in freiburg wird geforscht - chilli:freiburg:stadtmagazin

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in freiburg wird geforscht - chilli:freiburg:stadtmagazin
szene fluchtspiel
Fotos: © Till Neumann
Gefängnisausbruch mit Hilfe von Logik: Das chilli-Team (links Jonas Stratz und Cedric Wojan) hat den Freizeittrend getestet.
Prisonbreak
Freiburgs neuester Escape Room hat auf
dem güterbahnhofgelände eröffnet
E
s ist der Freizeittrend des Jahres:
sich in einen Raum einsperren
lassen und versuchen, mit Hilfe
von Logik und Geschicklichkeit wieder
herauszukommen. In Freiburg hat nun
der dritte sogenannte Escape Room eröffnet. Mehrpunkt-Geschäftsführerin
Petra Reutlinger hat dafür in der Freiburger Lokhalle drei Gefängniszellen
errichtet. Das chilli-Team ist von den
Redaktionsräumen im Obergeschoss
in den Keller hinabgestiegen, um den
Gefängnisausbruch zu üben.
Ein düsterer Keller mit roten Steinwänden, in der Ecke eine uralte Heizungsanlage, verdunkelte Fenster verwehren
den Blick nach außen. Der Wärter in der
grünen Polizistenuniform schließt die
Zellentür, das Schloss rastet ein – und
nun? In schlechten Gangsterfilmen
wird in solchen Fällen eine Feile in einer
Geburtstagstorte eingeschleust. Zwar
lässt sich in der kargen Zelle tatsächlich eine Nagelfeile finden, doch gegen
die massiven Gitterstäbe wird die wohl
nicht viel ausrichten.
Vor allem nicht in 45 Minuten – denn
so viel Zeit haben die drei Gruppen,
um aus ihren Zellen auszubrechen.
Dann wird die Uhr, auf der in roten
Leuchtzahlen die Zeit abläuft, neu
gestellt und die Gruppen müssen
gemeinsam in einer Viertelstunde
die letzte große Aufgabe für den Ausbruch aus der Gefängnisanlage lösen.
Bis es so weit ist, kommt man nicht
darum herum, die mit Schlössern versehenen Schachteln und Koffer zu knacken. Kann die Fachliteratur aus der
Zelle des Kunstfälschers weiterhelfen?
Oder die Kruzifixe aus der Nachbarzelle des streng katholischen Mörders? Ist
etwas unter den Gefängnispritschen
versteckt, im Waschbecken – oder gar
in der Toilettenschüssel?
Einige Rätsel sind schnell geknackt,
für andere braucht es an diesem
Mittag die Hilfe des Wärters, der ein-
Ich bin
Unschuldig,
lasst mich
hier raus!
greift, wenn eine Gruppe nicht weiterkommt. „Wir haben die Aufgaben
absichtlich recht knifflig gemacht“,
erklärt Reutlinger. „Es soll auch für
Leute, die schon öfter in Escape Rooms
waren, eine Herausforderung sein.“
Denn der Trend hat in diesem Jahr
auch Südbaden erreicht: Die ersten
beiden Freiburger Räume hat Philipp
Wirthgen in der St. Georgener Straße
eröffnet, bei der Konzeption des neuen Raums in der Lokhalle hat er Reutlinger unter die Arme gegriffen.
Neu ist, dass die komplette Zeit über
der Spielleiter in Gestalt des Wärters
mit im Raum ist, und nicht – wie bei
anderen Escape Rooms – das Geschehen über eine Kamera verfolgt. Das
sei wichtig, erläutert Reutlinger, weil
hier drei Gruppen mit je bis zu sechs
Personen parallel spielen können.
Der Wärter muss daher jede Zelle im
Auge behalten und mit Tipps dafür
sorgen, dass allen Gruppen etwa zur
gleichen Zeit der Ausbruch gelingt.
Es ist neben der außergewöhnlichen
Location einer der Gründe, warum
der Preis mit rund 46 Euro pro Kopf
deutlich höher ist als in den anderen
Freiburger Fluchträumen. Doch Reutlinger ist sich sicher, dass er – besonders für Firmenevents – angenommen wird. Vor allem, weil der Raum
auch größeren Gruppen Platz bietet
und zusammen mit ihrer „Lokation“
für Teamkochen, Live-Cooking oder
Küchenpartys im gleichen Gebäude
genutzt werden kann.
