Angelman-Syndrom

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Angelman-Syndrom
Kindernetzwerk e.V.
für Kinder, Jugendliche und (junge) Erwachsene mit
chronischen Krankheiten und Behinderungen
Krankheitsübersicht
Angelman-Syndrom
KINDERNETZWERK
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Mit den in dieser Krankheitsübersicht enthaltenen Informationen bietet das
Kindernetzwerk e.V. lediglich einen ersten Überblick über die Erkrankung, die
Behinderung oder das entsprechende Schlagwort.
Alle Informationen werden nach bestem Wissen – mit tatkräftiger Unterstützung
unseres pädiatrischen Beraterkreises und wissenschaftlichen Fachbeirats – aus
diversen Quellen ( Fachbücher, Fachartikel, Kindernetzwerk-Archiv sowie aus dem
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Bei der Krankheitsübersicht wird darauf geachtet, dass die Informationen verständlich
und gut leserlich geschrieben sind. Wir möchten Eltern, Betroffenen und
Nichtmedizinern dadurch ermöglichen, insbesondere auch seltene Erkrankungen
besser zu verstehen.
Wir streben einen möglichst hohen Grad an Aktualität an, können aber wegen des
rapiden medizinischen Fortschrittes nicht in jedem Fall garantieren, stets den
allerneusten Stand des Wissens komplett abzubilden. Gerade deshalb empfehlen wir,
sich immer an einer der zuständigen Selbsthilfegruppen zu wenden (siehe beiligende
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einzuholen!
Die Krankheitsübersicht ist nur für Ihren persönlichen Gebrauch bestimmt. Eine
Weitergabe an Dritte ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet. Die
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Materialien stellen keine Bewertung von Seiten des Kindernetzwerks dar, sondern
dienen der übersichtlichen Zusammenfassung vorhandener Informationsmaterialien
in kompakter Form.
Bei einem Teil der Krankheitsbildern liegen beim Kindernetzwerk noch umfassendere
Informationen (Infopakete) vor. Näheres erfahren Sie über die Geschäftsstelle.
Aufgrund der Seltenheit vieler Erkrankungen ist es nicht möglich, bei allen
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Angelman-Syndrom
Happy-Puppet-Syndrom
Zusammengestellt für das Kindernetzwerk von:
Dr. Hans-Joachim Landzettel, Kinderarzt, Darmstadt
und Katharina Maidhof-Schmid
11/2010
Kurzbeschreibung:
Die Erstbeschreibung des Syndroms geht auf den britischen Kinderarzt Harry Angelman zurück.
Wegen der ruckartigen marionettenhaften Bewegungen, der häufigen Lachanfälle und der
fröhlichen Stimmung der von ihm betreuten Kinder wählte Angelman die Bezeichnung „Happy
Puppet-Syndrom“ ( engl. puppet = Marionette). Heute ist der Begriff Angelman-Syndrom üblich.
Kennzeichnend für das Angelman-Syndrom sind:
• eine ausgeprägte Verzögerung der körperlichen und geistigen Entwicklung
• eine gravierende Sprachentwicklungsstörung, meist sogar völliges Fehlen der Sprache
• motorische Störungen
• geistige Behinderung
• Verhaltensauffälligkeiten
• Schlafstörungen
• epileptische Anfälle
Kinder mit Angelman-Syndrom zeigen gerade in den ersten Lebensjahren nur wenig ausgeprägte
physische Merkmale (Dysmorphiezeichen), die auf das Krankheitsbild hinweisen. In den
Gesichtszügen ähneln die Kinder anfangs ihren Eltern, die Dysmorphiezeichen werden erst
allmählich deutlich und sind damit differenzialdiagnostisch weniger hilfreich.
Das Angelman-Syndrom wird verursacht durch angeborene seltene genetische Veränderungen im
Bereich des Chromosom 15.
