Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib von Pflegekindern

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Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib von Pflegekindern
Universität Siegen
Fakultät II
Bildung • Architektur • Künste
Department Erziehungswissenschaft • Psychologie
„Die am wenigsten schädliche Alternative“
Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib von Pflegekindern unter
drei Jahren aus rechtlicher und pädagogischer Sicht
Schriftliche Ausarbeitung zur Erlangung des Grades Bachelor of Arts Soziale Arbeit
vorgelegt von:
Martin Gies
Gutachter:
Herr Prof. Dr. Klaus Wolf
Herr Univ.-Prof. Dr. Tobias Fröschle
Abgabedatum:
18. April 2012
I N H A LT
1. Einleitung
2. Theoretischer Hintergrund
2.1. Rechtliche Grundlagen
2.1.1. Das Recht der Eltern
2.1.1.1. Das natürliche Recht der Eltern
2.1.1.2. Elterliche Sorge
2.1.2. Das Wohl des Kindes
2.1.3. Hilfen zur Erziehung
2.1.3.1. Hilfeplanung
2.1.3.2. Vollzeitpflege
2.1.3.3. Pflegeeltern
2.2. Pädagogische Grundlagen
2.2.1. Lebensphase Kleinkind
2.2.1.1. Bedürfnisse
2.2.1.2. Belastungen
2.2.1.3. Protektion
2.2.2. Bindungstheorie
2.2.2.1. Bindungsphasen
2.2.2.2. Bindungstypen
2.2.3. Kindliches Zeitempfinden
3. Problemstellung
3.1. Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib
3.1.1. Fachliche Sicht
3.1.2. Ethische Sicht
3.1.2.1. Die utilitaristische Strategie
3.1.2.2. Die deontologische Strategie
3.1.2.3. Die diskursethische Strategie
3.2. Die Verbleibensanordnung
3.2.1. Voraussetzungen
3.2.1.1. Familienpflege
3.2.1.2. Seit „längerer Zeit“
3.2.1.3. Herausgabeverlangen der Eltern
3.2.1.4. Gefährdung des Kindeswohls
3.2.2. Das Verfahren
3.2.3. Die Gefahr der Praejudizierung
3.2.4. Untersuchung zur Rechtsprechung
S. 5
S. 8
S. 8
S. 8
S. 8
S. 13
S. 17
S. 20
S. 22
S. 24
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S. 28
S. 28
S. 30
S. 32
S. 35
S. 38
S. 39
S. 41
S. 44
S. 47
S. 48
S. 48
S. 51
S. 52
S. 52
S. 52
S. 53
S. 54
S. 54
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S. 58
S. 59
S. 60
S. 65
S. 66
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S. 68
S. 69
S. 71
S. 72
S. 72
4. „Die am wenigsten schädliche Alternative“
4.1. Die Maxime nach Goldstein, Freud und Solnit
4.2. Perspektivplanung
4.2.1. Orientierungshilfe
4.2.1.1. Vertretbarer Zeitraum
4.2.1.2. Verbesserung der Erziehungsbedingungen
4.2.1.3. Beratung und Unterstützung
4.2.1.4. Beziehungen zur Herkunftsfamilie
4.2.1.5. Förderliche Lebensperspektive
4.2.2. Umsetzungsschwierigkeiten
4.2.2.1. Fachliche Defizite
4.2.2.2. Rechtliche Friktionen
4.2.3. Konsequenzen und Perspektiven
4.2.3.1. Für die Praxis
4.2.3.2. Für die Rechtsvorgaben
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
7. Anhang
Plagiatserklärung
S. 73
S. 73
S. 73
S. 74
S. 76
S. 76
S. 77
S. 78
S. 80
I - IV
Abkürzungsverzeichnis
Abs.
Absatz
AG
Amtsgericht
Art.
Artikel
BGB
Bürgerliches Gesetzbuch
BGH
Bundesgerichtshof
BT-Drs.
Bundestags-Drucksache
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgericht
DJI
Deutsches Jugendinstitut
EGMR
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte
FamRZ
Zeitschrift für das gesamte Familienrecht
FPR
Familie Partnerschaft Recht (Zeitschrift)
GG
Grundgesetz
hM
herrschende Meinung
HzE
Hilfen zur Erziehung
Hs.
Halbsatz
iVm
In Verbindung mit
JAmt
Das Jugendamt (Zeitschrift)
NJ
Neue Justiz (Zeitschrift)
NJW
Neue Juristische Wochenzeitschrift
OLG
Oberlandesgericht
Rn.
Randnummer
RdJB
Recht der Jugend und des Bildungswesens (Zeitschrift)
S.
Satz
ZfJ
Zentralblatt für Jugendrecht (Zeitschrift)
1. EINLEITUNG
Die von Goldstein, Freud und Solnit aufgestellte Formel „die am wenigsten schädliche Alternative“ 1 ist Erkenntnis, Handlungsanleitung und Maxime zugleich. Die der Aussage zugrunde liegende Erkenntnis besteht darin, dass das Pflegekind bereits als in seinem Wohl beeinträchtigt
gesehen wird, weil es schon ein „Opfer seiner sozialen Umweltbedingungen geworden ist.“2 Daraus erwächst als Handlungsanleitung, weiteren Schaden vom Kind abzuwenden. Als Maxime
bietet die Formulierung dabei den Maßstab, an dem sich alle Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib eines Kindes orientieren sollten.
Während die Orientierung am „Kindeswohl“ einen Idealzustand beschreibt, scheint damit die
Formulierung „die am wenigsten schädliche Alternative“ der Praxis näher zu kommen, in der
sich die Bestimmung des Kindeswohls oftmals als konflikthaft erweist, insofern verschiedenste
Interessengruppen und Perspektiven an der Entscheidung über Rückkehr oder Verbleib von
Pflegekindern beteiligt sind. In meinem Praktikum übte dieser vielschichtige, komplexe Konfliktpunkt eine große Faszination auf mich aus. Im Rahmen meines Praxisforschungsberichtes konnten bereits einige Erkenntnisse gewonnen werden, auf die in dieser Arbeit zurückgegriffen wird.
Weiterhin gab der Bericht Anlass dazu, im Rahmen dieser Arbeit die Spurensuche fortzuführen
mit dem Ziel, die rechtlichen und pädagogischen Grundlagen näher auszuleuchten, die bei der
Entscheidung über den Lebensweg von Pflegekindern eine Rolle spielen.
Ausgangspunkt für die Überlegungen war das Dilemma der Grundsatzfrage bei der Installation von Pflegeverhältnissen (auf Dauer oder auf Zeit). In diesem Rahmen müssen Fachkräfte im
Pflegekinderwesen bei der Hilfeplanung eine Prognose über die Möglichkeiten der Restabilisierung der Herkunftsfamilie treffen. Dies stellt sich gerade bei Kindern im bindungsrelevanten Alter in der Praxis als besonders schwer heraus, da diese Entscheidungen meist unter großem
Zeitdruck getroffen werden müssen. Hierbei gilt es, so die These, im Folgenden die Erfahrungen
aus der Praxis und der rechtlichen und pädagogischen Theoriebildung zu nutzen, um dadurch
die Prognosen zum Wohle der Pflegekinder und ihrer Identitätsverwirklichung zu verfeinern und
dabei durch empirisch fundiertes Wissen zu stützen.
Diese These wird in folgenden Schritten entfaltet. Zunächst wird der theoretische Hintergrund (2.) dargestellt. Aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit mussten Schwerpunkte
Goldstein, Joseph / Freud, Anna / Solnit, Albert J.: Diesseits des Kindeswohls. Frankfurt a. M. 1982, S. 17. (Im Folgenden zitiert als Goldstein / Freud / Solnit. Diesseits 1982.) Sowie Goldstein, Joseph / Freud, Anna / Solnit, Albert J.:
Jenseits des Kindeswohls. Frankfurt a. M. 1991, S.49. (Im Folgenden zitiert als Goldstein / Freud / Solnit Jenseits
1991.)
2 Goldstein / Freud / Solnit Jenseits 1991, S. 49f.
5
1
gesetzt werden. Die Ausführungen teilen sich in die rechtlichen (2.1.) und die pädagogischen
(2.2.) Grundlagen. Das Recht der Eltern (2.1.1.) als natürliches Recht unterliegt einem historischen Wandel (2.1.1.1.), den es für ein besseres Verständnis der heutigen Regelungen der elterlichen Sorge (2.1.1.2.) zunächst zu erläutern gilt. Die Grenzen der elterlichen Verantwortung
werden dort gezogen, wo das Wohl des Kindes (2.1.2.) und seine Rechte gefährdet werden. Die
staatliche Aufgabe ist es, über ihre Einhaltung zu wachen und förderliche Bedingungen für die
Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu schaffen (2.1.3.). Die Konkordanz zwischen Elternrechten und denen des Kindes muss bei den Hilfen zur Erziehung im Einzelfall geprüft und in das
Verfahren der Hilfeplanung (2.1.3.1.) mit einbezogen werden. In manchen Fällen ist die Vollzeitpflege (2.1.3.2.) die geeignete Form der Hilfe. Ihre Auswirkungen auf die elterliche Sorge und
die Befugnisse von Pflegeeltern werden (2.1.3.3.) ebenfalls zu thematisierten sein.
In den pädagogischen Grundlagen (2.2.) wird die Lebensphase von Kindern unter drei Jahren
(2.2.1) im Hinblick auf das Hauptthema durchleuchtet. Hierfür werden die Bedürfnisse (2.2.1.1.)
von Kindern beschrieben. Den in diesem Alter möglichen Belastungen und Risiken (2.2.1.2.) und
ihren Auswirkungen auf das spätere Leben werden Protektionsfaktoren gegenübergestellt
(2.2.1.3.). Der Blick wird im Folgenden auf die Bindungstheorie (2.2.2.) gelegt. Für die Perspektivplanung von Pflegekindern ist das Wissen um Bindungsphasen (2.2.2.1) und Bindungstypen
(2.2.2.2) sehr aufschlussreich. Damit eng verknüpft ist das kindliche Zeitempfinden von kleinen
Kindern (2.2.3).
Der anschließende Teil widmet sich der Problemlage (3.) bei der Entscheidung über Rückkehr
oder Verbleib von Pflegekindern (3.1.) und den Unsicherheiten bei der Prognose und Planung
von Perspektiven, die sich insbesondere bei Kindern unter drei Jahren ergeben. Im Bezug auf
dieses Dilemma werden hierfür neben den erheblichen fachlichen Anforderungen (3.1.1.) mögliche ethische Herangehensweisen (3.1.2.) vorgestellt. Die Frage nach Rückkehr oder Verbleib
muss in manchen Fällen in einer gerichtlichen Auseinandersetzung geklärt werden. Diese ist insofern interessant, als dass sie unter engen zeitlichen Vorgaben und meist verhärteten Fronten
stattfindet. An dieser Stelle müssen sich die Beteiligten (Sozialarbeiter, Sachverständiger, Richter,
Pflegeeltern, leibliche Eltern und das Kind) positionieren, rechtfertigen und eine prognostische
Einschätzung abgeben. Eine pädagogische Argumentation trifft hier auf gesetztes und richterliches Recht. Das Familiengericht kann eine Verbleibensanordnung (3.2.) nach § 1632 Abs. 4 erlassen. Dieser dient dem Schutz des Pflegekindes bei einem Herausnahmeverlangen der Eltern zur
„Unzeit“. Die Voraussetzungen dafür werden in Kapitel 3.2.1.1 - 3.2.1.4 vorgestellt. Das Verfahren
in Familiensachen (3.2.2.) wurde modernisiert und verkürzt. Gerade bei Kleinkindern ist die
6
Dauer von Verfahren von besonderem Belang. Heilmann beschrieb die Gefahr einer „faktischen
Praejudizierung“ (3.2.3.). Im Anschluss sollen in Anlehnung an seine und an die Untersuchungen
der Rechtsprechung von Lakies / Münder und Küfner die Verfahren der Verbleibensanordnung
nach besagter Modernisierung des Verfahrens unter Berücksichtigung des Faktors Zeit untersucht werden (3.2.4.).
Schließlich wird im nächsten Kapitel (4.) anhand der rechtlichen und pädagogischen Grundlagen sowie der Untersuchung der Rechtsprechung und ihrer Dauer aufgezeigt, welche Konsequenzen sich hieraus ergeben. Ausgehend von der Maxime der „am wenigsten schädlichen Alternative“ (4.1.) von Freud, Solnit und Goldstein, wird versucht, die Erkenntnisse für die kontinuitätssichernde Perspektivplanung (4.2.) von Pflegekindern unter drei Jahren in einer Orientierungshilfe (4.2.1.) nutzbar zu machen. Zuletzt werden die Umsetzungsschwierigkeiten (4.2.2.)
der fachlichen Defizite (4.2.2.1.) und rechtliche Friktionen (4.2.2.2.) thematisiert und mögliche
Perspektiven und Konsequenzen (4.2.3.) für die Praxis (4.2.3.1.) und für die Rechtsvorgaben
(4.2.3.2.) aufgezeigt.
Konzeptionell folgt die Arbeit in ihrem Aufbau dem Modell eines Trichters, indem von den
theoretischen Grundlagen schrittweise eine Annäherung an die zentrale Problemstellung erfolgt.
Zur Vereinfachung des Leseflusses wird auf eine Hervorhebung in Zitaten sowie auf das Anhängen der weiblichen Form weitgehend verzichtet, es sind selbstverständlich immer beide Geschlechter gemeint.
7
2. THEORETISCHER HINTERGRUND
Im Folgenden geht es zunächst darum, die wissenschaftlichen Grundlagen und Hintergründe
für den anschließenden Diskurs darzustellen. Zum einen werden hier die rechtlichen Vorgaben
näher betrachtet, zum anderen soll die Lebensphase Kleinkind aus pädagogischer Sicht beschrieben werden.
2.1. Rechtliche Grundlagen
2.1.1. Das Recht der Eltern
„Der Gerechtigkeit kommt an sich kein Sinn zu, vielmehr ist sie nur ein im gegenseitigen
Verkehr in beliebigen Erdgegenden getroffenes Übereinkommen zur Verhütung gegenseitiger Schädigung.“3
In der täglichen Arbeit der Jugendhilfe haben gesetzliche Normen und ihre Auslegung eine
große Bedeutung. Vielmehr noch legitimiert sich der überwiegende Teil der Sozialen Arbeit in
Deutschland über das Gesetz, wie z.B. die Jugendhilfe und die Sozialhilfe. Das Wissen um das
Recht der Eltern soll daher anhand seiner Entwicklung veranschaulicht werden.
Die historische Betrachtung der Entstehung und Wandlung von Normen zeigt auf, dass Recht
stetem Wandel unterliegt und lässt manche Probleme bei der Auslegung des geltenden Rechts
im zweiten Teil dieser Arbeit verständlicher erscheinen.
2.1.1.1. Das natürliche Recht der Eltern
Das Recht von Eltern, ihr Kind zu erziehen, wird nicht vom Staat durch Gesetz verliehen,
sondern von diesem als „natürliches Recht“ anerkannt.4 Hieraus resultiert ein Elternrecht, ein
Sorgerecht bzw. eine Elternverantwortung, welche in Artikel 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert und in
Form von weiteren Gesetzen näher bestimmt wird. Aus dem Grundgesetz geht nicht hervor,
wer die Eltern sind, die die Pflicht und das Recht besitzen, für ein Kind zu sorgen. Dieses ElternKind-Verhältnis regeln einfachgesetzliche Vorgaben der Abstammung im zweiten Abschnitt des
vierten Buches des BGB (§§ 1591ff BGB).
Die Entstehung des Rechtes der elterlichen Sorge unterlag einem steten Wandel, in der sich
vor allem die Veränderung von Familienformen und des Eltern-Kind-Verhältnisses widerspiegeln.5
Epikur zitiert nach Stefan Knischek: Lebensweisheiten berühmter Philosophen. Hannover 7. Aufl. 2008, S. 341.
59, 360, 376. Sowie weiterführend vgl. Zimmer, Angelika: Das Sorge- und Umgangsrecht im Lichte der
Kindschaftsrechtsreform. Diss. Dresden 2010, S. 73. (Im Folgenden zitiert als Zimmer 2010.) Sowie BVerfGE 79, 51.
5 Vgl. Zimmer 2010, S. 55.
8
3
4 Vgl. BVerfGE
Im römischen Recht oblag dem Vater (pater familias) durch die patria potestas die „väterliche
Gewalt“. Er hatte das Recht, seine Kinder zu verkaufen, über ihr Vermögen zu bestimmen und
gar über ihr Leben zu richten. Sie endete bei Töchtern mit der Heirat und bei Söhnen erst mit
dem Tod des Vaters oder mit der Veräußerung in das Ausland.6
Im germanischen Recht galt die „Munt“, eine vergleichbare „väterliche Gewalt“.7 Hier
herrschte der „Muntherr“ uneingeschränkt über die in seiner Hausgemeinschaft lebenden
Personen.8 Im Unterschied zum römischen Recht waren Frauen und Kinder dabei freie Personen und kein Eigentum des Vaters.9 Begriffe des aktuellen Bürgerlichen Rechts wie „Mündigkeit“,
„Mündel“ und „Vormund“ lassen sich etymologisch von „Munt“ ableiten 10 und verweisen auf
ihre Herkunft aus dem germanischen Recht.11
Im Verlauf des Mittelalters wandelten sich die Strukturen der Großfamilien, Sippen und Hausgemeinschaften. Sie wurden durch verschiedene neue Lebensformen ergänzt.12 Im Zuge der
Industrialisierung kam es zu grundlegenden gesellschaftlichen Umschichtungen. Wohnort und
Arbeitsstätte wurden getrennt, sodass die Erwerbsarbeit und Alterssicherung aus den Familienverbänden hinausgelöst wurde.13 Das patriarchalische Familienbild wurde dabei nicht zuletzt
durch Aufklärungsgedanken in Frage gestellt.14 Die Funktion der Familie wandelte sich von einer
funktionalen zu einer emotionalen und intimen. Die „Idee der Kindheit“ entstand.15
Am 01.01.1900 trat das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft. Die „väterliche Gewalt“ wurde hier
durch die „elterliche Gewalt“ ersetzt, allerdings nach wie vor die vorrangige Entscheidungs-, Erziehungs- und Vermögensgewalt des Vaters vor der Mutter betont.16 Die bürgerliche Familie
gewann an sozialer und politischer Bedeutung. Sie wurde in ihrer Funktion als staatsdienlich be-
6 Vgl. Schiemann, Gottfried: "Pater
familias." In: Der Neue Pauly. Herausgegeben von: Hubert Cancik, Helmuth
Schneider und Manfred Landfester. Tübingen 2012. Online unter:
http://referenceworks.brillonline.com/entries/der-neue-pauly/pater-familias-e909640, 11.04.2012; Sowie vgl. Zimmer
2010, S. 56.
7 Für eine weitere Ausdifferenzierung der Befugnisse siehe: Floßmann, Ursula: Die Familie. In: Österreichische Privatrechtsgeschichte. Wien 2005, S. 55 - 118, hier: S. 60. (Im Folgenden zitiert als Floßmann 2005.)
8 Vgl. Benner, Dietrich / Brüggen, Friedhelm: „Mündigkeit“. In: Benner, Dietrich / Oelkers, Jürgen (Hrsg.): Historisches
Wörterbuch der Pädagogik. Weinheim und Basel 2004, S. 687 - 699, hier S. 689. (Im Folgenden zitiert als Benner /
Brüggen 2004.)
9 Vgl. Benner / Brüggen 2004, S. 689.
10 Vgl. dazu die Einträge „Mündigkeit“, „Mund“ und „Mündel“ In: Köbler, Gerhard: Deutsches Etymologisches Wörterbuch. O.O. 1995, S. 275. Online unter: http://www.koeblergerhard.de/der/DERM.pdf, 29.02.2012.
11 Vgl. Benner / Brüggen 2004, S. 689.
12 Vgl. Floßmann 2005, S. 62f.
13 Meyer, Thomas: Private Lebensformen im Wandel. In: Geißler, Rainer: Die Sozialstruktur Deutschlands. Wiesbaden
6. Auflage 2011, S. 331 - 357, hier: S. 332. (Im Folgenden zitiert als Meyer 2011.)
14 Vgl. Floßmann 2005, S. 64. Sowie Zimmer 2010, S.58.
15 Vgl. Meyer 2011, S. 332.
16 Vgl. Zimmer 2010, S.58.
9
wertet und ihr Innenraum als „heilig“ und schützenswert erachtet, was dazu führte, dass sich
„die Rechtsliteratur aus der Behandlung des persönlichen Eherechts und des Eltern-Kind-Verhältnisses mehr und mehr zurückzog.“ 17 Eine solche Wertschätzung der familiären Intimsphäre
führte zugleich dazu, dass staatliche Eingriffsbefugnisse in diesen Raum anzweifelbar wurden.
Somit entstand ein Feld, auf dem elterliche Ansprüche mit staatlichen Ansprüchen konfligieren
konnten. Diese Friktion stellt bis heute oftmals einen Konflikt bei der Entscheidung über die Herausnahme von Kindern aus ihrer Herkunftsfamilie dar.
Zur Zeit des Nationalsozialismus wurde der staatsdienende Gedanke von Familie politisch
ideologisch instrumentalisiert. Der Einfluss der nationalsozialistischen Führung auf familienrechtliche Reformen war sehr groß. Mit dem Ehegesetz von 1938 und den Nürnberger Gesetzen
wurde bspw. zutiefst in die Rechte von Familien eingegriffen und diese staatsideologisch
geregelt.18 Nach dem Krieg wurde am 20.02.1946 ein neues Ehegesetz erlassen. Die nationalsozialistische Bestimmungen wurden entfernt, Struktur und wesentliche Bestimmungen jedoch übernommen und um manche Vorschriften des BGB von 1896 ergänzt. Es folgte die Teilung
Deutschlands in BRD und DDR. Die bis dahin einheitlichen Rechtsordnungen entwickelten sich
unterschiedlich weiter.19
In der BRD konnte sich vorerst die Emanzipation der Frau nicht durchsetzten und der Vorrang des Mannes bei der „elterlichen Gewalt“ wurde zunächst beibehalten. Erst mit Einzug des
Grundrechtes der Gleichberechtigung in die Verfassung von 1949 wurde der Grundstein für eine Neuregelung des Familienrechtes gelegt. Es trat in Form des Gleichberechtigungsgesetzes
erst am 01.07.1958 in Kraft. Allmählich wurde die gesellschaftliche Diskussion auf den Willen des
Kindes und seine unterwürfige Stellung gegenüber den Eltern gelenkt und die Erkenntnis gewonnen, dass dem Kind eine eigenständige Rechtsposition zusteht. Mit Inkrafttreten des Sorgerechtsgesetzes am 01.01.1980 wurde den neu entwickelten Ansichten über die Gestaltung der
Eltern-Kind-Beziehung Rechnung getragen, indem der Begriff der „elterlichen Gewalt“ durch den
der „elterliche Sorge“ abgelöst wurde, womit die Implikation eines Herrschaftsanspruchs der
Eltern über das Kind zugunsten der Betonung der Fürsorgepflicht in den Hintergrund trat.20
„Mit seiner Entscheidung v. 29.7.1968 hatte das BVerfG die rechtliche Aufwertung der Persönlichkeit des Kindes im Rahmen der elterlichen Sorge vorbereitet, indem es entschieden hatte,
17
Floßmann 2005. S. 65.
18 Vgl. ebd., S. 65f.
19 Vgl. Engelhardt, Sabine: Die
missglückte Regelung des Rechts der fehlerhaften Ehe durch das Eheschließungsrechtsgesetz 1998. Diss. Berlin 2004, S. 12f. Online unter:
http://edoc.hu-berlin.de/dissertationen/engelhardt-sabine-2004-07-29/HTML/chapter1.html, 29.02.2012.
20 Vgl. Zimmer 2010, S. 58ff.
10
dass auch das Kind von Geburt an Inhaber der Rechte aus Art. 1 u. 2 GG ist, also Inhaber einer
unverletzlichen Menschenwürde und des Rechts auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit.“21 Die
Anhörung des Kindes im gerichtlichen Verfahren wurde verpflichtend, wodurch dem Willen und
den Bindungen des Kindes mehr Bedeutung zugeschrieben wurde. Entwürdigende Erziehungsmaßnahmen wurden verboten.22
Auch in der DDR wurde das Familienrecht fortlaufend reformiert. Ausgehend von dem geltenden BGB, orientierten sich die Änderungen dabei am Familienrecht der Sowjetunion. Zum
einen wurden sie der gesellschaftlichen Familiendynamik besser gerecht als die parallelen Entwicklungen des Familienrechts in der BRD (Bspw. Amtspflegschaft für nichteheliche Kinder, Möglichkeit des gemeinsamen Erziehungsrechtes).23 Zum anderen bleibt offen, inwieweit die Familiendynamik Ausgang für die Reformen war, oder die staatsideologischen Bestrebungen das vorrangige Ziel darstellten, um sozialistische Staatsideologie über diese Vorschriften in die Familien
zu tragen.24
Die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 und das internationale Abkommen über die
Rechte des Kindes (in Kraft seit 1992) beflügelten die Diskussion von Familienrechtsvorhaben
der BRD und führten zur Schaffung des Kindschaftsrechtsreformgesetzes (KindRG). Dieses trat
am 01.07.1998 in Kraft, beseitigte u.a. die Unterschiede von ehelichen und nichtehelichen Kindern und führte die Möglichkeit der gemeinsamen elterlicher Sorge für unverheiratete Eltern
ein.25 Bestrebungen, den Begriff der „elterlichen Sorge“ in den Gesetzen durch den der „elterlichen Verantwortung“ zu ersetzten, und sich damit den internationalen Formulierungen anzunähern (UN- und Haager-Abkommen), wurden gestoppt. Eine Begriffsänderung würde den Gedanken einer Verantwortlichkeit für das Kindeswohl klarer betonen, ist aber zur Zeit nicht in
Sicht.26
Weitere Änderungen wie das Gewaltächtungsgesetz (2000), das Lebenspartnerschaftsgesetz
(2001), das Gewaltschutzgesetz (2002), das Kinderrechteverbesserungsgesetz (2002), das Anfechtungsrecht des leiblichen Vaters (2004), das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz
(2005), das Gesetz zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen, Bundes-
Peschel-Gutzeit, Lore Maria: Die Entwicklung des Sorge- und Umgangsrechts (Teil 1). In: Neue Justiz Jahrgang 59
(2005) Heft 5, S. 193 - 199, hier: S. 193. (Im Folgenden zitiert als Peschel-Gutzeit 2005.)
22 Vgl. Peschel-Gutzeit 2005, S. 193.
23 Vgl. Zimmer 2010, S. 62ff.
24 Als Beispiel hierfür wären Zwangsadoptionen zu nennen.
25 Vgl. Peschel-Gutzeit 2005, S. 195.
26 Vgl. Zimmer 2010, S. 68.
11
21
kinderschutzgesetz27 (2011) und einige weitere folgten seitdem. Genannt sei auch die Verabschiedung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit. Bereits in der 14. Legislaturperiode (1998-2002) wurden Reformbestrebungen erkennbar. Die Neuregelung der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des familiengerichtlichen Verfahrens trat erst nach jahrelangen Verhandlungen am 01.09.2009 in Kraft.28 Sie modernisiert das familiengerichtliche Verfahren grundlegend und regelt das Recht der freiwilligen Gerichtsbarkeit in vollem Umfang neu.29 Die damit verbundenen Änderungen und Auswirkungen
für die Praxis werden im Laufe dieser Arbeit noch näher untersucht.
Dieser historische Exkurs soll den fortschreibenden Charakter der Gesetzesbildung in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Veränderungen und Wandlungsprozessen verdeutlichen. Das
natürliche Recht der Eltern scheint demnach relativ zu sein: „Dem Verhältnis zwischen Eltern
und Kindern ist keine ,Natur‘ in einem bestimmten Sinne vorgegeben, sondern es ist in einem
erstaunlich weiten Maß offen, d.h. jeweils durch materielle und kulturelle Prägungen bestimmt
und damit beständigem historischen Wandel unterworfen“.30 Weiter lässt sich hieran die
Spannweite des Familienverständnisses aufzeigen. Die Pluralität der Familienformen und die Instabilität von Familienstrukturen in Deutschland31 hat zugenommen, und die Anzahl der Rechtsreformen spiegelt diese Tatsachen wider.32 Dies macht es einerseits schwieriger, Elternschaft klar
zu definieren, da das Modell der biologischen Elternschaft durch gesellschaftliche Entwicklungsprozesse bereits zunehmend brüchig wird, bietet aber zugleich auch eine Chance für das Pflegekinderwesen. Kinder erleben es nicht mehr unbedingt als Ausnahmesituation, mehrere Familien
zu haben, sondern lernen es als Teil ihrer Lebenswelt kennen. Weiterhin scheint so auch ein Weg
für die Entwicklung eines Verständnisses dafür geebnet zu sein, dass auch soziale oder faktische
Elternschaft dem Wohl des Kindes förderlich sein kann. In jedem Fall erfordert der gesellschaftliche Wandlungsprozess im Hinblick auf die Definition des Kindeswohls neue Aushandlungsprozesse. Die Schwierigkeit, den Tatsachen der Lebensvielfalt gerecht zu werden, sich dabei von der
Orientierung an Elterninteressen zu lösen und die Entwicklung des Kindes im Blick zu behalten,
wird den Gesetzgeber in den nächsten Jahren weiter begleiten.33
27 Weiterführend
siehe: Bundestagsblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 70, Bonn 2011, S. 2975 - 2982.
/ Frantzioch, Petra / Ziegler, Rainer: Die FGG-Reform: Das neue Verfahrensrecht. Köln
28 Vgl. Meyer-Seitz, Christian
2009, S. 13ff.
29 Vgl. ebd., S. 32.
30 Spillmann, Kurt zitiert nach Zimmer 2010, S. 69.
31 Vgl. EU-Rekord. So viele uneheliche Kinder wie nie zuvor. In: Frankfurter Allgemeine vom 30.12.2010. Online unter: http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/eu-rekord-so-viele-uneheliche-kinder-wie-nie-zuvor-11585386.html,
5.3.2012.
32 Vgl. Peschel-Gutzeit, Lore Maria: Die Entwicklung des Sorge- und Umgangsrechts (Teil 2) In: Neue Justiz Jahrgang
59 (2005) Heft 6, S. 246 - 252, hier: S. 251.
33 Vgl. Zimmer 2010, S. 69.
12
Im Folgenden soll daher näher betrachtet werden, wie die aktuellen Vorschriften der elterlichen Sorge aussehen, und wie durch sie versucht wird, den sozialen Realitäten zu begegnen. Gerade bei der Entscheidung über Rückkehr oder Verbleib des Pflegekindes spielen sie eine besondere Rolle.
2.1.1.2. Elterliche Sorge
„§ 1626 Elterliche Sorge, Grundsätze.
(1) Die Eltern haben die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge).
(2) Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und
das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln.
Sie besprechen mit dem Kind, soweit es nach dessen Entwicklungsstand angezeigt ist, Fragen
der elterlichen Sorge und streben Einvernehmen an.
(3) Zum Wohl des Kindes gehört in der Regel der Umgang mit beiden Elternteilen. Gleiches gilt für den Umgang mit anderen Personen, zu denen das Kind Bindungen besitzt, wenn
ihre Aufrechterhaltung für seine Entwicklung förderlich ist.“34
Nach § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB obliegt dem Inhaber der elterlichen Sorge zuvörderst die
Pflicht der Fürsorge für das minderjährige Kind. Bewusst wird erst an zweiter Stelle vom „Recht“
der Eltern gesprochen, für das Kind zu sorgen, da die elterliche „Sorge“ mehr Pflichten als Rechte mit sich bringt.35 „Die h.M. geht daher davon aus, die elterliche Sorge sei ein absolutes Recht
mit Pflichtenbindung. Die Absolutheit des Rechts kommt dabei insbesondere in § 1634 BGB, der
den Eltern ein ,Herausgaberecht‘ des Kindes gegenüber jedermann einräumt, deutlich zum
Ausdruck.“ 36 Und zwar als Pflichtrecht, das „den Eltern nicht im eigenen Interesse, sondern im
Interesse des Kindes zusteht und das sie ausschließlich zu dessen Wohl auszuüben haben, wobei
sie dieses Wohl teilweise selbst definieren dürfen.“37 Man muss zunächst davon ausgehen, dass
bei den Eltern das Wohl des Kindes oberste Priorität besitzt und sie so der Elternverantwortung
und damit dem Kindeswohl am ehesten gerecht werden.38 Das bedeutet, dass das Kindeswohl
nicht als eine Schranke des Elternrechts zu verstehen ist, sondern dass das Kind seine Rechte
durch die Eltern mittels der ihnen zugestandenen elterlichen Sorge wahrnimmt.39
„Erst mit der Feststellung der Abstammung wird rechtliche Elternschaft möglich. Die einzelgesetzlichen Abstammungsregelungen begründen rechtliche Elternschaft. Die konkrete
Ausgestaltung des Sorgerechts ist rechtlicher Elternschaft und Abstammung nachgeordnet,
34
§ 1626 BGB.
35 Vgl. BT-Drs. 13/4899, S. 93.
Zimmer 2010, S. 84.