Zumindest, wenn man den Ausbruch
schafft. Die Uhr zeigt nur noch fünf
Minuten an, das letzte Rätsel ist noch
nicht gelöst. Kopfrechnen, Kenntnisse
der alten Meister, Gedichtinterpretation – was ist hier bloß gefragt? Endlich
springt die Zellentür auf. Süße Freiheit.
Aber eigentlich ... Wärter, könnten Sie
uns noch mal einsperren? Wir würden
so gerne noch die andere Zelle ...
Tanja Bruckert
dezember 2015 / januar 2016 CHILLI 13
Szene Gesundheit
Heilung, Hilfe, Hokuspokus
Hypnose im Trend: in Freiburg wird geforscht und therapiert
Verblüffend: Patrick Heun hypnotisiert eine Freiburgerin, die mit dem Rauchen aufhören will.
H
Fotos: © tln
ypnose haftet immer noch der
Ruf des Esoterischen an. Dabei
ist die Methode längst international anerkannt. Die Freiburger Professorin Ulrike Halsband hypnotisiert
sogar ihre Studierenden. Bei einem
Seminar in Freiburg konnte man sich
kürzlich gegen Nikotinsucht und Übergewicht behandeln lassen. chilli-Redakteur Till Neumann war dabei und
hat sich in der Kunst der Selbsthypnose versucht.
Zweiter Stock des InterCityHotels am
Freiburger Hauptbahnhof. Zwei Männer und drei Frauen sitzen im Halbkreis eines halbdunklen Raums. Blauer Teppich, blauer Vorhang, schwarze
Stühle. Alle fünf haben ein Ziel: aufhören zu rauchen. Dafür machen sie
bei dem einstündigen Hypnoseseminar mit. Kostenpunkt: 169 Euro.
Ihnen gegenüber sitzt Patrick Heun
vom Mental-Training-Unternehmen
Carlo Faraday. „Das, was wir machen,
ist stinklangweilig und staubtrocken“,
sagt Heun, „aber der Effekt ist spektakulär.“ Mit klinischer Tiefenhypnose
14 CHILLI Dezember 2015 / Januar 2016
will der Glatzkopf ins Unterbewusstsein der Teilnehmer gelangen. „Der
Kern ist, das Rauchen durch eine gesunde Gewohnheit zu ersetzen“, erklärt Heun. „Durch Schokolade und
Gummibärchen?“, fragt eine etwa
40-jährige Teilnehmerin, ihre Nachbarin kichert. „Nein, durch etwas Gesundes“, antwortet Heun mit ruhiger
Stimme.
Trainer
nimmt durch
Hypnose
30 Kilo ab
Der Mentaltrainer aus Bremen war
einst selbst Teilnehmer bei einem
Hypnose-Seminar gegen Übergewicht. Danach verlor der sportliche
Mann nach eigenen Angaben 30
Kilo – und wurde selbst Coach. „Seit
2008 habe ich 1200 bis 1500 Leute
behandelt“, erzählt Heun. Dann wird
es ernst.
„Überlegen Sie sich einen schönen
Moment ohne Rauchen. Wenn ich
in der Hypnose davon spreche, meine ich genau diesen Moment“, sagt
Heun. Die Teilnehmer sollen sich nun
hinstellen und entspannen. Heun
duzt sie jetzt und sagt Sätze wie:
„Vielleicht möchtest du jetzt und hier
dich einfach nur treiben lassen.“ Im
Hintergrund läuft pathetische Trommelmusik. Dann sitzen sie wieder, die
Hände auf den Oberschenkeln. „Wir
gehen an den Ort deiner schönen
Erinnerung, sie ist ein innerer Helfer,
du wirst befreit sein, der Rauch an dir
vorbeiziehen wie Wolken“, redet er
auf die fünf Probanden ein. Nach einigen Minuten sollen sie zurückkehren ins Hier und Jetzt. „Du fühlst dich
frisch und frei. Jaaaaah“, haucht Heun
in den Raum.
