Predigt zu Psalm 88

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Predigt zu Psalm 88
Predigt zu Psalm 88
„Ich kann nicht mehr!“
Ich liebe Fußball. Obwohl ich es schon als Kind nicht sonderlich gut konnte, war ich jede
freie Minute auf dem Bolzplatz. Leider war das nicht ganz legal, wenn der Platzwart kam,
mussten wir unsere Beine in die Hand nehmen.
So auch an einem warmen Sommertag. Also mussten wir auf unseren Alternativplatz
ausweichen, einen etwas besseren Kartoffelacker im Nachbarort. 2 Kilometer entfernt, aber
mit unseren Fahrrädern kein Problem, wo es doch nur bergab ging.
Nach über 2 Stunden Kicken in der prallen Sonne, wir hatten natürlich nichts zum Trinken
dabei, machten wir uns auf den Heimweg. Ich war so kaputt wie fast noch nie in meinem
Leben. Und der Berg, den wir eben noch herabgesaust waren, musste jetzt wieder erklommen
werden. Und auf der Hälfte der Strecke war alles vorbei: Meine Zunge klebte am Gaumen,
meine Beine verweigerten ihren Dienst, und mir wurde richtig schwummerig. Zwei Gedanken
schossen mir immer wieder durch den Kopf: WASSER! Und: Ich kann nicht mehr. Ich kann
einfach nicht mehr!
Unsere Hebamme erzählte eine witzige Geschichte. Sie betreute eine Frau, bei der sich die
Geburt ziemlich lange hinzog. Auf einmal stand sie auf, und fing an, ihre Tasche zu packen.
die Hebamme und der Ehemann schauten etwas verdutzt und fragten, was das denn solle.
Darauf kam die Antwort: „Ich gehe jetzt! Ich habe keine Lust mehr. Macht das doch alleine.
Ohne mich. Ich kann nicht mehr!“ Sprach’s, nahm die Tasche, knallte die Tür zu und ging.
Der Ehemann schaute leicht verstört, die Hebamme amüsierte sich köstlich – und die Frau
kam 5 Minuten später stinksauer zurück – und brachte 30 Minuten später ein gesundes Kind
auf die Welt. Auch wenn es nicht gestimmt hat, die Frau war davon überzeugt, am Ende ihrer
Kräfte zu sein. Ich kann nicht mehr!
Ich denke, jeder hier hat diesen Satz schon mal gesagt oder gedacht. Ich kann nicht mehr! Sei
es kurz vor einer wichtigen Prüfung, wenn man vor lauter Zahlen und Lernstoff nicht mehr
weiß, wo einem der Kopf steht, wenn der Druck und die Anspannung zu viel zu werden droht.
Oder gegen Ende einer anstrengenden Arbeitsschicht, hier am Bau, nach dem xten Streit in
der Familie. Ich kann nicht mehr!
Vielleicht ist dieser Satz aber auch Ausdruck von einer viel tieferen Kraftlosigkeit. Da quälen
sich schon seit Wochen, Monaten, vielleicht seit Jahren Schmerzen – und es hört nicht auf!
Und irgendwann hast du das Gefühl, es geht einfach nicht mehr. Ich kann nicht mehr! Oder
du fühlst dich in einem ganz schwarzen, tiefem Loch. Alles bedrückt dich, und du kommst
nicht mehr heraus. Alles scheint, fad, sinnlos und leer zu sein. So kann und will man doch
nicht leben. Ich kann nicht mehr. Und in alledem scheint es keinen Ausweg zu geben. Keine
Linderung. Niemanden, der hilft.
Und wie sehr würde es sich jetzt anbieten zu sagen: „Wenn du nicht mehr kannst, dann komm
zu Gott und lass dir helfen. Bei ihm gibt es alles was du brauchst, denn das steht heute in
unserem Predigttext!“ Aber so leicht macht es uns die Bibel heute nicht. In Fragen der
Erschöpfung und der Verzweiflung gibt uns unser Text heute eine echte Nuss zu knacken.
Zu allen Zeiten der Weltgeschichte gab es solche Grenzerfahrungen. Und immer wieder
wurden sie literarisch, künstlerisch verarbeitet.
Und so ein Fall ist auch Psalm 88. der Autor verarbeitet hier eine Erfahrung tiefster
Verzweiflung in einem Lied. Ich lese es euch jetzt mal vor. Hier kommt Psalm 88:
1 Ein Gedicht des Esrachiters Heman, aus der Sammlung der Korachiter, zu singen nach
schwermütiger Weise.
