Strategie-Impulse Legal Services 2020

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Strategie-Impulse Legal Services 2020
Strategie-Impulse
Unterwegs zu Legal Services 2020
Was die führenden Wirtschaftsanwälte
und -kanzleien 2013 bewegt und
bewegen sollte
Autoren
Harri J. Andersson ist Jurist (Universität Helsinki 1980) und Betriebswirt (MBA, IESE 1985).
Nach seiner Tätigkeit als Jurist bei einer Seeversicherungsgesellschaft (Finnish Marine Insurance
1980-83) hat er sein MBA absolviert und danach 1985-2007 bei der Boston Consulting Group gearbeitet (in Düsseldorf, Helsinki und Stockholm), wo er das Büro in Helsinki 1994 gegründet und bis
2006 geleitet hat. Er war der weltweite Leader der BCG Papierindustriegruppe und Kernmitglied
der Practice Area Corporate Development.
Er hat während und nach der Zeit bei BCG viele Dienstleistungsunternehmen beraten, inklusive
Anwaltskanzleien. Er lebt in Zürich.
Gebi Küng, Strategie-Experte und Private Advisor ist Wirtschaftsjurist (lic.iur. HSG) und Betriebswirt (MBA, Ashridge City University London, AMP Harvard Business School). Er unterstützt
Unternehmerpersönlichkeiten und Unternehmen in Schlüsselphasen mit strategischer Klarheit,
Zuversicht und frischen Perspektiven. Er war bis 2005 Executive Vice President bei der Information Management Group (IMG) und vorher Strategieberater bei der Boston Consulting Group.
Er ist Vorstandsmitglied der ASCO, Association of Management Consultants Switzerland und leitet
deren Denkfabrik, ASCO Think.
© 2013 Harri J. Andersson und Gebi Küng
ISBN 978-3-033-04035-9
Strategie-Impulse Legal Services 2020
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Das Wichtigste in Kürze
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I. Die Schweizer Anwaltskanzleien sind erfolgreich
1. Schweizer Kanzleien für Schweizer Recht
2. Was Wirtschaftsanwälte beschäftigt
3. Wieso sich die Welt nicht verändern wird
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II. Zukunft = Gegenwart = Vergangenheit?
4. Wieso die Welt sich doch ändern könnte
5. Strategie und Geschäftsmodell
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III.Thesen und Handlungsempfehlungen
6. Strategische Herausforderungen
7.Handlungsempfehlungen
8.Grundstrategien
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Anhang
Gesprächspartner
Literaturhinweise
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Strategie-Impulse Legal Services 2020
Das Wichtigste in Kürze
Die Schweiz hat zwei global tätige Grossbanken. Schweizer Firmen haben die zweitgrösste Marktkapitalisierung im STOXX-50-Index der grössten europäischen Gesellschaften.
Schweizer Pharma- und Nahrungsmittelkonzerne gehören zur Weltspitze. Bei der Verwaltung von im Ausland angelegten Vermögen belegt die Schweiz einen Spitzenplatz. Mit
andern Worten: die Schweiz hat – gemessen an ihrer Grösse und Bevölkerungszahl – einen
mehr als nur beachtlichen Erfolg, sei dies im europäischen Vergleich oder auf globaler
Ebene.
Umso mehr erstaunt, dass auch bei den grossen Anwaltskanzleien mit klingenden Namen
keine einzige eine signifikante internationale Präsenz vorzuweisen hat. Auch die grössten Kanzleien in der Schweiz sind nicht annähernd auf Augenhöhe mit den Marktführern
in London oder New York. Bemerkenswert ist sodann die Tatsache, dass auch die
grossen Kanzleien nie ernsthaft versucht haben, an der Themse oder am Hudson River
fusszufassen.
So kommt es, dass auch bei Schweizer Konzernen amerikanische oder englische Grosskanzleien im Lead sind, wenn es darum geht, eine M&A-Transaktion oder einen Börsengang im Blue-Chip-Bereich durchzuführen.
Man könnte sagen, dass die Schweizer Anwaltskanzleien bis dato prosperiert haben, ohne
das Glück in der Ferne zu suchen. Zahlreiche führende Exponenten gehen im Übrigen
­davon aus, dass sich mit dem bisherigen Erfolgsmodell auch weiterhin gut wirtschaften
lässt.
Diese Haltung ist nicht ohne Gefahren, denn der Markteintritt von ausländischen Konkurrenten kann durchaus eine Herausforderung sein. Vergleicht man die Entwicklung der
Anwaltsbranche mit der der Unternehmensberatung, so fällt auf, dass bei der letzteren
innerhalb der letzten 15 bis 20 Jahre Quantensprünge an unternehmerischer Entwicklung
stattgefunden haben.
Frappant ist vor allem ein Unterschied: In der klassischen Schweizer Aufstellung hat der
Klient primär eine enge Beziehung zu einem Partner und erst sekundär zur Kanzlei. Hier
stellt sich die Frage, ob es mittelfristig nicht klüger wäre, die Beziehung zwischen den
beiden Organisationen zu entwickeln und den Klienten so stärker «ans Haus» zu binden.
Dies wiederum würde eine tiefgreifende und kritische Auseinandersetzung mit dem überlieferten Hierarchie- und Kompensationsmodell voraussetzen.
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Die Hauptstrategie der Anwaltskanzleien besteht darin, die besten Juristen anzuziehen und
sie zu erfolgreichen Partnern reifen zu lassen.
Dafür braucht es das nötige Wachstum und die innere Überzeugung, dass Wachstum auch
für Klienten und die Kanzlei attraktiv ist. Noch weniger wird internationales Wachstum
angestrebt, obwohl sich die Welt um die Schweiz herum stark wandelt (siehe Schweden,
Deutschland, England).
Wie sieht attraktives Wachstum aus?
«More of the same» kann nicht die Antwort sein. Die Strategie der meisten Kanzleien
gleicht einer Extrapolation, nicht ausgerichtet auf das, was in der Umwelt passiert oder
passieren könnte, sondern was bisher geschah.
Die Schweizer Anwaltskanzleien müssten sinnvollerweise weg vom Einzelkämpfertum zu
einem Geschäftsmodell, basierend auf einer von der gesamten Partnerschaft getragenen
­Strategie und Zusammenarbeit. Angenommen, die Schweizer Anwaltskanzleien würden
ihre eigene interne Aufstellung ändern, weg von der Individualität und Rivalität und hin
zu mehr Kollegialität und Teamgeist, so könnte sich dies sehr positiv auf die künftige
wirtschaftliche Entwicklung auswirken. Schweizer Anwaltskanzleien sind durchaus fähig,
die besten Universitätsabgänger zu rekrutieren. Man sollte nur den Mut fassen, diese junge
Elite auch «outside the box» denken zu lassen.