Was manche als brotlose Esoterik
abtun, ist seit Jahren Gegenstand internationaler Forschungsprojekte. Die
renommierte Freiburger Neuropsychologin Halsband untersucht Hypnose seit fast 20 Jahren. Kürzlich war die
60-Jährige beim 20. Welt-Hypnose-
Szene Gesundheit
Kongress in Paris. In ihrem Büro im
Institut für Psychologie an der Uni
Freiburg erzählt sie zwischen Klangschalen, dicken Wälzern und einem
überquellenden Schreibtisch, dass man
manches unter Hypnose schneller
lerne als im Wachzustand. „Man kann
mit Hypnose auch Neuronen im Sehzentrum aktivieren, das ist verrückt“,
schwärmt Halsband.
So könne sie einem Hypnotisierten
einen grauen Gegenstand knallbunt
erscheinen lassen. Oder gar seinen
Fuß am Boden festkleben. „Das funktioniert“, betont die Professorin. Auch
Stress oder Lampenfieber ließen sich
behandeln oder das Schmerzempfinden reduzieren. Ein Zahnarzt aus
Stuttgart verzichte gar auf Schmerzmittel und operiere ausschließlich
mit Hypnose. Mit ihren Studierenden
macht Halsband regelmäßig Hypnoseübungen.
Bei Seminaren für Raucher oder Übergewichtige sollte man laut Halsband
indes Vorsicht walten lassen. Sind die
Anbieter Mitglied in der Deutschen
Gesellschaft für Hypnose und Hypnotherapie (DGH) oder der Milton H.
Erickson Gesellschaft für Klinische
Hypnose (DGZH), seien sie in jedem
Fall seriös. Auch eine fachliche Qualifikation wie eine Ausbildung zum
Arzt sei ein Qualitätsmerkmal. „Man
muss ganz vorsichtig sein mit Hokuspokus-Anzeigen im Käseblatt. Von
wegen, sie nehmen Kontakt mit dem
toten Urgroßvater auf oder so“, warnt
sie. Showhypnose sei in Diskos der Renner. Da werde aber viel Humbug betrieben.
Kein Humbug, sagt auch Halsband,
sei Selbsthypnose. Dazu hat der Spiegel-Bestseller-Autor Jan Becker kürzlich
das Buch „Du kannst schaffen, was du
willst“, veröffentlicht. „Deutschlands
Hypnose-Coach Nr. 1“ will damit bei
Stress, Liebeskummer, Schlaflosigkeit
und Erschöpfung helfen. „Jeder kann
das erlernen und davon profitieren“,
sagt der 40-jährige Wahlberliner. Was
sich nach vollmundigen Versprechen
anhört, entpuppt sich beim Lesen als
sachlich und hilfreich. Becker zeigt
Übungen, die Menschen helfen, sich zu
entspannen und ihre Kräfte dahin zu
lenken, wo sie benötigt werden. Und
siehe da, beim Selbsttest funktioniert’s:
Schon eine kleine Konzentrationsübung
lässt einen Zeigefinger wachsen.
Kommen die Hypnotisierten des zertifizierten Carlo-Faraday-Kurses vom
Rauchen los? Eine Teilnehmerin ist
sich sicher. „Ich habe das Seminar vor
sieben Jahren schon einmal gemacht“,
berichtet die etwa 40-Jährige nach der
Überzeugt: Die Freiburger Professorin Ulrike
Halsband hypnotisiert ihre Studenten.
Behandlung. Nach elf Jahren Qualmen
mit bis zu 15 Zigaretten am Tag, habe
sie danach jahrelang keine Zigarette
mehr angefasst. Dann habe sie aus
Neugierde wieder angefangen. Jetzt
hat sie das Seminar deswegen zum
zweiten Mal gemacht. „Ich rauche
nicht mehr, ganz sicher“, sagt die
Dame. Ihre Bekannte nickt entschlossen. Das Unterbewusste schein den
beiden sehr bewusst zu sein.
Till Neumann
MEINE SORGEN
Warum einfach, wenn es auch kompliziert geht?
Samstagvormittag beim TÜV. Der bis
dahin recht umgängliche Mann im
blauen Overall drückt den Warnblinker meines Autos. Die Scheinwerfer
blinken, der Mann nimmt seinen Finger von der Taste, das Blinken hört auf.
Der Mann stutzt. Versucht es noch
einmal. Gleiches Spiel. „Ihr Warnblinker ist kaputt.“
„Nein, nein“, erkläre ich nachsichtig.
