10 WF 193/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

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10 WF 193/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht
10 WF 193/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht
2 F 157/06 Amtsgericht Strausberg
Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss
In der Familiensache
des Herrn
Antragstellers und Beschwerdeführers,
- Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwältin
gegen
Frau
gesetzlich vertreten durch ihren Betreuer, Herrn
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
- Verfahrensbevollmächtigter:
Rechtsanwalt
hat der 2. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die
sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 21. August 2006 gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Strausberg vom 11. August 2006 durch
den Richter am Oberlandesgericht Gutjahr
als Einzelrichter
am
17. Januar 2007
b e s c h l o s s e n:
Der angefochtene Beschluss wird abgeändert.
Dem Antragsteller wird für den Antrag zu 3. im Schriftsatz vom 25. Juli 2006
Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwältin V. in Berlin zu den Bedingungen
einer in Strausberg ansässigen Rechtsanwältin beigeordnet.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I.
Die Beschwerde ist gemäß §§ 14 FGG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig. Sie richtet sich gegen
die Versagung von Prozesskostenhilfe im Hinblick auf den Antrag zu 3. im Schriftsatz vom
25.7.2006. Gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe durch den Beschluss des
Amtsgerichts vom 10.4.2006, bezogen auf den Antrag zu 2. in dem Schriftsatz vom
28.2.2006, hat der Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist ein Rechtsmittel nicht
eingelegt. Vielmehr hat er mit Schriftsatz vom 25.7.2006 einen neuen Antrag gestellt.
II.
Die sofortige Beschwerde ist begründet. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegen
die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vor. Dem Antragsteller kann
seine Verfahrensbevollmächtigte zu den Bedingungen einer in Strausberg ansässigen
Rechtsanwältin beigeordnet werden.
1.
Anders als vom Amtsgericht angenommen bietet die vom Antragsteller beabsichtigte
Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO. Bei der im
Prozesskostenhilfeverfahren gebotenen summarischen Prüfung (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26.
Aufl., § 114, Rz. 19; Verfahrenshandbuch Familiensachen - FamVerf -/Gutjahr, § 1, Rz. 254)
besteht eine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Antragsgegnerin dem
Antragsteller gegenüber zur Auskunft über das Schicksal und die persönlichen
Lebensumstände des am 26.6.2002 geborenen Kindes H. und über eine etwaige Adoption des
Kindes verpflichtet ist. Ein solcher Anspruch des Antragstellers kann sich aus einer
unmittelbaren oder jedenfalls entsprechenden Anwendung des § 1686 BGB ergeben.
a)
Gemäß § 1686 Satz 1 BGB kann jeder Elternteil vom anderen Elternteil bei berechtigtem
Interesse Auskunft über die persönlichen Verhältnisse des Kindes verlangen, soweit dies dem
Wohl des Kindes nicht widerspricht. Zu Gunsten des Antragstellers ist im
Prozesskostenhilfeverfahren anzunehmen, dass diese Voraussetzungen vorliegend gegeben
sind.
aa)
Insbesondere ist zu Gunsten des Antragstellers zu unterstellen, dass die Antragsgegnerin am
26.6.2002 ein Kind geboren hat.
Der Antragsteller hat vorgetragen, die Antragsgegnerin sei noch während der bestehenden
Ehe der Parteien, die durch Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 13.2.2003
aufgehoben worden ist, schwanger gewesen. Dieser Vortrag ist im
Prozesskostenhilfeverfahren schon mit Rücksicht darauf, dass der Antragsteller einen Bericht
einer Frauenärztin und ein Ultraschallbild vorgelegt hat, im Prozesskostenhilfeverfahren als
richtig zu unterstellen. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Antragsgegnerin eine
Schwangerschaft schriftsätzlich hat bestreiten lassen. Denn in dem Arztbericht ist der Name
der Antragsgegnerin als Patientin genannt. Auch das Ultraschallbild vom 26.2.2002 weist
zumindest den Nachnamen der damals noch verheirateten Parteien aus.
