Medienproduktion:

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Medienproduktion:
Medienproduktion:
Eine neue wissenschaftliche Perspektive
von Paul Klimsa und Heidi Krömker
Prof. Dr.
Paul Klimsa
Prof. Dr.
Heidi Krömker
Medienproduktion ist so alt wie die Medien selbst.
In der Vergangenheit war die Aufmerksamkeit der
Sozialwissenschaften, wie beispielsweise der Kommunikationswissenschaft, vor allem auf die Prozesse der Inhaltsproduktion gerichtet. Analysierte man
die journalistischen Arbeiten bei der Nachrichtenproduktion, rückten die Fragen der Technik sofort
in den Hintergrund. Auch die Organisation der Produktion wurde vor allem auf die Redaktion als Organisationseinheit bzw. auf die institutionelle Verankerung der Produktion bei öffentlich-rechtlichen oder
privaten Sendeanstalten gerichtet. Aus der Sicht
der Technikwissenschaften standen wiederum jeweils spezielle, technologisch verankerte Prozesse
der Medienproduktion im Mittelpunkt. Neue Verfahren der Medienproduktion oder die Erstellung von
Ablaufdiagrammen für Optimierungsstrategien der
Medienproduktion wurden auf die Untersuchungsagenda genommen. Durch Digitalisierung der Medien wurden die schon immer zusammenhängenden Praxisbereiche auch in der wissenschaftlichen
Betrachtung sichtbar. Redaktionssysteme als technische Vermittlungssysteme bestimmen die Organisation der Redaktion und ihrer Abläufe und die
resultierenden Medieninhalte, d.h. den Content.
Diese neue Perspektive auf die Medien und auf die
Medienproduktion ist heute unerlässlich für eine
erfolgreiche wissenschaftliche Reflexion.
rerseits eine weitere Tendenz, die den Ausmaß der
Veränderungen anzeigt. Sie modifiziert den technischen und organisationellen Workflow von Medienproduktionsprozessen. Da Content jedoch kulturgebunden ist, sind der Internationalisierung der
Medien engere Grenzen gesetzt, als der inhaltlichen und der technischen Konvergenz der Medien.
Die Notwendigkeit der wissenschaftlichen Analyse
der Medienproduktionsprozesse wird angesichts
der neuen Entwicklung deutlich.
Die Digitalisierung bewirkte die Annäherung der
Medienbranchen, positive und negative Aspekte für
die Medienbranchen mit sich bringt.
Einerseits entstehen neue Marktpotenziale, Content kann mehrfach verwertet werden und zielgruppenspezifische Plattformen werden realisiert.
Andererseits geraten die Medienbranchen in Bedrängnis. Zeitungsauflagen sinken dramatisch, die
Notwendigkeit neuer Finanzierungsmodelle wird
deutlich. Fernsehen und Presse geraten im Internet
in einen Konkurrenzkampf. Die Medienkonvergenz,
die man seit Jahren beobachten kann, ist eine der
Erscheinungsformen von fast schon revolutionären Wandlungsprozessen im Medienbereich. Die
Internationalisierung – die mit Globalisierung der
Medienorganisation verknüpft ist – bedeutet ande-
Medienproduktion als wissenschaftliche
Disziplin
Medienproduktion bedeutet die Herstellung der Vermittlungssysteme von Information, wobei während
des Produktionsprozesses einerseits die Vermittlungssysteme selbst, andererseits konkrete mediale Inhalte entstehen.
Die organisatorische Ausgestaltung der Produktionsprozesse bezieht sich dabei stets auf drei
Grundformen:
1. Mensch-Systeme, d.h. soziale Integration von
Menschen in Produktionsprozessen;
2. Mensch-Maschine-Systeme, d.h. die Integration von Menschen und technischen Systemen
der Medienproduktion;
3. Maschine-Systeme, d.h. die Integration von
technischen Produktionssystemen unter technologischen Gesichtspunkten.
Organisation bedeutet stets ein System, das auf die
Realisation von Zielen ausgerichtet ist.
Medienunternehmen, als wirtschaftliche Organisationen, streben die Planung, Vorbereitung, Produktion, Nachbereitung und Distribution von medialen
Inhalten (Content) an. Content kann als Information, Bildung oder Unterhaltung, bzw. als eine sinnvolle Kombination dieser übergeordneten Sparten
produziert werden. Content steht immer in Wechselwirkung mit Technik. Dieses Zusammenwirken
von Technik und Content, das zu einem konkreten
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medialen Produkt führt, erfolgt unter den medienspezifischen Bedingungen gestaltenden Handelns,
d.h. der spezifischen medialen Organisation.
Betrachtet man die Vermittlungssysteme von Informationen, wie beispielsweise Radio, Fernsehen
oder Film genauer, so werden auch die jeweiligen
Grundformen der organisatorischen Ausgestaltung
– ob Mensch-Systeme, Mensch-Maschine-Systeme oder Maschine-Systeme – deutlich.
Content, Technik und Organisation als
Elemente der Medienproduktion
Da die Produktion der Medien stets die Elemente
Technik, Organisation und Content in einem Prozess vereint [1], ist ihre wissenschaftliche Analyse
und Systematik nur interdisziplinär ausgerichtet
sinnvoll. Nur ein ganzheitlicher Forschungszugang
der Technikwissenschaften, Sozialwissenschaften
bzw. Geisteswissenschaften, kann effektiv sein.
Das soll nicht heißen, dass man die Elemente Content, Technik und Organisation als Bestandteile eines Modells alle gleichzeitig bzw. vollständig untersuchen muss [2].
