ambassade de france - Französische Botschaft
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ambassade de france - Französische Botschaft
Frankreich – Info Herausgeber : Französische Botschaft - Presse- und Informationsabteilung Pariser Platz 5 - 10117 Berlin E-Mail: [email protected] Internet: www.botschaft-frankreich.de 17.4.2010 Ansprache von Botschafter Bernard de Montferrand anlässlich der Verleihung der Insignien eines Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres an Thomas Ostermeier Berlin, den 16. April 2010 Sehr geehrter Herr Schitthelm, Sehr geehrter Herr Barner, Dear Ms Blanchett, Dear Mister Upton, Sehr geehrte Damen und Herren, es ist mir eine große Freude, heute Abend hier in der Französischen Botschaft eine Persönlichkeit zu ehren, die in Frankreich zu den meist geschätzten deutschen zeitgenössischen Künstlern zählt. Verehrter Thomas Ostermeier, mit dieser Auszeichnung will Frankreich eine echte Theatergröße und einen durch und durch europäischen Künstler würdigen; und Ihnen für die Freundschaft danken, die Sie unserem Land während Ihrer ganzen Laufbahn erwiesen haben. Bevor ich Sie in den Stand eines Officier dans l’Ordre des Arts et des Lettres erhebe, will ich wie es üblich ist - einige Worte der Anerkennung zu Ihrer bemerkenswerten Laufbahn sagen. Herr Ostermeier, Sie stehen für eine ganze Generation - für die Generation nach der deutschen Wiedervereinigung. Eine Generation, die - in den Augen des Theaterkritikers, und viel wichtiger noch, zum großen Genuss des Zuschauers – unsere Gesellschaften auf ganz neue Weise hinterfragt. Die Theaterregie ist eine außergewöhnliche Kunst – zu der man oft über ungeahnte Wege findet. Sie selbst sagen, ich zitiere: „Theaterregisseure sind Universaldilletanten“. (Dieser Satz www.botschaft-frankreich.de 2 hat es in sich, vor allem wenn man bedenkt, dass er aus Ihrem Munde eines Arbeitstiers und Perfektionisten kommt, wie Sie es sind). Ihre Berufung entdecken Sie schon sehr früh, mit 24 Jahren, als Sie an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch Regie studieren. Diese renommierte Berliner Schauspielschule ist auch nach der Wiedervereinigung noch von den Besonderheiten der ostdeutschen Dramaturgie geprägt. Sie - der Sie aus Bayern kommen - lassen sich voll und ganz auf diese Tradition ein, und schaffen es - vielleicht nicht bewusst, aber auf alle Fälle äußerst gelungen - die historischen Konzepte der Theaterkunst des Ostens und des Westens in einem europäischen Kontext zu vereinen. Es dauert nicht lange, bis Ihr Talent entdeckt wird. Thomas Langhoff, der Intendant, und Michael Ebert, der Dramaturg des Deutschen Theaters schlagen Ihnen ein originelles Projekt vor: Sie überlassen Ihnen die künstlerische Leitung der hauseigenen Baracke – einer Theaterbühne, die viel Raum zum Experimentieren bietet. In dem Berlin nach der Wiedervereinigung ist alles möglich - unzählige Initiativen und Projekte sprießen an allen Ecken und Enden. Ihr Projekt hat einen unglaublichen Erfolg: Die Zuschauer stürmen diesen kleinen Theatersaal, wo Sie in einem informellen Rahmen und mit minimaler Technik fast ausschließlich zeitgenössische Texte aufführen. Ihre Inszenierungen sind ungewöhnlich und sehr wirkungsstark. So machen Sie aus der Baracke eine der innovativsten Theater-Bühnen Europas. Ihr Erfolg macht jedoch nicht an den Grenzen der neuen Hauptstadt Deutschlands halt: Die Theater-Truppe der Baracke zieht durch ganz Europa und erhält zahlreiche Preise. Sie wollen jedoch noch höher hinaus; streben nach einem größeren Format. Sie sind begeistert von der Schaubühne – dieser ganz eigenen Architektur, der unkonventionellen Bühne und den drei Sälen, die in einen einzigen großen Raum umfunktioniert werden können. So werden sie 1999 Mitglied der künstlerischen Leitung dieses Theaters. Ihr Wechsel an die Schaubühne