Auch ist im Prozesskostenhilfeverfahren davon auszugehen, dass das Kind geboren worden
ist. Bereits mit Schriftsatz vom 25.7.2006 hat der Antragsteller vorgetragen, die
Antragsgegnerin habe erklärt, am 26.6.2002 einen Sohn zur Welt gebracht zu haben, den sie
zur Adoption freigegeben habe und der nunmehr den Namen H. M. tragen solle. Mit der
Beschwerde hat er sein diesbezügliches Vorbringen konkretisiert. Danach habe die
Antragsgegnerin gemeinsam mit seiner Schwägerin im Juni 2005 bei dem zuständigen Leiter
des Jugendamts Marzahn-Hellersdorf vorgesprochen und diesem gegenüber mitgeteilt, ein
vom Antragsteller abstammendes Kind am 26.6.2002 entbunden zu haben, das dann zur
Adoption freigegeben worden sei. Zum Beweis hierfür hat sich der Antragsteller auf das
Zeugnis des Jugendamtsleiters berufen. Dieser habe auch gegenüber seiner
Verfahrensbevollmächtigten am 14.10.2005 den Inhalt des Gesprächs mit der
Antragsgegnerin bestätigt. Angesichts all dessen besteht eine hinreichende
Wahrscheinlichkeit dafür, dass am 26.6.2002 ein Kind geboren worden ist, dessen leibliche
Mutter die Antragsgegnerin ist.
bb)
Unter der Annahme, dass die Antragstellerin am 26.6.2002 ein Kind geboren hat, ist der
Antragsgegner auch als dessen Vater anzusehen. Dabei kommt es darauf, dass er erstmals mit
der Beschwerde ausdrücklich vorgetragen hat, innerhalb der gesetzlichen Empfängniszeit mit
der Antragsgegnerin verkehrt zu haben, nicht an. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts
ist er nämlich schon nach § 1592 Nr. 1 BGB als Vater des Kindes anzusehen. Denn er war
zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter des Kindes verheiratet. Dem steht der Umstand,
dass die Ehe der Parteien durch Urteil des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 13.2.2003
aufgehoben worden ist, nicht entgegen. Dem während einer Ehe geborenen Kind wird vom
Gesetz automatisch der Mann als Vater zugeordnet, der zum Zeitpunkt der Geburt des Kindes
mit dessen Mutter verheiratet ist. Darauf, ob die Ehe aufhebbar ist bzw. später aufgehoben
wird, kommt es nicht an (Palandt/Diederichsen, BGB, 66. Aufl., § 1592, Rz. 3).
cc)
Die Antragsgegnerin ist als auskunftsverpflichtet anzusehen. Dabei kann entgegen der
Auffassung des Amtsgerichts im Prozesskostenhilfeverfahren nicht davon ausgegangen
werden, dass eine solche Auskunftspflicht nur denjenigen Elternteil trifft, in dessen Obhut
sich das Kind befindet. Zwar bestand der Zweck des Auskunftsrechts nach der
Entstehungsgeschichte der Vorschrift in erster Linie darin, dem Umgangsberechtigten einen
Ausgleich für eine Einschränkung oder einen Ausschluss der Umgangsbefugnis zu geben,
sodass regelmäßig der Obhutelternteil auskunftsverpflichtet ist (vgl.
Johannsen/Henrich/Jaeger, Eherecht, 4. Aufl., § 1686, Rz. 1). Andererseits sind auch Fälle
denkbar, in denen der Umgangsberechtigte auskunftspflichtig ist, soweit es etwa eine
Krankheit oder einen Unfall des Kindes während des Besuchs bei ihm betrifft (vgl.
Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1686, Rz. 4). Vor diesem Hintergrund ist im
Prozesskostenhilfeverfahren anzunehmen, dass eine Auskunftspflicht auch denjenigen
Elternteil trifft, der sein Kind in die Obhut von Dritten gegeben oder, wie vorliegend
behauptet, das Kind zur Adoption freigegeben hat. Denn ungeklärte Rechtsfragen dürfen im
Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten der bedürftigen Partei beantwortet werden. Sie
muss aus Gründen der Chancengleichheit die Möglichkeit haben, derartige Rechtsfragen in
der Rechtsmittelinstanz prüfen zu lassen (vgl. BVerfG, FamRZ 2002, 665; BGH, FamRZ
2003, 671; Senat, FamRZ 2000, 1033, 1035; Zöller/Philippi, a.a.O., § 114, Rz. 21;
FamVerf/Gutjahr, § 1, Rz. 257).