„Solange Sie mit dem Finger drauf
bleiben, blinkt’s.“ Seine Augenbrauen
schieben sich nach oben. „Und Sie wollen bei einem Unfall im Auto sitzen
bleiben und die ganze Zeit die Taste
drücken?!“ „Quatsch. Im Handschuh-
fach habe ich Klebeband, damit lässt
sich der Schalter super fixieren.“
Ich finde die Lösung super: günstig,
simpel, praktisch. Alte Autos machen
eben erfinderisch: Da wird ein Säckchen Katzenstreu hinter die Scheibe
gelegt, um im Winter nicht auch noch
von innen kratzen zu müssen. Vereiste
Schlösser und Autotüren werden mit
Desinfektionsmittel aufgetaut. Und mit
Nagellack lassen sich Kratzer ausbessern. Doch der Mann vom TÜV scheint
solch Erfindertum nicht zu schätzen
und verweigert mir die Plakette.
Manch treuer chilli-Leser mag an dieser Stelle aufstöhnen: Warum muss
die Bruckert schon wieder über ihre
Rostlaube schreiben, anstatt sich endlich eine neue Karre zu kaufen? Da
kann ich nur sagen: diese Kolumne will
Monat für Monat gefüllt werden. Ich
habe einen guten Job, eine glückliche
Beziehung, Freunde und Familie, die
nicht anstrengender sind als andere
Freunde und Familien – da werf ich
doch mein bestes Pferd nicht aus dem
Stall! Ich werde also so lange über
mein Auto schreiben, bis es auseinanderfällt. Doch keine Sorge – die Wahrscheinlichkeit, dass es keine weitere
Kolumne erlebt, ist groß. tbr
Dezember 2015 / Januar 2016 CHILLI 15
Szene Lebensmittel retten
Zu gut für die Tonne
Freiburger Tafel, Foodsaver und Mülltaucher im Kampf
gegen verschwendung von Lebensmitteln
Zwei Herangehensweisen, ein Ziel: Marilena Holpert (links) fischt Lebensmittel aus dem Müll, bei der Freiburger Tafel (rechts) wird weitergegeben,
was nicht mehr „verkaufsschön“ ist.
F
rankreichs Supermärkte haben es vorgemacht: Sie haben sich im vergangenen August verpflichtet, nicht
verkaufte Lebensmittel zu spenden, statt sie wegzuschmeißen. Doch wo landen eigentlich in Freiburg Tomaten,
Brot & Co., wenn sie nicht verkauft werden? chilli-Redakteurin
Tanja Bruckert hat sich auf Spurensuche gemacht.
Es ist dunkel, kalt, es regnet. Eigentlich ein Abend für die
Couch, doch Marilena Holpert (richtiger Name der Redaktion
bekannt) steht hinter einem BioSupermarkt und hebelt mit einer
Gabel das Schloss des Eisengitters auf, hinter dem die Mülltonnen des Ladens weggeschlossen sind. Einige Minuten später
hängt die 25-Jährige kopfüber in
einem Container und zieht eine
Palette mit am Vortag abgelaufener Schafsmilch hervor. Neben ihr, auf dem Deckel einer braunen Tonne, liegen bereits eine Ananas mit braunen Blättern,
eine Kaki mit Delle, zwei krumme Paprika und ein Salatkopf
mit welken äußeren Blättern. „Heute ist nicht viel zu holen“,
tut Holpert die Ausbeute ab, die wenig später einen Trekkingrucksack und eine Einkaufstasche in Ikea-Größe füllt.
In Deutschlands Mülltonnen ist einiges zu holen: Jedes achte Lebensmittel, das gekauft wird, landet im Müll. Und das ist
nicht nur Verdorbenes, sondern viel zu oft Essbares, das nur
nicht mehr appetitlich genug erscheint.
Davon lässt es sich gut leben, weiß die Psychologie-Studentin, die sich jahrelang vom sogenannten Containern ernährt
hat – einkaufen musste sie nur lang haltbare Waren wie Mehl
oder Nudeln, die selten in der Tonne landen. Wie die meisten Menschen, die im Müll nach Lebensmitteln suchen, will
Holpert nicht in erster Linie Geld sparen, sondern gegen die
Wegwerfgesellschaft protestieren. Schließlich ist es nicht
nur ethisch bedenklich, dass Lebensmittel weggeschmissen
werden, während etwa eine Milliarde Menschen hungert. Es
hat auch Folgen für die Umwelt,
da Ressourcen wie Wasser und
Ackerboden sowie Energie verschwendet werden. Und es strapaziert den eigenen Geldbeutel,
denn pro Person wandern jährlich Lebensmittel im Wert von
235 Euro in die Tonne.
Legal ist das Containern nicht:
Ohne Erlaubnis darf kein Müll aus der Tonne gefischt werden – erst recht nicht, wenn dafür Schlösser geknackt werden
müssen. Nach Angaben des Polizeipräsidiums gab es in Freiburg jedoch noch keinerlei Beschwerden. Damit das so bleibt,
achtet Holpert darauf, nichts zu beschädigen oder herumliegen zu lassen.