Eine überzeugende Geschäftsstrategie ist immer individuell, geprägt von der Ausgangs­
lage und den Ambitionen der Schlüsselpersonen.
Die Zeit ist reif, sich grundsätzliche Gedanken zur Strategie und zum
Geschäftsmodell der Wirtschaftskanzlei (-en) zu machen.
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Strategie-Impulse Legal Services 2020
Methodologie
Hauptquelle für unsere Thesen waren die Interviews mit den Schweizer Wirtschaftskanzleien im Januar 2013. Bei den Gesprächen benutzten wir einen einheitlichen Fragebogen
mit Fragen zur Marktentwicklung, Veränderungen auf Klientenseite, Wettbewerbsdynamik in der Schweiz und im Ausland, Internationalisierung sowie zu den internen Prozessen
und Herausforderungen.
Diese Aussagen sind wiedergegeben im ersten Teil des Papiers (Kapitel I).
Um diese Aussagen zu «testen» und womöglich herauszufordern, nutzten die Autoren
ihre persönlichen Erfahrungen aus der Dienstleistungsbranche. Als studierte Juristen mit
gemeinsam über 50 Jahren Erfahrung als Unternehmensberater in Strategie- und Organisationsfragen, auch in der Anwaltsbranche, war es unsere Ambition, eine qualifizierte
Aussensicht anzubieten.
Dabei nutzten wir auch die relevante Presse und Marktstudien sowie Erkenntnisse aus
früheren Interviews mit Anwaltskanzleien in der Schweiz, in Deutschland, Skandinavien
und England.
Die zweite Hälfte (Kapitel II-III) des Papiers basiert also auf einer Zusammenfassung von
unseren Beobachtungen und Analysen über Trends und Herausforderungen in der Branche
generell und spezifisch in der Schweiz.
Strategie-Impulse Legal Services 2020
I.
Die Schweizer Anwaltskanzleien
sind erfolgreich
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1. Schweizer Kanzleien für Schweizer Recht
Den führenden Schweizer Anwaltskanzleien geht es, trotz der noch nicht vollkommen
bewältigten Finanzkrise und der schwierigen Lage der Weltwirtschaft, gut. Sie geben sich
optimistisch, auch wenn sich das Geschäft mit den grossen Unternehmungen abgekühlt hat
(namentlich: M&A, IPOs). Sie erwarten, dass sich das Geschäftsklima relativ bald wieder
aufhellen wird. Es gab keine Entlassungen wie derzeit in Grossbritannien. Die Fusionen
innerhalb der Branche sind in der Schweiz im Vergleich zu den anderen westeuropäischen
Ländern bescheiden.
Das Wachstum in den letzten Jahren war gut – obwohl es sich merklich verlangsamte –
aber man geht davon aus, dass die Aussichten weiterhin positiv sind und sich lediglich die
Themen etwas ändern werden: Investoren aus Schwellenländern als potentielle Klienten
für Schweizer Kanzleien, die Restrukturierung des Geschäftsportfolios (Immobilien und
andere Assets kommen bei Banken und anderen Firmen auf den Markt); Themen rund um
Compliance, Vergütung, IPR usw. werden neue Möglichkeiten eröffnen.
Laut unseren Gesprächspartnern sind die Klienten mit den angebotenen Dienstleistungen
zufrieden bis sehr zufrieden und meistens bereit, für qualitativ hochstehende Leistungen
einen guten Preis zu bezahlen. Obwohl der Preisdruck weiter zunehmen wird, betrifft
dies überwiegend den Bereich der Standarddienstleistungen. Es wird generell kein starker
Preisdruck empfunden – als Erklärung wird genannt, dass die Honorare in der Schweiz
nie eine übertriebene Entwicklung hatten wie in den USA. In grösseren Mandaten (vor
allem im M&A-Bereich) ist es durchaus üblich, dass sich das Honorar am Gesamtvolumen der Transaktion orientiert. Die CEOs von Klienten interessiert es vermehrt, wer
diese Dienstleistungen erbringt und zu welchen Kosten. Aber eine Entwicklung Richtung
Central Purchasing von Anwaltsdienstleistungen erwartet man nicht – die Vergabe findet
weiterhin weitestgehend durch die General Counsels statt.
«Obwohl seit Jahren darüber gesprochen wird, dass die internationalen
Kanzleien sich vermehrt in der Schweiz niederlassen könnten, ist dies bis
heute nicht der Fall und es bleibt weiterhin unwahrscheinlich.1»
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Alle Zitate stammen aus den Interviews mit den Gesprächspartnern
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Dies hat mehrere Gründe:
• Erstens, die relativ kleine Grösse des schweizerischen Marktes. Trotz vieler Schweizer
Grosskonzerne und der Anwesenheit von grossen ausländischen Gesellschaften in der
Schweiz liegt der Inlandmarkt für Rechtsdienstleistungen wahrscheinlich nur bei 15%
des deutschen Marktes und ist etwa gleich gross wie der schwedische Markt.
• Zweitens, eine ausländische Kanzlei fährt in der Schweiz viel besser mit einer
­«Referral-Best-Friends»-Politik als durch eine eigene Präsenz, welche die Kanzlei an
das eigene Netzwerk bindet und dadurch sowohl Klienten einengt als auch Empfehlungen anderer Kanzleien verhindert: Entscheidend ist die beste Dienstleistung für die
Kunden.
• Drittens ist die Gewinnung der besten Anwälte in der Schweiz mit sehr hohen Einstiegskosten verbunden.
Trotzdem sind die führenden internationalen Kanzleien, inklusive der Magic Circle,
schon längst da, wenn auch nicht mit physischer Präsenz. Sie unterstützen die Schweizer
Grosskonzerne bei grossen Transaktionen und sind für global tätige Klienten kontinuierlich t­ätig. Dies entspricht der Situation in anderen Märkten. In Holland wurden die fünf
grössten Transaktionen ausnahmslos von internationalen Grosskanzleien führend betreut,
in Deutschland und Spanien waren es immerhin 80%.
Auch in der Schweiz werden die lokalen Kanzleien als Spezialisten für Schweizer Recht
beigezogen, auch wenn die persönlichen Kontakte zur Zentrale nach wie vor eine grosse
Rolle spielen. Laut unseren Gesprächspartnern fahren die internationalen Kanzleien mit
ihren Schweizer Kooperationskanzleien gut, solange sie die besten engagieren können.