Die Erteilung der verlangten Auskunft ist der Antragsgegnerin nicht unmöglich. Dies gilt
ungeachtet des Umstands, dass sich aus dem angeführten Urteil, durch das die Ehe der
Parteien aufgehoben worden ist, ergibt, dass die Antragsgegnerin bei Eheschließung
geschäftsunfähig war, die Bedeutung der Eheschließung nicht beurteilen konnte und sie seit
vielen Jahren unter Betreuung steht. Denn ihr Betreuer als gesetzlicher Vertreter ist in der
Lage, die Auskunft zu erteilen. Ihm ist es insbesondere möglich, den zahlreichen
Anhaltspunkten, die der Antragsteller genannt hat, nachzugehen, um Feststellungen über den
Verlauf der Schwangerschaft, eine etwaige Entbindung und Freigabe zur Adoption zu treffen.
dd)
Ein berechtigtes Interesse des Antragstellers an einer Auskunft über die persönlichen
Verhältnisse des Kindes ist anzunehmen. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn der
Elternteil keine Möglichkeit hat, sich auf andere Art über den Auskunftsgegenstand zu
unterrichten (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1686, Rz. 5). So liegt es hier mit Rücksicht
darauf, dass dem Antragsteller das Schicksal des Kindes, von den wenigen Angaben, die ihm
die Antragsgegnerin gemacht hat, abgesehen, unbekannt ist.
ee)
Dafür, dass das Auskunftsbegehren dem Wohl des Kindes widerspricht, sind keine
Anhaltspunkte ersichtlich. Nach alledem kann im Prozesskostenhilfeverfahren ein Anspruch
des Antragstellers gegen die Antragsgegnerin nach § 1686 BGB angenommen werden.
b)
Selbst wenn man eine unmittelbare Anwendung der Vorschrift des § 1686 BGB im
vorliegenden Fall verneint, z. B. deshalb, weil die Antragsgegnerin nach etwa erfolgter
Adoption des Kindes nicht mehr in der Lage ist, über dessen gegenwärtige persönliche
Verhältnisse Auskunft zu erteilen, kann ein Auskunftsanspruch des Antragstellers im
Prozesskostenhilfeverfahren auf eine entsprechende Anwendung der Vorschrift des § 1686
BGB gestützt werden.
aa)
Für ein Auskunftsrecht des Antragstellers besteht ein Bedürfnis. Bei summarischer
Betrachtung kann angenommen werden, dass sein Interesse an dem Schicksal des Kindes
grundrechtlichen Schutz genießt.
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG, umfasst auch
das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung (BVerfG, Urteil vom 31.1.1989 - 1 BvL
17/87 -, FamRZ 1989, 255; Urteil vom 26.4.1994 - 1 BvR 1299/89 -, FamRZ 1994, 881;
Beschluss vom 6.5.1997 - 1 BvR 409/90 -, FamRZ 1997, 869). Im
Prozesskostenhilfeverfahren kann angenommen werden, dass grundrechtlichen Schutz auch
das Recht des Vaters auf Kenntnis von der Geburt und dem weiteren Schicksal des von ihm
gezeugten Kindes genießt. Das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung wird
insbesondere damit begründet, dass sich aus der Kenntnis wichtige Anknüpfungspunkte für
das Verständnis des familiären Zusammenhangs und für die Entwicklung der eigenen
Persönlichkeit ergeben, während die Unmöglichkeit, die eigene Abstammung zu klären, den
Einzelnen erheblich belasten und verunsichern kann (BVerfG, Urteil vom 26.4.11994, a.a.O.).
