Didaktische Produktion und professionelle Medienarbeit

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Didaktische Produktion und professionelle Medienarbeit
Didaktische Produktion und professionelle Medienarbeit
Vom Workflow zum „Flow at Work“
von Hans-Ulrich Werner
Prof. Dr.
Hans-Ulrich Werner
1. Einführung
2. Didaktische Medienproduktion: Beispiele
Didaktische Produktion und professionelles
Handeln für Medien sind eng verwoben. Übungsarbeiten markieren wichtige Lernphasen in der
Ausbildung und Erfahrungsschritte für die Praxis.
„Learning from the Masters“ (so der Titel eines
amerikanischen Buches über Filmproduktion) hat
den Charakter von Werkstattausbildung, als Weitergabe des eigenen, manchmal nur impliziten Wissens aus konkreten Problemen und Produktionen.
Akademische Projekt- und Abschlussthemen entfalten mehr Raum für die eigenen Konzeptionen und
kreativen Themenwelten. Es entstehen phantasievolle Formate, die Grenzen überschreiten und trotzdem in ihrer selbst gewählten Komplexität auf professionelle Praxis vorbereiten. Dort dominieren festgelegte Produktionsmodelle, die routiniert und immer
auch als Unikat entstehen. Erfolgreiche Medienpraxis ist Ziel und Vorbild für Lernende, deren weiter
gefasster Horizont aber auch experimentelles Arbeiten und damit unerforschte Lösungen beinhaltet.
Im konkreten Handlungsfeld Medien und Informationswesen (M+I) an der Hochschule Offenburg
steht die Medienproduktion – von der Konzeption
bis zur Gestaltung – im Zentrum. In Labors und
AV-Studios, Projekten und Experimenten, Abschlussarbeiten und Forschungen werden praxisorientierte Lösungen erarbeitet und auch neue
Formate wie im Windkanal entworfen. Fachwissenschaften umgeben solche Workflows als Bezugssystem; Interdisziplinarität vernetzt sie als Medien
in der Bildung mit der PH Freiburg, ja als „Bildung
im Neuen Medium“, eine Perspektive, die wachsen
soll [4].
In der Lehre erweitern sich solche Pole zur Triade,
wie in der dicht entwickelten Mediendidaktik von
Kerres [1], der einem umfangreichen Leitfaden
folgt. Auch zum professionellen Handeln gehören
also die Reflexion über die Lernkonzepte selbst,
über Medienkonfigurationen, Expertenwissen und
E-Learning-Systeme. Dafür nimmt sich berufliche
Praxis oft zu wenig Zeit. In einer Masterstudie für
die Weiterbildungs-Universität Krems konnten wir
erkennen, dass in Studien der Mediengestaltung,
das Knowhow der (Vor)Produktion von Inhalten und
die Online-Qualität von E-Learning auseinander
driften. Das ist ein Hinweis darauf, auch Lernmedien
mehr in ihrer Ästhetik zu stärken und sie mit dem
vitalen Enthusiasmus professioneller Medienproduktion zu überformen [2]. In solcher Perspektive
fallen Lehr-und Lernprozesse und praktische Herstellung bewusster zusammen, bis zur „Interdisziplinarität als Grundlage des Online-Lernens“:
„Durch neue pragmatische Sichtweisen trägt die
Medienproduktion zur wissenschaftlichen Reflexion
von Produktionsaspekten des Online Lernens bei
und untersucht E-Learning-Produkte in der Medienproduktforschung“ [3].
Herstellungspraxis an einer Hochschule wie für die
Kreativindustrie ist aber selten von Theoremen geleitet, eher von Modellen verdichteter Erfahrung.
Medienproduktion ist konzentriert auf Ideen und
Themen, ihre Akteure und Werkzeuge, Produkte,
Abläufe und Strukturen. Technologie, Organisation
Ästhetik und Reflexion wirken zusammen, auch intermedial für die zunehmende Cross-Media-Praxis.
Diese umfasst ein Spektrum von Schrift, Bild und
Photographie hin zu zeitbasierten Formen in Film,
TV und Animation, sowie in audiovisueller Komposition und Medienkunst. Dabei ist der „Acoustic
Turn“ in der Medien- und Kulturwissenschaft noch
eher verhalten [4]. In den Synopsen der Workflows im „Handbuch Medienproduktion“ [5] lassen
sich Sound und Design aber mit Gewinn in einer
mittleren, vermittelnden Position sowohl eigene
Klangsprache verstehen, wie auch synergetisch
als Dienstleister zu allen anderen Medien, auch zu
jenen, die wir noch nicht kennen.