Bei grösseren Transaktionen kommen auch mittlere lokale Kanzleien zum Zug, z.B. wegen
Interessenskonflikten und bei Unternehmensauktionen.
Einziger Nachteil für die Schweizer Kanzleien sei es, dass sie manchmal in der Rolle des
Co-Anwalts einen gewissen Preisdruck seitens des Lead-Anwalts spüren, verlautet aus
mehreren Schweizer Kanzleien.
Eine starke Konsolidierung unter den Kanzleien wird nicht erwartet. Wenn sie kommt,
dann eher im mittleren Segment, wo schon einige Fusionen stattgefunden haben.
Alles in allem ist die Situation gut und die Stimmung optimistisch: Keine
gravierende Umwälzungen in Sicht.
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2. Was Wirtschaftsanwälte beschäftigt
Die Klienten sind über die Jahre erfahrener geworden. Der Zugang zu Information
und Wissen ist enorm gewachsen, mit der Folge, dass die Klienten viele Aufgaben selbst
erledigen oder anderweitig vergeben können. Dies führt zu einer Neueinschätzung von
Teilen der Wertschöpfungskette der Anwaltskanzleien mit darauffolgendem Preisdruck
oder gar Auslagerung gewisser Funktionen (Klientenorganisation, «Paralegals» usw.). Die
Ausschreibungen von nichtkritischen Bereichen werden zunehmen. In diesen Bereichen
wird wenig oder im schlimmsten Fall kein Geld verdient, es sei denn man ist extrem effizient organisiert.
Die international ausgerichteten Schweizer Klienten haben ein Netzwerk von globalen, regionalen und lokalen Kontakten und können jeweils das beste Angebot auswählen.
Deswegen haben Schweizer Kanzleien keinen besonderen Vorteil dadurch, dass gewisse
Klienten ihren Konzernsitz in der Schweiz haben.
Die Klienten in den meisten Sektoren stehen unter konstantem Kostendruck, weshalb
das Preisbewusstsein mit Sicherheit zunehmen wird. Aber es gilt weiterhin:
«Die Preisrealisierung hängt von der Argumentation ab.»
Die grossen Transaktionen werden auch in Zukunft von in New York oder London
ansässigen Firmen durchgeführt werden, deshalb bleiben die «Best-Friends»-Netzwerke von sehr grosser Bedeutung. In der Schweiz haben britische Firmen diesbezüglich eine
Führungsrolle.
Eine Kanzlei muss eine starke Marke haben, exzellente internationale Beziehungen
haben und pflegen, um die besten Absolventen aus den besten Universitäten anziehen zu
können. Zudem muss sie die modernen HR-Plattformen nutzen.
Die Kanzleien spüren einen Druck Richtung Spezialisierung, getrieben durch einen
Regulierungs- und Legiferierungsschub in vielen Ländern. In den vergangenen Jahren
standen echte oder hochgespielte Skandale am Anfang für zahlreiche Gesetzeswerke und
Regularien. Eine kleine Auswahl von Stichworten wäre hier: Komplizierte Finanzprodukte, Corporate Governance, Compliance-Fragen aller Art, die Offenlegung von Management-Vergütungen und so weiter. Anwaltskanzleien müssen Spezialwissen anbieten und
entsprechende Investitionen tätigen können. Laut unseren Interviewpartnern kann der Weg
der Spezialisierung jedoch riskant sein: Manche Themen kommen und gehen schnell. Aber
dieses Risiko muss man in Kauf nehmen – und gleichzeitig eine Überspezialisierung vermeiden.
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Akquisition und Gewinnung von Klienten und Mandaten ist bei Anwaltskanzleien
eine besondere Wissenschaft. Anders als z.B. bei den Unternehmensberatern scheint das
Anwaltsgeschäft weder planbar noch kontinuierlich zu sein; vieles wird durch externe
Faktoren beeinflusst, während bei Beratung die Aufträge durch Managemententscheidungen ausgelöst werden.
«Die Vorstellung, dass man einem Klienten jährlich 5 Millionen Franken
verrechnen kann, ist illusorisch.»
Bei den meisten grossen Kanzleien ist die Mandantenpflege institutionalisiert. Die
Akquisition und Pflege von Kunden basiert auf persönlichen Kontakten, wobei man sich
bisweilen wünscht, Arbeit und Freizeit zu trennen. Die Klienten verhalten sich trotzdem
sehr unterschiedlich: «Wir rufen schon an, wenn wir etwas brauchen.» vs. «Klingt schon
interessant, ich höre gerne mehr dazu.»
Cross-selling über die Praxisgrenzen hinaus wäre wünschenswert, wobei sich der einzelne Anwalt oft schwer damit tut. Die Idee, dass die Klienten der Firma gehören und nicht
dem einzelnen Anwalt, ist bei den wenigsten Kanzleien selbstverständlich, im Gegensatz
zu den führenden Unternehmensberatungen. «Es gibt Wände hier und da». Die Eigeninteressen sind im Vergleich zu den strategischen Zielen der Kanzlei noch extrem stark.
Der Bedarf für Knowhow-Bündelung hat enorm zugenommen. «Einerseits ist es notwendig, schnell zu relevanten Informationen zu gelangen und einen Wissenspool zu generieren, Erfahrungsbasis zu erlangen und andererseits verlässt jedes Jahr viel Erfahrung
die Firma» – weshalb es sehr wichtig ist, das Knowhow der Mitarbeiter zu erfassen. Zum
Vergleich: 2002 war Knowledge Management noch ein Auszeichnungsmerkmal für die
Elite der Advokaten, heute ist diese Tätigkeit eine Selbstverständlichkeit.
Die aktive Personalentwicklung geniesst bei den führenden Kanzleien einen hohen
Stellenwert. Viele Kanzleien haben einen systematischen «Career Development Process»
mit regulärem Feedback und Assessment, Mentoring etc., jedoch basiert noch zu viel auf
Eigeninitiative. «Wer es bis 35-40 nicht schafft, schafft es auch mit 55 nicht», brachte dies
ein Interviewpartner auf den Punkt:
«Die grösste Herausforderung ist es, die besten Talente zu bekommen,
sie zu halten und 10% unter ihnen zu Partnern zu befördern.»
