Leben hat Gewicht - BZgA Essstörungen
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Leben hat Gewicht - BZgA Essstörungen
Leben hat Gewicht Fachtagung zum Thema Essstörungen am 12. und 13. Februar 2009 in Berlin Tagungsdokumentation Impressum Herausgeber Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Ostmerheimer Str. 220 51109 Köln Verantwortlicher: Reinhard Mann [email protected] www.bzga.de Im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit 11055 Berlin Kontakt: [email protected] www.bmg.bund.de www.leben-hat-gewicht.de www.in-form.de Koordination Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. Hansaring 43, 50670 Köln Telefon: 0221 912867-0, Fax: 0221 912867-6 E-Mail: [email protected] www.gvg.org Bestelladresse Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 51101 Köln Bestellnummer: 35 41 3000 E-Mail: [email protected] Diese Broschüre wird von der BZgA kostenlos abgegeben. Sie ist nicht zum Weiterverkauf durch die Empfängerin/ den Empfänger oder Dritte bestimmt. Satz, Layout & Druck HEALTH-CARE-COM GmbH – Verlag und Agentur Hanauer Landstraße 135-137, 60314 Frankfurt August 2010, Köln Alle Rechte vorbehalten Gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages Leben hat Gewicht Fachtagung zum Thema Essstörungen am 12. und 13. Februar 2009 in Berlin Tagungsdokumentation INHALTSVERZEICHNIS Einleitung Begrüßung und Einführung Parlamentarischer Staatssekretär Rolf Schwanitz, Bundesministerium für Gesundheit Die Kommerzialisierung des Körpers Prof. Susie Orbach (Übersetzung) Beratung bei Essstörungen Sigrid Borse, Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen gGmbH Beratung bei Essstörungen – Zwischen Autonomiekonflikt und Empowerment Kathrin Harrach, magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V. Online-Beratung vs. herkömmlicher psychosozialer Beratung Sylvia Baeck, Dick und Dünn e.V., Face to face-Beratung und Multiplikatorenarbeit Bericht aus der Arbeitsgruppe „Beratung“ Therapie bei Essstörungen Dr. Ulrich Hagenah, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Universitätsklinikum RWTH Aachen, Therapie – Neue Aspekte der Behandlung Prof. Dr. Manfred Fichter, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V. / Klinik Roseneck (Prien) und Universität München Zur stationären Behandlung von Essstörungen Andreas Schnebel, ANAD e.V. Integrierte Versorgung im „Therapienetz Essstörung“ Bericht aus der Arbeitsgruppe „Therapie“ Gesundheitsförderung und Prävention von Essstörungen Prof. Dr. Iris Pahmeier, Deutscher Olympischer Sportbund Prof. Dr. Alexander Woll, Universität Konstanz, Sprecher der dvs Kommission Gesundheit Prävention von Essstörungen und Gesundheitsförderung durch Sport Margrit Hasselmann, Landesinstitut für Schule in Bremen “Kribbeln im Bauch“ – ein präventives Tranzprojekt Bericht aus der Arbeitsgruppe „Prävention und Gesundheitsförderung“ Kommunikation & Medien Daniela Kühne, Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V. Die Rolle des Internets in der Kommunikation rund um das Thema „Essstörungen“ Bericht aus der Podiumsdiskussion „Kommunikation & Medien“ Schlusswort Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Anhang Tagungsprogramm im Überblick Autorenverzeichnis / Kurzbiografien 6 7 9 14 15 19 22 25 27 28 34 36 38 40 41 45 48 52 52 54 56 58 60 Die Präsentationen zu den Vorträgen finden Sie im Internet unter www.leben-hat-gewicht.de und www.in-form.de 5 EINLEITUNG „Essen, was man will, essen, wenn der Hunger da ist, jeden Bissen genießen und aufhören, wenn man satt ist, das ist die beste Prävention.“ (Prof. Susie Orbach) Einleitung Es hört sich so einfach an, ohne Essstörungen durchs Leben zu gehen und ist für die Betroffenen doch so schwierig. Die Vorträge und Diskussionsbeiträge aus der Tagung „Leben hat Gewicht – Fachtagung zum Thema Essstörungen vom 12. bis 13. Februar 2009“ machen deutlich, dass abgestimmte und anschlussfähige Konzepte in Beratung, Therapie und Prävention notwendig sind, um den immer jünger werdenden, von Essstörungen betroffenen Patientinnen und Patienten zu helfen. „Die enge Zusammenarbeit aller – der beteiligten Ärzte und Ärztinnen, der Beratungs- und Therapieeinrichtungen sowie natürlich der im Präventionsbereich Tätigen“ – sieht Rolf Schwanitz, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums für Gesundheit als wesentliche Aufgabe, als er die Tagung eröffnet. Diese Dokumentation richtet noch einmal den Blick auf die drei Versorgungsformen Prävention/ Gesundheitsförderung, Beratung und Therapie einschließlich der Nachsorge, die im Mittelpunkt der zahlreichen Vorträge und Workshops während der 6 Tagung standen. Aus ihrem jeweiligen Blickwinkel schildern die Vortragenden aus Wissenschaft und Praxis ihre Arbeitsbereiche, vermitteln Probleme, Erkenntnisse und Erfordernisse für eine bessere Versorgung. Einen erweiterten Blick auf das Thema Essstörungen erlaubt abschließend die Zusammenfassung der Podiumsdiskussion „Kommunikation und Medien“. Die Dokumentation orientiert sich in ihrer Gliederung nicht mehr am zeitlichen Ablauf der Tagung sondern folgt einem inhaltlichen Aufbau, um die Debatte auch für diejenigen, die nicht teilnehmen konnten, nachvollziehbar wiederzugeben. Die Beiträge der Vortragenden wurden redaktionell bearbeitet und gekürzt und doch weitgehend im jeweiligen persönlichen Stil belassen, die Diskussionen in konzentrierter Form den Vorträgen zugeordnet. Allen an der Tagung und dieser Dokumentation Beteiligten danken wir für ihre engagierte Mitarbeit und wünschen uns, dass diese Veröffentlichung dabei mitwirkt, die Situation von Betroffenen zu verbessern. BEGRÜSSUNG UND EINFÜHRUNG Referent/Autor: Rolf Schwanitz Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit Begrüßung und Einführung Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen von Frau Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt begrüße ich Sie recht herzlich zur heutigen Fachtagung. Frau Ministerin hätte den Termin gerne selbst wahrgenommen, da ihr das Thema Essstörungen sehr am Herzen liegt. Allerdings musste sie kurzfristig zu einer Plenarsitzung zur Gesundheitspolitik in den Bundestag. Ich möchte Ihnen allen für die konstruktive Vorbereitung der Veranstaltung und die aktive Unterstützung der Initiative „Leben hat Gewicht“, in deren Rahmen Sie seit längerer Zeit tätig sind, danken. Nach den Zahlen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys weist jeder fünfte Jugendliche in Deutschland – in den meisten Fällen sind es Mädchen – Symptome einer Essstörung auf. 56 % der 13- bis 14-Jährigen sagen von sich selbst, sie wären gerne dünner. Das sind erschreckende Zahlen, die letztlich Auslöser dafür gewesen sind, dass die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt die Initiative „Leben hat Gewicht“ gestartet hat. Sie setzte damit ein Signal gegen ein unnatürliches und ungesundes Körperideal. Die Initiative wird von prominenten Mitstreiterinnen und Mitstreitern aus den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen unterstützt: aus der Modeund Modellbranche, aus den Medien, der Werbebranche, Sport, Kultur, Musik sowie von Verbänden, Beratungseinrichtungen und Fachgesellschaften. Seit dem Auftakt der Initiative im Dezember 2007 ist viel passiert. Wir haben im Juni 2008 Jugend- liche eingeladen, um mit ihnen über ihre Erfahrungen, Anliegen und Ängste zu den Themen „positives Körperbild“ und „Schönheitsideal“ zu diskutieren. Im Juli 2008 haben Vertreter der Deutschen Textilund Modebranche die Nationale Charta im Rahmen der Initiative „Leben hat Gewicht“ unterzeichnet. Mit dieser Charta ist ein wichtiges Zeichen gesetzt worden: Die Unterzeichner verpflichten sich, Models erst ab einem Body-Maß-Index von mindestens 18,5 und ab einem Mindestalter von 16 Jahren zu beschäftigen. Das ist ein erster wesentlicher Schritt, Veränderungen in der Praxis zu bewirken. Zur Förderung der Selbsthilfepotentiale der Betroffenen führen wir ein Modellprojekt durch, bei dem auch ländliche Gebiete einbezogen werden. Wir alle wissen, dass die neuen Medien einen starken Einfluss auf Kinder und Jugendliche haben. Magersucht verherrlichende Blogs, die zum Teil konkrete, fehlorientierte Handlungsanleitungen geben, sind ein großes Problem. Deshalb ist auch die Stärkung der Medienkompetenz ein Anliegen der Initiative „Leben hat Gewicht“. Wir wissen aber noch nicht alles! Im Forschungsetat wurden daher Mittel zur Verfügung gestellt, um neue Erkenntnisse zur Prävention und Therapie von Essstörungen zu erlangen. Mit der heutigen Veranstaltung wollen wir den fachlichen Dialog der Akteure verstärken und eine bessere Vernetzung der Aktivitäten erreichen. Wir sind uns alle einig, dass Essstörungen dann erfolgreich vorgebeugt werden kann, wenn sowohl die zugrunde liegenden als auch die auslösenden 7 BEGRÜSSUNG UND EINFÜHRUNG Risikofaktoren besser behandelt werden. Das gelingt nur, wenn es zu einem abgestimmten Agieren in der Behandlungskette kommt, die Information, Prävention, Beratung und Therapie integriert. Ein solches Ineinandergreifen muss das Ziel sein – dazu brauchen wir das gemeinsame Gespräch aller Beteiligten. Wir müssen auch, nicht zuletzt unter dem Gesichtspunkt der Prävention, das Umfeld der Betroffenen ansprechen. Denn es geht nicht nur um die erkrankte Person allein. Es ist auch der Freundeskreis, das Lebensumfeld, die Eltern, die Lehrkräfte und die Schule, die für eine erfolgreiche Präventionsarbeit erreicht werden müssen. Es darf keine langwierige Odyssee von der Beratung zur Behandlung geben. Denn dadurch kann sich die Krankheit erst manifestieren, sodass gravierende, teilweise massive, invasive Eingriffe notwendig werden. Wenn frühzeitig behandelt wird, können Folgeerkrankungen verhindert werden. Die enge Zusammenarbeit aller – der beteiligten Ärzte und Ärztinnen, der Beratungs- und Therapieeinrichtungen sowie natürlich auch der im Präventionsbereich Tätigen – ist die eigentliche Aufgabe die vor uns liegt. Und hierzu, so hoffe ich, wird diese Fachtagung wichtige Impulse geben. In den zurückliegenden Monaten haben wir verstärkt die Erfahrungen der Betroffenen für die Prävention herangezogen. Ich erinnere an die Jugendveranstaltung im Juni 2008 im Bundesministerium für Gesundheit als ein Mitglied von der Musikgruppe Lexington Bridge seine eigene Erfahrung geschildert hat. Dabei ist deutlich geworden: Es 8 macht einen Unterschied, ob über Bulimie abstrakt berichtet oder das Erleben aus eigener unmittelbarer Betroffenheit mitgeteilt wird. Für den Austausch nutzen die Betroffenen häufig die neuen Kommunikationsmedien, insbesondere das Internet. Dies ist heute ein zentrales Kommunikationsinstrument wie beispielsweise die sogenannte Pro-Ana-Seiten zeigen. Die Anonymität des Netzes hat für viele Betroffene eine große Bedeutung. Deshalb ist es unverzichtbar, dieses auch für die Präventionsarbeit einzusetzen und für die positiven Botschaften der Initiative zu nutzen. Ich bin froh, in dieser Hinsicht bereits auf einen Erfolg hinweisen zu können. Vor kurzem wurde eine dieser Pro-Ana-Seiten von der zuständigen Landesstelle für Medien aus dem Netz genommen. Hinter diesem Erfolg stecken zwei Monate intensive Beobachtung. Das ist ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht. Es gilt aber auch weitere Herausforderungen anzugehen. So ist mir die Stärkung der Zielgruppenarbeit ein besonderes Anliegen. Ich habe Informationsmaterial gesehen, das sich speziell an Jungen richtet. Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund müssen wir ebenso gezielt ansprechen, sodass unsere Botschaften möglichst viele Betroffene erreichen. Wie dies am besten gelingen kann wird auch ein Thema dieser Fachtagung sein. In den nächsten zwei Tagen werden Sie aus den Vorträgen und Diskussionen neue Anregungen – auch aus dem internationalen Bereich – gewinnen. Dabei werden gewiss auch neue Impulse für die Initiative „Leben hat Gewicht“ gegeben. Ich wünsche Ihnen ein gutes Gelingen! DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS Referentin/Autorin: Prof. Susie Orbach Die Kommerzialisierung des Körpers Körpergefühl und Körperhass Ich werde nicht aus der Perspektive eines Psychotherapeuten oder Psychoanalytikers sprechen, sondern von der Warte eines Menschen, der zu verstehen versucht, wie es heute um unseren Körper und unser Körpergefühl bestellt ist. Sprechen werde ich auch darüber, welche Gewalt wir uns in diesem Zusammenhang antun und über die Industriezweige, die uns ein Gefühl von Körperhass („body hatred“) vermitteln. Ich beginne daher mit etwas, das mich derart schockiert, dass ich immer wieder geneigt bin, es aus meinem Kopf zu verbannen: Genitaloperationen. Es geht dabei nicht unmittelbar um Essstörungen, aber sie gehören zum Komplex des Angriffs auf unseren Körper und dessen Kommerzialisierung. Genitaloperationen bei Frauen nehmen stark zu. Der Zuwachs zwischen 2005 und 2006 betrug 20 % und steigerte sich im Jahr darauf nochmals um denselben Prozentsatz. Betroffen sind hauptsächlich junge Frauen, die der Meinung sind, ihre Genitalien seien nicht so, wie sie sein sollten. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Behandlungsmethoden, wie Botox-Behandlungen im Schamlippenbereich bis hin zur operativen Wiederherstellung des Hymens. Wenn Sie sich die Websites einiger New Yorker Schönheitschirurgen ansehen, dann sehen Sie, wie eine perfekte Schamlippe auszusehen hat. Es besteht eigentlich kein Unterschied zu dem, was wir auf den Titelseiten der Magazine sehen: perfekte Wimpern oder Fingernägel. Es handelt sich lediglich um eine andere Körperregion – den Genitalbereich – mit deren Aussehen man sich nicht abfinden möchte. Profitierende Industriezweige Nach diesem – hoffentlich erfolgten – Schock, möchte ich die Industriezweige benennen, die von der Destabilisierung unserer Körper und der Erzeugung eines ablehnenden Körpergefühls profitieren: Es sind die Glamour-Industrien, das ist ganz offensichtlich, es ist die Diätindustrie, es sind die Pharmaunternehmen, die Schönheitsindustrie, die Nahrungsmittelindustrie und die Schönheitschirurgie. Diese Branchen können nicht per se und in Gänze für die Erzeugung von Körperhass verantwortlich gemacht werden, aber sie profitieren sicherlich davon und mit ihrer Hilfe ließe sich die Situation verändern. Das gilt wohl nicht für die Diät- oder die Pharmaindustrie, aber man könnte darüber nachdenken, auf welche Weise einige der genannten Branchen einen positiven statt eines negativen Beitrags leisten könnten. Lassen Sie mich Ihre Aufmerksamkeit darauf richten, wie sehr wir umgeben sind von visuellen Landschaften und Eindrücken. Jeden Tag werden wir von einer wahren Bilderflut überschwemmt, denn unsere gesamte Umgebung besteht aus Bildern. Nun leben wir nicht nur in einer visuellen Kultur, sondern diese Kultur erzeugt Darstellungen, in denen Schönheit lediglich ein oder zwei wünschenswerte Formen besitzt. Diese Bilder werden gepaart mit dem An- 9 DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS spruch, dass wir stets und alle Zeit schön sein müssen. Diese Bilder-Umwelt hat großen Einfluss auf Mädchen und Frauen. So zeigt eine weltweite Untersuchung, an der ich gemeinsam mit der Harvard-Wissenschaftlerin Nancy Ettcough beteiligt war, dass 90 % aller Frauen etwas an ihrem Körper verändern möchten und sich keineswegs nur vorübergehend mit diesem Gedanken beschäftigen. Sie sind mit sich unzufrieden. Das ist beunruhigend, bedeutet es doch, dass es möglicherweise auch 90 % der hier Anwesenden so geht! Und da dieser Zustand von außen erzeugt wird, sollte niemand, der beruflich im Bereich Essstörungen arbeitet, glauben, er sei von diesem Druck nicht betroffen. Das in der Glamour-Industrie erzeugte Bild von Schönheit ist in den letzten 30 Jahren mit der Ästhetik eines immer schlankeren und immer hochgewachseneren Körpers verbunden gewesen. Dafür gibt es eine Vielzahl kultureller Gründe. Interessant ist jedoch, auf welche Weise wir von dieser Norm beeinflusst werden, denn nur ein geringer Prozentsatz sieht tatsächlich so aus. Was noch verstörender ist – selbst die Models, die für uns Schönheit repräsentieren, haben nicht das Gefühl einer integren, stabilen Körperlichkeit. Nicht dass sie sich selbst überhaupt auf den Fotos erkennen könnten, da ihr Bild, egal in welcher Zeitschrift es erscheint, mit Sicherheit digital verfremdet wurde. Ein besonders abscheuliches Beispiel zum Thema Missachtung des Körpers ist die Verwendung des Body-Maß-Indexes – einer überkommenen und seltsam darwinistisch-statistischen Maßeinheit, die absolut nichts mit Gesundheit zu tun hat. Ich habe 10 eine Abbildung mit einem fettleibigen Mann und einem, der sehr muskulös ist. Beide haben exakt denselben BMI und werden – nach einer Neubewertung des BMI – nicht mehr den Übergewichtigen, sondern den Fettleibigen zugerechnet. Beide Männer gelten als adipös – dazu braucht man schon eine gehörige Portion Phantasie! Wenn Sie also das nächste Mal etwas über den BMI hören, dann sollten Sie das nicht fraglos hinnehmen, stellen Sie die Politik, die Gesundheitsindustrie in Frage! Es lässt sich viel Geld verdienen mit der Schaffung einer Ästhetik des Dünnseins und mit einem BMI-Standard, der auf die meisten von uns gar nicht zutrifft. Gewinner hierbei sind nicht wir, es ist die Diätindustrie. Sie sollen Ihren BMI zwischen 20 und 25 halten, was eine willkürliche Maßgabe ist, aber eine einflussreiche und genau die, von der die Diät-Industrie zehrt. Deshalb sind viele Frauen und auch immer mehr Männer ständig auf Diät und sie wähnen sich damit auf dem richtigen Weg. Worauf ich Sie an dieser Stelle aufmerksam machen möchte: Wenn Diäten funktionieren würden, müsste sie jeder nur ein einziges Mal machen. Diäten beruhen aber auf ihrem Scheitern. Es bedarf einer Rückfallquote von 97 %, um die Diätindustrie so profitabel zu machen, wie sie es heute ist. Es ist eine Form von Gewalt, die uns da angetan wird. Am Beispiel der Firma Nutri-Chem, die begonnen hat ihre Werbebotschaften auch an Männer zu richten, lässt sich vor Augen führen, wie erfolgreich diese Industrie ist. Nicht genug, dass sie zielstrebig und mit großem Ehrgeiz bereits große Teile des weiblichen Markts – zumindest in den westlichen Ländern – erobert haben. Es ist ihnen gelungen, das Firmenwachstum innerhalb von 2 Jahren von zirka 1 Millionen auf 85 Millionen zu steigern und damit einen Platz unter den reichsten 500 einzunehmen. Das ist einfach nicht in Ordnung, oder? Was für eine unglaubliche Wachstumsrate! Nicht einmal die Pharmaindustrie verzeichnet solche Erfolge. Wenn Sie sich die Zeitungen ansehen: fast jede Woche gibt es ein neues Wundermittel, eine neue Diätpille. Sie können an den Aktienmärkten beobachten, wie viel Geld in Aktien dieser Firmen fließt. Selbst wenn ein solches Mittel bekanntermaßen gefährlich ist, wie Fen-Phen, bleiben die Produkte auf dem Markt, denn das ökonomische Risiko, Schadenersatz zahlen zu müssen wiegt bei weitem nicht die Profite aus dem Verkauf DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS Es gibt eine große Zahl berechtigter und fundierter Kritikpunkte an der Lebensmittelindustrie, die von Menschen geäußert werden, die selbst keinerlei Interesse an Essstörungen haben. Die meisten dieser Kritiker haben meiner Ansicht nach Recht. Es geht darum, uns dazu zu bringen, mehr Lebensmittel aus mehr Kategorien zu kaufen. Interessant ist jedoch, dass parallel zum Verzehr von fettarmer Milch – in der lediglich 1 % oder 2 % weniger Fett enthalten ist, je nachdem ob Sie fettarme Milch oder Magermilch kaufen – auch die Adipositas-Rate ansteigt. Denken Sie einmal darüber nach, was da geschieht. Was wird dem natürlichen Produkt entzogen? Was erzeugt dieses Gefühl mangelnder Befriedigung, sodass auf anderem Wege – und eher erfolglos – nach dieser Befriedigung gesucht wird? Mädchen, deren Körper noch mitten im Wachsen begriffen sind: Dort ist von 2006 auf 2007 ein Anstieg um 55 % zu verzeichnen. Unter äußerem Druck geben viele ihrem Körper nicht einmal mehr die Chance, sich von selbst richtig zu entwickeln. Wenn Sie in Amerika zum Arzt gehen – ich hoffe das ist in Deutschland nicht genauso –, dann finden Sie dort sicher ein kleines Heftchen auf dem etwas steht wie „Ihr Wunschkörper – noch heute!“. Der Doktor behandelt Sie überaus freundlich, dabei sind Sie noch gar nicht beim Schönheitschirurgen, sondern erst bei jemandem, der Sie dorthin überweist. Der Schönheitschirurg, wenn Sie denn hingehen sollten, weiß dann, wie er aus ihnen einen schönen Menschen macht. Etwa im Sinne von „Ich verstehe Ihren Schmerz!“. Die Operationen werden zu einem Empowerment-Thema. Feministische Ideen werden vereinnahmt – Frauen sind nur gut zu sich selbst, wenn sie sich den Körper schenken, den Sie verdienen und auf den sie ein Recht haben. In Amerika – wo Klassenunterschiede eine größere Rolle spielen als an den meisten anderen Orten der Welt – sieht man das Ganze sozusagen demokratisch. Man kann für eine Schönheitsoperation einen Kredit aufnehmen, so als würde man ein Auto kaufen. Früher nahm man einen Kredit auf, um sich einen schönen Swimming Pool in den Garten zu stellen, heute lässt man seine Brust vergrößern. Wir kommen zur Schönheits- und Kosmetikindustrie – 160 Milliarden Dollar schwer. Die Wachstumsraten liegen derzeit – wie im letzten Jahr und im Jahr davor – etwa beim 3-fachen der Wachstumsrate unseres Bruttoinlandsprodukts. Sehr erfolgreiche Firmen wie L’Oreal erzielen gar ein Wachstum von 14 %. Man muss den Menschen wirklich das Gefühl geben, sie seien nichts wert, um solche Umsatzzahlen zu erzielen. Alle Zeitschriften, die ich heute Morgen im Flugzeug durchgeblättert habe, wollten mir die eine oder die andere Beauty-Creme verkaufen. Eine teurer als die andere, versteht sich. Die gesamten Redaktionen dieser Zeitschriften gibt es nur, damit sie solche Produkte verkaufen. Und wir, wir lesen diese Zeitschriften zu unserem Vergnügen. Die Ausgaben für Schönheitsoperationen lagen 2007 bei 14 Milliarden Dollar; für 2008 geht man von einen Anstieg um eine weitere Milliarde aus – die genauen Zahlen liegen uns noch nicht vor. Betrachten Sie die Zahlen für Brustvergrößerungen bei Ich hoffe, ich konnte Sie davon überzeugen, dass es sich hier um eine Kommerzialisierung des menschlichen Körpers handelt und dies ein wirklich ernstzunehmendes und gravierendes Problem ist, das wir in die ganze Welt exportieren – 35.000 Nasen-Operationen im Jahr im Iran; in China lassen sich „fortschrittliche“ Leute die Beine brechen, um mit Hilfe eines eingefügten Stabes um 10 Zentimeter zu wachsen; Koreanerinnen lassen sich eine zusätzliche Lidfalte operieren; Frauen aus Lettland, Fidji oder Nigeria, die modern sein wollen, machen eine Diät und versuchen, ihren Körper in den Wunschkörper zu verwandeln, wie er überall auf der Welt mit entsprechenden Bildern vorgegeben wird. Wir müssen uns dagegen wehren und diesen Industrien, die seelische Qualen und Leid erzeugen, eine Abfuhr erteilen. Unter Ihnen sind viele Ärztinnen und Ärzte; Sie wissen von diesen Folterqualen und den Schwierigkeiten, welche die betroffenen Menschen ein Leben lang begleiten. Wir sehen solcher Produkte auf. Verzeihen Sie meine Empörung, aber über so etwas muss man wirklich in Zorn geraten! Dann gibt es da noch die Nahrungsmittelindustrie. Deren Wachstum entsteht dadurch, dass sie Lebensmittel in verschiedene Kategorien einteilt. Wenn Sie fettarme Produkte herstellen, können sie auch fettreiche Nahrungsmittel verkaufen; wenn sie Lebensmittel für Feinschmecker anbieten, so muss es auch „einfache“ Nahrungsmittel geben; verkaufen sie Fertigprodukte et cetera. 