Dafür ist auch der theoretische Ausdruck Intermedialität behilflich, als anregender Schirmbegriff
der Kulturwissenschaft zwischen Gattungen und
Genres [6]: Im Längsschnitt, aus dem Medien
historisch entstehen und vergehen; im aktuellen
Querschnitt als reiche Fülle möglicher Formate
von der Photographie zu Virtualität und Simulation.
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Intermediales Gestalten wird dann zum doppelten
Prozess: In den Medien als Transfer der Gestaltungskraft von einer Schicht zur anderen und
als Zentrum von Produktions-, Lern- und systematischer Wissenskultur, die angewandt wie auch
anwendbar ist.
Medienbausteine und Einsatz
stehendes Kunstbild
Grafik
Schirft/Text
Typografie
reales Standbild
Ton, Klang, Sprache
Fotografie
Audio
j
j
(auditive/audiovisuelle Medien)
(+ interaktive Medien, Web, Multimedia)
Print und PDF
mobile Dienste
digitale Produktion
Computer/Netzwerke
„Jederzeit - Überallmedien“
Mobilkommunikation
bewegtes Realbild
Film, Video
zeitbasierte Medien
statische Medien (Print, z.T. Web)
Internet/Web, Intranet
bewegtes Kundtbild
Animation
Film, TV
auditive Medien
Podcast, Video-Podcast
Abb. 2: Interdependenzen und das Sensorama als
interaktive Installation [9]
Handy-TV
Abb. 1: Medienelemente und ihre Übergänge (nach Ralf Lankau,
Grafikwerkstatt Hochschule Offenburg 2012)
In einem Medienkunstbeispiel der Offenburger
Hochschule präsentierte 2007 das „ProjektionsAreal e.V.“ seine „Interdependenzen“. Zum Leitthema „Mensch und Raum“ wurden Exponate von
klassischer Malerei bis zur interaktiv-medial erfahrbaren Umwelt ausgestellt. Bekannt wurde das
audio-visuelle Künstlerkollektiv um Markus Joos
und Daniel Klotz mit Beiträgen zur Ausstellung
„CoolHunters“ (2005) am ZKM Karlsruhe. Das
Konzept von „Interdependenzen“ entwickelte daraus
ein breit gefächertes Netz medialer Möglichkeiten
aus Graffiti, Fotografie und Illugrafie bis zu experimentell-interaktiven Räumen. Die zentrale Komponente bildet das „Sensorama“, eine Rauminstallation auf auditiv-visueller Basis. Das Verhalten der
Besucher zueinander steuert die Atmosphäre und
die Projektionen mit acht Beamern und acht Tonkanälen. Die Wechselwirkungen werden durch die
Nutzer erfahrbar und können spielerisch variiert
werden. Störungen beim Eintritt in den Sinnes- und
Medienraum sind Chancen für ungekannte Permutationen und Möglichkeiten von Bildprojektoren,
vielfältigen Klangspuren und Hörweisen, von Zufällen in Bewegung und Begegnung. Medienkunst
als Hochschulprojekt macht dabei doppelt Sinn, um
den Workflow für Medien mit dem Bewusstsein für
das Werden der Mediensysteme insgesamt zu verbinden. Die Idee ist, dass wir in jeder Produktion
die Entwicklung von Mediensphären als Ganzes
abbilden und auch erleben, als Zusammenspiel von
Geräten, Verfahren und theoretischen Diskursen.
Im Motto des Mediologen und Kulturforschers
Frank Hartmann findet das so einen Ausdruck: „Mit
den Veränderungen der Praxis ändert sich auch die
Theorie, deren Aufgabe es ist, eine Problemsicht zu
entwerfen – nicht Antworten zu liefern, sondern die
richtigen Fragen zu finden [8].
3. Medienwissenschaft für die Praxis und umgekehrt
Medienforschung widmet sich konkreten Produktionsräumen nur wenig, obwohl sich in Studios
und an den Workstations die Medialität und Mentalität der Akteure besonders intensiv verkörpert.
