
Bei genauer Betrachtung der in den Foren angesprochenen Themen ließen sich 4 Bereiche identi-fizieren: Da sei zum einen die Gefühlswelt der
Be-troffenen, charakterisiert durch ein oft geringes
Selbstbewusstsein und das Empfinden von Alleinsein und Alleingelassenwerden. Leben mit der
Magersucht bilde sich im Schreiben über Haarausfall und Abführmittel, Schwangerschaft und
Unfruchtbarkeit ab, und immer wieder mit dem
Prinzip „kein Gramm zu viel – der Kontrollzwang
mit der Waage“. Auch das Auftreten von Magersucht mit anderen Krankheiten, vor allem mit
Bulimie und Borderline-Syndrom sei Thema in
den Foren. Und Strategien und Wege aus der
Krankheit würden immer wieder in den Foren
gesucht. Ein viel diskutiertes Thema sei auch die
Internetbewegung „Pro-Ana“.
Wege in die und aus der Magersucht
Mittels Analyse der Diskussionsbeiträge ließen
sich zentrale Wege der Magersucht nachzeichnen
und mögliche Wege aus der Magersucht identifizieren.
Bedarf nach spezifischen Internetangeboten
Zum Abschluss ihres Vortrages und im Übergang zur
Podiumsdiskussion fasst Frau Kühne folgende Aspekte
zusammen, die ihrer Ansicht nach in der Kommunikation, bei Kampagnen und vor allem beim Aufbau eines
Online-Portals berücksichtigt werden sollten:
Breitgefächerte Beratung für Betroffene, Angehörige und Freunde/Bekannte von Betroffenen:
Therapeutinnen/Therapeuten und Ärztinnen/
Ärzte sollten für Fragen bereit stehen, die Anonymität und Niedrigschwelligkeit gewährleisteten.
Erfahrungsgeschichten von ehemals essgestörten
Menschen, um Betroffenen Mut zu machen.
Detaillierte Beschreibungen von Anzeichen und
Symptomen der verschiedenen Essstörungen.
Gewinnung von Expertinnen/Experten zum
Beispiel für Diskussionsforen.
Auflistung von Spezialkliniken
Detaillierte Beschreibung von Therapiemöglichkeiten und Beantwortung der häufigsten Fragen, die in
Zusammenhang mit Therapien gestellt werden (FAQs).
Kampagnen sollten Jahreszeiten berücksichtigen,
in denen die Betroffenen besonders Probleme mit
ihrem Körpergewicht hätten, zum Beispiel die
Urlaubszeit im Sommer und nach Weihnachten.
1 Die vorgestellte Studie wurde im Zeitraum Januar 2007 bis August 2008 durchgeführt. In der Analyse wurden insgesamt 5.887.652
Beiträge aus 32 Foren mit 166.704 Usern berücksichtigt; 34.426 Beiträge mit magersuchtbezogener Kommunikation von 8.121
Usern wurden identifiziert. Für die Zielgruppen- und Themenidentifikation wurden zirka 350 Beiträge qualitativ ausgewertet.
53
KOMMUNIKATION UND MEDIEN
Mit Prof. Dr. Hans-Joachim Berndt,
Nicola Haaks, Daniela Kühne, Katja
Rauchfuß, Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Bericht aus der Podiumsdiskussion
„Kommunikation & Medien“
Hinsichtlich des Umgangs mit „Pro-Ana-Seiten“
im Netz wird intensiv diskutiert welche Maßnahmen zur Aufklärung zu ergreifen seien. Einerseits besteht die Auffassung, dass vor allem Eltern über
die Gefahren von Magersucht und Ess-/Brechsucht
verherrlichenden Seiten informiert sein müssten,
um ihre Kinder schützen zu können. Anderseits gibt
es die Sorge, dass durch öffentliche (und mitunter
reißerische) Berichterstattung die Wahrnehmung von
Betroffenen erst auf diese Seiten gelenkt werde. Im
Laufe der weiteren Diskussion entsteht weitgehend
Konsens dazu, wie aus der Perspektive von Gesundheitsförderung und Prävention fachlich angemessen
auf „Pro-Ana-Seiten“ zu reagieren sei:
Auf eine Popularisierung der Seiten durch öffentliche Berichterstattung verzichten.
Eltern, Fachleuten und Providern Informationen
und Aufklärung anbieten. 1
Über die Provider die entsprechenden Seiten
ab schalten und an deren Stelle Beratungsund Hilfsangebote platzieren, zum Beispiel
www.hungrig.de oder www.magersucht.de.