Fröschle, Tobias: Grundkurs Familie und Recht. Skript zur Vorlesung. Siegen Wintersemester 2009/10, S. 44 (Im
Folgenden zitiert als Fröschle 2009)
38 Vgl. Groß, Gerlinde: Die Zivilrechtliche Stellung der Pflegeeltern nach neuem Recht. Diss. Regensburg 2001, S. 42.
39 Vgl. Fröschle 2009, S. 44.
13
36
37
sie unterliegt im Rahmen des Art. 6 GG der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers. Das
Grundrecht nach Art. 6 GG schützt Elternschaft insgesamt, wobei Elternschaft in erster Linie
an rechtliche Elternschaft und die diese konstituierende Abstammung anknüpft.“40
Nach § 1626 Abs. I S. 1 und § 1627 BGB steht die elterliche Sorge von Grund auf beiden Elternteilen gemeinsam zu und ist im gegenseitigen Einvernehmen auszuüben.41 Wer die rechtlichen Eltern sind, denen die elterliche Sorge zusteht, bestimmen §§ 1591 ff BGB.
Eine gemeinsame elterliche Sorge steht den Eltern des Kindes zu, wenn sie zum Zeitpunkt
der Geburt verheiratet sind (§§ 1591, 1592 Nr. 1, 1626 BGB). Weiter besteht diese, wenn die
Eltern nach der Geburt des Kindes heiraten (§§ 1591, 1626a Abs. 1 Nr. 2, 1592 Nr. 2, 1594 Abs.
1, 1595 Abs. 1, 1626 BGB) oder öffentlich beurkunden (§§ 1626d Abs.1, 1626c Abs. 1 BGB, 59
Abs. 1 Nr. 8 SGB VIII), dass sie die elterliche Sorge gemeinsam übernehmen wollen (§§ 1591,
1626a Abs. 1 Nr. 1, 1626 BGB). Eine Sorgeerklärung kann schon vor der Geburt des Kindes eingereicht werden (§ 1626b Abs. 2 BGB). Erfolgt keine Sorgeerklärung der nichtverheirateten Eltern, so hat die Mutter die alleinige elterliche Sorge (§§ 1591, 1626a Abs.2 BGB). Das Bundesverfassungsgericht hat am 21.07.2010 den Ausschluss der elterlichen Sorge eines nichtehelichen
Vaters bei Zustimmungsverweigerung der Mutter für verfassungswidrig erklärt.42 Zukünftig muss
der Gesetzgeber eine neue Regelung finden. Hierzu passt der aktuelle Koalitionsbeschluss der
Bundesregierung zur Neuregelung der elterlichen Sorge bei nichtverheirateten Eltern.43 In den
Fällen, in denen weder Mutter noch Vater bekannt oder berechtigt sind (bspw. § 1673 Abs. 1
BGB) die elterliche Sorge zu übernehmen, wird ein Vormund bestellt, der die Aufgaben der elterlichen Sorge übernimmt (§§ 1773 ff BGB). Daraus folgt, dass einem Kind stets eine Person zur
Seite stehen muss, die sich rechtsverbindlich um seine Belange sorgt. Als höchstpersönliches
Recht ist die elterliche Sorge „weder vererbbar noch übertragbar“44, sondern nur die sich daraus ergebenden Aufgaben. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die elterliche Sorge nicht von
anderen Personen erlangt werden kann. Dies ist bei der Annahme als Kind der Fall (§ 1741 ff
BGB). Durch Adoption erlöschen die bisherigen Verwandtschaftsverhältnisse (§ 1755 BGB), das
Kind erwirbt die rechtliche Stellung eines gemeinschaftlichen Kindes und die Adoptiveltern erhalten damit die elterliche Sorge (Vgl. § 1754 BGB).
Schwarz, Barbara: Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht.
Wiesbaden 2011, S. 37.
41 Vgl. Fröschle 2009, S. 44.
42 Vgl. BVerfG Pressemitteilung Nr. 57/2010 vom 03.08.2010 sowie BVerfG - 1 BvR 420/09 vom 21.07.2010. Weiter
äußerte sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits am 03.12.2009 dazu (Vgl. EGMR, Nr. 22028/
04).
43 Vgl. Antrag zur Neuregelung der elterlichen Sorge bei nicht verheirateten Eltern. BT-Drs. 17/8601 vom
08.02.2012.
44 Zimmer 2010, S. 84.
14
40
Die Inhalte der elterlichen Sorge umfassen die Personensorge und die Vermögenssorge (§
1626 Abs. 1 S. 2 BGB).
„Die Personensorge umfasst insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen, zu
erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen.“ 45 Unter Pflege wird die Befriedigung der Grundbedürfnisse des Kindes nach Nahrung, Kleidung und Gesundheitsfürsorge
verstanden.46 „Die Erziehung betrifft die Sorge für die sittliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes und ist der Inbegriff aller pädagogischen Maßnahmen, durch die das Kind zur
Mündigkeit [...] gelangen soll [...].“47 Die Eltern vertreten das Kind und seine Interessen gemeinschaftlich (§ 1629 Abs. 1 BGB). Der staatliche Erziehungsauftrag, zu einer selbstständigen, gemeinschaftsfähigen und verantwortungsbewussten Persönlichkeit (§§ 1626 Abs. 2 S.1 BGB, 1
SGB VIII), verbietet jegliche physische und psychische Gewaltanwendung und entwürdigende
Maßnahmen (§ 1631 Abs. 2 BGB). Bei Nichteinhaltung dieses Erziehungsauftrages drohen den
Eltern strafrechtliche Konsequenzen. Der Gesetzgeber hat im Zuge der Reformen (z.B. KICK,
BKiSchG, etc. s.o.) diese Regelungen verschärft, was die Gefahr der Kriminalisierung der Eltern
bei geringen Verstößen birgt und den Wunsch nach gewaltfreier Erziehung unterstreicht. Die
Personensorge wird in verschiedenen weiteren Vorschriften konkretisiert und umfasst alle persönlichen Angelegenheiten des Kindes.48 Weiter beinhaltet sie die Aufsichtspflicht, um Schaden
des Kindes oder an Dritten zu verhindern (§ 832 Abs. 1 S. 1 BGB), wie z.B. die Beaufsichtigung
des Kindes im Straßenverkehr49, sowie das Recht zur Bestimmung seines Aufenthaltes (§§ 1631
Abs. 1, 1632 BGB). Hiernach kann der Inhaber der Personensorge die Herausgabe des Kindes
von jedem verlangen, der ihm das Kind widerrechtlich vorenthält. Bei der Ausübung der Personensorge ist auf den Entwicklungsstand des Kindes Rücksicht zu nehmen und Einvernehmen anzustreben (§§ 1626 Abs. 2, 1627 BGB). Den Eltern steht ein Umgangsrecht zu (§§ 1626 Abs. 3,
1632 Abs. 2 BGB Schranken: §§ 1684, 1685 BGB).50 Unter „Umgang“ wird der persönliche Kontakt des Kindes in erster Linie mit der Eltern sowie mit anderen Bezugspersonen verstanden.51
Das Umgangsrecht verpflichtet und berechtigt die Personensorgeberechtigten einerseits zum
Umgang mit dem Kind (§ 1684 Abs. 1 Hs. 2 BGB), andererseits dürfen sie den Umgang des Kindes gegenüber Dritten bestimmen (Umgangsbestimmungsrecht § 1632 Abs. 2 BGB) soweit dies
§ 1631 Abs. 1 BGB.
2010, S. 86.
47 Palandt / Diederichsen § 1631 Rn. 2.
48 Vgl. Zimmer 2010, S. 86f. Weiter zu nennen wären z.B. das Recht der Eltern die Religion des minderjährigen Kindes (RKEG)und die Auswahl der Schule zu bestimmen. (Vgl. Palandt / Diederichsen § 1626 Rn. 11)
49 Vgl. Palandt / Sprau § 832 Rn. 11.
50 Vgl. Fröschle, Tobias: Familienrecht. Stuttgart 2012, Rn. 460. (Im Folgenden zitiert als Fröschle 2012.)
51 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1626 Rn. 23.
15
45
46 Vgl. Zimmer
dem Kindeswohl nicht widerspricht (§ 1684 Abs. 4 BGB). Wenn ein Umgang das Kindeswohl
beeinträchtigt, so kann es vom Familiengericht eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Weiter ist es möglich die Anwesenheit eines mitwirkungsbereiten Dritten, wie bspw. Fachpersonal
des Jugendamtes (§ 1684 Abs. 4 S. 4 BGB), für einen Umgang anzuordnen (§ 1684 Abs. 4 S. 3
BGB). Wird ein Umgang dauerhaft oder für eine längere Zeit ausgeschlossen oder beschränkt,
so darf dies nur unter der Voraussetzung einer sonstigen Kindeswohlgefährdung geschehen (Gefährdung nach § 1666 Abs. 1 BGB).52
Die Vermögenssorge für ein Kind (§ 1626 Abs. 1 S. 2 BGB) ist die Pflicht und das Recht der
Eltern, das Vermögen des Kindes zu verwalten (§§ 1638-1649 BGB). Dabei ist der Staat eingriffsbefugt, wenn eine konkrete Gefahr für das Vermögen des Kindes besteht und damit sein Wohl
geschädigt werden kann (§§ 1666 Abs. 1, 2, 1667 BGB). Das Familiengericht ist befugt, in bestimmten Fällen die Verwaltung des Vermögens durch die Eltern offen legen und prüfen zu lassen
(§§ 1640, 1667 Abs. 1 BGB).
Die Grenzen der elterlichen Sorge sind dort zu ziehen, wo das Wohl des Kindes gefährdetwird. Aus Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG resultiert, dass die staatliche Gemeinschaft über die Grundpflicht
der Elternaufgabe wacht und bei Nichterfüllung dieser der Staat seiner Erziehungsverantwortung nachkommen muss.
„Die Verfassung bestätigt hier einen entwicklungspsychologischen Befund, wonach Kinder
für eine stabile Entwicklung primäre Bezugspersonen brauchen, die sie durch ihr Kinderleben begleiten, sie fördern und schützen; für diese Aufgabe ist niemand in vergleichbarer
Weise prädestiniert wie die Eltern. Diese normative Aussage steht allerdings in einem Spannungsverhältnis zum realen Befund: Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein (kleiner) Teil
der Eltern aus unterschiedlichen Gründen mit dieser Aufgabe so überfordert ist, dass erhebliche Schädigungen von Kindern bis hin zum Tod drohen. Ob die Anzahl der Eltern, die das
Wohl eines Kindes gefährden, zunimmt (oder nur die öffentliche Wahrnehmung solcher
Fälle), wissen wir nicht. Es gibt aber zumindest Hinweise darauf, dass Erziehungsschwierigkeiten und Überforderungssituationen bei Eltern in unserer Gesellschaft zahlreicher werden.“53
Ein Eingriff in das Eltern-Kind-Verhältnis bedarf einer erkennbaren Gefährdung des Kindeswohls und darf nach Art. 6 Abs. 3 GG nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen. Das Wächteramtnach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, die Pflege und Erziehung sicher zu stellen, wird durch einfachgesetzliche Bestimmungen mit Inhalt gefüllt.54 Eine konkrete und vor allem umfassende Ausgestaltung
der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist bislang nicht erfolgt.55 Für den Diskurs dieser Arbeit ist
52 Vgl. Fröschle
2012, Rn. 479, 481.
sagt die Verfassung zum Kinderschutz? In: Kindler, Heinz et al.: Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München 2006, S. 1-1 bis 1-5, hier: 1-2. (Im Folgenden zitiert als Wiesner 2006.)
54 Vgl. BVerfGE 24, 119, Rn. 58.
55 Vgl. Wiesner 2006, S. 1-2.
16
53 Wiesner, Reinhard: Was
das Wissen um die Konturen und ein Verständnis der Auslegung des Kindeswohles von besonderer Bedeutung. Sie vermag die damit verbundene Komplexität zu verdeutlichen.
2.1.2. Das Wohl des Kindes
Der unbestimmte Rechtsbegriff des Kindeswohles beschäftigt die Juristen schon über 100
Jahre.56 Trotz dieser langen Auseinandersetzung gibt es keine abschließende Definition.57 Dies
liegt an seinem gewollt offenen Charakter und hat den Vorteil, dass er dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit58 und der Einzelfallentscheidung59 am besten gerecht wird. Dabei dient das Kindeswohl sowohl als Maßstab für die Notwendigkeit gerichtlicher Maßnahmen als auch zur Legitimation für staatliche Eingriffe.60
„Art und Ausmaß des Eingriffs bestimmen sich nach dem Ausmaß des Versagens der
Eltern und danach, was im Interesse des Kindes geboten ist. Der Staat muß daher nach
Möglichkeit zunächst versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsgerechten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete
Maßnahmen sein Ziel zu erreichen. Er ist aber nicht darauf beschränkt, sondern kann, wenn
solche Maßnahmen nicht genügen, den Eltern die Erziehungs- und Pflegerechte vorübergehend und sogar dauernd entziehen; in diesen Fällen muß er zugleich positiv die Lebensbedingungen für ein gesundes Aufwachsen des Kindes schaffen.“61
Die breite Auslegungsmöglichkeit birgt die Gefahr, dass diese von den im Entscheidungsprozess Beteiligten subjektiv bewertet werden und dabei die Orientierung an wissenschaftlichen
Kriterien vernachlässigt wird.62 Die Schwierigkeit ist, dass die Eltern selbst definieren, was zum
Wohl eines Kindes gehört (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG). Dabei müssen die Bedürfnisse des Kindes befriedigt werden und sind, so ein Vorschlag, in Relation zu seinen Lebensbedingungen zu stellen.
Wenn das Kind die an seinen Entwicklungsstand gestellten Erwartungen im Bezug auf seelische,
geistige und körperliche Gesundheit erfüllt, so ist davon auszugehen, dass das Kindeswohl gegeben ist und die Eltern ihrer Aufgabe gerecht werden.63 Entziehen sich die Eltern ihrer Pflicht, ist
es, wie beschrieben, staatliche Aufgabe, die Familie wieder zu befähigen, dieser nachzukommen.
Die Möglichkeit eines Eingriffes liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse und ergibt sich primär
daraus, „daß das Kind als Grundrechtsträger selbst Anspruch auf den Schutz des Staates hat. Das
Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung seiner
56 Vgl. Marquardt, Claudia: Der
Begriff Kindeswohl. In: paten Jahrgang 28 (2011) Heft 2, S. 5-11, hier: S. 5. (Im Folgenden zitiert als Marquardt 2011.)
57 Vgl. Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. (Hrsg): Kindeswohlgefährdung. Erkennen und Helfen.Berlin 11. Auflage
2009, S. 20. (Im Folgenden zitiert als Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2009.) Dem Anhang I wurden einige in der
Literatur gefundenen Definitionen hinzugefügt. Siehe auch § 1697a BGB.
58 Vgl. BVerfGE 24, 119, Rn. 59.
59 Vgl. ebd., Rn. 61.
60 Vgl. Schone, Reinhold zitiert nach: Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2009, S. 20.
61 BVerfGE 24, 119, Rn. 59.
62 Vgl. Marquardt 2011, S. 5.
63 Vgl. Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2009, S. 21f.
17
Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG.“64 Über diesen Grundsatz „muß
der Staat wachen und notfalls das Kind, das sich noch nicht selbst zu schützen vermag, davor
bewahren, daß seine Entwicklung durch einen Mißbrauch der elterlichen Rechte oder eine Vernachlässigung Schaden leidet.“65
„Die prognostische Einschätzung, ob das Wohl eines Kindes gefährdet ist und daher eine Intervention [...] notwendig ist, gehört zu den schwierigsten Aufgaben sozialarbeiterischen
Handelns.“66 In der Praxis sind Krisensituationen oft schwer zu erfassen. Fehlende Informationen
und Mitwirkungsbereitschaft können den Entscheidungsprozess zusätzlich erschweren.67 Dies
darf nicht dazu führen, dass Fachkräfte nach „Gutdünken“ oder „aus dem Bauch heraus“ entscheiden. Der Umstand, dass Kindeswohlgefährdung letztlich eine soziale Konstruktion ist, macht
aber zugleich eine klare Grenzziehung unmöglich.68 Die Überschreitung einer Einordnung von
gefährdet zu nicht gefährdet hängt immer davon ab, wo diese Linie gezogen wird. Daher muss
man bei der Überprüfung das Wohl des Kindes eher als ein Kontinuum betrachten. Dieses lässt
sich in weitere Kriterien ausdifferenzieren und ermöglicht so eine Gesamteinordnung der Gefährdungslage. Im Recht definieren die Kriterien Bindungen und Willen des Kindes, Kontinuität,
Fördermöglichkeiten der betreuenden Person sowie eine zeitnahe Entscheidung das
Kindeswohl.69 Diese gilt es in einem Verfahren am Einzelfall zu berücksichtigen und zu bewerten.
Man findet sie in der konzeptionellen Ausgestaltung des Verfahrens (FamFG) und der Vorschriften des BGB sowie in besonderem Maß im SGB VIII.
Es ist zunächst die Aufgabe der Jugendämter, die Gefährdungslage zu bewerten und Hilfen
zur Abwendung der Gefährdung anzubieten und einzuleiten (§§ 8a Abs.1 8b SGB VIII). Reichen
die Hilfen der Maßnahmenkataloge des Jugendamtes nicht aus, oder muss zur Gefahrenabwendung in das Recht der Eltern oder Dritter eingegriffen werden, so muss das Familiengericht angerufen werden (§§ 8a Abs. 3 Hs. 1 SGB VIII, 1666, 1666a, 1667 BGB). Dies ist auch der Fall,
wenn die Eltern nicht bereit oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden (§ 8a Abs. 3 S. 1 SGB
VIII). Besteht akuter Handlungsbedarf, der so dringlich ist, dass eine Entscheidung des Gerichtes
nicht abgewartet werden kann, so muss das Jugendamt das Kind in Obhut nehmen (§§ 8a Abs. 3
S. 2, 42 Abs. 1 Nr. 2 SGB VIII).70
BVerfGE 24, 119, Rn. 59.
Ebd.
66 Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. 2009, S. 11.
67 Vgl. ebd.
68 Vgl. ebd, S. 31.
69 Vgl. Marquardt 2011, S. 5.
70 Vgl. Münder, Johannes u.a.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim & München 5.
Auflage 2006, § 42, Rn. 13f. (Im Folgenden zitiert als Münder u.a., FK-SGB VIII.)
18
64
65
Den gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls (§ 1666 BGB) unterliegen
drei Voraussetzungen: Erstens muss „das körperliche, geistige oder das seelische Wohl des Kindes gefährdet“71 werden (Gefahrenlage). Zweitens müssen die Eltern nicht Willens oder nicht in
der Lage sein, die Gefahr selber abzuwenden (Abwehrprimat der Eltern). Drittens muss ein
möglicher Eingriff geeignet, erforderlich und angemessen sein, die Gefahr zu beseitigen
(Verhältnismäßigkeit).72
Der Bundesgerichtshof nennt drei Kriterien einer Gefahrenlage: „eine gegenwärtige, in einem
solchen Maße vorhandene Gefahr, dass sich bei der weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt.“73 Gegenwärtig vorhanden ist eine Gefahr,
wenn diese als konkrete Beeinträchtigung des Kindes benannt werden kann, und diese bei Unterlassen eines Eingriffs einen erheblicher Schaden am Kind und seiner Entwicklung verursacht,
bzw. unmittelbar verursachen wird.74 Eine erhebliche Schädigung des Kindes lässt sich an der
Dauer, Schwere der Ausprägung und den Auswirkungen auf die Entwicklung ausmachen und ist
dabei letztlich auch von dem gesellschaftlichen Verständnis von Kinderrechten abhängig.75
„Wenn der Schaden noch nicht eingetreten ist, muss sein Eintritt hochgradig wahrscheinlich sein
(,ziemliche Sicherheit‘).“ 76
„Die Annahme einer gegenwärtigen Gefahr kann sich aus einem feststellbaren elterlichen Unterlassen bzw. Tun (z.B. gewalttätiges Verhalten), den konkret vorfindbaren Lebensumständen eines Kindes (z.B. fehlende Lebensmittel, eklatante Unfallgefahren) oder – zunächst einmal unabhängig von elterlichem Verhalten – aus Aspekten der Entwicklung des
Kindes (z.B. deutlich delinquente Entwicklung) ergeben. In der Praxis wird es in vielen Fällen
jedoch darauf ankommen, Lebensumstände bzw. Tun oder Unterlassen der Eltern mit den
Bedürfnissen eines konkreten Kindes in Beziehung zu setzen. So stellt etwa schütteln bei
einem Säugling oder Kleinkind eine ganz erhebliche gegenwärtige Gefahr dar, bei einem/einer Jugendlichen trifft dies aber sicher nicht mehr zu.“77
Das Abwehrprimat der Eltern bedeutet, dass es primär an den Eltern liegt, die Gefahr abzuwehren. Nur wenn diese nicht im Stande oder gewillt sind, eine Schädigung zu verhindern, ist
das Familiengericht eingriffsbefugt und kann das Kind ggf. auch von ihnen trennen. Dabei gilt, dass
nur, wenn ambulante oder teilstationäre Hilfen nicht ausreichen, das Kind zu schützen, eine Trennung möglich wird.78
§ 1666 Abs. 1 BGB.
2012, Rn. 435. Sowie § 1666 Abs. 1 BGB.
73 BGH FamRZ 1956, 350.
74 Vgl. Schmid, Heike / Meysen, Thomas: Was ist unter Kindeswohlgefährdung zu verstehen? In: Kindler, Heinz et al.:
Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München 2006, S. 2-1
bis 2-9, hier: S. 2-5. (Im Folgenden zitiert als Schmid / Meysen 2006.)
75 Vgl. ebd., S. 2-6.
76 Fröschle 2012, Rn. 437.
77 Schmid / Meysen 2006, S. 2-5.
78 Vgl. Fröschle 2012, Rn. 439.
19
71
72 Vgl. Fröschle
Als letzte Voraussetzung gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Eine Maßnahme ist nur zulässig, wenn sie geeignet ist, ein angestrebtes Ziel, hier also die Abwendung der Gefahr, zu erreichen. Kann dies durch verschiedene Maßnahmen geschehen, so darf nur die ausgewählt werden,
die dafür erforderlich ist, und sie darf dieses Maß nicht überschreiten. Zuletzt gilt zu beachten,
dass der entstehende Schaden nicht im Missverhältnis, sondern in einem angemessenen Verhältnis zu dem intendierten Ziel steht.79 Welche gerichtlichen Maßnahmen in Betracht kommen,
wird in § 1666 Abs. 3 sowie § 1667 aufgeführt. Diese Aufzählung ist nicht abgeschlossen, sondern es kommen auch andere gesetzliche Maßnahmen in Betracht, die allerdings auch den beschriebenen Voraussetzungen zu genügen haben.80
Ein Eingriff in das Elternrecht ist subsidiär gegenüber anderen Möglichkeiten einer Krisensituation und in der Praxis die letzte Wahl, um ihr im Sinne des Kindes Herr zu werden. Das Familiengericht kann die Einwilligung zur Wahrnehmung einer Hilfemaßnahme des Jugendamtes ersetzten und damit anordnen, wenn sie dienlich ist. Alle freiwillig angenommenen öffentlichen Hilfen gehen einer gerichtlichen Maßnahme vor.81 Diese sind im achten Sozialgesetzbuch festgelegt
und werden von den Jugendämtern gewährt.
2.1.3. Hilfen zur Erziehung
„Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu
einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.“82
Dies besagt § 1 der allgemeinen Vorschriften des achten Sozialgesetzbuches. Durch ihn definiert sich die programmatische Ausrichtung der Jugendhilfe. Sie hat zur Aufgabe, die Eltern bei
ihrem Erziehungsauftrag zu unterstützen und Kindern und Jugendlichen somit das ungestörte
Aufwachsen in der Gesellschaft zu ermöglichen und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Im Vergleich zu anderen Leistungsbereichen der Sozialgesetzbücher zeigt sich hieran, dass die Kinderund Jugendhilfe nicht zwei-, sondern mehrdimensional ausgerichtet ist. Das bedeutet, dass sie
sich an mehrere Adressaten wendet (Kinder, Eltern, das familiäre Umfeld), um das beschriebene
Ziel zu erreichen. Sie ist rechtlich final ausgerichtet, was bedeutet, dass unter bestimmten Voraussetzungen nicht automatisch eine Rechtsfolge eintritt, sondern ergebnisorientiert, also ein
Ziel durch verschiedene Maßnahmen erreicht werden kann.83 Münder weist in diesem Zusam79 Vgl. Papenheim, Heinz-Gert
/ Baltes, Joachim / Tiemann, Burhard: Verwaltungsrecht für die Soziale Praxis. Frechen,
2006, S. 117.
80 Vgl. Fröschle 2012, Rn. 441.
81 Vgl. Schmid / Meysen 2006, S. 2-7.
82 § 1 Abs. 1 SGB VIII.
83 Vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII, Einleitung, Rn. 1.
20
menhang darauf hin, dass die Jugendhilfe nicht frei von Spannungen ist: Sie soll offensiv, präventiv
und aktivierend walten, kann diesem Auftrag in der Praxis jedoch (noch) nicht gerecht werden,
da sie die Ebene der reaktiven Interventionen, nicht zuletzt durch materielle und personelle Defizite, bislang nicht verlassen konnte.84
Im Wesentlichen geht es im SGB VIII um personenbezogene Dienstleistungen, die nicht ohne
Ansehen der Person gewährt werden, sondern die Betrachtung und Auseinandersetzung der
Interessen der jungen Personen erfordern.85 „Dies ist ohne die Kenntnisse der sozialpädagogischen Leistungen, ohne die Einbeziehung sozialpädagogischer, sozialwissenschaftlicher Ergebnisse
und Erkenntnisse nicht möglich. Somit müssen sozialpädagogische Ausführungen und rechtliche
Interpretation in Eins gehen.“86 Es finden sich in den Vorschriften viele unbestimmte Rechtsbegriffe87, die diese komplizieren und teleologisch, also dem Sinn und Zweck des SGB VIII nach,
auszulegen sind.88 Diese inhaltlichen Vorgaben des Gesetzgebers finden sich insbesondere in
den §§ 1, 5, 8, 9, 36, 37 SGB VIII. Die Auslegung der Gesetze, deren Inhalt sich durch „klassische
juristische Methoden“ nicht eindeutig bestimmen lässt, muss, und dieser Punkt ist für die Argumentation dieser Arbeit bedeutsam, in Kombination mit sozialpädagogischem Wissen erfolgen
und sich dabei in die Gesamtpragmatik der Kinder- und Jugendhilfe einordnen.89
Die Leistungen und Aufgaben der Jugendhilfe sind in § 2 SGB VIII aufgezählt. In § 2 Abs. 2 Nr.
4 SGB VIII werden die Paragrafen der Hilfen zur Erziehung genannt (§§ 27 bis 35, 36, 37, 39, 40).
In § 27 SGB VIII werden diese präzisiert. Demnach wird Hilfe zur Erziehung jedem Personensorgeberechtigten gewährt, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig
ist.“90 Wer Personensorgeberechtigter ist und damit Ansprüche auf Leistungen geltend machen
kann, bestimmt das BGB (s.o.). Für die Leistungen ist kein förmlicher Antrag erforderlich, sondern eine Willensbekundung gilt als hinreichend.91
84 Vgl. Münder
u.a., FK-SGB VIII, Einleitung, Rn. 24-27.
85 Vgl. ebd., Rn. 2, 24, 58.
Ebd., Rn. 58.
Neben dem oben bereits beschriebenen „Kindeswohl“(§§ 8a,8b, 42, u.a.) sind Begriffe wie „erforderlich“(§§ 8, 8a,
11, 20, 24a, 27, 36, uva.), „geeignet“(§§ 4, 8, 8a, 13, 19, 21, 22, 23, 27, uva.), „rechtzeitig“(§§ 4, 23, 36a, 42, u.a.), „längere
Zeit“(§§ 34, 35, 36, 51 ) häufig im SGB VIII zu finden.
88 Vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII, Einleitung, Rn. 59.
89 Vgl. ebd., Rn. 59-63.
90 § 27 Abs. 1 SGB VIII.
91 Vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII, § 27 Rn. 44.
21
86
87
Es wurden im Jahr 2010 bundesweit 986.026 Menschen unter 21 Jahren durch die Hilfen zur
Erziehung erreicht.92 Von 2005 bis 2010 hat sich dabei die Anzahl der erreichten jungen Menschen um 21% erhöht. Die Hilfen zur Erziehung sind sehr vielfältig und reichen von niederschwelligen Angeboten wie Erziehungsberatung mit einem Anteil von 46,4% aller Hilfen (§ 28
SGB VIII) über ambulante Hilfen (Anteil von 36,3%) wie z.B. die sozialpädagogische Familienhilfe
(§ 31 SGB VIII) weiter über teilstationäre Hilfen wie die Erziehung in einer Tagesgruppe (§ 32
SGB VIII) bis hin zu stationären Hilfen wie die Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) und Heimerziehung
(§ 34 SGB VIII) mit einem Anteil von 17,3 %.93 Mit der Vielseitigkeit der Leistungen der Hilfe zur
Erziehung wird versucht, den vielfältigen Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen angemessen
zu begegnen und ihren individuellen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dies bedarf einer genauen
Planung, der es sich nun zu widmen gilt.
2.1.3.1. Hilfeplanung
Die Hilfeplanung nach § 36 kann als ein Kernstück des SGB VIII bezeichnet werden.
„Planung ganz allgemein gesprochen ist ein Prozess, in dem es darum geht, von einem
beschriebenen Ist-Zustand in strukturierter Weise zu einem vorgestellten Soll-Zustand zu
kommen. Die zugrunde liegende Annahme dabei ist, dass sich durch planbare Aktivitäten –
in unserem Fall solche, die sich Hilfe nennen lassen – die Differenz zwischen dem aktuellen
Zustand und dem gewünschten Zustand aufheben oder reduzieren lässt.
Hilfeplanung in der Sozialen Arbeit meint [...] einen kontinuierlichen Prozess der Planung
einer Hilfeleistung und nicht nur die Ausarbeitung eines Hilfeplans. Hilfeplanung umfasst die
Strukturierung des gesamten Prozesses, der sich als Hilfe für einen oder mehrere Adressaten versteht und im günstigen Fall von allen Beteiligten so verstanden wird.“94
Für die professionelle Hilfeplanung ist die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten, das Wissen um die Problemlage, das Aushandeln von Zielen und Umsetzungsmöglichkeiten, die Evaluation und Fortschreibung von besonderer Bedeutung.95 Das Gespräch ermöglicht in der Beratung nicht nur den Zugang zu den Ursachen eines Problems, sondern weist zudem den Weg
hinaus und fordert daher von den Fachkräften hierbei eine wertschätzende, annehmende
Haltung.96 „Hilfeplanung ist ein z. T. in die Irre führender Begriff. Im Ablauf geht es in weiten Teilen
eher um die Organisation von Aushandlungs- und Verständigungsprozessen als um Planung.
Problemdefinitionen müssen ebenso ausgehandelt werden wie die Ziele. Planen lassen sich nur
Das entspricht 614 pro 10.000 Bürgern unter 21 Jahren. Vgl. Fendrich, Sandra / Wilk, Agahte: Zahlen und Fakten
zur Fremdunterbringung und Rückführung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe - Eine Analyse auf
Grundlage der Kinder- und Jugendhilfestatistik. In: FPR 2011, 529 - 535, hier: S. 530. (Im Folgenden zitiert als
Fendrich / Wilk 2011.)
93 Vgl. ebd.
94 Freigang, Werner: Hilfeplanung. In: Michel-Schwartze, Brigitta (Hrsg.): Methodenbuch Soziale Arbeit. Wiesbaden
2007, S. 101 - 118, hier: S. 103f. (Im Folgenden zitiert als Freigang 2007.)
95 Vgl. Badry, Elisabeth et al.: Arbeitshilfen für soziale und pädagogische Berufe. Köln 2008 5. Auflage, S. 204. (Im Folgenden zitiert als Badry 2008.)
96 Vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII, § 36 Rn. 5.
22
92
die Handlungen der Akteure.“97 Im Rahmen des Hilfeplans müssen Umgangsreglungen ausgehandelt und festgelegt werden. Diese ergeben sich aus oben genannten gesetzlichen Vorgaben.
Es geht in diesem Sinne also um die Aktivierung von allen an der Hilfe Beteiligten: „Durch den
Hilfeplan (§ 36 SGB VIII) wird der Übergang vom Eingriffsrecht zum Leistungsrecht ,prozedual‘,
d.h. durch Verfahren eingelöst“.98 Darin gilt es, die intrinsischen Motivationen aller Beteiligten zu
wecken und ihre Selbstbestimmungsrechte zu berücksichtigen. Dies beinhaltet auch, dass die
Kinder- und Jugendlichen in den Prozess mit einbezogen werden. Ihre Partizipation wirkt sich
nachweisbar positiv auf das Gelingen von Hilfen aus.99 In diesem Rahmen muss die Gestaltung
der Hilfen auch „suboptimale Wünsche [...] berücksichtigen, es sei denn, die gewünschte Leistung
wäre nicht mehr geeignet“.100 Bei dem Dienstleistungscharakter der Hilfen gilt das „Uno ActuPrinzip“. Das bedeutet, dass der Anspruchsberechtigte im Prozess der Hilfe Objekt und Subjekt
zugleich ist. Er ist Koproduzent, der den Prozess zum gewünschten Ziel bringt oder ihn
blockiert.101 Er ist als Partner in dem Prozess zu verstehen und muss sich dabei auch als solcher
wahrnehmen und verstehen. Dafür muss die Planung durch und durch transparent gestaltet
werden. In der Praxis ist dies sicherlich nicht einfach zu realisieren, aber von essentieller Bedeutung für die Chancen der Hilfen. Eine harte, schmerzliche aber klare Haltung bzw. Entscheidung
kann besser verarbeitet werden, wenn diese von Anfang an transparent, empathisch und
verständnisvoll kommuniziert wird.102
In Kontexten, in denen die Hilfe nicht selber angefordert, sondern das Jugendamt von Dritten
verständigt wird (z.B. durch Schulen, Ärzte, Kindertagesstätten, etc.), ist der Bedarf der Veränderung zunächst von außen herangetragen und erschwert meist die Situation. Die Angst vor der
Behörde führt dazu, dass ihre Eingriffe nicht als Schutz und Hilfesangebote verstanden werden,
und führt häufig zur Ablehnung.103 „Eine Kultur der Partizipation setzt prinzipielles Wohlwollen
gegenüber den Bewältigungsstrategien der AdressatInnen in ihrer konkreten Lebenslage voraus
– also die Möglichkeit zur Empathie und weitgehende Distanzierung von den eigenen sozialisierten Wertvorstellungen.“104
Freigang 2007, S. 104.
