Teddybären tun der Seele gut

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Teddybären tun der Seele gut
Teddybären tun der Seele gut
Hedwig Schaffer
Der Teddybär aus der Fabrik ist ein klassisches Spielzeug: Er wird nie aus dem
Kinderzimmer verschwinden. Sein berühmter Vetter, der Künstler- oder Designerbär, ist dagegen ein beliebtes Sammelobjekt. In Amerika, England und Deutschland
gibt es seit Jahrzehnten Teddybären-Sammler-Szenen. In den letzten Jahren hat
Beatrice Schweizer, Inhaberin des Bea’s Teddy Bears Shops in Port, in unserem
Land eine solche Szene geschaffen. Die Grafik-Designerin Brigitte Gadient aus
Worben ihrerseits ist Europameisterin der Teddybärmacher in der Kategorie Minibären und verkauft ihre Boten aus einer heilen Welt.
Für immer mehr Sammlerinnen und Sammler von kuscheligen Kunstbären ist
Beatrice Schweizer schlicht «die Bärenmama der Schweiz.» Einen treffenderen
Kosenamen gibt es für die mütterlich wirkende, fröhliche Frau nicht: Sie hat sich dem
Bären-Business aus Liebe zu den putzigen Kerlchen verschrieben. Natürlich muss
auch bei ihr die Kasse stimmen – doch es geht ihr nicht primär um den Verdienst. Das
sieht man auf den ersten Blick, wenn sie in ihrem Porter Laden einen Kunstbären auf
die Arme nimmt und zärtlich streichelt, als wäre er ein lebendiges Baby.
Lore, Lyse und Fryde, die Stars am Weinbärenfest in Schafis – geschaffen von der Bärenmama
Beatrice Schweizer aus Port.
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«Teddybären tun der Seele gut», erklärt Beatrice Schweizer. Sie habe dies im Gespräch mit sehr vielen Menschen erfahren: Selbst die Todkranken im Zürcher Light
House fühlten sich in Gesellschaft eines Teddys besser. Und an einem Heiligen
Abend habe ihr eine Frau in letzter Minute einen Bären als Begleiter abgekauft,
weil sie kurzfristig in ein Spital eintreten und sich operieren lassen musste. Dass
diese Plüschtierchen Seelentröster seien, wisse auch der Warenhauskönig François
Loeb – er habe sämtliche Berner Ambulanz-Fahrzeuge gratis mit einem «Bäremani» ausgestattet.
Ein Freund fürs Leben
Dass Stoffbärchen offenbar seelische Schmerzen lindern, hat sicher mit Eindrücken
und Erlebnissen in frühester Kindheit zu tun: Das Kleinkind baut Beziehungen zur
Dingwelt auf – das Bild vom Bärchen im Bettchen nimmt es, vielleicht unbewusst,
in sein Erwachsenenleben mit. Und so ist es denn kaum erstaunlich, wenn eine
junge, von Liebeskummer gequälte Frau den Spielzeugbären aus der Mottenkiste
ausgräbt und zu sich ins Bett holt. «Der Bär begleitet uns ein Leben lang – zuerst
ist er im Kinderzimmer, dann vielleicht im Keller, dann im Spielzimmer unserer
Kinder, dann im Estrich und schliesslich auf dem Sofa, wenn uns ein Grosskind besucht», überlegt die Kunstbären-Händlerin.
Eine wunderschöne Geschichte ist die Geburt des Teddybären. Als Amerikas
Präsident Theodore Roosevelt 1902 in den Südstaaten (wo er Grenzstreitigkeiten
zwischen Louisiana und Mississippi zu schlichten hatte) erfolglos auf Bärenjagd
war, banden seine Begleiter einen jungen, schwarzen Bären an einen Baum, damit
der prominente Jäger doch noch eine Beute machen konnte. Doch Roosevelt hatte
absolut nicht das Herz, einen drolligen, wehrlosen Baby-Bären abzuknallen. Tags
darauf stand die Story in der «Washington Post». Danach fragte ein Spielzeugfabrikant den Präsidenten an, ob er seine Plüschbären von nun an nach ihm nennen
dürfe. Alle Welt nannte Theodore Roosevelt nämlich Teddy. Und so wurde denn
auch der Teddybär weltberühmt.