11 DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS Kinder im Alter von sechs Jahren, die an einer Essstörung leiden und bei denen wir nicht sicher sind, ob wir ihnen helfen können; ihre körperliche Instabilität ist so sehr Teil ihres Selbst, dass diese Problematik sie bis ins Alter begleiten wird. Wir wissen von Frauen in Seniorenheimen, die sich seit Jahren nicht so ernähren, wie ihr Appetit es ihnen eigentlich gebieten würde. Das Traurigste für jemanden wie mich, der sich seit langem mit diesen Themen befasst, ist, dabei zuzusehen, wie nun auch noch unsere Söhne Opfer werden. Top-5-Agenda: Strategien und Maßnahmen Wie gehen wir damit um? Zuallererst müssen wir darauf aufmerksam machen. Bitte sprechen Sie über diese erschreckenden Fakten, denn es sind Tatsachen, die uns alle angehen. Wie können wir in juristischer Hinsicht vorgehen? Hierzu habe ich eine Top5-Agenda, die zum Beispiel Vorbeugung und das Ausüben von Druck beinhaltet. Ich bin sicher, Sie haben selbst noch weitere Ideen. Bei einer Veranstaltung in Wien, an der ich kürzlich teilgenommen habe, wurde als Maßnahme genannt, Klagen gegen die Diätindustrie anzustrengen. Sie bewegt sich weit außerhalb jeglichen gesetzlichen Rahmens für das Funktionieren eines Produktes. Wenn wir in unserer Kultur eine Fett-Phobie haben, dann sollten wir es wirklich mit der Diätindustrie aufnehmen. Auch die sexuelle Diskriminierung sollte thematisiert werden, die von den Herausgebern der Zeitschriften durch die Darstellung – oder besser: Entstellung – von Frauen ausgeübt wird. Das ist eine Art von Gewaltausübung, gegen die wir uns wehren sollten. Lassen Sie uns die Zusammenhänge aufdecken und entlarven, die zu dieser lächerlichen Vorstellung von einem BMI geführt haben, der überhaupt nichts mit uns als Menschen zu tun hat, aber eine Menge mit Profit für die Diätindustrie, die pharmazeutische Industrie und die Gesundheitsindustrie. Die Maßzahlen des BMI wurden vor zwölf Jahren verändert, und die Leute mussten plötzlich feststellen, dass sie dick sind. Ein schönes Beispiel an dieser Stelle ist George Clooney; unser Schwarm Clooney gehört zur Kategorie der Fettleibigen! Sollten Sie die Bilder, die ich gezeigt habe, noch nicht überzeugt haben, denken Sie an George Clooney! Ich glaube eine ganze Menge der anwesenden Damen und auch Herren würden Clooney nicht in die Kategorie „fettleibig“ stecken, 12 sondern fänden ihn vielmehr doch recht attraktiv. Als vierten Punkt brauchen wir Aufklärungs-Programme. Wir benötigen Programme, die einerseits auf das emotionale Vermögen abzielen, sodass Kinder und Jugendliche aus den ganz normalen Problemen des Heranwachsens keine Aggression gegen den eigenen Körper machen müssen. Wir müssen ihnen aber auch dabei helfen, die Medien kritisch zu betrachten, Medienkompetenz zu erwerben, damit sie den Herausgebern der Zeitschriften gegenübertreten und verlangen können, dass sich etwas ändert. Es gibt schlichtweg keinen Grund anzunehmen, Menschen könnten nicht mit ganz verschiedenen Körperformen fabelhaft aussehen. Dafür gibt es schon jetzt Beispiele. Rankin, der bekannte englische Mode-Fotograf, hat genau das gemacht. Er hat für eine Zeitschrift Querschnittsgelähmte fotografiert. Das war so unglaublich sexy und verführerisch, dass man sich am Ende tatsächlich gefragt hat, wozu man selbst all diese Extra-Gliedmaßen hat, die auf diesen Bildern nicht zu sehen waren. Es ist also möglich. Bildkünstler sind außerordentlich clever. Wir brauchen sie nur auf unserer Seite. Vorbeugung liegt mir ganz besonders am Herzen; ich hoffe, dass die Anwesenden aus den Ministerien dies vielleicht aufgreifen werden: Helfen Sie jungen Müttern, die vielleicht Probleme mit ihrem eigenen Essverhalten haben, denen nicht geholfen ist mit einer Kultur von Stars und Promis, die ihnen suggeriert, dass sie ihr Kind per Kaiserschnitt auf die Welt bringen sollten und kurz darauf wieder ganz obenauf sind, wie etwa die frühere französische Justizministerin. Wir wissen, dass junge Mütter ihre eigene körperliche Instabilität an die nächste Generation weitergeben, auch wenn sie das gar nicht wollen. So ließen sich zwei Zielgruppen auf einmal ansprechen: Wir könnten junge Mütter und ihre Kinder dabei unterstützen, keine Angst zu haben. Denn das ist genau das, was geschehen ist: Appetit und Körper sind verängstigt. Diskussion Je früher Prävention stattfinde, desto besser, antwortet Frau Prof. Orbach auf die Frage nach frühen Präventionsprogrammen zur Ernährung. Allerdings sei die Einteilung in „gutes“ und „schlechtes“ Essen nicht richtig. Besser sei es, verschiedene Nahrungs- DIE KOMMERZIALISIERUNG DES KÖRPERS mittel kennen zu lernen und über Hunger und Sattsein zu sprechen. So sei das Ampelsystem, das in Großbritannien Nahrungsmittel in „gute“ oder „schlechte“ einteile, ihrer Auffassung nach lächerlich. Es führe eben nicht dazu, dass die „grünen“ Sandwichs gekauft würden, sondern das Gegenteil sei der Fall, da Verbotenes immer einen Reiz ausübe. Sie empfiehlt stattdessen, den Umgang mit Essen ähnlich „regellos“ wie das körperliche Bedürfnis des Toilettengangs zu behandeln. Frau Prof. Orbach weist in diesem Zusammenhang auf die Erfolg versprechende Arbeit mit jungen Müttern hin. Alles, was Mütter ihren Kindern bewusst oder unbewusst im Umgang mit Essen zeigten gäben sie ihren Kindern vorbildhaft weiter. Wenn die Kinder sähen, dass ihre Mütter nicht mit Appetit essen oder einen verkrampften Umgang mit dem Essen pflegten, präge sie dies in hohem Maß. Deshalb müsse Prävention bei den Müttern ansetzen. In der Beratungsarbeit zeige sich immer wieder, so eine Teilnehmerin, dass viele essgestörte Mädchen auch schon essgestörte Mütter hätten. Frau Prof. Orbach stimmt dem zu und beschreibt, welche verheerenden Auswirkungen es für Töchter habe, wenn sie die Mutter, die ihren Körper hasst, vor dem Spiegel erlebten. Ihrer Ansicht nach müsse es darum gehen, Mütter im komplexen Beziehungsgefüge Essen, Appetit und Hunger zu unterstützen, wieder einen natürlichen Umgang damit zu finden. Ein solches Programm wäre sogar kostengünstig, denn es gehe wirklich nur darum, den Unterschied zwischen „hungrig“ und „nicht hungrig“ herauszufinden: Essen, was man will, essen, wenn der Hunger da ist, jeden Bissen genießen und aufhören, wenn man satt ist, das sei die beste Prävention. Auf die Frage, ob mit der industriellen Babynahrung als Ersatz für das Stillen nicht die emotionale Bindung zwischen Mutter und Kind beeinträchtigt werde, antwortet Frau Prof. Orbach, dass in England diskutiert würde, wie lange Stillen empfohlen werden kann. Sie persönlich vertrete die Auffassung, dass sich dies selber reguliere, solange noch eine ausreichende Sensibilität vorhanden sei. Beim Stillen entstehe eine enge Abstimmung der Bedürfnisse von Mutter und Kind. Deshalb würden Frauen, die in den ersten drei Monaten nach der Geburt hun- gern, ihren Kindern eine große Last aufbürden, was ihnen oft gar nicht bewusst sei. Frau Prof. Orbach betont weiter, dass darüber hinaus Multiplikatoren in Kindergärten und Schulen angesprochen werden müssten. Auch sehr viele Lehr- und Fachkräfte unterlägen einem zwanghaften Umgang mit ihrem Körper und Essen. Fett- und Magersucht seien immer nur die augenfälligen Aspekte von Essstörungen. Es werde deshalb ein differenzierter Ansatz benötigt, der Hunger und Sattsein zum zentralen Schlüsselpunkt erhebe. Frau Prof. Orbach unterstützt auf Nachfrage aus dem Publikum den Ansatz, kommerzielle Partner zu finden und die Unternehmen mit in die Verantwortung zu nehmen. Sie berichtet von ihren Erfahrungen mit dem Unternehmen Dove, mit dem sie seit fünf Jahren zusammenarbeitet. Sie weist darauf hin, dass nur einige wenige Frauen in der Dove-Kampagne rund seien, gerade diese aber interessanterweise in erster Linie mit der Kampagne in Verbindung gebracht würden. Bemerkenswert an der Kampagne sei aber vielmehr, dass Frauen in ihrer Unterschiedlichkeit dargestellt würden: mit ihren verschiedenen Körpergrößen, in unterschiedlichen Altersstufen, mit unterschiedlichen Hautfarben. Frau Prof. Orbach plädiert nicht dafür, nun in Umkehrung des Hergebrachten eine neue Ästhetik der runden Frauen zu etablieren, sondern dafür, Frauen in ihrer Vielfalt Raum zu geben. Entsprechende Kampagnen und Aktionen dürften allerdings nicht langweilig „gesund“, sondern sie müssten spritzig, mit Glamour und „sexy“ aufgebaut sein. Frau Prof. Orbach verweist in der Diskussion auch auf die Irrationalität der Bekleidungsindustrie. Die Kleider blieben im Laden hängen und dennoch hielten Unternehmen an dieser Verkaufsstrategie fest. Sie halte es deshalb für einen guten Weg, mit den Geschäften zusammenzuarbeiten, damit Kleidergrößen in ihrer ganzen Bandbreite angeboten würden. Es müsse darüber hinaus Wettbewerbe für Modedesigner geben, die großartige und aufregende Mode für die unterschiedlichsten Größen entwikkelten. Nach ihrer Einschätzung bleibe nicht mehr viel Zeit, um eine Bewusstseinsveränderung einzuleiten. Im postindustriellen Zeitalter habe eine beispiellose Bemächtigung des Körpers eingesetzt. Da Veränderungen Zeit benötigten, hält sie es für dringend geboten, unmittelbar aktiv zu werden. 13 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Beratung bei Essstörungen Beratung bildet in der gegenwärtigen Versorgungskette bei Essstörungen zumeist den ersten Abschnitt. Hier finden die Betroffenen und Angehörigen in der Regel erstmals und niedrigschwellig Gehör für ihre Fragen und Probleme. Der überwiegende Teil der Patientinnen und Patienten wird in der Beratung zur ärztlichen oder klinischen Behandlung motiviert und findet auch in der Nachsorge erneut Unterstützungen durch dort angesiedelte Selbsthilfegruppen oder Online-Angebote. Mit mehreren Beiträgen und unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen und Handlungsbedarfe wird dieses spezifische Versorgungsfeld abgesteckt. Sigrid Borse vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen skizziert die Beratung bei Essstörungen im Spannungsfeld zwischen Autonomiekonflikt und Empowerment. Neben dem Clearing-Prozess, den Beratungsstellen mit den Betroffenen einleiten können und dem Case Management, mit dem sie diese individuell begleiten, beschreibt sie den Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung sowie die Fortbildung von 14 Multiplikatoren als wichtigen Aufgabenbereich der Beraterinnen und Berater. Online-Beratung als oft ersten und niedrigschwelligen Kontakt mit dem Hilfesystem ist Thema des Beitrages von Kathrin Harrach. Seit 1999 arbeitet magersucht.de mit dieser Beratungsform und zählt mit einer umfangreichen Adressdatenbank, Klinikberichten, Literaturhinweisen und Foren zu den führenden Portalen für Selbsthilfe und Informationen bei Essstörungen im Internet. Kooperationen und lokale wie internationale Vernetzung beschreibt Sylvia Baeck als unabdingbar für gute Beratungsarbeit. Sie ist Mitbegründerin der seit 25 Jahren tätigen Beratungseinrichtung Dick und Dünn e.V. in Berlin, deren Angebot jährlich zirka 1.000 Menschen wahrnehmen. Mit Impulsreferaten von Frau Katrin Raabe, Mädchenhaus Heidelberg e.V., und Ulrich Weigeldt, Deutscher Hausärzteverband, wurde die Arbeitsgruppe „Beratung“ eingeleitet. Ihre Beiträge werden hier ebenso wiedergegeben wie der anschließende Diskussionsverlauf innerhalb der Arbeitsgruppe. BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Referentin/Autorin: Sigrid Borse Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen gGmbH Beratung bei Essstörungen – Zwischen Autonomiekonflikt und Empowerment Essstörungen – Betroffene und Ursachen Die Prävalenz von Essstörungen hat in den letzten 30 Jahren zugenommen. Insbesondere Mädchen und junge Frauen sind von Essstörungen betroffen: bis zu 5 % der Mädchen und Frauen zwischen 14 und 35 Jahren leiden an Anorexie oder Bulimie. Hinzu kommen Essstörungen mit Essanfällen, die sogenannte Binge-Eating-Störung. Hierunter leiden vor allem erwachsene Frauen, aber auch Männer. Die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas, die nicht im eigentlichen Sinne zu den Essstörungen zählen ist in den letzten Jahren ebenfalls erheblich gestiegen – sowohl bei Kindern und Jugendlichen als auch im Erwachsenenalter. Die neueste Erhebung zur Kinder- und Jugendgesundheit des Robert KochInstituts hat ergeben, dass bereits jedes fünfte Kind in Deutschland im Alter zwischen 11 und 17 Jahren essgestörte Verhaltensweisen zeigt. Diese Ergebnisse weisen deutlich auf die Notwendigkeit eines Beratungsangebotes hin, das frühzeitig ansetzt und den Betroffenen eine adäquate „Nahrung“ bietet. Ein entscheidender Faktor bei der Entstehung von Essstörungen sind die spezifisch weiblichen Sozialisationsbedingungen in unserer Gesellschaft. Wir wissen, dass Essstörungen überwiegend Mädchen und Frauen betreffen und müssen diese Dimension in der Beratung berücksichtigen. Hierzu zählen die widersprüchlichen Rollenanforderungen an Frauen und insbesondere das gesellschaftlich vermittelte Schönheits- und Schlankheitsideal, das rigide Normen für den weiblichen Körper vorgibt. Heute kön- nen bereits 7-Jährige ausführlich über ihre Diäterfahrungen berichten. Auch die Zahl der Schönheitsoperationen hat in den letzten Jahren zugenommen. Wir erleben, dass nicht nur die Kleidung zugeschnitten, sondern der Körper selbst zum „zuschneidbaren“ Material wird. Mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und mit ihnen über Schönheitsideale, ihre Wünsche, die Heilsversprechen von Schönheit und Attraktivität zu sprechen, ist daher überaus wichtig. Es geht nicht um den erhobenen Zeigefinger, nicht um Tabus und auch nicht um unsere Normen sondern darum, in einen Dialog zu treten. Bei Schönheitsidealen denken wir in erster Linie an die Normierung von Frauen und Mädchen. Aber auch Jungen und Männer sind in den letzten Jahren einem zunehmenden Konkurrenzdruck in Bezug auf ihr Aussehen unterworfen. Bei ihnen spielt der muskulöse Körper eine wichtige Rolle. Beratung als qualitätsgesicherter ClearingProzesses In der professionellen Versorgungskette von Essstörungen ist Beratung zumeist der erste und entscheidende Abschnitt. Beratungsstellen bieten Betroffenen und ihren Angehörigen Aufklärung und Unterstützung sowie einen Raum, um Weichenstellungen für den weiteren Verlauf der Erkrankung vornehmen zu können. Beratung kommt somit im Versorgungssystem eine eigenständige und wichtige Rolle zu. 15 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Der Bundesfachverband Essstörungen e.V. hat Leitlinien zur Beratung von Essstörungen entwickelt, die auf einer Studie zur Qualitätssicherung in der Beratung und ambulanten Behandlung von Essstörungen beruhen. Eine zentrale Forderung der Leitlinien zielt auf eine essstörungsspezifische Beratungskompetenz. Die Beraterinnen und Berater müssen über eingehende Kenntnisse der verschiedenen Formen von Essstörungen, ihre möglichen Ursachen und Konsequenzen und über Kooperationspartner im ambulanten ärztlichen und psychotherapeutischen sowie im stationären Bereich verfügen. Neben dem Wissen über psychosoziale Zusammenhänge sind grundlegende Kenntnisse über Ernährung und Ernährungsnotwendigkeiten erforderlich. In der Beratung bei Essstörungen muss berücksichtigt werden, dass Betroffene oftmals erst sehr spät Beratungsangebote in Anspruch nehmen und dass sie in vielen Fällen mehrmals eine Beratungsstelle aufsuchen, bevor eine Behandlung begonnen wird. Essstörungen sind mit starken Autonomie- und Schamkonflikten verbunden. Für Betroffene – aber auch für Angehörige – bedeutet das Aufsuchen einer Beratungsstelle oftmals eine Kapitulation. Man hat den eigenen Körper und das eigene Leben nicht mehr im Griff. So sollten Beratungsstellen vor allem für junge Menschen ein flexibles und offenes Setting bieten, damit sensibel und zum passenden Zeitpunkt, ein Behandlungsprozess eingeleitet werden kann. Im Rahmen der Beratung erfolgt ein ClearingProzess. Das bedeutet zum einen Situationsabklärung – also psychologische Diagnostik und Erfassen des sozialen Kontextes. Was ist das Beratungsanliegen? Welche Veränderungswünsche sind vorhanden? Worauf kann aufgebaut werden? Wichtig ist auch die Vermittlung von Informationen über die Risiken von Essstörungen. Oftmals werden gerade die gesundheitlichen Risiken von den Betroffenen, aber auch von Angehörigen negiert. Möglicherweise können im Erstkontakt bereits mehrere Gespräche im Sinne einer Beratungsreihe vereinbart werden. Eine Klinikbehandlung ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellbar. Wir müssen also schauen: An welchem Punkt steht die Person? Was kann sie zum heutigen Zeitpunkt annehmen? Wie können wir sie im Sinne von Empowerment begleiten ihren Weg weiterzuentwickeln, selbst Verantwortung für den eigenen Heilungsprozess zu übernehmen. 16 Über die diagnostische Abklärung werden Art und Schwere der Essstörung bestimmt, um angemessene ambulante wie stationäre Behandlungsangebote empfehlen zu können. Oft verfügen Beratungsstellen selbst über ein Angebot zur ambulanten Behandlung oder auch über Gruppenangebote für Betroffene sowie für Angehörige. Es ist ein ganz entscheidender Punkt, Angehörige bei der Frage nach Schuld und Versagen zu entlasten. Auch dies ist eine Form von Empowerment, eine Förderung von Selbstverantwortung für das eigene Leben, damit sich bei den Angehörigen nicht alles nur auf die erkrankte Tochter oder den erkrankten Sohn konzentriert. Ist dieser Prozess bei den Eltern erst einmal eingeleitet, entspannt sich oftmals auch das Verhalten der Kinder, die in vielen Fällen Verantwortung für ihre Eltern mit übernehmen. Wurde eine stationäre Behandlung eingeleitet, ist es wichtig, dass Beratungsstellen eine Möglichkeit der Nachsorge im Anschluss an einen Klinikaufenthalt anbieten, damit die erlernten Schritte vertieft werden können und eine weitere unterstützende Begleitung für die Betroffenen stattfindet. Nachsorge kann auf vielfältige Weise geschehen – online sowie face-to-face. Mittlerweile gibt es sogar Erfahrungen, dass Nachsorge auch über SMS hilfreich sein kann. Wir müssen uns an den Kommunikationsstrukturen der Jugendlichen orientieren und sollten ihre Sprache sprechen, ihre Kommunikation aufgreifen und verschiedene Angebote nebeneinander vorhalten. Online-Beratung – Beratung zu jeder Zeit und an jedem Ort Bei Essstörungen werden Beratungsangebote von den Betroffenen häufig zu spät aufgesucht, wenn bereits eine Chronifizierung der Erkrankung eingetreten ist. Als Beratungsstelle bieten wir vor allem „Komm-Strukturen“. Wir müssen aber insbesondere neue „Geh-Strukturen“ entwickeln. Hierzu müssen wir die entscheidenden Settings identifizieren, in denen sich die betroffenen Jugendlichen aufhalten und ihre Fragen stellen, zum Beispiel auf Pro-AnaSeiten im Internet. Die Jugendlichen, die auf ProAna-Seiten gehen, suchen eine Peer Group, und sie suchen Unterstützung – zunächst einmal altersspezifisch und in Abgrenzung von Erwachsenen. Online-Beratung ist eine aufsuchende Form der Beratung, denn wir begeben uns in einen anderen BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Raum, in diesem Fall in einen virtuellen Raum. Wir stellen ein professionelles Beratungsangebot zur Verfügung und nehmen damit den Wunsch der Jugendlichen nach Peer Group-Unterstützung moderierend auf und bieten gleichzeitig ein professionelles Gegengewicht zu den Pro-Ana-Seiten. Entscheidend bei jugendspezifischen Beratungsangeboten sind schnelle und unkomplizierte Zugangsmöglichkeiten. Jugendliche müssen jederzeit, allerorts, kurzfristig Zugang zu Beratungsangeboten haben, kostenlos und bei Bedarf auch anonym, wie beispielsweise bei der Online-Beratung. Schnittstellen zwischen Beratung und Prävention Die Ergebnisse der KiGGS-Studie (Kinder- und Jugendgesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts) zeigen deutlich die Notwendigkeit, im frühen Jugendalter anzusetzen, zielgruppenspezifische Angebote zu entwickeln, Maßnahmen zur Früherkennung zu erweitern, Fachberatung und Fortbildung für pädagogische Fachkräfte zu intensivieren. Settings wie Kinderbetreuungseinrichtungen, Schulen und Jugendeinrichtungen kommt dabei eine Schlüsselrolle als Schnittstelle von Prävention und Beratung zu. In ihnen arbeiten pädagogische Fachkräfte, die von ihrem Auftrag her als Partner der Eltern zur Verfügung stehen. Und wir können in einem Alter ansetzen, in dem sich gesundheitsschädigende Verhaltensweisen bei den Kindern noch nicht verfestigt haben. Beratungsstellen können den dort tätigen pädagogischen Fachkräften eine qualifizierte Fachberatung bieten, bei problematischen Einzelfällen frühzeitig zur Verfügung stehen und auf weiterführende Hilfsmöglichkeiten verweisen. Ganz entscheidend ist hierbei, den Einrichtungen einen integrierten Ansatz von Gesundheitsförderung zu vermitteln, der Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung umfasst. Die Präventionsangebote sollten altersund entwicklungsgerecht aufgebaut sein. In Schulworkshops spielt beispielsweise das kritische Hinterfragen von Medienbildern eine große Rolle. Eine weitere Aufgabe von Beratungsstellen sehe ich in der Fortbildung pädagogischer Fachkräfte: Ziele sind die Sensibilisierung für die Problematik und eine Enttabuisierung von Essstörungen. Ein wichtiges Thema in den Fortbildungen für pädagogische Fachkräfte ist die eigene Essgeschichte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer: Wie gehen wir selbst mit Essen um – bei Stress, bei Trauer, bei Ärger und so weiter? Hier gilt es, die eigene Geschichte, das eigene Verhalten zu reflektieren. Pädagogische Einrichtungen stoßen beim Thema Ernährung und Essen schnell an sensible Grenzen. Eltern erleben Ernährungserziehung in den Einrichtungen oftmals als einen Angriff auf ihre Intimsphäre. Für Eltern unterstützende Angebote bedeutet dies, offen zu sein für die Fragen der Eltern, frühzeitig Orientierung zu geben, Beratung zur Verfügung zu stellen und Elternkompetenzen zu stärken. Nicht die Defizite sollten im Vordergrund stehen sondern eine ressourcenorientierte Betrachtung der Möglichkeiten und Kompetenzen. Bedarfsgerechte Beratungs- und Behandlungsketten Eine bedarfsgerechte Versorgung bei Essstörungen erfordert sequenzielle, aufeinander abgestimmte Versorgungsangebote und eine starke Vernetzung aller in einer Region beteiligten gesundheitsrelevanten Akteure. Das sind Ärztinnen und Ärzte, Lehrerinnen und Lehrer, pädagogische Fachkräfte in Kinderbetreuungseinrichtungen und viele andere Institutionen wie Gesundheitsämter. Diese Kooperation sollte auch dazu beitragen, dass wir über die Grenzen der unterschiedlichen Professionen hinaus voneinander lernen, stärker aufeinander zugehen und das Thema Essstörungen als Querschnittsaufgabe begreifen. Alle Angebote sollten als eine Beratungs- und Behandlungskette ineinander greifen. Exemplarisch kann dies folgendermaßen aussehen: Es findet ein Erstkontakt über eine Online-Beratung statt. Diese führt zur Aufnahme eines Beratungsgespräches in einer Beratungsstelle. In einer Beratungsreihe kann die Behandlungsmotivation der betroffenen Person gefördert werden, was die Aufnahme einer stationären Behandlung zur Folge hat. Im Anschluss an den Klinikaufenthalt findet eine ambulante Nachsorge oder eine Unterstützung über Online-Beratung und SMS satt. Hier heißt es, kreativ zu sein, Vielfalt zu bieten und die individuelle „Nahrung“ zu finden, welche die betreffende Person benötigt. Diskussion Die Gründe für eine späte oder ausbleibende Inanspruchnahme seien vielschichtig, entgegnet 17 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Frau Borse auf die Frage, warum viele Betroffene erst so spät Beratung, Behandlung und Therapie in Anspruch nähmen und seien sowohl im Krankheitsbild als auch in der schwachen Versorgungsstruktur zu finden. Bundesweit existierten bislang viel zu wenige Beratungsstellen für kurzfristige Hilfen. Und der Zugang zu Beratung und Hilfe müsse niedrigschwelliger angelegt werden, damit diese frühzeitiger aufgesucht würden. Betroffene sollten ihre Fragen dort stellen können, wo sie sich ohnehin aufhalten und bereits Vertrauen zu Bezugspersonen aufbauen konnten. Aus diesen Settings – etwa der Jugendarbeit und Schule – heraus könnten die Jugendlichen dann auf den Weg zur Beratung und Therapie „mitgenommen“ und begleitet werden. Aus Sicht der Eltern gebe es viele nachvollziehbare Gründe, oft „zu spät“ – wie sich eine Teilnehmerin ausdrückt – Hilfe aufzusuchen, erläutert die Referentin. 