Die nachfolgende kurze geschichtliche Zusammenfassung bezieht

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Die nachfolgende kurze geschichtliche Zusammenfassung bezieht
Die nachfolgende kurze geschichtliche Zusammenfassung bezieht sich
vorwiegend auf die Zeit vor 1991 (Ausbruch der kriegerischen Handlungen
im ehemaligen Jugoslawien) und ist nicht mehr als ein ungefährer Umriss
ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Vielleicht aber kann meine
Zusammenfassung dem einen/der einen oder anderen als Unterstützung
bei Diskussionen mit Jugendlichen dienen.
Geschichtliche Zusammenfassung der Balkankrise 1
(von Jörg Fackelmann, come2geher – Erdberg)
Beginnen möchte ich 1389 – der ersten Schlacht auf dem Amselfeld (serb.
Kosovo polje), aus der der serbische Kosovo-Mythos entstand. Auf dem
Amselfeld stieß ein osmanisches Heer unter Sultan Murad I auf eine
christliche Allianz, bestehend aus serbischen, bosnischen, bulgarischen
und albanischen Kontingenten unter der Führung des serbischen Fürsten
Lazar Hrebeljanović. Der Sultan und der serbische Fürst ließen ihr Leben.
Die spärlichen schriftlichen Quellen über die Schlacht ergeben ein
lückenhaftes und widersprüchliches Bild. Nicht einmal das militärische
Ergebnis ist zweifelsfrei geklärt: Wer war Sieger, wer Verlierer? Erst die
Niederlage in der zweiten Schlacht auf dem Amselfeld 1448 besiegelte die
osmanische Hegemonie in Südosteuropa für Jahrhunderte. 1455 wurde
das Kosovo und 1459 der nordserbische Reststaat in das Osmanische
Reich inkorporiert. Das bedeutete das Ende des mittelalterlichen
serbischen Reiches. Das Kosovo als mentale „Wiege“ des mittelalterlichen
Serbiens, als Ort der „heiligen Erzählung des serbischen Volkes“, als
„serbisches Jerusalem“ sowie die „Erinnerung“ an die Schlacht auf dem
Amselfeld bilden die beiden Grundbestandteile des Kosovo-Mythos. Die
Schlacht von 1389 steht für Tod und Vernichtung, für das Strafgericht
Gottes, für Untergang, Leiden und Opferbereitschaft auf der einen, aber
auch für die „Auferstehung“ des irdischen Reiches und die Rache für das
erlittene Unrecht auf der anderen Seite. Der Kosovo-Schwur, der „Verrat“
des Vuk Branković und die Opfertat des Miloš Obilić enthalten
Botschaften: Der ehrenvolle Tod ist einem Leben in Schande vorzuziehen;
Märtyrertum und Opferbereitschaft ebnen den Weg zum „himmlischen
Reich“; Uneinigkeit und Treulosigkeit stürzen das Volk ins Verderben. Die
Folge von Zwietracht und Verrat war die Niederlage von 1389, die als
Untergang des serbischen Reiches, als „größte Katastrophe“ und
„Schicksalswende“ in der serbischen Geschichte gedeutet wird. Mit ihr
hätten die „fünfhundertjährige Sklaverei“ durch die Türken und die Leiden
1
Die geschichtliche Zusammenfassung ist folgenden Büchern entnommen:
BALKANKRIEG – 10 Jahre Zerstörung Jugoslawiens; Hrg. Hofbauer; 2001
SERBIEN MUSS STERBIEN – Wahrheit und Lüge im jugoslawischen Bürgerkrieg; Hrg. Bittermann; 2000
DIE WAHRHEIT ÜBER DEN NATO-KRIEG GEGEN JUGOSLAWIEN; Hrg. Richter/Schmähling/Spoo; 2000
KOSOVO – Ursachen und Folgen eines Krieges in Europa; Hrg. Rüb; 1999
KOSOVO – Wegweiser zur Geschichte; Hrg. Chiari/Keßelring; 2006
DIE KOSOVO-BILANZ – Scheitert die internationale Gemeinschaft?; Hrg. Kramer/Džihić; 2006
BOSNIEN-HERZEGOWINA – Wegweiser zur Geschichte; Hrg. Keßelring; 2007
der Serben – oder wie man in den 1960er Jahren formulierte: der
„Genozid“ an den Serben – ihren Anfang genommen.
