Meine Erfahrungen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft
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Meine Erfahrungen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft
Meine Erfahrungen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Sehr geehrte Damen und Herren, liebe (Mit)Psychiatrie-Erfahrenen. Psychiatrie-Erfahrung als Patient habe ich seit 1989. Die Klinik-Psychiatrie habe ich als Ordnungsmacht (weil sich andere von mir gestört fühlten) erlebt, weniger als Hilfsangebot bei meinen seelischen Problemen. Das ist bei vielen Psychiatrie-Erfahrenen ähnlich, bei vielen aber auch anders. Meine erste Klinikeinweisung 1989 in die Saarbrücker Sonnenberg Kliniken fand statt im Verlauf einer schweren Sinn- und Lebenskrise gegen Ende meines Studiums. Dort machte ich sofort qualvolle Erfahrungen mit dem Neuroleptikum Haldol. Nach einer 5wöchigen stationären Psychotherapie (analytisch orientierte Gruppen- und Einzels itzungen, Märchendrama etc.) folgte 1989 eine erste Zwangsunterbringung als "paranoid halluzinatorisch psychotisch". Freiwillig wollte ich die Haldolerfahrungen nicht noch einmal machen. In der Landesnervenklinik Alzey musste ich damals mit ca. 50 weiteren Menschen in einem großen, durch Vorhänge abgetrennten Schlafsaal liegen, auch ein Alptraum, den ich nie mehr erleben möchte. Anfang bzw. Mitte der 90er Jahre beschäftigte ich mich auf eigene Initiative in 2 analytisch orientierten Gesprächstherapien mit denjenigen meiner Probleme, die durch meine Lebensgeschichte, durch die gesellschaftlichen Zusammenhänge und damit verbundenen Familienhintergründe bedingt waren. Unter dämpfender Langzeitmedikation mit Psychopharmaka wäre die Aufarbeitung von Gefühlen in dieser Form nicht möglich gewesen. Regelmäßig wurde der Prozess jedoch unterbrochen durch Zwangseinweisungen (93,94,95) auf den Saarbrücker Sonnenberg, wo man mich wieder zwang, solche Neuroleptika wie Haldol zu nehmen. Zwischen 1995 und 1997 ließ ich mich auf Anraten und Druck nahezu meines gesamten LImfeldes auf eine Langzeit-Medikamententherapie (Lithium kombiniert mit Ciatyl-Depotspritzen) ein, diese Zeit ist mir als eine mittelmäßige, farblose, graue Zeit in Erinnerung. Als ich deshalb Anfang 1997 alles abgesetzt hatte, folgten ohne Medikamente "Psychose"erlebnisse, deren Inhalte mir später halfen, meine Probleme mit dem Sinn des Lebens anzugehen und aufzudecken, was mich 1997 jedoch dreimal in die Psychiatrie führte. Ein Jahr später, 1998, bin ich in eine ambulant betreute Wohngemeinschaft in Saarbrücken gezogen. Davor, seit 1996, lebte ich mit einem Mann und einer Frau in einer „normalen" Wohngemeinschaft, in der ich dank deren Toleranz, Einfühlungsvermögen und Freundschaft anderthalb Jahre lang 3 Phasen veränderter Bewußtseinszustände (sog. Psychosen) intensiv ausleben konnte. Das Ergebnis war zum Jahreswechsel 1997/1998 eine Zwangsunterbringung, die fristlose Kündigung und anschließende Räumungsklage des Vermieters, meine lieben MitbewohneT sind entnervt und am Ende ihrer Kräne ausgezogen, und ich hatte, nach langem Überlegen, beschlossen, mir betreute Wohngruppen und Wohngemeinschaften in Saarbrücken anzuschauen. Zuerst hatte ich im Februar 1998 eine intensiv betreute Wohngruppe, also ein kleines Wohnheim für sog. psychisch Kranke, in Augenschein genommen. Die Atmosphäre erinnert mich unangenehm an die psychiatrische Klinik, 13 Menschen lebten dort, es gab ein Büro für die Sozialarbeiter, die Bewohner/innen-Zimmer waren mit Bett, Schrank und Tisch möbliert, meine eigenen Möbel hätte ich nicht mitbringen können. Hinweisschilder auf die Medikamentenausgabe fielen mir ins Auge, es herrschte Psychopharmakagedämpfte Atmosphäre, und der mich herumführende Sozialarbeiter fand« dass ich hier richtig aufgehoben sei. Meine Entscheidung stand bereits fest, als ich dankte und versprach, mich telefonisch zu melden. Da bin ich nicht eingezogen! Mein zweiter Besichtigungstermin im März 1998 war in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft des Arbeitskreises Betreutes Wohnen e.V., eine 5er WG in einer hellen und geräumigen 200 qm Altbauwohnung in Saarbrücken. Zufällig war ein Zimmer frei, eigene Möbel waren Pflicht, die Atmosphäre schien erträglich, fast wie in einer „normalen" Wohngemeinschaft, die mir zugeordnete Mitarbeiterin, eine Psychologin, ganz sympathisch. Ich beschloss, den Druck der Räumungsklage im Nacken, erstmal einzuziehen und in 3 Monaten wieder auszuziehen, sollte es mir nicht gefallen. Ich wohne jetzt seit über 7 Jahren in dieser Wohngemeinschaft. Fast die Hälfte meines Lebens habe ich in Wohngemeinschaften, meist studentische WGs gelebt, zum einen, weil ich nicht alleme leben möchte und die Frau für's Leben mich