18 Die körperlichen und seelischen Symptome der Erkrankung entstünden schleichend, und durch die Gewöhnung im täglichen Miteinander könnten sie aus der Wahrnehmung geraten. Allerdings hätten es auch die Eltern, die sich bei Ärztinnen und Ärzten melden, oft schwer. In einigen Fällen würden sie mit dem Vorwurf konfrontiert, zu spät gekommen zu sein, wodurch im Nachhinein die Ängste bestätigt würden, die Eltern vom frühzeitigen Aufsuchen von Beratungs- und Hilfsangeboten abhielten. Eltern berichteten aber auch, dass sie sich um medizinische Hilfe bemüht hätten, dort aber kein Problembewusstsein bestanden habe beziehungsweise sie abgewiegelt worden seien. Auch hier wirkten sich die bundesweit uneinheitlichen und lückenhaften Versorgungsstrukturen aus, ergänzt Frau Borse. Es sei nicht ohne weiteres möglich, fachkompetente Stellen zu finden, wenn Beratung und Hilfe dringend erforderlich seien. BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Referentin/Autorin: Kathrin Harrach magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V. Online-Beratung vs. herkömmlicher psychosozialer Beratung magersucht.de magersucht.de ist eines der führenden Internetportale für Selbsthilfe und Informationen bei Essstörungen. Anbieter ist der gleichnamige, gemeinnützige Verein, der 1999 gegründet wurde und seit dieser Zeit auch Online-Beratung zu allen Formen von Essstörungen anbietet. Aufgrund begrenzter Kapazitäten liegt der Informations-Schwerpunkt jedoch in der Beratung bei Magersucht. Unser Team besteht vor allem aus ehrenamtlich Tätigen und Honorarkräften, darunter auch ehemals Betroffene, die sich engagieren wollen. Wir stellen eine große, nach Postleitzahlen sortierte Adressdatenbank zur Verfügung, die Kliniken, Therapeuten und Beratungsstellen umfasst, die sich mit Essstörungen auseinandersetzen. Durch über 20 Klinikberichte, die von Betroffenen geschrieben wurden, können Interessierte etwas über den stationären Therapiealltag erfahren. Die umfangreiche Materialiensammlung ist nach Literatur für Angehörige, Ratgeber, Erfahrungsberichte sowie wissenschaftliche Veröffentlichungen sortiert. In einem Forum können sich Betroffene untereinander austauschen. Beratungsangebot Unser zentrales Angebot ist die Online-Beratung. Diese umfasst E-Mail-Beratung, Einzelchat, Gruppenchat und Online-Foren. E-Mail-Beratung bieten wir über die Software beranet.de an. Dabei stellt der Nutzer seine Anfrage im Internet – anonym ohne Angabe von Namen oder E-Mail-Adresse. Die Anfrage erscheint bei der Beraterin/dem Berater, die/der ihre/ seine Antwort auf dem Server ablegt, wo sie nur vom Betroffenen „abgeholt“ werden kann. In der Einzel-chat-Beratung bieten wir Termine an, die von Betroffenen gebucht werden können. Wenn bei der Buchung eine E-Mail-Adresse hinterlassen wird – welche die Beraterin/der Berater nicht sehen kann – erhalten die Nutzer eine Bestätigung. Werden keine E-Mail-Angaben hinterlegt, müssen sie sich den Termin merken und zum gebuchten Zeitpunkt auf die Internet-Seite gehen. Der Chat ist dann nur für diesen Benutzer offen und für 40 Minuten besteht die Möglichkeit im Zweierchat anonym zu kommunizieren. Der Gruppen-Chat findet einmal im Monat statt. Hier haben Betroffene die Möglichkeit, sich untereinander – ebenfalls anonym – auszutauschen. Dabei chatten Nutzer „verschiedener Stadien“: Personen, die am Anfang einer Essstörung stehen und Betroffene, die bereits durch einen Therapieprozess gegangen sind und andere unterstützen wollen. Das moderierte Online-Forum kann man sich als schwarzes Brett vorstellen. Man loggt sich ein, erhält einen Benutzernamen und kann dann Beiträge schreiben, auf die andere gegebenenfalls antworten. Für die Betroffenen ist es sehr wichtig, dass darüber auch längerfristige Kontakte entstehen können. magersucht.de unterhält noch ein weiteres Forum, mit Unterforen für Betroffene, Angehörige, Lyrik et cetera. In allen Foren achten Ehrenamtliche auf die Einhaltung der Regeln, zum Beispiel darauf, dass keine Tipps pro Magersucht ausgetauscht werden. 19 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Nutzen-Statistik Online-Beratung bedeutet viel Arbeit und kann nicht von einer Beratungsstelle oder Klinik zwischen- durch oder nebenbei angeboten werden. Unsere Web- site hat derzeit über 1.000 Besucher pro Tag. Bei uns gehen jährlich zwischen 350 und 400 E-Mails ein und etwa 100 bis 150 Einzelchats werden wahrgenommen. Wir haben unsere Zahlen mit denen der Beratungs- stelle beim Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen dahingehend verglichen wie viele Beratungen abge- sagt oder nicht wahrgenommen werden. Die Online- Beratung kommt bei diesem Vergleich sehr gut weg und ist damit recht verbindlich. An Gruppenchats sind ungefähr acht bis 12 Personen pro Chatabend betei- ligt. Die Zahlen variieren, die Gruppenchats werden aber im Grunde gut angenommen. Etwa 95 % der Nutzer sind weiblich, 2 % geben als Geschlecht männlich an, der Rest macht keine Angaben. Die Hauptnutzer unserer Online-Beratung bewegen sich zwischen 15 und 25 Jahren mit einer Konzentration auf der Altersgruppe der 20-Jährigen. Beratungsanlass sind in 83 % der Fälle Essstörungen und Themen, die damit zusammenhängen: Therapie, Ängste und Depressionen, sexueller Missbrauch, selbstverletzendes Verhalten. Gründe für die Online-Kontaktaufnahme Bei 80 % der Nutzer ist der Kontakt zu uns die erste Begegnung mit dem Hilfesystem. Das sind Frauen oder Mädchen, die noch nie in einer Beratungsstelle oder bei einer Therapeutin/einem Therapeuten waren und keinerlei Klinikerfahrung haben. Diese Niedrigschwelligkeit ist ein Grund für die Nutzung der Online-Beratung. Online können die Frauen über ihre Befindlichkeit sprechen, ohne befürchten zu müssen, dass sie jemand am Arm nimmt und direkt zur Beratungsstelle oder zur Therapeutin/ zum Therapeuten führt. Sie können sich notfalls wegklicken und fühlen sich so geschützt. Sie haben die freie Wahl und die volle Kontrolle, was für Essgestörte sehr wichtig ist. Genau das ermöglicht es ihnen, den ersten Kontakt herzustellen. Ein häufiger Grund für die erste Kontaktaufnahme ist die Abklärung, ob überhaupt eine Essstörung vorliegt. Die Frauen erzählen, dass sie sich schon ein halbes Jahr lang dreimal am Tag erbrechen und wissen scheinbar immer noch nicht genau was los ist. Eigentlich wissen sie es schon, aber sie brauchen die 20 Bestätigung, dass tatsächlich eine Essstörung vorliegt und sie krank genug sind, um Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Es wenden sich auch Angehörige an uns, die vor allem für Betroffene Hilfe suchen. Und natürlich stellen die Betroffenen auch Fragen nach Unterstützungsangeboten, Therapiemöglichkeiten, nach Kostenübernahme durch die Krankenkasse und so weiter. Zwei Wege führen üblicherweise in die OnlineBeratung. Zum einen der Gruppenchat, durch den man sich auch ein Bild von der Person machen kann, die Beratung anbietet. Wenn die Nutzer den Eindruck gewinnen, die sei in Ordnung, kommen sie auch in den Einzelchat oder in die E-Mail-Beratung. Häufig erfolgt aber die erste Kontaktaufnahme über E-Mail, darauf senden wir eine Antwort, und wenn sich eine kommunikative Beziehung ergibt – die Beraterin/der Berater etwas Hilfreiches zurückmelden konnte – geht es weiter. Der nächste Schritt ist meistens die Einzelchat-Beratung und evtl. die Nutzung weiterer Angebote. Grenzen der Online-Beratung Es gibt natürlich auch Grenzen der Online-Beratung, beispielsweise, wenn eine tiefer gehende Behandlung, etwa ambulante oder stationäre Therapie notwendig wird. Wir können dann allenfalls an den Ängsten davor arbeiten. Die Grenze ist auch erreicht, wenn die Online-Beratung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt. Für die Frauen besteht dann die Gefahr, dass sie in diesem Kontakt stecken bleiben und nicht in der Behandlung fortschreiten. In solchen Fällen bemühen wir uns, die Betroffenen aus der Online-Beratung in eine Therapie überzuleiten. Online-Arbeit stößt auch an Grenzen, wenn die Betroffenen das Bedürfnis nach persönlichem Kontakt äußern. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass sie online mit jemanden reden konnten und halten nun auch ein persönliches Gespräch für möglich. Und die Grenze erreichen wir, wenn eine individuelle, nicht-anonyme Einschätzung der Beratungssituation geboten ist, das heißt wenn aus unserer Sicht ein persönliches Gespräch, ein persönlicher Kontakt – zum Beispiel zu einer Ärztin/einem Arzt – wichtig wäre. Vernetzung Vernetzung herzustellen ist uns ein wichtiges Anliegen. Ein Online-Angebot ist ortsungebunden, BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN aber irgendwann gehen die Frauen in die persönliche Beratung und dazu ist es notwendig, vernetzt zu sein und über weiterführende Angebote Bescheid zu wissen. Hierfür sollten qualitätsgesicherte Informationssammlungen und Adressdatenbanken aufgebaut werden, damit Betroffene sicher sein können, dass sie an kompetente Ansprechpartner geraten. Pro-Ana Zum Abschluss möchte ich kurz auf das Pro-AnaPhänomen und die entsprechenden Web-Seiten eingehen. Grundaussage der Betreiber dieser Seiten ist, dass Anorexie und Bulimie keine Krankheiten sind, sondern ganz bewusst gewählte Lebensentwürfe und Livestyles. Die Betreiber pochen auf freie Meinungsäußerung, aber wenn so viele Menschen dadurch geschädigt werden, sollten wir doch dagegen vorgehen. Wir haben von magersucht.de aus schon mindestens zehn Seiten abschalten lassen. Deshalb möchte ich auch zu einer Vernetzung gegen ProAna aufrufen. Auf jugendschutz.net gibt es beispielsweise die Möglichkeit, bedenkliche InternetSeiten zu melden. Darüber hinaus wäre es meines Erachtens richtig, in der Öffentlichkeit Zurückhaltung beim Pro-AnaThema zu üben. Ich finde es gefährlich, öffentlich über Pro-Ana zu sprechen, und bedauere, dass in Zeitungen dauernd darüber geschrieben und Betroffenen dadurch der Weg zu Pro-Ana gewiesen wird. Diskussion Eine Teilnehmerin wendet ein, ob nicht die Gefahr bestünde, dass Eltern von Betroffenen nicht von ProAna-Seiten erfahren und ihre Kinder somit schlechter schützen könnten, wenn nicht mehr öffentlich darüber berichten würde. Frau Harrach beschreibt dazu, dass in der Beratung viele Mädchen angäben, dass sie erst über die öffentliche Berichterstattung von diesen Seiten erfahren und diese daraufhin besucht hätten. Insofern sei abzuwägen, was gefährlicher sei. Wenn man sich klarmache, dass Eltern ohnehin nur sehr begrenzte Kenntnis davon hätten, was ihre Kinder im Internet ansteuerten sei der Schutz der Betroffenen durch ausbleibende Publicity höher zu bewerten. Eine Vertreterin von jugendschutz.net weist auf die neu erschienene Broschüre „Gegen Verherrlichung von Essstörungen im Internet. Ein Ratgeber für Eltern, Fachkräfte und Provider“ hin, die beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kostenfrei bestellt oder heruntergeladen werden könne. In dieser Broschüre werde sachlich über die Problematik aufgeklärt und es würden Hinweise gegeben, wie Eltern, Fachkräfte oder Provider reagieren könnten. Es sei wichtig, dass Eltern und Fachkräften sachliche und seriöse Informationen dazu vorlägen und diese Seiten von möglichst vielen bei jugendschutz.net gemeldet würden. 21 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Referentin/Autorin: Sylvia Baeck Dick und Dünn e.V. Face to face-Beratung und Multiplikatorenarbeit Dick und Dünn e. V. „Dick und Dünn e. V.“ ist seit 25 Jahren im Bereich psychogener Essstörungen tätig. Durchschnittlich suchen zirka 1000 Menschen im Jahr Kontakt zu uns und etwa 23 Gruppen werden jährlich betreut. Wir können daher Trends beobachten und auf diese reagieren, zum Beispiel dass Anfragen von Eltern und Angehörigen deutlich zugenommen haben. 300 Menschen sind zurzeit bei uns in Betreuung; zum Teil sind sie von Kolleginnen und Kollegen geschickt worden, die ihnen eine Gruppe empfohlen haben. Etwa 300 kommen ab und zu wieder – weil sie rückfällig geworden sind oder weil sie uns erzählen wollen, wie gut es ihnen inzwischen geht. Meistens sind es aber doch diejenigen, die eine neue Klinik suchen oder einen weiteren Anlauf zur Behandlung nehmen. Hier bietet die Beratungseinrichtung einen wichtigen „roten Faden“. Verschiedene Zielgruppen in der Beratung Wir beraten Betroffene in der Gruppe oder im Einzelgespräch. Und wir beraten Eltern und Angehörige. In den letzten Jahren haben wir als Trend beobachtet, dass Eltern Essstörungen sehr viel früher entdecken. Sie kommen in die Beratungseinrichtung und sagen: „Wissen Sie, ich habe da so einen Verdacht ...“. Sie hoffen natürlich, dass wir diesen nicht bestätigen. In 99 % der Fälle ist der Verdacht der Eltern aber leider berechtigt. Dann stellt sich häufig die Frage: Was machen die Eltern, wenn die Kinder/Jugendlichen nichts machen wollen? Hier 22 setzt unsere Arbeit an. Drei, vier Monate später kommen meist auch die Töchter beziehungsweise Söhne mit, oft weil sie ärgerlich über das sind, was wir den Eltern empfehlen und an Wissen vermitteln. Die Jugendlichen kommen zunächst nicht sehr wohlwollend zu uns, sondern eher neugierig und auch kontrollierend. Sie sind aber immer willkommen! Bei der Terminvergabe für die Elternberatung bieten wir deswegen an, dass die Tochter oder der Sohn immer, auch spontan mitkommen kann. Die Einbeziehung von Eltern und Angehörigen ist sehr wichtig. Als ich vor über zwanzig Jahren anfing, war das nicht so selbstverständlich. Da hieß es: Autonomiekonflikt – weg von den Eltern. Möglichst nach der Klinik gleich in eine eigene Wohnung. Inzwischen haben wir ganz andere Erfahrungen. Mein Anliegen ist es stets, auch die Eltern mit ins Boot zu holen. Natürlich arbeiten wir getrennt, wenn die betroffenen Mädchen und Jungen sagen, sie wollen nicht gemeinsam mit den Eltern beraten werden. Ebenfalls entwickelt hat sich ein Beratungszweig für Kolleginnen und Kollegen aus verschiedenen Fachbereichen – beispielsweise Kindergärten. Wir haben einen fixen Profi-Beratungstermin eingeführt, um uns zu entlasten und fassen damit ähnliche Anliegen zusammen. Als zusätzlichen positiven Effekt ergibt sich eine Vernetzung, die den kollegialen Austausch ermöglicht und fördert. Seit kurzem findet einmal monatlich eine Schülerinformation statt, denn sehr häufig kommen auch Schüler, die BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Arbeiten über Essstörungen schreiben müssen und Material erfragen. Die Schülerinformation bündelt diese Anfragen. Ziele und Inhalte der Beratung Eines unserer wesentlichen Ziele bei der Beratung ist die Entlastung und Information über Hilfsmöglichkeiten für Eltern und natürlich auch für Betroffene. Es werden vor allem Fragen nach Diagnostik und Folgebehandlung gestellt. Eltern sind oft sehr niedergeschlagen und am Ende ihrer Kraft. Da kann bereits ein Gespräch Erleichterung schaffen. Fast wichtiger als diese Fachinformationen ist die Motivationsarbeit, die wir als Beratungseinrichtung leisten. Wir arbeiten in der Regel an der Eigenmotivation der Klientinnen und Klienten, selbst eine professionelle Behandlung aufzunehmen. Das ist häufig sehr schwer, vor allem dann, wenn schon viele andere Versuche gescheitert sind. Kooperationspartner/ lokale Vernetzung Vernetzung ist unabdingbar. Wir haben versucht, Klinikerinnen/Kliniker, Psychologinnen/Psychologen, Therapeutinnen/Therapeuten, Ärztinnen/Ärzte, an einen Tisch zu bringen – unter anderem auch bei Tagungen. Wir arbeiten mit Hausärztinnen/Hausärzten zusammen, mit Fachärztinnen/Fachärzten für Inneres, für Gynäkologie, Kinderheilkunde, mit Zahnärztinnen/Zahnärzten. Wir geben den Klientinnen und Klienten eine Checkliste 1 mit, was Ärztinnen/Ärzte untersuchen sollen, da niedergelassene Mediziner in diesem Bereich häufig nicht ausreichend kompetent sind. Wir wünschen uns hier eine bessere Aus- beziehungsweise Fortbildung und sind froh, dass wir inzwischen einige Ärztinnen/Ärzte auf unserer Liste haben, auf die wir uns verlassen können. Vor mehr als zwei Jahren haben wir die Wohngemeinschaften „Bitter & Süß“ mitgegründet. Solche Nachsorgeangebote sind ein wichtiges Behandlungselement. Was fehlt sind fachspezifische tagesklinische Einrichtungen. In Berlin gibt es tagesklinische Einrichtungen, aber keine, die auf Menschen mit Essstörungen spezialisiert sind. In allgemeinen tagesklinischen Einrichtungen sind unsere Frauen nicht optimal untergebracht. Problematisch ist es auch, wenn eine Klientin/ein Klient mit einer Essstörung in einer psychosomatischen Klinik ist, in der aufgrund mangelnder Patientinnen und Patienten mit Essstörungen keine Gruppenarbeit möglich ist. Viele bulimische Frauen sind hoch verschuldet und wissen gar nicht, wie sie ihr Leben mit dieser Last gestalten sollen. Auch diese Probleme müssen wir einbeziehen – zum Beispiel in Verbindung mit Schuldnerberatungsstellen. Ebenfalls eingebunden sind Familienberatungsstellen, wenn es familiäre Konflikte gibt, schulpsychologische Dienste, Wohngemeinschaften, Frauen- und Mädchen-Beratungsstellen, SEKIS Selbsthilfe Kontakt- und Informationsstelle. Vernetzt sind wir auch mit Alkohol- und Drogenberatungsstellen, denn wir haben viele Klientinnen und Klienten mit Mehrfachabhängigkeiten. Es ist ganz selten, dass jemand „nur“ eine Magersucht oder „nur“ eine Bulimie hat. Gerade bei Männern, die bulimisch sind, oder bei Übergewichtigen mit Binge Eating Disorder besteht häufig eine zusätzliche Alkoholproblematik. Bei Bedarf kooperieren wir mit Einrichtungen zum Thema sexueller Missbrauch; denn viele unserer Klientinnen und Klienten haben grenzverletzende Erfahrungen hinter sich. Um bundesweite Vernetzung bemühen wir uns über den Bundesfachverband Essstörungen und Internetanbieter wie magersucht.de und Hungrig-Online.de. Auch Krankenkassen betrachten wir als unsere Kooperationspartner, da sie Selbsthilfegruppen inzwischen zumindest finanziell unterstützen müssen. Weitere Aufgaben einer Beratungseinrichtung Beratungseinrichtungen sind der rote Faden für Betroffene und Angehörige – bis in die Folgearbeit, die häufig in den Selbsthilfegruppen stattfindet. Selbsthilfegruppen werden von uns initiiert und betreut. Dieses kostengünstige und niedrigschwellige Versorgungsinstrument ist auch für Angehörige eine große Hilfe. Im Rahmen der vom Bundesministerium für Gesundheit unterstützten Initiative „Wenn Essen zum Problem wird“ erheben wir zurzeit, wie viele Beratungseinrichtungen und Selbsthilfeangebote es bundesweit zu Essstörungen gibt. Die Recherche ist noch nicht abgeschlossen, aber wir haben bis jetzt festgestellt, dass es nur zirka 26 ausschließlich essstörungsspezifische niedrigschwellige Beratungseinrichtungen gibt. Es gibt viele Stellen, die unter anderem zu Essstörungen beraten, aber diese 26 beschäftigen sich ausschließlich mit dem Thema Essstörungen. Sie konzentrieren sich in 23 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Hamburg, München, Frankfurt und Berlin. Es gibt ganze Flächen in der Bundesrepublik, die überhaupt nicht versorgt sind. Deswegen sind Online-Angebote auch so wichtig. Wenn man überlegt, dass es ebenso viele essgestörte Menschen geben soll wie Alkoholkranke, sind bundesweit 26 Einrichtungen doch viel zu wenig! Diskussion Auf die Nachfrage einer Teilnehmerin bestätigt Frau Baeck, dass die Selbsthilfe in den letzten 1 24 Jahren grundsätzlich unter Imageverlust leide. Es werde die Frage aufgeworfen, was das Erzählen über die Krankheit den Betroffenen wirklich bringe. Diese negative Einschätzung sei ihrer Meinung nach aber nicht zutreffend, da Selbsthilfegruppen tatsächlich Hilfe auf hohem Niveau bieten könnten. Allerdings vertritt auch Frau Baeck die Ansicht, dass angeleitete und moderierte Gruppen am zielführendsten arbeiten könnten; es gebe jedoch durchaus selbstgesteuerte Selbsthilfegruppen, die gut funktionieren. Informationen – zum Beispiel unsere Untersuchungs-Checklisten – finden Sie auf unserer Internetseite www.dick-duenn-berlin.de. BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Referenten: Katrin Raabe, Ulrich Weigeldt Moderation/Bericht: Karin Reupert Bericht aus der Arbeitsgruppe „Beratung“ Heidelberger Mädchenhaus Frau Raabe berichtet, dass das Heidelberger Mädchenhaus im Rahmen seines Präventionsangebotes vier Module zur Sekundärprävention entwickelt habe, die sich mit Essstörungen beschäftigten. Diese zielten darauf ab, bereits betroffene Jugendliche und auch junge Erwachsene frühzeitig zu erreichen und sie auf dem Weg in eine Behandlung zu motivieren: Geschlechtsspezifische Workshops für Mädchen und Jungen; medienkritische Workshops zu manipulativen Möglichkeiten digitaler Bildbearbeitung; Informationsabende für Eltern; Fortbildungen für Lehrerinnen/Lehrer und Multiplikatoren. Ein weiteres Präventionsprogramm PriMa (Primärprävention Magersucht) werde in Kooperation mit der Universität Jena durchgeführt. Dahinter verberge sich ein Manual in neun Lektionen, mit dessen Hilfe Lehrerinnen und Lehrer das Programm eigenständig an Schulen durchführen könnten. Zusätzlich biete das Heidelberger Mädchenhaus E-Mail-Beratung als ersten Schritt für Hilfesuchende an. Die Betroffenen könnten ermutigt und gestärkt werden, ihre Essstörung ernst zu nehmen und deren Krankheitswert anzuerkennen. Darüber hinaus könne dazu motiviert werden, sich vor Ort Unterstützung zu suchen und Behandlungsangebote zu nutzen. „Stolpersteine“ in der Schule Kritisch merkt Frau Raabe an, dass Programme, die an Schulen durchgeführt würden beziehungsweise für Lehrkräfte konzipiert seien häufig mit bereits bestehender Überlastung des Personals kollidierten. („Was sollen wir denn noch alles machen?