Den Medien wird in der Diskussion eine hohe Verantwortung bei der Entwicklung von Essstörungen
zugesprochen. Über Frauenzeitschriften, Schönheitsund Modelwettbewerber sowie Dokumentationen
über Schönheitsoperationen würden Körperbilder
zunehmend normiert. Ein teilnehmender Lehrer
weist darauf hin, dass die Beispiele aus der „Glamour-
54
und Glitzerwelt“ weit in den Alltag der Jugendlichen
hineinreichten und sie in dieser Hinsicht ständig
Bewertungen ausgesetzt seien. Dies zeige sich in mobbenden Bemerkungen über „zu dick“ sein auf dem
Schulhof aber auch in Zutrittsverweigerungen zu
Clubs, wenn man „nicht chic genug“ gekleidet ist.
Deshalb sei es wichtig, sich in der Werbeindustrie
wieder für die Überzeugung einzusetzen, dass normale Körper „sexy“ seien. Die Auflagenhöhen und begeisterten Leserinnenzuschriften bestätigten den
Frauenzeitschriften immer wieder, dass Frauen eine
realistischere Darstellung sehr schätzen und deshalb eher Kundinnen gewonnen werden, als verloren gehen.
Die Ressortleiterin des Bereichs Gesundheit und
Diäten der Zeitschrift „Brigitte“ bringt in die Diskussion ein, dass in Deutschland die Vorstellung „Ich
bin wie ich bin und stehe zu meinem Körper“ schon
recht gut platziert sei. Auch die Werbebranche
arbeite vielfach individualisiert und typbezogen.
Viel kritischer einzuschätzen seien die Botschaften,
die in erster Linie aus den USA kommen.
Es besteht Einigkeit, dass es sich um ein globales
Problem handelt, das ein konzertiertes und gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene bis hin zur
WHO erforderlich mache. Da die Wirtschaftsinteressen der Schönheitsindustrie als sehr hoch und
durchsetzungsstark eingeschätzt werden, müssten
die Konsumentinnen und Konsumenten gestärkt
KOMMUNIKATION UND MEDIEN
werden und Kinder früh ein selbstbewusstes und
gesundes Körperbild sowie ein kritisches und selbstbestimmtes Konsumverhalten entwickeln.
In der Diskussion wurde festgehalten, dass der
Blick auf die Modebranche und Medienwelt alleine
nicht ausreiche. Man müsse sich auch fragen, was
mit einer Gesellschaft los sei, die Menschen als etwas Besonderes darstelle, die eigentlich nichts mehr
darstellen. Menschen dürften nicht auf ihr Aussehen, auf Schönheit und Gewicht reduziert werden,
sondern es gehe darum, Alternativen aufzuzeigen und erlebbar zu machen. In dem Zusammenhang stelle sich die Frage, welche alternativen
Lebensentwürfe es gebe und welche sinn- und iden-
titätsstiftenden Werte gesellschaftlich vermittelt
würden; und woran es liege, dass weibliche und
zunehmend auch männliche Identitäten so wenig
geistige Nahrung bekämen. Präventive Maßnahmen
sollten sich eng an den Bedürfnissen der Jugendlichen orientieren, die sich bei kommerziellen und
auch bei gefährlichen Angeboten des Webs offensichtlich wohlfühlten, wird in der Diskussion betont.
Jugendliche wollten etwas erleben, suchten das
Risiko und das Besondere reize sie. Deshalb müssten
ihnen attraktive Angebote zur Auseinandersetzung
angeboten werden. In einem weiteren Beitrag wird
ergänzt, dass präventive Maßnahmen sehr genau
zwischen Erkrankten und Gefährdeten differenzieren
und zielgruppenspezifisch ausgerichtet sein sollten.
1 In diesem Zusammenhang wird auf den Ratgeber „Gegen Verherrlichung von Essstörungen im Internet - Ratgeber für Eltern,
Fachkräfte und Provider“ hingewiesen, der beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kostenfrei
bestellt oder heruntergeladen werden kann.
55
SCHLUSSWORT
Referentin/Autorin: Prof. Dr. Elisabeth Pott
Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche
Aufklärung
Schlusswort
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
in zwei Tagen intensiver Diskussion mit einem so
hochkarätigen Fachpublikum ist das Thema erschöpfend behandelt worden. Einige Punkte, die in
diesen zwei Tagen angesprochen wurden und die
mir besonders wichtig sind, möchte ich abschließend nochmals aufgreifen.