Ein Baum voller Minibären
Doch wie ist Beatrice Schweizer – Mutter von zwei erwachsenen Töchtern – auf
den Bären gekommen? Sie hat in ihrem bisherigen Leben bereits die verschiedensten Jobs ausgeübt: Sie war Verkäuferin, Boutique-Inhaberin, Leiterin eines Modecenters und Dekorateurin. Vor etwa 15 Jahren beteiligte sie sich an einem Schaufensterwettbewerb und schmückte in einem Zürcher Modegeschäft einen Christbaum mit lauter kleinen Fabrikbärchen, die sie selber eingekleidet und dekoriert
hatte. Für dieses Sujet erhielt sie den ersten Preis, und nach Weihnachten gingen
die Bärchen als Broschen wie frische Semmeln weg. Damals realisierte sie zum
ersten Mal in ihrem Leben, dass Bären dem Menschen viel bedeuten.
Vor ungefähr zehn Jahren lernte Beatrice Schweizer den Fotografen Peter Zoeffel,
ihren heutigen Lebenspartner kennen. Gemeinsam mit ihm gestaltete sie 1993
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eine Teddybären-Glückwunschkarten-Kollektion. Anfänglich kamen 40 Sujets zustande – heute sind es bereits 73 Szenen – insgesamt 80 verschiedene Karten sind
das Ziel des Teams. Die Karten zeigen eine vierköpfige Bärenfamilie in allen
Lebenslagen. Die Fabrikbären wurden für den Fototermin jeweils zur Szene
passend eingekleidet und in der entsprechenden Kulisse fotografiert – sei es beim
Picknick am Meeresstrand, unter dem Regenschirm oder irgendwo. Die Karten gelangen in Boutiquen und Papeterien zum Wiederverkauf.
Eine Schweizer Szene
Beatrice Schweizers nächster Gedanke war, in der Schweiz eine KunstbärenSammler-Szene aufzuziehen, wie es eine solche schon seit langem in Amerika,
England und Deutschland gibt. Denn auch in der Schweiz gab es bereits Sammlerinnen und Sammler. Und auch das Sammeln hat eine Vorgeschichte: Während der
beiden Weltkriege wurden in den Spielzeugfabriken anstelle von Spielzeug Waffen
hergestellt. Zum Teil fehlte es auch am nötigen Material. Deshalb machten sich zunächst Bastler und Bastlerinnen und später Künstlerinnen und Künstler ans Werk.
Und wo Kunstwerke entstehen, gibt es automatisch Sammler.
Beatrice Schweizer begann nun, Schöpfungen von Künstlern mit internationalen
Auszeichnungen zu kaufen. Inzwischen führt sie stets zwischen 300 und 400 Bären
von 60 bis 70 professionellen Bärenmacherinnen und -machern am Lager. Ihr grösster Stolz sind die Atlantic Bears aus Schottland – in Material und Machart perfekte
Geschöpfe. Nun galt es, der Szene eine Plattform zu verschaffen. Die Schweizer
Bärenmama entschloss sich, regelmässig Ausstellungen durchzuführen.
Begegnungsorte zum Träumen
Für Bea stand fest: Mit ihren Happenings wollte sie der Besucherschaft Begegnungen in Traumwelten bieten. Deshalb scheute sie keine Kosten und mietete für ihre
erste Ausstellung im Berner Nobelhotel Schweizerhof den Empire-Saal. Seither
führt sie im Salon Français des gleichen Hotels jeweils im März und Ende November eine Bärenshow durch, an der sie ihr gesamtes Edelsortiment präsentiert.
Jedes Mal sind zwei oder drei bekannte Künstlerinnen oder Künstler persönlich
zu Gast. Und es stellen sich gegen 1000 Sammler und Schnuppperbesucher ein.
Der Eintritt ist gratis – die Ausstellung hat mittlerweile international einen guten
Ruf.
Jeweils im September steigt zudem in Schafis ein Bärenweinfest. Anlässlich dieser
Ausstellung verkauft Werner Andrey & fils SA einen Bärenwein mit spezieller
Bärenetikette, und es gelangen die Kunstbären Lore, Lyse und Fryde zum Verkauf –
drei Schöpfungen, die Bea’s Bear Shop exklusiv führt und deren Namen in Andreys
Weinkeller auf Eichenfässern verewigt sind. «An allen unseren Ausstellungen
herrscht eine schöne Stimmung – das Publikum ist glücklich – in Schafis wird nicht
ein Gläschen Wein zuviel getrunken», freut sich die Organisatorin.