Hünersdorf, Bettina: Der Klinische Blick der Sozialen Arbeit. Systemtheoretische Annäherungen an eine Reflexionstheorie des Hilfesystems. Wiesbaden 2009, S. 207. (Im Folgenden zitiert als Hünersdorf 2009.)
99 Vgl. im Bezug auf Jugendliche: Hünersdorf 2009, S. 203. Sowie im Bezug auf Bürger: Badry 2008, S. 208.
100 Münder, Johannes zitiert nach: Hünersdorf 2009, S. 202.
101 Vgl. Badry 2008, S. 197.
102 Vgl. Goldstein, Joseph / Freud, Anna / Solnit, Albert: Das Wohl des Kindes. Grenzen professionellen Handelns.
Frankfurt a.M. 1988, S. 107.
103 Vgl. Merchel, Joachim: Befristete Hilfe oder Hilfe auf Dauer: Sozialarbeiter als Architekten von Lebensläufen? In:
ZfJ 83. Jahrgang (1996) Heft 6, S. 218 - 223, hier: S. 220. (Im Folgenden zitiert als Merchel 1996.)
104 Freigang 2007, S. 116.
97
98
23
Um zu einer qualifizierten Entscheidung bezüglich angemessener Hilfen zu gelangen, ist das
Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte gefordert (§ 36 Abs. 2 S.1 SGB VIII). Dies ermöglicht, eine meist komplexe Situation von verschiedenen fachlichen Standpunkten aus zu betrachten, zu
reflektieren und Handlungs- und Deutungsroutinen in Frage zu stellen.105 Weiter soll verhindert
werden, dass keine Aspekte bei den Überlegungen außer Acht gelassen werden. Es gibt die
Möglichkeit, weitere Fachkräfte bei Bedarf hinzuzuziehen.106 Der Gesetzgeber sieht in dem Zusammenwirken von Fachkräften die bestmögliche Gewährleistung für die Qualität, Effektivität
und Effizienz der Hilfen.107
§ 36 Abs. 2 S. 2 SGB VIII besagt, dass ein Hilfeplan aufgestellt werden soll, wenn eine Hilfe voraussichtlich für „längere Zeit“ gewährt wird. Die Dauer hängt im Wesentlichen von der Intensität und Art der Hilfe im Einzelfall ab, wird aber spätestens bei Hilfen, die voraussichtlich länger
als sechs Monaten andauern, notwendig.108 Weiter ist dieser nach § 36 Abs. 2 Hs. 2 in regelmäßigen Abständen zu überprüfen und fortzuschreiben. Hierbei sind gerade zu Beginn von Hilfen die
Fortschreibungen nach kürzeren Zeitspannen zu absolvieren als bei länger andauernden Hilfen.
Spätestens ist nach einem halben Jahr die Hilfeplanung fortzuschreiben.109
Wird ein Kind im Rahmen der Hilfen zur Erziehung außerhalb des Elternhauses untergebracht, müssen weitere Vorgaben in dem Prozess der Hilfeplanung berücksichtigt werden.110
Diese finden sich in § 37 SGB VIII und werden im Folgenden thematisiert.
2.1.3.2.Vollzeitpflege
In dieser Arbeit stehen die Fälle der Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII ganz besonders im
Blickfeld des Interesses. Diese Bestimmung beschreibt die Unterbringung des Kindes in einer anderen Familie über Tag und Nacht und kann auf Dauer angelegt oder zeitlich befristet sein. Diese
Optionen stehen gleichberechtigt nebeneinander, und die Auswahl einer Maßnahme verlangt
eine Perspektivklärung für den Einzelfall nach § 36 iVm § 3 SGB VIII.111 Auf die beiden zentralen
Konzepte der Ergänzungs- und Ersatzfamilie im Pflegekinderwesen soll an dieser Stelle verwiesen werden.112
105 Vgl. Freigang
2007, S. 111.
106 Vgl. ebd., S. 106.
107 Vgl. Badry
2008, S. 207f.
u.a., FK-SGB VIII, § 36 Rn. 47.
109 Vgl. ebd., § 36 Rn. 54.
110 Vgl. ebd., § 37 Rn. 1.
111 Vgl. ebd., § 33 Rn. 16.
112 Siehe hierzu insbesondere: Nienstedt, Monika / Westermann, Arnim: Pflegekinder. Münster 1998. Sowie DJI
(Hrsg.): Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich. München 1987.
108 Vgl. Münder
24
Die Vollzeitpflege steht zudem in Verbindung mit weiteren Regelungen. Relevant sind besonders die §§ 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 44, 72a, 86 Abs. 6, 91ff SGB VIII sowie §§ 1632 Abs. 4, 1688,
BGB.113 „Die Vollzeitpflege steht an der Schnittstelle von Familien- und Jugendhilferecht und damit auch zwischen privatem und öffentlichem Recht.“114 Sie kann auf Antrag des Inhabers der
elterlichen Sorge (freiwillig), durch familiengerichtlichen Entzug der elterlichen Sorge (zwangsweise) oder im Rahmen einer Inobhutnahme eingerichtet werden.115 Bei der Planung der Hilfe
sind hier einige Besonderheiten zu bedenken, auf die nun näher eingegangen wird.
Die Verbindung des § 33 mit § 37 SGB VIII legt wichtige Verpflichtungen des Jugendamtes in
der Regelung zur „Zusammenarbeit bei Hilfen außerhalb der eigenen Familie“ fest, die bei der
Hilfeplanung zu berücksichtigen sind:
„Bei Hilfen nach §§ 32 bis 34 und § 35a Abs. 2 Nr. 3 und 4 soll darauf hingewirkt werden,
dass die Pflegeperson oder die in der Einrichtung für die Erziehung verantwortlichen Personen und die Eltern zum Wohl des Kindes oder des Jugendlichen zusammenarbeiten. Durch
Beratung und Unterstützung sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren
Zeitraums so weit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder
selbst erziehen kann. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie gefördert wird. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit
den beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.“116
Dies beinhaltet die Aufgabe zwischen Pflege- und Herkunftsfamilie zu vermitteln zur Gewährleistung eines einvernehmlichen und kontinuierlichen Erziehungsprozesses (Abs. 1 S. 1), zur
Beratung und Unterstützung der Herkunftseltern bei der möglichen Rückführung des Kindes zu
seinen Herkunftseltern (Abs. 1 S. 2 & 3) bzw. zur Sicherung des Verweilens des Pflegekindes bei
der Pflegefamilie.117 Hierbei ist nicht eindeutig klar, was unter einem „vertretbaren Zeitraum“ 118
zu verstehen ist. Erfolgt keine Stabilisierung der Erziehungssituation in der Herkunftsfamilie in
dieser Zeit, so muss eine alternative förderliche Lebensperspektive erarbeitet werden. Dabei
sind die bereits bestehenden Bindungen des Kindes besonders zu berücksichtigen und müssen
insbesondere bei der Gestaltung des Umgangs des Kindes mit seinen Eltern berücksichtigt werden. Dieser Punkt führt in der Praxis in der Klärungsphase häufig zu Schwierigkeiten. Auf der
113 Vgl. Münder
u.a., FK-SGB VIII, § 33 Rn. 2.
Küfner, Marion / Schönecker, Lydia: Rechtliche Grundlagen und Formen der Vollzeitpflege. In: Kindler H., Helming
E., Meysen T. & Jurczyk K. (Hrsg.) Handbuch Pflegekinderhilfe. München: DJI e.V. 2010, S. 48 - 99, hier: S. 49. (Im Folgenden zitiert als Küfner / Schönecker 2010.)
115 Vgl. ebd.
116 § 37 Abs. 1 SGB VIII.
117 Vgl. Conrad, Anja / Stumpf, Natascha: Das Pflegekind im Spannungsfeld zwischen Pflegeeltern und Herkunftseltern. Hamburg 2006, S. 56. (Im Folgenden zitiert als Conrad / Stumpf 2006.)
118 § 37 Abs. 1 S. 2. SGB VIII.
25
114
einen Seite kann ein Umgang der Erhaltung von Bindungen dienen, Trennungs- und Verlustängste
des Kindes mindern. Das ist gerade bei kleinen Kindern durch die Möglichkeit der Beobachtung
und Bewertung der Eltern-Kind-Beziehung für eine Planung und Diagnose aufschlussreich. Auf
der anderen Seite kann das Kind hierdurch in Loyalitätskonflikte geraten oder wird einer
Retraumatisierung ausgesetzt, die negative Auswirkungen auf Psyche und Verhalten haben können. Ist oder wird ein Kind auf Dauer in einer Vollzeitpflege untergebracht, muss der PKD eine
Adoptionsmöglichkeit prüfen.119
2.1.3.3. Pflegeeltern
Die Voraussetzung für die Aufnahme eines Kindes zur Pflege bedarf einer Pflegeerlaubnis
durch das Jugendamt gemäß § 44 SGB VIII. Pflegeverhältnisse, die im Rahmen der Hilfen zur Erziehung vermittelt werden, sind nicht erlaubnisbedürftig.120 Die Pflegeeltern erlangen durch eine
Erklärung der Personensorgeberechtigten den Status des Erziehungsberechtigten gemäß § 7
Abs. 1. Nr. 6 SGB VIII. Dies erlaubt ihnen nach § 1688 Abs. 1 SGB VIII, den oder die Personensorgeberechtigten (§ 7 Abs. 1. Nr. 5 SGB VIII) in Angelegenheiten des täglichen Lebens zu vertreten.
Dies „sind in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden
Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben.“121 Sie werden ermächtigt bspw. Kindergeld zu beantragen oder andere Sozialleistungen für das Kind geltend zu machen (§ 1688 Abs. 1
S. 2 BGB). Diese Befugnisse können vom Inhaber der elterlichen Sorge oder vom Familiengericht eingeschränkt werden (§ 1688 Abs. 3 BGB). Die leiblichen Eltern bleiben bei der Installation
eines Vollzeitpflegeverhältnisses Inhaber der elterlichen Sorge, es sei denn, das Familiengericht
trifft eine Entscheidung über § 1666 Abs. 3 Nr. 5, 6 BGB, wonach die elterliche Sorge eingeschränkt oder entzogen werden kann und daran geknüpfte Aufgaben von den Pflegeeltern oder
einem Vormund übernommen werden müssen (§§ 1773 ff. BGB, s.o.). Die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge auf die Pflegeeltern ist jedoch nicht möglich, da dies keine Pflegschaft
mehr wäre.122 Es kommt in der Praxis häufig vor, dass das Aufenthaltsbestimmungsrecht auf einen Vormund übertragen wird, um eine rechtliche Handhabe in Fällen zu bekommen, in denen
Streitigkeiten um den Aufenthalt des Kindes zu erwarten sind. Bei Vollzeitpflegen, die auf Dauer
angelegt und in der keine Auseinandersetzungen zwischen den leiblichen Eltern und Pflegeeltern
anzunehmen sind, kann es sinnvoll sein, die rechtliche Sicherheit der Pflegeeltern zu erweitern,
119 Weiterführend
hierzu: Hoffmann, Birgit: Adoptionsoption in der Hilfeplanung –Perspektive der Fachkräfte in der
Hilfeplanung. In: JAmt (2011) Heft 1, S. 10 - 16.
120 Vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII. Es werden hier weitere Personenkreise benannt, die ebenfalls keine Pflegeerlaubnis bedürfen. Vgl. Münder u.a., FK-SGB VIII, § 44 Rn. 1, 14.
121 § 1688 Abs. 1. S. 3 BGB.
122 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1630 Rn. 9.
26
indem sie als Vormund vorgeschlagen werden.123 In beiden Fällen besteht zudem die Möglichkeit, die rechtliche Sicherheit der Pflegeeltern über eine Vollmacht zu stärken (über §§ 164 ff,
1688 BGB, § 7 Abs. 1 Nr. 6 SGB VIII). Die Pflegeeltern haben ein Anrecht auf Beratung und Unterstützung durch das zuständige Jugendamt (§§ 18 Abs.1 Nr. 1, § 37 Abs. 2 SGB VIII).
Der zahlenmäßige Anteil der Kinder und Jugendlichen, für die diese Regelung gilt, belief sich in
Deutschland 2007 auf 49.673 und im Jahr 2010 auf 60.451 junge Menschen in Pflegefamilien.124
Diese Angaben benennen allerdings nur die offiziell erfassten Pflegeverhältnisse. Nach Blandow
und Walter sind diesen die nicht offiziell erfassten Pflegeverhältnisse hinzuzurechnen. Dies wären
im Jahr 2010 demnach, nach eigener Berechnung, etwa 160.000 Kinder in Familienpflege.125 Es
gilt festzustellen, dass die anvisierte quantitative Annäherung von der Hilfeform der Vollzeitpflege
an die der Heimerziehung sich in den letzten 20 Jahren eher langsam vollzieht und eine quantitative Vorrangstellung der Heimerziehung weiter besteht.126 Es ist ein deutlicher Zuwachs an
Pflegefamilienverhältnissen in der Zeit von 2005 bis 2010 zu verzeichnen.127 Im internationalen
Vergleich liegt Deutschland damit hinter den USA und ist ein Land mit einer eher hohen Quote.
Bei der Altersgruppe der Kinder unter drei Jahren zeigt sich eine eindeutige Tendenz der Favorisierung der Unterbringung in einer Vollzeitpflege im Verhältnis von 3:1 im Jahr 2006.128 Auch im
Jahr 2010 wies diese Altersgruppe von allen Kindern in Vollzeitpflege mit 23 pro 10.000 die
höchste Inanspruchnahme auf.129 Der Großteil der Hilfen (43%) nach § 33 SGB VIII dauerte im
Jahr 2009 zwei Jahre und länger an, wobei dieser Anteil innerhalb der letzten 15 Jahre um mehr
als zehn Prozent gesunken ist. Dafür ist der Anteil der Hilfen mit einer Dauer bis zu sechs Monaten angestiegen und lag im Jahr 2009 bei jeder dritten Maßnahme vor. Weiter wurden 52,9%,
also knapp über die Hälfte der Vollzeitpflegeverhältnisse, nach dem im Hilfeplan gesetzten Ziel
beendet. Es kehrt dabei jedes dritte Pflegekind in den Haushalt des Inhabers der elterlichen
Sorge zurück. In rund 36% der Fälle der beendeten Vollzeitpflegeverhältnisse erfolgte keine wei-
123 Vgl. Ertmer, Heinzjürgen: Pflegeeltern
und Jugendamt - Möglichkeiten der Kooperation. In: paten 28. Jahrgang
(2011) Heft 2, S. 12-19, hier: S. 19.
124 Daten vom statistischen Bundesamt. Online unter:
https://www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Soziales/Sozialleistungen/KinderJugendhilfe/Tabellen/Hilfe
nErziehungAusElternhaus.html, 5.04.2012
125 Vorausgesetzt ist hierbei, dass das von Blandow und Walter beschriebene Verhältnis von 1 : 1,7 stabil geblieben
ist. Vgl. Kindler, Heinz: Pflegekinder und ihre Situation - eine empirische Annäherung. Einführungsvortrag zur Tagung.
DJI 2008, S. 5. Online unter: http://www.dji.de/pkh/Kindler_Pflegekinder_Situation_empirische_Annaeherung.pdf,
10.04.2012. (Im Folgenden zitiert als Kindler DJI 2008.)
126 Vgl. Fendrich / Wilk 2011, S. 531.
127 Nach eigener Berechnung eine Steigerung um 16,16% von 2005 bis 2010. Vgl. Fendrich / Wilk 2011, S. 530.
Demnach von 145397 im Jahr 2005 auf 168897 im Jahr 2010. (Absolute Anzahl von Fremdunterbringungen gem. §§
33 und 34 SGB VIII.)
128 Vgl. Kindler DJI 2008, S. 5f.
129 Vgl. Fendrich / Wilk 2011, S. 532.
27
tere Hilfe. In 39,1% wurde im Anschluss eine weitere Hilfe zur Erziehung, gemäß §§ 27 -35, 41
SGB VIII, installiert.130
Im Jahr 2010 erfolgte in 36.343 Fällen eine vorläufige Schutzmaßnahme nach § 42 SGB VIII.
Dies ist der höchste Wert seit der statistischen Erfassung im Jahr 1995. Der Anstieg des Wertes
um mehr als 40% seit dem Jahr 2005 lässt sich dadurch erklären, dass 2005 der Schutzauftrag
bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII) in Kraft getreten ist, der § 42 SGB VIII novelliert wurde
und der Fall „Kevin“ die gesellschaftliche Beschäftigung mit dem Kinderschutz zusätzlich angeheizt hat. In den letzten sieben Jahren ist ein Anstieg der Fälle von Inobhutnahmen von Kindern
unter sechs Jahren um 83% zu verzeichnen. 3.438 Kinder unter drei Jahren wurden 2010 in Obhut genommen, was einem Anteil von 9.5% der gesamten vorläufigen Schutzmaßnahmen entspricht. Von diesen Kindern wurden dabei 46% in einer Einrichtung und dementsprechend 54%
bei einer geeigneten Person, also bspw. in einer Bereitschaftspflege, vorläufig unter Schutz gestellt. Bei 40,3 % der Kinder unter drei Jahren wurde daraufhin eine Fremdunterbringung eingeleitet und 38,9% kehrten zurück zu den Personensorgeberechtigten. Das bedeutet, dass für
1.386 dieser Fälle der Verbleib oder die Rückkehr weiter zu prüfen waren, bzw. nach der Inobhutnahme zunächst eine Rückführung als nicht möglich erachtet wurde. Über 16.000 mal hat
das Familiengericht im Jahr 2010 geprüft, ob ein teilweiser oder gesamter Entzug der elterlichen
Sorge durchzuführen war, und folgte dabei den Empfehlungen des Jugendamtes in 80% der Fälle.
So wurden im Jahr 2010 in rund 12.700 Fällen die elterliche Sorge bzw. Teile von ihr entzogen.
Das entspricht einer Zunahme von 46% seit 2005 und zeigt deutlich die Bedeutung des staatlichen Wächteramtes.131
2.2. Pädagogische Grundlagen
2.2.1. Lebensphase Kleinkind
“Eines Tages, [...], wollte der Kaiser [Friedrich II.] durch ein Experiment ergründen, »welche Art Sprache und Sprechweise Knaben nach ihrem Heranwachsen hätten, wenn sie
(vorher) mit niemandem sprächen«. Zu diesem Zwecke ließ er etliche neugeborene Kinder
ihren Müttern wegnehmen und Ammen und Pflegerinnen übergeben. Dann befahl er den
Ammen und Pflegerinnen, »sie sollten den Kindern Milch geben, daß sie an den Brüsten
saugen möchten, sie baden und waschen, aber in keiner Weise mit ihnen schöntun und zu
ihnen sprechen. Er wollte nämlich erforschen, ob sie die hebräische Sprache sprächen, als
die älteste, oder die griechische oder lateinische oder arabische oder aber die Sprache der
Eltern, die sie geboren hatten. Aber er mühte sich vergebens, weil die Kinder alle starben [...]
denn sie vermochten nicht zu leben ohne das Händepatschen und das fröhliche Gesichterschneiden und die Koseworte ihrer Ammen und Näherinnen«.”132
Alle Zahlen vgl. Fendrich / Wilk 2011, S. 532f.
Alle Zahlen vgl. ebd., S. 534f.
132 Horst, Eberhard: Friedrich der Staufer. Düsseldorf 1975, S. 190f.
130
131
28
In dieser Arbeit wurde das Thema auf (Pflege-)Kinder bis zum Alter von drei Jahren eingegrenzt. In keiner anderen Lebensphase lernt und wächst ein Kind so rasant wie in dieser Zeit.
Daher ist gerade diese Phase sensibel und prägend für die Entwicklung.133 Im Laufe der Geschichte gab es viele Vorstellungen von Kindern, ihren Rechten, ihrer Entwicklung und ihren Fähigkeiten (Tablua-rasa Modell, Modell der „guten Natur“, Defizit-Modell, etc.).134 Aus der interdisziplinären Forschung hat sich als führender Ansatz herausgebildet, dass die Entwicklung im
Zusammenspiel von genetischer Disposition und Einflüssen aus der Umwelt stattfindet. Die Verteilung der Anteile von Anlage und Umwelt bleibt hierbei offen, da es sich um einen Prozess
handelt, in dem das Kind eine aktive Rolle besitzt und sich individuell entwickelt.135 Dies zeigt
sich insbesondere an der interindividuellen Variabilität von Entwicklungsverläufen in der frühen
Kindheit. Dabei durchläuft jedes Kind die Entwicklungsschritte meist in der gleichen Abfolge, wobei sich Unterschiede hinsichtlich der Geschwindigkeit und in ihrer Ausprägung ausmachen
lassen. 136 Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass Entwicklung „altersgebundene Veränderungen im Verhalten und Erleben [bezeichnet], die durch ein Zusammenspiel von Erbanlagen,
Umwelterfahrungen und eigener Aktivität zustande kommen und den Erfahrungsraum des Kindes nachhaltig verändern.“ 137
Es lassen sich Entwicklungsschritte herausstellen, anhand derer man einen Normalverlauf
skizzieren kann. Diese sind im Bezug auf Alterswerte des Kindes nur bedingt aussagekräftig, ermöglichen es jedoch, eventuelle Entwicklungsverzögerungen aufzuzeigen und diese aufmerksam
weiterzuverfolgen. Es ist möglich, Aussagen über einen Zeitpunkt zu treffen, zu dem bestimmte
Entwicklungsaufgaben erfüllt sein sollten, um von einer normalen Entwicklung des Kindes sprechen zu können, also ohne dass diese Abweichungen zwingend interventionsbedürftig wären.138
Die Beschreibung der Entwicklung in Stufen ist nicht neu. Bereits Sigmund Freud benannte psychosexuelle Phasen, Erik H. Erikson typisierte entwicklungsspezifische Krisen und Jean Piaget beschrieb die Entwicklung der Intelligenz in vier Stufen bis zum 16 Lebensjahr.139 Die Erkenntnisse
über die frühe Kindheit haben in den letzten Jahren stetig enormen Zuwachs erfahren. Nach
Pauen lassen sich bedeutende Bereiche der frühkindlichen Entwicklung herausstellen: Grob- und
133 Vgl. Pauen, Sabina
/ Frey, Britta / Ganser, Lena: Entwicklungspsychologie in den ersten drei Lebensjahren.In: Cierpka, Manfred: Frühe Kindheit 0 - 3. Heidelberg 2012, S. 21-37, hier: S. 22. (Im Folgenden zitiert als Pauen / Frey / Ganser 2012.)
134 Vgl. Hédervári-Heller, Éva: Emotionen und Bindung bei Kleinkindern.Weinheim & Basel 2011, S. 14ff. (Im Folgenden zitiert als Hédervári-Heller 2011.)
135 Vgl. Mietzel, Gerd: Wege in die Psychologie. Stuttgart 13. Auflage 2006, S. 73.
136 Vgl. Pauen / Frey / Ganser 2012, S. 22.
137 Ebd. S. 22.
138 Vgl. Pauen / Frey / Ganser 2012, S. 35.
139 Vgl. Kesselring, Thomas: Jean Piaget. München 1999, S. 100.
29
Feinmotorik, Wahrnehmung, Denken, Sprache, Soziale Beziehungen, Selbstregulation und
Gefühle.140 Ein Kind muss sich in all diesen Bereichen ganzheitlich entwickeln und reifen. Die Befriedigung der Bedürfnisse der Kinder ist dabei die Grundvorraussetzung für eine gesunde geistige und körperliche Entwicklung und heute gut erforscht.141 Durch neue Erkenntnisse der neurobiologischen und entwicklungspsychologischen Wissenschaftsdisziplinen lassen sich auch die
Langzeitfolgen früher Deprivationserfahrungen aufzeigen. 142
2.2.1.1. Bedürfnisse
Bei der näheren Auseinandersetzung mit den Theorien über die Bedürfnisse des Menschen
wird bewusst, dass die Beschäftigung mit dem Thema als ein Kern der Sozialen Arbeit angesehen
werden kann. So hat die Soziale Arbeit als Profession die Aufgabe, Bedürfnisse zu erkennen und
Mängeln entgegen zu wirken:143 „Ein Bedürfnis ist die Empfindung eines Mangels mit dem Bestreben, diesem Mangel abzuhelfen.“144 Dabei gilt, dass eine längere Bedürfnisvernachlässigung
den Menschen in seiner Existenz bedroht.145
Es gibt in der Literatur verschiedene Möglichkeiten der Darstellung der Bedürfnisse des Kindes. Annegret Werner stellt in Anlehnung an Alderfer drei Bedürfniskategorien auf (Existenz, soziale Bindung sowie Verbundenheit und Wachstum), denen die einzelnen kindlichen Bedürfnisse
zugewiesen werden können. Diese zusammenhängenden Grundbedürfnisse beeinflussen sich
gegenseitig und sind dabei als gleichwertig und fundamental anzusehen, wobei ihre Bedeutung
für ein Kind in Abhängigkeit zu den Entwicklungsschritten steht.146
Weit rezipiert ist die Motivationstheorie von Abraham Maslow. Darin werden fünf aufeinander aufbauende menschlichen Bedürfnisse klassifiziert und in eine hierarchische Anordnung gebracht („hierarchy of needs“), welche sich anschaulich in einer Pyramide darstellen lassen.
140 Vgl. Pauen
/ Frey / Ganser 2012, S. 23.
brauchen Kinder, um sich altersgemäß entwickeln zu können? In: Kindler, Heinz et al.:
Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München, 2006, S. 13-1
bis 13-4, hier: S. 13-1. (Im Folgenden zitiert als Werner 2006.)
142 Vgl. Egle, Ulrich / Hardt, Jochen: Gesundheitliche Folgen von Missbrauch, Misshandlung und Vernachlässigung in
der Kindheit. In: Cierpka, Manfred: Frühe Kindheit 0 - 3. Heidelberg 2012, S. 103 - 114, hier: S. 104ff. (Im Folgenden
zitiert als Egle / Hardt 2012.)
143 Vgl. Trenkwalder-Egger, Andrea: Die Orientierung am Bedürfnis - ein Bezugspunkt für die Soziale Arbeit. In: Brandtretter, Manuela / Vyslouzil (Hrsg.): Soziale Arbeit im Wissenschaftssystem. Wiesbaden 2010, S. 270-282, hier: S.
270ff. (Im Folgenden zitiert als Trenkwalder-Egger 2010.)
144 Prost, Winfried: Manipulation und Überzeugungskunst: Wie Sie andere gewinnen und sich vor Fremdsteuerung
schützen. Wiesbaden, 2009, S. 143.
145 Vgl. Trenkwalder-Egger 2010, S. 276.
146 Vgl. Werner 2006, S. 13-1 und 13-4.
30
141 Vgl. Werner, Annegret: Was
Abbildung 1. Bedürfnispyramide nach Maslow
Die fünf Stufen lassen sich in Defizitbedürfnisse und Wachstumsbedürfnisse aufteilen. Zu den
Defizitbedürfnissen gehören physiologische, Sicherheits- und soziale Bedürfnisse. Diese können
gesättigt werden. Zu den Wachstumsbedürfnissen gehören das Anerkennungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnis. Das menschliche Bedürfnis auf diesen Stufen lässt sich nicht sättigen, sondern seine Bestrebungen sind endlos.147 Erst wenn die Bedürfnisse einer Stufe erfüllt sind, kann
die nächst höhere Stufe erreicht werden. Je höher die Stufe, um so weniger existentiell ist ein
Bedürfnis. „Die Hierarchie der Bedürfnispyramide ist nicht starr. Laut Maslow erfahren zwar die
meisten Menschen ihre Grundbedürfnisse ungefähr in der genannten Rangordnung. Es gibt jedoch auch viele Ausnahmen und Differenzierungen.“148 Es stellt sich allerdings im Hinblick auf
Maslows Theorie die Frage, wie er, wenn die Hierarchie der Bedürfnisse nicht starr ist, davon
ausgehen kann, dass die Erfüllung der Bedürfnisse einer niedrigeren Stufe Voraussetzung für das
Erreichen der nächsthöheren Bedürfnisstufe sein kann. Darum soll hier sein Modell durch das
Fassmodell von Liebig ergänzt werden. Liebig stellte in der Biologie
ein Minimumgesetz auf: „Das Vorkommen und die Häufigkeit einer
Art in einem bestimmten Lebensraum wird von demjenigen Faktor
am meisten bestimmt, der vom Optimum am weitesten entfernt oder im Minimum vorhanden ist.“149 Mit anderen Worten bedeutet
Abbildung 2.
Fassmodell von Liebig
dies, dass das Wachstum einer Pflanze durch den am wenigsten vorhandenen Nährstoff begrenzt wird. Dies bedeutet, dass das Aufwach-
sen des Kindes von der am wenigsten vorhandenen Ressource abhängt. Besitzt ein Kind bspw.
147 Vgl. Trenkwalder-Egger
2010, S. 271f.
Heidinger, Isabella: Das Prinzip Mütterlichkeit - geschlechterübergreifende soziale Ressource. Wiesbaden 2010,
S. 36.
149 Liebig zitiert nach: Müller, J.K.: Grundvorlesung: Einführung in die Biologie I. Folien zur Vorlesung WS 2004/2005.
Folie 16. Online unter: http://www.biologie.uni-freiburg.de/data/bio1/mueller/ecology_ws04_05.pdf, 18.03.2012.
31
148
eine noch so anregende Umgebung, kann es sie nicht nutzen, wenn seine physiologischen Bedürfnisse nicht befriedigt werden. Sind hingegen die physiologischen Bedürfnisse und die Sicherheitsbedürfnisse befriedigt, ohne dass das Kind genügend Wertschätzung erfährt, kann bzw. wird
es nicht nach Selbstverwirklichung streben. „Wer als Kind mit Zuwendung und Anerkennung
gesättigt wurde, wird später nur ein geringes Bedürfnis danach verspüren, während jemand, dem
es daran in seiner Kindheit mangelte, in seinem ganzen späteren Leben ein ungesättigtes und
meist auch unsättigbares Bedürfnis danach haben kann. Vieles von dem, was er tut, wird aus diesem Motiv geschehen, eventuell ohne dass der grundlegend erfahrene Mangel jemals gestillt
werden kann.“150 Der Vorteil gegenüber dem Maslow‘schen Modell besteht bei Liebig darin,
dass er nicht von einer Hierarchie in Stufen ausgeht, sondern von einem minimierenden Faktor,
der sich individuell für jeden Einzelnen bestimmen lässt. Maslow betont zwar auch, dass die Bedürfnishierarchie nicht starr ist, handelt sich damit aber die Frage ein, wie er dann davon ausgehen kann, dass die Erfüllung der Bedürfnisse der einen Stufe zwingend Voraussetzung für die Erreichung der nächsten Stufe ist. Trotz berechtigter Kritik an dem Maslow‘schen Modell hat es,
aber gerade im Bezug auf die ersten Lebensjahre einen hohen Erklärungswert. Die von ihm genannten Bedürfnisse lassen sich weiter ausdifferenzieren:
- „physiologische Bedürfnisse: Bedürfnisse nach Essen; Trinken; Ausscheidungen; Schlaf; WachRuhe-Rhythmus; Sexualität etc. Schutzbedürfnisse: Bedürfnisse nach Schutz vor Gefahren;
vor Krankheiten; vor Unbilden des Wetters; vor materiellen Unsicherheiten etc.
- Bedürfnisse nach einfühlendem Verständnis und sozialer Bindung: Bedürfnisse nach Empathie für verbale und nichtverbale Äußerungen und nach dialogischer Kommunikation; nach
sicherer Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft etc.
- Bedürfnis nach seelischer und körperlicher Wertschätzung: Bedürfnisse nach bedingungsloser Anerkennung als seelisch und körperlich wertvoller Mensch; nach körperlicher und
seelischer Zärtlichkeit; nach Unterstützung der aktiven Liebesfähigkeit; nach Anerkennung
als autonomes Wesen etc.
- Bedürfnisse nach Anregung, Spiel und Leistung: Bedürfnisse nach Unterstützung des Neugierverhaltens; nach Anregungen und Anforderungen; nach Unterstützung des UmweltBeherrschungsverhaltens etc.
- Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung und Bewältigung existenzieller Lebensängste: Bedürfnisse nach Entwicklung eines Selbstkonzeptes; nach Unterstützung der eigenständigen
Durchsetzung von Bedürfnissen und Zielen; nach Bewußtseinsentwicklung; nach Bewältigung von Lebensängsten und Lebenskrisen etc.“151
2.2.1.2. Belastungen
Das Kind bzw. ein Säugling ist abhängig von der Versorgung und Pflege einer Bezugsperson. Es
kann seine Bedürfnisse dabei zunächst nicht selbst regulieren oder zurückstellen und kann sie,
Prost, Winfried: Manipulation und Überzeugungskunst: Wie Sie andere gewinnen und sich vor Fremdsteuerung
schützen. Wiesbaden 2009, S. 144.