“) Wenn betroffene Mädchen und Jungen zu den Workshops kämen, sei es oft schwierig, sie in eine adäquate Beratungsstelle zu vermitteln. Die Beratung sollte sehr niedrigschwellig sein und im günstigsten Fall von der Pädagogin angeboten werden, die das Präventionsprojekt durchführt. Auch Eltern seien in der Regel schwer zu erreichen und zu den Informationsabenden kämen häufig jene, die bereits für die Problematik sensibilisiert seien. Funktion der Hausärzte Als Vertreter des Deutschen Hausärzteverbandes weist Ulrich Weigeldt auf die Differenzierung zwischen Prävention und Früherkennung von Essstörungen hin. Als Hausarzt sehe er sich in der Praxis eher für die Früherkennung zuständig. Da Essstörungen viel mit Ängsten zu tun hätten, sei es für die betroffenen Menschen oft nicht einfach, die Problematik im Rahmen eines Arztbesuches anzusprechen. Daher sei die psychosomatische Kompetenz der Ärztinnen und Ärzte gefordert. Versteckte Aufrufe zur Hilfe müssten erkannt und entsprechend geleitet werden. Die Hausärztin/der Hausarzt begleite die Familien oft über einen langen Zeitraum und könne daher Strukturen, die eine 25 BERATUNG BEI ESSSTÖRUNGEN Gefährdung für Essstörungen begünstigten, eher erkennen. Dieses Potential sollte genutzt werden, um frühzeitig Verdachtsmomente anzusprechen. Die Hausärztin/der Hausarzt sollte auf psychosoziale Beratung hinweisen beziehungsweise den Weg für ein Behandlungsclearing bahnen. In konkrete Beratungssituationen direkt einzusteigen sei aufgrund von hierarchischen Strukturen und Zeitknappheit nur bedingt sinnvoll. Die somatische Untersuchung sollte gründlich und gewissenhaft durchgeführt, jedoch nicht überbewertet werden. Es gehe darum, die Lösung des Kernproblems (psychosomatisch!) nicht zu blockieren. „Stolpersteine“ für Ärzte Zu Bedenken gibt Herr Weigeldt, dass Kenntnisse über lokale Beratungsangebote oft begrenzt beziehungsweise Einrichtungen dieser Art nicht oder nur begrenzt vorhanden seien. Auch die Ausbildung für den Bereich der Psychosomatik sei bei Hausärztinnen/Hausärzten, Kinderärztinnen/Kinderärzten und Gynäkologinnen/Gynäkologen noch immer unzureichend und nicht in deren Fortbildungscurricula verpflichtend verankert. „Stolpersteine“ für Eltern Im Rahmen der anschließenden Diskussion wird auf die Unterversorgung mit Beratungseinrichtungen in ländlichen Gebieten hingewiesen. Besonders betroffene Eltern fühlten sich in ihren Fragestellungen wenig wahrgenommen und unterstützt. Spezielle Hilfsangebote seien selten zu finden. Fehlende Transparenz bei der Behandlung ihrer Kinder und ein Ausgeschlossensein aus Behandlungspfaden wurden als Punkte der Unzufriedenheit deutlich artikuliert. Forderungen In der Arbeitsgruppe wurde festgehalten, dass im Bereich der Prävention dringend mehr finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden müssten – gleichermaßen für Einrichtungen, die Präventionsan- 26 gebote zum Thema Essstörungen entwickeln und durchführen und Schulen sowie Einrichtungen der Jugendarbeit. Lehrerinnen und Leherer sollten ein zusätzliches Stundenkontingent für die eigene Fortbildung in diesem Bereich und für die Durchführung von Projekten zugesichert werden. Das Netz der Beratungsstellen, die ein fachspezifisches und kompetentes Angebot für Menschen mit Essstörungen vorhalten, müsse dringend ausgeweitet und finanziell wie personell deutlich besser ausgestattet werden. Nicht nur in den Großstädten und Ballungszentren sollten Facheinrichtungen für alle erreichbar sein. Den hohen Bedarf an niedrigschwelligen Angeboten gelte es dabei zu beachten. Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in psychosozialen oder suchtbehandelnden Beratungsstellen könnten ein erster wichtiger Schritt sein. Vor allem Eltern von Betroffenen wiesen auf die Notwendigkeit von Selbsthilfeeinrichtungen hin, die gerade für sie ein wichtiges und entlastendes Angebot seien. Selbsthilfegruppen sollten idealer Weise in Zusammenarbeit und unter Anleitung von Fachberatungsstellen realisiert werden. Im Rahmen des medizinischen Studiums und der Fortbildungscurricula sollte das Thema Essstörungen als verbindlicher Wissenspool verankert werden. Dies gelte für Fachärztinnen und Fachärzte aus den Gebieten Gynäkologie, Kinderheilkunde, Allgemeinmedizin und der Zahnheilkunde. Alle Angebote, seien sie noch so sinnvoll und effektiv, könnten ohne eine Vernetzung nicht wirklich zielführend arbeiten. Runde Tische, Fachausschüsse und Koordinationsstellen auf regionaler und überregionaler Ebene müssen flächendeckend gegründet und unterstützt werden. Verbindliche Qualitätsstandards, wie sie in vielen Bereichen der Suchtbehandlung und der Behandlung von psychosomatischen Erkrankungen vorlägen und den Arbeitsalltag prägten, sollten auch für das multiprofessionelle Tätigkeitsfeld bei Essstörungen in nächster Zukunft entwickelt werden. THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Therapie bei Essstörungen Für viele von Essstörungen Betroffene wird in einem ersten Beratungsgespräch oder einer ersten Beratungssequenz deutlich, dass sie einer ambulanten oder stationären Therapie bedürfen. Dieser Weg in die Therapie wird aus klinischer Sicht aber als zu lang angesehen und erfolgt verzögert. Aus medizinischer Sicht beschreibt Dr. Ulrich Hagenah, leitender Oberarzt der Klinik für Kinderund Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen, die Problematik der Essstörungen. Mit anschaulichen Worten schildert er seine Erfahrungen mit den zum Teil schwer kranken Mädchen, referiert neuere Studien und Aspekte der Behandlung und betont die Bedeutung von Früherkennung und Frühbehandlung bei Essstörungen. Um die nachhaltige Wirkung stationärer Behandlungen geht es im Beitrag von Prof. Manfred Fichter von der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen e.V. Befinden und Mortalität von Patienten und Patientinnen nach stationärer Behandlung und häufig auftretende psychiatrische Komorbidität mit Depression und Angstkrankheiten thematisiert er ebenso wie aktuelle Erkenntnisse zur Rückfallvorbeugung via Internet. Im „Therapienetz Essstörungen“, das Andreas Schnebel von ANAD e.V. vorstellt, haben sich mehrere große Krankenkassen sowie namhafte Kliniken, die ANAD-Wohngruppen und ambulante Ärztinnen/ Ärzte und Psychotherapeutinnen/ Psychotherapeuten zusammengeschlossen. Die Arbeit der multiprofessionellen Teams und der „therapeutischen Wohngruppen“ stehen im Mittelpunkt seines Beitrages. Prof. Dr. Hans-Martin Deter, Direktor der Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie an der Charité und Dr. Ernst Pfeiffer, Leitender Oberarzt an der Charité, spannten mit ihren Eingangs-Beiträgen in der Arbeitsgruppe „Therapie“ einen breiten Bogen von den Essstörungen im Kindes- und Erwachsenenalter hin zu Patientinnen und Patienten im höheren Erwachsenenalter. Fragen nach Prognosefaktoren, der Betreuung ohne Behandlungsauftrag, der Chronifizierung und der „Begleitung zum Tode“ kamen dabei zur Sprache. Das Protokoll dieser Impulsvorträge sowie der anschließenden Diskussion schließt den Themenschwerpunkt „Therapie“ ab. 27 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Referent/Autor: Dr. Ulrich Hagenah Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, Universitätsklinikums RWTH Aachen Therapie – Neue Aspekte der Behandlung Epidemiologische Befunde Anorexia nervosa, die Magersucht, ist mittlerweile die dritthäufigste chronische Erkrankung bei adoleszenten Mädchen. Der Häufigkeitsgipfel für die Erkrankung liegt im Alter zwischen 15 und 19 Jahren. Die Prävalenzrate beträgt etwa 0,3 % bis 1 % bei Jugendlichen und jungen Frauen. Die Studien weisen ein Geschlechterverhältnis von etwa 10:1 – manche sogar bis 30:1 – zu Lasten des weiblichen Geschlechts aus und die Betroffenen werden zunehmend jünger. Die Bulimia nervosa beginnt in der Regel später, meist zwischen 16 und 19 Jahren. Auch hier behandeln wir immer jüngere Patientinnen, die oft nicht mehr den Weg über eine Magersucht genommen haben, sondern bereits im Alter von 12 Jahren direkt entdecken, wenn sie nach dem Essen erbrechen, dann nehmen sie nicht so viel zu. Die Prävalenz der Bulimia nervosa liegt bei 1 % – 4 % und auch hier sind der überwiegende Teil der Betroffenen weiblichen Geschlechts (20:1). Entgegen der landläufigen Meinung scheint es generell nicht mehr so zu sein, dass die Störungen zunehmen. Eine Studie von Laura Currin aus dem Jahr 2005 zeigt ein für die Magersucht mittlerweile relativ konstantes Bild. Eine Zunahme der Inzidenz wird jedoch für die Gruppe der 10- bis 19-Jährigen festgestellt. Verlauf und Folgen Die Krankheit nimmt in sehr vielen Fällen – mehr als 20 % – einen chronischen Verlauf über mehr als zehn Jahre. Dabei besteht ein hohes Risiko für die 28 Entwicklung weiterer psychiatrischer Erkrankungen und viele erwachsene Frauen sind aufgrund der Essstörung oder der Folgeerkrankungen beruflich nicht mehr integriert. Unter den psychiatrischen Erkrankungen weist die Anorexie immer noch die höchste Mortalität auf. Je nach Studie ergeben sich Zahlen zwischen 1 % und 12 %, sehr häufig bedingt durch kardiale Folgeerkrankungen und die hohen Zahl von Suiziden. Ein weiteres großes Folgeproblem der Magersucht im Alter zwischen 11 und 20 Jahren ist die Beeinträchtigung des Knochenstoffwechsels genau in der Phase, in der die Hauptknochenmasse bei Jugendlichen aufgebaut wird. Studien beschreiben bei bis zu 40 % frühe Anzeichen von Osteoporose in der dritten und vierten Lebensdekade bis hin zu spontanen Knochenbrüchen, im Einzelfall Rollstuhlpflichtigkeit und Berufsunfähigkeit. In Folge der Mangelernährung wird darüber hinaus das Gehirn in einer sehr deutlichen Weise verändert. Moderne Bildgebungsverfahren zeigen, dass es sowohl zum Verlust von weißer wie auch grauer Hirnmasse kommt. In neuropsychologischen Untersuchungen sehen wir in vielen Fällen verschlechterte Funktionen, in manchen aber auch Verbesserungen. Diese Ergebnisse sind daher noch nicht endgültig zu bewerten. Festzuhalten ist jedoch, dass das Gehirn im Zustand der Mangelernährung anders arbeitet. THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Nicht übersehen dürfen wir, dass die Patientinnen auch physisch schwerstkrank sind. Wenn die Mädchen zu uns kommen stellen wir fest, dass sie eiskalte Hände haben und sehr blass sind. Wenn wir sie untersuchen, entdecken wir sehr trockene, schuppige Haut und Druckstellen zum Beispiel am Rückgrat, weil es kein schützendes Unterhautfettgewebe mehr gibt. In 10 % der Fälle stationär behandelter Jugendlicher mit Magersucht diagnostizieren wir einen Herzbeutelerguss, das heißt eine Flüssigkeitsansammlung zwischen Herzbeutel und Herzmuskel, die die Herzfunktion beeinträchtigen kann. Eine körperliche Untersuchung jeder Patientin, die eine Magersuchterkrankung oder eine Bulimie hat, sollte daher obligat sein und manche Patientinnen müssen auch akut überwacht werden. Früherkennung und Frühbehandlung Bisher ungelöste Probleme sind, dass ein Großteil dieser Essstörungen nicht oder zu spät entdeckt werden und die Abbruchraten bei den Behandlungen sehr hoch sind. Bis zu 50 % der Erkrankungsfälle werden nicht erkannt. Beratung, Therapie und medizinische Hilfe werden oft erst mit einer Verzögerung von drei bis vier Jahren aufgenommen. Nach fünf Jahren sind noch immer 20 % nicht in einer medizinisch-psychotherapeutischen Behandlung gewesen. Und bis zu 50 % der stationären Behandlungen werden nicht zu Ende geführt, sondern von den Patientinnen wegen Unzufriedenheit vorzeitig abgebrochen. Zur Entstehung von Essstörungen legen die empirischen Daten nahe, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Was wir bei den Patien- tinnen in der Vorgeschichte und in der Erkrankung oft feststellen, sind ein niedriges Selbstwertgefühl und erhöhte soziale Ängstlichkeit und Unsicherheit. Diese Konstellation ist sicher maßgeblich mit entscheidend in einer Umwelt, die als Schönheits- und Erfolgsideal Schlankheit vorgibt und Übergewicht gesellschaftlich stigmatisiert. Hier gilt es auch eventuell negative Effekte von Kampagnen gegen Übergewicht zu beachten. Wissenschaftliche Befunde legen nahe, dass bei Personen mit Selbstwertproblematik die „Lawine“ zur Erkrankung häufig durch eine Diät ausgelöst wird. Wenn wir die Mädchen fragen, was sie zur Diät bewogen hat, erzählen sie zum Beispiel von Bemerkungen Angehöriger, wie „Du hast aber dicke Backen bekommen!“ Das reicht bei manchen schon aus. Entgegen ursprünglichen Annahmen, dass bestimmte Familientypen eine Magersucht oder eine Bulimie begünstigen, haben empirische Studien das nicht nachweisen können. Die häufig zu beobachtende protektive Haltung von Müttern essgestörter Patientinnen ist wohl eher eine Folge der Erkrankung und verliert sich meist, wenn die Krankheitssymptome nachlassen. Eltern können hingegen eine wichtige Ressource in der Behandlung sein. In den meisten Fällen sind sie es, die die Patientin in die Behandlung bringen. Die Chancen von Früherkennung und Behandlung liegen in der Reduktion von Chronifizierungen und medizinischen Folgeschäden sowie in der Senkung der Mortalitätsrate. Wenn die Mädchen früh aus ihrem Hungerzustand herauskommen besteht die Hoffnung, dass sich eine dauerhafte Fokussierung aller Gedanken auf das Thema Essen abmildern oder vielleicht sogar verhindern lässt. Es geht in diesem Zusammenhang auch darum, wer wo was wahrnehmen kann. Das betrifft die Familie, die Ärztinnen und Ärzte sowie bei den Jugendlichen natürlich vor allen Dingen auch die Schule. Eltern können feststellen, dass die Tochter nicht mehr so oft mitisst, sich plötzlich für die Zusammensetzung der Ernährung interessiert und beim Kochen 29 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN „reinredet“. Symptome können auch Unzufriedenheit mit dem Äußeren sowie zunehmende Leistungsorientierung und exzessiver Bewegungsdrang sein. Weitere Warnzeichen sind Schwindel oder blaue, eiskalte Hände und dass die Kinder häufig frieren und anfangen, sich wärmer anzuziehen. Was die Mädchen sehr beunruhigt und manchmal die Motivation für die Gesundung stärken kann, sind der Haarausfall und das Ausbleiben der Menstruation. In der Schule haben die Mädchen oft schon vorab eine sehr ausgeprägte Leistungsorientierung. In der Anfangsphase der Essstörung ist ihre Konzentration und Leistungsfähigkeit häufig noch verbessert, gleichzeitig ziehen sie sich mehr und mehr von anderen zurück. Für die Ärztinnen und Ärzte sollte klar sein: Bei Kindern oder Jugendlichen, die ohne ärztliche Intervention anfangen abzunehmen, muss man immer – egal ob das drei oder fünf Kilo sind – nach den Ursachen forschen. Dabei sind besonders die übergewichtigen Mädchen zu beachten, die 30, 40 Kilo innerhalb von wenigen Monaten abnehmen. Temperatur messen macht bei den Mädchen mit Magersucht Sinn, da sie häufig Untertemperatur im Bereich von 34,5 bis 35,5 Grad haben. Der Körper versucht so, Energie zu sparen. Zahnärztinnen und Zahnärzte haben die Möglichkeit, Warnzeichen zu erkennen, wenn Jugendliche plötzlich Karies entwickeln. Bei Bulimie und bei Anorexie mit bulimischer Symptomatik, also Erbrechen, kommt es durch die Magensäure zu einer Schädigung des Zahnschmelzes und in der Folge zu Karies. Bei vielen chronisch kranken Patientinnen mit bulimischer Symptomatik geht das bis hin zum Verlust des vollständigen Gebisses. Ambulante oder stationäre Behandlung Die Datenlage und empirische Evidenz durch kontrollierte Studien zur Magersuchtsbehandlung im Kindes- und Jugendalter ist immer noch sehr schlecht. Zur Bulimie gibt es gute empirische Evidenz sowohl zur Psychotherapie wie auch zur Pharmakotherapie bei erwachsenen Frauen, aber nicht für die Gruppe der Jugendlichen. Die Empfehlungen zur AnorexieBehandlung beschränken sich aktuell fast ausschließlich auf Expertenmeinungen und klinische Erfahrungen. Wir raten grundsätzlich dazu, sehr frühzeitig die Untersuchung und Behandlung einzuleiten. 30 Wenn der Verdacht auf eine Essstörung besteht, sollte möglichst niedrigschwellig – eine sorgfältige und kompetente Klärung ohne Wartezeiten erfolgen. Ob diese durch eine Beratungsstelle, eine/n erfahrene/n Psychotherapeutin/en oder eine/n Ärztin/Arzt erfolgt, ist aus meiner Sicht unerheblich.Wichtig ist jedoch, dass derjenige, der den Fall betrachtet, Essstörungen als Krankheit kennt und auch eine körperliche Untersuchung durchführt oder veranlasst. Wenn es die körperliche Verfassung der Patientinnen erlaubt, ist oft zunächst ein ambulanter Behandlungsversuch möglich. Eine stationäre Behandlung sollte hingegen bei einem sehr kritischen Untergewicht durchgeführt werden. Da es für Jugendliche keine Body-Maß-Grenze gibt, orientieren wir uns an den Altersperzentilen und schlagen die dritte Altersperzentile als absolutes Aufnahmekriterium für eine stationäre Behandlung vor. Das ist schon ein sehr niedriges Gewicht, denn ab der zehnten spricht man bereits von Untergewicht. Bei den ehemals übergewichtigen Patientinnen sollte beachtet werden: Wer in drei Monaten 20 kg abnimmt ist krank, auch wenn er noch Normalgewicht und einen normalen Body-Maß-Index hat. Manchmal ist diese Patientin viel schwerer krank als jemand, der bei 1,60 m Körpergröße nur 40 kg wiegt und vielleicht über ein Jahr fünf bis sechs Kilogramm – aber eben langsam – abgenommen hat. Weitere medizinische Kriterien für eine stationäre Behandlung sind Befunde wie Herzbeutelerguss und Kreislaufprobleme oder wenn bereits eine Suizidgefährdung im engeren Sinne besteht. Auch wenn in einer ambulanten Behandlung bei einer hohen Frequenz von Heißhungerattacken und Erbrechen – mehrfach in der Woche bis mehrfach am Tag – nicht innerhalb von zwei Wochen ein Einstieg gelingt, würde ich eine stationäre Behandlung empfehlen, bis das Erbrechen seltener auftritt. Neue Erkenntnisse aus der Leptin-Forschung Durch die Leptin-Forschung haben sich in den letzten Jahren neue Erkenntnisse für den exzessiven Bewegungsdrang bei Essstörungen ergeben. Man hat Ratten hungern lassen und ihnen dann ein Laufrad im Käfig angeboten. Mit zunehmendem Hunger ist es zu einem sich ständig steigernden Bewegungsdrang gekommen, im Mittel auf etwa 300 % bis 400 % des Ausgangswertes. Wurde den Ratten Leptin ge- THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN lung drehen. Das sind zum Beispiel bei bulimischen Patientinnen das Angebot von regelmäßigen kleinen Mahlzeiten, um den Heißhunger zu reduzieren, Planessen und in manchen Fällen Trinkpäckchen. Etwa 20 % bis 30 % unserer Patientinnen benötigen eine Sondenernährung. Die Erfahrung zeigt, dass die allermeisten Mädchen, die es nicht mehr schaffen, selbst zu essen, sich für die Sonde entscheiden, und die Sondierung nicht gegen ihren Willen durchgeführt werden muss. spritzt – ein Hormon, das dem Gehirn Sättigung signalisiert – haben sie ihre Aktivität wieder auf das Ausgangsniveau reduziert. Zumindest im Tiermodell gibt es also Hinweise darauf, dass Hunger den Bewegungsdrang verstärken kann. Auch bei unseren Untersuchungen stellen wir fest, dass Patientinnen mit einem niedrigen Bewegungsdrang einen relativ hohen Leptinwert haben. Bei Aufnahme in die Klinik ist das Leptin durch die Mangelernährung meist extrem niedrig und steigt im Behandlungszeitraum an. Patientinnen, die noch mehr Fettgewebe haben, haben auch mehr Leptin und einen weniger ausgeprägten Bewegungsdrang. Deshalb integrieren wir in unserer Klinik von Anfang an ein Bewegungsprogramm in die stationäre Behandlung. Was früher – bis vor 10, 15 Jahren – gemacht wurde, nämlich schwer erkrankte Patientinnen über weite Strecken des Tages ins Bett zu legen, ist heute obsolet. Der Knochenabbau wird durch die Bettruhe noch gefördert und die Osteoporosegefahr erhöht, sodass innerhalb von wenigen Tagen eine stark negative Bilanz im Knochenstoffwechsel entsteht. Da die Patientinnen unter quälender Unruhe leiden, versuchen wir durch ein auf die jeweilige Energiesituation abgestimmtes Bewegungsprogramm den Alltag erträglicher zu machen. Stationäres Behandlungsprogramm für Essstörungen im Jugendbereich Ein stationäres Behandlungsprogramm für Essstörungen im Jugendbereich muss komplex aufgebaut werden. Kernkomponenten bilden Therapieangebote, die sich um die spezifische Essstörungsbehand- Nach einer Stabilisierung des Essverhaltens gibt es Übungsessen, auswärts Essen, Modellessen, Teilnahme an einer Kochgruppe, Übungen zum selber portionieren. Die Patientinnen müssen wieder ein Gefühl dafür bekommen, wie viel sie brauchen und wie viel auf dem Teller ist, denn die Wahrnehmung hinsichtlich der notwendigen Menge ist durch die Krankheit in kaum vorstellbarer Weise verzerrt. Zum Teil haben sie zuvor nicht mehr als 300 bis 400 Kilokalorien am Tag zu sich genommen. Neben der Normalisierung des Essverhaltens ist die psychotherapeutische Behandlung die zweite Säule unseres Therapieansatzes. Die psychotherapeutische Arbeit in der Klinik umfasst sowohl eine Einzeltherapie – zu Beginn täglich und sehr kurz – als auch eine Gruppentherapie. Die Gruppentherapie ist der Rahmen, in dem die Patientinnen für sich spüren, andere verstehen mich, ohne dass ich erklären müsste, wie es mir geht. Das, was Ärztinnen/ Ärzte, Eltern, Lehrerinnen/Lehrer nicht verstehen, das verstehen die Patientinnen untereinander. Wenn die Gewichts- und Ernährungssituation sich stabilisiert, sollte hinterfragt werden, warum Figur und Gewicht eigentlich so wichtig sind. Hierüber gelangt man zum Selbstwert und zur Selbstakzeptanz. Wir lassen die Patientinnen unter anderem Pro- und Kontra-Listen in Form von „Briefen an die Magersucht“ formulieren: „Liebe Magersucht, Du bist meine beste Freundin weil ….