Gesundes Aufwachsen von Anfang an
Als zentrale Aufgabe wurde formuliert, dass wir
mit der Prävention von Essstörungen sehr früh
in der Kindheit, also möglichst weit im Vorfeld einer Störung zu beginnen haben. Daher möchte ich
auf einen Vorschlag zurückkommen, der im Laufe
der Tagung gemacht wurde: Bei Müttern mit kleinen
Kindern zu beginnen, den Müttern zu helfen, Sicherheit im Umgang mit dem Kind zu gewinnen. Dabei
dürfen wir keine Strategien entwerfen, die Mütter
noch weiter verunsichern, sondern müssen konkrete
Hilfestellungen geben, die das Selbstbewusstsein
der Mütter stärken und ihnen die Angst nehmen,
dauernd etwas falsch zu machen. Die Interaktion
zwischen Mutter und Kind zu stärken ist ein tiefgehender Ansatz in der Prävention, den ich für unverzichtbar halte.
In der Prävention geht es vor allen Dingen darum,
Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Kompetenzen zu stärken. Und dieser Ansatz kommt in der Tat
56
manchmal in der Diskussion zu kurz. Es ist notwendig, Kindern – unabhängig von ihrem Gewicht oder
ihren gesundheitlichen Schwierigkeiten und Problemen – Zuwendung und Anerkennung zu geben,
sie ernst zu nehmen und sie in ihrer Persönlichkeit
zu stärken. Je mehr wir das schaffen, desto besser
sind Kinder für die Anforderungen, die im Leben auf
sie zukommen gewappnet; auch für falsche Vorbilder und Idole. Es ist sehr viel schwieriger und anspruchsvoller, einem Kind beizubringen, inmitten
aller Beeinflussungen seinen eigenen Weg zu gehen
als ihm nur zu sagen, es solle mehr Salat essen. Weil
das so viel schwieriger ist, fehlt es manchmal auch
an den notwendigen Vermittlungsfähigkeiten der
Erwachsenen. Denn wer das vermitteln will, muss
auch selbst über solche Kompetenzen verfügen. Das
ist ein sehr anspruchsvolles pädagogisches Konzept.
Und nicht jeder, der Verantwortung für Kinder hat,
ist automatisch in der Lage, das auch zu leisten. Es
geht deshalb auch darum, dass wir die verschiedenen Zielgruppen – die Betroffenen, Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer – in
die Lage versetzen, diesen umfassenden Ansatz der
Lebenskompetenz zu verstehen beziehungsweise
zu vermitteln.
Einen gesunden Lebensstil fördern
Die Förderung eines gesunden Lebensstils sollten
wir in den Mittelpunkt unserer Strategie stellen,
nicht die Themen Übergewicht oder Untergewicht.
SCHLUSSWORT
Dazu gehört die Förderung einer gesunden Ernährung, der Fähigkeit zur Stressbewältigung und
ausreichender gesundheitsförderlicher Bewegung
– hier sind ausdrücklich Bewegungskonzepte gemeint, die geeignet sind, Freude an der Bewegung
zu vermitteln. Dazu gehört aber auch die Förderung
von Lebenskompetenz, das heißt von Kommunikationsfähigkeit, Konfliktlösungsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Eigenaktivität. Wir haben in den Vorträgen und Diskussionen viele Partner gehört, die
bereit sind, diesen Weg zu gehen, und sich bereits
auf den Weg gemacht haben. Die Bundeszentrale
für gesundheitliche Aufklärung hat mit ihrer Jugendaktion „GUT DRAUF: Bewegung, Ernährung und
Stressbewältigung“ ein integriertes Konzept entwickelt, das wir gerne zur Verfügung stellen.
Struktur und Vernetzung stärken
Wir haben während dieser Tagung viel versprechende Projekte kennen gelernt und durften an
deren Erfahrungen teilhaben. Wir haben aber auch
gelernt, dass diese guten Projekte zum Teil noch
im Widerspruch zu den vorhandenen Strukturen stehen. Ich denke dabei an die Schulen, die sich mit
Projekten überfrachtet fühlen und in denen wir eine
gewisse Projektmüdigkeit beobachten. Hier müssen Wege gefunden werden, erfolgreiche Projekte
so in Strategien zu integrieren, dass sie Teil des
Regelangebots und der Regelversorgung werden.