Nur wenige Menschen interessierten sich noch für das Kosovo als
Territorium oder Mythos. Das änderte sich erst im Verlaufe der schweren
politischen, wirtschaftlichen und allgemeinen Orientierungskrise nach dem
Tod Titos 1980. Es waren Vertreter der serbischen orthodoxen Kirche,
Schriftsteller, Wissenschaftler, Politiker und Journalisten, die den KosovoMythos in den 1980er Jahren ins Zentrum der öffentlichen Diskurse in
Serbien rückten. Meilensteine auf diesem Weg waren das berühmtberüchtigte Memorandum der Serbischen Akademie von 1986 und die
600-Jahresfeier der Schlacht auf dem Amselfeld im Jahre 1989. Der
Genozid-Topos, demzufolge die Serben seit 1389 einer permanenten
existenziellen Bedrohung ausgesetzt und immer wieder „Opfer“ gewesen
seien, beherrschte bald die öffentliche Deutung von Vergangenheit und
Gegenwart. Gegen Ende der 1980er Jahre setzte Serbiens Präsident
Slobodan Milošević den Kosovo-Mythos gezielt ein, um seine Vision eines
Großserbiens zu untermauern. „Auf dem 600. Jahrestag der Schlacht um
Kosovo verkünden wir, dass Kosovo Serbien ist und dass diese Tatsache
weder von der albanischen Fertilität noch von der serbischen Mortalität
abhängt. Dort ist so viel serbisches Blut geflossen und dort sind so viele
heilige Relikte, dass Kosovo serbisches Land bleiben wird, auch wenn kein
einziger Serbe dort bleibt.“
Nach verbreitetem albanischem Verständnis stammen die Albaner von den
antiken Illyrern aus dem Raum Kosovo ab (der räumliche Ursprung ist
jedoch umstritten). Im serbischen Fall darf man den Begriff „Wiege“ nur
figurativ begreifen – obwohl es sehr viele Serben gibt, die ernsthaft daran
glauben, das Kosovo sei der eigentliche „Geburtsort“ des serbischen
Staates gewesen. Das Kosovo wird vielfach sogar als der „Geburtsort“ der
serbischen Nation betrachtet – was eine Fehlauffassung ist. Das
Territorium war nicht der Entstehungsort des ersten serbischen Staates.
Dieser ist im heutigen Montenegro zu suchen. Der erste dauerhafte
serbische Staat entstand im späten 12. Jahrhundert in jenem Gebiet, das
heutzutage als Sandžak bezeichnet wird. Dessen Zentrum ist Raška, in der
Nähe von Novi Pazar, und damit nicht das Kosovo selbst. Ende des 13. bis
zu Beginn des 15. Jahrhunderts, für knapp eineinhalb Jahrhunderte,
bildete das Kosovo das politische Zentrum des serbischen Reiches, das
unter Stefan IV. Dušan seine Blütezeit erlebte, als in rascher Folge das
ganze heutige Albanien sowie Nord- und Mittelgriechenland in Besitz
genommen werden konnte. Das schnell zusammengeraffte Reich zerfiel
aber nach Dušans Tod wieder. In seiner weitesten Ausdehnung hatte es
keine zehn Jahre Bestand gehabt; im Geschichtsbild der Serben wird
gerade auf diese Maximalexpanison zurückgegriffen, ohne auf ihren
kurzlebigen Charakter einzugehen. Im 19. Jahrhundert begannen auf dem
Balkan die christlichen Bevölkerungsgruppen (Serben ab 1804, Griechen
ab 1821) gegen die osmanische Herrschaft aufzubegehren. Das Reich
zerfiel sowohl militärisch als auch wirtschaftlich.
Nach dem Russisch-Türkischen Krieg (1877/78) erlangten Serbien,
Montenegro und Rumänien die Unabhängigkeit. Die von den Albanern
bewohnten Gebiete fielen zum Teil an Serbien und Montenegro. Das
Kosovo als historische serbische Provinz rückte nun in den begehrlichen
Blick Serbiens, mit einer entsprechenden Gegenreaktion der Albaner. Eine
Gruppe albanischer Intellektueller, hauptsächlich aus dem Kosovo,
versammelte sich am 10. Juni 1878 in der Stadt Prizren und gründete die
Liga von Prizren. Dies markierte den Beginn einer albanischen
Nationalbewegung im Kosovo. Der Aufwind der südosteuropäischen
Nationalbewegung ging mit der zunehmenden politischen Schwäche des
osmanischen Staates einher. Insbesondere dessen Nachbarstaaten
Österreich und Russland unterstützten separatistische Tendenzen im
Osmanischen Reich. Auf dem internationalen Berliner Kongress von 1878,
der eine Neuordnung des Balkans nach dem Russisch-Türkischen Krieg
zum Ziel hatte, konnten sich die Großmächte nicht einigen, wie mit dem
Osmanischen Reich, dem „kranken Mann am Bosporus“, verfahren werden
sollte. Anstelle einer Aufteilung des Balkans oder einer Stabilisierung des
Osmanischen Reiches, ermächtigte der Berliner Kongress ÖsterreichUngarn dazu, die osmanische Provinzen Bosnien und Herzegowina zu
besetzen. Das Ende der Liga von Prizren 1881 bildete den Auftakt für das
Erstarken des albanischen Nationalismus. Ein selbstständiges Albanien
entstand erst während der Balkankriege von 1912/13. Der politische Wille
Österreich-Ungarns und Italiens, Serbien den Zugang zur Adria zu
verwehren, stand bei seiner Geburt Pate.