151 Schmidtchen, Stefan: Kinderpsychothearpie: Grundlagen, Ziele, Methoden. Stuttgart 1989, S. 106.
150
32
allenfalls durch Schreien kommunizieren. Zu beachten ist, dass gerade in der frühkindlichen Entwicklung die geistigen und körperlichen Prozesse eng miteinander verknüpft sind, „sodass seelische Beeinträchtigungen immer auch somatische Symptome zur Folge haben und somatische
Belastungen immer auch psychische Auswirkungen haben.“152 So können ungünstige Umweltbedingungen, wie bspw. das Aufwachsen in dysfunktionalen Partnerschaften und Familienkonstellationen, Regulationsstörungen auslösen und aufrecht erhalten.153 Solche Regulationsstörungen
sind bspw. exzessives Schreien, chronische Unruhe, Fütter- und Gedeihstörungen oder Schlafprobleme. Diese Regulationsstörungen haben nachgewiesene Auswirkungen auf Verhaltensauffälligkeiten in der späteren Kindheit.154 Die Angaben der Prävalenzrate von frühkindlichen Störungen liegt bei 5 bis 20%, von denen ca. ein Drittel persistiert und daher eine ernst zu nehmende
Größe darstellt.155
Regulationsstörungen, auch wenn sie nur von vorübergehender Art sind, können ein instabiles Familiensystem weiter belasten, das Risiko einer Eskalation erhöhen oder gar auslösen.156 Sie
haben eine hohe Bandbreite und reichen von leichten und vorübergehenden über behandlungsbedürftige, bis hin zu massiven, unbedingt zu behandelnden Problemen. Die Folgen sind in
Abhängigkeit zu der Schwere der Verwehrung der kindlichen Bedürfnisse zu sehen, welche für
das Kind mit Stress und Ängsten verbunden sind.
„Die Verknüpfung stressbezogener, neurobiologischer und entwicklungspsychologischer
Forschungserkenntnisse hat in den letzten Jahren ein zunehmend klareres Bild von den
Auswirkungen frühkindlicher Stresserfahrungen auf die körperliche und psychische Gesundheit im Erwachsenenalter erbracht. Das kumulative Einwirken von – in prospektiven Studien
gesicherten – ungünstigen Umweltbedingungen kann demnach die Lebenserwartung um bis
zu 20 Jahre reduzieren. Bedeutsam ist dabei eine neurobiologisch früh geprägte Stressvulnerabilität, welche sich auch auf die individuell erlernten Verhaltensmechanismen, nicht zuletzt
in der Bindungs- und Beziehungsgestaltung, auswirkt. Dies führt zu einem erhöhten Auftreten von Risikoverhaltensweisen (z. B. frühes Rauchen, Alkohol- und Drogenkonsum, wechselnde Sexualpartner, Bewegungsmangel). Darüber kommt es zu einem erhöhten Auftreten
von körperlichen Erkrankungen, welche dann die Lebenserwartung beeinflussen.“157
Eine höhere Belastung steigert den Stress des Kindes. Je mehr Stress ein Kind in frühen Jahren
ausgesetzt ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit von psychischen Langzeitfolgen und einer
geringeren Lebenserwartung. Werden dem Kind die unteren Stufen der Bedürfnispyramide
Cierpka, Manfred: Frühe Kindheit 0 - 3. Heidelberg 2012, S. V. (Im Folgenden zitiert als Cierpka 2012.)
sei an dieser Stelle auch darauf, dass die Ursachen auch biologischer Natur sein, also beim
Kind selber liegen können, wie z.B. bei einer Frühgeburt oder genetischen Dispositionen wie Autismus-SpektrumStörungen, Down-Syndrom, Temperament des Kindes und einigen mehr. Dies ist wichtig für die Fallanalyse weil eine
Regulationsstörung nicht automatisch auf eine dysfunktionale Umwelt verweisen muss.
154 Vgl. Cierpka 2012, S. V.
155 Vgl. ebd. Sowie: Éva Hédervári-Heller gibt die Prävalenzrate mit 20 - 25% an, von denen 4% persistiert. Vgl.
Hédervári-Heller 2011, S. 12.
156 Vgl. Cierpka 2012, S. VI.
157 Egle / Hardt 2012, S. 104.
33
152
153 Vgl. ebd. Hingewiesen
durch frühe Deprivationserfahrungen, aktive Misshandlung (körperliche, emotionale oder sexuelle Gewalt) oder passive Misshandlung (physiologische, emotionale Vernachlässigung) verwehrt,
so sind nachhaltige, gar lebenslaufverändernde Schädigungen am Kind zu erwarten.158 Die Einflüsse der Stressfaktoren lassen sich nach Egle und Hardt ebenso ihrer Bedeutung nach ordnen
und in einer Pyramide darstellen.
Abbildung 3. Auswirkungen von früh einwirkenden Stresserfahrungen auf das weitere Leben
Setzt man diese Hierarchisierung der Risikofaktoren in Relation zu der oben dargestellten
Bedürfnispyramide nach Maslow, erscheint es sinnvoll, die Risikopyramide umzudrehen, um zu
verdeutlichen, dass sich die Stressfaktoren für die Betroffenen zu einem Abwärtstrend kumulieren, der sich entgegengesetzt zu den Entwicklungschancen im Falle gelungener Bedürfnisbefriedigung verhält.
Abbildung 4. Gegenüberstellung Bedürfnispyramide und Auswirkungen von Stresserfahrungen
158 Vgl. Egle
/ Hardt 2012, S. 104.
34
Dabei lässt sich sagen, dass je früher ein Kind solche traumatischen Erfahrungen macht, um so
gravierender das Ausmaß der zu erwartenden Schädigung ist. Weiter lassen sich über prospektive Longitudinalstudien und retrospektive Studien folgende empirisch gesicherten, kumulierenden
Risikofaktoren der Langzeitfolgen für die Stressvulnerabilität herausstellen, wobei Jungen vulnerabler als Mädchen sind:159
„- Niedriger sozioökonomischer Status
- Schlechte Schulbildung der Eltern
- Arbeitslosigkeit
- Große Familien und sehr wenig Wohnraum
- Kontakte mit Einrichtungen der »sozialen Kontrolle« (z. B. Jugendamt)
- Kriminalität oder Dissozialität eines Elternteils
- Chronische Disharmonie in der Primärfamilie
- Unsicheres Bindungsverhalten nach dem 18./24. Lebensmonat
- Psychische Störungen der Mutter/des Vaters
- Schwere körperliche Erkrankungen der Mutter/des Vaters
- Parentifizierung/Rollenumkehr
- Chronisch krankes Geschwister
- Alleinerziehende Mutter
- Längere Trennung von den Eltern in den ersten sieben Lebensjahren
- Anhaltende Auseinandersetzungen infolge Scheidung/Trennung der Eltern
- Häufig wechselnde frühe Beziehungen(z. B. Waisenhaus, Au-pair-Mädchen)
- Gewalterfahrungen: sexueller und/oder aggressiver Missbrauch
- Schlechte Kontakte zu Gleichaltrigen in der Schule
- Altersabstand zum nächsten Geschwister < 18 Monate“160
Überraschend erscheint zunächst, dass Kontakte mit dem Jugendamt als Risikofaktor gelten,
da diese ja eigentlich als Ressource und nicht als Belastung dienen sollten. Es stellt sich hier die
Frage, ob nicht der Kontakt mit Einrichtungen der sozialen Kontrolle wie dem Jugendamt
schlicht eine Folge der auftretenden, benannten Risikofaktoren ist. Denkbar wäre allerdings, dass
der Kontakt mit diesen Einrichtungen einen gewissen sozialen Druck aufbaut, der von den Betroffenen auch als Stressfaktor wahrgenommen wird. Diesem Faktor müsste dann in der sozialen
Arbeit Bedeutung beigemessen werden.
2.2.1.3. Protektion
Forschungen ergaben, dass sich den oben beschriebenen Risikofaktoren zudem eine Reihe
von Schutzfaktoren gegenüberstellen lassen. Zunächst sollte jedoch versucht werden, die beschriebenen Risikofaktoren und damit die Belastung und den Stress der Säuglinge und Kleinkindern zu senken bzw. gar nicht erst aufkommen zu lassen (Primärprävention). Erst darauf folgend
sollten Maßnahmen der Sekundärprävention die Auswirkungen einer entstandenen Stresseinwirkung mildern. Dabei sind die protektiven Faktoren bedeutsam. „Stehen sie hinreichend zur
159 Vgl. Egle
160
/ Hardt 2012, S. 105.
Ebd., S. 104.
35
Verfügung, so können sie beim Einwirken eines einzelnen Risikofaktors bzw. einiger weniger Risikofaktoren nicht nur deren pathogene Langzeitfolgen verhindern, sondern sogar zu einer erhöhten Stressresistenz (»Resilienz«) führen“.161 Bereits Maslow stellte in seinen Forschungen fest,
dass die Menschen eine erhöhte Frustrationstoleranz aufweisen, wenn sie in den ersten Lebensjahren diese Bedürfnisse befriedigen konnten.162 Protektive Faktoren für eine spätere Stressvulnerabilität sind:
„-Dauerhafte gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson
- Sicheres Bindungsverhalten
- Großfamilie, kompensatorische Elternbeziehungen
- Entlastung der Mutter (v. a., wenn alleinerziehend)
- Gutes Ersatzmilieu nach früherem Mutterverlust
- Überdurchschnittliche Intelligenz
- Robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament
- Internale Kontrollüberzeugungen, »self-efficacy«
- Soziale Förderung (z. B. durch Jugendgruppen, Schule, Kirche)
- Verlässlich unterstützende Bezugsperson/en im Erwachsenenalter
- Lebenszeitlich spätere Familiengründung (i. S. v. Verantwortungsübernahme)“163
Betrachtet man diese Faktoren, fällt auf, dass ein wesentlicher Schlüssel zu der Entwicklung
einer gesunden Persönlichkeit in der Eltern-Kind-Beziehung liegt. In den ersten Lebensjahren
muss ein Kind ungemein viel leisten und braucht dabei unbedingt die Hilfe und Anleitung, um
seine Bedürfnisse selbst zu regulieren. Es werden dabei die Grundsteine gelegt, auf die ein Kind
ein Leben lang zurückgreift. Dabei kann es sich nur in Interaktion mit seiner Umwelt entwickeln.
Je besser seine Bezugspersonen fähig sind, die Bedürfnisse zu erkennen und angemessen auf sie
zu reagieren, um so besser scheint eine positive Entwicklung indiziert. Daneben spielen wohl
auch genetische Faktoren, wie das Temperament und die Intelligenz, eine Rolle.
Es erscheint logisch, dass belastete Eltern Schwierigkeiten haben, feinfühlige Eltern-Kind-Interaktionen zu führen und auftretende Störungen der frühkindlichen Entwicklung adäquat zu beantworten. Wenn Eltern frustriert sind, da sie bspw. ihre Stufe der Sicherheitsbedürfnisse nicht
befriedigen oder zurückstellen können, sind sie folglich auch nicht bzw. nicht ausreichend in der
Lage, sich um externe soziale Bedürfnisse der nächsthöheren Stufe, in diesem Fall um die soziale
Interaktion mit dem Kind, zu kümmern. Die Interventionsmaßnahmen richten sich dementsprechend an die Eltern und gelangen über diese schließlich zum Kind. Die psychotherapeutischen
Behandlungsmöglichkeiten finden in Eltern-Säuglings- / Kleinkind-Therapien Anwendung und gelten als erfolgreich. In vielen Fällen reichen bereits wenige Therapiesitzungen aus, wobei in man161
Egle / Hardt 2012, S. 105.
162 Vgl. Kiefer, Michaela: Die Verbleibensanordnung
für Pflegekinder aus rechtlicher und pädagogischer Sicht. Unveröffentlichte Diplomarbeit. Frankfurt a. M. 2005, S. 33.
163 Egle / Hardt 2012, S. 105.
36
chen Fällen auch eine stationäre Therapie indiziert ist. Allerdings müssen die Beratungs- und Therapieangebote in Deutschland noch flächendeckend ausgebaut und Wartezeiten gesenkt werden. Bislang werden die Angebote von den Bevölkerungsgruppen mit der höchsten Risikobelastung seltener in Anspruch genommen.164 Es müssen folglich weitere Anstrengungen unternommen werden, die frühen Hilfen auch diesen Gruppen zugänglicher zu machen.
„Das Verständnis der geschilderten neurobiologischen und verhaltensbezogenen Entwicklungsprozesse schafft auch Möglichkeiten für Einsätze zu einer Primär-, Sekundär- bzw. Tertiärprävention. Dies wäre vor allem bei Risikogruppen erforderlich, deren Anteil auf 20 bis 30 % geschätzt wird. In besonderem Maße betroffen sind Kinder von Migranten, Alleinerziehenden und
Arbeitslosen.“ 165 Zu nennen wären an dieser Stelle z.B. Programme wie: „Steps Toward Effective
and Enjoyable Parenting„ (STEEP) von Erickson und Egeland166, „Keiner fällt durchs Netz“ von
Cierpka, sowie die „Entwicklungspsychologische Beratung für junge Eltern“ von Ziegenhain.167
Die durch das BKiSchG kürzlich bereitgestellten Mittel zur Erweiterung von frühen Hilfen und
dem Einsatz von Familienhebammen zeigt einen politischen Willen, die Präventionsmaßnahmen
zu stärken, um die Notwendigkeit von Interventionsmaßnahmen zu minimieren, und es so gar
nicht erst zu einer Eskalation bzw. Herausnahme kommen zu lassen.168
Die Chance dabei ist, dass bei Entwicklungsproblemen wie Regulationsstörungen, eine Intervention in Form einer Therapie und auch vorhandene Präventionskonzepte für ein Kind erfolgsversprechend sind. Auch schwerwiegende psychische Belastungenserfahrungen wie Missbrauch,
Vernachlässigung oder Deprivation lassen sich, wenn sie früh erkannt und behandelt werden,
ausgleichen. Jedoch bleiben auch hier „Narben in der Seele“.169 Wenn es nicht zu rechtzeitigen
Interventionen kommt, wird es für ein Kind schwer bis unmöglich, diese frühkindlichen traumati-
164 Vgl. Hédervári-Heller
2011, S. 148f.
Egle / Hardt 2012, S. 111.
166 Weiterführend zu empfehlen: Julius, Henri / Gasteiger-Klicpera, Barabara / Kißgen, Rüdiger: Bindung im Kindesalter. Göttingen, 2009, S. 233 ff.
167 Vgl. Hédervári-Heller 2011, S. 21.
168 „Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützt den Aus- und Aufbau der Netzwerke Frühe Hilfen und des Einsatzes von Familienhebammen auch unter Einbeziehung ehrenamtlicher Strukturen
durch eine zeitlich auf vier Jahre befristete Bundesinitiative, die im Jahr 2012 mit 30 Millionen Euro, im Jahr 2013 mit
45 Millionen Euro und in den Jahren 2014 und 2015 mit 51 Millionen Euro aus- gestattet wird. Nach Ablauf dieser
Befristung wird der Bund einen Fonds zur Sicherstellung der Netzwerke Frühe Hilfen und der psychosozialen Unterstützung von Familien einrichten, für den er jährlich 51 Millionen Euro zur Verfügung stellen wird.“ (Bundestagsblatt Jahrgang 2011 Teil I Nr. 70, Bonn 2011, S. 2975 - 2982, hier: S. 2976.)
169 Vgl. Aussage einer Fachkraft aus dem Praxisforschungsbericht: „Ich denke, dass bestimmte Themen und Störungen Kinder auch ein Leben lang begleiten. Ich denke, dass andererseits auch Kinder lernen müssen und Erwachsene
lernen müssen, mit ihren frühen Problemen umzugehen. Da ist auch ein ganz wichtiger Ansatz, man kann nicht alles
heilen. Ich denke, dass psychische Einschnitte, psychische Erfahrungen, emotionale Erfahrungen wirklich nicht vom
Grundsatz her korrigierbar sind. Das ist wie Narben in der Seele; die auch bleiben, und wo auch immer Empfindlichkeiten bleiben.“
37
165
schen Erfahrungen und Entwicklungsschritte nachzuholen bzw. zu kompensieren. Eventuelle seelische oder körperliche Schädigungen begleiten ein Kind unter Umständen dann sein Leben lang.
Im Hinblick auf die Resilienzfaktoren lässt sich also zusammenfassend konstatieren, dass das
Bindungsverhalten eines Kindes als wesentlicher Faktor zu werten ist. Insofern stellt sich die Frage nach der Entstehung und Qualität einer Bindung. Diese beantwortet die Bindungstheorie.
2.2.2. Bindungstheorie
„Als wesentliche Vorraussetzung für die psychische Gesundheit muss die Bedingung gelten, dass das Kleinkind eine warme, innige und dauerhafte Beziehung zu seiner Mutter (oder
zu einer ständigen Ersatz-Mutterfigur) besitzt, in der beide Erfüllung und Freude finden.“170
Die Bindungstheorie in ihrer heutigen Form fußt zum einen auf den Werken von John
Bowlby - sie brachte einen der wichtigsten Perspektivenwechsel in der Forschung zur frühkindlichen Entwicklung mit sich - zum anderen auf den Forschungen von Mary Ainsworth.
Bowlbys Theorie befasst sich „mit den grundlegenden frühen Einflüssen auf die emotionale
Entwicklung des Kindes und versucht, die Entstehung und Veränderung von starken gefühlsmäßigen Bindungen im gesamten menschlichen Lebenslauf zu erklären“.171 Bis zu den Studien von
Bowlby war die Vorstellung verbreitet, dass die enge emotionale Beziehung, die ein Kind zu seiner Mutter aufbaut, auf ihre Ernährerfunktion zurückzuführen ist. Er beobachtete jedoch, dass
Kleinkinder bei einer Trennung den Verlust von ihrer Mutter, unabhängig von ihrer Versorgung, als
sehr schmerzhaft empfanden.172 Daraus schlussfolgerte er, dass die Liebe und Anwesenheit der
Mutter für ein Kind ebenso große Bedeutung hat wie sein Nahrungsbedürfnis.173 Untersuchungsgegenstand Bowlbys war es, das beobachtete Motivationssystem bzw. die Tendenz des
Menschen, starke emotionale Beziehungen einzugehen, zu untersuchen und systematisch zu
beschreiben.174
Ainsworth gelang es, diese Theorie mit empirischen Befunden zu unterstützen.175 Bildlich gesprochen wird nach der Geburt die Nabelschnur als biologische Verbindung zwischen der MutBowlby, John: Bindung. München 2006, S. 9.
Bowlby, John zitiert nach: Conrad / Stumpf 2006, S. 69.
172 Er beschäftigte sich mit dieser Frage fortan in seinen drei Werken: Bindung / Attachment (1969), Trennung / Seperation (1973) und Verlust / Loss (1980).
173 Vgl. Bowlby, John: Bindung. München 2006, S. 11.
174 Vgl. Conrad / Stumpf 2006, S. 69.
175 Sie entwickelte mit ihrer Arbeitsgruppe die Methode der Fremden Situation. "Dabei handelt es sich um eine
Laborbeobachtungsmethode, in welcher das Zusammenspiel zwischen dem Bindungs- und Erkundungsverhalten
von Kindern unter verschiedenen Belastungsbedingungen [in Anwesenheit einer Bezugsperson, in Anwesenheit
einer fremden Person und in Abwesenheit von anderen Personen] untersucht wird." (Freck, Stephanie: Psychische
Traumatisierung und Bindungsqualität im Spiegel frühkindlicher Entwicklung. Diss. Frankfurt a. M. 2011, S. 53. (Im
Folgenden zitiert als Freck 2011.))
38
170
171
ter und dem Kind getrennt und muss fortan durch den Aufbau eines psychologischen Bandes
neu gebildet werden.176 Nach Bowlbys Annahmen gibt es dazu „zwei komplementär ausgebildete Verhaltenssysteme, ein Bindungsverhaltenssystem beim Kind und ein Fürsorgesystem bei den
Eltern, die durch ihr ganz besonders geartetes Zusammenwirken die Erfahrungsgrundlage für
Bindungssicherheit bilden und über ihre biographische Bedeutung zum Kindeswohl
beitragen.“177 Der Säugling besitzt demnach ein genetisch determiniertes Verhaltensrepertoire,
um Kontakt und damit Bindungsverhalten anzuregen. Dazu zählen: Schreien, suchende oder verfolgende Blicke, Anklammern, Saugen, Lächeln, Weinen und ab dem vierten Monat Rufen.178
Dem gegenüber steht das Fürsorgesystem, das Versorgungsverhalten der primären Bezugspersonen, also in der Regel der Eltern. Dies setzt die Feinfühligkeit der Eltern voraus, die Signale und
das Verhalten des Kindes wahrzunehmen, richtig zu deuten und zu beantworten.179 Die Feinfühligkeit gelingt vielen leiblichen Eltern oft nur unzureichend und ist primärer Ansatzpunkt bei Interventionen der frühen Hilfen (s.o.).
2.2.2.1. Bindungsphasen
Der Prozess der Synthese von Bindungen lässt sich in vier Phasen gliedern, wobei die Zeitangaben nicht als absolut angesehen werden können, sondern nur eine grobe Orientierung geben:
• 0-3 Monate: Der Säugling zeigt keine Angst vor fremden Personen und kann durch sensible
Pflege auch von diesen beruhigt werden. Sein Bindungsverhalten beschränkt sich zunächst auf
Weinen und etwa ab dem zweiten Lebensmonat auf ein soziales Lächeln.180
• 3-6 Monate: Der Wunsch des Kindes nach Nähe wird an ausgewählte Personen gerichtet, und
dem Kind ist es möglich, seine Hauptbezugsperson zu erkennen und von Dritten zu unterscheiden. Die Hauptbezugsperson wird präferiert und ihre Anwesenheit erzeugt Zufriedenheit
beim Kind. Sie hilft dem Kind am besten bei seiner Regulation, was sich bspw. daran zeigt, dass
sie das Kind am schnellsten wieder beruhigen kann.181
176 Vgl. Gudat, Ullrich: Entwicklungspsychologie
der Eltern-Kind-Beziehung: Bindung. In: Handbuch Beratung im Pflegekinderbereich. München 1987, S. 23 - 37, hier: S. 25.
177 Suess, Gerhard / Scheuerer-Englisch, Hermann : Überlegungen zur Arbeit mit Eltern und Pflegeeltern aus bindungstheoretischer Sicht. In: Julius, Henri / Gasteiger-Klicpera, Barabara / Kißgen, Rüdiger: Bindung im Kindesalter.
Göttingen 2009, S. 253 - 276, S. 254. (Im Folgenden zitiert als Suess / Scheuerer-Englisch 2009.)
178 Vgl. Marquardt, Claudia: Bindungsverhalten. In: paten (2000) Heft 2, S. 22 - 25, hier: S. 22. Sowie Conrad / Stumpf
2006, S. 70. (Im Folgenden zitiert als Marquardt 2000.)
179 Die Latenz der Reaktionszeit der Mutter liegt im Säuglingsalter bei etwa einer Sekunde. Vgl. Hédervári-Heller
2011, S. 56.
180 Vgl. Hédervári-Heller 2011, S. 62.
181 Vgl. Mietzel, Gerd: Wege in die Psychologie. Stuttgart 13. Auflage 2006, S. 76.
39
• 6 Monate bis 3 Jahre: Im Alter zwischen sechs und sieben Monaten beginnt die Bindungsphase. Diese ist auf wenige, dem Kind nahestehende Personen beschränkt. Das Kind zeigt in Form
von Verlustängsten Reaktionen auf Trennung und freut sich bei Begrüßung oder Rückkehr der
Bezugspersonen. In etwa dem achten Monat beginnt eine Fremdelphase, gefolgt von kurzzeitigen Explorationsphasen. Dabei ist die Bezugsperson das sichere Fundament, von dem ausgegangen wird, und die für das Kind die primäre Orientierung ist. Interessant ist, dass nach Piaget
ein Kind in dieser Zeit die kognitive Vorstellungsfähigkeit entwickelt, dass Objekte auch dann
weiter existieren, wenn sie sein Blickfeld verlassen haben (Objektpermanenz).182
• 3-6 Jahre: Ab dem dritten Lebensjahr ist es dem Kind erstmals möglich, für längere Zeit von
der primären Bezugsperson getrennt zu werden. Es kommt weniger häufig und weniger intensiv zu Bindungsverhalten als zuvor, wobei sie als sichere Basis nach wie vor in kritischen Situationen von dem Kind aufgesucht wird. Das Kind kann soziale Regeln außerhalb der Familie erfassen und erlernen und ist fähig, das Handeln seines Gegenübers zu begreifen und in seinem
eigenen zu berücksichtigen.183
Bindungen sind bis zur Ablösung von den Eltern in der Pubertät wichtig. Dort werden kindliche Bindungen an die Eltern abgeschwächt, und die Bedeutung der Peer-groups und anderer
Erwachsener gewinnt an Bedeutung. „Das Bindungsverhalten des Kindes wird immer dann aktiviert, wenn aufgrund innerer oder äußerer Bedingungen Gefahr signalisiert oder einfach nur Unsicherheit ausgelöst wird. Das Kind wird dann alles daran setzen, die Nähe zur Bindungsperson
herzustellen bzw. das verlorene Gefühl der Sicherheit wieder zu erlangen.“184 An dieser Stelle
liegt es an der Bindungsperson, die Signale richtig zu interpretieren und dem Kind zu antworten.
In diesem dynamischen Zusammenspiel sammelt das Kind Erfahrungen, die internalisiert werden.
In der Literatur wird dieses Verhalten oft mit einer Wippe verglichen. Auf der einen Seite steht
dabei das Explorations- und auf der anderen das Bindungssystem des Kindes.185 Scheuerer-Englisch beschreibt einen „Kreis der Sicherheit“, der dem komplexen dynamischen Zusammenspiel
vielleicht besser gerecht werden kann.186 „Bei erhöhtem Sicherheitsbedarf wird das Explorationsverhalten eingestellt, bei niedrigem Sicherheitsbedarf kann das Kind frei explorieren.“ 187 Die
Gedanken, Gefühle und das Verhalten im Zusammenspiel sind prägende Erfahrungen und wer182 Vgl. Kesselring, Thomas: Jean
Piaget. München, 1999, S. 84.
/ Stumpf 2006, S. 71f.
184 Suess / Scheuerer-Englisch 2009, S. 254.
185 Vgl. ebd.
186 Vgl. Scheuerer-Englisch, Hermann: Die Bedeutung des Bindungskonzepts im Bereich der Pflegekinderhilfe. Präsentation. Schaubild „Kreis der Sicherheit“. Regensburg 2008, Folie 7. Online unter:
http://sfbb.berlin-brandenburg.de/sixcms/media.php/5488/Scheuerer-Englisch%20%20Bindungkonzept%20in%20der
%20Pflegekinderhilfe.pdf, 03.03.2012. (Im Folgenden zitiert als Scheuerer-Englisch 2008.)
187 Ahnert, Lieselotte: Frühe Bindung. München 2004, S. 203.
40
183 Vgl. Conrad
den von dem Kind in sein inneres Arbeitsmodell von Bindung übernommen.188 Je besser und
feinfühliger auf die kindlichen Bedürfnisse während der Einbindung des Kindes eingegangen wird
und die essenziellen Bedürfnisse befriedigt werden, um so stabiler ist die Bindung.189
2.2.2.2. Bindungstypen
Diese inneren Arbeitsmodelle unterscheiden sich anhand ihrer Qualität voneinander und lassen sich klassifizieren. Diese Klassifikation wurde weiter ausdifferenziert.190 So wurden die ursprünglich drei Bindungstypen um einen weiteren Typ ergänzt.
Die sichere Bindung (Typ B für balanced): Das Kind ist sich sicher und ist zuversichtlich, dass
es sich in einer bedrohlichen oder beängstigenden Situation auf die Feinfühligkeit, Hilfe und den
Trost der Mutter verlassen kann. Es kann sich aufgrund positiver Vorerfahrungen auf die Verfügbarkeit der Bindungsperson verlassen, dadurch seine Umgebung frei erkunden und seine Emotionen offen äußern.191
Die unsicher-ambivalente Bindung (Typ C für crying): Das Kind fühlt sich unsicher und weiß
nicht, ob es sich auf die Feinfühligkeit und Hilfe verlassen kann. Dieses Muster zeigt sich, wenn
sich die Bezugsperson in bestimmten Situationen gegenüber dem Kind nicht berechenbar verhält oder nicht verfügbar ist. Das bedeutet, dass es manchmal auf Hilfsbereitschaft, Trost und Fürsorge bauen kann, manchmal aber zurückgewiesen wird. Das Kind versucht die Nähe zu der
Bindungsperson aufrecht zu erhalten, um in einer belasteten Situation ihre Verfügbarkeit
sicherzustellen.192 Das Kind befindet sich in einem Dilemma zwischen Trost und Wut und zeigt
daher ein eingeschränktes Explorationsverhalten.193
Die unsicher-vermeidende Bindung (Typ A für avoiding): Diese Bindungsqualität wird auch
distanzierte Bindung genannt. Das Kind vermeidet es, Hilfe und Unterstützung zu suchen, da es
die Erfahrung gemacht hat, in bedrohlichen Situationen zurückgewiesen zu werden. Es vermeidet
daher den Kontakt zur Bindungsperson, um nicht erneut die schmerzliche Ablehnung spüren zu
müssen.194
188 Vgl. Suess
/ Scheuerer-Englisch 2009, S. 254.
2000, S. 24.
190 Das desorganisierte Bindungsmuster wurde von Main und Solomon ergänzt. Vgl. Julius, Henri / Gasteiger-Klicpera, Barabara / Kißgen, Rüdiger: Bindung im Kindesalter. Göttingen 2009, S. 15. (Im Folgenden zitiert als Julius / Gasteiger-Klicpera / Kißgen 2009.)
191 Vgl. Julius / Gasteiger-Klicpera / Kißgen 2009, S. 14.
192 Vgl. ebd.
193 Vgl. Conrad / Stumpf 2006, S. 75.
194 Vgl. Marquardt 2000, S. 23.
41
189 Vgl. Marquardt
Das desorganisierte Bindungsverhalten (Typ D für desorganised): In diesem Arbeitsmodell
„ist das Kind selbst als vulnerabel und hilflos im Angesicht angstauslösender Situtationen repräsentiert und die Bindungsfigur als eine Person, die keine Sicherheit in solchen Situationen
bietet.“195 Hierbei kann das Kind nicht auf die Bezugsperson als sichere, feinfühlige Basis zurückgreifen, weil diese, der Erfahrung des Kindes nach, in schwierigen Situationen nicht verfügbar oder selbst Auslöser der Angst war.196 Da „die Bindungsbedürfnisse des Kindes nach Nähe oder
Rückversicherung [nicht] befriedigt [werden] [...], sei das Kind gezwungen Abwehrmechanismen
einzusetzen, durch die diese schmerzvollen Bindungserfahrungen vom Bewusstsein ausgeschlossen werden.197 Gerade dieser Bindungstyp findet sich mit einer großen Wahrscheinlichkeit bei
Pflegekindern wieder (ca. 48%).198 Demgegenüber stehen repräsentative Stichproben wonach
15% aller Kinder ein desorganisiertes Bindungsmuster aufweisen.199
Die genannten Bindungstypen lassen sich in weitere Subkategorien einordnen, da die Bindungsmuster wie gezeigt, auf individuellen Erfahrungen beruhen und daher eine Verortung auf
einem Kontinuum, wie es Grossmann und Grossmann vorstellen, der Sache angemessener ist.
Abbildung 5. Verortung der Bindungsmuster
Julius / Gasteiger-Klicpera / Kißgen 2009, S. 15.
/ Stumpf 2006, S. 76f.
197 Vgl. Julius / Gasteiger-Klicpera / Kißgen 2009 S. 15.
198 Es gibt eine Studie die bei 82% von Kindern mit Misshandlungserfahrungen eine Bindungsdesorientierung nachweisen konnte. „Im Mittel der vorliegenden Studien liegt die Häufigkeit von Bindungsdesorganisation bei misshandelten Kindern jedoch niedriger, nämlich bei 48%. Da die Rate der Pflegekinder mit Gefährdungserfahrungen bei
den leiblichen Eltern in Deutschland nach den vorliegenden Zahlen vermutlich zwischen 42% und 64% liegt, ergibt
sich eine geschätzte Grundrate von Bindungsdesorganisation im Bereich von 35% bis 40%. Die Zahlen sind vermutlich nicht besonders belastbar, da in keiner der deutschen Erhebungen detaillierter danach gefragt wurde, für welche
Kinder welche Hinweise bzw. Belege für eine erfahrene Gefährdung vorliegen. Aber es ist doch ziemlich deutlich,
dass die Annahme, ein genauer Blick auf die Bindungssituation des Kindes in der Herkunftsfamilie erübrige sich, nicht
haltbar ist.“ (Kindler, Heinz et al.: Pflegekinder: Situation, Bindungen, Bedürfnisse und Entwicklungsverläufe. In: Kindler
H., Helming E., Meysen T. & Jurczyk K. (Hrsg.) Handbuch Pflegekinderhilfe. München: Deutsches Jugendinstitut e.V.
2010, S.129- 225, hier: S. 171. (Im Folgenden zitiert als Kindler et al. 2010.)
199 Vgl. Schleiffer, Roland: Die Pflegefamilie: eine sichere Basis? Über Bindungsbeziehungen in Pflegefamilien. In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes: 4. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Verbleib oder Rückkehr?! Idstein 2009, S. 1542, hier: S. 18.
