Die Steine der Inkas Die Steine der Inkas

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Die Steine der Inkas Die Steine der Inkas
Die Steine der Inkas
Die Steine der Inkas
- Auf den Spuren versunkener Hochkulturen in Peru -
Es war sicher eine militärische Glanzleistung, wie die spanischen Eroberer, die “Conquistadores”, da mit
einem vergleichsweise kleinen Heer ein Weltreich besiegten und unterjochten. Einen Staat, der sich zu jener
Zeit von Mittel- bis weit nach Südamerika hinunter ausdehnte.
Die Eindringlinge mordeten und plünderten mit unglaublicher Brutalität. Wenn auch, wie zu jener Zeit üblich,
im Namen der Jungfrau Maria. Und im Auftrag der spanischen Krone.
Nicht minder stark getrieben von der Gier nach Schmuck und vor allem Gold, versteht sich, das in
unvorstellbaren Mengen geraubt und nach Spanien abtransportiert wurde.
Dies alles geschah ohne Verständnis, Pardon und Gnade für die hier lebenden Völker, die unterworfen,
erpresst, gemordet und schließlich zum römisch-katholischen Glauben gezwungen, oder neutraler: “bekehrt”,
wurden.
Und dies alles geschah ohne jede Kenntnis, geschweige denn Achtung vor der langen Geschichte dieses
Landes, seinen Werten, dem Glauben der Inkas, ihren Organisations- und Staatsformen oder den profanen
und religiösen Bauwerken der Unterdrückten. Alles oder fast alles wurde vernichtet, zerstört, abgerissen und
dem Erdboden gleichgemacht. Damals, vor etwa 450 Jahren.
Und dann kommt noch ein besonders makaber anmutender Aspekt der modernen Geschichte hinzu:
Die restlichen Steine, Mauern und Ruinen der Inkas, die dennoch der Zerstörungswut der Spanier
entgangen sind, werden jetzt nochmal und erneut ausgebeutet! Und zwar von den Nachkommen jener
spanischen Eroberer, welche diese Reste als touristisch interessante Objekte vermarkten. Und zwar
ausgesprochen erfolgreich. Mit einem Umsatz im Tourismusgeschäft von etwa 50 Milliarden Mark. Pro Jahr,
versteht sich. Allein in Peru.
Und weiter: auch heute wieder spielen die Indios nur eine untergeordnete Rolle:
Als billige Produktionskräfte von Reise-Souvenirs die Kinder. Die Frauen als malerische und photogene
Staffage von Indiomärkten. Und als günstige Arbeitskräfte beim Straßenbau über die Anden schließlich die
Männer jenes seit Jahrhunderten geschundenen und bis in unsere Tage ausgebeuteten Volkes........
Ich denke, man kann nicht durch Südamerika reisen, ohne sich diese Zusammenhänge immer wieder vor
Augen geführt zu haben. Was eigentlich nicht schwer fallen sollte. Denn man begegnet derartigen Hinweisen
immer wieder und auf Schritt und Tritt. Selbst auf den üblichen ein bis zwei Stunden Stipvisiten bei den
sogenannten touristischen Höhepunkten, zu denen man in atemloser Hast durch Peru getrieben wird, bei
jenen beliebten “alles-enthalten-in-14-Tagen-Rundreisen”.
Doch nun zu den “Steinen der Inkas”.
Es sind die wohl am kunstvollsten bearbeiteten Steinquader, die wir jemals gesehen haben. Besonders jener
riesige, unregelmäßig-12-eckige Stein, der sich ohne ein Gramm Mörtel millimetergenau in die Mauer auf der
Calle Rumiyoc einfügt. In Cuzco, einer der schönsten Städte Südamerikas.
Cuzco, in einem Andental gelegen, auf einer Höhe von etwa 3.400 m, war vom 13. bis zum 16. Jahrhundert
die Hauptstadt der Inkas. Bis der Spanier Pizarro die Stadt in jenem erwähnten Okkupationskrieg eroberte
und zur Hauptstadt des damaligen Kolonialreiches der gesamten Region machte.
Die Bauten jener Zeit sind nahezu vollständig erhalten und bilden an der zentralen Plaza de Armas ein
unvergleichliches Ensemble des typischen Baustils dieser Epoche mit der Kathedrale, der Jesuitenkirche,
den Bürgerhäusern mit Arkaden, holzgeschnitzten Balkons und dem Universitätsgebäude.