Aus serbischer Sicht hat man den Albanern eine gewichtige Mitschuld am
„türkischen Joch“ angelastet, waren sie doch in ihrer Mehrheit zum Islam
konvertiert, um mit den Osmanen jene Gebiete zu besiedeln, die als
„serbisches Kernland“ hochstilisiert wurden. Hinzu kam, dass serbische
Intellektuelle
pseudowissenschaftliche
Propagandaschriften
verfasst
hatten, die u.a. darauf abzielten, den Albanern Zivilisiertheit und folglich
auch die Befähigung zu politischer Eigenständigkeit abzusprechen. All
diese Faktoren haben dazu beigetragen, dass die (während des
Balkankrieges 1912/13) in das Kosovo vordringenden serbischen und
montenegrinischen Truppen mit großer Brutalität gegen die muslimische
Bevölkerung vorgingen.
Infolge des Kriegseintritts Bulgariens auf der Seite der Mittelmächte und
des Vordringens deutscher und österreich-ungarischer Truppen in das
Kosovo blieb der serbischen Regierung Ende 1915 nur noch die
Evakuierung ihrer Truppen. Nach der Niederlage der Mittelmächte 1918
und dem Einmarsch der Ententemächte rückten die serbischen Truppen
erneut in das Kosovo ein und gingen abermals mit äußerster
Rücksichtslosigkeit gegen die albanische Zivilbevölkerung vor.
In der Zwischenkriegszeit gab es im Kosovo einen jahrelangen Kleinkrieg
zwischen den serbischen Machthabern und albanischen Guerillaverbänden
(die so genannte „Kaçak-Bewegung“), die einen Anschluss des Kosovo an
Albanien erwirken wollten. Die Belgrader Regierung leitete im Gegenzug
Maßnahmen zur „Serbisierung“ der Region ein, wodurch der Anteil der
serbischen Bevölkerung von 24 auf 38 Prozent anstieg. Aufgrund der
schon damals instabilen Lage in der Region (sowie mangelhafter
Infrastruktur, sehr schlechter medizinischer Versorgung und fehlender
Bildungseinrichtungen) scheiterte diese „Serbisierungspolitik“ aber da
viele serbische Kolonistenfamilien wieder abwanderten.
Mit der Zerschlagung Jugoslawiens durch die Achsenmächte im April 1941
kam es zu einer abrupten Umkehr der Machtverhältnisse im Kosovo. Die
Besatzer versuchten die Bedürfnisse jener Völker zufrieden zu stellen, die
sich im serbisch dominierten Jugoslawien der Zwischenkriegszeit
benachteiligt geführt hatten. Für das Kosovo bedeutete dies, dass es
großteils zusammen mit Westmazedonien und Teilen Montenegros an
Albanien angeschlossen wurde. Die Machtumkehr löste umgehend
Rachehandlungen gegen die serbische Minderheit im Kosovo aus.
Im neu geschaffenen volksdemokratischen jugoslawischen Bundesstaat
wurde das Kosovo wieder der Republik Serbien zugeschlagen, erhielt
diesmal aber den Status einer autonomen Region. Zur Entspannung der
Lage hatte auch die Entscheidung des jugoslawischen Innenministeriums
beigetragen, den vertriebenen serbischen und montenegrinischen
Kolonisten eine Rückkehr ins Kosovo zu untersagen. Die Phase der
Entspannung war aber nur von kurzer Dauer. Der Bruch zwischen Stalin
und Tito 1948 führte zu einem Ende der freundschaftlichen Beziehungen
zwischen Belgrad und Tirana. Für die Kosovo-Albaner bedeutete dieser
Schritt einen Rückfall in das politische Klima der Zwischenkriegszeit. Das
Vorgehen der jugoslawischen Geheimpolizei richtete sich gegen breite
Teile der Zivilbevölkerung. Zwischen 1953 und 1966 verließen unzählige
Albaner das Kosovo in Richtung Türkei ohne die Möglichkeit einer
Rückkehr. Erst die Absetzung des jugoslawischen Vizepräsidenten und
Chef der Geheimpolizei leitete 1966 einen innenpolitischen Kurswechsel
ein. Dieser drückte sich in einer schrittweisen Anhebung des Status des
Kosovo aus. 1974 wurden die beiden autonomen Provinzen Kosovo und
Vojvodina den sechs übrigen Republiken in ihren Kompetenzen
weitgehend gleichgestellt. Die Albaner nützten die verfassungsmäßige
Aufwertung ihrer Provinz, um sich auf den verschiedenen Ebenen des
politischen, ökonomischen und kulturellen Lebens zu etablieren.
