„Ich spiele gerne die zwielichtigen Typen“

Transcrição

„Ich spiele gerne die zwielichtigen Typen“
Kunzt&Kult
N
eulich ist Hannes Stelzer
ein ganz verrücktes Ding
passiert: Er wachte des
Nachts auf, es ging ihm
gesundheitlich gar nicht
gut. „Hannes, sagte ich zu mir“, erzählt
Hannes Stelzer, „Hannes, du hast ja eigentlich das Alter, vielleicht geht das
heute Nacht zu Ende.“ Und wie er da
so lag in seinem Bett, fiel ihm plötzlich
eine Textzeile ein. Hannes Stelzer hebt
den Zeigefinger, sagt mit pointierter
Stimme: „Es war die Nacht, in der ich
sterben sollte.“
Er setzt eine kleine, wohldosierte
Pause, legt den Kopf schief, lässt sein
schelmisches Lächeln aufblitzen, wird
wieder ernst und sagt dann: „Da kriegt
natürlich jeder erst mal einen Schreck –
aber der Text ging weiter: ,Trotzdem ich
eigentlich noch keinen Bock hatte, ich
wollte noch gar nicht sterben.‘ Aus diesen Zeilen habe ich dann eine Ballade
geschrieben, die davon erzählt, dass der,
der mich da so beunruhigen wollte, gar
nicht Gevatter Tod war, sondern der
Teufel, der mich holen wollte.“ Der verschwand sofort, als am frühen Morgen
die Sonne den ersten Lichtstrahl schickte. „Tja, so entstehen meine Gedichte,
meine Lieder, die ich dann in meinen
Computer tippe“, sagt Hannes Stelzer,
der 89 Jahre alt ist. Und er zeigt auf seinen Schreibtisch, wo sein Laptop liegt;
auf seine Gitarre, die auf einem Ständer ruht; auf lose Notenblätter, die sich
auf einem kleinen Tischchen gesammelt haben.
Aus familiären Gründen hat es ihn
vor ein paar Jahren aus Berlin nach
Hamburg, dann in den Stadtteil Bramfeld verschlagen, und Letzteres hat einen ernsten und traurigen Hintergrund:
Er wollte hier in einem Altenstift nahe
bei seiner an Alzheimer erkrankten Frau
leben, mit der er am Ende 64 Jahre ver-
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„Ich spiele
gerne die
zwielichtigen
Typen“
Hannes Stelzer stand 1946 zum ersten Mal auf der
Bühne und 1961 zum ersten Mal vor der Kamera. Ein
Besuch bei einem Schauspieler, der nur zwei Klappen
braucht und der den Teufel besiegen kann.
Text: Frank Keil
Fotos: Dmitrij Leltschuk
Er ist zur See gefahren, hat an der Oper
­gesungen, in zahlreichen TV- und
­Kino­produktionen in Ost und West brilliert:
Bei Hannes Stelzer ist auch mit 89
immer noch ein bisschen Luft für Neues.
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heiratet war. Doch sie stirbt, kurz bevor
ein kleines Apartment für ihn frei wird,
in das er dennoch gezogen ist.
Er möchte gern darüber ein Buch
schreiben, der Mittelteil steht schon,
aber immer wenn er an den Anfang
oder an das Ende kommt, spielt sein
Blutdruck verrückt, dann geht einfach
nichts mehr. Aber was soll’s und was
hilft’s: Das Manuskript liegt da und
wenn er nicht weiterkommt, hat er ja
auch noch seine Gedichte und vor allem
seine Filme.
Er schaut sich um, weist auf die Türen, die zu Bad, Küche und Schlafraum
führen: „Wir hatten in Berlin eine große
Wohnung, und sich so zu verkleinern
war im ersten Augenblick natürlich eine
Katastrophe. Hier im Wohnzimmer
kann ich nicht mal eine Couch hinstellen, ich bin räumlich also recht beschränkt“, erzählt er. „Aber ich habe
meine Arbeitsecke und ich habe hier
nichts auszustehen.“ Er weist nach
draußen, wo viel Grün zu sehen ist; wo
ein Plattenweg zu den anderen Häusern
führt: „Und ich habe sehr angenehme
Nachbarn. Wissen Sie, ab einem gewissen Alter ist es schön, wenn man unter
seinesgleichen ist, abends nach zehn
Uhr ist hier Ruhe. Es wohnt sich hier
sehr gut, was will ich mehr.“
Vor der Kamera war Hannes Stelzer schon
Henkersknecht und Soldat, Pilzsammler,
Richter, Schwarzhändler oder Museumswärter. Als Obdachloser war er
in der TV-Krimiserie „Sperling“ zu sehen.