42
195
196 Vgl. Conrad
Die Theorie der Bindung hat große Bedeutung für das Pflegekinderwesen. Bei der Unterbringung in einer Pflegefamilie werden das Bindungssystem und Versorgungsverhalten mit ihrem
großen Potential bewusst genutzt.200 Es ist daher sehr erstaunlich, dass in der Literatur häufig auf
den Mangel an Wissen der beteiligten Fachkräfte über die Bindungstheorie hingewiesen wird.201
Sie ist tiefgründiger und schwieriger zu untersuchen, als es auf den ersten Blick erscheint.202
Es gilt als sicher, dass das Vorhandensein einer positiven Beziehung zu mindestens einer Bezugsperson, eine hohe bis sehr hohe Schutzwirkung für die weitere Entwicklung bildet.203 Jede
Trennung eines Kindes stellt eine Belastung dar; dabei wächst das Risiko eines negativen Entwicklungsverlaufes. Aus einer Stichtagserhebung des DJI geht hervor, dass ein Pflegekind im
Durchschnitt 0,27 Umplatzierungen pro Lebensjahr erlebt.204 Zu der Veränderbarkeit von einer
Bindungsqualität, z.B. von einer sicheren zu einer unsicheren oder umgekehrt, im Laufe der Entwicklung des Kindes können einige Ergebnisse festgehalten werden, die es jedoch weiter zu
überprüfen und auszuweiten gilt. Die bisherigen Studien lassen die Aussage zu, dass es grundsätzlich möglich ist, die internalen Arbeitsmodelle zu modifizieren, wobei diese an sich zu Stabilität neigen. Sie beruhen auf Erfahrungen sind daher mit zunehmendem Alter, schwieriger in die
bereits vorhandenen Sinnstrukturen einzuarbeiten. Je länger oder schwerwiegender negative Beziehungsmuster oder Erfahrungen auf ein Kind einwirken, um so schwieriger wird es sein, die
Qualität der Bindung zum Positiven zu beeinflussen.205 Dabei müssen sensible Phasen des Kindes besonders berücksichtigt werden: Die „Qualität des Fürsorgeverhaltens nach dem 12. Monat spielte für eine angemessene sozio-emotionale Entwicklung im Vorschulalter eine größerer
Rolle, als die Qualität der Mutter-Kind-Bindung im 12. Monat.“206 Die früh erworbenen Bindungsqualitäten werden bis zum Jugendalter aufrecht erhalten, wenn keine tiefgreifenden Veränderungen in den gelebten Beziehungen zu den Bindungsfiguren auftreten.207 Stovall-McClough
und Dozier haben 2004 in ihrer Studie gezeigt, dass kleine Kinder unter einem Jahr bereits in200 Vgl. Scheuerer-Englisch
2008, Folie 5.
/ Gasteiger-Klicpera / Kißgen, 2009, S. 8, 253 und 269. Sowie Zimmer 2010, S.17. Sowie Krappmann,
Lothar: Bindungsforschung und Kinder- und Jugendhilfe - Was haben sie einander zu bieten? In: np (2001) Heft 4, S.
338 - 346, insbesondere S. 342. Sowie Kindler, Heinz / Lillig Susanna: Psychologische Kriterien bei Entscheidungen
über einer Rückführung von Pflegekindern nach einer früheren Kindeswohlgefährdnung. In: Praxis der Rechtspsychologie 14. Jahrgang (2004) Heft 2, S. 368-397, hier: S. 379. (Im Folgenden zitiert als Kindler / Lillig 2004.)
202 Aktuelle Forschungsprojekte untersuchen den Zusammenhang zwischen Bindung und Aggression sowie den
Einfluss von gesellschaftlichen, historischen und physiologischen Mechanismen auf die Bindungsorganisation. Vgl.
Freck 2011, S. 72.
203 Siehe oben und Vgl. Freck 2011, S. 109. Sowie Scheuerer-Englisch 2008, Folie 6.
204 „Der aktuellen Unterbringung in der aktuellen Pflegefamilie gehen vielfach mehrere Trennungserfahrungen voraus [...] 31% zwei oder mehr Fremdunterbringungen 42% zwei oder mehr Trennungserfahrungen“ Siehe: Kindler
DJI 2008, S. 16.
205 Vgl. Julius / Gasteiger-Klicpera / Kißgen 2009, S. 72ff.
206 Ebd., S. 74.
207 Vgl. ebd., S. 225.
43
201 Vgl. Julius
nerhalb der ersten zwei Monate ihr Bindungsverhaltenssystem an das der Pflegeeltern anpassen
können. Kinder über einem Jahr zeigten nach zwei Monaten tendenziell ihre alten Verhaltensmuster, die Plastizität ihres Verhaltens ist damit geringer als die bei den Kindern unter 12
Monaten.208 Bemier et al. stellten zudem fest, dass Kinder im zweiten Lebensjahr nach fünfmonatigem Aufenthalt in der Pflegefamilie zu zwei Dritteln organisierte Bindungsbeziehungen zu der
Pflegemutter aufwiesen.209 In der Gruppe der Pflegekinder, die im Durchschnitt etwas länger als
drei Jahre in einer Pflegefamilie leben, stellten diejenigen mit sicheren Bindungsmustern die größte Gruppe dar. Dies wird von einer Meta-Analyse gestützt, nach der Pflegekinder im Mittel gute
Chancen auf positive Bindungserfahrungen haben, verheißt allerdings nicht, dass dies für alle
Pflegekinder zutrifft.210
Die Aufbau von Bindung ist abhängig von dem Faktor Zeit. In diesem Zusammenhang kann
die Bindungstheorie nicht losgelöst vom kindlichen Zeitempfinden betrachtet werden.
2.2.3. Kindliches Zeitempfinden
„Sir Isaac Newton (1642 - 1726):
Die Zeit ist absolut, und wird somit von jedem genau gleich gemessen.
Albert Einstein (1879 - 1955):
Die Zeit ist relativ, d.h. sie ist von der Eigenbewegung eines Beobachters abhängig und somit individuell verschieden. Dieser Effekt wird erst bei einer Bewegung mit fast Lichtgeschwindigkeit deutlich
messbar.“211
Albert Einstein sagt im Gegensatz zu Newton, dass Zeit physikalisch gesehen relativ, nicht
absolut ist. Auch vom Menschen wird die Zeit im kognitiven Sinn subjektiv als relativ empfunden.
Das Zeitempfinden von Säuglingen, Kleinkindern und Kindern entwickelt sich erst mit seinen
wachsenden kognitiven Leistungen.
„Kinder sind anders als Erwachsene in bezug auf ihre Einstellung zur Zeit. Der normale
Erwachsene mißt den Ablauf der Zeit mittels Uhr und Kalender, während Kinder die Dauer
eines Zeitraums je nach Dringlichkeit ihrer Triebwünsche beurteilen. Jeder Aufschub in der
Erfüllung eines Triebwunsches erscheint ihnen darum endlos; dasselbe gilt für die Dauer der
Trennung von einem Liebesobjekt.“212
Der Säugling wird von seinen Impulsen gesteuert und ist nicht fähig, seine Bedürfnisse auf
einen späteren Zeitpunkt aufzuschieben.213 Im kindlichen Denken gibt es zunächst nur das Hier
und Jetzt. Jean Piaget sagt, dass „Zeit in psychologischer Betrachtungsweise als eine »Koordinati208 Vgl. Stovall-McClough, K.C. /
Dozier. M.: Forming attachments in foster care: Infant attachment behaviors during
the first 2 months of placement. In: Development and Psychopathologie. (2004) Heft 16, S. 253 - 271, hier: S. 266.
209 Vgl. Kindler / Lillig 2004, S. 379f.
210 Vgl. Kindler et al. 2010, S. 162.
211 Newton und Einstein zitiert nach: Wiese, Uwe-Jens: Gedehnt und gemessen, erinnert und vergessen: Die Zeit
Zeit aus physikalischer Sicht. Bern 2009. Online unter:http://www.wiese.itp.unibe.ch/public/zeit.pdf, 20.03.2012.
212 Goldstein / Freud / Solnit Jenseits 1991, S. 18.
213 Vgl. ebd. S. 40
44
on der Bewegungen mit verschiedenen Geschwindigkeiten« aufgefasst werden müsse.“ 214 Erst
in der operationalen Phase, also im Alter von 7-8 Jahren, ist ein Kind kognitiv dazu in der Lage,
eine zeitliche Dauer operativ zu verstehen.215 Anna Freud beschreibt drei Stationen, in denen
das Kind Zeitempfinden erlernt bzw. entwickelt, allerdings ohne sie einem Alter zuzuordnen. Als
erstes nimmt das Kind die Zeitspanne von Triebbedürfnis bis zur Triebbefriedigung als kurz oder
lang wahr.216 Mit der zweiten Station verknüpft es bestimmte Vorgänge durch die tägliche Routine mit bestimmten Tageszeiten. Schließlich ist das Kind in der dritten Stufe kognitiv in der Lage,
ein intellektuelles Verständnis von Zeit zu entwickeln.217 Heinrich Roth geht davon aus, dass die
Entwicklung eines Verständnisses von Zeit bis zur Pubertät reiche. Er geht von einem Modell
aus, in dem das Zeitbewusstsein sich von der „Phase des naiven Zeiterlebens“ beim Kleinkind,
über die „Phase des Zeitwissens“ ab dem Schulalter hin zur „Phase der Zeiterfahrung und Zeitreflexion“ im Jugend- und Erwachsenenalter entwickelt.218 Im Alter bis zu drei Jahren muss also
davon ausgegangen werden, dass ein Kind noch nicht annähernd die kognitiven Fähigkeiten besitzt, Zeit so wahrzunehmen, wie sie ein Erwachsener empfindet. Die Zeiten bis zu jeglicher Bedürfnisbefriedigung werden von dem Kind schon nach - aus der Sicht von Erwachsenen - kurzer
Zeit als unerträglich empfunden. Bei einer Unterbringung eines Säuglings oder Kleinkindes ist das
Wissen um das kindliche Zeitempfinden von besonderer Bedeutung. Das Kind empfindet in dieser Phase Trennung schneller als irreversibel und absolut.219
„Wir können nicht von Dauer oder Kontinuität sprechen, ohne den Zeitbegriff des Kindes in Betracht zu ziehen. Eine Trennung zwischen Eltern und Kind zum Beispiel, die für das
Kleinkind lang genug ist, um seine Gefühlsbindung zu unterbrechen, ist für ein größeres Kind
im Schulalter kurz und ohne besondere Bedeutung. Das Verhältnis des Kindes zur Zeit ändert sich je nach seinem Entwicklungsstand und bestimmt die Zeitspanne, während der
vorhandene Beziehungen aufrechterhalten oder neue angeknüpft werden können. [...] Das
Kleinkind kann nicht für die Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse sorgen und ist wegen der
Unreife seines Gedächtnisses nicht imstande, für längere Zeit an der Vorstellung der abwesenden Eltern festzuhalten. Für das noch nicht zweijährige Kind wird darum die neue Pflegeperson »rasch« eine neue mögliche psychologische Elternperson. Aber so gut der Ersatz
an und für sich auch sein mag, der vorangegangene Verlust hinterläßt nur zu oft seine Spuren im Gefühlsleben des Kindes. Was für das Kleinkind einige Tage sind, ist dann für die meisten Kinder unter dem Alter von fünf Jahren eine Abwesenheit der Eltern von zwei oder
mehr Monaten oder für das jüngere Schulkind eine Abwesenheit von einem halben Jahr. [...]
Erst die Jugendlichen in fortschreitender Pubertät entwickeln dasselbe Verhältnis zur Zeit,
das wir aus der Erwachsenheit kennen.“220
Heilmann, Stefan: Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht. Neuwied 1998, S. 18. (Im Folgenden zitiert als
Heilmann 1998.)
215 Vgl. Ebd. S. 19.
216 Goldstein / Freud / Solnit Jenseits 1991, S. 20.
217 Vgl. Heilmann 1998, S. 21.
218 Vgl. Roth, Heinrich: Kind und Geschichte. Psychologische Vorraussetzungen des Geschichtsunterrichts in der
Volksschule. Frankfurt a. M. 1968, S. 50.
219 Vgl. Heilmann 1998, S. 26
220 Goldstein / Freud / Solnit Jenseits 1991, S. 40.
45
214
Fasst man die Ergebnisse des bisher Gesagten im Blick auf die ersten Lebensjahre zusammen,
lassen sich folgende Befunde festhalten:
Die Entwicklung von Kindern erfolgt in Stufen, die von ihnen erfolgreich absolviert werden
müssen. Grundlegend dafür ist eine angemessene Bedürfnisbefriedigung, wobei sich die Bedürfnisse mit Maslow hierarchisch bzw. mit Liebig als von einem limitierenden Faktor begrenzt beschreiben lassen. Werden diese Bedürfnisse dauerhaft nicht erfüllt, kann dies zu seelischen und
physischen Beeinträchtigungen in der kindlichen Entwicklung führen (wie etwa Regulationsstörungen und erhöhte Stressvulnerabilität). Faktoren, die das Risiko für Langzeitfolgen erhöhen,
wurden benannt.
Dem gegenüber stehen eine Reihe von Hilfsmaßnahmen und (Beratungs- und Therapieangebote), die meistens bei den Eltern ansetzen, weil Studien gezeigt haben, dass ein sicheres Bindungsverhalten und eine feste Bezugsperson bei Kindern pathogene Langzeitfolgen abschwächen und zu Stressresistenz führen können. Genauer wurde in diesem Zusammenhang darum
auf die Bindungstheorie eingegangen, die ein Wissen darüber zur Verfügung stellt, wie Kinder
Bindungen aufbauen. Dies führte weiter zur Frage nach dem kindlichen Zeitempfinden, welches
in den ersten Lebensjahren ebenfalls von der Bedürfnisbefriedigung gesteuert wird und sich
hierin vom Zeitempfinden der Erwachsenen unterscheidet.
Aus pädagogischer Sicht bestehen also im Umgang mit Pflegekindern Gefahren, aber auch
Protektionsfaktoren. In die praktische Arbeit muss dieses Wissen einfließen, um eine fundierte
Grundlage für Entscheidungen hinsichtlich der Rückkehr oder des Verbleibs von Pflegekindern
aus bzw. in ihren Pflegefamilien zu treffen. Dazu gilt es u.a. die Eltern bzw. Bezugspersonen und
das Kind in ihren Interaktionen genau zu beobachten und die Bedürfnisse des Kindes zu evaluieren. Die große Gefahr besteht darin, bei der Analyse, aus fachlichem "Halbwissen" bspw. das Bindungsverhalten des Kindes fehl zu deuten. Eine genaue Diagnose ist also bedeutsam und kann
auch nur von geschultem Fachpersonal anhand vorhandener anerkannter Tests und Methoden
(z.B. für die Gruppe der unter Dreijährigen die Fremden Situation) erfolgen. Das Wissen ist fundamental für alle Beteiligten im Jugendhilfeprozess, insbesondere in den Pflegekinderdiensten,
und führt die Komplexität von Entscheidungen in Fällen vor Augen, in denen eine Trennung von
Kindern von ihren leiblichen Eltern angezeigt ist.
Erschwerend kommt dabei hinzu, dass die pädagogische Sichtweise in der Praxis immer um
die rechtliche Perspektive, wie sie im Kapitel 2.1. vorgestellt wurde, ergänzt werden muss. Im
Folgenden wird zu fragen sein, wie sich diese beiden Perspektiven zueinander verhalten: Treffen
46
dort aktuell tatsächlich zwei Welten aufeinander oder werden die bestehenden Vorschriften
bereits implizit von pädagogischen und entwicklungspsychologischem Wissen getragen? Was sind
die Konsequenzen der beschriebenen Erkenntnisse für die Ausgestaltung und Planung von Vollzeitpflegeverhältnissen? Und welche Schwierigkeiten gibt es beim Übergang von der Theorie in
die Praxis?
3 . P RO B L E M S T E L L U N G
„Unsere Kenntnisse belegen, daß kein Kind für unbestimmte Zeit – bis abwesende Eltern in
der Lage und willens sind, es zurückzuholen – »auf Eis« gelegt werden kann, ohne daß seine
Gesundheit und sein Wohlsein gefährdet werden.“221
Das kindliche Zeitempfinden ist untrennbar mit dem Bindungsgeschehen verbunden, da sich
das Kind affektiv an die Menschen, die seine Bedürfnisse befriedigen, bindet und diese Menschen
als Eltern (faktische, psychologische und soziale) anerkennt.222
Grafen weist in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer Perspektivklärung bei
der Entscheidung über Rückkehr oder dauerhaften Verbleib von Pflegekindern hin. Sie konstatiert, dass eine Berücksichtigung des kindlichen Zeitempfindens nicht automatisch ein Plädoyer
für einen dauerhaften Verbleib in der Pflegefamilie sein muss, sondern dass eigentlich eine Rückführung in möglichst kurzer Zeit anzustreben wäre, um die Bindung zur Herkunftsfamilie zu erhalten. Voraussetzung sei allerdings, dass es sich um eine gelungene, sichere Bindung handele.223
„Die Fachkräfte stehen [dabei] vor einem Dilemma: Auf der einen Seite sollen sie eine
prognostische Entscheidung in der Grundsatzfrage bei der Anbahnung von Pflegeverhältnissen treffen (auf Dauer oder auf Zeit?), auf der anderen Seite müssen sie dem prozeßhaften
Geschehen in der Erziehungshilfe Rechnung tragen, indem sie einkalkulieren, daß sie zu einem bestimmten Stadium des Hilfeprozesses nicht alle Bedingungen ausreichend würdigen
können, daß die Beteiligten sich anders verhalten als prognostiziert usw. Insofern ist zu konstatieren, daß in vielen Fällen die in einem anfänglichen Prozeßstadium zur Entscheidung
anstehende Grundsatzfrage [...] noch nicht ausreichend beantwortet werden kann. Aus diesem Dilemma zwischen prognostischer Entscheidung zur Grundsatzfrage einerseits und
Beachtung des prozeßhaften Charakters der Hilfe gibt es keinen Ausweg.“224
Die Zielvorgaben des SGB VIII dafür sind dabei recht eindeutig: „Mit einer zeit- und zielgerichteten und geplanten Intervention soll im Falle günstiger Prognosen als Ergebnis fundierter
Diagnostik die alsbaldige Rückkehr des Kindes forciert und falls diese innerhalb des dafür am Alter des Kindes orientierten zeitlichen Rahmens nicht gelingt, die Dauerhaftigkeit seines Aufwuch-
Goldstein / Freud / Solnit Diesseits 1982, S. 43.
Zeitbegriff - Konsequenzen aus den Erkenntnissen dazu für die Planung und Gestaltung von Vollzeitpflegeverhältnissen. In: PFAD (2004) Heft 1, S. 7-12, hier: S. 7. (Im Folgenden zitiert als Grafen
2004.)
223 Vgl. Grafen 2004, S 7.
224 Merchel 1996, S. 221.
47
221
222 Vgl. Grafen, Dagmar: Kindlicher
splatzes sichergestellt werden.“225 Es wird damit den psychologischen und (sozial)pädagogischen
Kenntnissen über (Pflege-)Kinder grundsätzlich gerecht. Das geltende Kinder- und Jugendhilferecht zeichnet sich dadurch aus, dass es sich durch seine Konzeption (s.o.) an den wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Lebensrealität orientiert. Es erlaubt, das Kind und seine Bedürfnisse
nach Bindung und Kontinuität zu fokussieren und zur Leitlinie bei der Perspektivplanung zu
machen.226 Allerdings wird noch zu zeigen sein, dass „das zivilrechtliche Kinderschutzrecht demgegenüber [noch] einen erheblichen Nachholbedarf hat, wenn auch an ihm diese Erkenntnisse
nicht spurlos vorüber gegangen sind.“ 227 Weiterhin sei die Verwirklichung, so Salgo, eine enorme
Herausforderung, da es für Erwachsene sehr schwer sei, eine Entscheidung allein vom Kindeswohl geleitet zu treffen. Weiter bilanziert er, dass die Erreichung der oben genannte Zielvorgaben des SGB VIII noch nicht in der Masse der Fälle gelingt und es dafür an Zeit- und Personalressourcen sowie der Einstellung der Beteiligten mangele.228 Im Folgenden soll ein fokussierter
Blick auf die Herausforderungen geworfen werden, die sich für einen Sozialarbeiter stellen, wenn
er versucht, eine Entscheidung über Rückkehr oder Verbleib eines Pflegekindes zu begründen.
3.1. Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib
Diese Entscheidung stellt die Fachkräfte der sozialen Arbeit dabei zum einen vor erhebliche
fachliche Anforderungen und zum anderen vor ethische Konflikte. Wie und ob man solchen Dilemmata gerecht werden kann, ist eine schwierige bis unlösbare Frage.
3.1.1. Fachliche Sicht
Zu den fachlichen Anforderungen gehören in der Pflegekinderhilfe Rechtskenntnisse ein breites fachliches und methodisches Wissen (vgl. 2.2), welches eine fachliche Einschätzung und Entscheidung erst ermöglicht, bei der jedoch immer Risiken des Scheiterns bestehen bleiben. Im
Vergleich zu anderen Altersgruppe spielen bei den unter Dreijährigen hierbei insbesondere eine
zeitliche Dynamik sowie ein schwer zugänglicher Einblick in die inneren Prozesse, wie etwa den
Bindungsaufbau und das Zeitempfinden der Kinder, eine maßgebliche Rolle. Die vorhandenen
Informationen dienen dabei als Grundlage für die Einschätzung der Erfolgschancen und Risiken
einer Rückführung. Die empirischen Forschungsbefunde zur Objektivierung von Entscheidungsmaßstäben können zwar als wesentliche Stütze dienen, ersetzen jedoch nicht die einzelfallbezoSalgo, Ludwig: Verbleib oder Rückkehr?! – aus jugendhilferechtlicher Sicht. In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes:
4. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Verbleib oder Rückkehr?! Idstein 2009, S. 43-71, S. 49. (Im Folgenden zitiert als
Salgo 2009.)
226 Vgl. ebd., S. 47.
227 Ebd.
228 Vgl. ebd., S. 47ff.
48
225
gene Auslegung.229 Für die bessere Einschätzung der Erfolgschancen und Risiken einer Rückführung konnten nach ersten wenigen Studien Vorhersagefaktoren herausgearbeitet werden, die
zwar noch eine eingeschränkte Bandbreite aufweisen, jedoch bei einer Beschreibung der Erfolgsaussichten und Risiken erkennbare Bedeutung haben:
•„Das Ausmaß der vom Kind gestellten Erziehungs- und Fürsorgeanforderungen
•Das Ausmaß der Problembelastung der Eltern bzw. des Elternteils, bei dem das Kind nach
einer Rückführung leben soll
•Die Qualität des Fürsorge- und Erziehungsverhaltens der Eltern bzw. des Elternteils, bei
dem das Kind nach einer Rückführung leben soll
•Die Motivation für und Vorbereitung auf eine Rückführung
•Die Ressourcen im Fall einer Rückführung“230
Im Bezug auf das englische System ergaben Forschungen von Bullock, Gooch und Little fünf
Prognosefaktoren für Kinder unter elf Jahren, die es zu bejahen oder zu verneinen gilt:
•„Die Familie ist auf Ängste und Konflikte vorbereitet, die durch die Rückführung vermutlich ausgelöst werden.
•Die Beziehungen innerhalb der Familie sind ziemlich gut.
•Das Kind ist bislang nicht straffällig geworden.
•Die soziale Arbeit hat den Fall bislang kompetent gehandhabt.
•Die Fachkräfte vertrauen der Familie genügend, um sich auf freiwillige Absprachen zu
verlassen.“231
Die Arbeit mit diesen Prognosefaktoren verbesserte in England die Anzahl der gescheiterten
Rückführungen um ein Drittel.232 Allerdings ist hierbei zu bedenken, dass eine Übertragbarkeit
dieser Erfolgsaussichten auf das deutsche System schwierig ist, und daher diese Punkte eher als
Anregung zu einer nationalen Forschung dienlich erscheinen. „Aus Deutschland sind derzeit keine strukturierten und evaluierten Verfahren bekannt, die entwickelt wurden, um Fachkräfte der
Pflegekinderhilfe bei Entscheidungen über Rückführungen zu unterstützen.“233
Es zeigt sich, dass die beschriebenen Prognosefaktoren weiterer und besonders nationaler
Forschungsanstrengungen bedürfen, um der Pflegekinderhilfe als Orientierung zu dienen. Weiter
oben wurde bereits auf die Risiken und Belastungen von Familien, die mit der Erziehung ihrer
Kinder überfordert sind und daher Unterstützung in Form von Leistungen wie Vollzeitpflege in
Anspruch nehmen können oder im Fall einer Kindeswohlgefährdung müssen, verwiesen. Auffal229 Vgl. Münder
u.a., FK-SGB VIII, § 36, Rn. 23 - 25.
Kindler, Heinz et al.: Rückführung und Verselbstständigung. In: Kindler H., Helming E., Meysen T. & Jurczyk K. (Hrsg.)
Handbuch Pflegekinderhilfe. München: Deutsches Jugendinstitut e.V. 2010, S. 614-665, hier: S. 633. (Im Folgenden
zitiert als Kindler et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010.)
231 Kindler et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 640f.
232 Vgl. ebd., S. 641.
233 Ebd., S. 643.
49
230
lend ist, dass sie ziemlich deckungsgleich mit den in Amerika generierten „Barrieren“ des Children‘s Research Centers erscheinen:
•„Die emotionale Stabilität der Betreuungspersonen,
•die Fürsorge- und Erziehungsfähigkeiten der Betreuungspersonen,
•den Gebrauch von Suchtmitteln,
•die Partner- und sonstigen familialen Beziehungen,
•das soziale Unterstützungssystem,
•die allgemeinen sozialen Fähigkeiten der Betreuungspersonen,
•einen eventuell bei den Betreuungspersonen vorhandenen Analphabetismus,
•die generellen intellektuellen Fähigkeiten der Betreuungspersonen,
•die Arbeitssituation,
•die gesundheitliche Situation,
•die finanzielle Situation und
•die Wohnsituation“234
Es zeigt sich, dass die Prognose eine Einschätzung der Möglichkeiten der Verbesserung der
Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie ist. Dafür muss untersucht und prognostiziert
werden, inwieweit das Kind Defizite in den beschriebenen Bereichen aushalten kann, ohne dass
sein rechtlicher Anspruch auf Erziehung nicht mehr als gewährleistet angesehen werden kann.
Inwieweit darf bspw. eine Wohnsituation vom Optimum abweichen und dem Kind trotzdem
ausreichend Platz, Rückzugsmöglichkeiten, Wärme, Hygiene bieten, dass es sich frei entfalten
kann und nicht gefährdet wird. Eine Grenzziehung ist sicherlich nicht einfach und normativ zu
ziehen. Sie kann sich allerdings an der individuellen Bedürfnislage eines Kindes orientieren. Die
fachliche Anforderung besteht genau darin, möglichst genau zu erfassen, was ein Kind hat und
was essentiell für sein Aufwachsen zur Verfügung stehen muss. Hierfür dient das Wissen über
seine Bedürfnisse, Bindungen, psychische Belastungen/ Störungen, Trennungsbewältigung usw. als
theoretischer Hintergrund. Wichtig ist weiter, dass dieser Zustand über einen längeren Zeitraum
stabil gehalten werden kann und das gesetzte Minimum nicht unterschritten werden darf. Wobei
es natürlich davon abhängt, wo die Grenze gezogen wurde.
Aus einer Stichprobe des DJI geht hervor, dass sich bei 87% der Herkunftsfamilie die wirtschaftliche Situation vom Erhebungszeitpunkt im Vergleich zum Zeitpunkt der Inpflegegabe nicht
verändert hat, sowie bei 81% der Erfassten ein Bezug von Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe
vorlag.235 Diese Zahlen zeigen, dass die Herkunftsfamilien dauerhaft unter mangelnden materiellen Ressourcen leben. So stellt sich die Frage, ob Pflegekinder nicht auch eine Auswirkung von
Kindler et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 642.
/ Kindler, Heinz / Thrum, Kathrin: Lebenssituationen von Herkunftsfamilien.In: Kindler H.,
Helming E., Meysen T. & Jurczyk K. (Hrsg.) Handbuch Pflegekinderhilfe. München: Deutsches Jugendinstitut e.V. 2010,
S. 262 - 280, hier: S. 267f. (Im Folgenden zitiert als Helming / Kindler /Thrum 2010.)
50
234
235 Vgl. Helming, Elisabeth
Armut sind236; und weiter, ob diese materielle Lage nicht in engem Zusammenhang mit einer
nachhaltigen Verbesserung der Erziehungsbedingungen steht, welche ja als Grundvoraussetzung
für eine Rückkehr des Kindes, nach § 37 Abs 1 SGB VIII, gesehen wird. Wenn die Erziehungsbedingungen in Abhängigkeit von den materiellen Ressourcen zu sehen sind, an diesen sich aber
durch Beratung und Unterstützung im Sinne des Paragrafen vermutlich nichts ändern lässt, muss
die bisherige Steuerung kritisch hinterfragt werden. Weiter soll an dieser Stelle festgehalten werden, dass, wenn von Herkunftsfamilien gesprochen wird, 64% der Pflegekinder in der Stichprobe
vor Inpflegegabe bei alleinerziehenden Eltern lebten.237 Damit ist eine hochgradige Risikogruppe
in der Gesellschaft recht klar auszumachen. Dies bedarf dringender politischer Unterstützung,
die der Primärprävention zugeordnet werden kann. Grundsätzlich lässt sich belegen, dass die
soziale Arbeit einen Einfluss auf die Häufigkeit gelungener Rückführungen hat, vor allem dann,
wenn eine intensivere Fallarbeit durch mehr zeitliche Ressourcen sowie einer engeren Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften und den Beteiligten gewährleistet ist.238
„Eine Trennung eines Kindes von seinen Eltern oder Elternteilen unter sich anschließend
förderlichen Bedingungen in einer Pflegefamilie und dichtem Beziehungsangebot, kann ein
Kind gut verarbeiten und verkraften, auch wenn dieser Bruch und diese Realität lebenslang
Thema beim Kind bleiben werden. Die Wiederholung eines solchen Geschehens kann zu
schwerwiegenden Störungen im Bindungsverhalten führen bis dahin, dass das Kind aus
Selbstschutz heraus keine Bindung mehr eingehen kann oder will.“239
Dies weist auf eine zusätzliche Schwierigkeit hin, die Merchel unter dem Stichwort des Sozialarbeiters als einen „Architekten von Lebensläufen“ umschreibt. Da die Entscheidungen weitreichende Konsequenzen für die Lebensläufe der Betroffenen haben, wächst daraus zugleich eine ethische Verantwortung der Entscheidenden.240
3.1.2. Ethische Sicht
In ihrer Arbeit sind Sozialarbeiter auch immer mit dem Scheitern von Rückführungen konfrontiert, oder sehen sich in Situationen, in denen nicht die Interessen aller Beteiligten konsensuell vereinigt werden können, was zu Konflikten und Auseinandersetzungen führt. Es stellt sich die
Frage, ob ein bewusster Umgang in solchen und weiteren ethischen Konflikten und die daraus
resultierende fachliche Distanz den Weg zu einer professionellen Lösung, nicht zumindest er-
236 Weiterführend
dazu siehe Helming / Kindler /Thrum 2010, S. 278.
61% kommen von alleinerziehenden Müttern und 3% von alleinerziehenden Vätern. (Vgl. ebd., S. 274.)
238 Vgl. Kindler et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 647.
239 Grafen 2004, S. 7.
240 Vgl. Merchel 1996, S. 218.
237
51
leichtern können.241 Die ethischen Aspekte bei der Entscheidung über Rückkehr oder Verbleib
sind in der Literatur rar vertreten, obwohl sie in der Praxis immer wieder auftauchen.242
Beispielsweise wären dies Fälle, „in denen prinzipiell veränderungsbereite Eltern nach
unzureichender Beratung, Zielvereinbarung oder Unterstützung ihre Erziehungsfähigkeit
nicht innerhalb eines für das in Vollzeitpflege lebende Kind vertretbaren Zeitraums wiederherstellen können, oder in denen Eltern eine Rückführung anstreben und eine (erneute)
Misshandlung oder Vernachlässigung des betroffenden Kindes bei ihnen zwar als unwahrscheinlich angesehen werden kann, zugleich aber die Bindungs-, Förder- und Erziehungsbedingungen für das Kind dort deutlich ungünstiger ausfallen als in der Pflegefamilie.“243
Die Konflikte ließen sich weiter fortführen und zeigen sich bereits in der Abhandlung der
Grundlagen des Rechts bei der Abwägung zwischen Elternrecht, den Rechten des Kindes und
den Interventionsbefugnissen des Staates. Das Handbuch des DJI nennt drei Ansätze für die
Fachkräfte im Umgang mit berufsethischen Konflikten:
3.1.2.1. Die utilitaristische Strategie
„Der Utilitarismus koppelt die ethische Bewertung an die Folgen des fachlichen Handelns für
das Wohlergehen der Betroffenen.“244 Das praktische Handeln richtet sich danach aus, die Folgen möglichst genau zu beschreiben und in ihrem Nutzen nach abzuwägen. Dabei wird versucht, empirische Anhaltspunkte zu suchen und zu benutzen, wobei eine Restunsicherheit bleibt.
Ein Test oder ein Gutachten könnten weiteren Aufschluss über die Vor- und Nachteile erbringen.