Wer gegen die Verschwendung von Lebensmitteln angehen
will, kann das natürlich auch legal tun. Größter Akteur sind hierbei die Tafeln. Bei der Tafel in Freiburg wurden allein im September 50 Tonnen Lebensmittel gerettet und an knapp 4000 Be-
Fotos: © tbr
ContainerN
Als Protest gegen
die Wegwerfgesellschaft
16 CHILLI Dezember 2015 / Januar 2016
Szene Lebensmittel retten
dürftige abgegeben. Und der Bedarf wächst: 600 neue Kunden hat der Tafelladen in diesem Jahr – viele davon Flüchtlinge.
Um zehn Uhr morgens ist vor dem Geschäft an der Schwarzwaldstraße Hochbetrieb. Eine Traube von Menschen wartet
auf Einlass, ein Mitarbeiter mit Häkelmütze verteilt blaue Einlassmarken, die von 1 bis 100 durchnummeriert sind. Kaum
öffnet sich die Tür, stürmen die Kunden mit den niedrigsten
Nummern in den Laden. Kürbisse für zehn Cent das Stück
wandern in die Einkaufswagen, oder Donuts vom Vortag.
Im Raum daneben sortieren Helferinnen in dunkelblauen
Schürzen das Obst und Gemüse, das die Transporter von ihren Touren mitgebracht haben. Sie zupfen welke Blätter vom
Eichblattsalat, nehmen aus einem Netz mit Orangen die vergammelten heraus und verpacken den Rest neu, befreien die
Radieschen von ihrem laschen Grün.
Bis zum späten Nachmittag stehen
die Helfer an dem blanken Edelstahltisch – bis auch der letzte Kunde versorgt werden konnte. Mit leeren Händen muss niemand gehen.
Bisher sei die Stimmung deshalb
auch gut, berichtet Tafelleiterin Anne-Catrin Mecklenburg,
hier müsse niemand Angst haben, dass ihm die Flüchtlinge
die Waren wegschnappen. Im Gegenteil: Momentan helfen
zwei Asylbewerber ehrenamtlich bei der Tafel mit.
Die Transporter fahren täglich etwa 50 Betriebe an – laut
Mecklenburg gibt es kaum einen Supermarkt oder einen Discounter, der seine überzählige Ware nicht an die Tafel gibt.
Viele Bäckereien, kleine Läden und Bauern machen mit. Auch
Privatpersonen können Lebensmittel bei der Tafel abgeben:
Schließlich entstehen 61 Prozent der Lebensmittelabfälle in
privaten Haushalten. Auf die Industrie entfallen 17, auf den
Handel gerade einmal fünf Prozent. In Deutschland sind das
laut Angaben des Bundesverbands des Deutschen Lebensmittelhandels immerhin noch 310.000 Tonnen im Jahr.
„Wir bekommen die Ware, die nicht mehr verkaufsschön
ist“, erklärt Mecklenburg. Was die Tafel nicht will – etwa, weil
das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist –, geht an die
Foodsaver. Sieben von ihnen knien an diesem Montagmorgen
vor grünen Kisten, die vor der Laderampe eines Supermarkts
stehen. Aus ihren Rucksäcken ziehen sie Tüten und Tupperdosen hervor, in die Bananen, Limetten oder Trauben wandern.
Rosensträuße oder Basilikumpflanzen, die die Blätter etwas
hängen lassen, werden in Fahrradkörben verstaut.
Eine Frau in den Zwanzigern lässt ein Brot nach dem anderen in ihren Taschen verschwinden. Für sich selbst, für die
Nachbarn und für den Fairteiler – einen der drei Umschlagsorte der Initiative, an denen sich jeder bedienen darf. Zudem
kann jeder, der Essen übrig hat, dieses über foodsharing.de
verschenken – vom abgelaufenen Joghurt bis hin zum selbst
gekochten Gulasch.