Allerdings muss er aufpassen, dass er
auch alle grüßt! Er, der für das Stift gerade eine Hymne geschrieben hat und
der auch hier im Haus immer wieder einen seiner Lieder- und Lesungsabende
vor großem Publikum veranstaltet. Dafür nimmt er natürlich keinen Eintritt,
sondern bittet stattdessen um Spenden.
Beim letzten Mal ging der Erlös an
Hinz&Kunzt. „Ich bin hier der bunte
Hund“, sagt Hannes Stelzer. „Ich darf
niemanden übersehen, nicht dass es
heißt: ,Der Hannes hat mich heute gar
nicht gegrüßt, der hat das wohl nicht
mehr nötig! Der wird langsam arrogant!‘“ Arrogant zu sein, das hat Hannes Stelzer nun wirklich nicht mehr vor
– trotz der gut 70 Film- und der mehr
als 180 Fernsehproduktionen, die er
vorweisen kann.
„Wissen Sie, 1946 stand ich das erste Mal auf der Bühne, 1961 drehte ich
meinen ersten Film“, sagt er. Dabei war
das alles gar nicht vorgezeichnet; er
kann keinen in seiner Familie vorweisen,
der vor ihm künstlerisch unterwegs war,
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außer einem Urgroßvater vielleicht, der
Kantor gewesen sein soll. So beginnt alles in der Schule: „Ich war in der Schule
der beste Sänger, Knabensopran, konnte das hohe C, und mein Musiklehrer
meinte zu mir: ,Hannes, du müsstest
mal Opernsänger werden.‘“
Aber er will zuerst Skilehrer werden, dann Schornsteinfeger, dann,
schon realistischer, zieht es ihn zur See:
Schiffskoch, das wäre was! Er beginnt
eine Ausbildung zum Schiffsingenieur,
kommt zur Marine, wird eingezogen, ist
bei der Kriegsmarine.
Zurück im zerstörten Deutschland,
in seiner sächsischen Heimatstadt Görlitz, trifft er einen ehemaligen Schulkumpel, der Akkordeon in einer Tanzkapelle spielt und der sich an seine
Sangeskünste erinnert: „Ich hab ihm
,Sentimental Journey‘ vorgesungen, und
er hat mich sofort zu seinem Kapellmeister geschleppt, denn die suchten gerade einen Gesangsgitarristen, und der
sagte: ,Du bist ein dufter Sänger, du
spielst eine dufte Gitarre, den Rest erarbeitest du dir.‘“ So wechselt Hannes
Stelzer über Nacht den Beruf, das Fach,
hat bald eine eigene Tanzkapelle, studiert schließlich im Hauptfach Gesang
an der wiedereröffneten Hochschule in
Ostberlin und kommt an die Oper. „Ich
war Charaktertenor, ich bin ein Spieltalent von Haus aus, da kann ich gar
nichts dafür. Mein erster Regisseur sagte
über mich: ,Dem brauchst du nichts zu
sagen, der macht alles richtig und singen
kann er auch.‘“
Es folgen erfolgreiche Jahre an der
Oper in Zwittau, in Schwerin, in Potsdam. Stelzer singt und spielt so ziemlich
alle Rollen des Repertoires. Doch dann
hat er mit einer Stimmbandlähmung zu
kämpfen, von der er sich zwar wieder
erholt, aber seine Stimme hat gelitten.