1981 brachen in Priština massive Studentenproteste aus, welche zwar von
der misslichen ökonomischen und sozialen Situation in der Provinz
motiviert waren, aber auch weitreichende politische Forderungen wie die
Aufwertung des Kosovo zu einer Republik bis hin zum Anschluss an
Albanien beinhalteten. Über die Provinz wurde der Ausnahmezustand
verhängt. Nun gewannen in Belgrad jene Stimmen an Gewicht, die eine
verfehlte Nationalitätenpolitik für diese Entwicklung verantwortlich
machten und eine Kurskorrektur forderten. Zahlreiche serbische Medien
griffen das Kosovothema auf und trugen in ihrer von nationalen
Stereotypen und Vorurteilen durchzogenen Berichterstattung wesentlich
dazu bei, das interethnische Klima zu vergiften. In diese aufgeheizte
chauvinistische Atmosphäre fiel der Machtaufstieg Slobodan Miloševićs.
Milošević hob den Statut über Territorialautonomie für das Kosovo auf und
unterstellte die albanische Bevölkerungsmehrheit einer repressiven,
besatzungsähnlichen Direktherrschaft Belgrads. Die Folge waren schwere
Ausschreitungen
sowie
die
Gründung
eines
kosovarischen
„Schattenstaates“ mit eigenen Verfassungsorganen wie Präsident,
Regierung und Parlament sowie einem eigenen Steuersystem und einem
separaten Schul- und Gesundheitssystem.
In allen Teilrepubliken und bei allen Völkern Jugoslawien machte sich,
wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß, Mitte der achtziger Jahre eine
Renaissance nationaler Gefühle bemerkbar. Dieser Prozess trug eine
gefährliche Lust zur Revanche gegen ein anderes oder mehrere andere
Völker in sich, den Wunsch also, angeblich offene historische Rechnungen
zu begleichen. Überall im krisengeschüttelten Jugoslawien erhielten die
nationalen
Fliehkräfte
politischen
Rückenwind.
Die
serbische
Nomenklatura unter Slobodan Milošević konvertierte 1989 beim Gedanken
an den heldenhaften christlichen Widerstand gegen die Osmanen im
Kosovo polje (Amselfeld) zur nationalen Kraft; in Kroatien und Bosnien
erklommen Anfang der 90er Führer wie Franjo Tudjman und Alija
Izetbegović die höchsten politischen Ämter; die beiden hatten wegen
nationalistischer bzw. muslim-fundamentalistischer Umtriebe schon
mehrfach Bekanntschaft mit Gefängniszellen gemacht; in Makedonien
besann man sich der nationalen Eigenheiten; Sloweniens ökonomische
Überlegenheit definierte die wirtschaftlich am höchsten entwickelte Region
aus der balkanischen Brüderschaft hinaus; das Selbstbestimmungsrecht
der albanischstämmigen Kosovaren war seit Jahrzehnten ausschließlich
national definiert; und auch vor Montenegro und der Vojvodina machten
regionalistische Fliehkräfte nicht halt.
Was bei der Berichterstattung des Jugoslawienkriegs fast nicht erörtert
wurde, sind die geopolitischen und wirtschaftlichen Interessen der NATOLänder. Dieser Krieg ist nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde von
langer Hand vorbereitet. Einmal durch die Destabilisierung der
jugoslawischen Wirtschaft durch die Weltbank und den Internationalen
Währungsfonds (IWF). Die Phase der gesamtwirtschaftlichen, neoliberalen
„Reformen“ begann 1980 und hatte, bis 1990, den Absturz des
Wirtschaftswachstums um mehr als 10% zur Folge. Der prowestlichen
jugoslawische Ministerpräsident Marković ließ sich 1989 während einer
Amtsreise in die USA (damaliger Präsident war Bush Senior) zur
Umsetzung eines Sparpakets überreden. Wie bei den verschuldeten
Ländern der Dritten Welt gehörten zu diesem Sparpaket: Abwertung der
Währung, Einfrieren der Löhne, Beschneidung der Regierungsausgaben,
Auflösung der selbst verwalteten Betriebe. All dies waren Bedingungen für
die Gewährleistung von Krediten. 1990 wurde Jugoslawien vom IWF ein
Strukturanpassungsprogramm verordnet. Ziel dieser „Reformen“ war die
Öffnung des Landes für ausländische Konsumgüter und Investitionen. Die
Folgen dieser „Reformen“ waren u.a., dass 600.000 von insgesamt 2,7
Millionen Arbeitern arbeitslos wurden und viele Firmen in Konkurs gehen
mussten. Die Arbeiter wehrten sich (damals waren kroatische, serbische,
albanische und bosnische Arbeiter noch einig im Kampf gegen die
neoliberale Politik) mit Demonstrationen gegen die Importflut
ausländischer Konsumgüter und die Verdrängung einheimischer Betriebe.