“. Oder: „Du bist meine ärgste Feindin, weil ….“. Man merkt solchen Briefen an, wie wichtig die Erkrankung auch im positiven Sinn ist und wie die Patientinnen sich weh- 31 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN ren, wenn man das einfach wegbehandeln will, ohne diese Seite zu sehen. Der andere Aspekt dieser Briefe ist, dass wir erfahren, dass die Patientinnen letztlich wissen, wie schlimm die Krankheit in ihr Leben eingreift. Mit diesem Material kann man gut arbeiten: „Wie kann ich das, wofür die „Freundin“ steht, auf einem anderen Weg erreichen, damit ich diesen Weg mit seinen vielen negativen Folgen nicht mehr nötig habe?“ Das ist ein Prozess über zehn, elf Wochen, in dem die Patientinnen Hoffnung schöpfen, aber – das muss man auch sehen – die Krankheit noch nicht endgültig überwinden. Es gelingt aber sehr häufig, den Kontakt herzustellen und Einsicht in das Ziel zu vermitteln. Die Einbeziehung der Familie ist ein weiterer Schwerpunkt innerhalb unseres Behandlungssettings. Dabei geht es weniger darum, nach den Ursachen der Magersucht zu suchen, sondern Eltern Hilfestellung zu geben: Was ist das für eine Erkrankung? Was kann ich jetzt tun? Was ist mein Job als Vater, als Mutter? Wir legen den Eltern nahe, endlich mit den Diskussionen aufzuhören, denn davon wird die Tochter nicht satt. Und sie wird auch nicht einsichtig, nur weil man noch eine Woche abwartet. Wenn es nicht gelingt, die Ernährungssituation zu verbessern, rutscht die Tochter immer mehr in die Erkrankung hinein. Über zehn Jahre haben wir Eltern von mehr als 300 Patientinnen in einem Schulungsprogramm betreut, und die Eltern sind – das zeigen die Rückmeldungen – sehr zufrieden damit. Sie sagen unter ande- 32 rem, das Programm helfe ihnen, sich von Schuldgefühlen zu entlasten. Durch die sachliche Information, die wir in diesen Schulungen vermitteln, gelingt es den Eltern wieder besser zu unterscheiden, was Krankheit ist, was ihre Tochter ist. Und sie erfahren durch die anderen Eltern, dass es anderen genauso oder ähnlich ergeht. Darüber hinaus führen wir – mindestens vierzehntäglich – Beratungsgespräche mit den Eltern. In der späteren Phase, wenn es den Mädchen besser geht, können nach Bedarf auch familientherapeutische Gespräche stattfinden. Wir achten dann auch auf die Probleme der Geschwister, die in der Krankheitsphase oft etwas aus dem Blickfeld der Eltern geraten. In der Interaktion zwischen Eltern und erkrankter Patientin muss es auch darum gehen, wie die Eltern die Tochter eine altersgemäße Autonomie entwickeln lassen. Erfreulich ist, dass die Mortalität bei den behandelten Jugendlichen zu sinken scheint. Während in den 1980er Jahren noch über Mortalitätsraten von 11 % und 6 % berichtet wurde, sind in der letzten Dekade im Rahmen von drei Langzeitstudien keine jugendlichen Patientinnen verstorben. Studie zur Wirksamkeit von stationärer und tagesklinischer Behandlung Zum Abschluss möchte ich kurz über ein BMBFProjekt informieren, an dem wir beteiligt sind. Es handelt sich um ein Teilprojekt im Forschungsverbund von EDNET 1. In einer Multizenter-Studie wird die Wirksamkeit von stationärer und tagesklinischer Behandlung bei Anorexia nervosa im Kindes- und Jugendalter untersucht. Neben unserer Klinik in Aachen sind Kliniken in Köln, Berlin, Würzburg, Mannheim und Freiburg beteiligt, die auf der Grundlage unseres Behandlungskonzepts geschult wurden. Die Fragestellung ist, ob bei Patientinnen mit Anorexia nervosa – nach einer kurzen Stabilisierungsphase in der Klinik – eine tagesklinische Behandlung gleichwertig zur stationären ist und welche Vorteile und Nachteile die jeweiligen THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Behandlungsarten haben. In die Studie werden nur ersterkrankte Patientinnen aufgenommen. Die erste Phase ist für alle Patientinnen gleich: zwei Wochen stationäre Behandlung, in der alle Untersuchungen gemacht werden und der Status der Erkrankung festgehalten wird. Dann wird randomisiert, noch eine Woche weiter stationär behandelt und nach drei Wochen kommt der Wechsel in das jeweils zugeloste Behandlungssetting. Nach der Entlassung wird eine ambulante Weiterbehandlung gesichert. Abbruchkriterien für die teilstationäre Behandlung sind (1) Suizidalität, (2) wenn das Erbrechen sehr häufig ist, das heißt öfter als zweimal täglich stattfindet, (3) wenn es medizinische Komplikationen gibt, (4) wenn im tagesklinischen Setting keine Gewichtszunahme erreicht werden kann. Vielleicht hilft die Studie bei der Verringerung eines leider immer noch sehr großen Problems in der Anorexie-Behandlung – den sehr hohen Rückfallraten. In vielen Fällen gelingt es bislang nicht ausreichend, das im stationären Bereich Gelernte in den Alltag zu übertragen. In dieser Hinsicht könnte die Tagesklinik ein besserer Weg sein. Diskussion In der sich anschließenden Diskussion erläutert Dr. Hagenah, dass es ein wesentlicher Bestandteil der Krankheitsbilder sei, diese „schlecht anneh- men“ zu können und schnell in Autonomiekonflikte zu geraten. Das erschwere auch den Zugang zur professionellen Hilfe. Das Gehirn der betroffenen Mädchen sei unterversorgt und „schreie“ geradezu nach Essen, aber (wie es allgemein bei Angststörungen bekannt ist) das Hinauszögern des Essens lasse die Hürde zur Nahrungsaufnahme immer höher werden. Eltern und Betroffene merkten zwar in der Regel früh, dass etwas nicht stimme. Zugleich hätten die Eltern aber Zweifel, ob sie in die Autonomie ihrer pubertierenden Kinder eingreifen dürften, und sie hegten bis zuletzt die Hoffnung auf die Einsicht der Betroffenen selbst. So könne viel wertvolle Zeit verloren gehen. Bezogen auf den Umgang mit essgestörten Patientinnen und Patienten zeige die Praxis, dass Warnungen vor Langzeitfolgen – wie zum Beispiel Osteoporose – kein Einsichtsverhalten zur Folge habe. Wenn allerdings unmittelbare und direkte Folgen wie Haar- und Zahnausfall oder Hautveränderungen angesprochen würde, löse dies in der Regel eine erhöhte Beratungsoffenheit und Veränderungen im Essverhalten aus. Wenn die Betroffenen wieder an das Essen herangeführt werden könnten, entstünde erst die Voraussetzung, dass sich psychische Prozesse stabilisierten und altersgemäße Fragen und Auseinandersetzungen wieder ihren Platz fänden. 1 „Eating Disorders Diagnostic and Treatment Network“ (EDNET) ist einer von fünf durch das Bildungsministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbünden zur Psychotherapie mit Schwerpunkt Essstörungen. Weitere Informationen unter www.ednet-essstoerungen.de. Hagenah, U.: Stigmatisierung bei Essstörungen und Übergewicht. In: Groß, D., Müller, S., Steinmetzer, J. (Hrsg.) Normal – anders – krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft. Berlin 2008, S. 211-227. Ausgewählte aktuelle Publikationen zur Thematik: Herpertz-Dahlmann B., Hagenah U., Psychotherapie bei Anorexia und Bulimia nervosa. In: Remschmidt H (Hrsg.) Praxis der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Georg Thieme Verlag, Stuttgart. Hagenah, U., Herpertz-Dahlmann, B.: Essstörungen. In: Kiess, W.,Merkenschlager, A., Pfäffle, R., Siekmeyer, W. (Hrsg.) Therapie in der Kinder- und Jugendmedizin. Urban & Fischer. München, Jena. Holtkamp K, Herpertz-Dahlmann B, Vloet T, Hagenah U., Group Psychoeducation for Parents of Adolescents with Eating Disorders: The Aachen Program. Eating Disorders, 2005, 13: 381-390. 33 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Referent/Autor: Prof. Dr. Manfred Fichter Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V./ Klinik Roseneck (Prien) und Universität München Zur stationären Behandlung von Essstörungen Krankheitsverlauf und Mortalität Wir haben Krankheitsverläufe essgestörter Patientinnen mit stationärer Behandlung nach zwei, sechs und zwölf Jahren untersucht und festgestellt, dass – je nach Krankheitsbild – etwa 50 % bis 70 % der Untersuchten nach 12 Jahren „ohne Essstörungsdiagnose“ waren. Das heißt nicht unbedingt, dass sie „gesund“ waren, sondern lediglich, dass die Kriterien für eine Essstörungsdiagnose nach ICD 10 oder DSM-V nicht mehr erfüllt wurden. Die höchste Sterberate (Mortalität) von allen Essstörungen ergab sich bei Anorexia nervosa mit 7,9 %. Bei Bulimia nervosa lag die Sterberate im Vergleich dazu bei 2,5 %. Was die Krankheitsentwicklung anbetrifft, war die Rate der Essstörungsdiagnosen am ungünstigsten bei den Patientinnen, die 12 Jahre zuvor mit einer Magersucht in die Klinik kamen; etwas günstiger war der Verlauf bei einer ursprünglichen Bulimie nervosa oder einer Binge EatingStörung. In einer Übersichtsarbeit von Harris & Barraclough wurden 1998 die Sterblichkeitsraten für verschiedene Störungsbilder psychischer Erkrankungen dargestellt. Während die Sterblichkeitsrate (Mortalität) bei Depression nur etwas erhöht war, lag die von Magersucht am höch- 34 sten von allen dargestellten psychischen Erkrankungen. Bei Bulimia nervosa war die Mortalitätsrate zwar nicht so hoch wie bei Magersucht, aber immer noch weit höher als bei Vergleichserkrankungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung als gravierender eingeschätzt werden, wie etwa Schizophrenie, schwerer Depression oder bipolarer Störung. Stationäre Behandlungsformen Kliniken, die in eigenen Stationen ausschließlich essgestörte Patientinnen und Patienten behandeln – davon gibt es inzwischen eine ganze Reihe – können sehr viel zielgerichteter arbeiten als Kliniken ohne THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN diese Spezialisierung. Als nicht sinnvoll und notwendig hat es sich erwiesen, Gruppen nach Magersuchtund Bulimia-Erkrankten aufzuteilen. Wenn bulimische Patientinnen und Patienten und asketisch Magersüchtige in einer Gruppe zusammen sind, ist die Interaktion viel lebendiger. Diese gezielte Behandlung hat einen weiteren Vorzug: Eine einzelne Magersüchtige oder Bulimikerin kann eine ganze Station „aus den Angeln heben“, wenn das Personal für den Umgang mit diesen Patientinnen nicht geschult ist. Wenn aber 25 Essgestörte auf einer Station von dafür geschultem Personal behandelt werden, geht dies in der Regel sehr gut. In der Klinik Roseneck haben wir allerdings eine Schwerpunktstation für schwer Übergewichtige. Viele Themen sind für diese Patientinnen und Patienten zwar gleich, durch das Übergewicht entstehen aber weitere Probleme, die man besser auf einer eigenen Station angeht. Häufige Begleiterkrankungen von Essstörungen sind Depressionen und Angsterkrankungen. Viele entwickeln dysfunktionale, irrationale Gedanken und negative grundlegende Werthaltungen. Beispielsweise denken sie nicht nur „Es wäre schlimm, wenn ich das Flugzeug verpasse“, sondern sie entwickeln eine grundlegende Überzeugung „Ich verpasse jedes Flugzeug!“, „Ich bin ein Versager!“. Hier gilt es – im Sinne der Kognition – mit einer Verhaltenstherapie in Richtung einer positiveren Lebenseinstellung zu arbeiten. Perspektiven der Versorgung Künftig wird die Transparenz in der Therapie und ihre Ergebnisse sowie Qualitätsmanagement und -sicherung für die stationäre Behandlung bei Essstörungen zunehmende Bedeutung erlangen. Verbände, wie die Deutsche Gesellschaft für Essstörungen und der Bundesfachverband für Essstörungen, werden sich für hohe Qualitätsstandards bei der Behandlung von Essstörungen einsetzen, die natürlich auch für die ambulante Therapie und Beratungsstellen gelten. Derzeit gibt es noch Kliniken, in denen die Patientinnen und Patienten nur sehr wenig oder gar nicht zunehmen. Und es gibt ambu- lante Therapeutinnen/Therapeuten und Beratungsstellen, die nicht auf dem Boden empirisch fundierter Therapie arbeiten. In diesem Zusammenhang werden auch Informationen aus dem Internet und der Austausch in Chat-Rooms weiter an Bedeutung gewinnen. Hinweisen möchte ich noch auf unsere gegenwärtige Studie zur Internet-Rückfallvorbeugung nach stationärer Behandlung von Magersüchtigen im Rahmen des vom BMBF geförderten EDNET-Forschungsverbundes. Wir untersuchen den Effekt dieser Form der Nachsorge in einer kontrollierten, randomisierten Studie. Ein Teil der Probanden erhält die Standard-Behandlung, der andere Teil nimmt nach der Entlassung an einem speziellen Internet-Programm teil. Damit soll die Lücke, die bei sehr vielen Patientinnen und Patienen nach der stationären Behandlung entstehen kann, geschlossen werden. Erste Ergebnisse dazu sind viel versprechend, um die Behandlung über den Klinikaufenthalt hinauszuführen. Diskussion Auf die Frage, nach welchen Kriterien die knapp bemessenen Therapieplätze in der Klinik vergeben werden, berichtet Dr. Fichter, dass die Kostenübernahme für die Therapien immer problematischer werde. Er hält es für bedenklich, dass diese nicht mehr im Vorfeld durch die Kassen sondern stichprobenartig im Nachgang der Therapien geprüft würden. Wenn es dann zu abweichenden Krankheits- und Behandlungseinschätzungen durch die Krankenkassen komme, sei dies für die Therapieeinrichtungen (dies treffe alle, egal ob ambulant, stationär oder Wohngruppen) mit hohen Kostenrisiken verbunden. Unabhängig von der Finanzierungsproblematik werde aber auch die Motivation der Patientinnen und Patienten berücksichtigt: Sie müssten diese in einem Brief darlegen und zum Teil in einem Vorgespräch ausführen. Hinsichtlich der Therapiedauer können sich die Krankenkassen voneinander unterscheiden. Bei einigen privaten Krankenversicherungen gebe es mit einer Dauer von 30 Tagen eine deutliche Unterversicherung, während mit anderen Versicherungen Regelsätze vereinbart werden könnten. Literaturnachweise: Harris EC, Barraclough B. Excess mortality of mental disorders. Br J Psychiatry 1998; 173:11; Fichter MM, Quadflieg N, Hedlund S. Twelve-Year Course and Outcome Predictors of Anorexia Nervosa. Int J Eat Disord 2006; 39(2):87-100; Fairburn CG, Harrison PJ. Eating disorders. Lancet 2003; 361:407-416; Fichter MM, Quadflieg N. Twelve-year course and outcome of bulimia nervosa. Psychol Med 2004; 34:1395-1406; Fichter MM, Quadflieg N, Hedlund S. Long-Term Course of Binge Eating Disorder and Bulimia Nervosa: Relevance for Nosology and Diagnostic Criteria. Int J Eat Disord 2008; 41:577-586. 35 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Referent/Autor: Andreas Schnebel ANAD e.V. Integrierte Gesundheitsversorgung im „Therapienetz Essstörung“ Clearing-Prozess durch multiprofessionelle Teams Das „Therapienetz Essstörung“ wurde 2005 als eine der ersten Initiativen zur Integrierten Gesundheitsversorgung im Essstörungsbereich ins Leben gerufen. Mittlerweile sind darin mehrere große Krankenkassen, namhafte Kliniken, die ANAD-Wohngruppen und ambulante Ärztinnen/Ärzte und Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten zusammengeschlossen. In einem multiprofessionellen Team bieten wir einen sogenannten Clearing-Prozess an, eine individuelle Beratung, Diagnostik und Begleitung für Frauen und Männer mit Essstörungen. Fragen, die zunächst geklärt werden, sind zum Beispiel: Liegt eine Essstörung vor? Und wenn ja: welche Essstörung? Wie schwerwiegend ist die Essstörung? Wie kann den Betroffenen geholfen werden? Inwieweit will sich die/der Betroffene helfen lassen? Sobald die Kostenübernahme geklärt ist, erfolgt eine umfassende Diagnostik der Essstörungs-Symptome und eventuell auftretender Begleiterscheinungen. Ein Team von Fachleuten berät danach, welcher Behandlungsplan für die/den jeweilige/n Patientin/en optimal ist. Das Team organisiert den Therapieplatz und bietet Überbrückungsmöglichkeiten, falls Wartezeiten auf einen Behandlungsplatz entstehen. Für stationäre Aufenthalte gibt es ausgewählte Kooperationskliniken, denen die Patientinnen/Patienten zugewiesen werden. Bei ambulanter Behandlung können die Betroffenen selbst unter den vorgeschla- 36 genen Therapeutinnen und Therapeuten des Netzes auswählen. Auch nach einer Therapiemaßnahme wird die/der Patientin/Patient weiter betreut – im Idealfall so lange bis es ihr/ihm wieder gut geht. Entscheidend ist, dass jede Patientin und jeder Patient im Therapienetz eine feste Ansprechperson hat und zwar über den gesamten Zeitraum. Wichtig ist auch, dass wir flexibel sind und die Patientinnen und Patienten wirklich mit gestalten können, was im normalen Hausarztkontakt nicht immer der Fall ist. In der Regel sind die Patientinnen und Patienten etwa zwei Jahre im Therapienetz. Die Krankenkassen zahlen für diese Leistung eine Pauschale. Therapeutische Wohngruppen Ein neueres Modell, mit dem wir 1992 begonnen haben, sind die therapeutischen Wohngruppen. Unsere Patientinnen und Patienten kommen aus ganz Deutschland und sogar aus Österreich und erleben es oft als sehr angenehm, einmal wirklich wegzukommen aus ihrem Umfeld, das ja nicht selten ein schwieriges ist. Entscheidend ist bei den Wohngruppen die Alltagsnähe. Wir bestehen darauf, dass alle unsere Patientinnen und Patienten in die Schule gehen, eine Ausbildung machen oder ihrem Beruf nachgehen beziehungsweise – wenn die nur vorübergehend in München leben – eine Art von Kursus oder Praktikum machen. Wir sind sehr gut vernetzt und können viele verschiedene Praktikumsstellen bieten, zum Beispiel im Münchener Tierpark, in Werbeagenturen, Anwaltskanzleien oder bei Friseuren. THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Ein wesentlicher Effekt der Wohngruppen ist die Herausbildung von Eigenständigkeit, die ja in der Klinik immer nur begrenzt umsetzbar ist. Man könnte es so formulieren: Die Klinik ist für junge Patientinnen und Patienten so eine Art Grundkurs und die Wohngruppen sind dann der Fortgeschrittenenkurs, in dem ganz neue Dinge und eine neue Selbständigkeit eingeübt werden können. Viele der Patientinnen und Patienten haben ja bislang immer bei den Eltern gewohnt; für sie ist eine solche Wohngruppe eine ganz neue Erfahrung. Nicht zu unterschätzen ist die Unterstützung durch die Peer Group, welche die Patientinnen und Patienten in den Wohngruppen erfahren. Wenn man ein halbes Jahr oder länger mit jemandem zusammenlebt, ist viel Unterstützung möglich und manchmal entstehen auch Freundschaften für später. Wir haben in unseren Wohngruppen eine AlpinTherapie eingeführt. Dabei geht es darum, sich beim Klettern zum Beispiel durch gemeinsames Naturerleben weiter zu entwickeln – unserem Claim entsprechend: „Gemeinsam Schritt für Schritt aus der Essstörung“. Viele Menschen mit Essstörungen sind – salopp gesagt – sehr kopfgesteuert, wissen viel, haben zum Teil auch sehr weitreichende TherapieErfahrungen. Sie tun sich aber schwer, ihren Körper und ihre Gefühle positiv zu erleben. Bewegungs- und Naturerlebnisse können in diesen Fällen sehr hilfreich sein. Die Patientinnen und Patienten erhalten eine intensive Betreuung durch Psychotherapeutinnen/ Psychotherapeuten, Sozialpädaginnen/Sozialpädagogen und Ernährungstherapeutinnen/Ernährungstherapeuten, die in multiprofessionellen Teams zusammenarbeiten. Ähnlich wie in einer Klinik, haben wir immer eine/n Ärztin/Arzt im Hintergrund und die Betreuung ist rund um die Uhr gewährleistet. Auch unsere Therapieangebote entsprechen mit Psychotherapie und sozialpädagogischer Betreuung denen einer guten Klinik. Da viele der Jugendlichen nach dem Aufenthalt in den Wohngruppen wieder nach Hause gehen, beziehen wir auch das familiäre Umfeld mit ein und organisieren zum Beispiel Elterntreffen. Sehr wichtig für die Stabilisierung des Heilungsfortschrittes ist die Unterstützung der Patientinnen und Patienten bei ihren Bemühungen, nach der Therapie auch schulisch oder beruflich weiterzukommen. Im Rahmen der weiteren Nachsorge bieten wir einen Internet-Chat an. Diskussion Auf die Frage, nach welchen Kriterien die Therapieund Wohnheimplätze vergeben würden, betont Dr. Schnebel, dass es auch hier zunächst darum gehe, eine Kostenübernahme zu erreichen. Da unterschiedliche Kostenträger (Krankenkassen, Jugendämter, Sozialhilfeträger) involviert seien, erfordere dies einen hohen Arbeitsaufwand. Erst in zweiter Linie könne man die “richtigen” Kriterien anlegen, nämlich die Krankheitseinsicht und Therapiemotivation der Patientinnen und Patienten. 