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Überall pulsierendes Leben! 250 000 Einwohner hat die Stadt. Daneben über das ganzen Jahr verteilt
Touristen aus aller Herren Länder. Auf den Straßen in langer Kette aufgereiht Autobusse, Laster, Taxis und
einige wenige private PKWs. Mitten in der Stadt der Flughafen. Freundliche Verkehrs-Polizisten, viele
patroullierende Fremden-Polizisten, die vor Taschendieben oder anderen “Belästigungen” schützen sollen
(und damit in der Tat überaus erfolgreich sind).
In diesem Zusammenhang:
Peru ist heute ein absolut sicheres Reiseland. Sein Präsident Fujimoro hat gegen Banditentum und Räuberei
mit aller Konsequenz und Härte durchgegriffen, zuletzt wohl bei jener Botschaftsbesetzung in Lima vor
einigen Jahren.
Er hatte die katastrophale Auswirkung des zunehmend schlechten Rufes für Peru, ein unsicheres ReiseLand zu sein, auf den recht wichtigen Wirtschaftszweig des Tourismus sehr rasch erkannt und entsprechend
gehandelt. Allenthalben stehen Polizeistreifen an den Straßen. Man wird - als Tourist - ohne Ausnahme
freundlich behandelt, nie gibt es unangenehme Konfrontationen, nie Ablehnung, gar Aggressionen oder ein
böses Wort!
Deshalb ist auch jener Absatz in dem Südamerika-Führer von Walther dringend korrekturbedürftig, der da
vor der fast 700 km langen Anden-Strecke von Cuzco nach Nazca mit den Worten warnt: “.....gefährlich, weil
die Busse Angriffen von Terroristen und Banditen ausgesetzt sind....”
Diese Feststellung gehört in das Reich der Fabel.
Richtig ist, daß es sich bei eben dieser Route um eine sehr viel befahrene Strecke handelt (wenn nicht um
die Trans-Anden-Trasse schlechthin), die zudem (auch im Gegensatz zu den Beschreibungen anderer
Führer wie Mai’s und APA Guides) jetzt bis auf etwa 120 km um Abancay durchgehend asphaltiert ist und
atemberaubende Paßfahrten sowie unvergleichliche Landschaftseindrücke bietet.
Ich würde also genau umgekehrt argumentieren!
Wer die Anden überquert, etwa von Lima in Richtung Titicaca-See, sollte genau diese Route, also die
Nationalstraße 26 wählen. Sie ist von allen sicheren Straßen die allersicherste, die am meisten befahrene
und die mit dem kürzesten Anteil von Schotterpiste. Wobei mit Hochdruck an der Fertigstellung der
restlichen Abschnitte gearbeitet wird und in absehbarer Zeit ein durchgehender Asphaltbelag die
Andenüberquerung zu einem nur noch schönen und nicht mehr zusätzlich anstrengenden Erlebnis werden
läßt.
Unabhängig von allem bleibt aber natürlich der eigentlich selbstverständliche Rat an jeden SüdamerikaTouristen, auf sein Geld und seine persönlichen Dinge aufzupassen und jedes aufreizende Gehabe oder
allzu zudringliches Photographieren zu vermeiden.......
Zur politischen Situation noch ein Wort: Die offensichtlich auch mit militärischen Mitteln wiederhergestellte
politische Ordnung, das Erstarken der Wirtschaft und die Anlehnung an die großen Wirtschaftsmächte der
Welt lassen zu Gunsten eher konservativer politischer Kräfte notgedrungen nur wenig Raum für
Abgrenzungsbestrebungen ethnischer Minderheiten, kultureller Besonderheiten oder ökologische Aktivitäten.
Wir kehren zurück zu den Spuren der Inka-Kultur.
Auf unserer Fahrt durch Südamerika besuchen wir im heiligen Tal der Inkas unterschiedlich gut erhaltene
Anlagen, die uns etwas über ihr Wohnen und Leben berichten
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Zunächst bummeln wir über einen der bekanntesten Märkte in dieser Region, nämlich den des Ortes Pisaq.
Nach dem Einkauf einiger typischer Decken und Kleidungsstücke führt uns der Weg auf den im Hintergrund
gelegenen Berg zu einer präkolumbianischen Ansiedlung.
Sie ist durch gewaltige Terrassenanlagen ausgezeichnet. Wir erkennen Gräberfelder, Wachttürme und
Häuserreste. Man kann sich sehr gut die beherrschende Rolle dieser Stadt in den vergangenen
Jahrhunderten vorstellen.....
Am Urubambafluß geht es weiter zur gleichnamigen Stadt und etwas weiter dann nach Ollantaytambo, mit
einem weiteren monumentalen Festungsbau, der sich vom Fuß des Berges weit hinauf zieht. Mit
Bewässerungsgräben unten, Stufen- und Treppen-Anlagen etwas weiter bergan, Tempeln, Wachttürmen,
Plätzen und Wohnhäusern auf verschiedenen Höhen. Riesige Steinquader sind wieder exakt zueinander
passend zu gewaltigen Mauern aufgetürmt. Monolithen, Opfersteine, Tore und gewaltige Terrassen zeugen
von unglaublichem architektonischen Ideenreichtum und großem technischen Können der Baumeister des
Inkareiches jener Tage.