Die Grenze liegt in der Schwierigkeit, dass teilweise positive und negative Folgen nur schwer geordnet und gewichtet werden können.245
3.1.2.2. Die deontologische Strategie
„Eine deontologische Ethik richtet den Blick mehr nach Innen und erwartet von den
handelnden Fachkräften vor allem eine Klärung ihrer Werthaltung und Werthierarchie. Die
ethische Motivation einer Entscheidung ist aus dieser Perspektive wichtiger als deren tatsächliche Folgen, die als ohnehin oft nicht wirklich kontrollierbar angesehen werden. Ethische Dilemmata können insoweit aufgelöst werden, als die Klärung der Werterhaltung und
Werthierarchie im Konflikt zwischen ethischen Zielen zu einer Entscheidung bzw. Lösung
führt.“246
3.1.2.3. Die diskursethische Strategie
In diesem Fall wird der Entscheidungsprozess nicht von den Ansichten der Fachkraft geleitet,
sondern liegt im Diskurs, der Auseinandersetzung und Befähigung der Beteiligten zu einer eige-
241 Vgl. Kindler
et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 616.
242 Vgl. ebd., S. 615.
Ebd., S. 615f.
Ebd. 2010, S. 616.
245 Vgl. ebd., S. 616f.
246 Ebd., S. 617.
243
244
52
nen Meinung zu finden und ihre Haltungen zu äußern.247 „Die Entfaltung und Förderung eines
möglichst herrschaftsfreien Diskurses wird hier als Weg gesehen, um ethisch tragfähige Lösungen
für Probleme zu finden, die dann auf einer möglichst breiten Zustimmung unter den Betroffenen
beruhen sollen.“ 248 Hierbei ist zu bedenken, dass bspw. Säuglinge oder Kleinkinder zu einer klaren Willensäußerung ohne eine externe Interpretation z.B. in Form von Diagnosen kaum in der
Lage sind. In diesem Fall ist zunächst die Fachkraft des Jugendamtes wiederum gefragt, was dem
Wohl des Kindes ent- bzw. widerspricht. Weiter ist in einem Zwangskontext ein einvernehmlicher Diskurs schwer zu realisieren. Ein solcher Zwangskontext ist z. B. bei der Bearbeitung einer
dauerhaften Perspektivplanung für ein Kind in Fällen mit eingeschränkter Freiwilligkeit gegeben, in
der es zu Konflikten kommen kann, die nur gerichtliche geklärt werden können. Gerade bei der
Frage über den weiteren, dauerhaften Verbleib ist eine hohe emotionale Belastung der Beteiligten zu erwarten. Eine Einvernehmliche Lösung zum Wohl des Kindes soll erreicht werden und
ist Ziel der Planung.
3.2. Die Verbleibensanordnung
„Lebt das Kind seit längerer Zeit in Familienpflege und wollen die Eltern das Kind von
der Pflegeperson wegnehmen, so kann das Familiengericht von Amts wegen oder auf Antrag der Pflegeperson anordnen, dass das Kind bei der Pflegeperson verbleibt, wenn und
solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde.“249
Dies definiert der § 1632 Abs. 4 BGB. 250 Er dient dem Schutz eines Kindes in Familienpflege
vor der Herausnahme, wenn diese zu einer Gefährdung seines Kindeswohls führen würde. Es
soll vor einer Wegnahme zur „Unzeit“ geschützt werden. Wenn das Kind in der Pflegefamilie
seine Bezugswelt gefunden und sich von seinen leiblichen Eltern entfremdet hat, dann ist das
Kindeswohl dem Elternrecht vorrangig.251 Das verfassungsrechtlich geschützte Elternrecht, gemäß Art. 6 Abs. 2, 3 GG, muss dann vor den Persönlichkeitsrechten des Kindes gemäß Art. 2
iVm Art.1 GG zurücktreten. 252 Die Verbleibensanordnung ist im Hinblick auf Art. 6 Abs. 3 GG
verfassungskonform.253 Sie ist ein kinderschutzrechtlicher Eingriff in die elterliche Sorge und nach
§ 1696 Abs. 2 BGB aufzuheben, sobald keine Kindeswohlgefährdung mehr droht.254 „Inzwischen
247 Vgl. Kindler
et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 618f.
Ebd., S. 618.
249 § 1632 Abs. 4 BGB.
250 Weiterführend die Synopse des § 1632 BGB. Online unter: http://lexetius.com/BGB/1632, 31.03.2012.
251 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 9.
252 Vgl. Huber, Peter: Münchener Kommentar zum BGB. München 5. Auflage 2008, § 1632 Rn. 38. (Im Folgenden
zitiert als Huber MüKo-BGB.)
253 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 9.
254 Vgl. Hoffmann, Birgit: Dauerpflege im SGB VIII und Verlbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB - Friktionen zwischen Familienrecht und Kinder- und Jugendhilferecht. In: FPR 2011, S. 578 - 582, hier: S. 578. (Im Folgenden zitiert
als Hoffmann Friktionen 2011.)
53
248
ist jedoch anerkannt, dass das Gericht auf der Grundlage von § 1632 Abs. 4 BGB auch die
Rückführung zu den Pflegeeltern anordnen kann, wenn die Beendigung des Aufenthalts bei den
Pflegeeltern in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Verfahren über die Verbleibensanordnung steht.“255 Welche Vorraussetzungen für den Erlass einer Verbleibensanordnung gegeben
sein müssen, soll nun näher betrachtet werden.
3.2.1.Vorraussetzungen
3.2.1.1. Familienpflege
Unter Familienpflege im Sinne des § 1632 Abs. 4 BGB sind alle Pflegeverhältnisse unabhängig
von ihrer Entstehung zu verstehen.256 Es ist dabei unerheblich, ob es sich um eine Dauer-, Verwandtschafts-, Adoptions- oder Bereitschaftspflege handelt und diese rechtmäßig zustande gekommen ist, also bspw. eine Pflegeerlaubnis nach § 44 SGB VIII vorliegt, oder entzogen wurde.257
Weiter ist die Verbleibensanordnung anwendbar, wenn das Kind bereits zurückgeführt wurde
oder es nach Rückführung zur Herkunftsfamilie Zuflucht bei seinen früheren Pflegeeltern ersucht hat.258 Nicht anwendbar ist der § 1632 Abs. 4 BGB, wenn das Kind in einem Heim untergebracht wurde, selbst wenn dort familienähnliche Strukturen vorliegen.259 Allerdings weist Küfner darauf hin, dass nach der Rechtsprechung zur Anwendbarkeit des § 86 Abs. 6 SGB VIII auf
Erziehungsstellen differenziert werden muss, ob die fachliche Konzeption, abgesehen von der
formalen Unterscheidung von Vollzeitpflege und Heimerziehung, als familienähnliche Lebensform
angesehen werden muss, da auch in dieser schützenswerte Beziehungen oder Bindungen entstehen können.260
3.2.1.2. Seit „längerer Zeit“
Als weitere Vorraussetzung gilt, dass sich ein Kind schon „seit längerer Zeit“ in Pflege befinden muss. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff muss im Hinblick auf das oben bereits beschriebene kindliche Zeitempfinden im Einzelfall ausgelegt und darf nicht absolut verstanden werden.261
Es ist entscheidend, „ob das Kind in der Pflegezeit seine Bezugswelt in der Pflegefamilie gefunden hat und deshalb die Herausnahme zu diesem Zeitpunkt die Gefahr schwerwiegender psy-
Küfner, Marion: Rückkehr oder Verbleib – Eine Analyse der Rechtsprechung zu Herausgabekonflikten bei Pflegekindern. München, 2008, S. 15. (Im Folgenden zitiert als Küfner 2008.)
256 Vgl. ebd.
257 Vgl. ebd., S. 15f. Sowie Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 10. Sowie vgl. Huber MüKo-BGB § 1632 Rn. 40.
258 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 10.
259 Vgl. ebd.
260 Vgl. Küfner 2008, S. 17.
261 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 11.
54
255
chischer Schäden mit sich brächte.“262 Es kommt dabei darauf an, wie lange ein Kind Zeiten mit
den Pflegeeltern verbracht hat und nicht darauf, wie lange es von seinen Herkunftseltern getrennt war:263
„Je jünger ein Kind ist, desto schwächer sind seine emotionalen Ressourcen zu Verarbeitung einer »langen« Trennung von seinen Eltern und um so wahrscheinlicher ist es, daß sich
signifikante psychologische Bindungen zwischen ihm und seinen Betreuungspersonen entwickelt haben. Folglich ist das Zertrennen der familiären Bande zwischen ihnen um so schädlicher, je jünger das Kind war, als es bei seinen langzeitigen Betreuern untergebracht wurde.
Kinder, die mehrfache Unterbringungen in Pflegefamilien erlitten haben, mögen oberflächliche Bindungen entwickeln, aber sind nicht willens oder fähig, tiefe primäre Bindungen
einzugehen.“264
Im Hinblick auf die frühkindliche Entwicklungen gilt, dass je jünger das Kind bei einer Unterbringung in einer Pflegefamilie ist, um so schneller die Vorraussetzung der „längeren Zeit“ als
gegeben angesehen werden muss.265 Es gilt hierbei genau zu begutachten, ob das Kind zu seinen
Pflegeeltern Bindungen aufgebaut hat und ein faktisches Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist, bei
dem aus entwicklungspsychologischer Sicht eine Trennung die Entwicklung des Kindes schädigen
würde. Zu der Bezugswelt gehören hierbei auch das Verhältnis des Kindes zu Pflegegeschwistern, Freunden, Nachbarn oder einer schulischen Eingewöhnung. Andererseits bleibt die Länge
der Pflegedauer dann unberücksichtigt, wenn das Kind sich in dieser Zeit nicht gut integrieren
konnte.266 Durch die einzelfallbezogene Begutachtung ergeben sich unterschiedliche Zeiten in
der Rechtsprechung. Sie werden dementsprechend im Verhältnis des Alters des Kindes bei der
Unterbringung zur Dauer des Aufenthaltes in der Pflegefamilie gesehen.
„So können etwa ein Jahr und fünf Monate bei einem 1 3⁄4-jährigen Kind, zwei Jahre bei
einem dreijährigem Kind, drei Jahre bei einem Kind im Alter von drei Jahren und acht Monaten bzw. vier Jahre bei fünfjährigem Kind ohne Weiteres eine „längere Zeit“ im Sinne des §
1623 Abs. 4 BGB darstellen. [...] Bei Kindern, die bereits kurz nach der Geburt bzw. in den
ersten Lebensmonaten fremduntergebracht wurden, können schon wenige Monate ausreichen, um eine Verbleibensanordnung zu erlassen. So wird teilweise stillschweigend davon
ausgegangen, dass 1 1⁄4 bzw. 1 1⁄2 Jahre bzw. ein Jahr und zehn Monate Familienpflege bei
einem ebenso alten Kind eine „längere Zeit“ darstellen. Erst recht kann dies nach 2 3⁄4 Jahren, vier Jahren oder gar fünf Jahren angenommen werden. Das OLG Köln hat dies selbst
nach nur dreimonatigem Bestehen des Pflegeverhältnisses bei einem etwa dreimonatigem
Säuglings bejaht, der nach Herausnahme und kurzem Krankenhausaufenthalt in die Pflegefamilie kam, (allerdings im Rahmen einer einstweiligen Anordnung mit oberflächlicher
Begründung).“267
Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 11.
/ Freud / Solnit Diesseits 1982, S. 49.
264 Ebd., S. 47. Dieses Zitat ist in Zusammenhang mit den oben bereits beschriebenen neuen Erkenntnissen der
Bindungstheorie auszulegen.
265 Vgl. Marquardt, Claudia: Verbleib oder Rückkehr aus familienrechtlicher Sicht. In: Stiftung zum Wohl des Pflegekindes: 4. Jahrbuch des Pflegekinderwesens. Verbleib oder Rückkehr?! Idstein 2009, S. 73 - 102, S. 76f.
266 Vgl. Huber MüK-BGB 2008, § 1632 Rn. 41.
267 Küfner 2008, S. 18. Mit weiteren Nachweisen.
55
262
263 Vgl. Goldstein
Es zeigt sich, dass die Rechtsprechung bei den Entscheidungen den offenen Charakter des
unbestimmten Rechtsbegriffes der „längeren Zeit“ flexibel auslegt. In der Rechtsanalyse von Küfner wird festgestellt, dass der Kontinuität und den Bindungen des Kindes gebührende Bedeutung
zukommt. Allerdings wird eine Vermischung der Tatbestandsmerkmale bei den Entscheidungen
bemängelt, da diese häufig nicht explizit darauf eingehen, ob eine „längere Zeit“ vorliegt oder
nicht, sondern stattdessen das Alter und die Bindungen des Kindes bei der Überprüfung der
Kindeswohlgefährdung abgehandelt werden. Hierin wird die Gefahr gesehen, dass bei gerichtlichen Beschlüssen nur die zeitlichen Dimension und weniger die Qualität der Eltern-Kind-Beziehungen gesehen wird, ohne dass der Tatbestand der „längeren Zeit“ besteht.268
3.2.1.3. Herausgabeverlangen der Eltern
„Wollen die Eltern das Kind von der Pflegeperson wegnehmen“269, so genügt bereits eine
ernstliche Ankündigung über ihr Herausgabeverlangen, um eine Verbleibensanordnung
zuzulassen.270 Der Wortlaut „Eltern“ ist trügerisch, da die Pflegeeltern auch gegenüber den Herausgabeansprüchen von Vormund oder Pflegern oder sorgeberechtigten Großeltern geschützt
sind. 271 Wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuvor gemäß § 1630 Abs. 3 BGB den Pflegeeltern erteilt, so können die Eltern die Herausgabe nur mit gleichzeitiger oder vorheriger Aufhebung dieser Anordnung verlangen. Gleiches gilt entsprechend, wenn einem Pfleger oder Vormund das Aufenthaltsbestimmungsrecht obliegt.272 An dieser Stelle ließen sich weitere Sonderregelungen zum Herausgabeverlangen nennen, worauf allerdings verzichtet wird.273
3.2.1.4. Gefährdung des Kindeswohls
„Wenn und solange das Kindeswohl durch die Wegnahme gefährdet würde“ 274, ist der Verbleib des Kindes in der Familienpflege anzuordnen. Hierbei ist zu unterscheiden, ob das Kind zu
seinen leiblichen Eltern zurückgeführt oder zu einer anderen Pflegeperson überführt werden
soll. Bei der Rückführung in die Herkunftsfamilie ist die zumutbare Risikogrenze weiter zu
ziehen.275 Es ist dabei unerheblich, ob eine weitere Erziehung oder die Bedingungen in der Pflegefamilie kindeswohldienlicher sind als die der Herkunftsfamilie. In diesem Fall hat das natürliche
Recht der Eltern (s.o.) eine eindeutige Vorrangstellung gegenüber denen der Pflegeeltern. Als
268 Vgl. Küfner
2008, S. 20.
§ 1632 Abs. 4 BGB.
270 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 42.
271 Vgl. Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 12.
272 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 42.
273 Vgl. und vertiefend dazu Küfner 2008, S. 21f.
274 § 1632 Abs. 4 BGB.
275 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 44. Sowie Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 14.
269
56
unzureichend gilt, dass eine Trennung des Kindes von den Pflegeeltern zu einer erheblichen psychischen Belastung führt, da diese Annahme dazu führen würde, dass eine Rückführung des Kindes immer dann schon ausgeschlossen wäre, wenn das Kind in den Pflegeeltern seine „sozialen
Eltern“ gefunden hätte.276 Es kommt vielmehr darauf an, ob das Kind bei einer Rückführung eine
nicht unerhebliche Schädigung seines seelischen oder körperlichen Wohls zu befürchten hat.277
Die Schwelle der Gefährdung orientiert sich dabei an § 1666 f. BGB und resultiert aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben.278
„Anknüpfungspunkt der Verbleibensanordnung ist demnach wie bei einer Trennung des
Kindes von seiner Herkunftsfamilie gegen den Willen der Eltern, §§ 1666, 1666a BGB, das
Bestehen einer Kindeswohlgefährdung. Das BVerfG legt die Voraussetzung Kindeswohlgefährdung in seiner jüngsten Entscheidung wie folgt aus: Das Kindeswohl gebiete, die neuen
gewachsenen Bindungen des Kindes zu seinen Pflegepersonen zu berücksichtigen und das
Kind aus seiner Pflegefamilie nur herauszunehmen, wenn die körperlichen, geistigen oder
seelischen Beeinträchtigungen des Kindes als Folge der Trennung von seinen bisherigen Bezugspersonen unter Berücksichtigung der Grundrechtsposition des Kindes noch hinnehmbar
seien. Die Risikogrenze hinsichtlich der Prognose möglicher Beeinträchtigungen des Kindes
sei überschritten, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit [Hervorhebung M.G.] nicht
auszuschließen sei, dass die Trennung des Kindes von seinen Pflegeeltern psychische oder
physische Schädigungen nach sich ziehen kann.“279 „Ein solches Risiko ist für das Kind nicht
hinnehmbar.“280
Hiermit hat das BVerfG eine richtungsweisende Entscheidung getroffen, welche die Grundrechtsposition der Kinder stärkt.281 So wurde bis dahin davon ausgegangen, dass eine hochgradige Wahrscheinlichkeit bzw. ziemliche Sicherheit bei der prognostischen Einschätzung des Gefährdungsrisikos bei der Rückführung gegeben sein muss, um den Verbleib des Kindes
anzuordnen.282 Neben der Wahrscheinlichkeit einer Schädigung ist ihre Intensität zu prüfen.
Hierbei ist eine Prüfung für jeden Einzelfall gesondert zu treffen, der Verweis auf allgemeine entwicklungspsychologische Erkenntnisse ist unzureichend.283 Allerdings lassen sich einzelne Kriterien für bzw. gegen den Erlass einer Verbleibensanordnung herausstellen, die zu prüfen sind.284
Hierzu zählen die persönlichen Defizite der leiblichen Eltern, unzureichende Lebensbedingungen, der Anlass der Fremdunterbringung, die Dauer und der Grad der Entfremdung von den
leiblichen Eltern, die Intensität der Bindungen des Kindes an seine Pflegeeltern und der Wille des
276 Vgl. Huber
MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 45.
/ Diederichsen § 1632 Rn. 13.
278 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 45.
279 Hoffmann Friktionen 2011, S. 580f.
280 BVerfG - 1BvR 2910/09 vom 31.03.2010, Rn. 27. Es handelt sich hierbei um Fall 10 (siehe Anhang IV).
281 Vgl. Hoffmann, Peter: Anmerkung zu BVerfG 1. Senat 2. Kammer, stattgebender Kammerbeschluss vom
31.03.2010 - 1 BvR 2910/09. Vom 14.09.2010. In: jurisPR-FamR 19/2010 Anm. 3.
282 Vgl. Küfner 2008, S. 25. Sowie vertiefend zu den Wahrscheinlichkeiten: Kindscher, Reinhard: Was bedeutet eigentlich «überwiegend wahrscheinlich» ? Eine Wahrscheinlichkeit von 51% genügt nicht. In: Schweizerische Ärztezeitung.
90. Jahrgang (2009)Heft 47. S. 1847 - 1849.
283 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 48.
284 Vertiefend dazu Küfner 2008, S. 30ff.
57
277 Vgl. Palandt
Kindes, ein frühes Alter bei der Unterbringung, Misshandlungs- und Missbrauchserfahrungen in
der Herkunftsfamilie und besondere Anforderungen der psychischen oder physischen Disposition des Kindes an die Herkunftsfamilie.285 Die Verbleibensanordnung ist gegenüber den §§ 1666
BGB das mildere Mittel und geht diesen Entziehungsmaßnahmen dementsprechend vor, allerdings nur, wenn sie auf die konkrete Situation anwendbar ist und die oben genannten Vorraussetzungen erfüllt sind.286 Das Familiengericht kann sie ohne Befristung aussprechen, wobei diese
über den § 1696 BGB jederzeit aufgehoben werden kann.287 Ein dauerhafter Verbleib kann
durch eine Verbleibensanordnung nicht rechtlich abgesichert werden.288 Das „kann“ in § 1632
Abs.4 BGB bedeutet nicht, dass dem Familiengericht ein Ermessensspielraum gewährt wird,
sondern es muss sie erlassen, wenn die Vorraussetzungen erfüllt sind.289
Sind diese Vorraussetzungen erfüllt, kann in einem Verfahren in Kindschaftssachen vor dem
Familiengericht im Streitfall über den Erlass einer Verbleibensanordnung entschieden werden.
3.2.2. Das Verfahren
Das Verfahren in Kindschaftssachen, das im Rahmen der Neufassung des FamFG am
01.09.2009 in Kraft trat, wird im dritten Abschnitt des FamFG näher geregelt (§§ 151 - 168a
FamFG). 290 Ein Verfahren kann von Amts wegen, auf Anregung (§ 24 Abs. 1 FamFG) oder durch
einen Antrag (§ 23 FamFG) eingeleitet werden. Für Verfahren, die eine Kindeswohlgefährdung als
Gegenstand haben, gelten einige Besonderheiten. Verfahren über die Kindesherausgabe haben
Vorrang und für sie gilt ein Beschleunigungsgebot (§ 155 Abs. 1 FamFG). Spätestens einen Monat
nach Beginn des Verfahrens ist ein Termin zur Erörterung der Sache anzusetzen, bei dem eine
Sondierung und Sortierung nach Dringlichkeit erfolgt (§ 155 Abs. 2 S. 1, 2 FamFG). Grundsätzlich
soll auf eine einvernehmliche Lösung hingewirkt werden (§ 156 FamFG). Bei Verfahren des §
1632 Abs. 4 ist ein Verfahrensbeistand zwingend notwendig (§ 158 FamFG), um die Interessenwahrnehmung des Kindes festzustellen und zu gewährleisten. Das Kind ist auch anzuhören bzw.
zu beteiligen und über Inhalt, Ablauf und Beschluss des Verfahrens kindgerecht zu informieren,
um seine Partizipation und seinen Willen zu berücksichtigen (§§ 159, 164 FamFG). Weiter sind
285 Vgl. Huber
MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 49 - 53. Sowie Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 14. Sowie Hoffmann
Friktionen 2011, S. 581.
286 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 59. Sowie Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 15.
287 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 58. Sowie Palandt / Diederichsen § 1632 Rn. 16.
288 Vgl. Küfner 2008, S.26.
289 Vgl. Huber MüKo-BGB 2008, § 1632 Rn. 55.
290 Weiterführend hierzu: Meysen, Thomas / Balloff, Rainer: Das Familienverfahrensrecht – FamFG. Köln, 2009. sowie
Meysen, Thomas: Präsentation zum Fachtag LWL - Landesjugendamt Westfalen. Münster 2009. Online abrufbar unter:
http://www.lwl.org/lja-download/datei-download2/LJA/erzhilf/Rechtsfragen/1229607727/1232106107_1/FachtagFam
FG_30_06_09.pdf, 31.03.2012.
58
die Eltern (§ 160 FamFG), die Pflegepersonen (§ 161 FamFG) und das Jugendamt (§ 162
FamFG) im Verfahren zu beteiligen. Ein psychologischer Sachverständiger ist im Verfahren um die
Herausgabe eines Kindes hinzuziehen (§ 163 FamFG). Auch er soll auf Einvernehmen hinwirken
und muss bei der Begutachtung eine vom Gericht gesetzte Frist einhalten. Das Rechtsmittel der
Beschwerde steht nach § 59 Abs. 1 FamFG jedem zu, der durch den ergangenen Beschluss in
seinen Rechten beeinträchtigt ist. Im Verfahren um eine Verbleibensanordnung steht dieses Recht
folglich auch den Pflegeeltern zu.291 Die Beschwerdefrist währt einen Monat, bei einer einstweiligen Anordnung (§ 49 FamFG) beträgt sie zwei Wochen und beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses (§ 63 FamFG).
Die Neuregelungen zeigen den Bedeutungszuwachs der Partizipation des Kindes. Auch die
Pflegeeltern und die Anhörung eines Sachverständigen ist verpflichtend. Weiter fällt auf, dass
durch die Reformen die Dringlichkeit von kindesrechtlichen Verfahren gewürdigt werden soll. In
Anbetracht der beschriebenen frühkindlichen Entwicklung spielen diese, gerade bei Pflegekindern, eine wichtige, wenn nicht gar entscheidende Rolle. Ob die Praxis ihr mit diesen Änderungen tatsächlich gerecht werden kann, wird versucht in den nächsten Kapiteln zu beantworten.
3.2.3. Die Gefahr der Praejudizierung
Stefan Heilmann hat sich in seiner Dissertation intensiv damit beschäftigt, ob bei der Durchführung kindschaftsrechtlicher Verfahren den Besonderheiten des kindlichen Zeitempfindens genügend Bedeutung beigemessen wird.292 Er hat hierzu Verfahren im Hinblick auf die Berücksichtigung des kindlichen Zeitempfindens untersucht mit einigen bemerkenswerten Ergebnissen. Er
warnt insbesondere vor einer „faktischen Praejudizierung“, „die Gefahr, daß die Problematik des
gerichtlichen Verfahrens nicht erst mit der am Ende des Verfahrens stehenden richterlichen Entscheidung der einen oder anderen Lösung zugeführt wird, sondern die Entscheidung in die eine
oder andere Richtung schon durch bloßen Zeitablauf fällt und zwar lange bevor diese durch das
Gericht getroffen und den Beteiligten bekanntgemacht wird.“ 293 Seine Arbeit wird in der Fachliteratur breit rezipiert. Bei der Recherche zu dieser Arbeit fiel auf, dass es kaum Arbeiten gibt, die
sich nach ihm in ähnlich vertiefender Form mit diesem Thema auseinander gesetzt haben. Es
stellt sich die Frage, ob die Beschäftigung mit diesem Thema für die Praxis wenig Relevanz besitzt oder ob dieses Thema von der Wissenschaft nicht genug Beachtung findet.
291 Vgl.Finke, Fritz
§ 59 Rn. 10. In: Meysen, Thomas / Balloff, Rainer: Das Familienverfahrensrecht – FamFG. Köln, 2009.
1998, S. 5.
293 Heilmann 1998, S. 24.
59
292 Vgl. Heilmann
Durch die Reform des FamFG im Jahr 2009, haben sich die Beschwerde- und Anhörungsfristen verkürzt, und die Perspektive des Kindes hat eine Aufwertung im gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und politischen Diskurs erfahren. Daher stellt sich die Frage, ob nach über zwei Jahren dieser und weiterer Reformen heute das kindliche Zeitempfinden bei der Entscheidung über Rückkehr oder Verbleib von Pflegekindern, speziell in den entwicklungspsychologisch sensiblen ersten drei Jahren, vielleicht sogar als selbstverständlich, in der Dauer der kindschaftsrechtlichen Verfahren berücksichtigt wird. Um so überraschender ist, dass hier eine Lücke in der weiterführenden Beschäftigung in Anknüpfung an Heilmann zu verzeichnen ist, da die aktuelle Beschäftigung und Überprüfung im Hinblick auf die Veränderungen und ihre Wirksamkeit besonders interessant erscheint. So wurde das von Heilmann kritisierte Verfahren teilweise durch die
Reformen revidiert.294 Analog hat sich - wie oben gezeigt - die Forschung bei Kindern unter drei
Jahren weiterentwickelt, woraus sich weitere Anforderungen an das kindschaftsrechtliche Verfahren neu ergeben.
3.2.4. Untersuchung zur Rechtsprechung
Lakies und Münder haben sich mit dem Schutz des Pflegekindes beschäftigt, indem sie die
Rechtsprechung vom 1980 bis 1990 untersucht, die ersten zehn Jahre des § 1632 Abs. 4 BGB
mitverfolgt haben. Salgo untersuchte in den ersten sieben Jahren parallel dazu.295 Heilmann
nahm die von Lakies und Münder recherchierten Fälle der veröffentlichten Rechtsprechung zum
§ 1632 Abs. 4 BGB und analysierte eine Auswahl im Hinblick auf die Verfahrensdauer und eine
mögliche faktische Praejudizierung.296 Den nachfolgenden Entwicklungen der Rechtsprechung zu
Herausgabekonflikten bei Pflegekindern widmete sich Marion Küfner in einer vom DJI veröffentlichten Studie.297 Diese erfasst Fälle, die nach 1990 bis 2007 veröffentlicht wurden, und knüpft so
an die Untersuchung von Lakies und Münder an.298 In Anlehnung an die genannten Untersuchungen sollen im Folgenden Fälle, die seit September 2009 veröffentlicht wurden, dargestellt, in
die Ergebnisse der Studien eingeordnet und hinsichtlich der Verfahrensdauer untersucht werden.
Die Häufigkeit dieser Verfahren wäre für eine Einordnung in den Gesamtkontext aufschlussreich,
kann jedoch trotz Recherchen nicht erfolgen, da diese allem Anschein nach nicht erfasst wird.299
Sie scheinen jedoch bundesweit nur selten vorzukommen.300 Die hier verwendeten Fälle wur294 Vertiefend
dazu vgl. Heilmann, 1998, S. 79ff.
295 Vgl. Küfner2008, S. 6.
296 Vgl. Heilmann
1998, S. 187ff.
2008.
298 Vgl. ebd., S. 37ff.
299 Auf eine Anfrage beim Statistischen Bundesamt wurde darauf hingewiesen, dass diese aus der Zählkarte zur
Familiengerichtsstatisik nicht hervorgehen und ihnen keine anderen Quellen hierzu bekannt seien.
300 Vgl. Küfner 2008, S. 9.
297 Vgl. Küfner
60
den über Juris recherchiert. Es ergaben sich hieraus 20 Fälle für den Zeitraum vom 1. September 2009 bis 1. April 2012, die weiter sondiert wurden.301 Die Ausgangslage gestaltete sich recht
heterogen und wurde von den Gerichten rechtlich auf verschiedene Weisen beantwortet.302 In
acht von zehn ausgewählten Fällen verblieb das Kind in der Pflegefamilie,303 wobei drei von diesen Besonderheiten aufweisen. In Fall 3 wurde der Verbleib im Einvernehmen abgesichert und
daher keine Verbleibensanordnung erlassen. In Fall 4 wurde eine Verbleibensanordnung erlassen
und zeitlich befristet. In Fall 9 waren die Vorraussetzungen dafür nicht erfüllt, denn die Eltern verlangten ihr Kind nicht unmittelbar aus der Pflegefamilie zurück, sondern stellten einen Antrag auf
eine einjährige Weiterführung des Pflegeverhältnisses mit der Perspektive, das Kind später wieder bei sich aufzunehmen. In nur einem von zehn Fällen (Fall 2) wurde eine Rückführung angeordnet. Aus Fall 1 ergibt sich, dass ein Kind in eine andere Pflegestelle überführt wurde. Sieben
Fälle lassen Aufschlüsse über die Zeiträume und das Alter der Kinder zu und werden nun tabellarisch dargestellt.
Fall
Alter des Kin- Alter des Kindes
des bei Inpfle- bei der gerichtligegabe
chen Entscheidung
Dauer der
Vollzeitpflege
Verfahrensdauer Verfahrensdaugesamt
er der Verbleibensanordnung
Rückkehr oder
Verbleib
2
4 Jahre
7 Jahre
3 Jahre
28 Monate
5 Monate
Rückkehr
3
-
-
2 Jahre
12 Monate
12 Monate
Verbleib im Einvernehmen gesichert
4
15 Monate
4 Jahre
3 Jahre
20 Monate
6 Monate
Verbleib befristet
5
3,5 Jahre
4 Jahre
15 Monate
ca. 6 Monate
6 Monate
Verbleib
7
ca. 2 Jahre
5 Jahre
3 Jahre
43 Monate
4 Monate
Verbleib
8
unter 2 Jahre
4 Jahre
ca. 2 Jahre
15 Monate
7 Monate
Verbleib
9
ca. 0,5 -1 Jahr
4 Jahre
3,5 Jahre
-
-
Verbleib vorübergehend, keine Verbleibensanordnung
10
7 Monate
3,5 Jahre
3 Jahre
26 Monate
26 Monate
Verbleib
∅
1,94 Jahre
4,5 Jahre
2,47 Jahre
21,43 Monate
9,43 Monate
Tabelle 1. Ergebnisse der Untersuchung der Rechtsprechung
Die hier generierten Daten wiesen Lücken auf, die konstruiert oder geschätzt werden
mussten. 304 Dies setzt der Interpretation und Aussagekraft Grenzen.305 Weiter fällt auf, dass der
Zur besseren Lesbarkeit wurden die Fälle nummeriert und eine Aufschlüsselung und kurze Darstellung dem
Anhang II -IV hinzugefügt. Manche der dieser Beschlüsse hatten andere Verfahrensinhalte wie z.B. Kostenübernahme,
ließen aber Rückschlüsse auf den Ausgang von Verfahren über eine Verbleibensanordnung zu (Fälle 1, 3, 6).
302 Dies deckt sich mit Küfners breiter angelegten Recherchen. Vgl. Küfner 2008, S. 7f.
303 Fälle: 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10. Auch bei Küfner in 37 von 48 Entscheidungen wurde ein zumindestend vorübergehender Verbleib sichergestellt. Vgl. Küfner 2008, S. 11.
304 Für die Betrachtung der Zeiträume im einzelnen siehe Kurzdarstellung der Fälle im Anhang II - IV.
305 Gleiche Feststellung bei Küfner 2008, S. 10. Auch Heilmann hat diese in seiner Aufstellung Daten schätzen oder
konstruieren müssen. Vgl. Heilmann1998, S. 188ff.
61
301
Umfang und die Tiefe der Darstellung recht unterschiedlich ausfallen (vgl. z.B. Fall 2 mit Fall 8).
Die hier ermittelten Zeiten lassen daher nur bedingt Aussagen zu, deren Repräsentativität aufgrund der Auswahl jedoch eingeschränkt ist und deren Individualität und Komplexität nicht wiederspiegeln können. Beispielsweise gingen vielen Fällen (2, 4, 5, 7, 9, 10) der aktuellen Unterbringung meist eine oder mehrere Hilfen oder Gefährdung(en) voraus, die im Prozess der Hilfeplanung für die Perspektive eines Verbleibs oder einer Rückführung mit zu berücksichtigen sind.