Im Unterschied zur Tafel geht es dem 2013 gegründeten Verein foodsharing nicht in erster Linie
darum, Bedürftigen zu helfen, sondern die Lebensmittel vor der Tonne
zu bewahren. In Freiburg sind aktuell
432 dieser Lebensmittelretter aktiv,
die bei Geschäften oder auf dem
Markt Waren abholen. Und das sind
längst nicht genug. „Wir haben viele Anfragen von Händlern,
die wir ablehnen müssen“, erzählt Daniel Haselwander von
der Ortsgruppe Freiburg, „weil wir nicht gewährleisten können, die Waren regelmäßig abzuholen.“ Die meisten Foodsaver seien Studenten, und der Verein will sichergehen, dass die
bislang 25 kooperierenden Händler in den Semesterferien
nicht auf ihren übriggebliebenen Sachen sitzenbleiben.
Bei den Foodsavern aktiv ist auch Marilena Holpert. Containern geht sie nur noch ab und zu – für den Nervenkitzel.
Doch über Foodsharing versorgt sie regelmäßig nicht nur sich
selbst, sondern auch ihre neunköpfige WG. Mit vier großen
„Susi-Kisten“ im Kofferraum fährt sie zur Siedlungsinitiative
im Vauban. In deren Keller ist einer der Fairteilerpunkte. Und
wie stellen die Foodsaver sicher, dass das mühsam gerettete
Essen hier nicht doch vergammelt? Über die Frage muss Holpert lachen: „Hiervon ist in ein paar Stunden nicht mehr eine
Karotte übrig.“
Tanja Bruckert
600 neue
Tafelkunden in
diesem Jahr
Gastro & Gusto
Porsche-Pasta
Gereifter Laden
Bar statt Café
Im Atrium am Augustinerplatz soll im
ersten Halbjahr 2016 ein neuer Italiener
aufmachen. Nach der Pizza & PastaKette Vapiano kommt nun auch der
Konkurrent Tialini nach Freiburg. Das
Restaurant soll im Innenraum 200,
auf der Terrasse zusätzlich 100 Gästen
Platz bieten. Für Tialini wird es der vierte deutsche Standort nach Ludwigshafen, Stuttgart und Karlsruhe. Besitzer
ist übrigens kein geringerer als Ex-Porsche-Chef Wendelin Wiedeking.
Orangen, Olivenöl, Pesto & Co. gab es
bisher im Hinterhof an der Lorettostraße. Jetzt rückt Luca Presentato seinen
Handel „sonnengereift“ weiter in den
Fokus und eröffnet einen Laden mit
Café direkt an der Straße. Hier können
seit dem 10. Dezember nicht nur regionale und italienische Köstlichkeiten
eingekauft, sondern auch gleich vor
Ort verspeist werden. Auf der Karte
stehen Snacks und Antipasti, Kaffee
und regionale Kräutertees.
Wo einst im Café Gioia (Unterlinden)
italienischer Espresso geschlürft wurde,
hat nun das „Tom’s“ eröffnet. Das Restaurant ist nach Skajo und QU das neue
Baby der Gastronomen Thomas Rauhut
und Filipos Klein. Die Speisen sind vorwiegend französisch-mediterran – vom
Entrecôte bis zum Coq au Vin, aber auch
Vegetarisches findet sich auf der Karte.
Herzstück des langgezogenen Raums
ist eine große Bar, die das Geschäft am
Abend ankurbeln soll.
tbr
Dezember 2015 / Januar 2016 CHILLI 17
Szene KUNST
p
IN
Nachbarn kennenlernen
Foto: © ZoneApp
Die Fernsehwerbung der 90er
wusste: Saubere Gläser reichen, dann klappt’s auch mit
dem Nachbarn. Nun ja. Da
haben vier Freiburger und
Furtwanger Studenten schon
eine deutlich vielversprechendere Methode entwickelt, die
Nachbarschaft kennenzulernen: „ZoneApp“ informiert per
Newsfeed darüber, was im eigenen Stadtviertel los ist – von der Weihnachtsfeier des
Fußballvereins bis hin zum Einbruch beim Nachbarn. Die
kostenlose App ist Anfang November an den Start gegangen und hat mittlerweile 1400 Nutzer – 150 davon in
Freiburg. Also schnell anmelden, dann klappt’s auch mit
dem Nachbarn.