Aus den Vorträgen und Diskussionen zur Beratung
und Therapie hat sich die Forderung einer besseren
Vernetzung ergeben, vor allem die Forderung nach
der Sicherstellung einer Behandlungskette, ohne
dass immer wieder Brüche entstehen. Diesen Punkt
müssen wir aufgreifen und in die weiteren Überlegungen – auch zur Finanzierung – weiter tragen.
Zum Schluss möchte ich noch einmal auf das Ziel
der Tagung hinweisen. Es war vorgesehen mit dieser
Tagung ein Thema, das wir über viele Jahre in Expertenkreisen diskutiert haben, stärker in die breite
Öffentlichkeit zu tragen und das Thema Essstörungen
zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen. Nur
wenn wir eine stärkere öffentliche Resonanz und
eine stärkere Debatte in der Gesellschaft erreichen,
haben wir auch die Möglichkeit, Verbesserungen zu
erzielen. Es entsteht dann öffentlicher Druck, der –
das muss man ganz nüchtern sagen – dazu beiträgt,
die Dinge verbessern zu können, die wir in der Defizitanalyse festgehalten haben.
Ich hoffe, dass Sie aus dieser Tagung etwas Positives mit nach Hause nehmen, dass Sie neue Motivation gewonnen haben und dass wir gemeinsam in
der nächsten Zeit noch mehr erreichen können, als
bislang möglich war.
Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt und sage
noch einmal herzlichen Dank!
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Anhang
Tagungsprogramm im Überblick
Gesamtmoderation: Sybille Seitz
Programm 12. Februar 2009
10:00 – 11:00
Registrierung & Begrüßungskaffee
11:00 – 11:30
Begrüßung und Einführung
Rolf Schwanitz, Parlamentarischer Staatssekretär des
Bundesministeriums für Gesundheit
11:30 – 12:30
Beratung bei Essstörungen – Zwischen Autonomiekonflikt
und Empowerment
Sigrid Borse, Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen gGmbH
Therapie – Neue Aspekte der Behandlung
Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, Deutsche Gesellschaft für
Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie,
vertreten durch Dr. Ulrich Hagenah, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikum RWTH Aachen
Diskussion
12:30 – 13:30
13:30 – 14:40
14:40 – 15:30
15:30 – 16:00
16:00 – 16:45
16:45 – 17:30
17:30 – 20:00
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Mittagspause
Die Kommerzialisierung des Körpers
Prof. Susie Orbach
Diskussion
Statements zu „Prävention und Gesundheitsförderung“
Prof. Dr. Iris Pahmeier, Deutscher Olympischer Sportbund
Prof. Dr. Alexander Woll, Universität Konstanz, Sprecher der dvs
Kommission Gesundheit
Margrit Hasselmann, Landesinstitut für Schule in Bremen
Kaffeepause
Statements zur „Beratung“
Kathrin Harrach, magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V.
Sylvia Baeck, Dick und Dünn e.V.
Statements zur „Therapie“
Andreas Schnebel, ANAD e.V.
Prof. Dr. Manfred Fichter, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V./
Klinik Roseneck (Prien) und Universität München
Abendempfang
Anhang
Programm 13. Februar 2009
09:00 – 10:30 Parallele Arbeitsgruppen
„Prävention und Gesundheitsförderung“
Reinhard Mann, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
Dr. Werner Müller, Geschäftsführer transfer e.V.
Moderation
Dagmar Grundmann-Isanovic
„Beratung“
Ulrich Weigeldt, Deutscher Hausärzteverband e.V.
Katrin Raabe, Mädchenhaus Heidelberg e.V.
Moderation
Karin Reupert, Waage e.V.
„Therapie“
Prof. Dr. Hans-Christian Deter, Deutsches Kollegium für
psychosomatische Medizin
Dr. Ernst Pfeiffer, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Moderation
Dr. Wally Wünsch-Leiteritz, Klinik Lüneburger Heide
10:30 – 11:00
Kaffeepause
11:00 – 13:15
Kommunikation & Medien
Daniela Kühne, Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V.