Am 25. Juni 1991 beschlossen Zagreb und – ganz kurze Zeit danach –
Ljubljana einseitig die Unabhängigkeit ihrer Teilrepubliken. Während die
Konfrontationen in Slowenien innerhalb von sieben Tagen beendet waren,
wuchsen sich die paramilitärischen Scharmützel fünf Wochen nach der
Ausrufung der kroatischen Unabhängigkeit (und dem Scheitern von letzen
Geheimgesprächen zwischen Slobodan Milošević und Franjo Tudjman)
zum Krieg aus. Alleine im Jahr 1991 wurden hunderttausende Kroaten aus
Slawonien und anderen Landesteilen vertrieben. Auf der anderen Seite
flohen mindestens 60.000 Serben vor den Racheakten aufgehetzter
Kroaten. Die blutige Bilanz der kroatischen Nationalbewegung bis Ende
1992: 6.500 Tote; ebenso viele Vermisste; 20.000 Verwundete; eine bis
zu 50% ruinierte Industrie; 600.000 Flüchtlinge, Kroaten wie Serben. In
Westslawonien wurde durch die UNPROFOR eine erste UN-Schutzzone
eingerichtet. Die dortige serbische Minderheit traute dem Frieden ebenso
wenig wie die Serben in Ostslawonien oder der Krajina. Zudem war
mittlerweile das große Völkerschlachten in Bosnien ausgebrochen, wo
nach dem Muster – rasche Anerkennung der bosnischen, das heißt
muslimisch-kroatischen Staatlichkeit durch den Westen sowie Ignoranz
gegenüber den Serben – bald eine internationale Verstrickung gegeben
war. Im Frühjahr 1993 wurde die muslimische Enklave Srebrenica in
Ostslawonien von Einheiten der bosnischen Serben brutal belagert, die
Bilder dieser Belagerung gingen um die Welt. Die beiden Anschläge auf
einen Markt in Sarajevo (Februar 1994 und August 1995), deren
Urheberschaft bis heute nicht zweifelsfrei aufgeklärt werden konnten,
waren der Auftakt für die NATO zur bereits länger vorbereiteten
militärischen Intervention auf dem Balkan. Am 30. August 1995 stiegen
NATO-Kampfjets auf und bombardierten die bosnisch-serbischen Orte
Pale, Lukavica, Čajniče Sarbinje u.a. Am 7./8. August 1995 begann die
kroatische Großoffensive zur Eroberung der Krajina, 230.000 Serben
ergriffen die Flucht.
Die bosnische Tragödie übertraf die kroatische noch. Hier war und ist die
ethnische Durchmischung um ein Mehrfaches komplizierter. Dreieinhalb
Jahre lang dauerte der südslawische Bürgerkrieg in Bosnien-Herzegowina.
Die bosnischen Muslime und Kroaten – und mit ihnen Westeuropa –
nahmen diesen Krieg ausschließlich als serbische Aggression war;
gleichzeitig jedoch fielen herzegowinische Muslime auch kroatischen
Bomben zum Opfer, Muslime aus Bihać wurden von den Glaubensbrüdern
der Izetbegović-Armee bekämpft und vertrieben; mit bosnischen Serben
bevölkerte Dörfer sahen den Aggressor in den „Grünen Baretten“ der
Moslemarmee, Serben aus der bosnischen Krajina fürchteten die Attacken
der Kroaten.
Am 1. November 1995 begrüßte US-Außenminister Warren Christopher
die nach Dayton/Ohio zitierten Präsidenten Tudjman, Izetbegović und
Milošević. 20 Tage sollte nun über die ethnische Landkarte Bosniens
diskutiert werden, bis sich Clinton mit seinen drei „Gästen“ einigte.