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Die Leverage ist bei den Schweizer Kanzleien im internationalen Vergleich tief. Dabei
sind sich die in der Schweiz führenden Kanzleien erstaunlich ähnlich. Die Kanzleien stellen sich die berechtigte Frage, wie viel Leverage man sich leisten kann, ohne die höchste
Qualität zu beeinträchtigen. Delegiert werden nur Aufgaben, wenn das Umfeld reif ist
oder wenn es um Routinearbeiten geht, d.h. wenn die Qualitätsansprüche normal und das
Geschäft regional sind. Entsprechend grösser kann in diesem Fall das Verhältnis Partner
zu jüngeren Anwälten sein. Ausnahmen gibt es: Wenn es entscheidend ist, schnell viel
­Kapazität mobilisieren zu können, wie bei grösseren Transaktionen, die eilig sind. Sonst
aber gilt die Regel, dass eine breite Pyramide das Risiko in sich birgt, aggressiv neue
­Bereiche und Mandate gewinnen zu müssen und damit bei den Honorarsätzen nach unten
zu gleiten.
Das gängige Honorarmodell wird in der Branche nicht hinterfragt. Man ist sich einig,
dass Zeitverrechnung sowohl für die Klienten als auch für die Kanzlei die beste Lösung
sei. Natürlich wäre «value billing» attraktiv, aber das Geschäft der Anwälte ist schlechter
planbar als das der Berater und viel stärker durch externe Einflüsse beeinflusst.
«Finanziell ist Zeitverrechnung die effizienteste Lösung.»
Auf der Erlös- und Kostenseite ringt man oft mit Kostenfragen wie: Wer darf welche
Kosten verursachen? Wie müssen Leistungen bewertet werden? Wie kann man die Akzeptanz für die Aufbaukosten neuer Standorte und Aktivitäten bei der Partner-Gruppe erreichen? Wie werden Interessenskonflikte und Compliance-Prüfungen behandelt? Wer trägt
die Kosten für strategische Investitionen? Gibt es einen Prozess, bei dem diese diskutiert
werden, so dass danach koordiniert darüber entschieden werden kann?
Last but not least: Wachstum. Der Markt wächst moderat. Es herrscht Einigkeit, dass
ein «gewisses» (gesundes) Wachstum notwendig sei, um attraktiv und vital zu bleiben und
um für die «Jüngeren» Platz zu schaffen. «Ohne Wachstum keine guten Leute», lautet eine
allgemein akzeptierte Devise. Aber Wachstum an sich wird kaum als «Strategie» gesehen, sondern als ein Mittel zum Zweck. Als Wachstumspfade sieht man die Nachfrage der
­Klienten, die noch umfassender bedient werden können.
«Es gibt immer noch ein paar wesentliche Themen, die wir noch nicht
abdecken.»
Wachstum wird vor allem durch Diversifikation und Portfolioausweitung gewonnen, ganz
nach dem Motto «wenn der Transaktionsmarkt schwächer geworden ist und wenn er so
bleibt, ist eine gewisse Diversifikation und ein Portfolioausgleich sinnvoll».
Je besser unsere Juristen sind, desto besser ist auch die Kanzlei.
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3. Wieso sich die Welt nicht verändern wird
Die Interviews mit den führenden Schweizer Kanzleien zeigen einen klaren Konsens innerhalb der Branche zu den folgenden Annahmen und Überzeugungen:
• Die wichtigen Positionen innerhalb der Branche sind verteilt und besetzt
• Wachstum an sich ist eine Notwendigkeit, aber keine Strategie an sich
• Die Geschäftsmodelle der Kanzleien haben sich bewährt und werden sich kaum ändern
• Internationalisierung ist ein Thema für die internationalen Kanzleien, nicht aber für die
Schweizer Anwaltsbüros
• Als Dienstleister unserer Klienten lösen wir die aufkommenden Probleme und «hausieren» nicht ungefragt mit neuen Lösungen und Ideen
• Der fachlich brillante und gesellschaftlich/wirtschaftlich vernetzte Anwalt/Jurist macht
den Unterschied
• Der Markt bleibt weiterhin weitestgehend schweizerisch
• Eine Top-down-Strategie kann man in den Kanzleien nicht durchsetzen.
Schweizer Kanzleien für Schweizer Recht
Der Erfolg der vergangenen Jahre hat der herrschenden Meinung bisher Recht gegeben.
Wir glauben aber, dass man sich fundamentale Gedanken über die sich verändernde Anwaltslandschaft machen sollte und dabei den gesamten Markt für Legal Services und nicht
nur den traditionellen betrachten muss.
Im zweiten Teil dieser Schrift werden wir unsere Gründe und Überzeugungen dazu ausführen.
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II.
Zukunft = Gegenwart =
Vergangenheit?
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4. Wieso die Welt sich doch ändern könnte
In den letzten 15 bis 20 Jahren entwickelte und veränderte sich die Dienstleistungsbranche
sehr stark. So hat innerhalb der Unternehmensberatung und Wirtschaftsprüfung eine Globalisierung stattgefunden.
Die führenden Firmen agieren – mehr oder minder – als Global Brands mit einheitlichen
­Systemen, Prozessen, Strategien, Kodizes und Koordination der Aktivitäten und Ressourcen. Insbesondere die führenden Strategieberater (McKinsey, Boston Consulting Group,
Bain) zeichnet aus, dass sie eine globale Strategie mit globalen Klienten und Marktzielen
haben, die je nach Bedarf angepasst werden und nach homogenen operationalen Prinzipien
geführt werden.
Ausserdem hat man schon früh massiv in Organisationsentwicklung (Knowledge Management, Career Development, Practice Groups, etc.) investiert. So erreichten diese Firmen
eine bevorzugte Position, in der sie von den global führenden Gesellschaften für die «high
value» Beratung exklusiv angefragt werden und die anderen Berater oft nicht einmal mehr
eine Offerte einreichen können. Es ist ihnen ausserdem gelungen, ihr Tätigkeitsfeld immer
wieder zu erweitern und sich dadurch von den Marktschwankungen abzukoppeln.
In der Unternehmensberatung gibt es weltweit Tausende von Anbietern und zusätzlich
Hunderte pro Land, aber die Marktführer binden einen weit überproportionalen Anteil der
solventesten Kunden an sich. Bezeichnendes Merkmal dieser Marktführer ist es, dass der
Klient der Firma gehört, nicht dem Einzelnen.
Die führenden internationalen Anwaltskanzleien haben einige dieser Elemente eingeführt,
aber die meisten scheinen immer noch mit den folgenden, fundamentalen Problemen zu
kämpfen:
• Einzelkämpfer und «Rainmakers» werden als Helden gefeiert, statt dass erfolgreiche
Zusammenarbeit gefordert, gefördert und honoriert wird.