37 THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Referenten: Prof. Dr. Hans-Christian Deter, Dr. Ernst Pfeiffer Moderation: Dr. Wally Wünsch-Leiteritz Bericht aus der Arbeitsgruppe „Therapie“ Betroffene und Erscheinungsformen von Magersucht Prof. Deter beschreibt in seinem Vortrag „Magersucht nach der Pubertät – Chronifizierungsprozesse und Komplikationen“, dass es neben der Pubertätsmagersucht einen zweiten Gipfel des Beginns einer Magersucht zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr gäbe, der meist mit einem schwierigen therapeutischen Zugang verbunden sei. Dabei betont er, dass es entgegen einer häufig verbreiteten Meinung unter den Erwachsenen einen höheren Prozentsatz betroffener Männer gäbe. Er gehe von einem Verhältnis von etwa 1:10 aus im Gegensatz zu Angaben, die das Verhältnis der Geschlechter bei bis zu 1:30 ansiedelten. Die Erkrankung der betroffenen Männer würde häufiger unerkannt bleiben, da sie nicht richtig diagnostiziert werde. Die Anorexia nervosa sei mit einer Prävalenz von 0,5 % in der Gesamtbevölkerung jedoch die seltenste Essstörungserkrankung – im Gegensatz zu „unkomplizierten“ Essstörungen, die deutlich häufiger vorkämen. Chronifizierung und Komplikationen Hinsichtlich des diagnostischen Vorgehens empfiehlt er eine sorgfältige psychologische, psychiatrische und internistische Eingangsdiagnostik. Er betont, dass Hausärztinnen/Hausärzte für die medizinische Basisversorgung die entscheidenden Ansprechpartner seien und auch sein sollten und empfiehlt entsprechende Weiterbildungen und bessere interdisziplinäre Zusammenarbeit. Er weist auf 38 die Gefahr der Chronifizierung und möglichen Gewöhnung an niedrige Gewichtsbereiche hin, die mit einem sehr reduzierten Leben und der Entwicklung zum Teil sehr schwerwiegender medizinischer Folgeschäden, wie Osteoporose und Niereninsuffizienz verbunden seien. Langzeitkatamnesen würden zeigen, dass Veränderungsprozesse zu jedem noch so fortgeschrittenem Zeitpunkt möglich seien und sich das Befinden von Patientinnen und Patienten mit therapierter Anorexia nervosa im Langzeitverlauf (ohne negative Prognosefaktoren) über die Jahre verbessere. Je schneller und effektiver also in das Krankheitsgeschehen eingewirkt werde, umso positiver seien die Verläufe. Signifikant negative Prognosefaktoren seien ein langer Krankheitsverlauf, ein schwergradiges Untergewicht, ein gleichzeitig bulimischer Typ, psychische Symptome wie Angststörungen, Depressionen und Psychosen und eine schlechte soziale Integration. Auch das Thema „Begleitung zum Tode“ wird in diesem Zusammengang angesprochen: Es müsse transparenter gemacht werden, wo es in Deutschland Behandlungsplätze für sehr schwer chronifizierte erwachsene Patientinnen und Patienten gebe. Behandlung ohne Behandlungsauftrag Wie solle man mit Patientinnen und Patienten umgehen, die keinen Behandlungsauftrag erteilten, wenn ein mangelndes Krankheitsgefühl oft ein Krankheitssymptom ist!? Eine gesetzliche Betreuung könne für Patientinnen und Patienten ohne THERAPIE BEI ESSSTÖRUNGEN Compliance, mit Therapieresistenz und auch als Folge einer Hirnatrophie eine Möglichkeit zur Therapie-Betreuungsabsprache sein. Die Betreuung sollte jedoch wegen krankheitstypischer familiärer Schuldverstrickungen nicht durch die Familie – vor allem die Eltern – wahrgenommen werden. Essstörungen im Kindes- und Jugendalter Im zweiten Referat formuliert Dr. Pfeiffer „Empfehlungen zur abgestuften Behandlung von Essstörungen im Kindes- und Jugendalter“. Er betont, dass in dieser Altersgruppe Essstörungserkrankungen die vierthäufigsten psychiatrischen beziehungsweise psychosomatischen Erkrankungen seien. Dabei seien die oft kritisierten und als Ursache der Erkrankung angeschuldigten Diäten und allgemeinen soziokulturellen Faktoren zwar Auslöser, aber nicht Ursachen der Erkrankungen (von 50 Patientinnen und Patienten hätten nur 23 angegeben, dass das herrschende Schlankheitsideal bei ihnen als Auslöser der Erkrankung eine Rolle gespielt habe). Im Kindes- und Jugendalter müssten die Perzentilenkurven für Mädchen und Jungen zur Gewichtserfassung herangezogen werden. Dr. Pfeiffer empfiehlt, bei einem Gewicht unterhalb der dritten Perzentile keine ambulanten Behandlungsversuche mehr vorzunehmen. Von Seiten der Kinderärztinnen/Kinderärzte werde dieser Gewichtsbereich als deutlich anorektisch angesehen (Hypotrophie), vergleichbar mit einem Body-Maß-Index unter 14/15 bei den Erwachsenen. Empfehlungen Dr. Pfeiffer hält es für falsch, mit den Betroffenen nicht über Essen, Essverhalten und Symptomatik zu sprechen, denn essgestörtes Verhalten dürfe ebenso wie anderes auffälliges Verhalten in den Familien nicht totgeschwiegen werden. Dauernde Streitereien um das Essen, die wiederum zu erhöhten familiären Belastungen führen, seien jedoch zu vermeiden. Falsch sei auch die Behauptung, man könne nur motivierte Patientinnen und Patienten behandeln. Insbesondere Anorexia-nervosa-Patientinnen/ Patienten mit ihrem mangelnden Krankheitsgefühl könnten unmotiviert wirken, obwohl sie sich Hilfsangebote wünschen. Dr. Pfeiffer fordert, den raschen Zugang der Betroffenen zu Therapieangeboten – insbesondere auch ambulanten Angeboten – zu ermöglichen und die Gewichtsnormalisierung als übergeordnetes und gemeinsames Ziel aller Behandlungspfade festzulegen. Dazu bedürfe es einer Verbreiterung der Fachkenntnisse zu Essstörungen bei Kinderärztinnen/ Kinderärzten, Hausärztinnen/Hausärzten et cetera und der Integration dieses Wissens in die Aus- und Weiterbildung der Mediziner. Auch er plädiere für einen stärkeren Austausch zwischen Therapeutinnen/Therapeuten, Ärztinnen/Ärzten und Beratungsstellen: um einander kennen zu lernen, zum Austauschen und zur Vereinheitlichen von Angeboten, aber auch für eine differenzierte gegenseitige Zuweisung von Patientinnen und Patienten, damit auch Betroffene mit komplizierten Krankheitsbildern rasch früh einsetzende, spezifische Hilfen bekommen. Falsch wäre es in diesem Zusammenhang, Parallelbehandlungen abzulehnen, denn gerade bei den Krankheitsbildern mit medizinischen, zahnärztlichen oder anderen Folgen und Komplikationen seien diese häufig notwendig. 39 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Gesundheitsförderung und Prävention von Essstörungen In den wissenschaftlichen Vorträgen zu Beratung und Therapie bei Essstörungen als auch in zahlreichen Praxisbeiträgen wird deutlich, dass beide Versorgungsformen oft zu spät zum Einsatz kommen und damit kostbare Zeit verloren geht. An die Gesundheitsförderung und Prävention richtet sich daher der Anspruch, frühzeitig über Essstörungen zu informieren und somit aufklärend und vorbeugend zu wirken. Der Gesundheitsförderung wird dabei bisweilen das Potential zugeschrieben, Kinder und Jugendliche gegen Diätenwahn und Modebeziehungsweise Schönheitsdiktate immunisieren zu können. Was Gesundheitsförderung und Prävention im Rahmen des Versorgungsnetzes leisten können und welche Unterstützung sie dafür benötigen, wird in den nachfolgenden Beiträgen aus mehreren Blickrichtungen diskutiert. Prof. Iris Pahmeier vom Deutschen Olympischen Sportbund und Prof. Alexander Woll von der Universität Konstanz diskutieren in ihrem gemeinsamen Beitrag das Thema „Sport und Gesundheit“ beziehungsweise „Essstörungen und Sport“. Beide betonen, dass Sport wichtige Sozialerfahrungen ermöglicht und die Entwicklung von Wagnis- und 40 Risikokompetenz befördert. Durch den Aufbau eines stabilen Körperselbstkonzeptes könne sportliche Betätigung auch zu einem positiven Selbstkonzept beitragen. Dass Bewegungsprojekte Selbstwert stärkende Effekte hervorbringen bestätigt auch Margit Hasselmann vom Landesinstitut für Schule in Bremen. Mit dem Schulprojekt „Kribbeln im Bauch“ werden Jugendliche bei ihrem Live-Style angesprochen und über jugendgerechte Tanzangebote Zugangsbarrieren aufgebrochen und Körpererfahrungen ermöglicht. Auf Kooperationen und Netzwerke setzen die BZgA-Aktionen GUT DRAUF für Jugendliche und „Unterwegs nach Tutmirgut“ für Kinder, die von Reinhard Mann, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, und Dr. Werner Müller, transfer e.V. im Rahmen der Arbeitsgruppe „Beratung“ vorgestellt werden. Ihre Beiträge zu den epidemiologischen Grundlagen der gesundheitsfördernden Aktionen und deren Kooperationskonzept sowie die intensive Diskussion innerhalb der Arbeitsgruppe runden das Thema Gesundheitsförderung und Prävention von Essstörungen ab. GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Referenten/Autoren: Prof. Dr. Iris Pahmeier Deutscher Olympischer Sportbund Prof. Dr. Alexander Woll Universität Konstanz, Sprecher der dvs Kommission Gesundheit Prävention von Essstörungen und Gesundheitsförderung durch Sport Bildungs- und Entwicklungspotential des Sports Welche Bildungs- und Entwicklungspotentiale wohnen dem Sport inne, die Kindern, Jugendlichen und auch Erwachsenen zugute kommen, wenn sie sportlich aktiv sind? Hier geht es um mehr als das, was man gemeinhin dem Sport zurechnet, nämlich um mehr als Leistungs- und Fitnesskriterien, die wir speziell vom Hochleistungssport her kennen. Denn Sport ermöglicht vor allem Sozialerfahrungen: Durch Sport lernt man, sich zu integrieren, zu kommunizieren, beisammen zu sein, Anschluss zu finden und Geselligkeit zu erleben. Dieser Bereich spielt vor allen Dingen im Vereins-, aber auch im Schulsport eine zentrale Rolle. Kinder und Jugendliche erfahren auch etwas über Wagnis und Risiko, erleben sich in der Anspannung und deren Bewältigung. Bereits ein kleines Kind fühlt das, wenn es zum Beispiel am Rand eines Beckens steht und plötzlich in dieses hineinspringen soll. Das ist eine Wagniserfahrung. Das Kind steht am Beckenrand und fragt sich: „Traue ich mich oder traue ich mich nicht?“ Wenn es dieses Risiko eingegangen ist, hat es eine positive „Könnenserfahrung“ gemacht. Wir lernen durch Bewegung auch, uns auszudrücken, erfahren etwas über Ästhetik und unser Darstellungsvermögen. Menschen, die Sport treiben präsentieren sich mit ihrem Körper in Bewegung und stellen sich damit dar. Sie nehmen aber auch Eindrücke von außen in ihren Körper auf. Beides, Aus- drücken und Aufnehmen, ruft Emotionalität hervor. Dieses Potential zu nutzen ist zum Beispiel ganz zentral, wenn in der therapeutischen Arbeit mit Essgestörten Bewegungs- und Tanzelemente eingesetzt werden. In den letzten Jahren ist zudem die Erfahrung von Gesundheit und Wohlbefinden im Sport immer mehr ins Blickfeld gerückt. Wir liegen damit auf der Linie der WHO, die einen breiten Begriff von Gesundheit und Wohlbefinden kreiert hat, an den wir uns mit unserer Forschung anlehnen. Bewegungsmangel als zentrales gesundheitliches Problem Körperliche Inaktivität und ein Mangel an regelmäßiger, sportlicher Betätigung werden zunehmend zu einem grundsätzlichen Gesundheitsproblem in unserer heutigen Gesellschaft, berichtete die WHO im Jahr 2002. 60 % bis 85 % aller Menschen – sowohl in Industrienationen als auch in ökonomisch weniger entwickelten Ländern – seien in ihrem Leben inaktiv. Wenn man die Energiebilanz des Körpers in den Blick nimmt, dann ist neben dem Thema Ernährung immer auch die Bewegung mit einzubeziehen. Es geht einerseits um Nahrungszufuhr, auf der anderen Seite um den Verbrauch von Energie über Bewegung. Lange Zeit wurde dieses Thema ausschließlich in Bezug auf Erwachsene diskutiert, zum Beispiel 41 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN beim Thema Übergewicht. Die Zahlen der sogemannten MoMo-Studien1 zeigen jedoch, dass auch Kinder und Jugendliche zunehmend betroffen sind, und inzwischen spricht die WHO von der Epidemie des 21. Jahrhunderts. Das WHO-Ziel bei Kindern und Jugendlichen – eine Stunde körperliche Aktivität an mindestens fünf Tagen der Woche – erreichen bei den 4- bis 5-Jährigen gerade noch zwei Drittel, bei den 14- bis 17-Jährigen sind es gerade mal 30 %, mit deutlichen Unterschieden zwischen Jungen und Mädchen. Aktivität/Inaktivität ist inzwischen also nicht mehr nur ein Thema des mittleren und späteren Erwachsenenalters, sondern auch bei Kindern und Jugendlichen angekommen und eng verbunden mit Gewichtsregulation, Übergewicht und Untergewicht. Verschiedene Studien kommen unisono zu dem Schluss, dass ungefähr 50 % der Kinder und Jugendlichen in Industriestaaten das Ziel von einer Stunde moderater körperlicher Alltagsaktivität nicht erreichen. Die Daten für Deutschland bewegen sich dabei im europäischen Mittelfeld. Diese deutliche Zunahme von Bewegungsmangel bedingt zunehmend Erkrankungen und Beschwerden gerade für das Kinder- und Jugendalter. Noch Anfang der 1990er Jahre konnte Klaus Hurrelmann schreiben: Das Grundschulalter ist die 42 Lebensphase mit den wenigsten gesundheitlichen Problemen. Wenn man heute die epidemiologischen Daten betrachtet, müssen wir feststellen, dass sich viele gesundheitliche Probleme in der Lebensspanne immer weiter nach vorne verlagern. Mit Bewegungsmangel hängen auch viele andere Probleme – beispielsweise im Aufmerksamkeitsbereich – zusammen. Viele ADHS-Kinder sind eigentlich keine, sondern zappeln, weil sie sich nicht genügend bewegen dürfen. Bestätigt werden diese Befunde auch durch die aktuellen Daten aus der KiGGS-Studie: Zirka 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche sind in Deutschland übergewichtig, zirka 800.000 davon adipös. Der Anteil übergewichtiger und adipöser Kinder und Jugendliche steigt von 9 % bei den 3- bis 6-Jährigen nach dem Eintritt in die Schule auf 15 % bei den 6- bis 10-Jährigen bis hin zu 17 % bei den 14- bis 17-Jährigen, wovon 8,5 % adipös sind. 2 Hier ist es wichtig zu sehen, dass sich der Anteil bei den 14- bis 17-Jährigen seit den 1980er, 1990er Jahren fast verdreifacht hat; ein alarmierender Anstieg. Sportliche Aktivität und Körpergewicht Der Problemkreis Körpergewicht hat zwei Facetten: Untergewicht auf der einen Seite, Übergewicht GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN auf der anderen. Was kann sportliche Aktivität in diesem Feld leisten? Die klassische sportmedizinische, sportwissenschaftliche Sicht auf dieses Thema ist: Wie viel Energie verbrauche ich? Welche Zusammenhänge gibt es zwischen körperlicher Aktivität und Fitnessparametern? Diese Sichtweise greift sicher zu kurz, trotzdem stellen wir einige Ergebnisse aus dieser Perspektive vor. Wenn man das Thema ganzheitlich betrachtet und fragt, wie sportliche Aktivität psychosoziale Ressourcen insgesamt stärken kann, geht das weit über die Frage hinaus, inwieweit Körpergewicht durch mehr Aktivität beeinflussbar ist. Auch diese Facetten versuchen wir zu beleuchten. Die MoMo-Studie „Motorik Modul“– eine Unterstudie der KiGGS-Studie – hat sich explizit mit der Frage beschäftigt, welche Zusammenhänge es zwischen körperlicher Aktivität, motorischer Leistungsfähigkeit und gesundheitlichen Parametern – wie beispielsweise dem Gewicht – gibt. Es handelt sich um eine bundesweite Studie, die über drei Jahre hinweg ungefähr 4.500 Probanden im Alter von vier bis 17 Jahren beobachtete. Das Ergebnis für diese Stichprobe: Wir haben fast 8 % untergewichtige und 80 % normalgewichtige Kinder; ungefähr 15 % sind übergewichtig, davon 5,4 % adipös. Zusammenhänge zwischen motorischer Leistungsfähigkeit und der Frage des Übergewichts ergaben sich bei einem einfachen Test: Weitsprung aus dem Stand. Die übergewichtigen Kinder liegen in Bezug auf ihre motorische Leistungsfähigkeit bei den 4- bis 5-Jährigen leicht unterhalb der Normalgewichtigen, bei den 14- bis 17-Jährigen deutlich stärker. Wir haben also bei den kleinen Kindern noch geringe Unterschiede in der motorischen Leistungsfähigkeit, aber mit zunehmendem Alter geht die Schere immer weiter auseinander. Dieser Befund deckt sich mit denen anderer motorischer Tests. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen dem Body-Maß-Index – als Maßzahl für das Körpergewicht – und den Ergebnissen der verschiedenen Motoriktests. Wir finden einen solchen Zusammenhang jedoch nicht bei feinmotorischen Übungen wie beispielsweise Linien nachfahren und Stifte einstecken. Wir können einen negativen Zusammenhang zwischen dem Übergewicht und der motorischen Leistungsfähigkeit nur da nachwei- sen, wo das Körpergewicht als limitierender Faktor ins Spiel kommt: bei Fitnesstests, bei denen das Körpergewicht bewegt werden muss, bei Ausdauerleistungen et cetera. Bei Kindern, die sich eine Stunde pro Tag moderat bewegen (AktivitätsGuideline), kann man feststellen, dass sich die Untergewichtigen und die Normalgewichtigen hinsichtlich ihres Aktivitätsgrades nicht unterscheiden, bei den Übergewichtigen dieser Grad aber erwartungsgemäß signifikant geringer ist. Der Aspekt, Sport zu treiben, um das Gewicht kontrollieren zu können spielt für Übergewichtige eine ganz zentrale Rolle. Gerade Kinder und Jugendliche mit hohem Körpergewicht versuchen, über ihr Aktivitätsverhalten Kontrolle über den Körper zu bekommen und Einfluss auf ihr Gewicht zu nehmen. Bei den Untergewichtigen spielt das interessanterweise keine so bedeutsame Rolle – zumindest bei den Angaben, die hier gemacht wurden. Körperliche Aktivität und psychosoziale Ressourcen Was wissen wir über den Zusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und psychosozialen Ressourcen? Wie können Sport und Bewegung psychosoziale Ressourcen bei Kindern und Jugendlichen aufbauen? Eine zentrale psychosoziale Gesundheitsressource ist das Selbst- und Körperkonzept. Vor allem junge Mädchen und Frauen mit Ess- und Ernährungsstörungen haben oft Selbstwertprobleme. Die Forschung sieht einen positiven Zusammenhang zwischen den Parametern Selbst- und Körperkonzept und der Ausübung von Sport. Das Selbst- und Körperkonzept sind Kognitionen, die der Mensch im Laufe seines Lebens aufbaut. Es besteht aus vier Unter-Selbstkonzepten: dem akademischen Selbstkonzept, dem sozialen Selbstkonzept, dem emotionalen Selbstkonzept und dem Körperselbstkonzept. Das Körperselbstkonzept wiederum ist relativ komplex. Es ist nicht angeboren, sondern ebenfalls ein sozialisiertes Faktum. Wir sind also darauf angewiesen, positive Körper- und Bewegungserfahrungen zu machen, um dieses Körperselbstkonzept positiv auszuprägen. Wenn ein Kind durch sportliche Aktivität und Bewegung die Erfahrung macht, dass es etwas kann und gut kann, es sich mit dem, was es tut in seinem Körper gut fühlt, dann ist es wahrscheinlich, dass es ein sportspezifisch posi- 43 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN tion beeinflussen. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass körperliche Aktivität über ihre positiven Auswirkungen auf Selbstwirksamkeit und -regulation sowie auf das allgemeine Selbstkonzept einen gesundheitsförderlichen Effekt auch im Hinblick auf Essstörungen hat. Diskussion tives Körperselbstkonzept entwickelt. Das wiederum fließt ein in ein übergreifendes positives Körperselbstkonzept und damit auch in einen positiven Selbstwert. Es ist relativ gut dokumentiert, dass sportliche Aktivität einen großen Beitrag zum Selbstwert leisten kann – und zwar vom Kindergarten oder von der „Baucherfahrung“ an – ich sage das vorsichtig: von der Fötuserfahrung an. Wir wissen, dass Sport und Bewegung die Selbstwirksamkeit verbessern (Ich kann!), das sportspezifische Können, die Kompetenz und das Vertrauen stärken, den Selbstwert stärken (Ich bin gut!), die körperbezogene Selbstregulationskompetenz fördern, das Körpergefühl und das Körperbewusstsein positiv beeinflussen, die Kontrolle über Bewegung und Körper stärken, das Wohlbefinden verbessern, die Stimmung verbessern und damit die psychi schen Ressourcen entwickeln und stabilisieren. Wir können also nachweislich durch Sport und Bewegung im Kindes- und Jugendalter die Gesundheitsressourcen – vor allem die psychosozialen – positiv und im Sinne gesundheitsbezogener Präven- In der Diskussion wird darauf aufmerksam gemacht, dass Bewegung und Sport Kindern und Jugendlichen wichtige Anreize und Impulse böten. Da Kinder und Jugendliche noch sehr empfänglich für Autorität, Ehrgeiz und Leistungsorientierung seien, müsse jedoch auch die mögliche Kehrseite beachtet werden. Im Skisport, bei rhythmischer Gymnastik oder Eiskunstlauf im Hochleistungssport begünstige beispielsweise ein niedrigeres Gewicht hohe sportliche Leistungen. Dies führe zu spezifischen Gefährdungen, besonders wenn problematische Vorbilder für eine einseitige Leistungsorientierung stünden. Der Diskussionsbeitrag erhält viel Zustimmung. Es wird festgehalten, dass man die problematischen Aspekte des Sports – besonders des Hochleistungssports – offensiv aufgreifen und angehen müsse. Prof. Dr. Iris Pahmeier berichtet, dass in den Sportverbänden ein Umdenken festzustellen sei. So gebe es Trainerschulungen, Beratungen und Informationsmaterial zu diesem Problemkomplex. Zwar müsse noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, bis das Wissen zur Basis vordringe, aber der Prozess habe eingesetzt. In weiteren Beiträgen wird darauf hingewiesen, dass die Multiplikatoren im Sportbereich entsprechend geschult sein müssen, um Fragen der Ernährung, Bewegung und Stressregulation sowie die psychosozialen Bedürfnissen von Jugendlichen handlungslungssicher aufzunehmen und gegebenenfalls an professionelle Beratungs- und Hilfssysteme verweisen zu können. 1 Homepage: www.motorik-modul.de Endbericht Motorik-Modul: Eine Studie zur motorischen Leistungsfähigkeit und körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, Forschung, Forschungsreihe Band 5, Nomos Verlag: Baden-Baden 2009. 2 vgl. Kurtz & Schaffrath Rosario, 2007, S. 7. 44 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Referentin/Autorin: Margrit Hasselmann Landesinstitut für Schule in Bremen „Kribbeln im Bauch“ – ein präventives Tanzprojekt Gesundheitsförderung – „Was hat das mit mir zu tun?“ Die Prävention von Sucht und Essstörungen war und ist – ebenso wie Gesundheitsförderung – ein Bereich, über den wir Fachkräfte sagen, dieser sei nötig und fördernswert. Zugleich ist es ein Aspekt, welcher die Jugendlichen selbst überhaupt nicht interessiert. Bei Projektangeboten zu Essstörungen an Schulen waren es immer nur relativ kleine Gruppen von Jugendlichen, die kamen und interessiert waren. Das waren die Jugendlichen, welche betroffene Freundinnen und Freunde hatten. Für diese war das Angebot zwar auch richtig, aber die Betroffenen selbst kamen nicht und auch nicht diejenigen, die als besonders gefährdet gelten. Die Jugendlichen sagen vielmehr: „Gesundheitsförderung, was hat das mit mir zu tun? Essstörungen – das betrifft diejenigen, über die in Zeitungen geschrieben wird, das hat auch nichts mit mir zu tun. Diäten – machen wir doch alle.“ Krank – das sind in dieser Wahrnehmung die Anderen. Im Rahmen einer Untersuchung wurden Bremer Achtklässlerinnen/Achtklässler analog der KiGGSStudie zu ihrem Gesundheitsbefinden befragt. Das Ergebnis war dem der bundesweiten Studie des Robert Koch-Instituts sehr ähnlich. Die Achtklässlerinnen/Achtklässler waren der Meinung, sie seien sehr gesund, und genau so sahen das auch deren Eltern. Weniger als 5 % der Achtklässlerinnen/Achtklässler gaben an, sie hätten irgendwelche Probleme mit ihrer Gesundheit. Wie sollen wir bei solchen Selbsteinschätzungen den Kindern und Jugendlichen Gesundheitsförderung nahe bringen? Das Thema Körper interessiert Es ist dennoch wichtig, die Jugendlichen anzusprechen – auch in der schwierigen Abwehrhaltung, die ich beschrieben habe. Wir wissen, wie wichtig in dieser Entwicklungsphase alles ist, was mit dem Körper in Zusammenhang steht. Dies ist die Zeit der Pubertät mit Disco-Besuchen, ersten Annäherungen an das andere Geschlecht, ersten sexuellen Erfahrungen. Die Jugendlichen gehen miteinander ins Bett und dann berichten die Mädchen: „Ich weiß eigentlich gar nicht mehr, wie es war, ich habe nur darauf geachtet, wie ich meinen Bauch gehalten habe, damit er nicht denkt, dass ich zu dick bin.