Dayton, gab Chef-Unterhändler Holbrooke zu, stand für eine neue Art der
Diplomatie: die „Holzhammermethode“. „Alle Beteiligten werden so lange
eingesperrt, bis sie zu einer Einigung kommen.“ Es wurde um jeden
Quadratkilometer gefeilscht, bis am Abend des 21. November 1995 eine
Landkarte gezeichnet werden konnte, der alle drei Präsidenten
zustimmten. Dayton legte fest, dass Bosnien – als erstes Land der Welt –
aus zwei Einheiten besteht: der muslimisch-kroatischen Föderation und
der Serbischen Republik. Es war eine Zentralregierung geplant, die für
Außenpolitik, Währungsfragen, Kommunikation und Zollwesen zuständig
sein sollte, nicht jedoch für Polizei und Armee. Zur Überwachung des
Vertragswerkes wurden die IFOR/SFOR-Truppen vorgesehen, an denen
sich in der Folge sogar neutrale Länder wie Österreich beteiligten.
Kosovo war das „Armenhaus“ im Tito-Jugoslawien. Die kosovarische
Wirtschaft wurde vor allem durch Mittel aus dem gesamtjugoslawischen
Struktur- und Kohäsionsfonds am Leben erhalten, dessen Funktion die
Umverteilung von reicheren Republiken zu strukturell schwächeren
Gebieten der Jugoslawischen Föderation war. Entscheidend für die
schwierigen Beziehungen zwischen der albanischen Mehrheitsbevölkerung
und den anderen Ethnien im Kosovo ist, dass kaum Ansätze eines
multiethnischen Lebens im Sinne eines „Miteinander“ existierten. Im
Kosovo gab es auch vor dem Krieg – beeinflusst durch die historisch
konfliktreichen Beziehungen zwischen Albanern und Serben – bestenfalls
ein „Nebeneinander“ der beiden Volksgruppen. Kosovo den Albanern, hieß
die Losung der Selbstbestimmer aus dem Kosovo seit Titos Tod. Kosovo
ist serbisch, lautete die ähnlich gestrickte Antwort aus Belgrad.
Das Jahr 1997 führte in die endgültige Militarisierung des Konflikts. Durch
den Zusammenbruch der Staatlichkeit im benachbarten Albanien im
Gefolge
der
Zahlungsunfähigkeit
der
landesweit
operierenden
Pyramidenspiele zum Jahresende 1996 bot sich für die UÇK (Ushtria
Çlirimitare e Kosovës) die Möglichkeit, an schwere Waffen zu kommen.
Der albanische Staatsbankrott im Jahr 1997 spielte eine entscheidende
Rolle bei der Aufrüstung der kosovarischen Organisation UÇK. Deren
Charakterisierung als Befreiungsarmee setzte sich im Westen erst Mitte
1998 durch – noch im Februar 1998 bezeichnete US-Sondergesandter
Robert Gelbard die Aktivität der UÇK als „terroristisch“. Im Jahr 1997
konnte der serbische Repressionsapparat im Kosovo einen Schlag gegen
die gewalttätige Albanerorganisation landen: Die erste Generation der
UÇK wurde bei Razzien vernichtet. Damit verstärkten sie auch das
antiserbische Hassgefühl in der albanischen Bevölkerung. Doch während
die serbischen Greuel im Kosovo der westlichen Öffentlichkeit ausgiebig
dargelegt wurden, war von den terroristischen Methoden der UÇK nicht
viel zu sehen oder zu lesen. In den Monaten November und Dezember
1998 stieg die UÇK zur führenden albanischen Kraft im Kosovo auf.
150.000 Serben, 70.000 Roma, Türken, Juden und andere Minderheiten
haben ihre Heimat unter dem Druck der UÇK verlassen müssen.
Die serbischen Sicherheitskräfte gingen seit 1998 ebenfalls mit
unvorstellbarer Brutalität gegen die UÇK und die albanische
Zivilbevölkerung vor. In den umkämpften Gebieten wurden Dörfer und
Siedlungen zum Teil völlig zerstört und unzählige Menschen vertrieben.
300.000 Flüchtlinge veranlassten die Internationale Gemeinschaft
schließlich zum Handeln.