• Die Jurisprudenz selbst wird letztlich als eine Expertise, nicht als eine Dienstleistung
angesehen.
• Teams funktionieren nicht richtig, es gibt sehr viele Hürden und Mauern.
• Die Firmenstrategie wird als «Zwangsjacke» angesehen und deswegen von den einzelnen Partnern nicht akzeptiert.
Ist dieses auch der Fall in der Schweiz? Nach allem, was wir gehört haben, ist dies mindestens teilweise der Fall.
Wir sind überzeugt, dass die globalen Trends auch die schweizerischen Markt- und Wettbewerbsgesetze verändern werden.
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1. Der Markt wird weiterhin höchstens moderat wachsen. Das Wachstum verlagert
sich in neue Märkte – trotz kurzfristiger Schwankungen. Dies bedeutet, dass es eng
werden wird in nationalen Märkten wie der Schweiz. Der Preisdruck wird wachsen.
Wenn die Strategie nur darin besteht, Mitbewerbern Klienten und Mandate abzujagen,
was durchaus legitim ist, kann dies für die Profitabilität einer Kanzlei ruinös sein.
Grossbritannien ist diesbezüglich ein abschreckendens Beispiel mit zahlreichen Entlassungen von Anwälten in den letzten Monaten. Ehrlicherweise muss man aber sagen,
dass diese Flurbereinigung ohne die Finanzkrise kaum in dieser Schärfe gekommen
wäre.
2. Die Klienten erwarten internationale Präsenz. Kanzleien, die keine nennenswerte
internationale Präsenz haben, werden in internationalen Geschäften immer nur Zulieferer sein. Ausschliesslich die Magic-Circle-Firmen können es sich leisten, nur mit ein
paar Standorten präsent zu sein, weil sie die Schlüsselspieler in den grössten Deals
sind. Ungeachtet der Servicequalität der Magic-Circle-Kanzleien wächst aber bei den
Klienten ob deren hohen Honoraransätzen der Unmut.
3. Die Klienten werden selektiver. Die Klienten der Anwaltskanzleien professionalisieren und optimieren zusehends sämtliche Geschäftsbeziehungen, auch diejenigen zu
Management Consultants und Anwaltskanzleien. So reduzierte zum Beispiel Siemens
ihren Legal Advisor Panel in UK von sechs auf drei Firmen.
4. Die IBLFs (International Business Law Firms) wie DLA oder Bird & Bird werden in
nationalen Märkten expandieren, um lokales Know-How und Beziehungen mit b­ reiter
internationaler Präsenz zu kombinieren. Ihr Ziel sind nicht die grössten Transaktionen,
sondern das Routinegeschäft der nationalen Kanzleien. Bird & Bird hat gerade eine
Akquisition in Dänemark angekündigt. Damit sind sie nun fast überall in Skandinavien
vertreten. Dies ist insofern erstaunlich, als die skandinavischen Märkte weder sprachlich noch was das Rechtssystem betrifft, homogen sind. In Schweden – einem exportorientierten Land mit starker Währung, vielen international tätigen Grosskonzernen und
einer vergleichbaren Grösse zu der Schweiz, keinem Common Law – sind mittlerweile
zehn internationale Akteure aktiv.
5. Die Konsolidierung schreitet weiter voran in Europa. Am weitesten fortgeschritten
ist die Konsolidierung der Branche in Grossbritannien, wo alleine in den letzten zwei
Jahren 20 Fusionen stattfanden. Aber auch in Deutschland und Skandinavien sieht man
diesen Trend klar. In Skandinavien ist man dabei, «true pan-Nordic law firms» zu bilden (MAQS, Roschier, Hannes Snellman, usw.).
6. Die internationalen Grosskanzleien akquirieren kontinuierlich nicht nur in Grossbritannien, sie expandieren auch nach Deutschland mit eigenen Büros.
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7. Selbst Kanzleien aus kleineren Ländern wie Schweden, Dänemark, Finnland expandieren international – pan-Nordic, Baltikum, CEE, China, Brüssel, London, usw.
Sie nutzen dabei gewisse Plattformen und Knowhow geschickt aus: in Oil & Gas,
Shipping, Arbitration (Neutrality), Life Sciences, Technologie, Start-up-Kontakte.
8. Frühere mittelgrosse Kanzleien wie Noerr schaffen es, von Mittelstand-Klienten
nach oben Richtung DAX-Gesellschaften zu wachsen, ohne dabei das Geschäft mit
dem Mittelstand zu vernachlässigen und expandieren dabei gleichzeitig international
(CEE, Moskau, London) – mit entsprechendem Wachstum und offensichtlichem finanziellem Erfolg.
9. Wirtschaftskanzleien nutzen vermehrt modernes Managementwissen. In Grossbritannien haben kleinere Kanzleien (CHF 15-30 Mio. Umsatz) Erfolge gefeiert – mitten in der Rezession, d.h. zwischen 2008 und heute – durch Fokus (Medien, Öffentliche Verwaltung, Technologie), aber auch durch geänderte operationale Strukturen und
Prozesse: Einsatz von Technologie (sowohl intern als auch im Dialog mit Klienten),
dezentrales Arbeiten, was wesentlich kleinere Büros ermöglicht, flexible Honorarstrukturen, Rabatte für Routineaufgaben, Auslagern von nichtzentralen Funktionen,
flache Hierarchien, New Business Generation (Inkubation, Beratung für Start-ups,
­Industrielle Netzwerke usw.). Diese Firmen haben absolute «Blue Chip»-Klienten gewonnen, wachsen in einem extrem schwierigen Markt und ziehen die hoffnungsvollsten Kandidaten von grossen Kanzleien an. Die Managing Partners von Roschier und
Hannes Snellman in Helsinki haben eine neue gemeinsame Firma (Avance) gegründet
und sprechen über ihren Traum, eine Kanzlei «3.0» zu schaffen – was würde man
tun, wenn man eine Kanzlei von Grund auf aufbauen kann: sehr flache Hierarchien,
alle können an Equity partizipieren, keine Titel. Die Engländer geben langsam «Lockstep» auf und bei der Bewertung der Associates legen sie inzwischen viel mehr Wert
auf einen gesunden Geschäftsinstinkt, idealerweise mit Akquisitionstalent, zwischenmenschlichen Fähigkeiten und Kommunikationsfähigkeit. Dass man sein juristisches
Handwerk ebenfalls beherrschen muss, versteht sich von selbst. Schliesslich: Noerr hat
Cross-Practice Teams eingeführt, um effizienter Klienten bedienen zu können und die
«Wände» niederzureissen. Auslöser war ihre Restrukturierungs-Practice.