Symptome/Formen/Krankheitsverlauf:
Schwangerschaft und Geburt:
•
Nach einem unauffälligen Schwangerschaftsverlauf werden die Kinder meist normal
geboren;
•
Geburtsalter, Apgarwerte und Geburtsgewicht entsprechen denen gesunder Kinder, es gibt
keine erhöhte Rate von Geburtskomplikationen oder angeborenen Fehlbildungen. Nur
wenige der Kinder fallen bereits zu diesem Zeitpunkt durch den zu kleinen, abgeflachten
Hinterkopf auf
Frühe Säuglingszeit:
In den ersten Lebenswochen kommt es oft zu Problemen mit dem Stillen und beim Füttern, da die
Kinder Schwierigkeiten beim Saugen und Schlucken haben, die Kinder gedeihen nicht
zufriedenstellend, sie spucken und sabbern viel.
Im weiteren Verlauf des ersten Lebensjahres wird eine verzögerte statomotorische Entwicklung
deutlich. Die Meilensteine der motorischen Entwicklung wie freies Sitzen, Krabbeln und Stehen
werden deutlich verzögert erreicht. Die Laufen gelingt erst mit zwei oder drei Jahren, mitunter noch
später. Die Bewegungen sind steif und ungelenk und wirken wie abgehackt oder zittrig. Selten
kommt es bereits jetzt zu Krampfanfällen.
Im zweiten und dritten Lebensjahr wird die Entwicklungsverzögerung immer deutlicher. Nun fällt
auch der zu kleine Kopf (Mikrozephalie) auf, es kommt zu ersten Krampfanfällen, alle
Krampfarten treten auf:
•
Blitz-Nick-Salaam-Anfälle (BNS-Krämpfe, infantile spasms)
•
Absence ähnliche Anfälle
•
Myoklonische und Grand-mal-Anfälle
Die Verhaltensweisen der Kinder werden immer auffälliger:
•
Die Kinder sind hypermotorisch, unruhig und ständig in Bewegung, Ihre
Konzentrationsfähigkeit ist sehr gering, es ist kaum möglich, das Interesse der Kinder
länger als einige Minuten auf etwas zu lenken.
•
Es zeigen sich stereotype Verhaltensweisen, die Hände oder Gegenstände werden
dauernd in den Mund gesteckt, zusammen mit der herausgestreckten Zunge und dem
ausgeprägten Sabbern können das sehr deutliche Hinweise sein.
•
Die charakteristischen Lachanfälle und Lachattacken treten auf, wenn die Kinder
besonders aufgeregt sind, manchmal aber auch ohne jeden ersichtlichen Anlass. Es
handelt sich aber nicht um epileptische Anfälle.
•
Die ausbleibende Sprachentwicklung ist eines der schwerwiegenden Probleme, obwohl
die Kinder zwar etwas Sprachverständnis entwickeln, können sie nur wenige, für
Außenstehende unverständliche Wörter und Laute von sich geben. Ein bis zwei Worte
werden mitunter besser artikuliert, werden aber zusammenhanglos verwendet. Einige
Kinder können sich mit Gesten oder Gebärdensprache etwas verständlich machen.
An äußeren Merkmalen finden sich oft:
•
eine Mikrozephalie mit flachem Hinterkopf,
•
ein breiter Mund mit schmaler Oberlippe und weit auseinanderstehenden Zähnen
•
ein ausgeprägter, vorstehender Unterkiefer
•
etwas tiefliegende Augen.
•
eine Hypopigmentierung der Haut
Diese Auffälligkeiten entwickeln sich jedoch erst im Verlauf und sind anfangs wenig ausgeprägt.
Alle Kinder (100%) zeigen diese Symptome
• schwere Entwicklungsstörung, schlechte Sprachentwicklung
• Störungen der Bewegung und des Gleichgewichtes, meist ataktisches Gangbild
• auffälliges Verhalten: häufige unmotivierte Lachanfälle, fröhlicher Gesichtsausdruck,
• leichte Erregbarkeit, oft Händewedeln, Hyperaktivität, Aufmerksamkeitsdefizit
Mehr als 80% der Kinder zeigen
• verlangsamtes hinten abgeflachtes Kopfwachstum ab 2. Lj.
• Anfälle, Beginn meist vor dem 3. Lj.