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Ein verführerisches Magazin
Bea’s Kunstbären sind entweder Unikate (Einzelstücke) oder Limitationen (in ganz
kleiner Zahl hergestellte Exemplare). Wer einen Bären kauft, erhält einen Steckbrief mitgeliefert. Darin sind die Herstellerin oder der Hersteller, die von ihnen gewonnenen Auszeichnungen, das «Geburtsjahr» und der Taufname des Teddys
sowie die verwendeten Materialien und die Grösse vermerkt. Weiter steht darin, ob
der Bär Glas-, Leder- oder Schuhknopfaugen hat. Jeder Bär wird fotografiert, und
das Foto wird mitsamt einer Steckbriefkopie archiviert. Würde ein Bär – zum Beispiel bei einem Brand – zerstört, könnte er haargenau nachgemacht werden.
Dreimal jährlich erscheint ein Magazin mit dem Titel «Bea’s Teddy News». Darin
berichtet die Herausgeberin über die jüngsten Aktivitäten und stellt die neu bei ihr
eingetroffenen Lieblinge vor. Ein buntes Bilderpuzzle lädt die Empfänger zum
Betrachten ein. The Harvey’s, Vicky, Timmy und Benjamin – James, Howard und
Rosanne sowie viele weitere nackte oder bekleidete Teddys stellen sich hier den
zukünftigen Adoptionseltern vor. Wer sie ausserhalb der Ausstellungen persönlich
kennen lernen möchte, muss seinen Besuch bei der Bärenmutter vorher ankündigen. Denn Bea’s Teddy Shop ist kein gewöhnlicher, zu den Geschäftszeiten geöffneter Laden, sondern, wie die Geschäftsführerin betont, ein Lokal, in dem die
Bärchen wohnen.
Eine ungewöhnliche Weltreise
So herzig die Stofftierchen aus feinstem Mohair auch aussehen – sie sind zu wenig
robust und zu kostbar, als dass man sie Kleinkinderhänden anvertrauen sollte. Ein
paar von ihnen werden sogar zu einer Art Kultobjekt hochstilisiert. Ein Beispiel:
Beatrice Schweizer hat den Bären Peterli auf eine von ihr persönlich organisierte
Reise rund um die Welt geschickt. In die Ferien reisende «Babysitter» haben den
Teddy mit dem golden schimmernden Fell ein Wegstück mitgenommen. Flight
Attentands haben ihn im Flugzeug wie ein allein reisendes Kind betreut. Wo es
keine andere Lösung gab, hat die Post Peterli zum nächsten Bestimmungsort befördert.
Überall, wo Peterli auf seiner 120 000 Kilometer langen Reise hingekommen ist,
haben ihn Gasteltern fotografiert und Notizen von den ihm gebotenen Erlebnissen
gemacht. Unversehrt und ohne Strapazenspuren, ist der Weltenbummler schliesslich nach Hause zurückgekehrt – das Jäckchen vollgespickt mit Pins. Sämtliche
Fotos und Notizen wurden in Port zu Tagebüchern zusammengestellt.
An einer Auktion anlässlich der Weihnachtsausstellung von 1997 im Schweizerhof,
hat ihn eine Sammlerin für 3250 Franken gekauft. Beatrice Schweizer hat diesen
Erlös dem einem Schwesternorden gehörenden Antoniushaus Solothurn, einem
Zufluchtsort für in Not geratene Frauen und Kinder, geschenkt. Etwas später hat
die Sammlerin den ersteigerten Peterli mitsamt allen Reiseberichten den Schwestern geschenkt. «Peterli wird in Solothurn uralt werden», prophezeit Bea Schweizer.
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Teddys sind die liebsten Tröster
Die Grafik-Designerin Brigitte Gadient aus Worben ist Europameisterin der Teddybärenmacher in der Kategorie Minibären. Mit einem Grafiker verheiratet, hat die
Mutter von zwei Buben bereits mehr als 200 Bärchen kreiert. Sie näht die Kerlchen
von Hand aus feinstem Mohair, füllt sie mit Stoffwattegranulat und verkauft sie als
Boten aus einer heilen Welt.
Von ihrem Liebling, dem Prinzen Tamino aus Mozarts Zauberflöte, würde sich Brigitte Gadient
nie trennen.
Basteln lag der heute 38jährigen Worberin von frühester Kindheit an im Blut. Aus
Materialien aller Art zauberte sie die unterschiedlichsten Miniaturen – vom Bildwinzling bis zu Gegenständen für die Puppenstube. Längst erwachsen, verliebte sie
sich eines Tages an einer Ausstellung in eine künstlerisch gestaltete Bären-Bande.