Montage ist der zentrale Entstehungsprozess
der Medienwelt und wie Hörspielregisseur Detlev
Ihnken in seiner Dissertation schreibt, immer zugleich auch ein „Labor der Emotion“ [10]. Erst an
wenigen Universitäten und Hochschulen gibt es
dafür Angewandte Medienwissenschaften, wie
in Ilmenau oder an der ,ifs‘, der ,internationalen
filmschule‘ in Köln. In ästhetisch-künstlerischer
Dimension wirkt dort Gundolf Freyermuth auf die
Ausbildung der Regisseure, Drehbuchautoren und
Produzenten, mit intensiver Reflexivität des zukünftigen Medienfeldes [11]. Ganz anders entfaltet sich
Medientheorie in der Grundlagenforschung aus
Kultur- und Geisteswissenschaften. Dabei widmen
sich die Studien kaum den konkreten Produktionsmethoden, sondern komplex montierten Diskursanalysen und Wissenskonstruktionen. Empirische
Publizistik wiederum untersucht als Kommunikations- und Sozialwissenschaft besonders strukturelle Bedingungen in Mediensystem und Aussagenproduktion. Als Kommunikatorforschung hat sie hier
seit Maletzkes ,Psychologie der Massenkommunikation‘ [12] ihren Stellenwert gefunden. Seltener
sind dabei gestaltungsorientierte Arbeiten, wie
über die TV-Cutterinnen von Renate Holy [13] oder
zu den Musikjournalisten wie bei Günter Kleinen
[14]. Bruno Latour, mit seiner für die Medienwissenschaften einflussreichen Akteurs-NetzwerkTheorie [15] und seinem prägnanten Slogan „Follow
the actors“, bezieht sich daher oft und positiv auf
den amerikanischen Kunstsoziologen Howard
S. Becker, der selbst Musiker, Schriftsteller und
Photograph ist. Er hat in seinen „Art Worlds“ [16]
mediale und künstlerische Gestaltung als kooperativen und handwerklichen Prozess thematisiert.
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In seinem klassischen Text gelingt es ihm,
den Mythos von Kunstdeutung auf die Ebenen
von Werkzeugen und praktischem Handeln
zurückzuführen, weit vor das Genie und
die Wertschätzung durch öffentliche Kritik:
„Integrated professionals have the technical abilities, social skills and conceptual apparatus necessary to make it easy to make art“ [16].
Abb. 3: Howard S Becker am Jazzpiano, Praxis und
Reflexion seit mehr als 70 Jahren [16]
Auch im Bild der Mediologie [18] gerät die materielle, technische Basis der Medienarbeit besonders in den Blick. Sie wird ebenso wie das wachsende praxisbasierte Forschen in Design und
Kunst in ihrem Wert für eine Medienwissenschaft
unterschätzt, in der Forscher, Vermittler, Lernende
und Macher direkt am Ort der Herstellung kooperieren. Dort verbinden sich das Handeln, die Produkte sowie der (autoethnographische) Umgang
mit eigener Kompetenz und Erfahrung. Oft finden
sich solche Zugänge an Kunst- und Musik-Universitäten. Lernen und Lehren bilden dort eine experimentierende Ebene, um Werke und Formate unabhängig vom Markt zu entfalten und sich doch darauf
vorzubereiten [19]. Oder mit den Worten von Henk
Borgdorff, dem steten Beobachter der künstlerischen Forschung: „Künstlerische Praxis – sowohl
das Kunstobjekt als auch der kreative Prozess –
verkörpert eingebettetes, implizites Wissen, das mit
Hilfe von Experimenten und Interpretationen offenbart und artikuliert werden kann“ [20].
4. Fundierung der Medienproduktion
Die auf Produktion von Medien gerichteten Studiengänge in Deutschland und im Ausland suchen
nach Dialogen zwischen Theorie und Praxis
einer neuen Disziplin der Medienproduktion.
Die Publikation „Medienproduktion“ von Heidi
Krömker und Paul Klimsa [5] verringert Distanzen dazwischen als Marker einer interdisziplinären Produktionswissenschaft auf dem Wege.
Herausgeber und Fachautoren formulieren forschend-reflektiert und handlungserfahren zugleich.