noch nicht gefunden hat, zum anderen, weil ich auf diese Art in schöneren und größeren Wohnungen leben kann, die ich mir alleine nicht leisten kann. Der Preis, den ich dafür zahlen muss, ist, dass ich mich manchmal über die Unachtsamkeiten und Nachlässigkeiten meiner Mitbewohner/innen ärgern muss, und auch meine Freiheit, z.B. laute Musik zu hören, die Küche zu nutzen bzw. das Bad oder das Wohnzimmer, durch die Freiheit der anderen eingeschränkt sein kann und gemeinsam getroffenen Absprachen oder Regeln unterliegt. Die Wohnsituation in der ambulant betreuten WG gab mir Sicherheit und Freiräume, auch zum Experimentieren mit Psychopharmaka oder meinen Wahrnehmungen, Gefühlen, Ängsten und Mut. Die Rückmeldungen der Mitbewohner/innen und der Psychologin, die meine Bezugsbetreuerin war und mit der ich mich ein mal die Woche treffen konnte, waren dabei sehr hilfreich. 1999 um die totale Sonnenfinsternis in Südwestdeutschland herum war ich während einer Reise in Norddeutschland dort noch einmal 3 Wochen zwangsuntergebracht. In der Psychiatrie Hamburg Ochsenzoll bot man mir ein Gespräch pro Tag an. so dass ich diesen letzten Klinikaufenthalt zum ersten Mal als teilweise hilfreich erlebt habe. In der Wohngemeinschaft fand ich danach Ruhe, mich zu erholen und das Erlebte aufzuarbeiten. Danach bat ich um psychiatrische Behandlung in der Ambulanz der Saarbrücker Sonnenberg-Kliniken, insbesondere, um mich über eine Behandlungsvereinbarung gegen psychiatrischen Zwang (Infusionen durch Fixierungen ans Bett, Ausgangsverbote) durch Verhandlung zu schützen. Die Auseinandersetzung mit der Zwangspsychiatrie hatte mich zeitweise stark von meiner Ursprungsproblernatik abgelenkt. Ich ließ mich auf eine Neuroleptikatherapie (Zyprexa 5mg/Tag) ein, die ich nach 2j ährigem sehr vorsichtigem Ausschleichen (halbieren und viertein von Tabletten mittels Medikamentenschneidern, aus der Apotheke) Ende 2002 beendete. Behilflich dabei war mir Matthias Seibt, Psychopharmaka-Beratung des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener, von dem ich den erfolgreichen Umgang mit einem niedrigpotenten Neuroleptikum als Kurzzeit("bedarfs")medikament gegen unerwünschte Bewußtseinsveränderungen, die Klinikaufenthalte nach sich ziehen könnten, gelernt habe. Mit meiner Biographie in ihrem gesellschaftlichen Umfeld und meinen Fragen zum Sinn des Lebens habe ich mich seit 1997 viel beschäftigt, viel dazu gelesen, viel gelernt, erfahren und mich mit einigen anderen ausgetauscht. Kontinuität in meinem Leben, durch die ambulant betreute Wohngemeinschaft, die Gespräche mit der Psychologin vom betreuten Wohnen, auch durch Schutz vor ungewollten psychiatrischen Klinikaufenthalten, z.B. durch selbstbestimmtes Dosieren von Psychopharmaka, war dabei hilfreich. Wie gesagt, Psychiatrie-Erfahrungen als Patient habe ich seit 1989. Die ärztlichen Diagnosen waren Borderline-Störung, paranoid-halluzinatorische, schizo-affektive, schizo-manische bzw. maniforme Psychosen, Zyklothymie in Verbindung mit einer manisch-depressiven Störungen und Polytoxikomanie. Bis 1999 war ich mehr als 10 mal als Patient in psychiatrischen Kliniken. Alle sagten, ich sei chronisch psychisch krank: 1998 hatte ein ärztliches Gutachten meine Erwerbsunfähigkeit für mindestens 5 Jahre festgestellt, 1999 hat das saarländische Landesamt für Jugend, Soziales und Versorgung eine 50 %ige Schwerbehinderung aus psychischen Gründen zuerkannt. Aber: Ich bin nun seit über 6 Jahren nicht mehr als Patient in einer Klinik gewesen, arbeite seit 5 Jahren auf einer Sozialversicherungspflichtigen Halbtagsstelle, bis heute ohne Krankenschein, bin seit fast 3 Jahren psychopharmakafrei, führe ein schönes, zufriedenes Leben, und einen Anteil daran hat meine Wohnsituation in dieser ambulant betreuten Wohngemeinschaft. Wichtig waren die guten, auch konfrontierenden Gespräche mit der Psychologin, die meine Bezugsbetreuerin war. Die persönliche Motivationen, Haltungen, Lebenserfahrungen und Kompetenzen des fachlichen ßetreuungspersonals spielen bei der Qualität solcher Hilfsangebote eine wichtige Rolle. Zum 1.1.2005 haben wir, die Projektleiterin des Trägers und ich, auf meinen Wunsch die Betreuungsvereinbarung aufgehoben und keinen weiteren Antrag auf Eingliederangshilfe nach SGB XII gestellt. Da die Wohnung mit ihren Bewohner/inne/n zu meinem Zuhause geworden ist, bin ich froh, dass die Mietvereinbarung weiter läuft, und ich nicht deswegen bestraft werde, also aus der Wohnung ausziehen muss, weil ich dort meine seelischen Probleme lösen konnte. Im Anschluss habe ich Erfahrungen, Wünsche und Forderungen aus Sicht Psychiatrie-Erfahrener zum Thema "Betreuen und Wohnen - heute und morgen" zusammengestellt. Peter Weinmann, September 2005