Statements
Prof. Dr. Hans-Joachim Berndt, House of packshots Film- und
Fernsehproduktion GmbH
Nicola Haaks, Zeitschrift Brigitte
Daniela Kühne, Creative Director
Katja Rauchfuß, jugendschutz.net
Prof. Dr. Wimmer-Puchinger, Wiener Programm für Frauengesundheit
Podiumsdiskussion
Schlussworte
Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung
13:15 – 13:30
13:30 – 14:30
Abschlussimbiss
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Anhang
Autorinnen- und Autorenverzeichnis/
Kurzbiographien
Sylvia Baeck
Mitgründerin und Projektleiterin des Beratungszentrums bei Essstörungen DICK & DÜNN e.V.,
Projektleitung des Projektes "Wenn Essen zum
Problem wird ...", Autorin verschiedener Elternratgeber und Broschüren
Ressortleitung BRIGITTE/Gesundheit und CoRedaktionsleitung der Zeitschrift BRIGITTE-Balance
mit dem Fokus auf Ernährung, Wohlbefinden und
Fitness, zuvor freie Autorin unter anderem für
DIE ZEIT, STERN, GEO-Saison
Prof. Hans-Joachim Berndt
Dr. Ulrich Hagenah
Geschäftsleiter der HOUSE OF PACKSHOTS Filmund Fernsehproduktion GmbH, Wegbereiter der
deutschen Werbung, Lehrauftrag an der
Nürnberger Akademie der bildenden Künste
Sigrid Borse
Geschäftsführerin des Frankfurter Zentrums für
Ess-Störungen gGmbH, Lehrtätigkeit an den
Fachhochschulen Frankfurt und Fulda, Studium der
Diplompädagogik, Psychologie und Soziologie
Prof. Dr. Hans-Christian Deter
Direktor der Abteilung für Psychosomatik und
Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin der
Charité, Professur für Psychosomatik und Psychotherapie, Projektleiter des BMBF-Projekts: Langzeitverlauf der Anorexia nervosa, Arzt für Innere und
Psychosomatische Medizin
Prof. Dr. Manfred Fichter
Ärztlicher Direktor und Chefarzt der MedizinischPsychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am
Chiemsee mit Schwerpunkt zur Behandlung von
Essstörungen, Erster Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen e.V.
Dagmar Grundmann-Isanovic
Dipl. Pädagogin, selbständig tätig im Bereich
Gesundheitskommunikation und Berufsorientierung für Jugendliche, zuvor wissenschaftliche
Angestellte in der Kinder- und Jugendpolitik und
gesundheitlichen Aufklärung, Autorinnentätigkeit
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Nikola Haaks
Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen, Facharzt für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Kinderheilkunde mit Arbeitsschwerpunkt Essstörungen im Kindes- und Jugendalter
Kathrin Harrach
Dipl. Sozialpädagogin, Mitbegründerin und Zweite
Vorsitzende des Internetportals magersucht.de,
Selbsthilfe bei Essstörungen e.V., Online-Beraterin,
Ausbildung in Klientenzentrierter Gesprächsführung, Freie Mitarbeiterin des Frankfurter Zentrums
für Ess-Störungen gGmbH
Margit Hasselmann
Pädagogin, Referentin für Gesundheit und Suchtprävention beim Landesinstitut für Schule, Bremen
und in Nebentätigkeit für die Arbeitsfelder Beratung – besonders bei Essstörungen –, präventive
Projekte, Vernetzung, Erwachsenen(fort)bildung,
Zukunftswerkstätten, Change-Prozesse
Daniela Kühne
Mitinitiatorin der bundesweiten “AktionMahlzeit” von ANAD e.V. gegen Essstörungen und
für ein gesundes Essverhalten bei Kindern und
Jugendlichen, Kampagnenarbeit und PR-Botschafterin für ANAD e.V. in München
Anhang
Reinhard Mann
Leiter des Referates „Prävention von ernährungsbedingten Krankheiten, Gesundheitsförderung“ in
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
(BZgA), dort verantwortlich für den Präventionsansatz „Ernährung, Bewegung und Stressregulation“. Diplompsychologe mit Ausbildung in klinischer Psychologie, Verhaltenstherapie, Familientherapie und Gruppendynamik
Dr. Werner Müller
Geschäftsführer / Projektkoordinator des transfer
e.V. (Köln) unter anderem für das Programm GUT
DRAUF, Projektleiter der "Modellseminare für
Jugendreisen und internationale Begegnungen",
Studium der Soziologie, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der Freizeitpädagogik
Prof. Susie Orbach
Psychoanalytikerin, Autorin und Mitbegründerin
der Therapiezentren für Frauen “Women’s Therapy
Centre” in London und “The Women’s Centre
Institute” in New York, Autorin unter anderem von
„Fat is a Feminist Issue“, „Hunger Strike“, „On
eating” und „Bodies”, Gründerin von „Anybody”