In allen untersuchten Fällen liegt bis zur Verkündigung des Beschlusses eine Pflegedauer von
über einem Jahr vor. Der Durchschnittswert liegt dabei noch weit darüber bei ca. 2,5 Jahren.
Dieser Wert entspricht überwiegend auch der tatsächlichen Trennungszeit des Kindes von den
Eltern.306 Lakies und Münder stellen in ihrer Untersuchung eine erkennbaren Tendenz heraus,
„daß bei Pflegeverhältnissen, die zwei Jahre oder länger andauern, die Herausnahme des Kindes
aus der Pflegefamilie meist abgegelehnt wird – und zwar relativ unabhängig vom Alter des
Kindes“.307 Auch in den hier vorliegenden Fällen wird überwiegend bei einer mehr als zweijährigen Vollzeitpflege auf Verbleib entschieden (3, 4, 7, 8, 9, 10). Wenn auch nicht immer unbefristet.
Küfner weist darauf hin, dass dem Befund von Lakies und Münder so nicht gefolgt werden kann.
Vielmehr zeigt sie auf, dass die Dauer der Pflegeverhältnisse kaum Schlüsse auf Tendenzen bei
der Entscheidung zulassen.308 Für diese Position könnte in den vorliegenden Fällen sprechen,
dass auch in Fall 5 bei einer Dauer der Vollzeitpflege von nur 15 Monaten auf Verbleib, und in
Fall 2 trotz einer Dauer der Vollzeitpflege von drei Jahren auf Rückführung entschieden wurde.
Das Tatbestandsmerkmal der Vorraussetzung der „längeren Zeit“ scheint in allen Fällen erfüllt
zu sein, auch wenn in den Beschlüssen hierauf meistens nicht explizit eingegangen wird.309 Dies
deckt sich mit den Ergebnissen von Küfner.310 Setzt man die Zeiten in der Pflegefamilie ins Verhältnis zum Alter des Kindes zur Zeit der Inpflegegabe, so zeigt sich, dass in allen Fällen, bei denen ein Verbleib, bzw. vorübergehender Verbleib angeordnet wurde311, die Kinder noch sehr
klein waren. Das jüngste war bei der Vermittlung in Dauerpflege etwa sieben Monate und das
älteste 3,5 Jahre alt, im Durchschnitt 22 Monate. Interessant ist Fall 2, bei dem das Kind zum
Zeitpunkt der Inpflegegabe bereits vier Jahre alt war. Das Gericht entschied sich auch nach drei
Jahren Vollzeitpflege klar für eine Rückführung. Das junge Alter der Kinder bei der Vermittlung in
So auch bei Küfner 2008, S. 11.
Lakies, Thomas / Münder, Johannes: Der Schutz des Pflegekindes. In: RdJB 1991, S. 428 - 443, hier: S. 431. (Im Folgenden zitiert als Lakies / Münder 1991.)
308 Vgl. Küfner 2008, S. 12.
309 Eingegangen wird explizit auf die „längere Zeit“ in Fall 2 Rn. 32.
310 Vgl. Küfner 2008, S. 20.
311 Fälle 4, 5, 7, 8, 10.
62
306
307
Pflegefamilien scheint eine große Rolle zu spielen. In Küfners Untersuchung waren die Kinder in
33 von 45 Entscheidungen bei der Unterbringung unter drei Jahre alt, 21 der 33 wurden dabei
sogar innerhalb der ersten sechs Monate aus ihren Familien genommen. Gerichtliche Verfahren
wurden überwiegend in den ersten Jahren der Kinder ausgetragen.312 Bei Küfner in 37 von 46
Entscheidungen und hier, in mind. fünf von sieben Fällen313 waren die Kinder in einem Alter unter fünf Jahren. Die Verfahrensdauer ist daher mit Blick auf den Bindungsaufbau sowie das kindliche Zeitempfinden von besonderer Bedeutung. So besteht die Gefahr einer „faktischen Praejudizierung“. Die Dauer der Verfahren ist jedoch nicht einfach und objektiv zu ermitteln und ihre
isolierte Betrachtung wird dem biographischen Verlauf nicht gerecht. Das Verfahren der Verbleibensanordnung ist dabei oftmals abhängig von der Dauer anderer Verfahren wie z.B. Fall 10 sehr
deutlich aufzeigt. Dort wurde ein Ermittlungsverfahren gegen die leiblichen Eltern und Großeltern wegen Misshandlungsvorwürfen aus Mangel an Beweisen eingestellt. Damit fielen die juristischen Vorraussetzungen zum Erlass des Verbleibes des Kindes in der Pflegefamilie weg. Nach
Beschwerde und einer einstweiligen Anordnung des BVerfG erging schließlich nach ca. 2,5 Jahren
dennoch der Beschluss, dass das Kind bei der Pflegefamilie verbleiben soll. In Fall 7 dauerte das
Verfahren der Verbleibensanordnung dagegen nur vier Monate. Durchschnittlich ergibt sich aus
den Fällen 2,3,4,5,7,8 und 10 eine Dauer von 9,4 Monaten. Zieht man dabei die Extremwerte
ab, so ergibt sich ein Durchschnitswert von 7,2 Monaten. Dieses Ergebnis scheint beim Abgleich
mit dem Qualitätsbericht der Familiengerichte des statistischen Bundesamtes für das Jahr 2010
realistischer. Dem Bericht nach dauert ein Verfahren in Familiensachen, in der ersten Instanz, vor
dem Amtsgericht bezogen auf alle Verfahren in Deutschland durchschnittlich 6,9 Monate.314 Eventuell im Anschluss erledigte Beschwerden gegen Endentscheidungen in Familiensachen der
nächsthöheren Instanz der Oberlandesgerichte dauerten im Durchschnitt 4,7 Monate.315 Zusammen ergibt sich ein Wert von 11,6 Monaten. Es kann davon ausgegangen werden, dass die
hier behandelten Fälle im beschleunigten Verfahren bevorzugt entschieden wurden. Weiter waren dabei fast immer zwei Instanzen involviert, sodass sich die Zeiten addierten. Der hier ermittelten Länge von ca. 9,4 bis 7,2 Monaten steht folglich ein Wert von 11,6 Monaten gegenüber.
Die Verfahren sind dabei nicht selten von dem Ausgang anderer, wie Strafverfahren oder sorgerechtlicher Klärung, abhängig.
312 Vgl. Küfner
2008, S. 10.
Fälle sicher 4, 5, 8, 9,10 unsicher in 7.
314 Vgl. Statistisches Bundesamt: Fachserie 10 Reihe 2.2. Rechtspflege Familiengerichte. Wiesbaden, 2011, S. 34.
315 Vgl. ebd., S. 64.
313
63
Für die Dauer der gesamten gerichtlichen Verfahren bis zur familiengerichtlichen Entscheidung
über Rückkehr oder Verbleib ergibt sich aus den hier analysierten Fällen ein durchschnittlicher
Wert von ca. 21 Monaten. Diese Zahlen sind nicht besonders belastbar, da einige Zeiträume
und Abhängigkeiten im Einzelfall nicht detailliert genug ausgewiesen sind und die Stichprobe mit
sieben Fällen sehr klein ist. Als Indiz können sie jedoch gewertet werden, zumal sich in der gesichteten Literatur, außer bei Heilmann, keinerlei vergleichbare und vor allem aktuelle Daten finden. In Relation zu dem Alter der Kinder und den entwicklungspsychologischen Erkenntnissen ist
auch nach den Reformen vor einer „faktischen Praejudizierung“ zu warnen.
Zeitabläufe sind ambivalent zu bewerten. Sie bergen Chancen und Risiken zugleich. Gewisse
Längen sind auf der einen Seite systemimmanent und nötig, um fundierte Diagnosen zu erstellen und eine Perspektive zu entwickeln, auf der anderen Seite können sie jedoch auch erhebliche Auswirkungen auf die Biographie des Kindes haben.
Das Eruieren und die Analyse von Informationen benötigen gewisse Zeit. Positiv ist, dass mit
zunehmendem Alter sich die Reife des Kindes steigert und Chancen eröffnet, in einen Dialog
mit dem Kind zu treten, in dem seinen Bedürfnissen, seinem Willen und seinen Gefühlen Ausdruck verliehen werden kann. Mit den zunehmenden kognitiven Fähigkeiten können zumindest
kurze Trennungen besser verkraftet bzw. verarbeitet werden. Die Zeit bis zu einer gerichtlichen
Entscheidung ermöglicht zudem Änderungen in der Herkunftsfamilie und auf der Beziehungsebene durch eine konstruktive Gestaltung des Umgangs.
Die durch Gerichtsverfahren sich ergebenden Zeitabläufe können aber zugleich im Hinblick
auf das kindliche Zeitempfinden und den gerade in den ersten Jahren stattfindenden Bindungsaufbau Fakten schaffen, die irreversibel sind. Das Kind kann nicht „auf Eis gelegt“ werden, um auf
eine genaue Beurteilung der Situation, auf Erfolge von Therapien seiner leiblichen Eltern oder
einen Gerichtsbeschluss zu warten, sondern erkennt in dieser Zeit die Personen affektiv als faktische Eltern an, die sich ihm und seiner Bedürfnisse annehmen. Einmal entstandene Bindungen
eines Kindes sind nicht nur der primäre Schutzfaktor gegen Gefährdung des Kindeswohls, sondern können durch Trennung auch das Kindeswohl gefährden. Die Gestaltung bzw. Wiederherstellung von Bedingungen und Perspektiven, die dem Kindeswohl entsprechen, nachdem das
Kind z.B. in Obhut genommen (Fall 7) oder aufgrund von einer Überforderung der Eltern (z.B.
Fälle 4, 8) freiwillig abgegeben wurde, müssen reiflich überlegt werden. Wann eine Rückführung
und wann ein Verbleib im Sinne des Kindes ist, kann nicht eindeutig beantwortet werden. Die
Prognose auf eine Entwicklung ist ergebnisoffen, da zu viele Akteure und Variablen systemisch
ineinandergreifen und so nur mit Wahrscheinlichkeiten operiert werden kann. Es stellt sich hier64
bei die Frage, aus welcher Perspektive argumentiert und Chancen und Risiken bewertet werden. Grundlage für eine Entscheidung müssen die interdisziplinären Erkenntnisse sein, um nach
bestem Wissen, also auf Basis fachlich fundierten Aussagen, und Gewissen, also aus einer humanistischen und ethischen Sicht heraus, die am wenigsten schädliche Alternative zu suchen.
4 . „ D I E A M W E N I G S T E N S C H Ä D L I C H E A L T E R N AT I V E “
2.
3.
Lebensweg
1.
Abbildung 6. Die Akteure der Perspektivplanung
65
Das Schaubild soll die einzelnen Positionen der beteiligten Akteure zueinander veranschaulichen. Es ermöglicht die verschiedenen Perspektiven auf einer Ebene zu vereinen, die bei der Suche nach der „am wenigsten schädlichen Alternative“ eine Rolle spielen und soll bei der folgenden Betrachtung eine Orientierungshilfe sein.
Der Lebensweg des Kindes beginnt mit seiner Geburt bei seinen leiblichen Eltern. Nach einiger Zeit wird es z.B. wegen massiver Überforderung auf Antrag freiwillig oder im Rahmen einer
kinderschutzrechtlichen Maßnahme in eine Vollzeitpflege vermittelt. Im Prozess der Hilfeplanung
werden von mehreren Fachkräften, den leiblichen Eltern und Pflegeeltern Ziele und Perspektiven für das Kind geplant. Es wird an einer zeitlich befristeten oder auf Dauer angelegten Lebensperspektive für das Kind gearbeitet. Bereits bei der Inpflegegabe des Kindes bzw. kurz danach stellt sich die Frage nach Rückkehr oder Verbleib des Kindes. Es ist jederzeit möglich, dass
die Durchführung und Planung durch einen Akteur in Frage gestellt wird, wie bspw. durch ein
gerichtliches Verfahren durch den bekundeten Wegnahmewillen der Herkunftseltern.
Von dem Ausgangspunkt
sind mehrere Möglichkeiten für den (vorläufig) weiteren Le-
bensweg des Kindes möglich.
1. Das Kind wird im Rahmen der planmäßigen Beendigung der Hilfe oder bei Herausgabeverlangen der leiblichen Eltern in einem gerichtlichen Verfahren sofort in den Haushalt der Herkunftsfamilie zurückgeführt.
2. Das Kind wird im Rahmen der Ziele des Hilfeplans oder bei Herausgabeverlangen der leiblichen Eltern in einem gerichtlichen Verfahren allmählich in den Haushalt der Herkunftsfamilie
zurückgeführt. Dies kann bspw. durch eine Erweiterung des Umgangs vorbereitet werden.
3. Das Kind wird im Rahmen des Hilfeplans auf Dauer bei der Pflegefamilie untergebracht oderim gerichtlichen Verfahren wird eine Verbleibensanordnung erlassen. Weiter ist die Möglichkeit einer Adoption gegeben bzw. im weiteren Verlauf der Vollzeitpflege zu prüfen.
4.1. Die Maxime nach Goldstein, Freud und Solnit
Das bereits im Titel dieser Arbeit angedeutete und gesteckte Ziel ist es, Pflegekinder unter
drei Jahren, an diesem Punkt, bei der Auswahl der „am wenigsten schädliche Alternative“ hinsichtlich möglicher Lebenswege zu unterstützen. Die Erfüllung des Gestaltungsraumes vollzieht
sich in einem rechtlichen Rahmen, der nicht immer spannungsfrei gegenüber aktuellen pädagogischen Sichtweisen ist. Über „die am wenigsten schädliche Alternative“ äußerte sich das in dieser
Arbeit häufig zitierte Autorenteam Freud, Solnit und Goldstein folgendermaßen:
66
„Bei der Unterbringung sollte von den vorhandenen Möglichkeiten diejenige gewählt
werden, die Wachstum und Entwicklung des Kindes am wenigsten beeinträchtigt. Als allgemeine Richtlinie für die Kindesunterbringung schlagen wir vor, statt vom »Wohle des Kindes« von der »am wenigsten schädlichen Alternative zum Schutz von Wachstum und Entwicklungen des Kindes« zu sprechen. Dieser neue Maßstab umfasst inhaltlich [...] drei Richtlinien [...]. Die am wenigsten schädliche Alternative ist danach die Unterbringung und die
Verfahrensweise, die – unter Berücksichtigung des kindlichen Zeitgefühls und auf der eingeschränkten Grundlage kurzfristiger Prognosen – die Chance des Kindes erhöhen, erwünscht
zu sein, und die es ermöglichen, daß das Kind eine dauerhafte Beziehung mit wenigstens
einem Erwachsenen eingeht, der seine psychologische Elternperson ist oder werden wird.
Obwohl wir den vorgeblichen Zweck der »Zum Wohle des Kindes« -Formel zustimmen,
sprechen mehrere Gründe für die Einführung eines neuen Maßstabs. Erstens, im Gegensatz
zu dem Ausdruck »am wenigsten schädliche Alternative« weist die herkömmliche Formel
nicht darauf hin, daß das betreffende Kind bereits ein Opfer seiner sozialen Umweltbedingungen geworden ist, daß es in hohem Maße gefährdet ist, und daß schnelles Handeln geboten erscheint, damit weiterer Schaden von der gesunden psychischen Entwicklung des Kindes abgewendet werden kann. Zweitens, die alte Richtlinie beinhaltet infolge ihrer Anwendung und Auslegung durch Fürsorgebehörden, Gerichte und Gesetzgeber mittlerweile weniger, als was tatsächlich dem Wohle des Kindes dient. Die Interessen des Kindes werden oft
genug mit den Interessen und Rechten Erwachsener abgewogen und letzteren meistens
untergeordnet. Darüber hinaus werden viele Entscheidungen »einzig und allein« zum Wohle
des unterzubringenden Kindes getroffen. Aber diese Entscheidungen sind in erster Linie darauf zugeschnitten, den Wünschen und Bedürfnissen erwachsener Antragsteller, die miteinander im Rechtsstreit liegen, zu entsprechen oder die allgemeine Politik eines Jugend- oder
Sozialamts abzusichern. Aber selbst wenn die Rechte des Kindes tatsächlich ausschlaggebend wären und eindeutig über den Interessen Erwachsener ständen, so würde die alte
Richtlinie inadäquat bleiben.“316
Diese Maxime zur Realisierung des Kindeswohls wurde im Jahre 1973 veröffentlicht und bedarf einer Revision, da diese sonst dem enormen Bedeutungszuwachs des Kindeswohls und Kinderschutzes in Gesellschaft, Forschung, Recht und Pädagogik nicht gerecht wird. Denn im Gegenteil zu ihrer dritten Richtlinie, ist der Begriff des Kindeswohls und Kinderschutzes heute gewichtiger denn je. Es gilt der Leitsatz „Kindeswohl vor Elternrecht“317, obgleich weiterhin Beschlüsse und Urteile ergehen, die aus pädagogischer Sicht zweifelhaft erscheinen. Dies birgt aber
auch die Chance, das bestehende System fortlaufend zu entwickeln. Die zweite Richtlinie ist in
ihrer Forderung demnach ebenfalls zu relativieren. Die erste Richtlinie und der allgemeine
Grundsatz der Maxime scheint auch nach 40 Jahren weiterhin aktuell.
Es darf nur nicht verkannt werden, dass es dabei zu differenzieren gilt, durch welche Situation
oder Kumulation von Umständen ein Kind zu einem Pflegekind werden kann, und inwieweit den
leiblichen Eltern unterstellt werden darf, dass ihr Kind bei ihnen nicht „erwünscht“ ist. Auch eine
Vollzeitpflege ist immer mit Restrisiken verbunden. Wenn bspw. Pflegeeltern ein Pflegeverhältnis
wider Erwarten kündigen, sich das Kind bereits an die Pflegefamilie gebunden hat und ein Um-
316
317
Goldstein / Freud / Solnit Jenseits 1991, S. 49f.
Kindeswohlprinzip siehe § 1697a BGB sowie Kapitel 2.1.2.
67
gang zu den leiblichen Eltern minimiert oder eingestellt wurde, so wird das Kind in einen solchen Fall zum Sozialwaisen.
4.2. Perspektivplanung
Das SGB VIII ist eine Grundlage für die Suche nach der am wenigsten schädlichen Alternative
einer Unterbringung und Perspektivplanung. Die darin enthaltenen Richtlinien entsprechen den
Entwicklungsbefunden von Kindern unter drei Jahren. Durch die Verwendung vieler unbestimmter Rechtsbegriffe wird die Auslegung für den Einzelfall ermöglicht, die den sozialpädagogischen
Anforderungen entsprechen. Diese offene Konzeption erlaubt ein breites Spektrum an Entscheidungen und ermöglicht, aktuelle Forschungsergebnisse zu berücksichtigen. Die Schwierigkeit
bzw. Gefahr eines offenen Charakters besteht darin, die Fachlichkeit bei der Interpretation und
Anwendung in der Praxis nicht genügend zu berücksichtigen. So erscheint die Formulierung des
§ 37 SGB VIII im Bezug auf die Perspektivplanung, auch im Hinblick auf die Berücksichtigung des
aktuellen Wissens über Bindungen und das kindliche Zeitempfinden, zunächst eindeutig, und
wird auch dem kindlichen Bedürfnis nach Kontinuität und Verlässlichkeit gerecht.
4.2.1. Orientierungshilfe
„Durch Beratung und Unterstützung sollen die Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums so weit verbessert werden, dass sie das Kind oder den Jugendlichen wieder
selbst erziehen kann. Während dieser Zeit soll durch begleitende Beratung und Unterstützung der Familien darauf hingewirkt werden, dass die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen
zur Herkunftsfamilie gefördert wird. Ist eine nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie innerhalb dieses Zeitraums nicht erreichbar, so soll mit den
beteiligten Personen eine andere, dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen förderliche
und auf Dauer angelegte Lebensperspektive erarbeitet werden.“318
Damit scheinen günstige Rahmenbedingungen für die Auslegung in der Praxis gefunden und
festgelegt zu sein. Die beschriebene Schwierigkeit der fachlichen Auslegung dieser Gestaltungsaufgabe kann jedoch in manchen Fällen zu einem Dilemma werden. Doch auch in diesen Fällen
kann und muss durch eine fachliche und ethische Positionierung ein Weg gefunden werden. Es
wird daher versucht, im Hilfeplanprozess für den konkreten Einzelfall mit den Beteiligten als Koproduzenten eine Lösung zu erarbeiten. Risiken, dass die eingeschlagene Alternative sich im weiteren Verlauf als problematisch oder gar fälschlich erweist, bleiben immer bestehen und können
nur durch Auswertung der vorliegenden Informationen in kurzzeitigen Prognosen und Momentaufnahmen minimiert werden. Hierfür sind in Deutschland derzeit keine strukturierten und evaluierten Verfahren bekannt, die entwickelt wurden, um Fachkräfte der Pflegekinderhilfe bei Ent318
§ 37 Abs. 1 S. 2f. SGB VIII.
68
scheidungen über Rückführungen zu unterstützen. Aus ersten internationalen Forschungen sind
jedoch bereits einige Anhaltspunkte für die Prüfung einer Rückführung gegeben (s.o.). Diese
wurden allerdings in anderen rechtlichen Systemen erforscht, für eine erste systematische Orientierung und die Entwicklung von Standards können sie jedoch durchaus Anhaltspunkte für
eine Orientierung geben. Aus dem deutschen System scheint wie eben gezeigt, eine sozialpädagogische Grundlage dafür der § 37 Abs. 1 SGB VIII für die Suche der am wenigsten schädlichen
Alternative geeignet. Hieraus lassen sich Kategorien bilden (kursiv kenntlich gemacht s.o.), denen
sich diese ersten teilweise empirisch gesicherten Vorhersageindikatoren bzw. Barrieren zuordnen
lassen. Weiter lassen sie sich über die in dieser Arbeit dargestellten Erkenntnissen wie den pädagogischen Grundlagen im Bezug auf unter Dreijährige weitere Prüfungsmerkmale zuordnen.
Diese bedürfen einer weiteren Prüfung und sind als erste Ableitungen aus den bestehenden
Theorien und wissenschaftlichen Erkenntnissen zu verstehen. Im Folgenden wird der Vorschlag
eines systematischen Schemas zur Perspektivklärung im Einzelfall anhand der sich aus den gesetzlichen Vorgaben generierten Kategorien vorgestellt. Damit soll zum Abschluss der Arbeit der
Versuch unternommen werden, eine Orientierungshilfe hinsichtlich der Ausgangsfragestellung
unter welchen Bedingungen und auf Basis welcher Entscheidungskriterien sinnvoll über Rückkehr
oder Verbleib von Pflegekindern unter drei Jahren entschieden werden kann, gegeben werden.
4.2.1.1.Vertretbarer Zeitraum
... eines im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes oder Jugendlichen vertretbaren Zeitraums ...
Ausgangspunkt bei der Begutachtung ist hier ein im Hinblick auf die Entwicklung des Kindes
vertretbarer Zeitraum. Hieraus ergibt sich ein Zeitfenster das für die Suche und die Entscheidung einer für das Kind am wenigsten schädlichen Alternative bzw. im Sinne des Wohle des Kindes und seiner Entwicklung genutzt werden kann. Ein für das unter dreijährige Kind vertretbarer
Zeitraum ist seinem Entwicklungsstand und Alter anzupassen. Dieser Zeitraum ist, gerade im
Hinblick auf den Bindungsaufbau des Kindes, aus erwachsener Sicht, als sehr kurz zu erachten.
Den Erkenntnissen der Bindungstheorie ergeben sich hierbei kritische Zeiträume. Folglich müssen die folgenden Bindungsphasen beachtet werden:
- 0 - 3 Monate eher unproblematisch, da keine personenbezogene Bedürfnisbefriedigung
- 3 - 6 Monate eher kritisch, das Kind identifiziert und favorisiert seine Hauptbezugsperson
- 6 Monate - 3 Jahre höchst kritisch, Bindungsphase beginnt, Verlustängste bei Trennung
- 3 - 6 Jahre eher kritisch, mögliche Trennung für längere Zeit
69
Hierbei ist zu beachten, dass die Plastizität des Bindungsaufbaus zu einer Bezugsperson nach
Stovall-McClough und Dozier (s.o.) in den ersten Lebensmonaten höher ist als nach der Vollendung des ersten Lebensjahres.
Weiter muss die Spezifität des kindlichen Zeitempfindens berücksichtig werden. Das Kind im
Alter unter drei ist in der „Phase des naiven Zeiterlebens“ und primär auf die Versorgung seiner
Bedürfnisse ausgerichtet. Das bedeutet z.B., dass die Trennungszeiten von Bezugspersonen von
dem Kind schneller als endgültiger, schmerzhafter Verlust erlebt werden -ein Aspekt, der besonders bei der Gestaltung von Umgang bedeutsam ist.
Zu überprüfen wären zudem mögliche familiengerichtliche Verfahren, die in direktem oder
indirektem Zusammenhang mit der Inpflegegabe stehen und so die Dauer eines Pflegeverhältnisses in die Länge zu ziehen drohen. Aus den durchschnittlichen Werten der Dauer eines Verfahrens lassen sich eventuell Schlüsse ziehen, die ein schnelleres Handeln erfordern. Ein realistisches Wissen über systemimmanente Zeiträume in solchen Verfahren muss bei der Entscheidung berücksichtigt werden.
Eine professionelle Hilfeplanung muss diese Zeiten und Phasen gerade bei Säuglingen und
Kleinkindern berücksichtigen. Sie müssen als Leitlinie erachtet werden, nachdem sich die Hilfen
für das Kind ausrichten. Ein kurz nach der Geburt in eine Pflegefamilie überführtes Kind, kann bis
zu einem Alter von circa 3 Monaten von Pflegepersonen versorgt werden, wenn anschließend
eine möglichst behutsame Rückführung erfolgt bzw. erfolgen kann, ohne dass es durch diese
zeitweilige Trennung mit einer hohen Wahrscheinlichkeit erheblichen Schaden erleiden wird.
Folglich bliebe bis zu 3 Monaten Zeit um eine Verbesserung in der Herkunftsfamilie zu ermöglichen. Ein längerer Zeitraum wäre wiederum kritisch zu erachten und könnte im Einzelfall bei
einer möglichen steten Begleitung der leiblichen Eltern, wie täglichen Kontakten mit oder ohne
therapeutische Begleitung, zu prüfen sein. Eine Beobachtung im Umgang bietet hier eine Möglichkeit. Eine Trennung des Kindes im Alter von ca. 6 Monaten bis 3 Jahren wäre aus bindungstheoretischer Sicht als im höchsten Maße kritisch zu bewerten. In einem solchen Fall ist das sich
ergebende Zeitfenster für eine Perspektivklärung eigentlich nicht vorhanden. Da eine Perspektivklärung aber auch in diesen Fällen erfolgen muss, sollte sie so kurz wie möglich gehalten werden. Längere Schwebezustände des Kindes in dieser Phase sind grundsätzlich als prekär einzustufen und dementsprechend unbedingt zu vermeiden.
70
4.2.1.2.Verbesserung der Erziehungsbedingungen
... nachhaltige Verbesserung der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie ...
Die Perspektivplanung kann sich dabei an den im Weiteren beschriebenen Aussagen als Prüfungskriterien orientieren, deren Aufzählung nicht abschließend ist, sondern fortlaufend ausgebaut und evaluiert werden muss.
•Das „Ausmaß der vom Kind gestellten Erziehungs- und Fürsorgeanforderungen“
wurde - idealerweise ärztlich bzw. psychologisch evaluiert - und scheint von den Eltern bewältigbar.319
•Die Bedürfnisse des Kindes sind nachhaltig sichergestellt.
•„Das Ausmaß der Problembelastung der Eltern bzw. des Elternteils, bei dem das
Kind nach einer Rückführung leben soll“ muss systematisch erfasst werden. Dabei
gilt, dass der Versuch der Bearbeitung der Probleme von Seiten der Eltern, sowie
sich abzeichnender Therapieerfolge als prognostisch günstiger Faktoren angesehen
werden können, was im Hinblick auf Alkohol- und Drogenkonsum allerdings zu relativieren ist. Hier sehen Studien weitgehend eher geringe Erfolgsaussichten.320
• „Die Qualität des Fürsorge- und Erziehungsverhaltens der Eltern bzw. des Elternteils, bei dem das Kind nach einer Rückführung leben soll“. Hierzu stehen mittlerweile in der internationalen Literatur Konzepte und Instrumente bereit, die sich die soziale Arbeit zu nutze machen kann. Weiterhin erfordert dieser Punkt eine genaue
Beobachtung des elterlichen Verhaltens gegenüber dem Kind.321
• Die folgenden Ressourcen sind als adäquat einzuschätzen:322
• „die Arbeitssituation,
• die gesundheitliche Situation,
• die finanzielle Situation und
• die Wohnsituation“323
•Veränderungen scheinen im Hinblick auf das Zeitfenster in ihrer Umsetzung realistisch.
•„Die Familie ist auf Ängste und Konflikte vorbereitet, die durch die Rückführung
vermutlich ausgelöst werden.“324
•Eine nachhaltige Stabilität des Familiensystems ist sehr wahrscheinlich.
• „Die emotionale Stabilität der Betreuungspersonen [ist gewährleistet]
• die Partner- und sonstigen familialen Beziehungen“325 sind belastbar und stehen unterstützend zur Verfügung.
319 Vgl. Kindler
et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 633.
320 Vgl. ebd., S. 634f.
321 Vgl. ebd., S. 635f.
322 Vgl. ebd., S. 633.
Ebd. S. 642.
Ebd., S. 640f.
325 Ebd., S. 642.
323
324
71
4.2.1.3. Beratung und Unterstützung
... Beratung und Unterstützung ...
•Die Beratung und Unterstützungsangebote werden freiwillig und regelmäßig wahr-
genommen und zeigen nachhaltige Wirkung.
•Eine Eltern-Kind Therapie in Form von frühen Hilfen wird in Anspruch genommen.
•Eine freiwillige Zusammenarbeit wird auch nach der Rückführung gewährleistet.
•„Die Motivation für und Vorbereitung auf eine Rückführung“ scheint von Elternseite stabil und wird ernsthaft betrieben. Ist die Motivation zur einer Rückführung auch
auf Seiten des Kindes hoch, so steigert dies die Chancen einer gelingenden
Rückführung.326
•„Die soziale Arbeit hat den Fall bislang kompetent gehandhabt.“ Insofern, dass alle
Familienmitglieder sinnvoll in die Entscheidungs- und Maßnahmefindung einbezogen
werden können.327
•„Die Fachkräfte vertrauen der Familie genügend, um sich auf freiwillige Absprachen
zu verlassen“.328
•Das soziale Unterstützungssystem im Falle einer Rückführung verspricht Rückhalt
für die Betreuungspersonen und das Kind.329
4.2.1.4. Beziehungen zur Herkunftsfamilie
... die Beziehung des Kindes oder Jugendlichen zur Herkunftsfamilie ...
•„Die Beziehungen innerhalb der Familie sind ziemlich gut.“330 Wobei hier vor allem
der Wille des Kindes zur Reintegration in die Familie ausschlaggebend ist.
•Das Kind besitzt eine (schützenswerte) Bindung zu seinen Eltern.
•Die Eltern reagieren feinfühlig und angemessen auf das Kind.
•Der Umgang des Kindes mit seinen Eltern gestaltet sich als problemlos.
•Traumatische Erfahrungen stehen einem Beziehungsaufbau zu seiner Herkunftsfa-
milie nicht im Weg.
Diese Auflistung ist gestützt durch erste empirische Forschung. Es fällt jedoch auf, dass auch
hier wieder ein Spektrum an Interpretationsmöglichkeiten durch unscharf konturierte Begriffe
gegeben ist. Aufgabe der Forschung muss künftig sein, diese Konturen zu schärfen, indem auf Basis empirischer Befunde Indikatoren entwickelt werden, mit deren Hilfe die Einschätzung dessen,
was als adäquat einzuschätzen ist, gestützt werden kann. Darauf, dass es für den englischsprachigen Raum bereits erste Versuche in diese Richtung gibt, ist verwiesen worden. Es bleibt zu klären
inwiefern diese Modelle auch auf Deutschland übertragbar sind.331
326 Vgl. Kindler
et al. Rückführung und Verselbstständigung 2010, S. 636.
et al. Rückführung 2010, S. 641.
328 Ebd., S. 640f.
329 Vgl. ebd., S. 642.
330 Ebd. S. 640f.
331 Vgl. ebd., S. 641.
327 Vgl. Kindler
72
4.2.1.5. Förderliche Lebensperspektive
... förderliche und auf Dauer angelegte Lebensperspektive ...
Bei der Prüfung aller aufgezählten Kriterien muss die für den Einzelfall ermittelte Zeitstruktur
verbindlich eingehalten werden. Als Lebensperspektive muss folglich für das Kind die Lebensform gewählt werden, die nach Auswertung der genannten Prüfungskriterien die am wenigsten
schädliche Alternative darstellt. Eine auf Dauer angelegte Lebensperspektive ist die Planung und
Umsetzung einer kontinuitätssichernden Hilfe (permanency planning) für das Kind. Dies bedeutet:
•„Kontinuität an Beziehungen mit sorgenden (Zweit-)Eltern
•Aussicht auf lebenslange Beziehungen
•Schnelle Beendigung von temporärer Unterbringung
1.
Rückführung
2.
Adoption
3.
Vermittlung in eine andere (kontinuierliche, wertschätzende, sichere und stabile)
Unterbringung“332
Diese drei Möglichkeiten stehen gleichberechtigt nebeneinander und müssen dem Einzelfall
anhand der Analyse geprüft und entsprechend zugewiesen werden.