ist in erster Linie ein symbolischer Wechsel – von einem alternativen in ein institutionelles Umfeld. Ihr künstlerischer Ansatz bleibt jedoch unverändert – Sie setzen Ihren „alternativen“ und zuweilen provokanten Stil fort. Sie begreifen das Theater als einen Raum der Freiheit, als „das letzte Stückchen Raum in unserer Gesellschaft, wo man noch sagen kann, was man will“; als einen Ort des direkten Kontaktes. Direkter Kontakt - damit ist vor allem das Publikum gemeint. Mit Ihren Inszenierungen beziehen Sie die Zuschauer häufig ummittelbar in das Stück mit ein - die Grenze zwischen Bühne und Publikum verschwindet. Damit knüpfen Sie an die Theorie von Jerzy Grotowski an, für den - ich zitiere - „die Nähe des lebenden Organismus“ das einzige Privileg ist, das dem Theater in Zeiten von Film und Fernsehen noch bleibt. Aber anders als Grotowski sind Sie bestrebt, mit der Zeit zu gehen: Sie bringen die neuen technischen Mittel ins Theater, berücksichtigen die neuen Wahrnehmungsgewohnheiten, die durch den Film entstanden sind, und sind damit fest in unserer Pop- und Medienkultur verwurzelt. Ganz wichtig ist für Sie auch der direkte Kontakt zur Außenwelt. Deshalb inszenieren Sie vor allem zeitgenössische Texte. Für Sie muss Theater nach „Realismus“ streben, wie Sie sagen, und was Sie als eigentliche Aufgabe des Theaters verstehen: nämlich die Dramen der Welt und unserer Gesellschaften aufspüren und ihnen Körper und Stimme verleihen. Sie begreifen das Theater als einen Ort der Begegnung, wo der Passivität kein Raum gelassen wird. Herr Ostermeier, Ihre Theater-Laufbahn stand stets in einem internationalen Kontext – wobei Frankreich vielleicht stärker präsent war als andere Länder. 3 Sie haben zahlreiche und regelmäßige Kontakte zu Frankreich. Schon in Ihren ersten Schritten als Künstler knüpfen Sie Bindungen zu unserem Land. So zeigen Sie in der Baracke im Rahmen der „Woche Neuer Internationaler Dramatik“ jedes Jahr französische Theaterstücke. Und schon damals präsentieren Sie Ihre Produktionen in Paris und Lyon. 1999 werden Ihre Stücke zum ersten Mal beim Theaterfestival von Avignon aufgeführt. Seitdem nehmen Sie Jahr für Jahr an dieser großen Begegnung zwischen französischen Theaterschaffenden und Theaterfreunden teil. 2004 sind Sie als artiste associé Mitglied der künstlerischen Leitung und eröffnen das Festival mit Ihrem Woyzeck im Ehrenhof des Papstpalastes. 2008 sind Sie nochmals in Avignon, mit einer Inszenierung des Hamlet, die wirklich unter die Haut geht. Ob in der Presse, in der Theaterszene oder beim Publikum: Ihre Arbeiten stoßen in Frankreich sofort auf großes Interesse, und diese Begeisterung ist bis heute ungebrochen. Erst im vergangenen Jahr hatten Sie einen riesigen Erfolg mit Ihrer Produktion John Gabriel Borkmann und erhielten dafür den Grand prix de la critique für die beste ausländische Inszenierung. Seit 2007 wurde die Schaubühne 55 Mal nach Frankreich eingeladen – die insgesamt 207 Aufführungen haben über 190.000 Zuschauer in die Theatersäle gelockt….Kurzum: Frankreich ist sozusagen Ihr zweites Theater. Und umgekehrt laden Sie auch immer wieder französische Regisseure wie z. B. Dominique Pitoiset ein, oder organisieren Debatten mit großen französischen Intellektuellen. Was Sie für uns so interessant macht, ist natürlich Ihr großes Talent. Aber auch Ihr Drang, das Wesentliche, gewisse menschliche Qualitäten zu ergründen. Sie provozieren gerne. Ihr Erfolg hängt nicht zuletzt auch damit zusammen, dass Sie sich eine gewisse Respektlosigkeit und einen unverstellten Blick auf die Menschen und die Dinge bewahrt haben. So legen Sie schonungslos die Makel unserer Fortschrittsgesellschaften offen – zum Beispiel indem Sie leicht provokativ sagen: „Freiheit ist Freizeit, und Glück ist, nicht das Unglück zu haben, arm, ohne Arbeit oder ohne Wohnung zu sein.