2 Herr, mein Gott und Retter, Tag und Nacht schreie ich zu dir!
3 Lass mein Gebet zu dir dringen, höre meinen Hilferuf!
4 Ich habe mehr als genug gelitten, mit einem Fuß stehe ich schon im Grab.
5 Alle meinen, mit mir sei es aus; die Kräfte schwinden mir, ich kann nicht mehr.
6 Man hat mich aufgegeben wie einen Toten; mir geht es wie den Erschlagenen, die man ins
Massengrab geworfen hat - du sorgst nicht mehr für sie, deine Hilfe erreicht sie nicht mehr.
7 In den tiefsten Abgrund hast du mich gestürzt, wo ewige Dunkelheit mich einschließt.
8 Dein Zorn drückt mich zu Boden, in schweren Wogen rollt er über mich hin.
9 Meine Freunde hast du mir entfremdet, sie wenden sich voll Abscheu von mir ab. Ich bin im
Elend gefangen und finde keinen Ausweg;
10 vor Schmerzen wird mir schwarz vor Augen. Tag für Tag schreie ich zu dir, Herr, und
strecke meine Hände zu dir aus!
11 Tust du auch für Tote noch Wunder? Stehen die Schatten auf, um dich zu preisen?
12 Erzählt man im Grab von deiner Güte, in der Totenwelt von deiner Treue?
13 Weiß man dort in der Finsternis noch, welche Wunder du tust für dein Volk? Denkt bei
den Vergessenen noch jemand daran, wie treu du deine Zusagen einlöst?
14 Ich aber schreie zu dir, Herr; jeden Morgen bestürme ich dich mit Bitten.
15 Warum hast du mich verstoßen, Herr? Warum verbirgst du dich vor mir?
16 Solange ich denken kann, bin ich gequält und dem Tode nah. Du erschreckst mich mit
immer neuen Plagen, sodass ich fast an dir irrewerde.
17 Dein Zorn ist über mich gekommen wie ein Feuersturm, deine furchtbaren Angriffe
zerschlagen mich.
18 Sie bedrohen mich von allen Seiten, täglich dringen sie auf mich ein wie tödliche Fluten.
19 Freunde und Nachbarn hast du mir entfremdet; mein einziger Begleiter ist die Finsternis.
Ein ziemlich düsterer Psalm. Er schildert wie ich finde sehr eindrücklich, wie verzweifelt man
sich fühlen kann, auch als Mann Gottes. Und er tut dies auf eine typisch hebräische Art und
Weise – immer schön kreisend, die Gedanken meditierend, wiederholend. Und dabei tut er
etwas, das nicht leicht auszuhalten ist: Er zeigt keinen Ausweg. Kein Licht am Ende des
Dunkels. Und er tut etwas, das für mich noch schwerer auszuhalten ist. Darum soll es im 1.
Punkt gehen:
1. Der Urheber des Leides: Gott
Wenn man den Text so liest, wartet er, zumindest für mich, mit einem kleinen Schock auf.
Denn was würde man bei so einem Thema erwarten?
Der Leidende kommt mit seinen Sorgen und Nöten zu Gott, schüttet ihm sein Herz aus, wirft
alle seine Not auf den Herrn, und am Ende wird ihm geholfen. So wie sich das gehört. Und
der Herr Prediger kann eine schöne aufbauende und mutmachende Predigt darüber halten –
wunderbar!
Aber den Gefallen tut unser Text uns nicht. Denn er löst die Frage nach dem Leid nicht auf.
Er zeigt uns keinen Ausweg. Er bleibt in seiner Hoffnungslosigkeit, in seiner Angst. Da ist
keine Hilfe zu sehen, keine Rettung zu erwarten. Hier wird uns keine geklärte Situation
geschildert, sondern der Beter steckt noch mitten im Schlamassel. Nicht das, was ich mir
wünschen würde!
Aber es kommt noch härter. Denn wenigstens eine Sache ist für den Psalmisten klar: Die
Frage, woher das Leid kommt. Es kommt von Gott. Ganz klar, der Urheber des Leides hier ist
Gott selbst. Ich lese die Verse 7, 8 und 15 noch mal vor: „In den tiefsten Abgrund hast du
mich gestürzt, wo ewige Dunkelheit mich einschließt. Dein Zorn drückt mich zu Boden, in
schweren Wogen rollt er über mich hin. Warum hast du mich verstoßen, Herr? Warum
verbirgst du dich vor mir?“
Das sind in meinen Augen äußerst unangenehme Verse. Das ist eine Sache, die man nicht
gerne verkündigt, aber die man auch nicht gerne hört. Und trotzdem gilt es, hier steht es: Gott
ist, zumindest in diesem Falle, der Urheber und Verursacher des Leides!
