Andreas Rohland

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Andreas Rohland
Andreas Rohland
1. Rundbrief
BVS, Habitat for Humanity, Lancaster
–„live simple so that others can simply live“
Mein Eirenekurs
Liebe Familie, Freunde, Bekannte und last but not least, lieber Unterstützerkreis,
ich bin ca. 6 Wochen nach meinem offiziellen Dienstbeginn, endlich in meinem Projekt
angekommen, in dem ich jetzt für ein Jahr arbeiten werde.
Ich möchte zuerst nochmal den doch recht langen Weg reflektieren der mich hierhin
geführt hat. Ich leiste offiziell einen „Anderen Dienst im Ausland“ ab, als Ersatz für
meinen Zivildienst. Die Idee meinen Zivi nicht in Bayreuth abzuleisten, kam mir schon
vor ca. 1,5 Jahren, als die ersten Gespräche über die Zukunft nach der Schule
aufkamen und quasi alle meine Freunde ankündigten aus Bayreuth zu verschwinden
zum Studium o.ä. Ich wurde als einer der „wenigen“ Jungs (Gerechtigkeit bei der
Musterung? Ein Märchen) aus meinem Jahrgang für wehrtauglich befunden und musste
mir also Gedanken über den Zivi machen, Bundeswehr kam für mich gar nicht in Frage.
Woher genau ich von der Möglichkeit erfahren habe meinen Dienst auch im Ausland
abzuleisten weiß ich gar nicht mehr, aber ich wusste das mein Vater einen anderen
Dienst in Niger geleistet hatte, wenn auch erst nach dem Studium. Ich habe mich also
schon im Herbst 2009 informiert, welche Möglichkeiten für einen Dienst im Ausland es
gibt und bin dabei auf das Freiwilligenprogramm von Eirene gestoßen. Eirene ist eine
christliche Friedensorganisation, welche Fachkräfte und Freiwillige in Projekte in vielen
Ländern entsendet. Ich kannte Eirene schon lange, da mein Vater immer wieder für
Eirene als Fachkraft im Einsatz war. Ich habe mich nach einem Infoseminar, das mich
von Eirene überzeugt hat, dort für einen Friedensdienst in Amerika beworben.
Mein Dienst begann dann offiziell am 1.9.2010 und inoffiziell am 5.9. mit dem
Ausreisekurs in der Geschäftsstelle von Eirene in Neuwied. Unser Kurs bestand aus 22
Leuten, von denen 2 einen Dienst als Ältere leisten wollen und der Rest genau wie ich
gerade das Abitur bestanden hatte. Nach einer Woche in Neuwied haben wir das
Quartier gewechselt und waren danach in der Bannmühle in Odernheim untergebracht.
Die Bannmühle ist eine „Kommune“ ehemaliger Eirenis, in der ich als Kind auch schon
öfters mit meinem Vater war, was ich aber erst bemerkte als mir das Gebäude auf den
ersten Blick bekannt vorkam. Wir haben auf unserem Kurs viel gelernt, viel schöne Zeit
verbracht und wenig geschlafen. Unsere Gruppe war unheimlich musikalisch, es kam zu
vielen spontanen Jam-Sessions und wir hatten insgesamt ein wunderbares
Gruppengefühl aufgebaut in den 2 Wochen. Doch dann hieß es schon wieder Abschied
nehmen, denn unsere Gruppe verteilte sich auf verschiedenste Projekte in Frankreich,
Downtown Portland
Belgien, Kanada und natürlich die USA. Manche reisten direkt oder nach nur 1-2 Tagen
in ihr Projekt, ich konnte aber zum Glück noch 6 Tage zuhause verbringen bevor meine
Ausreise anstand.
In meiner letzten Woche in Deutschland habe ich versucht mich von so vielen Leuten
wie möglich zu verabschieden, was leider nicht ganz geklappt hat. Dann standen noch
letzte Erledigungen an, Koffer packen war angesagt und dann ging es los. Auf dem Weg
zum Flughafen habe ich noch eine Freundin besucht, bei der ich netterweise
übernachten konnte, was es mir eine sehr frühe Abfahrt zum Flughafen erspart hat.