• Hypopigmentierung der Haut und der Augen
• auffälliges EEG
Bei 20-80% der Kinder kommen vor:
• charakteristisches Gesicht: großer Mund, schmale Oberlippe, weiter Zahnabstand,
• vorstehendes Kinn
• Strabismus
• hervorschnellende Zunge
• Schluck-Saugschwäche
• Stereotypen der Mundmotorik(Nuckeln, Kauen, Knirschen)
• exzessives Belutschen von Gegenständen, häufiges Speicheln
• gesteigerte Eigenreflexe
• erhöhte Hitzeempfindlichkeit
• Schlafstörungen
• Faszination durch Wasser
Diagnostik:
Die Diagnosestellung sollte möglichst früh bereits im Neugeborenen- oder Säuglingsalter gestellt
werden
Klinische Diagnostik: Anamnese, klinische Untersuchung, EEG-Veränderungen.
Labordiagnostik
• Die Diagnose kann durch eine methylierungssensitive PCR (Methylierungstest) gestellt
werden.
• Konventionelle Cytogenetik (Chromosomenuntersuchung, Karyotyp, Ausschluss oder
Nachweis einer Translokation),
• FISH –Analyse(Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) zum Nachweis einer Mikrodeletion 15q11q13, Mutationsanalyse im UBE3A-Gen.
• Mikrosatelliten-Analyse unter Miteinbeziehung elterlicher Blutproben
•
MRT(Magnetresonanztomographie) und Stoffwechseluntersuchungen liefern unauffällige
Ergebnisse
In der Angelman Region (Chromosom 15, 15q11-q13) liegt im Normalfall ein methyliertes und ein
unmethyliertes Allel für das SNRPN-Gen (Small Nuclear Ribonucleopotein Polypetide N) vor.
Ca. 90% der betroffenen Kinder weisen ein durch verschiedene Mechanismen verursachtes
pathologisches Methylierungsmuster auf.
Ursachen:
Das Angelman-Syndrom wird durch verschiedene genetische Mutationen hervorgerufen, die an
bestimmten Abschnitten des Chromosom 15 auftreten. Das Angelman-Syndrom kann (wie das
Prader-Willi-Syndrom) neben der Mikrodeletion auch andere Ursachen haben, womit sie sich von
anderen, klassischen Mikrodeletionssyndromen unterscheiden.
Je nach genetischem Mechanismus werden beim Angelman-Syndrom 4 Hauptgruppen
unterschieden. Patienten mit typischer Symptomatik, aber ohne genetischen Nachweis werden der
Gruppe 5 zugeordnet.
1. Deletion des Chromosomenabschnitts 15q11-13:
Ca. 70% der AS-Patienten weisen eine Mikrodeletion auf dem von der Mutter vererbten
Chromosom 15 in der Region 15q11-13 auf. Diese Mikrodeletion ist die häufigste Ursache für das
AS-Syndrom.
2. Paternale uniparentale Disomie 15: ca. 2-5% aller Kinder mit AS-Syndrom haben zwei
Chromosome 15, die beide vom Vater stammen, ein mütterliches Chromosom 15 fehlt.
3. Genmutation im UBE3A-Gen: Bei 5-10% findet sich eine Mutation im UBE3A-Gen. Dieses
Gen kodiert das Ubiquitin-Protein-Ligase-E3A-Gen, die genauen Pathomechanismen sind noch
nicht geklärt.
4. Imprinting-Defekt: bei ca 4% der Angelman-Patienten findet man als Ursache eine
Besonderheit der Vererbung: genomische Prägung oder Genomic Imprinting. Gene, die diesem
Vererbungsprinzip unterliegen, werden abhängig von ihrer elterlichen Herkunft aktiv oder inaktiv
vererbt. Das Imprinting legt fest, ob das von der Mutter oder vom Vater ererbte Gen abgeschaltet
wird. Beim Angelman-Syndrom (wie auch beim
Prader-Willi-Syndrom) befinden sich die
krankheitsverursachenden Gene in einer Chromosomenregion (15q11-13), die dem Genomic
Imprinting unterliegt. Gesteuert wird das Imprinting über ein Imprinting-Zentrum, das aus zwei
Anteilen, einem „AS-“ und einem „PWS-”Anteil besteht.