“ Das Thema Körper interessiert also, aber nicht mit dem Etikett Gesundheitsförderung. Wir müssen das Thema „sexy“ machen. Am Lifestyle der Jugendlichen ansetzen Deshalb haben wir das Projekt „Kribbeln im Bauch“ entwickelt. Wir wollen die Jugendlichen mit diesem Projekt ermutigen, einen besseren Zugang zu den eigenen Gefühlen zu finden und Handlungsalternativen bei Gefühlslagen kennen zu lernen und einzuüben. Die Jugendlichen sollen ihre Ausdauer trainieren und ihre Frustrationstoleranz erhöhen, die Arbeit an sich selbst intensivieren und sich mehr zutrauen. Wir wollen gleichzeitig ihr Wissen über 45 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN die Entstehung von Sucht und Gewaltbereitschaft erweitern, handlungsbezogen auf die eigene Person und auf andere und wir wollen sie ermutigen, verstärkt Eigenverantwortung zu übernehmen. Wie erreicht man das? Man muss unkonventionell an die Jugendlichen herangehen und nicht „brav und bieder“. Wir setzen mit „Kribbeln im Bauch“ am tatsächlichen Lifestyle der Jugendlichen an – bei HipHop und Krumping 1 – und holen sie da ab, wo sie mit ihren Gedanken und Gefühlen beheimatet sind. Wir haben dieses Projekt für die Jugendlichen entwickelt, die es „am nötigsten“ haben: Hauptschülerinnen und Hauptschüler aus Gebieten in Bremen mit sehr niedrigem sozialem Index. Wir wollten mit unserem Pilotprojekt genau an die Zielgruppen herankommen, von denen immer gesagt wird, man könne sie nicht erreichen. Eine gemeinsame Haltung finden Wenn wir mit diesen Jugendlichen arbeiten – so unser Ausgangspunkt – dann müssen wir eine gemeinsame Haltung entwickeln und eine spezifische Methodik finden. Wir haben Erkenntnisse aus der Resilienz-, Bindungs- und neurobiologischen Forschung berücksichtigt und die Grundgedanken der Salutogenese haben uns beeinflusst. Wichtig war uns auch, dass Essstörungen nicht dauernd thematisiert werden. Wir arbeiten primär am Körpergefühl und streifen das Thema explizit eher selten. „Es ist zwar immer Essstörung drin, aber es steht nicht drauf“, sagen wir uns. Und wir müssen mit Peers arbeiten! Das Projekt darf nicht nur von Erwachsenen getragen werden, sondern es müssen auch Jugendliche dabei sein, die selbst bestimmte Erfahrungen gemacht haben und näher an der Zielgruppe dran sind. Das Team muss aus jungen, gut geschulten Fachkräften bestehen, die sich eng am Bedarf der Jugendlichen orientieren und mit dem „was aus der Gruppe kommt“ arbeiten können. Wir Teamer leben alle eine systemische, wertschätzende, ressourcenorientierte Haltung vor, die die Beziehung in den Mittelpunkt stellt. Zur Identifizierung eventueller Auffälligkeiten müssen die Teamer sowohl persönlich als auch fachlich in der Lage sein vertiefende Einzelgespräche zu führen. Dabei wird sensibel ausgelotet, was zu tun und welche professionelle, weiterführende Hilfe die richtige ist, und es wird versucht, Hemmschwellen zur In- 46 anspruchnahme von Beratung abzubauen. Nach einer ersten Pilotphase mit sechs Klassen stand fest, welche weiteren Projektelemente für den Erfolg beizubehalten waren. Dazu gehörte, dass die Projektwoche grundsätzlich außerhalb der Schulen stattfinden muss und dass immer eine halbe Gruppe tanzt, während mit der anderen Gruppe präventiv gearbeitet wird. Mit einer Projektwoche Nachhaltigkeit realisieren Herzstück von „Kribbeln im Bauch“ ist die Projektwoche mit den Jugendlichen. Musik, Rhythmus, hämmernde Beats, Schweiß, Gefühle, Frust und Lust bestimmen diese Woche, in der die Jugendlichen in Kontakt mit ihrem Körper, ihren Gefühlen, ihrer Kreativität sowie ihren Potentialen und Schwächen gebracht werden. Was im Schulalltag oft so schwer fällt kann beim Tanzen erreicht werden. Das Beherrschen des eigenen Körpers oder einer Abfolge von Tanzschritten erfordert Selbstdisziplin und Durchhaltevermögen. Außerdem trainiert es die Konzentrationsfähigkeit. Und: Tanzen in einer Gruppe heißt immer auch miteinander zu tanzen. Dabei geht nicht darum, wer der/die Beste, Coolste ist; es geht darum gemeinsam etwas zu erreichen, im Team. Das Projekt sollte nachhaltig sein und im Schulalltag verankert werden. Wir führen daher jeweils eine zweitägige Intensiv-Lehrerfortbildung durch, bei der die Lehrkräfte vor allem auch selbst tanzen und ins Erleben kommen sollen. In Bremen wurde das Projekt nur an Schulen durchgeführt, an denen die Lehrenden bereit waren, an dem zweitägigen Workshop teilzunehmen. Auch während der Projektwoche sind sie nicht „die Lehrerinnen/Lehrer“, sondern tanzend mit dabei. Im Nachgang gibt es weitergehende Angebote wie Einzelberatung oder Klassen-Coachings für die Schulen. Kooperation macht’s möglich Wir haben bei diesem Projekt versucht, verschiedene Akteure vor Ort zusammenzubringen. Die AOK hat sich am Pilotprojekt mit 24.000 Euro beteiligt, ohne die es nicht hätte realisiert werden können. Für die praktische Umsetzung und theoretische Basierung haben wir unter anderem die School of Performing Arts und den Bremer Tanzclub GrünGold, die Weltmeister in Lateinformation, gewinnen können. GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Die Kosten liegen bei 2.900 Euro pro Projektwoche. Die Evaluationsergebnisse 2 haben gezeigt, dass sich diese Investition lohnt. Effekte hinter dem Rücken der Betroffenen? Vor zwei Jahren lief der erste Durchgang des Pilotprojektes, zurzeit läuft der dritte. Sechs Monate nach dem Projekt sagten noch 67 Schülerinnen und Schüler, dass Musik und Bewegung ihnen hilft, mit ihren Gefühlen besser umzugehen, und dass das Projekt „Kribbeln im Bauch“ ihnen Musik und Bewegung näher gebracht hat. Um es noch einmal zu verdeutlichen: Die Verschränkung von Bewegung und theoretischer Arbeit ist wichtig; es ist nicht nur Tanz, sondern genauso die Arbeit daran. Insgesamt haben mehr als zwei Drittel durch das Projekt ein besseres Körpergefühl gewonnen. 64 Schülerinnen und Schüler haben das Gefühl, selbstbewusster geworden zu sein. Das sind immerhin zwei Drittel – und das sechs Monate später. Zurzeit läuft eine wissenschaftliche Erhebung zu den Ergebnissen nach zwei Jahren. Wieder sagen viele: „Och, eigentlich ist mit mir ja gar nichts passiert, aber das war schön.“ Wenn dann aber nachgefragt wird, ob das Umfeld Veränderungen bemerkt habe, dann heißt es: „Ja, klar, meine Eltern haben gesagt, seit diesem Projekt bin ich ganz anders, es gibt diese schlimmen Auseinandersetzungen zu Hause gar nicht mehr.“ Oder sie berichten, dass Freunde Veränderungen bemerkt hätten. Die Jugendlichen selbst haben das Gefühl, ihre Entwicklung sei „normal˝ und bruchlos weitergegangen, aber von außen gibt es ganz eindeutig die Rückmeldung, dass in dieser Woche unheimlich viel passiert ist. Diskussion Ein Lehrer aus dem Publikum äußert sich dahingehend, dass in Schulen an der Basis immer mehr abgebaut würde, während der Event- und Projektbereich zunähme. Durch die Schuljahrsverkürzung in Gymnasien hätten die Jugendlichen täglich bis 16:00 Uhr Unterricht und es bleibe keine Zeit mehr für Sport sowie musische und kreative Aktivitäten; Schule würde mit diesem eingeschränkten Bildungsbegriff immer „verkopfter“. Deshalb müsse seiner Einschätzung nach in den Schulen selbst eine Strukturveränderung im Hinblick auf Prävention und Gesundheitsförderung stattfinden. Dieser Beitrag findet im Auditorium viel Zuspruch und wird im weiteren Diskussionsverlauf präzisiert. Statt Projekt an Projekt zu reihen, sollten zukunftsweisende und erfolgreiche Ansätze in die Strukturen aufgenommen werden. 1 Krumping 2 ist ein aus dem Afroamerikanischen stammender, aggressiver Tanzstil mit Freestyle-Tanzbewegungen. Die Evaluationsergebnisse können beim Landesinstitut Bremen angefordert werden (http://www.lis.bremen.de/). 47 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Referenten: Reinhard Mann, Dr. Werner Müller Moderation/Bericht: Dagmar Grundmann-Isanovic Bericht aus der Arbeitsgruppe „Prävention und Gesundheitsförderung“ Risiko- und Schutzfaktoren Herr Mann erläutert, dass Risiko- und Schutzfaktoren eine entscheidende Rolle dabei spielten, wie stabil Heranwachsende sich auf den Weg machen könnten und für ihre Entwicklungsaufgaben gewappnet seien. Als Risikofaktoren auf dem Weg zu essgestörtem Verhalten würden weibliches Geschlecht, Alter zwischen 13 und 15, depressive Störungen, Übergewicht, erlebte sexuelle Übergriffe sowie Selbstwertproblematik und familiäre Konflikte gelten. Bezüglich der Schutzfaktoren sei nach individuellen, familiären und soziokulturellen Faktoren zu differenzieren. Zu den individuellen Faktoren zählten genetische Prädispositionen für Schlankheit, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstwertgefühl, souveränes Rollenverhalten und gute Copingstrategien im Umgang mit Stressoren, Medienkompetenz und eigene Wertvorstellungen gegen ein mediales Schlankheitsideal. Familiäre Faktoren, die schützend in Bezug auf essgestörtes Verhalten gewichtet würden, seien eine diätfreie Atmosphäre, enge, aber offene Beziehungen zu Familienmitgliedern und ein hohes Maß an Kommunikation innerhalb der Familie. Schutzfaktoren mit soziokulturellem Hintergrund stellten die Akzeptanz unterschiedlicher Körperformen dar, enge Beziehung zu Freunden und Freude an sportlicher Betätigung sowie die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit mit geringer Assimilation zu westlichen Schönheitsidealen. 48 Präventionsangebote der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Auf der Basis epidemiologischer Erkenntnisse und dem Wissen um Risiko- und Schutzfaktoren entwickle die BZgA ihr Informationsangebot und Maßnahmen für unterschiedliche Zielgruppen. Broschüren im Handlungsschwerpunkt würden für Multiplikatoren, Eltern und Angehörige sowie Betroffene entwickelt und könnten unter www.bzga.de abgerufen werden. Über das Internetangebot www.bzga-essstoerungen.de und die Telefonberatung bemühe sich die BZgA um einen niedrigschwelligen Zugang zu Informationen und Beratungsangeboten. Mit ihren Präventionsprojekten verfolge die BZgA einen übergreifenden Gesundheitsförderungsansatz, der die Themen Ernährung, Bewegung und Stressregulation beziehungsweise psychische Gesundheit systematisch miteinander verbinde. Die Arbeit in den Settings erfolge über einen Multiplikatoren-Ansatz: Fachkräfte aus den relevanten Tätigkeitsfeldern würden fortgebildet und dauerhaft qualifiziert und jugendrelevante Einrichtungen und Institutionen nach Qualitätsstandards zertifiziert. Hohe Fachlichkeit und Nachhaltigkeit durch kontinuierliche Evaluation trügen ebenso zum Erfolg bei wie die Vernetzung in Regionen und ein regelmäßiges Update mit aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen. GUT DRAUF und „Unterwegs nach Tutmirgut“ Für die Zielgruppe der 12- bis 18-Jährigen stellt Herr Mann die BZgA-Jugendaktion „GUT DRAUF – GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN bewegen, entspannen, essen – aber wie?“ vor, die sich bereits in mehreren Regionen und Bundesländern etabliert habe und in zahlreichen Handlungsfeldern (Schule, Jugendarbeit, Sport, Jugendreisen et cetera) um strukturell gesundheitsförderliche Veränderungen bemüht sei. Für die Zielgruppe der 6- bis 11-Jährigen habe die BZgA in den letzten Jahren die Aktion „Unterwegs nach Tutmirgut“ ergänzend entwickelt, die sich zwischenzeitlich als Bestandteil von GUT DRAUF verstehe. Primäre Ansprechpartner seien Lehrkräfte, Erziehungsfachkräfte und Eltern, die in den Themen Ernährung, Bewegung, Stressregulation, Erste Hilfe, Gefühle sowie Lärm und Geräusche sensibilisiert und qualifiziert würden. Allgemeine Medien und Maßnahmen der BZgA im Bereich Kinder- und Jugendgesundheit, sowie spezifische zum Thema Essstörungen ergänzten die beiden Aktionen. GUT DRAUF – inhaltlich/konzeptionelle Basis Die Jugendaktion GUT DRAUF strebe gesundheitsförderliche Veränderungen auf der Verhaltensebene in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Stressbewältigungsstrategien von Kindern und Jugendlichen an, ergänzt Dr. Müller und wolle auf der Verhältnisebene gesundheitsförderliche Settings, Rahmenbedingungen und Strukturen schaffen. Der integrierte Ansatz zur Gesundheitsförderung bei GUT DRAUF basiere auf dem erwiesenen Wechselspiel zwischen Bewegung, Ernährung und Stress und fuße auf der WHODefinition von Gesundheit und Gesundheitsförderung und dem salutogenetischen Ansatz. und 16 Jahren dabei zu unterstützen, sich in und mit ihrem Körper wohler zu fühlen. Mädchen und Jungen sollten ein Gefühl für ihre eigenen Fähigkeiten und Talente entwickeln, ein positives Körpergefühl aufbauen und so in ihrem Selbstwert gestärkt werden. Das Projekt verstehe sich als Beitrag zur Prävention von Essstörungen, wie Anorexie, Bulimie und Binge-Eating-Disorder. Sowohl methodisch als auch inhaltlich seien viele Parallelen zwischen GUT DRAUF und BodyTalk identifiziert worden, sodass eine Kooperation zielführend erschien und die BodyTalk-Ausbildung zukünftig in das Qualifizierungskonzept von GUT DRAUF integriert werde. Die Auseinandersetzung mit Schönheit, Figur und Gewicht bei BodyTalk, die starke Berücksichtigung der emotionalen Seite des Essens und die Konzentration auf Körpererleben und Selbstakzeptanz würden die Jugendaktion GUT DRAUF weiter bereichern. Mit dem Unternehmen Dove, das als privater Partner 50 % der Kosten trage, sei das Jahresziel festgelegt worden, mit BodyTalk 15.000 Jugendliche zu erreichen. Auch wenn damit nur eine begrenzte Kooperation mit dem Projekt BodyTalk Die Jugendaktion verstehe sich als Prozessberatung und -begleitung für Institutionen und Einrichtungen, die mit Jugendlichen gesundheitsförderlich arbeiten wollen. Im Zuge dieser Entwicklung sei auch die Zusammenarbeit mit dem Präventionsprojekt BodyTalk entstanden, das vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen und der „Aktion für mehr Selbstwertgefühl“ der Kosmetikfirma Dove initiiert worden sei. Ziel des Projektes sei es, Jugendliche zwischen 12 Anzahl Jugendlicher unmittelbar angesprochen werde, entstünde durch die Multiplikatorenarbeit eine Breitenwirkung, da die geschulten Fachkräfte diesen Weg in der Regel auch nach Abschluss des Projektes weiter verfolgten. Eine Flächendeckung – für die prinzipiell Konzepte vorlägen – könne aufgrund der begrenzten Finanzmitteln nicht erzielt werden. 49 GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN Kooperationen mit regionalen Projekten und Einrichtungen Im Rahmen der anschließenden Diskussion wurde nach den Chancen für Kooperationen mit anderen bereits bestehenden Projekten gefragt. Herr Mann plädiert dafür, bei der Jugendaktion GUT DRAUF vor Ort bereits laufende Maßnahmen einzubeziehen. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass bestimmte Rahmenbedingungen erfüllt würden, dass Strukturen aufgebaut und der ganzheitliche Ansatz von GUT DRAUF qualitätsgerecht umgesetzt würde. Ein neuer Start sei in einer Region immer dann möglich, wenn die Handlungsfelder Schule, Jugendeinrichtungen und Bewegungspartner gemeinsam gewonnen werden könnten und eine regionale Steuerungsgruppe die inhaltliche, organisatorische und finanzielle Begleitung übernähme. 1 Plädoyer für die Zielgruppe der Jugendlichen Einige Teilnehmende halten es für erforderlich, dass die Prävention von Essstörungen sehr früh ansetzen und schon in der frühen Kindheit beginnen müsse. Auch wenn die Referentinnen und Referenten dieser Einschätzung grundsätzlich zustimmen, setzt sich Herr Mann vehement für die Fokussierung auf die Zielgruppe der Jugendlichen ein, da Recherchen ergeben hätten, dass für Jugendliche nur unzureichend Angebote vorgehalten würden. Kinder seien in der Regel noch sehr begeisterungsfähig, während bei Jugendlichen mehr Widerstände vorhanden seien; sie seien somit schwieriger zu erreichen, unbequemer und würden deshalb auch weniger berücksichtigt. Hinzu komme, dass die Phase der Pubertät entwicklungspsychologisch von sehr hoher Bedeutung sei. In dieser Zeit würden im Gehirn alle Synapsen noch einmal neu verknüpft. Zuvor Erlerntes würde dabei in einen anderen kognitiven Zusammenhang gestellt und Verhaltensweisen, die bis zum Erwachsenenalter überdauerten, neu herausgebildet. Darin läge eine große Chance, die bei der Jugendaktion GUT DRAUF genutzt würde. Neue Wege zur Gesundheitsförderung und Prävention in Schulen Viele Diskussionsbeiträge weisen darauf hin, dass in Schulen zunehmend eine starke Zurückhaltung und regelrechte Projektmüdigkeit anzutreffen sei und die personellen Ressourcen knapp seien, was ein 50 Engagement in den Schulen für Prävention und Gesundheitsförderung schwierig mache. Im Zuge der Schulzeitverkürzung an Gymnasien stünden darüber hinaus immer weniger zeitliche Freiräume zur Verfügung, und Gesundheitsförderung würde in Randzeiten abgedrängt. Dr. Müller bestätigt diese Erfahrungen. Im Rahmen von GUT DRAUF werde daher inzwischen eine veränderte Strategie angewandt, die als eine Mischung von „TopDown“ und „BottomUp“ charakterisiert werden könne: Über die Schulaufsichtsbehörden würden Lehrkräfte und Fachkräfte aus der Schulsozialarbeit verpflichtet, an den Einführungsveranstaltungen von GUT DRAUF teilzunehmen. Dort würden Angebote vorgestellt, die für Lehrkräfte einen unmittelbaren Nutzen erkennbar machten und ihnen die Arbeit erleichterten. Den Schulen werde in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass sie die Teilnahme am GUT DRAUF-Projekt auch als Imagezuwachs nutzen könnten. Wenn auf diese Weise Unterstutzung durch die Entscheidungsträger und die Lehrkräfte zusammenkomme, entstehe eine gute Grundlage für nachhaltige Projektumsetzungen und Strukturveränderungen. Auch die inzwischen beginnende Öffnung von Schulen nach außen könne für die Aufnahme von Gesundheitsförderung in Schulen gut genutzt werden: Durch den Ausbau zu Ganztagsschulen müssten dort vielfach auch Verpflegung, Freizeitangebote und Feriengestaltung aufgenommen werden. Dabei seien Lehrkräfte stärker auf externe Fachkräfte und deren Know-how angewiesen, was die Kooperation beschleunigen und verbessern könne. Einzelprojekte versus Strukturaufbau Ausführlich wird in der Arbeitsgruppe die Kontroverse Einzelprojekte versus Strukturaufbau diskutiert. Herr Mann erläutert dazu, dass für eine nachhaltige Gesundheitsförderung der ganzheitliche Ansatz von Ernährung, Bewegung und Stressregulation sowie tragfähige Strukturen Voraussetzung seien. Ausschließlich Einzelprojekte, wie sie früher gefördert wurden, zeigten nicht die gleiche Durchschlagkraft wie Projekte, die in einem nachhaltig angelegten Zusammenhang stünden. Man habe in jahrelanger Erprobung einen Zertifizierungsprozess und ein standardisiertes Verfahren entwickelt, das sich schließlich zu einem großen Programm entwikkelt habe. Die Geldmittel, die in dieses Programm GESUNDHEITSFÖRDERUNG UND PRÄVENTION VON ESSSTÖRUNGEN fließen entsprächen denen, die zuvor in zahlreiche Einzelprojekte geflossen seien; die Wirkung des umfassenden Programms sei jedoch größer. Einer Kooperation mit Einzelprojekten unter dem Dach von GUT DRAUF stehe prinzipiell nichts entgegen, wenn die Kriterien übereinstimmten und eine regionale Bedarfsabstimmung deutlich werden lasse, dass Synergien möglich seien. Bezüglich einer nachhaltigen Strukturförderung gibt Frau Borse positive Erfahrungen mit dem Projekt BodyTalk weiter. Um in die Breite zu gehen, habe man nicht einzelne Lehrkräfte angesprochen, 1 Die sondern zunächst die politische Entscheidungsebene, dann die Administration, im Anschluss die Leitungsebenen in den Schulen, dann die Lehrund Fachkräfte und von hier aus die Jugendlichen selbst und manchmal auch die Eltern. Auf diese Weise würden Gesundheitsförderung und Prävention aufgewertet und aus den Randzeiten herausgeholt. Deshalb betont Frau Borse mit Nachdruck, dass sich Gesundheitsförderung nur über Strukturaufbau effektiv umsetzen lasse. Allerdings könnten Einzelprojekte nach wie vor ihre Bedeutung behalten, wenn sie in dieser Strukturlandschaft aufgingen. idealtypischen Schritte des GUT DRAUF-Prozesses können detailliert unter www.gutdrauf.net eingesehen werden. 51 KOMMUNIKATION UND MEDIEN Referentin/Autorin: Daniela Kühne, Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V. Die Rolle des Internets in der Kommunikation rund um das Thema „Essstörungen“ Essstörungen im Web 2.0 „Das Internet spielt bei der Kommunikation unter und mit Essgestörten eine zunehmend wichtige Rolle“ berichtet Frau Kühne in ihrem Beitrag zur Einleitung der Podiumsdiskussion „Kommunikation & Medien“. Tag und Nacht sei es erreichbar. 24 Stunden täglich sei die Kommunikation über das Netz und damit der interaktive Austausch möglich; sowohl unter Gleichgesinnten als auch mit Expertinnen und Experten. Es gewährleiste Anonymität bei gleichzeitig niedrigschwelliger Hilfe. Vernetzung und maximale Synergieeffekte kombinierten sich mit kostengünstiger Aufklärung und Kommunikation. Aber Beratungsstellen, Selbsthilfegruppen und Gesundheitsbehörden seien nicht allein im Netz. Internetforen, wie etwa Pro-Ana sorgten für ein gefährliches Spiel mit der tödlichen Krankheit. Es lohne sich also ein intensiver Blick auf die Kommunikation im Social Web (Web 2.0) zum Thema Essstörungen, um herauszufinden, wie dieses künftig noch besser in die Kommunikation mit Betroffenen und Angehörigen eingebunden werden könne. Zielgruppen Mittels Zielgruppenanalyse im Rahmen einer Studie 2 von ANAD e.V. im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) seien 7 Zielgruppen identifiziert worden, die in drei „Klassen“ eingeteilt werden könnten. Zu den „Expertinnen/Experten“ rechne die Studie Therapeutinnen/Therapeuten 52 und Geheilte. Sie stellten die „Opinion Leader“ in den Communities dar, die sich intensiv mit dem Thema Essstörungen beschäftigen. Größtenteils seien es jene, die die Krankheit erfolgreich bekämpft hätten und nun anderen Betroffenen helfen und Mut machen wollten. Ebenso gebe es Therapeutinnen und Therapeuten, die den Betroffenen mit Rat in den Foren zur Seite stünden. Die „Expertinnen/Experten“ seien Garanten für Reputation und Authentizität der Seite. Nur wenn sie in einer Community vorhanden seien, könnten weitere User langfristig gebunden werden. Die Erkrankten – die größte Gruppe der User – bilden die „Hilfesuchenden“ ab. Dabei handele es sich meistens um junge Mädchen und Frauen, die schon mehrere Jahre erkrankt seien. Viele von ihnen gingen in die Foren, um sich mit „Ihresgleichen“ auszutauschen, weil sie sich nur hier verstanden fühlten. Einige suchten Rat, wie sie aus der Essstörung rauskommen, andere wollten sich einfach nur über ihren Alltag mit der Krankheit austauschen, weil sie sonst mit niemanden darüber reden könnten. Neu betroffene Patientinnen und Patienten oder auch Angehörige, Freunde und Bekannte von Erkrankten informieren sich in den Communities ohne häufig an regen Gesprächen teilzunehmen. Viele neu betroffene Patientinnen und Patienten wendeten sich an die Foren, weil sie sich nicht sicher seien, ob sie magersüchtig sind und hätten Angst davor in die Krankheit hinein zu geraten. KOMMUNIKATION UND MEDIEN Andere hingegen suchten die Bestätigung, dass sie mit ihrem Essverhalten so viel wie möglich abnehmen; das Risiko in eine Essstörung zu geraten werde von ihnen zumindest indirekt in Kauf genommen. Da von Essstörungen vor allem junge Mädchen im Pubertätsalter betroffen seien bildet die Gruppe der Eltern den größten Anteil unter den Angehörigen. Sie fühlten sich meist hilflos, da gerade in der Jugendphase das Verhältnis zwischen Kind und Eltern durch Rebellion seitens der Kinder geprägt sei, was es für die Eltern noch schwieriger mache, auf ihre essgestörten Kinder einzuwirken. Einige Angehörige schlössen sich über die Foren zusammen, um nach der Therapie den Betroffenen beizustehen, sich über Erfahrungen während der Therapie auszutauschen und anderen zu helfen. Themen Bei genauer Betrachtung der in den Foren angesprochenen Themen ließen sich 4 Bereiche identi-fizieren: Da sei zum einen die Gefühlswelt der Be-troffenen, charakterisiert durch ein oft geringes Selbstbewusstsein und das Empfinden von Alleinsein und Alleingelassenwerden. Leben mit der Magersucht bilde sich im Schreiben über Haarausfall und Abführmittel, Schwangerschaft und Unfruchtbarkeit ab, und immer wieder mit dem Prinzip „kein Gramm zu viel – der Kontrollzwang mit der Waage“. Auch das Auftreten von Magersucht mit anderen Krankheiten, vor allem mit Bulimie und Borderline-Syndrom sei Thema in den Foren. Und Strategien und Wege aus der Krankheit würden immer wieder in den Foren gesucht. Ein viel diskutiertes Thema sei auch die Internetbewegung „Pro-Ana“. Wege in die und aus der Magersucht Mittels Analyse der Diskussionsbeiträge ließen sich zentrale Wege der Magersucht nachzeichnen und mögliche Wege aus der Magersucht identifizieren. Bedarf nach spezifischen Internetangeboten Zum Abschluss ihres Vortrages und im Übergang zur Podiumsdiskussion fasst Frau Kühne folgende Aspekte zusammen, die ihrer Ansicht nach in der Kommunikation, bei Kampagnen und vor allem beim Aufbau eines Online-Portals berücksichtigt werden sollten: Breitgefächerte Beratung für Betroffene, Angehörige und Freunde/Bekannte von Betroffenen: Therapeutinnen/Therapeuten und Ärztinnen/ Ärzte sollten für Fragen bereit stehen, die Anonymität und Niedrigschwelligkeit gewährleisteten. Erfahrungsgeschichten von ehemals essgestörten Menschen, um Betroffenen Mut zu machen. Detaillierte Beschreibungen von Anzeichen und Symptomen der verschiedenen Essstörungen. Gewinnung von Expertinnen/Experten zum Beispiel für Diskussionsforen. Auflistung von Spezialkliniken Detaillierte Beschreibung von Therapiemöglichkeiten und Beantwortung der häufigsten Fragen, die in Zusammenhang mit Therapien gestellt werden (FAQs). Kampagnen sollten Jahreszeiten berücksichtigen, in denen die Betroffenen besonders Probleme mit ihrem Körpergewicht hätten, zum Beispiel die Urlaubszeit im Sommer und nach Weihnachten. 