Geflogen bin ich mit US-Airways von Frankfurt über Philadelphia nach Portland. Beide
Flüge verliefen problemlos, ich habe ein paar Filme geschaut und viel geschlafen. Die
letzte Hürde war dann noch die Einwanderungsbehörde der USA, bei der die Länge
meines Aufenthalts festgelegt wurde. Ich konnte die Beamten überzeugen das mit
meinem Visum auch 12 Monate Aufenthalt möglich sind, und nach einem kurzen
Gespräch, welches ich mir viel schlimmer vorgestellt hatte, wurden mir auch 12 Monate
zugestanden. Euphorisiert davon konnte ich mich direkt in die elend lange
Warteschlange zum Weiterflug einreihen. Ich war leider ein wenig falsch gekleidet, für
das mit 32 Grad sommerlich warme Philly, aber jedes Gramm am Körper wurde im
Koffer gespart.
In Portland angekommen habe ich meinen Koffer eingesammelt und auf Thorsten
gewartet, einen Eirene-Freiwilligen der eine Stunde nach mir ankam. Wir sind dann
gemeinsam mit S-Bahn und Bus zu einem Hostel gefahren in dem er uns eine
Übernachtung gebucht hatte. Vom Jetlag beeinträchtigt wollten wir nur noch schnell
etwas Essen und dann schlafen, aber ersteres stellte sich als schwieriger heraus als wir
dachten. Entgegen aller Erwartungen kann man nicht überall in Amerika nach
Mitternacht noch problemlos etwas zu essen bekommen. Am nächsten Morgen sind wir
dann noch schnell nach Downtown Portland gefahren, haben uns dort ein wenig
umgesehen und sind dann zum Flughafen zurück, wo wir mittags von der BVS-Crew
abgeholt wurden. Dann ging es auf eine Ereignislose 5-Stunden-Fahrt zum Camp
Myrtlewood, bei Myrtle Point.
Unsere 3 wöchige Orientation, fand zuerst für 2 Wochen in diesem Camp und danach
noch eine Woche in 2 Kirchen in Portland statt. Im Camp hatten wir 2 wirklich Super
Wochen, mit schön warmen Wetter und richtig faszinierender Natur. Das Camp liegt
abseits der Zivilisation, ohne Internet und Handyempfang, weswegen ich mich, auch
zum Ärger mancher zuhause, kaum melden konnte.
Da das Camp direkt im Wald liegt, war ich oft in der Natur unterwegs, und wir haben
auch eine Menge über den Wald und die Waldwirtschaft in der Region gelernt. Die
Bewohner des Camps sind Vorreiter in Sachen Umweltschutz und Naturerhaltung in der
Region. In den 3 Wochen der Orientation war das größte Thema der Project-Placement
Prozess. Wir hatten Gelegenheit uns Informationen zu allen Projekten anzuschauen und
mussten dann eine Liste mit 3 Wunschprojekten erstellen. Dann wurde versucht jedem
Freiwilligen seine Wunschstelle zu vermitteln. Dies hat auch bei fast allen wunderbar
funktioniert, meine Stelle war natürlich das letzte Projekt das seine Zusage gab. Sonst
haben wir auf der Orientation noch viele andere Einheiten gehabt, viele ähnlich zu
denen auf dem Eirene-Ausreisekurs, aber auch einige neue und sehr lehrreiche. Uns
wurde auch das Prinzip von BVS –„live simple so that others can simply live“
nähergebracht. Zum Teil in Form von unseren „Foodgroups“, aus 4 Leuten bestehend
die jeweils abwechselnd 1 Mahlzeit vorbereiteten. Dabei war aber unser Budget
begrenzt auf 2,25$ pro Person pro Tag, genug zu kochen damit am Ende jeder
zufrieden war, war eine Herausforderung aber auch jede Menge Spaß. Einige Tage
unserer Orientation waren sogenannte Workdays, bei denen es darum ging anderen
Leuten zu helfen. Dies taten wir entweder in verschiedenen Projekten, Camp
Myrtlewood oder zuletzt auch als besondere Einheit in Portland, indem wir als Gruppe
ausgesetzt wurden mit der Aufgabe wildfremden Menschen Hilfe anzubieten. Am Ende
dieser 3 Wochen hatte ich wieder sehr viele nette Leute kennengelernt und Freunde
gefunden und der Abschied war wieder unangenehm.