(www.any-body.org), einer Initiative, die sich für
Körpervielfalt einsetzt
Prof. Dr. Iris Pahmeier
Professorin für Sportwissenschaft am Institut für
Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften
der Hochschule Vechta, Arbeitsschwerpunkte unter
anderem: Sport/Fitness und (psychische) Gesundheit, Entwicklung und Evaluation von Gesundheitsund Fitness-Sportprogrammen, Selbst- und Körperkonzept im Sport, Sozialkompetenz von Trainern
und Lehrern, Motorische Leistungsfähigkeit und
Kompetenz von Kindern und Jugendlichen
Dr. Ernst Pfeiffer
Leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie,
Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und
Jugendalters, Leiter der dortigen Arbeitsgruppe
Essstörungen, Charité – Universitätsmedizin Berlin,
Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und
Pädiatrie
Prof. Dr. med. Elisabeth Pott
Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Honorarprofessur im Zentrum für
öffentliche Gesundheitspflege an der Medizinischen
Hochschule Hannover am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung
Katrin Raabe
Diplompädagogin, Geschäftsführerin des Mädchenhaus Heidelberg e.V., Durchführung von Präventionsangeboten, Fachvorträge, Fortbildungen,
Aufbau des Internetportals www.ess-stoerungen.net,
Fachbuchautorin, www.katrin-raabe.de
Katja Rauchfuß
Medienwissenschaftlerin, Hotline-Mitarbeiterin
bei jugendschutz.net, Junior-Rechercheurin, kontinuierliche Beobachtung von "Pro-Ana/Mia-Websites",
Erarbeitung von Informationsmaterialien für Eltern,
pädagogische Fachkräfte und Internet-Provider
Karin Reupert
Dipl.-Sozialpädagogin und Sozialtherapeutin,
Mitarbeiterin der Beratungsstelle Waage e.V.,
Hamburg, Beratung und Gruppenarbeit, Fortbildung und Supervision, im Vorstand des Bundesfachverbandes Essstörungen
Andreas Schnebel
Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Gründer und geschäftsführender Vorstand der
Beratungsstelle ANAD e.V., therapeutischer Leiter
der ANAD-Wohngruppen, Vorsitzender des Bundesfachverband Essstörungen e.V., freie verhaltenstherapeutische Praxis
Rolf Schwanitz
Mitglied der SPD und seit 1990 Abgeordneter im
Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium
für Gesundheit, Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena und Rechtswissenschaften in Berlin
Sybille Seitz
Reporterin und Moderatorin, Moderation des ARD
Ratgebers „Gesundheit“ im Ersten, Studium der
Amerikanistik, Publizistik und Theaterwissenschaften an der FU, später Sportwissenschaft und Grundschulpädagogik
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Anhang
Ulrich Weigeldt
Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, zuvor bereits Vorstandsmitglied in zahlreichen medizinischen Gremien und Ärztekammern,
Facharzt für Allgemeinmedizin/Sportmedizin
Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger
Universitätsprofessorin an der Universität Salzburg,
Wissenschaftliche Leiterin des Ludwig BoltzmannInstitutes für Frauengesundheitsforschung, Leiterin
des Wiener Programmes für Frauengesundheit,
Gründerin der ersten Frauengesundheitszentren in
Österreich, Klinische und Gesundheitspsychologin
im Bereich der Frauengesundheit in Forschung und
Praxis
Prof. Dr. Alexander Woll
Leiter der Längsschnittstudie des BMBF zum
Thema 8 "Physical, Fitness and Physical Activity as
Determinants of Health Development in Children
and Adolescents" in Deutschland – Fortsetzung der
MoMo-Studie (www.motorik-modul.de), Mitglied im
Expertengremium "gesundheitziele.de", Mitglied im
Editorial Board des Weltrats der Sportwissenschaft,
Sprecher der dvs Kommission Gesundheit, Universitätsprofessor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sport und Gesundheit
Dr. med. Wally Wünsch-Leiteritz
Leitende Oberärztin des Essstörungstherapiebereiches der Klinik Lüneburger Heide, Vorstandsmitglied des Bundesfachverbandes Essstörungen,
Gesellschafterin/ therapeutische Supervisorin der
essstörungsspezifischen betreuten Wohneinrichtung Amidon
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Bundesministerium für Gesundheit
Friedrichstaße 108
10117 Berlin
www.bmg.bund.de
Weitere Informationen erhalten Sie
unter:
www. leben-hat-gewicht.de
www. in-form.de