Die Androhung von Luftschlägen bewirkte zunächst, dass die Führung in
Belgrad die Zahl ihrer Truppen begrenzte und der Stationierung von
OSZE-Beobachtern zustimmte. Nachdem im Februar 1999 die
Verhandlungen im französischen Rambouillet scheiterten (lediglich die
kosovo-albanische Delegation unterschrieb das Abkommen) begann die
NATO am 24. März 1999 mit Luftschlägen gegen militärische Ziele in der
Bundesrepublik Jugoslawien. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich
Hunderttausende Kosovo-Albaner auf der Flucht. Die humanitäre
Katastrophe verstärkte sich nach dem Beginn der NATO-Intervention
dramatisch. Nach dem Ende der Bombenangriffe der NATO und dem
Einmarsch der NATO-Truppen in den Kosovo Mitte Juni 1999 befanden
sich nach Angaben von UNHCR insgesamt mehr als 850.000 albanische
Kosovaren außerhalb des Kosovo. Die (in der europäischen Öffentlichkeit
umstrittenen) Luftangriffe brachten die Führung in Belgrad nach 30tägigem Luftkrieg an den Verhandlungstisch zurück und erzwangen die
Zustimmung zum Einsatz einer internationalen Schutztruppe auf ihrem
Territorium. Diese sollte im Kosovo die Demilitarisierung und Entflechtung
der Konfliktparteien sichern. KFOR 2 und UNMIK 3 konnten in den ersten
Wochen und Monaten nach Beendigung des Luftkrieges der NATO aber
nicht verhindern, dass es zu einer „umgekehrten Vertreibung“ der nichtalbanischen Bevölkerung kam. Nach Beendigung der Kampfhandlungen
und dem Rückzug der serbischen Truppen dauerte es einige Wochen, bis
die KFOR im Kosovo die Kontrolle übernehmen konnte. Dieses Vakuum
wurde von der stark präsenten und gut bewaffneten UÇK unter Hashim
2
KFOR – Kosovo Foce
Das Mandat für die KFOR-Truppen wurde im Juni 1999 erteilt, 2 Tage nach der Verabschiedung der
Sicherheitsratsresolution 1244. Zentrale Aufgaben der KFOR waren die Verhinderung neuer kriegerischer
Auseinandersetzungen, Absicherung und Durchsetzung des Waffenstillstandes, Sicherstellung des Abzugs der
bewaffneten Kräfte der Bundesrepublik Jugoslawien, weiters die Entmilitarisierung der UÇK und Schaffung
eines sicheren Umfelds für die Rückkehr der Flüchtlinge.
3
UNMIK – United Nations Mission in Kosovo
Das Mandat für die UNMIK wurde mit der Resolution 1244 definiert. Mit ihr wurde der Generalsekretär der
UNO ermächtigt, eine zivile Übergangsverwaltung unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen zu
etablieren und eine demokratische Selbstverwaltung der Kosovaren zu schaffen.
Thaci und Ramush Haradinaj genutzt, die Macht in den Gemeinden und
Städten zu übernehmen. In diesem Kontext einer weitgehenden
Rechtlosigkeit gingen die UÇK und die albanische Mehrheitsbevölkerung,
die bis Juni 1999 selbst Opfer der serbischen Repression gewesen war, mit
großer Brutalität gegen die im Kosovo lebenden Serben, Roma und
Angehörige anderer Minderheiten vor. Erst im Herbst gelang es der KFOR,
die UÇK unter Kontrolle zu bringen und ihre Kämpfer zu entwaffnen. Nach
Schätzungen des UNHCR sind mehr als 200.000 Nicht-Albaner während
und unmittelbar nach dem Krieg vertrieben worden bzw. flüchteten aus
Angst vor Racheakten der Kosovo-Albaner.
Ab 2000 begann eine Normalisierung der Lebenssituation für die
albanisch-kosovarische
Mehrheitsbevölkerung.
Die
im
Zuge
der
Kriegshandlungen zerstörten Häuser und Straßen wurden wieder
aufgebaut, ein Bildungs- und Gesundheitssystem installiert, politisch und
ethnisch motivierte Attentate gingen zurück. Völlig anders und negativer
entwickelte sich die Situation für die Menschen in den Enklaven der
Serben im Kosovo und für die anderen Minderheiten. Die
Bewegungsfreiheit der Minderheiten, ihr Zugang zur Basisversorgung und
zum Gesundheits- und Bildungssystem blieben in hohem Maße
eingeschränkt. Die Sicherheitssituation war besonders katastrophal für die
in Enklaven lebenden Serben, denen der Zugang zu ihren Feldern
verwehrt wurde und die sich ohne Schutz der KFOR-Truppen nicht mit
Lebensmitteln versorgen konnten. Diese Entwicklung kann als Art
„negativer Frieden“ (Abwesenheit von direkter Gewalt) beschrieben
werden.
Erstmals nach dem Krieg kamen am 14. Oktober 2003 in Wien
Spitzenpolitiker der Serben und Albaner zusammen. Die politisch
entscheidende Frage nach der staatsrechtlichen Zukunft der zu 90% von
Albanern bewohnten Provinz blieb zunächst ausgeklammert –diskutiert
wurde über das Problem der Flüchtlinge und über Themen wie
Energieversorgung und Infrastruktur. Gespräche über die Statusfrage
begannen im November 2005. Bislang ist ein Abrücken der beiden Seiten
von ihren Grundsatzpositionen nicht erkennbar: Während die Regierung in
Belgrad dem Kosovo lediglich Autonomierechte zuerkennen will, lehnen
die Kosovo-Albaner jede Regelung ab, die dem Kosovo nicht die volle
staatliche Unabhängigkeit bringt.