4.2.2. Umsetzungsschwierigkeiten
Hinsichtlich der Perspektivplanung beschreiben in einer Studie von Diouani-Streek, aus dem
Jahr 2011 über die Hälfte der befragten Fachkräfte (56%) Umsetzungsschwierigkeiten. Sie weisen dabei auf die Grenzen der Veränderbarkeit der Erziehungsbedingungen in der Herkunftsfamilie sowie auf fehlenden Mut und mangelnde Transparenz in Bezug auf eine Prognose hin. Die
häufigsten Gründe für die Umsetzungsdefizite wurden von den Fachkräften in fehlenden fachlichen Standards begründet, wobei diese klar erwünscht sind. Interessant ist, dass auch hier fachliche Defizite im Bezug auf kindliche Bindungsprozesse eingestanden werden und den kindlichen
Kontinuitätsbedürfnissen nicht genügend Bedeutung beigemessen wird.333
4.2.2.1. Fachliche Defizite
Das Problem der fachlichen Defizite birgt die Gefahr, dass das Kind unangemessenen Schwebezuständen ausgesetzt wird. Dies zeigt sich in der Praxis häufig darin, dass z.B. Bereitschaftspflegen in ihrer Dauer überreizt oder überzogen werden. Diese Verfahrensweise entspricht nicht
Kurek-Bender, Ines: „Permanency Planning“. In: PFAD (2010) Heft 2. S. 51.
von Pflegeverhältnissen (§§ 33, 37 SGB VIII): Onlinestudie in deutschen Jugendämtern. In: Zeitschrift für Sozialpädagogik (2011) Heft 2, S. 115 - 142, hier: S. 132f. (Im Folgenden zitiert als Diouiani-Streek 2011.)
73
332
333 Vgl. Diouani-Streek, Mériem: Perspektivplanung
dem kindlichen Zeitempfinden und dem Bindungsaufbau und droht, dazu zu führen, dass die
Alternativen bei den Perspektiven, gerade bei Kindern unter drei Jahren, sich allein durch zu lange Zeitabläufe erledigen könnten.334 Es gibt weiter Hinweise darauf, dass die Adoptionsoption
zur Kontinutätssicherung nur als seltenste Form gewählt wird.335 Es zeigt sich, dass es in der Praxis Komplikationen bei der Umsetzung der Vorgaben des SGB VIII gibt, was dazu führt, dass zu
selten eine förderliche und auf Dauer angelegt Lebensperspektive erarbeitet wird.
4.2.2.2. Rechtliche Friktionen
Ein Grund dafür könnte in den bestehenden Friktionen zwischen Familienrecht und Kinderund Jugendhilferecht liegen. Wie gezeigt, ermöglicht das SGB VIII eine kontinuitätssichernde Hilfeplanung. Sie kann jedoch nicht losgelöst von den Normen Bürgerlichen Rechts, insbesondere
den Regelungen der elterlichen Sorge, gesehen werden. So ist eine Perspektivklärung und -planung nur mit dem Einverständnis der Inhabern der elterlichen Sorge, also meistens den leiblichen Eltern, möglich.
„Ist eine Rückführung des Kindes in seine Herkunftsfamilie nach Ansicht der Fachkräfte
nicht (mehr) innerhalb eines vertretbaren Zeitraums realisierbar, haben die Fachkräfte den
Eltern diese Sachlage zu vermitteln und mit ihnen zu erörtern, dass Wahrnehmen von Elternverantwortung in bestimmten Konstellationen bedeuten kann, einem dauerhaften Verbleib des Kindes in einer Pflegefamilie oder seiner Adoption zustimmen. In dieser Situation,
aber ebenso zu jedem späteren Zeitpunkt im Leben des Kindes in seiner Pflegefamilie, stellt
sich die Frage, ob ein als dauerhaft geplanter Verbleib in der Pflegefamilie auch sichergestellt
werden kann, wenn Eltern ein zunächst erteiltes Einverständnis zurücknehmen bzw. wieder
zur Bestimmung des Aufenthalts befugt werden, § 1696 [Abs.] II BGB, und die Herausgabe
ihres Kindes fordern, § 1632 [Abs.] I BGB. [...] Nur die Einwilligung in eine Adoption ist unwiderruflich, § 1750 [Abs.] II BGB. Im Übrigen entscheidet sich de lege lata erst zu dem
Zeitpunkt, zu dem die Eltern ihren Herausgabeanspruch geltend machen, ob das Kind auf
Grund einer familiengerichtlichen Entscheidung, insbesondere einer Verbleibensanordnung,
gegen den Willen seiner Eltern in der Pflegefamilie verbleiben wird.“336
Wie gezeigt, kann also die gerichtliche Entscheidung ihrerseits zu einer Verlängerung des
Schwebezustandes des Pflegekindes führen. Und zwar auch in Fällen, in denen bereits eine am
wenigsten schädliche Alternative gefunden wurde. Die familienrechtlichen Regelungen der elterlichen Sorge erschweren die rechtliche Absicherung von Vollzeitpflegeverhältnissen, die auf Dauer angelegt werden, und damit auch die Kontinuitätssicherung. Dabei ließe sich kritisch Fragen,
ob in der Tatsache, dass die Definition von Familienbeziehungen aktuell als soziale Konstruktion
dem Trend der gesellschaftlichen Realität in gewisser Weise folgen, nicht auch eine Chance liegt,
der sich das Zivilrecht derzeit noch verschließt:
334 Vgl. Hoffmann, Birgit: Adoptionsoption
JAmt (2011) Heft 1, S. 10 - 16, hier: S. 15.
335 Vgl. Diouani-Streek 2011, S. 116f.
336 Hoffmann Friktionen 2011 S. 580.
in der Hilfeplanung - Perspektive der Fachkräfte in der Hilfeplanung. In:
74
„Der Aufwand, den der Gesetzgeber treibt, Abstammung mit dem Ziel zu regeln, biologische Abstammung rechtlich abzusichern, aber auch sozial-familiäre Beziehungen nicht unberücksichtigt zu lassen, zeigt zugleich die Schwierigkeit, unterschiedliche Abstammungs- bzw.
Zugehörigkeitsmodelle – biologische wie soziale – in einer Zeit zu harmonisieren, in der es
nicht mehr ein rechtlich vorgegebenes Lebensmodell gibt wie dasjenige, das dem BGB als
bürgerliches, patriarchales Familienmodell ursprünglich zugrunde gelegen hat.“337
Es hat den Anschein, als würden die aktuellen Regelungen das Bestreben nach kontinuierlichen Lebensperspektiven als Ziel für Pflegekinder teilweise untergraben und die Bedeutung einer faktischen Elternschaft gegenüber der biologischen / rechtlichen unterschätzt. Dies zeigt sich
auch in zwei Aussagen von Fachkräften auf die Frage, welche rechtliche Änderungen für ihre Arbeit hilfreich und wünschenswert wären:
Nr. 1:
„Einmal gibt es eine Diskrepanz zwischen der Rechtsprechung und der praktischen Umsetzung. Diese Diskrepanz besteht darin, dass im Gesetz steht, dass für ein Kind in einem für
das Kind angemessenem Zeitraum eine dauerhafte Perspektive entwickelt werden muss.
Das ist eine sehr unklare rechtliche Formulierung, weil zum einen nicht genau benannt wird,
was ein angemessener Zeitraum ist, und zum anderen wird das unterschiedlich ausgelegt.
Amtsgerichte entscheiden oft nicht entsprechend dieser rechtlichen Regelung. Also, es ist für
Amtsgerichte, es ist für viele Richter nicht klar, dass ein Kind in einer Pflegefamilie Bindungen
aufbaut, die wirklich schützenswert sind. Da würde ich mir mehr Rechtsklarheit wünschen.
Der andere Punkt ist, dass Kinder nicht verpflichtet werden dürfen, Besuchskontakte wahrzunehmen. Dass da [...] auch das Verhalten des Kindes da eine stärkere Rolle spielt. Also im
Moment ist das so, dass da die kindliche Reaktion und der kindliche Wunsch und Wille [...]
zu wenig berücksichtigt wird.“338
Nr. 2
„Ja, dass dieser § 37 KJHG, der also besagt, die Eltern sollen für eine befristete Zeit noch
einmal die Chance haben, dann ist aber auch Schluss mit Elternrechten. Und dann muss für
das Kind eine neue und endgültige Perspektive entwickelt werden, und dass das also noch
mehr Bedeutung bekommt. [...] Also noch gröber gefasst, dass Kindeswohl noch deutlicher,
noch klarer über Elternrechte stellen. Und zwar in dem Sinne, dass rechtzeitig für das neue
Leben wichtige Entscheidungen getroffen werden können, die dann auch verbindlich bleiben, unverrückbar bleiben. Also mit dem § 37 ist der Gesetzgeber schon auf einem Weg.
Aber mit dem 1666 und 1696 BGB wiederum ist da nach wie vor eine Bremse eingesetzt,
nicht nur eine Bremse, sondern eine Sabotagewerk eingesetzt. Die Dauerhaftigkeit, die
Langfristigkeit des Kindeswohles, des Kindesschutzes ist da wieder unterbrochen. Und da
knacken wir in den Jugendämtern also ziemlich häufig dran. Und Richterdenken, ist also ganz
stark ausgerichtet [...] nach 1696 BGB, und die nehmen hier unsere KJHG Bestimmungen
überhaupt nicht ernst und nicht für voll. Richter nicht und auch Anwälte nicht. Also da finde
ich, da ist noch viel zu tun oder da wäre ich froh, wenn es da noch klarere Aussagen gäbe in
der Gesetzgebung und dann auch die Rechtsprechung, dass die da mitziehen. Es können ja
schöne Gesetze gemacht werden, wenn die Richter sehr konservativ sind oder ein anderes
Weltbild haben, dann zieht die Rechtsprechung nicht so mit.“339
Schwarz, Barbara: Die Verteilung der elterlichen Sorge aus erziehungswissenschaftlicher und juristischer Sicht.
Wiesbaden 2011, S. 48.
338 Aussage Fachkraft 1. Aus: Experteninterview im Rahmen des Praxisforschungsberichtes.
339 Aussage Fachkraft 2. ebd.
337
75
4.2.3. Konsequenzen und Perspektiven
Die Frage ist allerdings, ob eine Änderung der Rechtsvorschriften der elterlichen Sorge notwendig ist, oder der bestehende rechtliche Rahmen für eine kontinuitätssichernde Hilfeplanung
anders genutzt werden kann. Die Tendenz der stärkeren Berücksichtigung der Kinder als Inhaber
des Grundrechtes ist im langzeitigen Verlauf erkennbar. Es gibt allerdings Umsetzungsschwierigkeiten bei der kontinuitätssichernden Hilfeplanung nach den gegebenen Vorgaben des SGB VIII.
Hier liegt möglicherweise ein Potential, das es zunächst zu nutzen gilt, bevor es rechtlicher Änderungen bedarf.
4.2.3.1. Für die Praxis
Das meiste Potential ist sicherlich in der Durchführung der Perspektivplanung auszuschöpfen.
Der Prozess der Hilfeplanung scheint in engem Zusammenhang mit dem Erfolg einer kontinuitätssichernden Pflege zu stehen. Gelingt der Vermittlungsprozess, so sinkt die Wahrscheinlichkeit,
dass es zu einem Rechtsstreit kommt. Dazu muss neben einer wertschätzenden, eindeutigen
Haltung der Fachkraft die Perspektivplanung für alle Beteiligten transparent kommuniziert und
im Hilfeplan verbindlich festgelegt werden. In diesem sollten weiter verbindliche Zeiten festgelegt und eingehalten werden. Scheidet z.B. nach einer gefestigten Pflegeeltern-Kind-Beziehung
eine Rückführung aus, so ist dies im Hilfeplan festzuhalten. Dies schafft eine präventive Grundlage für den Fall eines Rechtsstreites (Verbleibensanordnung) und kann ein Verfahren somit eventuell beschleunigen. Die Prüfung der Bindungsqualität zur Herkunftsfamilie und zu den Pflegeeltern sollte diagnostisch festgestellt werden, z.B. im Rahmen eines begleiteten Umgangs. Weiter
sollten von den Fachkräften Fortbildungen besucht werden, um mit Hilfe aktueller Forschungserkenntnisse das konzeptionelle Verfahren weiter auszubauen oder zu stützen. Für alle diese Anforderungen müssen personelle und finanzielle Grundlagen gegeben sein. Weiter scheinen couragierte Entscheidungen für die Kontinuitätssicherung erforderlich. Sie zeigen sich im flexiblen
Umgang im Einzelfall. Die Möglichkeiten in ihrer Bandbreite sollten ausgenutzt und erweitert
werden. Im gewissen Sinne kann hier von einem „kreativen“ Hilfeprozess gesprochen werden,
ohne die fachlichen Standards dabei zu vernachlässigen. Interessant gerade für die Fälle von Kindern unter drei Jahren ist bspw. das Verfahren der „Concurrent Planning“. „Hierbei handelt es
sich um die simultane Erarbeitung zweier Konzepte, die dauerhafte Unterbringung eines Kindes
sicher zu stellen. Idealerweise sollte ein Kind, das in einer Pflegefamilie zunächst befristet untergebracht wird, von dieser, scheitert die Rückführung in die Herkunftsfamilie, adoptiert werden
76
oder dauerhaft verbleiben dürfen.“340 Hierfür müssen allerdings Pflegefamilien zur Verfügung stehen, die diesen flexiblen Umständen gewachsen sind und diese akzeptieren. Zudem wäre die
Gefahr gegeben, dass diese Herangehensweise falsche Hoffnungen bei den leiblichen Eltern erweckt und die Enttäuschung und Reaktion im Falle des Verbleibes des Kindes in Dauerpflege
eine nachhaltige Zusammenarbeit gefährden. Die bestehende Form der rechtlichen Absicherung
durch Adoption scheint in der Praxis selten gewählt zu werden. Eine häufigere Prüfung dieser
Option (§ 36 Abs. 1 S. 2 SGB VIII) könnte hilfreich sein und sollte mehr Beachtung im Sinne der
Kontinuitätssicherung finden.
„Eine Adoption gegen den Willen der Eltern wurde grob von zwei Dritteln der Fachkräfte auch dann abgelehnt, wenn die Voraussetzungen für eine Verbleibensanordnung vorliegen,
den Eltern die elterliche Sorge weitgehend entzogen wurde oder diese ihren Umgangspflichten nachhaltig nicht nachkommen. Andererseits konnte sich grob ein Drittel der Fachkräfte in dieser Konstellation eine Adoption gegen den Willen der Eltern vorstellen.“341
Die rechtlichen Hürden zur Ersetzung der Einwilligung eines Elternteils zur Adoption sind in
Deutschland hoch angesetzt (§§ 1748 BGB, 51 SBG VIII). Diese könnten sicher auch ein Grund
dafür sein, dass bei der kontinutitätssichernden Perspektivplanung die Adoptionsoption nur selten genutzt wird.
4.2.3.2. Für die Rechtsvorgaben
Sicherlich wären neben einer anderen Ausgestaltung des rechtlichen Rahmens auch rechtliche Änderungen zur Absicherung von auf Dauer angelegten Pflegeverhältnissen erstrebenswert
und würden zu mehr (Rechts-)Klarheit für alle Beteiligten führen. Dies hätte Signalwirkung und
könnte die Umsetzung zum einen absichern und zum anderen beschleunigen. Diese Absicherung wäre in den meisten Fällen mit einer Einschränkung der elterlichen Rechte verbunden und
damit schwer durchsetzbar, würde in vielen Fällen aber dem Kind mehr gerecht. Denkbar wäre,
dass bei Erlass einer Verbleibensanordnung die Möglichkeit gegeben wird, dass eine Rückkehroption des Kindes im diesem Schritt auch rechtlich ausgeschlossen werden kann. Wenn die Gründe
des Beschlusses darauf hinweisen, dass das Kind schützenswerte Bindungen zu seinen Pflegeeltern aufgebaut hat und eine Trennung zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vertretbar ist, erscheint
es aus pädagogischer Sicht logisch, diesem Familiensystem die Kontinuität zuzugestehen, die es
braucht.
Kurek-Bender, Ines: „Permanency Planning“. In: PFAD (2010) Heft 2, S. 51.
Hoffmann, Birgit: Adoptionsoption in der Hilfeplanung –Perspektive der Fachkräfte in der Hilfeplanung. In: JAmt
Heft 2011 Heft 1, S. 15.
77
340
341
Trotz kritischer Einwände wurde im Zuge der FamFG Reform die periodische Überprüfung
und ggf. Änderung von Entscheidungen der Sorge- und Umgangsrechte der Inhaber der elterlichen Sorge vom § 1696 Abs. 3 BGB in den § 166 FamFG verlagert.342 Bei der regelmäßigen Überprüfung erscheint ein „Zeitabstand von mehr als zwei Jahren [...] in keinem Fall mehr als angemessen“343 zu betrachten. Gerade diese Norm scheint in der Praxis der Realisierung einer auf
Dauer angelegten Lebensperspektive, auch laut Aussage der Fachkraft (s.o.), entgegenzustehen.
Der Zeitraum von zwei Jahren scheint gerade bei kleinen Kindern kritisch und steht einer Absicherung der Kontinuität des Kindes entgegen, zumal eventuelle Änderungen in den Lebensbedingungen der Herkunftsfamilie im Prozess der Hilfeplanung bereits berücksichtigt werden. Eine
Änderung dieser Regelung, ist im Sinne der Realisierung des Kindeswohls wünschenswert, um
der Verlässlichkeit bzw. Verfügbarkeit der Pflegeeltern auch rechtlich die Bedeutung zukommen
lassen, die ihr gebührt. Hierdurch würden einige Reibungspunkte zwischen dem SGB VIII und
dem BGB aufgearbeitet.
5 . FA Z I T
Entscheidungen über Rückkehr oder Verbleib von Pflegekindern müssen den Grundrechtspositionen der Eltern und des Kindes, wie ausführlich aufgezeigt, gerecht werden. Der sich hieraus
ergebende Entscheidungsspielraum erweist sich als hochkomplex und lässt sich in manchen Fällen nur als Dilemma beschreiben. Dies gilt vor allem für Pflegekinder in den sensiblen und entwicklungsintensiven ersten drei Jahren. Eine Perspektivplanung muss sich an den Bedürfnissen
gerade auch dieser Kinder orientieren. Die Maxime von Goldstein, Freud und Solnit, die Suche
nach der „am wenigsten schädlichen Alternative“, bietet dabei als Entscheidungsmaßstab eine
realistische Vorgabe.
Der Blick in die Praxis zeigt, dass sich bei der kontinuitätssichernden Perspektivplanung Umsetzungsschwierigkeiten ergeben, die zum einen in fachlichen Defiziten, zum anderen in bestehenden rechtlichen Vorgaben und Friktionen zu verorten sind. Die daraus resultierenden Unsicherheiten bei einer Entscheidung können, wie geschildert, zu bedenklichen Schwebezuständen
beim Kind führen. Der Bedarf an einer empirisch gestützten, standardisierten Orientierungshilfe
ist evident.
Ein weiterer Ertrag dieser Arbeit liegt im Vorschlag einer Bedingungsanalyse (4.2.1.) als Entscheidungshilfe bei der Frage nach einer Rückführung oder dem Verbleib eines Kindes in der
342 Vgl. Palandt
343
/ Diederichsen § 1696 Rn. 10.
Meysen, Thomas / Balloff, Rainer: Das Familienverfahrensrecht – FamFG. Köln, 2009. § 166 Rn. 5.
78
Pflegefamilie. Diese ist einer klaren Begrenzung unterworfen und daher nur im Sinne eines ersten Ansatzes zu verstehen. Es bedarf einer weiteren Evaluation und Ausweitung der Ergebnisse.
Mögliche Konsequenzen und Perspektiven für weitere Forschungsansätze und konkrete Anhaltspunkte für die Praxis in Recht und Jugendhilfe konnten aufgezeigt werden, die noch ein ungenutztes Potential bergen, das es künftig zu nutzen gilt.
Die erstellte Orientierungshilfe weist bei der Perspektivplanung konkrete Eckpunkte aus. Sie
ersetzt jedoch nicht die fachliche Interpretation und methodische Umsetzung in jedem Einzelfall.
An dieser Stelle müsste die Betrachtung im Hinblick auf die Möglichkeiten der Ausgestaltung des
Umgangsrechtes ausgeweitet werden. Hier bieten sich im Einzelfall eventuell Möglichkeiten eines
behutsamen, langfristig angelegten Übergangs in die Herkunftsfamilie - besonders bei Kindern
unter drei Jahren aber auch Risiken. Diesen und weiteren Handlungsmöglichkeiten konnte im
Rahmen dieser Arbeit noch nicht nachgegangen werden. Um es mit Bowlbys Worten zu sagen:
„Hier lässt sich noch ein Kontinent erobern.“ 344
344
Bowlby, John: Bindung. München, 2006, S. 240.
79
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Quelle: Eigene Darstellung nach einer Vorlage von Felitti et al. In: Kinderschutz-Zentrum Berlin
e.V.: Kindeswohlgefährdung. Erkennen und Helfen. Berlin 11. Auflage 2009, S. 79.
Abbildung 4. Gegenüberstellung Bedürfnispyramide und Auswirkungen von Stresserfahrungen
Quelle: Eigene Darstellung nach den Quellen der Abbildungen 1. und 3.
Abbildung 5. Verortung der Bindungsmuster
Quelle: In Anlehnung an Grossmann, Karin / Grossmann, Klaus: Bindungen – das Gefüge psychischer Sicherheit. Stuttgart 2005, S. 142 In: Julius, Henri / Gasteiger-Klicpera, Barabara / Kißgen,
Rüdiger: Bindung im Kindesalter. Göttingen, 2009, S. 16.
Abbildung 6. Die Akteure der Perspektivplanung
Quelle: Eigene Darstellung.
Tabellen
Tabelle 1. Ergebnisse der Untersuchung der Rechtsprechung
Quelle: Eigene Darstellung nach den untersuchten Fällen (siehe Anhang II - IV)
85
7. ANHANG
Definitionen von Kindeswohlgefährdung
1. „Vernachlässigung als ,andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns
sorgeverantwortlicher Personen (Eltern oder andere von ihnen autorisierte Betreuungspersonen), welches zur Sicherstellung der physischen und psychischen Versorgung des Kindes
notwendig wäre‘.“345
2. „Angepasst an den durch den § 1666 BGB geschaffenen rechtlichen Rahmen könnte Vernachlässigung daher verstanden werden ,als andauerndes oder wiederholtes Unterlassen fürsorglichen Handelns bzw. Unterlassen der Beauftragung geeigneter Dritter mit einem solchen
Handeln durch Eltern oder andere Sorgeberechtigte, das für einen einsichtigen Dritten vorhersehbar zu erheblichen Beeinträchtigungen der physischen und / oder psychischen Entwicklung des Kindes führt oder vorhersehbar ein hohes Risiko solcher Folgen beinhaltet‘.“346
3. „Polansky et al. 1981 an: ,A condition in which a caretaker responsible for the child, either
deliberately or by extraordinary inattentiveness, permits the child to experience avoidable
present suffering and / or fails to provide one or more of the ingredients generally deemed
essential for developing a person’s physical, intellectual, and emotional capacities‘.“ 347
4. „Kindeswohlgefährdung ist ein das Wohl und die Rechte eines Kindes (nach Maßgabe gesellschaftlich geltender Normen und begründeter professioneller Einschätzung) beeinträchtigendes Verhalten oder Handeln bzw. ein Unterlassen einer angemessenen Sorge durch Eltern
oder andere Personen in Familien oder Institutionen (wie z.B. Heimen, Kindertagesstätten,
Schulen, Kliniken oder in bestimmten Therapien) das zu nicht-zufälligen Verletzungen, zu körperlichen und seelischen Schädigungen und / oder Entwicklungsbeeinträchtigungen eines Kindes führen kann, was die Hilfe und eventuell das Eingreifen von Jugendhilfe-Einrichtungen und
Familiengerichten in die Rechte der Inhaber der elterlichen Sorge im Interesse der Sicherung
der Bedürfnisse und des Wohls eines Kindes notwendig machen kann.“348
Schone et al. zitiert nach: Kindler Heinz: Was ist unter Vernachlässigung zu verstehen? In: Kindler, Heinz et al.:
Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München 2006, S. 3-1
bis 3-4, hier: S. 3-1.
346 Ebd. S. 3-1.
347 Polansky et al. zitiert nach: Kindler Heinz: Was ist unter Vernachlässigung zu verstehen? In: Kindler, Heinz et al.:
Handbuch Kindeswohlgefährdung nach § 1666 BGB und Allgemeiner Sozialer Dienst (ASD). München 2006, S. 3-1
bis 3-4, hier: S. 3-3.
348 Kinderschutz-Zentrum Berlin e.V. (Hrsg): Kindeswohlgefährdung. Erkennen und Helfen.Berlin 2009, S. 32.
Anhang I
345
Kurzdarstellung der untersuchten Fälle
Fall 1:
VG Göttingen 2. Kammer vom 21.01.2012
Aktenzeichen: 2 A 94/11
Fall 2:
Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken 1. Senat für Familiensachen vom 13.10.2011
Aktenzeichen: 6 UF 108/11
Alter: geboren am 25.05.2004
Erster Kontakt/Unterstützung: Bekannt seit September 2005, Gefährdungsanzeige März 2007
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 25.06.2008 / ca. 4 Jahre
Antrag: unbekannt
Verfahrensgang: - Einstweilige Anordnung: vom 25.06.2008
- Einstweilige Anordnung: vom 09.12.2009
- Eilantrag auf Umgang: vom 09.12.2010
- AG Beschluss:
vom 27.05.2011
- OLG Beschluss: vom 13.10.2011
Verfahrensdauer insgesamt: 28 Monate
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 5 Monate
Rückführung des Kindes in den Haushalt des Kindes (am 08.08.2011) wird angeordnet.
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: 7 Jahre / ca. 3 Jahre
Fall 3:
OLG Dresden Senat für Familiensachen vom 19.07.2011
Aktenzeichen: 21 WF 656/11, 21 WF 0656/11
Alter: unbekannt
Erster Kontakt/Unterstützung: unbekannt, schätzungsweise 2008
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 30.07.08 / unbekannt
Antrag: 02.05.2010 der Pflegeeltern auf Verbleib bzw. Rückführung zu ihnen.
Verfahrensgang: - AG Beschluss: vom 02.05.2011
Verfahrensdauer insgesamt: 12 Monate
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: 1 Jahr
Verbleib des Kindes wird vor Gericht am 02.05.2011 im Einvernehmen auf Dauer angelegt.
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: unbekannt / ca. 2 Jahre
Fall 4:
OLG Hamm 8. Senat für Familiensachen vom 06.06.2011
Aktenzeichen: 8 UF 46/11, II-8 UF 46/11
Alter: geboren am 01.04.2007
Erster Kontakt/Unterstützung: ab 20.02.2007 in Mutter-Kind Einrichtung, Wechsel der Einrichtung am
10.02.2009, Sommer 2009 Bereitschaftspflege mit Option zur Dauerpflege ab 15.06.2009
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 15.06.2009 / ca. 15 Monate
Antrag: unbekannt
Verfahrensgang: - Antrag des JA auf Entziehung des Aufenhaltsbestimmungsrechts am 02.10.09
- AG Beschluss:
vom 20.12.2010
- OLG Beschluss: vom 06.06.2011
Verfahrensdauer insgesamt: 20 Monate
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 6 Monate
Verbleibensanordnung wird ausgesprochen befristet bis zum 30.06.2013
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: 4 Jahre / ca. 3 Jahre
Anhang II
Fall 5:
AG Wuppertal vom 21.02.2011
Aktenzeichen: 62 F 225/10
Erschienen in: FamRZ 2011, 1665-1666
Alter: geboren am 23.06.2006
Erster Kontakt/Unterstützung: 27.08.2007 SPFH, März 2009 Tagespflege
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: xx.11.2009 / 3,5 Jahre
Antrag: vermutlich am 02.08.2010, sicher nach 04.2010
Verfahrensgang: - AG Beschluss:
vom 21.02.2011
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 6 Monate
Verbleibensanordnung bei den Pflegeeltern wird angeordnet.
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: ca 4 Jahre / 15 Monate
Fall 6:
OLG Hamm 8. Senat für Familiensachen vom 19.01.2011
Aktenzeichen: 8 UF 263/10, II-8 UF 263/10
Erschienen in: NJW-RR 2011, 585
Fall 7:
OLG Frankfurt 2. Senat für Familiensachen vom 05.07.2010
Aktenzeichen: 2 UF 90/10
Alter: geboren im Jahr 2005
Erster Kontakt/Unterstützung: Kind 2006 in Obhut genommen und Bereitschaftspflege, 2006 Mutter-Kind
Einrichtung, Anfang 2007 in Bereitschaftspflege
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 2007 auf Dauer in Pflegefamilie untergebracht / ca. 2 Jahre
Antrag: unbekannt
Verfahrensgang: - Verfahren Regelung des Umgangs im Dezember 2007
- AG Beschluss:
vom 03.03.2010
- OLG Beschluss: vom 05.07.2010
Verfahrensdauer insgesamt: 43 Monate
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 4 Monate
Verbleibensanordnung wird ausgesprochen und die Beschwerde der leibl. Mutter wird zurückgewiesen
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: ca. 5 Jahre / ca. 3 Jahre
Fall 8:
OLG Frankfurt 6. Senat für Familiensachen vom 18.06.2010
Aktenzeichen: 6 UF 13/10
Alter: Zwillinge geboren vor dem 18.06.2006
Erster Kontakt/Unterstützung: 03.2008
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter der Kinder: 03.2008 auf Antrag der Eltern wegen massiver Überforderung/ unter 2 Jahren
Antrag: Seit Ende 2008 verlangen die Eltern die Herausgabe.
Verfahrensgang: - AG Beschluss:
vom 04.03.2009
(Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrecht)
- AG Beschluss: vom 01.12.2009
- OLG Beschluss: vom 18.06.2010
Verfahrensdauer insgesamt: 15 Monate
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 7 Monate
Verbleibensanordnung wird ohne Befristung ausgesprochen.
Alter der Kinder bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: 4 Jahre / ca. 2 Jahre
Anhang III
Fall 9:
AG Ludwigslust vom 18.06.2010
Aktenzeichen: 5 F 76/09
Alter: geboren vor dem 18.06.2006
Erster Kontakt/Unterstützung: 2006 lässt die Mutter ihr Kind in einer Kurzzeitpflegeeinrichtung unterbringen, 2006 Rückführung in die Familie, 2007 erneute Misshandlungsanzeichen und daher wieder in Kurzzeitpflege, 2007 Rückführung in die Familie, 2007 Inobhutnahme und Dauerpflege
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 2007 / ca. 0,5 - 1 Jahr
Erster Kontakt/Unterstützung:
Antrag: Die Eltern äußern Herausnahmewillen in 2008. Auf Grundlage eines Gutachtens erklären die
Eltern, dass sie das Kind nicht unmittelbar, sondern die Rückführung durch eine Erweiterung des Umgangs vorbereiten wollen. Sie stellen einen auf ein Jahr befristeten Antrag auf Hilfe zur Erziehung. Daraufhin beantragt die Pflegemutter eine Verbleibensanordnung.
Verfahrensgang: - AG Beschluss:
vom 18.06.2010
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: nicht ersichtlich da Antragsdatum unbekannt
Antrag auf Verbleibensanordnung wird zurückgewiesen, da die Voraussetzungen nicht erfüllt sind.
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: ca. 4 Jahre / ca. 3,5 Jahre
Fall 10:
BVerfG 1. Senat 2. Kammer vom 31.03.2010
Aktenzeichen: 1BvR 2910/09
Alter: geboren 07.2006
Erster Kontakt/Unterstützung: im Alter von 6 und 10 Wochen Krankenhausaufenthalte wegen körperlicher Misshandlungen, von dort in eine Bereitschaftspflege und im Alter von 7 Monaten in die Dauerpflegefamilie überführt
Zeitpunkt der Inpflegegabe / Alter des Kindes: 11.02.2007 / unbekannt
Antrag: Zwischen der Einstellung des Strafverfahrens im August 2007 und dem AG Beschluss.
Verfahrensgang: - AG Beschluss:
vom 12.11.2008
- OLG Beschluss:
vom 21.10.2009
- BVerfG Einstweilige Anordnung: vom 13.01.2010
- BVerfG Beschluss:
vom 31.03.2010
Verfahrensdauer insgesamt: ca. 2,5 Jahre
Verbleibensanordnung Verfahrensdauer: ca. 2,5 Jahre
Verbleibensanordnung wird erlassen.
Alter des Kindes bei Entscheidung / Dauer in Pflegefamilie: 3 Jahre und 9 Monate / ca. 3 Jahre und 4 Monate
Anhang IV
P L A G I AT S E R K L Ä R U N G
Ich versichere, dass ich die schriftliche Bachelorarbeit selbständig angefertigt und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.
Alle Stellen, die dem Wortlaut oder dem Sinn nach anderen Werken entnommen sind, habe
ich in jedem einzelnen Fall unter genauer Angabe der Quelle (einschließlich des World Wide
Web sowie anderer elektronischer Datensammlungen) deutlich als Entlehnung kenntlich gemacht. Dies gilt auch für angefügte Zeichnungen, bildliche Darstellungen, Skizzen und dergleichen.
Ich nehme zur Kenntnis, dass die nachgewiesenen Unterlassung der Herkunftsangabe als versuchte Täuschung bzw. als Plagiat gewertet und mit Maßnahmen bis hin zur Aberkennung des
akademischen Grades geahnt wird.
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[Ort, Datum] [Unterschrift]

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