Von hier, von Ollantaytambo, sollte uns am folgenden Tag die Eisenbahn zum Machu Picchu bringen....
Kein Zweifel: Die Inkastadt Machu Picchu stellt den absoluten Höhepunkt einer Reise durch das Gebiet der
Inkas dar (selbst dann, wenn es den ganzen Tag regnet, wie beispielsweise bei unserem Besuch!).
Das Besondere an dieser Stadt auf einem Berggipfel ist, daß sie der Zerstörungswut der spanischen
Eroberer entgangen ist: Wie durch ein Wunder haben die Conquistadores sie damals nicht gefunden!
Vielleicht war diese Stadt im Urwald auf einem häufig wolkenverhangenen Berg eben doch zu gut versteckt!
Sie wurde erst Anfang unseres Jahrhunderts neu entdeckt! Daher ist alles hervorragend erhalten. Man
braucht sich lediglich vorzustellen, daß die Häuser wieder Dächer bekommen, und schon könnte man wieder
hier hausen.
Da die Inkas keine Schrift kannten, stehen den Wissenschaftlern wesentliche und überall sonst vorhandene
Möglichkeiten, über das damalige Leben Informationen zu erhalten, nicht zur Verfügung.
Es fahren von Ollantaytambo morgens drei Züge zum Machu Picchu ab.
Zunächst der für “Autotouristen”. Er ist eingerichtet für die Besucher, die sehr früh in Cuzco mit dem Bus
gestartet sind. Da gerade die Eisenbahner streiken, gibt es keinen Zubringer auf Schienen aus Cuzco
hierher zum Startpunkt des eigentlichen Machu Picchu-Zuges. Sie dürfen nun hier als erste einsteigen. Denn
dieser wichtige devisenbringende Zug wird aus sehr vordergründigen Überlegungen eben nicht bestreikt.
Etwa 30 Minuten später folgt der offizielle “Touristen-Zug” mit “Pullmanwagen”. Für den haben wir Karten
ergattert. Er ist nicht ganz voll: denn zur Zeit ist keine Saison!
Wieder eine halbe Stunde später folgt der Zug für die Indios. Er ist wieder überfüllt. Alle nehmen Unmengen
von Gepäck mit; eine andere Transportmöglichkeit auf den Berg gibt es nicht.
Natürlich gibt es Preisunterschiede bei diesem Transportsystem: Im ersten Zug darf man für 55 $ Platz
nehmen. Die zweite Passage ist trotz identischer Ausstattung für nur 14 $ pro Person zu haben. Im dritten
Zug ist man gar für 20 Soles, also lediglich 7 $ für die Hin- und Rückfahrt mit dabei!
Die Fahrt dauert etwa 2 Stunden. Die Geleise folgen dem jetzt durch viele Regengüsse randvollen, wild
dahinströmenden Urubamba-Fluß talabwärts. Auf einer Strecke von etwa 40 km geht es etwa 1000
Höhenmeter hinunter. Wir sehen nun eine fast tropische Vegetation. Alles grünt und blüht. Besonders
auffallend die rot und gelb blühenden Bromelien und Orchideen.
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Ankunft am Fuße des Berges, auf dessen Gipfel die Inkastadt liegt. Auf dem Weg vom Bahnhof zu den
Kleinbussen, die uns aus dem Tal jetzt wieder nach oben bringen sollen, in einer Serpentin- und
Schlangenfahrt, stürzen sich Andenkenhändler, Verkäufer von Decken, Schmuck und Kleidungsstücken
erneut auf uns. Sie sind besonders aufdringlich. Vielleicht liegt das daran, daß zur Zeit so wenige Touristen
kommen?
Die Regenwolken tauchen das, was da oben in der Inkastadt überhaupt erkennbar ist, in ein gespenstischfahles und milchiges Licht. Wir stehen auf einer etwas herausragenden Anhöhe und müßten das ganze
Gelände eigentlich herrlich überschauen können.
Zunächst erkennen wir aber nur eine gut erhaltene Mauer in unserer unmittelbaren Nähe. Sonst ist nichts zu
sehen. Wir sind sehr enttäuscht.
Doch dann reißen plötzlich die Wolken auf und der unmittelbar vor uns liegende “landwirtschaftliche Sektor”
mit seinen Terrassen wird sichtbar.