„Zum Glück hatte ich da schon Film
und Fernsehen gemacht. Die fragten
mich: ,Sag’ mal, willst du nicht ganz vor
die Kamera wechseln?‘ Das habe ich
dann gemacht.“
Er ist im DDR-Polizeiruf ebenso zu
sehen wie in aufwendigen Klassiker­
verfilmungen der DEFA, auch Radio
macht er. Hannes Stelzer hat eine eigene Musiksendung; er soll im Rundfunk
eine leitende Position einnehmen, doch
dafür müsste er in die Partei eintreten:
„Brutale Leute
zu spielen fällt
mir ein bisschen
schwer.“
Hannes Stelzer
„Das war keineswegs so, dass das alles
Idioten waren, die nur die rote Fahne
anbeteten, aber ich bin von Haus aus
Christ. Mein Chef meinte: ,Hannes, du
wärst mein idealer Nachfolger, und das
macht doch nix: Du wohnst in Potsdam,
da gehst du dort in die Kirche und hier
in Berlin gehst du zur Partei.‘ Und ich:
,Das kannst du, das können andere –
aber der Hannes kann das nicht.‘“ Also
bleibt er freiberuflich tätig und findet sofort Anschluss, als die DDR endet. Er
spielt nun im Tatort, bei der Küsten­
wache, bei Jenny Berlin, im Groß­stadt­
revier; ist in Filmen wie „Sommer vorm
Balkon“ oder „Die Friseuse“ zu sehen.
„Ich spiele am liebsten die zwielichtigen Typen, aber die sind knapp. Ganz
brutale Leute zu spielen, das fällt mir
ein bisschen schwer, weil mir von Haus
aus die Brutalität fremd ist, und weil ich
mich dann beim Spielen sehr verkehren
muss“, sagt er. Und er setzt hinzu: „Ich
bin in Fachkreisen dafür bekannt, dass
ich auch die kleinste Rolle gestalte.
Wenn ich aber ein Drehbuch lese und
merke, aus der Rolle kann ich nichts
machen, dann gebe ich sie ab.“
Einen richtigen Spitznamen habe er
auch: der Zwei-Klappen-Mann. Erste
Klappe: Schon ganz gut, aber das eine
und andere ist noch zu verbessern. Bei
der zweiten Klappe sitze dann jede
­Geste, jeder Satz. „Weil ich vorher bei
den Proben voll arbeite!“
Deshalb hadert er durchaus mit
dem heutigen Fernsehen, dem heutigen
Film: „Zu viele Filme werden so durchgedroschen. Die Gage wird gedrückt,
statt zehn Tage wird nur acht Tage lang
gedreht. Normalerweise sagt man, dass
an einem Tag vier, fünf Minuten Film
gemacht werden. Bei ,Gute Zeiten,
schlechte Zeiten‘ werden aber pro Tag
27 Minuten produziert – da leidet die
Qualität drunter.“ Auch bei GZSZ hat
er schon mitgespielt.
Davor hätte Hannes Stelzer seine
Schauspielerlaufbahn beinahe schon beendet: „Es gibt ja für jemanden in meinem Alter nur noch wenige Rollen. Na
gut – ich kann einen spielen, der im
­Altersheim sitzt.“ Aber sein Gesichtsausdruck verrät, dass ihn solche Rollen
nicht reizen.
Es sind junge Leute aus der Hamburger Filmerszene, die ihn 2005 in die
Filmwelt zurückholen und mit denen er
zwei wunderbare Kurzfilme realisiert,
die auf vielen Festivals Anklang finden:
„Draußen“, über die ersten Schritte
­e ines langjährigen, nun entlassenen
Strafgefangenen in die für ihn neue
Welt; und „Heim“, ein Schwarz-WeißFilm irgendwo nahe des Hamburger
Hafens gedreht, der mit dem Genre des
Krimis spielt und in dem Hannes Stelzer
sein ganzes Können zeigt.
So kann es ruhig weitergehen: „Ich
hab im letzten Jahr fünf Filme gehabt“,
sagt er, und Stolz schwingt in seiner
Stimme mit. Okay – es waren keine
Hauptrollen dabei, aber das muss ja
auch nicht mehr sein. Hannes Stelzer
steht nun aus seinem Sessel auf, er reckt
sich und streckt sich, freut sich auf den
Tag, der noch vor ihm liegt, denn der
Hannes, der hat nicht nur heute noch
ziemlich viel vor.
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Der Kurzfilm „Heim“ mit Hannes Stelzer in
der Hauptrolle ist auf Youtube zu sehen:
http://www.youtube.com/
watch?v=uzIJuJm1NrY
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