Mit dieser Begründung, die sich auf den autonomen Bereich privater Lebensgestaltung
bezieht, der nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gesichert wird, lässt sich
Grundrechtsschutz auch im Hinblick auf die Kenntnis vom weiteren Schicksal des eigenen
Kindes herleiten. Insoweit geht es ebenfalls um das Verständnis des familiären
Zusammenhangs. Auch die Unmöglichkeit, das weitere Schicksal des eigenen Kindes zu
klären, kann den Einzelnen erheblich belasten und verunsichern.
bb)
Wenn das Gesetz im vorliegenden Fall dem Antragsteller kein Auskunftsrecht gewährt, kann
die insoweit bestehende Regelungslücke durch analoge Anwendung des § 1686 BGB
geschlossen werden.
Mit Rücksicht darauf, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht, wie ausgeführt, auch das
Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammung umfasst, liegt in einer entsprechenden
Anwendung des § 1618 a BGB, auf die ein Auskunftsrecht des Kindes gegen seine Mutter auf
Benennung des leiblichen Vaters gestützt wird, keine unzulässige Rechtsfortbildung (BVerfG,
Beschluss vom 6.5.1997, a.a.O.). Angesichts dessen wird ein solcher Auskunftsanspruch in
der Literatur auch überwiegend bejaht (vgl. die Nachweise bei Palandt/Diederichsen, a.a.O.,
Einf v § 1591, Rz. 3; vgl. zur Vollstreckung des Auskunftsanspruchs auch OLG Bremen,
Beschluss vom 21.7.1999 - 6 W 21/98 -, FamRZ 2000, 618).
Vor diesem Hintergrund ist jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren eine entsprechende
Anwendung des § 1686 BGB, die es dem Vater ermöglicht, von der Mutter Auskunft über das
Schicksal des nach der Trennung der Eltern geborenen Kindes zu erhalten, anzunehmen.
Sollte ein grundrechtlicher Schutz für ein solches Auskunftsbegehren bestehen, bietet sich
eine ausdehnende Anwendung derjenigen Vorschrift an, die dem Vater ohnehin ein
Auskunftsrecht über sein Kind einräumt.
cc)
Bei dem auf die analoge Anwendung einer Vorschrift gestützten Auskunftsrecht ist allerdings
zu beachten, dass neben den Grundrechtspositionen des Auskunftsberechtigten auch
diejenigen der Auskunftsverpflichteten zu berücksichtigen sind. Die wechselseitigen
Interessen sind dabei konkret abzuwägen (BVerfG, Urteil vom 6.5.1997, a.a.O.). Im
Prozesskostenhilfeverfahren kann aber angenommen werden, dass diese Abwägung
vorliegend zu Gunsten des Antragstellers ausfällt.
2.
Der Antragsteller ist nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der
Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen.
a)
Der Prozesskostenhilfebewilligung steht nicht entgegen, dass der Antragsteller Ausländer ist
und in Montenegro lebt. Prozesskostenhilfe kann nämlich auch einem im Ausland lebenden
Ausländer für die Rechtsverfolgung in Deutschland bewilligt werden (BFH, Beschluss vom
19.3.1996 - VIII S 1/96 -, JurBüro 1997, 201; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.11.1993 20 W 67/97 -, MDR 1994, 301; Zöller/Philippi, a.a.O., § 114, Rz. 5).
b)
Unter Berücksichtigung der Angaben des Antragstellers in seiner Erklärung über die
persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse und im Hinblick auf die in der Hauptakte
befindliche Erklärung ist unabhängig von der Frage, wie die allgemeinen Lebensverhältnisse
in Montenegro grundsätzlich zu beurteilen sind, davon auszugehen, dass der Antragsteller
bedürftig ist.
3.
Mit Rücksicht auf das Mehrkostenverbot nach § 121 Abs. 3 ZPO kann die
Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers nur zu den Bedingungen einer beim
Amtsgericht zugelassenen Rechtsanwältin beigeordnet werden. Von einem konkludenten
Einverständnis mit einer entsprechenden Einschränkung der Beiordnung ist auszugehen
(BGH, Beschluss vom 10.10.2006 - XI ZB 1/06 -, FamRZ 2007, 37).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.
Gutjahr