10.In fast allen westeuropäischen Ländern ist die Gewinnung und Einstellung von
Anwälten auf Partner-Niveau üblich. Dieses gilt für das gesamte Skandinavien,
Grossbritannien, Frankreich, die Benelux-Länder, Spanien, Italien und sogar Deutschland – und es ist unwahrscheinlich, dass sich dieser Trend abschwächen könnte.
11.Es gibt Anzeichen dafür, dass sich das «Best-Friends»-Prinzip langsam aufweicht
– auf jeden Fall sind die Beziehungen zwischen den befreundeten Anwaltskanzleien
untereinander längst nicht mehr so eng wie früher.
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Langfristig erfolgreiches unternehmerisches Wirtschaften und Handeln verlangt regelmäs­
sig eine objektive Umwelt- und Lageanalyse und bei relevanten Änderungen der Marktund Wettbewerbsgesetze auch eine Anpassung der Unternehmensstrategie.
Wir sind überzeugt, dass sich die Marktkräfte bereits wesentlich verändert haben.
Bleibt die Schweiz eine Insel?
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5. Strategie und Geschäftsmodell
Die Schweizer Anwaltskanzleien haben mit den meisten Kanzleien in Europa und wahrscheinlich auch in den USA gemeinsam, dass das Geschäft zu sehr als ein Kampf von
exzellenten Individuen gegen andere exzellente Individuen betrachtet wird und noch viel
zu wenig als ein Unternehmensgeschäft.
Die einzelnen Partner sind noch viel zu oft «alleine unterwegs», unabhängig von der gewählten Rechtsform und vom Bonusmodell. Was zählt, ist individuelle Leistung, g­ emessen
in verrechneten und akquirierten Stunden pro Jahr.
«Eine klare Wachstumsstrategie, die auch neue Geschäftsideen enthält,
ist in vielen Kanzleien nicht vorhanden,
oder sie wird nicht von allen massgeblichen Akteuren getragen.»
Zu oft bleibt die Frage, wie man die Erträge und notwendige Investitionen gerecht und mit
einer langfristigen Perspektive aufteilen sollte, unbeantwortet. Noch zu oft werden interne
Diskussionen über Einzelleistungen und die dafür adäquate Vergütung geführt – was zu
einer grossen Frustration bei den in der Akquisition weniger erfolgreichen und jüngeren
Partnern und Anwälten führt.
Selbst wenn die offiziellen Prinzipien und Prioritäten klar definiert sind, werden sie in der
Praxis selten konsequent eingefordert und umgesetzt.
Es könnte innerhalb einer Kanzlei hilfreich sein, den Betrieb gemeinsam aus der Geschäftsmodell-Perspektive zu betrachten und zu analysieren.
Geschäftsmodelle zeigen prinzipielle Möglichkeiten auf, wie Organisationen Wert schaffen und wie ihre massgeblichen Akteure daran angemessen partizipieren können.
Eine solche Betrachtung bietet die Chance, ein neues, gemeinsames Verständnis der
­Geschäftstätigkeit zu gewinnen und dabei intern und extern Wertschöpfungspotentiale zu
nutzen.
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Marktstrategie
Klienten-Auswahl
Service-Angebot
Honorar-Modell
Geschäftsmodell
Wertschöpfungskette
Kosten-Struktur
Organisation
Kanzlei-Modell
Deswegen braucht sinnvolles Wachstum sowohl eine konsistente Marktstrategie (welche
Klienten gewinnen wir mit welchem Angebot und wie lassen wir uns adäquat honorieren?)
als auch ein ganzheitliches Kanzleimodell, weg vom ausgeprägten Individualismus und
hin zu gemeinsamen Handeln.
Es braucht die Innovation, sei es in Produkten, Prozessen und Arbeitsweisen, Systemen,
Geschäftsmodell, in der Interaktion mit den Klienten oder in der Preissetzung, um ein paar
Bereiche zu nennen.
Eine erfolgreiche Strategie verlangt die Bereitschaft, alle Dimensionen
des Geschäftsmodells kritisch und innovativ zu hinterfragen.
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III.
Thesen und
Handlungsempfehlungen
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6. Strategische Herausforderungen
Nach diesen Betrachtungen stellen wir die vorherrschenden Glaubenssätze und Thesen in
Frage:
• Die Positionen innerhalb der Branche sind verteilt und besetzt: Stimmt nur, wenn man
die Tätigkeiten der internationalen Kanzleien und aller anderen Juristen ausklammert,
die in internen Rechtsabteilungen, Treuhandfirmen etc. arbeiten.
• Schweizer Kanzleien für Schweizer Recht: Stimmt, macht aber leider nur einen Teil der
gesamten Dienstleistungen aus.
• Wachstum an sich ist eine Notwendigkeit, aber keine Strategie an sich: Stimmt, aber
ohne Strategie ist profitables und nachhaltiges Wachstum schwierig.
• Die Geschäftsmodelle der Kanzleien haben sich bewährt und werden sich kaum ändern:
Stimmt nur beim ausschliesslichen Fokus auf die finanzielle Seite und verhindert Innovationen und Entwicklung.
• Internationalisierung ist ein Thema für die internationalen Kanzleien, nicht aber für
die Schweizer Anwaltsbüros: Dieser Ansatz reduziert die Schweizer Kanzleien auf die
Tätigkeit in der Schweiz und klassifiziert sie als reine Zulieferer in internationalen
Mandaten.
• Als Dienstleister unserer Klienten lösen wir die aufkommenden Probleme und «hausieren» nicht ungefragt mit neuen Lösungen und Ideen: Verhindert Planbarkeit und aktive
Geschäftsentwicklung.
• Der fachlich brillante und gesellschaftlich/wirtschaftlich vernetzte Anwalt/Jurist macht
den Unterschied: Der Brand und das Leistungsversprechen der gesamten Kanzlei werden so zu wenig genutzt.
• Eine Top-down-Strategie kann man in den Kanzleien nicht durchsetzen: Die Kanzleien,
die es schaffen, werden einen grossen Wettbewerbsvorteil erringen.
Weltweit und besonders in Europa zeichnet sich deshalb klar eine Entwicklung hin zur
strategischen Weiterentwicklung der Geschäftsmodelle in Kanzleien ab:
• Die Magic-Circle-Firmen fokussieren sich auf grosse Transaktionen, dies mit eingeschränkter physischer Präsenz an Zweit- und Drittstandorten.