Herstellungsalltag oft auf Pragmatik konzentriert,
wird vielfältiger und transparenter durch Kunstund Gestaltungslehre, Wirtschaftskunde und Jura,
Kommunikations- und Medienwissenschaft, Informations- und Medientechnik: „Da wir als Herausgeber des Handbuchs selbst interdisziplinär arbeiten, wissen wir, wie bedeutsam die Kooperation
zwischen jeweiligen wissenschaftlichen Disziplinen
im Feld der Medienforschung ist. Erst das Zusammenspiel von Technik, Organisation und Inhalt
schafft ein fruchtbares Feld für Innovationen“ [5].
Das Ilmenauer Modell wirkt aber auch wie eine
Widmung an die unermüdlichen Akteure in allen
Medien und an deren noch unterschätztes kreatives Potential im Transfer zwischen den Bereichen. Hier vermittelt die synoptische Terminologie
der Produktionsphasen ein Muster, das für Text,
Ton, Bild, Druck oder Web vergleichbar ist. Herstellung entfaltet sich in jedem Bereich ähnlich und
auch ganz eigen, fast wie ein Naturgesetz, von
Idee und Thema über Pre-Produktion, Produktion
und Postproduktion zu Distribution und ermöglichter Rezeption. Zentrale Rolle spielen dabei die
Elemente Content, Technik und Organisation. Die
Studierenden in Ilmenau haben daher das Model
als CTO-Modell benannt und wenden es auf selbst
entdeckte Fragestellungen an [21].
Komplementär fokussierte die Forschungsgruppe
um Nicola Döring die dem vorangehende Planung
und Entwurfsarbeit. Sie legt Grundlagen für eine
noch wenig thematisierte Wissenschaft von der
Konzeption [22]. Diese basiert auch auf frühen
Modellen, wie der „Wissenschaft des Künstlichen“,
durch den Kybernetiker Herbert Simon am MIT
formuliert, von Oskar Wiener übersetzt und kommentiert [23]. Beeindruckend ist das Modellieren
unterschiedlicher Felder, vom Architekten zum Ingenieur, von der Sozialwissenschaft zur Psychologie, und heute in Design und Bildung. Es wirken
die Kunst und Wissenschaft des Entwerfens im individuellen Akteur wie im Workflow als eine übergreifende Logik angelegt, die ganze Kulturen und
Gesellschaften prägen. Die oft implizite Tiefe des
praktischen Knowhow braucht aber auch Brücken
hin zu den Lernenden. Von Donald Schön stammt
der berühmte, nie breit genug eingelöste Slogan
vom „reflective practicioner“, der sein Erfahrungswissen mit expliziten Denkweisen in Labor, Studio,
Betrieb und Lehre verbindet [24]. Damit wächst
aber vielversprechend eine Praxis, die Reflexion
und Erkenntnis auf sich selbst anwendet, während
sie medial handelt, und umgekehrt in die konkreten
Arbeitsfelder die Wissenschaftler nicht nur einlädt
zum Beobachten, sondern zur Mitwirkung und zum
Gestalten [25].
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In ihrer vorbildlichen Dissertation führt das die
Schweizer Forschungsprofessorin und Designerin
Claudia Mareis als Analyse kreativer Praxis in Begegnung mit akademischer Wissenskultur fort [26].
Entwerfen und Entwickeln ist bei ihr nicht auf Produkte oder Prozesse festgelegt, sie macht sie als
universelle Strategien erkennbar. Sie vergleicht
jetzt als Habilitationsarbeit noch tiefer Methoden
und Formen von Kreativität, als gestalterische
wie wissenschaftliche Erkenntnis. Mit ihren Kolleginnen Gesche Joost und Kora Kimpel hat Claudia
Mareis auch den Sammelband einer neuen Designforschung herausgegeben. Im Titel vom „Entwerfen –
Wissen – Produzieren“ [27] ergibt sich leicht der
Anschluss an künstlerisch-wissenschaftliches
Forschen, bis zur Promotion. Damit ermutigt die
Deutsche Gesellschaft für Designforschung und
Designtheorie kommende Generationen zum
doppelten Blick. So wächst vielversprechend eine
Praxis, die Reflexion und Erkenntnis auf sich selbst
anwendet, während sie medial handelt, und in die
konkreten Arbeitsfelder auch forschend hineinwirkt.