Von Portland aus ging es für mich dann über Houston nach Philadelphia, wo ich von
meinem neuen Mitbewohner vom Flughafen abgeholt wurde. Nach 1,5 Stunden Fahrt
waren wir dann in Lancaster, an meinem neuen Zuhause angekommen. Zum Glück
musste ich am nächsten Tag noch nicht direkt zur Arbeit, und konnte erst einmal
entspannt meinen Jet-Lag wegstecken. Die ersten 3 Tage war ich damit beschäftigt mir
die Stadt anzuschauen, Michael, mein Mitbewohner hat sich zum Glück viel Zeit für mich
genommen, und mir auch gleich ein paar ausgezeichnete Plätze zum Einkaufen gezeigt.
Beim Erkunden habe ich festgestellt das 1. Unser Fahrrad ziemlich unsicher und
unpraktisch ist, und 2. Lancaster insgesamt einfach nicht fürs Fahrradfahren gemacht
ist. Dienstags ging dann meine erste Arbeitswoche mit einem Tag im Büro los. Ich
werde ab jetzt immer Dienstag und Mittwoch im Büro verbringen, als Familiy Assistant
und von Donnerstag bis Samstag auf der Baustelle als Construction Assistant arbeiten.
Fast fertige Häuser
Fundament einer Doppelhaushälfte
Hier
mit leite ich schnell einen Exkurs über mein Projekt Habitat for Humanity ein. Habitat for
Humanity (HfH) ist eine christliche, gemeinnützige Organisation die es sich zum Ziel
gesetzt hat allen Mensch die Möglichkeit für angemessenes Wohnen zu bieten. Die
Organisation wurde 1976 gegründet und hat seitdem weltweit über 350.000 Häuser für
bedürftige Personen und Familien gebaut. Hier in Lancaster besteht unsere Arbeit aus
hauptsächlich 2 Aspekten. Zuerst werden Häuser mithilfe von Freiwilligen zu möglichst
geringen Preisen gebaut, und dann an Partnerfamilien, mit einer 0% Finanzierung,
verkauft. Jeder kann vorbeikommen und auf der Baustelle mithelfen, unsere „Regulars“
sind zum größten Teil Rentner, die jeweils einen Tag unter der Woche mithelfen. Aber
es gibt auch alle möglichen anderen Gruppen die kommen und helfen. Viele Gruppen
kommen von Kirchen, Unis oder manchmal sind es auch Firmen die mit der gesamten
Belegschaft für einen Tag vorbei kommen.
Aber mehr zu meiner Arbeit: Im Büro ist es meine Aufgabe mit den Familien
zusammenzuarbeiten welche in die Häuser einziehen werden. Zuerst müssen wir, was
auch meine Hauptaufgabe diesen Winter sein wird, für unser Projekt geeignete Familien
finden, und dann den Kontakt mit diesen aufrechterhalten, sie über den Fortschritt an
ihrem Haus informieren und ihnen auch bei anderen Problemen helfen. Auf der
Baustelle ist meine eigentliche Aufgabe die Anleitung der Freiwilligen, aber zurzeit bin
ich eher ein normaler Freiwilliger, da ich selber ja nicht weiß wie das alles abläuft. Wir
bauen zurzeit an einem 4- Häuser-Komplex der im Februar fertig gestellt sein soll, also
fast nur noch Arbeit im Inneren nötig hat (sehr angenehm im Winter) und an einem
gerade begonnen Doppelhaus, welches wir über den Winter hochziehen wollen (lange
nicht so angenehm im Winter). Bisher hatte ich sehr viel Spaß bei meiner Arbeit und ich
freue mich schon darauf wenn ich richtig eingearbeitet bin, und mehr eigenständige
Arbeit erledigen kann.
Abseits der Arbeit bin ich noch nicht so aktiv, aber ich arbeite daran. Michael hat mich
mit zum Frisbee spielen genommen, was echt unheimlich Spaß macht, aber wohl leider
auch bald wegen dem Wetter nicht mehr möglich ist. Dafür werde ich wohl jetzt
anfangen Volleyball zu spielen und ein wenig im YMCA zu trainieren. Sonst verbringen
wir einige Abende in einem echt netten Kaffee in der Nähe. Dort kann man wunderbar
sitzen, Mails schreiben oder sonstiges am Laptop erledigen und sich einfach mit Leuten
unterhalten.