• Die IBLFs bauen ihre Präsenz aus – in attraktiven Märkten, wo sie sich durch M&A
oder durch «lateral hires» schnell etablieren können – und konkurrieren nicht mit MC
über die grössten Transaktionen. Sie werden zunehmend Druck auf die «Local Champions» ausüben.
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• Die «national champions» – hier besteht international eine grosse Einigkeit – werden
ihre Positionen verteidigen können, wenn sie eine starke Marke und Zugang zum besten Talent haben. Sie stehen jedoch unter wachsendem Produktivitäts- und Konsolidierungsdruck. Grösse kann auch ein Nachteil sein: Grosskanzleien sind nicht unbedingt
die attraktivsten Zielgesellschaften für Fusionen.
• Kleinere Kanzleien werden sich vermehrt zusammenschliessen, falls sie komplementär
sind (Region, Fachgebiete, Klienten), und diejenigen, die eine Spezialisierung und/oder
exzellente Kontakte und Referenzen haben, werden auch profitabel bleiben.
• Darüber hinaus gibt es natürlich Einzelanwälte, deren Geschäftsmodell anders ist und
mehr auf persönlichen und oft sehr langfristigen Kontakten zu ausgewählten Klienten
basiert. Hier sind keine grossen Änderungen wahrscheinlich.
Für Dienstleistungen im obersten Qualitäts- und Preissegment gilt ein eisernes Gesetz: Ist
man ein Leader und profitabel, bekommt man die besten Mitarbeiter, die dazu beitragen,
dass man die attraktivsten Klienten akquirieren kann, was wiederum dazu führt, dass die
Honorierung gut bis sehr gut ist und die Marke gestärkt wird. All dies führt zu einem
­«virtuous circle» von Profitabilität, Wachstum und Unternehmenswert.
Highvalue
Klienten
Wachstum
& Profit
Top
Talente
Premium
Marke
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Strategie-Impulse Legal Services 2020
Vor allem für die nationalen Leader stellt sich die Frage, wie sie weiter wachsen sollen.
Verteilkämpfe in einem stagnierenden Markt sind normalerweise nicht die beste Lösung
(wenn man nicht in einem Geschäft ist, wo Skaleneffekte massgeblich sind).
Neue Bereiche zu besetzen: manche von den «neuen» sind eher kurzfristig und/oder opportunistisch, bzw. es gibt relativ wenige, die nicht schon bedient werden. Zudem gilt:
wenn alle Konkurrenten die gleiche Strategie verfolgen, kann das Ergebnis nicht für alle
befriedigend sein.
Die Leverage wird eine wichtige Frage bleiben, besonders im Hinblick auf Wachstum:
«low leverage» und eine erfolgreiche Position zu haben, verlangt, dass man ein führender
Brand ist («advisor of first choice») mit entsprechend hoher Profitabilität und Attraktivität auf dem Stellenmarkt. «High leverage» zwingt zur Suche immer neuer Klienten und
­Felder, was zu zunehmender Komplexität und vermutlich auch zu niedrigerer Profitabilität
führen wird.
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7. Handlungsempfehlungen
Ziel dieser Erörterung ist es, Ideen zu vermitteln, unsere Leser zu stimulieren, auch auf die
Gefahr hin, provozierend zu wirken.
Wo könnte Wachstum herkommen?
«Bisher nutzten die Schweizer Kanzleien höchstwahrscheinlich eine
­Quelle noch viel zu wenig: Die Schweiz ist als Marktplatz um Welten
internationaler als die Schweizer Kanzleien.»
Multinationale Gesellschaften und vor allem die internationalen Organisationen, die
­ihren Hauptsitz oder zumindest eine wichtige Niederlassung in der Schweiz haben: UNO,
UNESCO, WTO, WHO, ILO, FIFA, UEFA, um nur einige wenige zu nennen, könnten
eine wichtige Quelle für Klienten und Mandate werden. Kreativität und Originalität in der
Akquisition sind gefordert – vor allem aber der Wille, sich persönlich und als Team besser
zu verkaufen.
Die hauptsächlichen Handlungsoptionen für grosse oder mittelgrosse Kanzleien sehen unseres Erachtens wie folgt aus:
• Status Quo: Der Markt ändert sich nicht stark, deshalb soll die Effizienz gesteigert und
die Profitabilität aufrechterhalten werden. Hier stellt sich die Frage, ob dies genügt.
• Boutique: Straffer Fokus; gut rentierende Mandate und Klienten. Diese Alternative ist
gut für alle, die schon Boutiquen sind, aber problematisch für Neuanfänge in diesem
Segment. Die Hauptfrage hier ist: Ist der Markt gross genug – ohne Internationalisierung sind die Wachstumsgrenzen da?
• Moderates Wachstum: Nur so schnell wie der Markt wachsen, dafür aber ständig die
operationale Effizienz steigern und die bestehenden Klientenbeziehungen ausbauen
und vertiefen. Dazu sollten alle Möglichkeiten der Informatik professionell genutzt
werden, inklusive Customer Relationship Management (CRM).
• Aggressives Wachstum: Konsolidierung in der Schweiz und/oder internationale Expansion. In diesem Szenario stellt sich die Frage, ob es genügend oder überhaupt komplementäre Fusionspartner in der Schweiz gibt. Zudem ist die erfolgreiche Expansion ins
Ausland im Dienstleistungsbereich kein leichtes Unterfangen.
Diese Optionen sind – trotz Berührungspunkten – klar voneinander zu trennen.
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Wir denken, dass unter den führenden Schweizer Anwälten eine offene und kritische
­Diskussion über die eigene Organisation, ihre Kultur, den Markt, die Klienten und den
Wettbewerb wertvoll für die Zukunft wäre, und dass durchaus konkrete Massnahmen
­daraus erwachsen könnten.
5
Geschäftsmodell-Strategie
4
Management und Organisationsentwicklung
3
Expertise Knowledge Management
2
Kanzleiorganisation
1
Juristisches Fachwissen
Die ersten drei «Stufen» sind eigentlich selbstverständliche Voraussetzungen für einen
Geschäftserfolg und werden keiner Kanzlei erlauben, sich in Zukunft wirklich im Wett­
bewerb zu differenzieren. Der künftige Hebel des Wachstums und der aufrechterhaltene
oder gesteigerte Profit pro Partner sind auf der Spitze der Pyramide.
Wir empfehlen, dass jede Partnergruppe sich ein Verständnis darüber verschafft, wo man
selbst auf dieser Pyramide steht – vor allem im Vergleich zu den besten Wettbewerbern,
aber auch im Vergleich zu den Leadern im Dienstleistungssektor.