Häufigkeiten:
1 : 10 000 – 1 : 40 000, im Schnitt tritt es bei einem von 20 000 Neugeborenen auf.
Mädchen und Jungen sind gleichermaßen betroffen.
Verwandte Krankheiten / Differentialdiagnose /
Begleitfehlbildungen:
Je nach Alter, Ausprägegrad und der im Vordergrund stehenden Symptomatik kommen
verschiedene Differenzialdiagnosen in Frage:
•
Rett-Syndrom (in den ersten Lebensmonaten)
•
metabolische Enzephalopathien,
•
x-chromosomale geistige Behinderung bei α-Thalassämie,
•
und viele andere
Ähnliche genetische Störung wie beim Prader-Willi-Syndrom, es zeigt sich jedoch andere
Symptomatik
Standardtherapie:
Eine kausale Therapie ist aufgrund der genetischen Ursachen nicht möglich, die Therapie kann nur
symptomatisch und unterstützend sein:
Krankengymnastik,
Ergotherapie
Sprachtherapie
Wünschenswert und hilfreich für die Familien ist eine enge Kooperation von Kinderärzten,
Neurologen, Psychologen, Frühförderern, Sprachtherapeuten z. B. in einem Sozial-Pädiatrischem
Zentrum.
Wichtig für die Familien ist eine möglichst frühe Diagnose- und Prognosestellung.
Die antikonvulsive Behandlung ist meist schwierig, Valproat und Benzodiazepin sind in manchen
Fällen erfolgreich.
Weitere Therapien, zum Teil noch in der Erforschung:
Reittherapie
Prognose:
Die Störung ist nicht progredient. Mit den Jahren lässt die Anfallshäufigkeit nach.
Meist erlernen die Patienten nur wenige Worte, die nonverbale Verständigung ist etwas besser.
Über den Langzeitverlauf im Erwachsenenalter gibt es kaum Untersuchungen und auch über die
Lebenserwartung ist wenig bekannt. Ein Patient mit Angelman-Syndrom wurde im Alter von 75
Jahren beschrieben.
Beratung der Familien:
Nach Diagnosestellung Beratung der Eltern über Ursache, Verlauf und Prognose der Erkrankung.
Weiterleitung an ein Sozial-Pädiatrisches Zentrum.
Kontakt zu Selbsthilfegruppe.
Den betroffenen Familien sollte eine humangenetische Untersuchung und Beratung empfohlen
werden.
Eine pränatale Diagnostik ist möglich und empfehlenswert für Familien mit erhöhtem
Wiederholungsrisiko (Imprinting-Center-Deletion, Translokation, UBE 3A-Mutation).
BUNDESVERBÄNDE
Bei folgenden BUNDESWEITEN ANLAUFSTELLEN können Sie
Informationsmaterial anfordern. Fragen Sie dort auch nach Ansprechpartnern des
jeweiligen Verbandes in der Umgebung Ihres Wohnortes! Falls vorhanden, sind
auch Auslandsadressen mit aufgelistet. Bitte haben Sie dafür Verständnis, daß wir
in Bereichen, in denen bereits bundesweite Ansprechpartner existieren, primär
diesen Initiativen den Versand von Informationsmaterial und die Vermittlung
spezieller Hilfen überlassen. Bei zusätzlichen Fragen können Sie sich natürlich
jederzeit wieder an das Kindernetzwerk wenden!
Angelman e.V.
Raitz-von-Frentz-Str. 4
41352 Korschenbroich
Tel.: 08 00/26 43 56 26 Telefondienst
Tel.: 0 21 61/3 04 60 26
Fax: 0 21 61/99 97 68
e-mail: [email protected]
Internet: www.angelman.de
Ansprechpartner/innen: Bodo Gerlach, 1. Vorsitzender
MITGLIED IM KINDERNETZWERK

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