3 Wochen Schreibpause weil ich viel unterwegs (und zu faul) war
Von dort aus haben wir einen Abstecher nach Philadelphia, direkt am anderen Flussufer
gemacht. Eine sehr schöne Stadt, die ich dringend noch öfter besuchen will. Aber viel
besser war es Sebastian wieder zu sehen und ein wenig mit einem bekanntem
Deutschen rumzublödeln. Als nächstes Event auf dem Programm stand dann
Thanksgiving, für das ich bei Eric, einem Studenten, der diesen Januar bei uns gewohnt
hat, und seiner Familie eingeladen war. Thanksgiving ist ein wunderbares Fest, es geht
im Grunde nur darum einen gemütlichen Tag mit der Familie zu verbringen. Man kommt
zusammen zum traditionellen Turkey-Dinner und kann davon oft noch 2 Tage danach
essen. Danach wird Football geschaut und Pie gegessen, für mich kam noch Beerpong
dazu, das mir Eric unbedingt beibringen wollte. Ich habe es wirklich genossen dieses
Fest in echter amerikanischer Tradition zu feiern und habe mich sehr gefreut Erics
Familie kennenzulernen.
Zum Schluss noch ein paar meiner Beobachtungen aus Amerika:
Es scheint wirklich nichts ungewöhnliches zu sein stark verschuldet zu sein und Kredite
sind vor allem in der Werbung dauerpräsent (VW macht Werbung mit Neuwagenkäufen
die mit nur einer Unterschrift abgeschlossen sind, ohne Anzahlung oder Zahlungen im
ersten Monat). Aber auch die einfach Collegeausbildung ist unheimlich teuer.
Studiengebühren von 20.000 Dollar im Jahr sind ohne Probleme möglich.
Es fahren wirklich viele Pickups in der Gegend herum, in einem davon sitze manchmal
aber auch ich. Man hat einen wirklich ausgezeichnete überblick wenn man damit
herumfährt, ganz im Gegensatz zu unserem Arbeitsvan.
Das Übergewichtsproblem ist in Amerika wirklich drastisch schlimmer als in
Deutschland. Vielleicht dadurch bedingt, dass man wirklich alles mit dem Auto macht.
Ohne Auto ist man in Lancaster richtig aufgeschmissen. Dafür kann mit einem Auto
sogar Geld im Drive Through Geldautomaten abheben.
Beim Autofahren fühle ich mich aber nicht so richtig wohl, das Verhalten mancher
Fahrer und besonders die Ausschilderung ist manchmal undurchschaubar. Rechts
überholende Laster mit 80 Mph, trotz 65Mph Geschwindigkeitsbegrenzung sind keine
Seltenheit und sehr einschüchternd. Zum Glück hat mein neues Handy ein GPS, sonst
wäre ich auch auf jedem Trip hilflos verloren.
Religion ist, meiner Beobachtung nach, um ein vielfaches wichtiger als in Deutschland.
Ich sehe unheimlich viele verschiedene Kirchen, und werde auch regelmäßig gefragt
welche Kirche ich besuche. Ich bin bisher noch kaum dazu gekommen mir die Kirchen
hier in der Gegend anzuschauen, ich war einfach zu viele Sonntage unterwegs oder
beim Frisbee spielen.
Shopping, besonders für Kleidung, ist unheimlich günstig hier. Wir haben 2 Outlet
Center direkt in Lancaster, in denen man wirklich günstige Markenkleidung shoppen
kann, besonders wenn man die richtigen Sales erwischt. Dagegen sind normale
Essenseinkäufe teurer als in Deutschland, vor allem Fleisch ist in Deutschland deutlich
günstiger zu bekommen.
Die Leute hier sind unheimlich freundlich. Besonders unsere „Regular Volunteers“, zum
Großteil Pensionäre, laden uns regelmäßig zum Essen ein, auch zu Thanksgiving
hatten wir mehrere Einladungen.
Mir fallen immer noch mehr kleine Anmerkungen ein, die ich noch aufschreiben sollte.
Aber irgendwann will ich diesen Ersten Rundbrief auch einmal losschicken. Deswegen
hebe ich mir einfach noch mehr Beobachtungen und Erlebnisse für den nächsten
Rundbrief auf. Wenn es irgendwelche Fragen gibt freue ich mich über Emails, Anrufe
oder Briefe.
Viele Grüße aus Lancaster,
Andi