Oder mit Graeme Sullivan, dem einflussreichen
Protagonisten der auch bei uns erst entstehenden
Artistic Research, die sich auf Medienproduzenten
anwenden lässt: „The image of the artist as creator,
critic, theorist, teacher, activist, and archivist partly
capture the range of art practice today“ [19].
5. Kreativität als Katalysator von Medienarbeit
Zusammengehalten werden solche Aktivitäten und
Akteure von der Kreativität als zentrale psychische Energie [28]. Nicht das Produkt allein oder
die wissenschaftliche Innovation sind dabei das
Ziel, sondern die Wege selbst als tiefe Erfahrung
des eigenen Potentials – mit autotelischer Qualität, wie es der Pionier der Flowforschung, Mihaly
Csikszentmihalyi, nennt. In vielen Kulturen hat der
Forscher schöpferische Prozesse untersucht und
sie nicht nur bei Künstlern und Wissenschaftlern,
sondern ebenso bei Bauern, Chirurgen, Bergsteigern oder Arbeitern gefunden. Auch für ihn ist
das Glück des Lebens und der Arbeit kein festes
Ziel, sondern eine Reise, so der fröhliche Gelehrte
aus Kalifornien. Ein Leben lang schon erforscht der
aus Ungarn stammende Psychologe sein Thema
mit Variationen. Entspannung und Hingabe machen
für ihn FLOW aus [29], [30].
‚Flow‘ bedeutet die Balance aus eigenen Stärken
und intrinisischer Motivation. Unterfordern führt in
Langeweile, Überlastung in ungesunden Stress,
so Csikszentmihalyi, und er betont, wie wichtig das
Design schöpferischer Umgebungen dafür sind.
Statt Potential zu vergeuden, wird durch Flow
(nach Bourdieu) „psychisches Kapital aufgebaut,
wenn die investierte Aufmerksamkeit sich in einem
komplexeren Bewußtsein niederschlägt – in verfeinerten Fähigkeiten, in einem tieferen Verständnis
für ein bestimmtes Thema, in einer intensiveren
Beziehung“ [28].
Inzwischen ist ‚Flow‘ sogar Kern einer neuen Disziplin amerikanischer und internationaler Forschung
geworden: Als die auch in Europa gut aufgenommene „Positive Psychologie“ untersucht sie nicht
Störungen und negative Faktoren des Bewusstseins, sondern fördernde Momente entlang der
ganzen Lebensspanne [31]. Gerade für Lernprozesse und kreative Produktion in und für Medien
sind solche eigenaktiven Momente sehr wichtig,
Arbeitskulturen aber oft zu strukturell geprägt,
bürokratisch und abstrakt. Sie verschenken intrinsische Motivation und die Chance für offenere,
auch erfolgreichere Organisationen. Damit ergeben
sich für die Arbeitswelt neue Erwartungen danach,
dass Organisationen FLOW-Dimensionen bewusst
gestalten, integrieren und Wirkungsfelder entfalten,
die dem individuellen Tun mehr Raum geben.
6. Mediale und didaktische Produktion im Dialog
Im abschließenden Beispiel wird dies am Medieneinsatz in der Bildung reflektiert. Seit 2011 hat unser
gleichnamiger Partnerstudiengang mit der PH Freiburg begonnen, um didaktische Potentiale aller
Medien zu erproben, aber nicht nur im E-Learning,
genauso im Dokumentarfilm oder in der Radioarbeit. In Offenburg ist das Radiomachen intensiver
Teil des Curriculums, freiwillige Aktivität von Studierenden sowie Element von Öffentlichkeitsarbeit und
schulischer Medienpädagogik. Noch wenig ausgeprägt ist diese Medialität in und für die Wissenschaften selbst. In einem Pilotprojekt geht es um
radiophone, audiovisuelle und trimediale Nutzung
für alle Disziplinen und Felder der Hochschule. Ein
fachliches Thema erhält also didaktische, institutionelle, journalistische und inhaltliche Umsetzungen,
die von einer gestalterischen bis hin zu einer künstlerischen Kompetenz vertieft werden können.
Mediale Kreativität bewirkt dabei beides: Sie ist
Dienstleister und Impulsgeber, aber auch beteiligt an der „Fabrikation von Erkenntnis“, wie es die
Soziologie für wissenschaftliche Labore beschreibt
und auf Medien übertragbar macht [32].