• Was ist Ihre Differenzierung, speziell unter den Wirtschaftskanzleien?
• Welchen Wert erbringen Sie für den Klienten konkret? Sieht der Klient dies genauso?
• Welche Geschäftsmodelle sind erfolgreich?
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• Wie gut positioniert im Vergleich zu den anderen Kanzleien sind Sie?
• Wie sollte sich die Kanzlei entwickeln und wo ist das Wachstumspotential? Welche
Rolle sollten internationale Aktivitäten haben und warum?
• Welche Elemente Ihrer Firmenkultur werden die wichtigsten für den künftigen Erfolg
sein? Welche sind zu ändern, um Ihre Ziele zu erreichen?
• Wie stellen Sie sicher, dass man das beste Talent bekommt, kontinuierlich ausbildet
und behält?
• Wie kann man Innovation in der Kanzlei noch beschleunigen?
Unseres Erachtens ist die obige Aufstellung eine Minimumliste um sicher sein zu können,
dass man eine feste Grundlage für eine erfolgreiche Strategie hat.
Die Zeit ist reif, sich grundsätzliche Gedanken zur Strategie und zum
Geschäftsmodell der Wirtschaftskanzlei zu machen.
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8. Grundstrategien
Welche Strategie für Sie und Ihre Partner die richtige ist, gilt es individuell zu bestimmen.
Sie hängt aber wesentlich davon ab, wie Sie die zukünftige Marktdynamik einschätzen und
welche Wachstumsambitionen Sie hegen.
gross
Aktuelle
Leader
Zukünftige
Leader
klein
Wachstums-Ambition
ERWARTETE MARKTDYNAMIK
Bewahrer
Status Quo
Konsolidierer
klein
gross
Vielleicht helfen Ihnen die folgenden Fragen, die Grundstrategie herauszuarbeiten.
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Welche Grundstrategie kommt für uns in Frage?
Wie dynamisch schätzen Sie den Schweizer Markt für Legal Services ein?
• Wie stark wird der Markt wachsen?
• Wie schnell findet die Branchenrestrukturierung statt?
• Wie stark ändern sich die Erwartungen, Anforderungen und Ansprechspartner der
Klienten?
• Was bedeutet eine geringe bzw. grosse Marktdynamik für Ihre Kanzlei?
Wie gross sind Ihre Wachstumsambitionen?
• Wie stark wollen und können Sie wachsen?
• Kann eine ansprechende Profitabilität aufrechterhalten werden ohne moderates Wachstum?
• Welche Rolle finden Sie realistisch und attraktiv für Sie?
• Welches ist das Ziel Ihres Unternehmens für 2015? Für 2020?
Nachdem Sie Ihre Grundstrategie gewählt haben
Bestimmen Sie die kritischen Erfolgsfaktoren Ihrer gewählten Grundstrategie. Sie sind
abhängig von der Ausgangslage und der erwarteten Marktentwicklung und Ambition.
Erfolgskriterien und Herausforderungen für «Bewahrer»
• Fähigkeit, die besten Mandate zu verteidigen und wirtschaftlich erfolgreich zu betreuen
• Weiterhin attraktive Wahrnehmung bei Klienten und Geschäftspartnern
• Stärke, sich bei einem intensiveren nationalen/regionalen Wettbewerb zu behaupten
• Ständige Verbesserung Ihrer Geschäftsprozesse und -modelle
Erfolgskriterien und Herausforderungen für «aktueller Leader»
• Fähigkeit, in einem langsam wachsenden/stabilen Markt profitabel und attraktiv zu
bleiben und die Position und Profitstruktur zu halten
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• Verwirklichen der Wachstumsambition ohne Marktanteilsgewinne, ohne Preiserosion
und Effizienzsteigerung
• Wie können Sie internationale Möglichkeiten besser ausnutzen, um schneller (und profitabel) zu wachsen?
• Kennen und Nutzen der Bereiche für Innovationen und Wachstum für Sie (Practice
Innovation, Geschäftsmodelle)?
Erfolgskriterien und Herausforderungen für «Konsolidierer»
• Identifikation und Adressieren der lohnenden Regionen und Bereiche für eine Konsolidierung?
• Welche Erfolgshebel stehen Ihnen zur Verfügung?
• Welche davon können Sie nutzen: einander ergänzende Kundensegmente, Fachgebiete/Expertisen, Regionen, Kostenreduktionspotential, Marktanteilswachstum, grössere
Scale?
• Haben Sie die Fähigkeiten für eine Integration anderer Kanzleien (Managementressourcen, Systeme/Prozesse, kulturelle/motivationelle)?
Erfolgskriterien und Herausforderungen für «zukünftiger Leader»
• Welches sind die tragenden Säulen des künftigen Wachstums für Sie in einem sich
rasch verändernden Umfeld?
• Wird die hohe Marktdynamik für Sie weiterhin nur Aktivitäten in der Schweiz veranlassen? Welche Rolle wird die Internationalisierung spielen? Haben Sie Ressourcen
dafür? Könnte/sollte man die Ressourcen aktiver von aussen akquirieren?
• Was wäre eine mögliche Plattform (Kundenbasis, gewisse Practices, Schweizer Organisationen usw.) einer Internationalisierung für Sie?
• Wie würde man eine erhöhte Komplexität eines schnellen Wachstums bewältigen? Welche Prozesse/Ressourcen/ Systeme müsste man verstärken?
Nachhaltig erfolgreiche Strategien basieren auf klugen Fragen, einem
klaren Blick auf die Herausforderungen und adäquaten Taten.
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Anhang
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Gesprächspartner
Dr. Felix Egli, Partner, Vischer AG
Dr. Dieter Gericke, Partner, Homburger AG
Dr. Urs Landolf, Partner, PwC Schweiz
Dr. Daniel Lehmann, Partner, Bär & Karrer AG
Dr. Niklaus Müller, Partner, Hartmann Müller Partner
Dr. Stefan Rechsteiner, Partner, Vischer AG
PD Dr. Urs Schenker, Managing Partner, Baker & McKenzie
Literaturangaben
David Maister, Are Law Firms Manageable? The American Lawyer, April 2006
H4 Partners, Law Firm Strategies: Global, Regional and Local, IBA Northern European Conference, September 2009
NZZ Folio 04/12 - Thema: Anwälte
The Lawyer, The European 100, 2012, ISSN 0953-7902
www.thelawyer.com, 2012-2013
Redaktionelle Beratung
Werner Vogt Communications AG
Druck und Layout
Küng Druck AG, Näfels
ISBN 978-3-033-04035-9