Ausblendungen und Fokussierung sind stets unvermeidbar, manchmal sogar notwendig. Es ist
dank des Modells möglich, die fehlenden Elemente zu erfassen und hinzuzufügen, womit sich eine
fruchtbare Fortführung, Ergänzung bzw. Revision
der Forschungsbemühungen ergibt. Die drei bestimmenden internen Elemente der Medienproduktion Content, Technik und Organisation werden von
externen Einflussgrößen zusätzlich bestimmt. Die
Politik, das Rechtssystem, die Wirtschaft, bzw. die
Kultur oder Gesellschaft usw. definieren den allgemeinen Rahmen, in dem Medienproduktion stattfinden kann. Die Elemente der Medienproduktion lassen sich zwar analytisch trennen, bilden aber stets
eine Einheit.
Medienproduktionsprozesse
Medienprodukte entstehen in einem Produktionsprozess, der sich aus vier generellen Produktionsschritten zusammensetzt [3]:
Preproduktion:
z.B. Recherche, Planung oder medienunabhängige Erzeugung von Content
Produktion:
Anpassung von Content an das jeweilige Vermittlungssystem, also mediengerechte Transformation des Content
Postproduktion:
Verfeinern, bearbeiten und testen von Content
Distribution:
Den Content an die Zielgruppen verteilen
Die Erkenntnisse der Produktionswissenschaft lassen sich auch für die Medienproduktion nutzen.
Die erprobten Faktoren einer effizienten Produktionssteuerung lassen sich für die Medienproduktion gewinnbringend anwenden. Die Steuerung von
medialen Produktionsprozessen kann sich auf verschiedenen, logischen Ebenen auswirken [4]:
1. Content-Produktionsprozesse
(Contentelemente, technische Basis der Content-Produktion, Content Management)
2. Kommunikationsprozesse
(interne und externe Kommunikationsprozesse, Kommunikationssysteme,
z.B. Unified Communications Systems)
3. Distributionsprozesse
(Verteilung des Content medienspezifisch oder
medienunabhängig: Equipment, Standards)
4. Verwaltungsprozesse
(Redaktion, Arbeitsmodule)
5. Controlling-Prozesse
(Zeit, Kosten, Qualität)
Abb. Das Modell „Technik, Content und Organisation“ [3]
Prozesse der Medienproduktion in verschiedenen
Medien unterschieden sich bislang erheblich voneinander [5]. Die Produktion für Film, Fernsehen,
Hörfunk oder Online-Medien kann abhängig von
den jeweils konkreten Prozessen gesteuert werden. Immer mehr an Bedeutung gewinnt jedoch die
Frage der Prozessorientierung der Medienproduktion und der Content-Produktion. Die Notwendigkeit
der Steuerung von Content-Produktionsprozessen,
die von Anfang an nicht medienspezifisch sondern
„cross-medial“ ist, wird sehr deutlich.
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In allen Produktionsschritten werden Content und
Technik zusammengeführt, um ein Medienprodukt
(Zeitung, Sendungsformat, Sendung, Bericht, DVD,
Webportal Computerspiel usw.) herzustellen. Dieser Herstellungsprozess ist nur bei Anwendung von
Organisation (verstanden als Produktionsablauf
bzw. Workflow innerhalb einer Institution) als Zielsicherungsmaßnahme denkbar.
Der Ablauf der Produktionsprozesse ist stets von
den Medienbranchen bzw. Medien abgängig. In
der Praxis laufen die jeweiligen Produktionsschritte
nicht zwingend linear ab. Bestimmte Teilprozesse
können sich überlappen, bzw. verlaufen parallel.
Die Filmproduktion bzw. die Softwareproduktion
sind Beispiele dafür.
Abb. Produktionsprozesse der Medien [3]
Das neue Modell ist nicht als ein abgeschlossener
Zugang zum umfassenden Feld der Medienproduktion zu verstehen. Das Modell hat zunächst die
Aufgabe, die Forschung zu strukturieren und neue
Wege zur Medienverständnis zu schaffen.
Dank einer originären Sichtweise auf Kommunikations- und Produktionsprozesse entsteht eine solide analytische Grundlage für die Erfassung des
aktuellen Stands der Medienproduktion und für ihre
Optimierung.
Auch Vorhersagen sind auf der Basis des Modells
möglich. Da es sich um eine sehr junge wissenschaftliche Perspektive handelt, hat das Modell
eine weitere Aufgabe: Nur mit Hilfe eines breiteren
Diskurses sind Modifikationen, Ergänzungen bzw.
detaillierte Betrachtungsweisen der Medienproduktionsprozesse möglich. Die Zeitschrift Medienproduktion ist ein geeignetes Forum, um diese Diskussion zu eröffnen und zu führen.
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Literatur
[1] Krömker, H.; Klimsa, P. (Hrsg.). Handbuch Medienproduktion: Produktion von Film, Fernsehen, Hörfunk, Print, Internet, Mobilfunk und Musik. Wiesbaden. VS Verlag für
Sozialwissenschaften.
[2] Klimsa, Paul (2011). Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens: In: Issing, Ludwig J. /Klimsa, Paul (Hrsg.): Online-Lernen. Handbuch für Wissenschaft und Praxis. München. Oldenbourg Verlag.
[3] [4] Krömker, H.; Klimsa, P. (2005): Einführung. In: Krömker, H.; Klimsa, P. (Hrsg): Handbuch Medienproduktion: Produktion von Film, Fernsehen, Hörfunk, Print, Internet, Mobilfunk
und Musik. Wiesbaden. VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 19-21.
Klimsa, P. (2006): Produktionssteuerung - Grundlagen der Medienproduktion. In: Scholz, Christian (Hrsg.). Handbuch Medienmanagement. Heidelberg. Springer Verlag.
S. 601-618.
[5] Klosa, O. (2008): Sitcoms in Deutschland und den USA. Saarbrücken. VDM Verlag.
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