1 Die vorgestellte Studie wurde im Zeitraum Januar 2007 bis August 2008 durchgeführt. In der Analyse wurden insgesamt 5.887.652 Beiträge aus 32 Foren mit 166.704 Usern berücksichtigt; 34.426 Beiträge mit magersuchtbezogener Kommunikation von 8.121 Usern wurden identifiziert. Für die Zielgruppen- und Themenidentifikation wurden zirka 350 Beiträge qualitativ ausgewertet. 53 KOMMUNIKATION UND MEDIEN Mit Prof. Dr. Hans-Joachim Berndt, Nicola Haaks, Daniela Kühne, Katja Rauchfuß, Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger Bericht aus der Podiumsdiskussion „Kommunikation & Medien“ Hinsichtlich des Umgangs mit „Pro-Ana-Seiten“ im Netz wird intensiv diskutiert welche Maßnahmen zur Aufklärung zu ergreifen seien. Einerseits besteht die Auffassung, dass vor allem Eltern über die Gefahren von Magersucht und Ess-/Brechsucht verherrlichenden Seiten informiert sein müssten, um ihre Kinder schützen zu können. Anderseits gibt es die Sorge, dass durch öffentliche (und mitunter reißerische) Berichterstattung die Wahrnehmung von Betroffenen erst auf diese Seiten gelenkt werde. Im Laufe der weiteren Diskussion entsteht weitgehend Konsens dazu, wie aus der Perspektive von Gesundheitsförderung und Prävention fachlich angemessen auf „Pro-Ana-Seiten“ zu reagieren sei: Auf eine Popularisierung der Seiten durch öffentliche Berichterstattung verzichten. Eltern, Fachleuten und Providern Informationen und Aufklärung anbieten. 1 Über die Provider die entsprechenden Seiten ab schalten und an deren Stelle Beratungsund Hilfsangebote platzieren, zum Beispiel www.hungrig.de oder www.magersucht.de. Den Medien wird in der Diskussion eine hohe Verantwortung bei der Entwicklung von Essstörungen zugesprochen. Über Frauenzeitschriften, Schönheitsund Modelwettbewerber sowie Dokumentationen über Schönheitsoperationen würden Körperbilder zunehmend normiert. Ein teilnehmender Lehrer weist darauf hin, dass die Beispiele aus der „Glamour- 54 und Glitzerwelt“ weit in den Alltag der Jugendlichen hineinreichten und sie in dieser Hinsicht ständig Bewertungen ausgesetzt seien. Dies zeige sich in mobbenden Bemerkungen über „zu dick“ sein auf dem Schulhof aber auch in Zutrittsverweigerungen zu Clubs, wenn man „nicht chic genug“ gekleidet ist. Deshalb sei es wichtig, sich in der Werbeindustrie wieder für die Überzeugung einzusetzen, dass normale Körper „sexy“ seien. Die Auflagenhöhen und begeisterten Leserinnenzuschriften bestätigten den Frauenzeitschriften immer wieder, dass Frauen eine realistischere Darstellung sehr schätzen und deshalb eher Kundinnen gewonnen werden, als verloren gehen. Die Ressortleiterin des Bereichs Gesundheit und Diäten der Zeitschrift „Brigitte“ bringt in die Diskussion ein, dass in Deutschland die Vorstellung „Ich bin wie ich bin und stehe zu meinem Körper“ schon recht gut platziert sei. Auch die Werbebranche arbeite vielfach individualisiert und typbezogen. Viel kritischer einzuschätzen seien die Botschaften, die in erster Linie aus den USA kommen. Es besteht Einigkeit, dass es sich um ein globales Problem handelt, das ein konzertiertes und gemeinsames Vorgehen auf europäischer Ebene bis hin zur WHO erforderlich mache. Da die Wirtschaftsinteressen der Schönheitsindustrie als sehr hoch und durchsetzungsstark eingeschätzt werden, müssten die Konsumentinnen und Konsumenten gestärkt KOMMUNIKATION UND MEDIEN werden und Kinder früh ein selbstbewusstes und gesundes Körperbild sowie ein kritisches und selbstbestimmtes Konsumverhalten entwickeln. In der Diskussion wurde festgehalten, dass der Blick auf die Modebranche und Medienwelt alleine nicht ausreiche. Man müsse sich auch fragen, was mit einer Gesellschaft los sei, die Menschen als etwas Besonderes darstelle, die eigentlich nichts mehr darstellen. Menschen dürften nicht auf ihr Aussehen, auf Schönheit und Gewicht reduziert werden, sondern es gehe darum, Alternativen aufzuzeigen und erlebbar zu machen. In dem Zusammenhang stelle sich die Frage, welche alternativen Lebensentwürfe es gebe und welche sinn- und iden- titätsstiftenden Werte gesellschaftlich vermittelt würden; und woran es liege, dass weibliche und zunehmend auch männliche Identitäten so wenig geistige Nahrung bekämen. Präventive Maßnahmen sollten sich eng an den Bedürfnissen der Jugendlichen orientieren, die sich bei kommerziellen und auch bei gefährlichen Angeboten des Webs offensichtlich wohlfühlten, wird in der Diskussion betont. Jugendliche wollten etwas erleben, suchten das Risiko und das Besondere reize sie. Deshalb müssten ihnen attraktive Angebote zur Auseinandersetzung angeboten werden. In einem weiteren Beitrag wird ergänzt, dass präventive Maßnahmen sehr genau zwischen Erkrankten und Gefährdeten differenzieren und zielgruppenspezifisch ausgerichtet sein sollten. 1 In diesem Zusammenhang wird auf den Ratgeber „Gegen Verherrlichung von Essstörungen im Internet - Ratgeber für Eltern, Fachkräfte und Provider“ hingewiesen, der beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kostenfrei bestellt oder heruntergeladen werden kann. 55 SCHLUSSWORT Referentin/Autorin: Prof. Dr. Elisabeth Pott Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Schlusswort Meine sehr geehrten Damen und Herren, in zwei Tagen intensiver Diskussion mit einem so hochkarätigen Fachpublikum ist das Thema erschöpfend behandelt worden. Einige Punkte, die in diesen zwei Tagen angesprochen wurden und die mir besonders wichtig sind, möchte ich abschließend nochmals aufgreifen. Gesundes Aufwachsen von Anfang an Als zentrale Aufgabe wurde formuliert, dass wir mit der Prävention von Essstörungen sehr früh in der Kindheit, also möglichst weit im Vorfeld einer Störung zu beginnen haben. Daher möchte ich auf einen Vorschlag zurückkommen, der im Laufe der Tagung gemacht wurde: Bei Müttern mit kleinen Kindern zu beginnen, den Müttern zu helfen, Sicherheit im Umgang mit dem Kind zu gewinnen. Dabei dürfen wir keine Strategien entwerfen, die Mütter noch weiter verunsichern, sondern müssen konkrete Hilfestellungen geben, die das Selbstbewusstsein der Mütter stärken und ihnen die Angst nehmen, dauernd etwas falsch zu machen. Die Interaktion zwischen Mutter und Kind zu stärken ist ein tiefgehender Ansatz in der Prävention, den ich für unverzichtbar halte. In der Prävention geht es vor allen Dingen darum, Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein und Kompetenzen zu stärken. Und dieser Ansatz kommt in der Tat 56 manchmal in der Diskussion zu kurz. Es ist notwendig, Kindern – unabhängig von ihrem Gewicht oder ihren gesundheitlichen Schwierigkeiten und Problemen – Zuwendung und Anerkennung zu geben, sie ernst zu nehmen und sie in ihrer Persönlichkeit zu stärken. Je mehr wir das schaffen, desto besser sind Kinder für die Anforderungen, die im Leben auf sie zukommen gewappnet; auch für falsche Vorbilder und Idole. Es ist sehr viel schwieriger und anspruchsvoller, einem Kind beizubringen, inmitten aller Beeinflussungen seinen eigenen Weg zu gehen als ihm nur zu sagen, es solle mehr Salat essen. Weil das so viel schwieriger ist, fehlt es manchmal auch an den notwendigen Vermittlungsfähigkeiten der Erwachsenen. Denn wer das vermitteln will, muss auch selbst über solche Kompetenzen verfügen. Das ist ein sehr anspruchsvolles pädagogisches Konzept. Und nicht jeder, der Verantwortung für Kinder hat, ist automatisch in der Lage, das auch zu leisten. Es geht deshalb auch darum, dass wir die verschiedenen Zielgruppen – die Betroffenen, Eltern, Erzieherinnen und Erzieher, Lehrerinnen und Lehrer – in die Lage versetzen, diesen umfassenden Ansatz der Lebenskompetenz zu verstehen beziehungsweise zu vermitteln. Einen gesunden Lebensstil fördern Die Förderung eines gesunden Lebensstils sollten wir in den Mittelpunkt unserer Strategie stellen, nicht die Themen Übergewicht oder Untergewicht. SCHLUSSWORT Dazu gehört die Förderung einer gesunden Ernährung, der Fähigkeit zur Stressbewältigung und ausreichender gesundheitsförderlicher Bewegung – hier sind ausdrücklich Bewegungskonzepte gemeint, die geeignet sind, Freude an der Bewegung zu vermitteln. Dazu gehört aber auch die Förderung von Lebenskompetenz, das heißt von Kommunikationsfähigkeit, Konfliktlösungsfähigkeit, Selbstbewusstsein und Eigenaktivität. Wir haben in den Vorträgen und Diskussionen viele Partner gehört, die bereit sind, diesen Weg zu gehen, und sich bereits auf den Weg gemacht haben. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat mit ihrer Jugendaktion „GUT DRAUF: Bewegung, Ernährung und Stressbewältigung“ ein integriertes Konzept entwickelt, das wir gerne zur Verfügung stellen. Struktur und Vernetzung stärken Wir haben während dieser Tagung viel versprechende Projekte kennen gelernt und durften an deren Erfahrungen teilhaben. Wir haben aber auch gelernt, dass diese guten Projekte zum Teil noch im Widerspruch zu den vorhandenen Strukturen stehen. Ich denke dabei an die Schulen, die sich mit Projekten überfrachtet fühlen und in denen wir eine gewisse Projektmüdigkeit beobachten. Hier müssen Wege gefunden werden, erfolgreiche Projekte so in Strategien zu integrieren, dass sie Teil des Regelangebots und der Regelversorgung werden. Aus den Vorträgen und Diskussionen zur Beratung und Therapie hat sich die Forderung einer besseren Vernetzung ergeben, vor allem die Forderung nach der Sicherstellung einer Behandlungskette, ohne dass immer wieder Brüche entstehen. Diesen Punkt müssen wir aufgreifen und in die weiteren Überlegungen – auch zur Finanzierung – weiter tragen. Zum Schluss möchte ich noch einmal auf das Ziel der Tagung hinweisen. Es war vorgesehen mit dieser Tagung ein Thema, das wir über viele Jahre in Expertenkreisen diskutiert haben, stärker in die breite Öffentlichkeit zu tragen und das Thema Essstörungen zu einem gesellschaftlichen Thema zu machen. Nur wenn wir eine stärkere öffentliche Resonanz und eine stärkere Debatte in der Gesellschaft erreichen, haben wir auch die Möglichkeit, Verbesserungen zu erzielen. Es entsteht dann öffentlicher Druck, der – das muss man ganz nüchtern sagen – dazu beiträgt, die Dinge verbessern zu können, die wir in der Defizitanalyse festgehalten haben. Ich hoffe, dass Sie aus dieser Tagung etwas Positives mit nach Hause nehmen, dass Sie neue Motivation gewonnen haben und dass wir gemeinsam in der nächsten Zeit noch mehr erreichen können, als bislang möglich war. Ich wünsche Ihnen eine gute Heimfahrt und sage noch einmal herzlichen Dank! 57 Anhang Tagungsprogramm im Überblick Gesamtmoderation: Sybille Seitz Programm 12. Februar 2009 10:00 – 11:00 Registrierung & Begrüßungskaffee 11:00 – 11:30 Begrüßung und Einführung Rolf Schwanitz, Parlamentarischer Staatssekretär des Bundesministeriums für Gesundheit 11:30 – 12:30 Beratung bei Essstörungen – Zwischen Autonomiekonflikt und Empowerment Sigrid Borse, Frankfurter Zentrum für Ess-Störungen gGmbH Therapie – Neue Aspekte der Behandlung Prof. Dr. med. Beate Herpertz-Dahlmann, Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie, vertreten durch Dr. Ulrich Hagenah, Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie des Universitätsklinikum RWTH Aachen Diskussion 12:30 – 13:30 13:30 – 14:40 14:40 – 15:30 15:30 – 16:00 16:00 – 16:45 16:45 – 17:30 17:30 – 20:00 58 Mittagspause Die Kommerzialisierung des Körpers Prof. Susie Orbach Diskussion Statements zu „Prävention und Gesundheitsförderung“ Prof. Dr. Iris Pahmeier, Deutscher Olympischer Sportbund Prof. Dr. Alexander Woll, Universität Konstanz, Sprecher der dvs Kommission Gesundheit Margrit Hasselmann, Landesinstitut für Schule in Bremen Kaffeepause Statements zur „Beratung“ Kathrin Harrach, magersucht.de – Selbsthilfe bei Essstörungen e.V. Sylvia Baeck, Dick und Dünn e.V. Statements zur „Therapie“ Andreas Schnebel, ANAD e.V. Prof. Dr. Manfred Fichter, Deutsche Gesellschaft für Essstörungen e.V./ Klinik Roseneck (Prien) und Universität München Abendempfang Anhang Programm 13. Februar 2009 09:00 – 10:30 Parallele Arbeitsgruppen „Prävention und Gesundheitsförderung“ Reinhard Mann, Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Dr. Werner Müller, Geschäftsführer transfer e.V. Moderation Dagmar Grundmann-Isanovic „Beratung“ Ulrich Weigeldt, Deutscher Hausärzteverband e.V. Katrin Raabe, Mädchenhaus Heidelberg e.V. Moderation Karin Reupert, Waage e.V. „Therapie“ Prof. Dr. Hans-Christian Deter, Deutsches Kollegium für psychosomatische Medizin Dr. Ernst Pfeiffer, Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Charité – Universitätsmedizin Berlin Moderation Dr. Wally Wünsch-Leiteritz, Klinik Lüneburger Heide 10:30 – 11:00 Kaffeepause 11:00 – 13:15 Kommunikation & Medien Daniela Kühne, Creative Director und PR-Botschafterin ANAD e.V. Statements Prof. Dr. Hans-Joachim Berndt, House of packshots Film- und Fernsehproduktion GmbH Nicola Haaks, Zeitschrift Brigitte Daniela Kühne, Creative Director Katja Rauchfuß, jugendschutz.net Prof. Dr. Wimmer-Puchinger, Wiener Programm für Frauengesundheit Podiumsdiskussion Schlussworte Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung 13:15 – 13:30 13:30 – 14:30 Abschlussimbiss 59 Anhang Autorinnen- und Autorenverzeichnis/ Kurzbiographien Sylvia Baeck Mitgründerin und Projektleiterin des Beratungszentrums bei Essstörungen DICK & DÜNN e.V., Projektleitung des Projektes "Wenn Essen zum Problem wird ...", Autorin verschiedener Elternratgeber und Broschüren Ressortleitung BRIGITTE/Gesundheit und CoRedaktionsleitung der Zeitschrift BRIGITTE-Balance mit dem Fokus auf Ernährung, Wohlbefinden und Fitness, zuvor freie Autorin unter anderem für DIE ZEIT, STERN, GEO-Saison Prof. Hans-Joachim Berndt Dr. Ulrich Hagenah Geschäftsleiter der HOUSE OF PACKSHOTS Filmund Fernsehproduktion GmbH, Wegbereiter der deutschen Werbung, Lehrauftrag an der Nürnberger Akademie der bildenden Künste Sigrid Borse Geschäftsführerin des Frankfurter Zentrums für Ess-Störungen gGmbH, Lehrtätigkeit an den Fachhochschulen Frankfurt und Fulda, Studium der Diplompädagogik, Psychologie und Soziologie Prof. Dr. Hans-Christian Deter Direktor der Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie am Campus Benjamin Franklin der Charité, Professur für Psychosomatik und Psychotherapie, Projektleiter des BMBF-Projekts: Langzeitverlauf der Anorexia nervosa, Arzt für Innere und Psychosomatische Medizin Prof. Dr. Manfred Fichter Ärztlicher Direktor und Chefarzt der MedizinischPsychosomatischen Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee mit Schwerpunkt zur Behandlung von Essstörungen, Erster Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Essstörungen e.V. Dagmar Grundmann-Isanovic Dipl. Pädagogin, selbständig tätig im Bereich Gesundheitskommunikation und Berufsorientierung für Jugendliche, zuvor wissenschaftliche Angestellte in der Kinder- und Jugendpolitik und gesundheitlichen Aufklärung, Autorinnentätigkeit 60 Nikola Haaks Leitender Oberarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie am Universitätsklinikum Aachen, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinderheilkunde mit Arbeitsschwerpunkt Essstörungen im Kindes- und Jugendalter Kathrin Harrach Dipl. Sozialpädagogin, Mitbegründerin und Zweite Vorsitzende des Internetportals magersucht.de, Selbsthilfe bei Essstörungen e.V., Online-Beraterin, Ausbildung in Klientenzentrierter Gesprächsführung, Freie Mitarbeiterin des Frankfurter Zentrums für Ess-Störungen gGmbH Margit Hasselmann Pädagogin, Referentin für Gesundheit und Suchtprävention beim Landesinstitut für Schule, Bremen und in Nebentätigkeit für die Arbeitsfelder Beratung – besonders bei Essstörungen –, präventive Projekte, Vernetzung, Erwachsenen(fort)bildung, Zukunftswerkstätten, Change-Prozesse Daniela Kühne Mitinitiatorin der bundesweiten “AktionMahlzeit” von ANAD e.V. gegen Essstörungen und für ein gesundes Essverhalten bei Kindern und Jugendlichen, Kampagnenarbeit und PR-Botschafterin für ANAD e.V. in München Anhang Reinhard Mann Leiter des Referates „Prävention von ernährungsbedingten Krankheiten, Gesundheitsförderung“ in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), dort verantwortlich für den Präventionsansatz „Ernährung, Bewegung und Stressregulation“. Diplompsychologe mit Ausbildung in klinischer Psychologie, Verhaltenstherapie, Familientherapie und Gruppendynamik Dr. Werner Müller Geschäftsführer / Projektkoordinator des transfer e.V. (Köln) unter anderem für das Programm GUT DRAUF, Projektleiter der "Modellseminare für Jugendreisen und internationale Begegnungen", Studium der Soziologie, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte und der Freizeitpädagogik Prof. Susie Orbach Psychoanalytikerin, Autorin und Mitbegründerin der Therapiezentren für Frauen “Women’s Therapy Centre” in London und “The Women’s Centre Institute” in New York, Autorin unter anderem von „Fat is a Feminist Issue“, „Hunger Strike“, „On eating” und „Bodies”, Gründerin von „Anybody” (www.any-body.org), einer Initiative, die sich für Körpervielfalt einsetzt Prof. Dr. Iris Pahmeier Professorin für Sportwissenschaft am Institut für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften der Hochschule Vechta, Arbeitsschwerpunkte unter anderem: Sport/Fitness und (psychische) Gesundheit, Entwicklung und Evaluation von Gesundheitsund Fitness-Sportprogrammen, Selbst- und Körperkonzept im Sport, Sozialkompetenz von Trainern und Lehrern, Motorische Leistungsfähigkeit und Kompetenz von Kindern und Jugendlichen Dr. Ernst Pfeiffer Leitender Oberarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters, Leiter der dortigen Arbeitsgruppe Essstörungen, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Arzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Pädiatrie Prof. Dr. med. Elisabeth Pott Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, Honorarprofessur im Zentrum für öffentliche Gesundheitspflege an der Medizinischen Hochschule Hannover am Institut für Epidemiologie, Sozialmedizin und Gesundheitssystemforschung Katrin Raabe Diplompädagogin, Geschäftsführerin des Mädchenhaus Heidelberg e.V., Durchführung von Präventionsangeboten, Fachvorträge, Fortbildungen, Aufbau des Internetportals www.ess-stoerungen.net, Fachbuchautorin, www.katrin-raabe.de Katja Rauchfuß Medienwissenschaftlerin, Hotline-Mitarbeiterin bei jugendschutz.net, Junior-Rechercheurin, kontinuierliche Beobachtung von "Pro-Ana/Mia-Websites", Erarbeitung von Informationsmaterialien für Eltern, pädagogische Fachkräfte und Internet-Provider Karin Reupert Dipl.-Sozialpädagogin und Sozialtherapeutin, Mitarbeiterin der Beratungsstelle Waage e.V., Hamburg, Beratung und Gruppenarbeit, Fortbildung und Supervision, im Vorstand des Bundesfachverbandes Essstörungen Andreas Schnebel Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut, Gründer und geschäftsführender Vorstand der Beratungsstelle ANAD e.V., therapeutischer Leiter der ANAD-Wohngruppen, Vorsitzender des Bundesfachverband Essstörungen e.V., freie verhaltenstherapeutische Praxis Rolf Schwanitz Mitglied der SPD und seit 1990 Abgeordneter im Deutschen Bundestag, von 2005 bis 2009 Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, Studium der Wirtschaftswissenschaften in Jena und Rechtswissenschaften in Berlin Sybille Seitz Reporterin und Moderatorin, Moderation des ARD Ratgebers „Gesundheit“ im Ersten, Studium der Amerikanistik, Publizistik und Theaterwissenschaften an der FU, später Sportwissenschaft und Grundschulpädagogik 61 Anhang Ulrich Weigeldt Bundesvorsitzender des Deutschen Hausärzteverbandes, zuvor bereits Vorstandsmitglied in zahlreichen medizinischen Gremien und Ärztekammern, Facharzt für Allgemeinmedizin/Sportmedizin Prof. Dr. Beate Wimmer-Puchinger Universitätsprofessorin an der Universität Salzburg, Wissenschaftliche Leiterin des Ludwig BoltzmannInstitutes für Frauengesundheitsforschung, Leiterin des Wiener Programmes für Frauengesundheit, Gründerin der ersten Frauengesundheitszentren in Österreich, Klinische und Gesundheitspsychologin im Bereich der Frauengesundheit in Forschung und Praxis Prof. Dr. Alexander Woll Leiter der Längsschnittstudie des BMBF zum Thema 8 "Physical, Fitness and Physical Activity as Determinants of Health Development in Children and Adolescents" in Deutschland – Fortsetzung der MoMo-Studie (www.motorik-modul.de), Mitglied im Expertengremium "gesundheitziele.de", Mitglied im Editorial Board des Weltrats der Sportwissenschaft, Sprecher der dvs Kommission Gesundheit, Universitätsprofessor für Sportwissenschaft mit dem Schwerpunkt Sport und Gesundheit Dr. med. Wally Wünsch-Leiteritz Leitende Oberärztin des Essstörungstherapiebereiches der Klinik Lüneburger Heide, Vorstandsmitglied des Bundesfachverbandes Essstörungen, Gesellschafterin/ therapeutische Supervisorin der essstörungsspezifischen betreuten Wohneinrichtung Amidon 62 Bundesministerium für Gesundheit Friedrichstaße 108 10117 Berlin www.bmg.bund.de Weitere Informationen erhalten Sie unter: www. leben-hat-gewicht.de www. in-form.de