p
OUT
Weihnachtsgeschenke
Foto: © pixelio.de
Und nochmal hat die Werbung unrecht: Weihnachten
scheint doch nicht das Fest
des Konsumrauschs zu sein, als
das es der Einzelhandel gerne
verkauft. Der Trend, dem Weihnachtsmann immer mehr und
mehr Geld in den Sack zu stopfen, scheint gebrochen. Laut
einer GfK-Umfrage wollen die
Deutschen in diesem Jahr weniger Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben und dafür mehr spenden. Besonders spendabel zeigen sich die
rund 30-Jährigen: Sie lassen pro Kopf 24 Euro weniger
in den Kaufhäusern liegen und spenden dafür 63 Euro
mehr an Flüchtlings-Hilfsorganisationen. Darauf ein anerkennendes Hohoho!
18 CHILLI Dezember 2015 / Januar 2016
Parallelwelt
Der Freiburger Jakob Schnetz
gewinnt Jugendfotopreis
M
onatelang war der gebürtige Freiburger Jakob Schnetz für seine
Fotoserie „Trade Show“ auf Messen zwischen Menschen mit
Anzug und Aktenkoffer unterwegs. Die ironischen Abbilder
einer konsumorientierten Parallelwelt sind derzeit im Deutschen Historischen Museum in
Berlin zu sehen. Nun hat er den deutschen Jugendfotopreis
gewonnen. Die Jury würdigte vor allem sein „ausgesprochenes
Gespür für kuriose Situationen“.
Foto: © privat
Die Modetrends des Winters: warme Mäntel, Handschuhe, Mützen und Schals. Voilà, chilli-Trendcheckerin Tanja
Bruckert hat mal wieder ihren untrüglichen Instinkt für den
neuesten heißen Scheiß unter Beweis gestellt. Wie, da ist
noch Luft nach oben? Zugegeben, Mode ist vielleicht nicht
die chilli-Kernkompetenz. Also zieht an, was ihr wollt, und
erfahrt hier Trends, die wirklich interessieren.
Foto: © Jakob Schnetz
IN & OUT
Schwarzgekleidete Anzugträger sitzen vor einer Leinwand
voller rotgefiederter Hühner, eine Halskette mit Preisschild
ziert den nackten Rücken einer Braut, und die Frau von heute
lässt sich die Zähne bleachen, während sie Nachrichten auf
dem iPhone checkt. Solche Situationen hat der 24-jährige
Student der Hochschule Hannover mit der Kamera festgehalten. „Messen sind zum Teil sehr absurd“, sagt Schnetz, „am
skurrilsten war die Beerdigungsmesse, auf der die neuesten
Särge, Urnen und Leichenwagen präsentiert wurden. Egal ob
Automotor oder Pornodarsteller, auf einer Messe wird jedes
Bedürfnis erfüllt.“
Schnetz setzt sich mit seinen Fotos kritisch mit der kapitalistischen Konsumgesellschaft auseinander, und das kommt
an – sehr gut sogar. 2014 gewann er einen mit 10.000 Euro
dotierten Fotografie-Preis. Außerdem erhielt Schnetz zusammen mit einem befreundeten Journalisten ein Stipendium
für eine Reportage über Bergkarabach, einer international
nicht anerkannten Republik, die seit 20 Jahren im Waffenstillstand mit Aserbaidschan steht.
In den kommenden Jahren stehen für den Freiburger Themen im Kaukasus und östlichen Europa im Fokus. „Die Berichterstattung über dortige schwelende Konflikte steht in
den Medien wenig im Fokus“, so Schnetz, „außer es kommt zu
extrem blutigen Zwischenfällen.“ Kathrin Eyer
Szene Car-check
Vorne Raum, hinten Baum
ICH UND MEIN Honda HR-V
E
ntwickelt für jede Herausforderung“, preist Honda seinen neuen HR-V an. Der Mini-SUV soll
stilvoll, vielseitig und praktisch sein –
und der Konkurrenz den Schneid abkaufen. Zeit für einen chilli-car-Check:
Was kann dieser japanische Wagen
wirklich? Ein Härtetest bei Sauwetter.
Der japanische Mini-SUV
Fotos: © tln / wol
bietet Platz, nicht nur im Cockpit.