“ Henrik Ibsen sagte kaum etwas anderes mit seinem Satz: „Hier in diesem Leben Glück zu suchen, das ist der wahre Empörergeist.“ Das Publikum nimmt Ihre Botschaften genau deshalb so eindrücklich wahr, weil Sie ihm die Möglichkeit geben, sich den humanistischen Werten zu nähern; Empörung ist für Sie nichts anderes als die Suche nach Glück. Diese Selbstsicherheit deckt sich bei Ihnen mit einer großen Einfachheit und einer ständigen Verfügbarkeit. Wenn man sich bewusst macht, wie viel Aufwand und intellektuelle Disziplin drei Inszenierungen jährlich und noch dazu eine ständige Präsenz in den aktuellen Debatten abverlangen, dann wird klar: Herr Ostermeier, Sie vollbringen geradezu einen Kraftakt! In Ihren Augen sind Ihre Erfolge in erster Linie die Erfolge der Arbeit im Team; es sind die Erfolge des Kollektivs, die Erfolge der Verlässlichkeit. Wenn Sie in Avignon sind, sieht man Sie oft mit dem Fahrrad durch die Stadt fahren, immer bereit anzuhalten, wenn Sie angesprochen werden, und sich auszutauschen. Sie schätzen diesen ständigen Kontakt im Alltag, die gewöhnlichen Dinge des Lebens; und wollen sich davon keinesfalls abheben, weder in Ihrer Kunst noch in Ihrem Leben. Diese Ordensverleihung ist für uns eine Gelegenheit, über die Beziehungen nachzudenken, die unsere beiden Länder im Bereich des Theaters pflegen. 4 In Frankreich und Deutschland geht man auf sehr unterschiedliche Weise an Inszenierungen heran: In Frankreich steht der Text im Vordergrund - das Spiel der Darsteller und das Bühnenbild ordnen sich ihm unter. In Deutschland wird der Text gerne interpretiert; und häufig wird er durch extratextuelle Mittel hervorgehoben. Die deutschen Regisseure können gut vereinfachen, den dramaturgischen Ausdruck verstärken, die wichtigen Botschaften der Stücke herausstellen. Michel Winock hat jüngst in einem Buch über Madame de Staël daran erinnert, dass sie schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts berichtet hat, das Theater in Deutschland wäre zwar weniger normiert als in Frankreich, dafür aber reicher an tiefen Empfindungen; es wäre „echter“ und „volkstümlicher“ und man zögerte nicht, verschiedene Gattungen zu mischen. Die Deutschen, so schrieb sie, stellten Charaktere dar, wo die Franzosen Leidenschaften darstellten. Nun findet sich in Charakteren Gewöhnliches neben Erhabenem – was die Franzosen nicht wollen; sie sind mehr an die formellen Regeln der Gattungstrennung gebunden. Diese für Deutschland spezifische Tradition hat sich im 20. Jahrhundert noch stärker entwickelt, besonders mit dem Theater von Brecht. Eine Tradition des expressionistischen Theaters, des sozialkritischen Theaters mit einem scharfem Blick für die Sorgen unserer Gesellschaft; eine Tradition, die Sie fortführen. Die Franzosen mögen diesen deutschen Ansatz ganz offensichtlich, wie Ihr Erfolg zeigt. Heute sorgt der Unterschied zwischen dem französischen und dem deutschen Theater nicht mehr für Unverständnis, sondern weckt beiderseitiges Interesse. Und er zeigt, dass Europa kaum durch eine kulturelle Uniformisierung gefährdet ist und dass unsere Unterschiede nicht für Trennung stehen, sondern für Stärke. „Die Spielstätte dieses Dramas ist die Welt“, schrieb Claudel als Einführung seines Stücks „Der Satinschuh“. Auch Sie, verehrter Herr Ostermeier, wollen ein Theater, dass in der Realität seiner Zeit verankert ist. Es überrascht daher nicht, dass Sie auch ein überzeugter Europäer und eine wichtige Persönlichkeit für die deutsch-französischen Kulturbeziehungen sind. Denn das ist es schließlich, was unsere Zeit ausmacht: Unsere Gesellschaften rücken zusammen. Europa ist stark genug, um seine Unterschiede anzunehmen und darin eine außerordentliche Bereicherung zu sehen. Und Sie, verehrter Thomas Ostermeier, leisten dazu einen unverzichtbaren Beitrag. Ich werde Ihnen nun Ihre Auszeichnung überreichen.