Vom Bärenvirus angesteckt, brachte sie vor gut zwei Jahren ihre ersten Bärenkinder
zur Welt. Von Anfang an fertigte sie die Schnittmuster selber an, experimentierte
mit Materialien und Gelenkmechanismen und kreierte die niedlichsten Accessoires.
Ein erstes Erfolgserlebnis liess nicht lange auf sich warten: Im Herbst 1997 nahm
Brigitte Gadient mit zwei Kreationen an der Europameisterschaft in Essen teil. Die
Fachjury zeichnete ihre Schöpfungen mit zwei ersten Preisen in der Kategorie
Miniaturbären bekleidet und unbekleidet aus. «Die Preisrichter müssen gefühlt
haben, dass ich in jeden meiner Bären Erlebtes einfliessen lasse», erklärt sie sich
die Auszeichnung. Die prämierten Wuscheltierchen stellen ihren viel zu früh verstorbenen Grossvater und sie, als trauerndes Kleinkind dar. Der grossväterliche
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Minibär hat ein Köfferchen dabei. Das Köfferchen zeigt Opas grosse Reise ins Jenseits an.
Ein Bubenspielzeug
«An meinen Grossvater denke ich auch heute noch oft. Als ich die Abschiedszene
gestaltete, konnte ich einen Teil des Verlustschmerzes verarbeiten, der mich seit
meiner Kindheit begleitet hat», gesteht die Künstlerin. Jedes Kerlchen, das in ihrem
gepflegten Atelier entsteht, ist ein Unikat. Jedes von ihnen drückt mit seinem Gesichtsausdruck, seiner Haltung und seinen Accessoires einen Teil der mit ihm verwobenen Geschichte aus. Und jedes zeugt von der Liebe zum Detail der begabten
Gestalterin.
Jeder Winzling erhält eine Urkunde mit Namen und Geburtsdatum. «Geboren ist
ein Teddy, wenn er fertig gestopft mit angenähtem Köpfchen auf meiner Handfläche sitzt,» erklärt die Grafikerin. Bis ein wenige Zentimeter messendes Geschöpf zu ihrer Zufriedenheit vollendet ist, investiert sie sechs bis acht Arbeitsstunden. Nach dem Erfolg in Essen hat sie sich vorgenommen, jährlich an sechs bis
neun internationalen Messen mit je 30 bis 40 Teddys teilzunehmen.
Wöchentlich entstehen sechs bis acht neue Kreatürchen. An den in der Schweiz wie
im Ausland stattfindenden Messen gehen die Neuschöpfungen jeweils wie frische
Semmeln weg. Nicht allein Sammlerinnen, sondern auch Sammler kaufen Künstlerbären. Brigitte Gadient erstaunt das nicht: «Der Teddy ist eigentlich ein Bubenspielzeug – die Mädchen ziehen eher Puppen vor.»
Der König der Stofftiere
Nicht immer kann sich die Bärenmacherin leichten Herzens von ihren drolligen
Kreationen trennen. Da ist zum Beispiel der Winzling Prinz Tamino – ein gekröntes Figürchen aus Mozarts Zauberflöte. «Ihn kann ich unmöglich loslassen – ich
habe viel zuviele Familiengefühle in ihn investiert», erklärt sie. Und dann überlegt
sie: «Es ist etwas Mystisches am Teddy. Nicht nur am Künstler-Teddy, sondern
auch am billigen Manufakturbären. Der Teddy ist ein Medium – er schlägt Brücken
zwischen den Menschen.» Dies erfährt sie auch im Kontakt mit den Kunden. Sie
melden ihr manchmal brieflich, wie es dem von ihr abgekauften Bäri geht.
Der Teddy schafft Traumwelten – der Teddy ist ein Tröster. Ein Plüschbär war der
ständige Reisebegleiter der berühmten Schriftstellerin Virginia Woolf. Im Porsche,
mit dem James Deans tödlich verunfallte, sass ein schäbiger, alter Teddybär. Der
Bär ist der König der Stofftiere. Weltweit gibt es rund 200 Millionen TeddybärenLiebhaber. Dieses Kuscheltier wird zur Persönlichkeit, die wir in unserer Gedankenwelt aus ihm machen. Irgendwie ist der Bäremani der bessere Mensch. Das
Bären-Business boomt seit Mitte der Achtzigerjahre. Im Londoner Auktionshaus
Sotheby’s und bei Christie’s werden regelmässig Designerbären versteigert. Ein
Bär der deutschen Manufaktur Steiff aus dem Jahr 1904 ging für umgerechnet
26 500 Franken weg.
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