Brrrrr. Der Regen prasselt vom Himmel als gäb’s kein Morgengrauen.
Schnell rein in den HR-V. Platz, um sich
die nasse Jacke auf dem Sitz auszuziehen, ist allemal. Spiegel einstellen,
kurz mit der neuen Technik vertraut
machen, den Motor starten. Kein
Zündschloss, ein Knopfdruck reicht.
Kalt ist es, also Klimaanlage an – und
die Sitzheizung auf Stufe zwei. Ausparken ist ein Leichtes: Sobald man
rückwärts fährt, zeigt das Frontdisplay, was hinter dem Fahrzeug los
ist. 120 PS für 1400 Kilo Masse. Die
Beschleunigung fangen die Sitze gut
auf. Der Innenraum fühlt sich groß an.
Auch für einen Autofahrer oberhalb
der 1,80 Meter. Das schicke Panoramadach bleibt bei dem Hundewetter
zu. Den Sonnenschutz kann man aber
aufmachen. Der Regen prasselt jetzt
noch ein wenig lauter.
Mittlerweile ist es warm im Auto. Das
Gaspedal geht auf der Autobahn ein
bisschen tiefer. Gang vier, Gang fünf,
Gang sechs. Ob die Höchstgeschwindigkeit von 192 Stundenkilometern
geknackt werden kann, lässt sich im
Feierabendverkehr nicht prüfen. Beschleunigen kann er aber, auch aufwärts von 130 Sachen. Der Motor wird
etwas lauter. Von 0 auf 100 soll er 10,5
Sekunden brauchen.
Ein Spritvernichter ist der kleine SUV
dabei nicht: Er schluckt etwa vier Liter
Diesel auf 100 Kilometer. Für Umweltfreunde gibt’s eine grüne „Econ“-Taste, die den Kraftstoffverbrauch weiter
senken soll. Spürbar langsamer macht
das die Kiste nicht.
Der HR-V denkt auch mit. Das Fernlicht
blendet automatisch auf. Verlässt man
ohne zu blinken die Spur, ertönt ein
Warnsignal. Sogar ein automatisches
Bremssystem ist an Bord, das Auffahrunfälle verhindern soll. Kameras erkennen zudem Tempolimit-Schilder –
und zeigen die Höchstgeschwindigkeit
auf einem Display an. Angenehm ist
auch der Tempomat. Anschalten, Beine entspannen. Japanisch muss man
nicht können, um das Touchdisplay
zu bedienen. Dort lassen sich Musik,
Navi oder Fernsprechanalage regeln.
Bei der Fahrt sollte man das mit den
Knöpfen am Lenkrad bedienen.
Es hat aufgehört zu regnen. Zeit für
einen Pitstop. Von außen wirkt der
28.700 Euro teure Japaner mit Executive-Ausstattung kleiner als von
innen. Die Flanke sieht sportlich aus,
der Dachspoiler auch. Von vorne wirkt
der Wagen bullig. Der HR-V balanciert
zwischen Schnitt, Kraft und Raum. Für
einen SUV auffällig unauffällig. Daumen hoch.
Die Griffe der Hintertüren sucht man
zuerst vergeblich. Ein Dreitürer? Nein,
sie sind weiter oben am Fenster. Auch
hinten ist viel Platz. Die Magic-SeatsRücksitze lassen sich mit einem Handgriff umlegen. So passen auch klobigere Dinge in den Rückraum. Schon mal
einen kleinen Weihnachtsbaum im
Rückraum transportiert? Der 470-Liter-Kofferraum ist dann immer noch
leer. Wintersportler können einen der
beiden Rücksitze nach vorne klappen.
Da passen dann locker mal drei Snowboards rein. Ab auf Piste!
Till Neumann
HONDA HR-V
1,6i-DTEC
> Motor: Vierzylinder-Reihenmotor
> Hubraum: 1597 ccm
> Getriebe: 6-Gang-Schaltgetriebe
> Leistung: 88 kW / 120 PS
> Von 0 auf 100: 10,5 Sekunden
> Höchstgeschwindigkeit: 192
> Basispreis: 27.490 Euro (Ausstattungslinie Executive)
> Testwagenpreis: 28.715 Euro
> Weitere Infos: Autohaus Sütterlin,
Tullastr. 55, 79108 Freiburg
www.suetterlin.de
Dezember 2015 / Januar 2016 CHILLI 19

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