Etwas später steigen wir ab in die Stadt und kommen in die Region der Tempel. Die Heiligtümer finden sich
auf verschiedenen Ebenen. Der bedeutendste ist wahrscheinlich der halbrunde und auf einem Granitfelsen
erhöht stehende Sonnentempel. Seine Mauern sind aus fein geschliffenen Steinquadern zusammengefügt.
Später überqueren wir vier weitere ineinander übergehende Ebenen und Plätze und erreichen die Region
der Paläste, schließlich die der Wohnhäuser. Abseits am südlichen Rand des Geländes ist die Region der
Gräber erkennbar.
Zwischendurch jagen immer wieder Wolken wie dichte Nebelschwaden über und durch die Ruinenstadt. Es
ist, als würde wie im Theater unvermittelt der Vorhang zugezogen, obwohl man gern noch weiter schauen
möchte. Regen peitscht uns ins Gesicht, um wenige Minuten später wieder aufzuhören und erneut einen nun
wieder klaren Blick auf bunte Gemäuer, Terrassen oder Plätze frei zu geben.
Das ganze Areal umfaßt eine Fläche von etwa 30 bis 40 ha. Man nimmt an, daß zur Blütezeit dieser
Inkastadt mehrere Tausend Menschen hier gelebt und gearbeitet haben, auf diesem geheimnisvollen Felsen
am Ostrand der Anden.
Dieses sagenumwobene Volk der Inka läßt uns auch in den folgenden Tagen nicht los.
In Chincheros besuchen wir einen Ruinenkomplex, der aus Terrassen, Gebäuderesten und Kultstätten
besteht und einer Kirche im Kolonialstil, die auf eben diesem Grund erbaut ist und sich auf alte Inkamauern
stützt. Das haben wir übrigens mehrfach gesehen. Wie alte und kunstvoll zusammengefügte Mauern aus der
Inkazeit von den Spaniern als tragfähige Fundamente für neue, eigene Kirchen oder Paläste genutzt
wurden. Im Inneren der Kirche von Chinchero, bei der wir uns gerade aufhalten, begeistern uns eine herrlich
bemalte Kirchendecke im Schiff und mehrere erstaunlich gut erhaltene wunderschöne Wandbilder, die leider
nicht photographiert werden dürfen.
Hinter dem etwas ungewöhnlichen Namen Saqsaywaman verbirgt sich - zwischen sanften Hügeln wenige
Kilometer oberhalb von Cuzco - ein beeindruckender, gewaltiger Ruinenkomplex mit fast zyklopischen
Steinmauern. Wieder ohne Mörtel sind hier Steinquader zusammengefügt, von denen einzelne über 100
Tonnen wiegen. Die Inkas nannten dieses festungsähnliche Bauwerk “Haus der Sonne”. Es enthielt Türme,
Portale, Wasserkanäle und Wohnungen.
Wir haben viel Zeit, uns von den bearbeiteten Steinen fesseln zu lassen; sie strömen Ruhe aus, die nur von
einer rhythmischen Trommelmusik unterbrochen wird. Wir schauen uns um und erkennen, daß sie von
einem jungen Mann herrührt, der mit seinem Instrument ganz oben auf einer der Inkamauern sitzt.
Versonnen und hingebungsvoll lauscht er den Tönen, die er unermüdlich seiner Trommel entlockt.
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Das Gelände dieses archäologischen Parks ist groß. Ich laufe etwas abseits von der offiziellen Route und
komme auf einen kleinen Hügel. Er gestattet einen herrlichen Blick auf die schräg unter mir liegende Stadt
Cuzco. Sie ist nicht so weit entfernt, als daß ich nicht recht gut nochmal die Plaza de Armas erkennen kann.
Mit ihren Grünanlagen, den Bürgerhäusern und der alles überragenden Kathedrale.
Cuzco im Licht der Nachmittagssonne, im Hintergrund die Andenzüge.
Ein wunderschönes Bild, das ich lange im Gedächtnis behalten möchte!
Wir müssen Abschied nehmen von dieser geschichtsträchtigen aber auch geheimnisvollen Region.
Sie hat uns besonders durch ihre Steine beeindruckt.
Steine, die von Menschen bearbeitet, transportiert und zusammengefügt wurden.
Zu Kunst- und Bauwerken geformt in einer Art, die wir heute nicht mehr beherrschen.
Steine, die zu einem geringen Teil der Zerstörungswut der Menschen standgehalten haben.
Steine, die auch durch Erdbeben nicht verrückt worden sind
Wir nehmen Abschied von diesen Steinen.
Von den Steinen der Inkas.
Mit Bewunderung und großer Hochachtung.
© 2000, Prof. Eike Uhlich