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Didaktische
Umsetzung
Institutionelle
Umsetzung
Journalistische
Umsetzung
Produktion von
Produktion von
Produktion von Beiträgen
wissenschaftlichen
Imagefilm, Werbespot,
für den Einsatz in der
Beiträgen über die
oder weitere PR-Beiträge
Lehre in den
Themen der Hochschule
für die Website
Fakultäten/als Beispiel
für das Fachpublikum,
der Fakultäten,
für Medien in der
z.B. für eine
der Hochschule, für
Bildung/oder für die
wissenschaftliche
Werbekampagnen usw.
Schulen. Beispiel:
Nachrichtensendung
Audiovisuelle Tutorials,
oder für die Website
Lernmaterial usw.
einer wissenschaftlichen
Publikation.
Einsatz:
Lehre in den
Fachbereichen/
„Medien in der
Bildung“/Schulen
Einsatz:
Marketing/
Öffentlichkeit
Einsatz:
Massenmedien/
Fachpublikum/OHR
Wissenschaftliche
Umsetzung
Beobachtung und
Dokumentation des
Projekts anhand
qualitativer Methoden
für die Publikation eines
gemeinsamen Artikels
über den Prozess.
Studenten publizieren
gemeinsam mit allen
Akteuren des Prozesses.
„Forschendes Lernen“
Einsatz:
Akademie
Abb. 4: Mehrdimensionales Modell für das Campusradio Offenburg [7]
Für kommende Semester wird ein Wahlfach „WissensMedien – Vom Radio zur Trimedialität“ angeboten, das vom Hochschulradio organisiert und
unterstützt wird. Produktionen der Studierenden
werden für die Lehre nutzbar. Sie sind auch gedacht
für Öffentlichkeitsarbeit, die Didaktik einzelner
Fächer und für laufende Sendungen, gemeinsam
mit dem PH-Radio in Freiburg und dem regionalen
Radio OHR im Programm. Sowohl für die TeilnehmerInnen im Projekt wie für alle Studierenden
und Lehrenden an der Hochschule wird parallel
zu den redaktionellen Prozessen und Erfahrungen
eine ,Wissenslandschaft über die Wissensmedien‘
aufgebaut, gemeinsam mit dem Informations- und
E-Learningzentrum. Die Entwicklung des Themas
im Hochschulalltag ist ein fließender Übergang
von der oft nur persönlichen Themenauswahl der
Studierenden zu neuen redaktionellen Schwerpunkten: Es geht künftig darum, Wissensthemen
aufzubereiten und sich an neue, anfangs schwerverständliche Gebiete zu wagen. Gleichzeitig
erweitert sich potentiell der Kreis der Medienmacher: Berichterstatter und Erzähler aus allen
Wissensgebieten können sich das praktische Knowhow in offenen Kursen erarbeiten und im Team mit
Medienstudierenden gestalten. Unterschätzt wird
in bisherigen Beiträgen oft die Möglichkeit, die
eigenen Gestaltungsmittel zu erweitern, statt sie
an gängigen Formaten privater oder kommerziell
orientierter Sender auszurichten.
Gerade von Studierenden aus dem mediendidaktisch fachlichen Master ,Medien in der Bildung‘, wie
in den benachbarten Masterprogrammen mit Überschneidungen zur didaktischen Medienproduktion
ist ein doppelter Blick und Zugang denkbar, durch
vorbildliche Produktionsmuster und deren gleichzeitiger Reflexion: Eine „transdisziplinäre Offenheit“ nicht nur für die Bezugswissenschaften, die
um die zentrale Medienproduktion gruppiert sind,
sondern auch mit Leerstellen für Neues in der Forschung, in der Produktion und immer wieder auch
dazwischen: „Am Ende entsteht kein Produkt nur
nach den ursprünglichen inhaltlichen Intentionen
des Autors, sondern ein Produkt, das entsprechend
dem Produktionsprozess modifiziert ist. Diese
organisatorische Modifikation auf verschiedenen
Stufen des Produktionsprozesses kann (muss aber
nicht) den Contentproduzenten bewusst sein. In
der Produktionspraxis wird sie genauso oft in allen
ihren Implikationen unterschätzt, wie später auch in
der wissenschaftlichen Reflexion“ [3].
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