Im Frühjahr 2004 ereigneten sich im Kosovo flächendeckende
antiserbische Ausschreitungen, in deren Verlauf auf Seiten der
Zivilbevölkerung Tote und Verletzte, zerstörte Klöster und Kirchen,
demolierte Häuser und viele Vertriebene zu beklagen waren. KFOR und
UNMIK verzeichneten ebenfalls Verletzte während der Unruhen zwischen
16. Februar und dem 20. März. Das internationale Entsetzen über die
Ausschreitungen hatte vor allem zwei Ursachen. Erstens offenbarten diese
auf brutale Weise den zwischen Kosovo-Albanern und Kosovo-Serben
bestehenden Hass und zweitens die Tatsache, dass sowohl militärische wie
zivile Akteure vor Ort vom Ausmaß der Gewalt vollständig überrascht
wurden.
Das ambitionierte Projekt der internationalen Gemeinschaft im Kosovo,
moderne
demokratische
Strukturen
aufzubauen,
findet
unter
außerordentlich schwierigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen
statt. Die Kosovaren erhofften sich von der Einführung der westlichen
Demokratie vor allem die Übernahme politischer Verantwortung und eine
möglichst baldige staatliche Unabhängigkeit. Das Demokratie nicht nur
ordnungsgemäß
durchgeführte
Wahlen,
die
Einrichtung
von
demokratischen Institutionen und politische Selbstverwaltung bedeutet,
sondern vor allem auf der Bereitschaft zum Kompromiss und zur Toleranz
basiert, dass der Schutz der Minderheiten erste Priorität sein muss, diese
Einsicht war und ist in der politischen Kultur und in der politischen Klasse
im Kosovo wenig verankert. Dass auch die internationale Gemeinschaft in
ihrem naiven und moralisch selbstgefälligen Glauben nicht sehr sensibel
war für die Realitäten in der Gesellschaft, die sie in Richtung Demokratie
und Modernität führen sollte, steht außer Frage. Sie waren zu wenig
vorbereitet
auf
die
Konfrontation
einer
„relativ
entwickelten
Bürgergesellschaft (Europa) mit einer Clangesellschaft, in der
Familienstrukturen von sehr viel größerer Bedeutung (sind) für das
Verhältnis von Privatheit und Öffentlichkeit.“
Die Entwicklung und die Situation im Kosovo sind zum gegenwärtigen
Zeitpunkt in zentralen gesellschaftlichen Bereichen immer noch als
krisenhaft und nur eingeschränkt als positiv einzuschätzen. Gemessen an
den ambitionierten Zielen von KFOR und UNMIK haben sechs Jahre des
Aufbau- und Statebuilding-Prozesses im Kosovo bei weiten nicht die
erhofften Erfolge und positiven Entwicklungen gebracht. Ein „positiver
Frieden“, die Voraussetzung für Koexistenz zwischen der albanischkosovarischen Mehrheitsbevölkerung und den Minderheiten konnte bislang
nicht verwirklicht werden, es herrscht eine „gespannte Stabilität“.
In der Gesamtschau wird erkennbar, dass es sich nicht um einen bloßen
Minderheitenkonflikt handelt. Vielmehr wetteifern zwei ethnopolitische
Hauptakteure um die beiderseits beanspruchte (Vor-)Herrschaft über ein
bestimmtes Gebiet. Statt zweier Staaten konkurrieren hier ein Staat –
Serbien – und die albanische Mehrheitsbevölkerung des Kosovo. Die
politischen Vertreter der Letzteren haben beständig versucht, ein nichtserbisches staatliches Dach über der Region zu bewahren oder zu
errichten. Das Unabhängigkeitsstreben der Kosovo-Albaner ist untrennbar
an die massiven Bedrohungsängste geknüpft, die mit der Perspektive
einer erneuten serbischen Herrschaft in der Region verbunden werden.
Das gleiche gilt umgekehrt für den Wunsch nahezu aller Kosovo-Serben,
staatlich mit Serbien vereint zu bleiben.
Abschließend muss festgestellt werden, dass das Kosovo noch immer weit
von einem Frieden entfernt ist. Eine Eskalation der Situation kann
insbesondere im Zusammenhang mit den Statusverhandlungen oder bei
einer
einseitigen
Unabhängigkeitserklärung
des
Kosovos
(und
Anerkennung durch die EU und USA) wieder eintreten. Sollten die KosovoGespräche für eine der beiden Seiten einen ungünstigen Verlauf nehmen,
wird sich die Lage voraussichtlich grundlegend ändern. Eine
Lageverschärfung ist dann nicht auszuschließen.