Diesem Fakt kann man natürlich auch was Positives abringen. Denn es zeigt mir, dass Gott
die Kontrolle hat. Wenn es mir schlecht geht ist das kein Zufall, nicht das Werk des
übermächtigen Teufels, nicht darin begründet, dass Gott schläft, machtlos oder gar lustlos ist,
was dagegen zu unternehmen. Wenn Gott auch für das Leid in meinem Leben verantwortlich
zeichnet, dann kann ich wissen, dass er wirklich der Herr meines Lebens ist, wirklich der Herr
der Lage ist, dass er wirklich die Fäden in der Hand hält.
Aber, bei allem, was man sich da schön reden kann, und das, was ich gesagt habe ist ja
richtig, aber, es bleibt: Die Frage nach dem Warum Gott das zu lässt, wieso er seinen Kindern
so etwas zumutet, die bleibt offen. Sie bleibt unbeantwortet. das Happy End, die Erklärung für
das Leid, sie bleibt uns vorenthalten. Der Psalmist hier steckt in dieser Spannung. er hat
großes Leid erfahren, er hat erkannt, dass es Gott war, der es verursacht hat. Und er hält diese
Spannung aus. Und dieses Aushalten wird auch uns zugemutet. So gern ich das hier in dieser
Predigt auflösen würde, ich kann es nicht. Und ich werde es auch nicht tun, denn der Text tut
es auch nicht.
Das ist eine Lektion, die wir hier lernen müssen. Leid in unserem Leben kann einen Sinn
haben, manchmal entdecken wir ihn im Nachhinein. Für mich war es anfänglich Leid, hier
nach Freiberg geschickt zu werden, in eine Stelle, die in meinen Augen nicht zu meinem
Gabenprofil passt. Dieses Leid hat sich schnell als großer Segen herausgestellt. So mancher
Missionar hat während seiner Vorbereitungen und auch während seines Dienstes großes Leid
erlitten, bis hin zum Tod – und im Nachhinein hat es sich als Segen für eine ganze
Volksgruppe herausgestellt. Das kann sein!
Aber es muss es nicht. Das lehrt uns dieser Psalm. Manchmal können wir keinen Sinn in
unserem Leid, in unserer Krankheit, in unserem Befinden entdecken – weder währenddessen,
noch hinterher. Manchmal bleibt dieses große Fragezeichen, dieses große Warum stehen. Und
wird vielleicht von diesem Text noch verstärkt. Warum, Gott, hast du mir das geschickt?
Im Psalm wird das ganz deutlich: Das Leid kommt von Gott. Er hat das Recht dazu, es uns
nicht mitzuteilen, warum und wozu.
Die meisten hier werden das Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ von Dietrich
Bonhoeffer kennen. In der dritten Strophe heißt es dort: „Und reichst du uns den schweren
Kelch den Bittren, des Leids gefüllt bis an den höchsten Rand. So nehmen wir ihn dankbar
ohne Zittern, aus deiner treuen und geliebten Hand.“ Mit diesem Psalm kombiniert werden
diese Zeilen noch einmal neu brisant. Kann und will ich das? Kann und will ich auch zu dem
Ja sagen, was Gott mir an Schwerem im Leben zumutet? Ich möchte uns hier herausfordern,
darüber neu ins Nachdenken zu kommen!
2. Zu Ihm
Schwierig macht diese ganze Thematik ja auch, dass wir Leid nicht in der Hand haben. Wir
können es oft nicht verhindern, auch ändern kann man so manches Mal nichts an der
Situation. Wir sind auch nicht in der Lage, Gott zu einer Antwort zu zwingen. Wie also gehen
wir mit dieser Zwickmühle um? Schauen wir mal, was der Psalmist tut.
Er ist in derselben Lage, in der auch wir uns befinden können: Geplagt von Not und Sorgen,
sieht er den Verursacher in Gott. Und wie reagiert er? Er schreit zu Gott, er wendet sich ihm
zu. Ich lese die Verse 2, 3 und 10 noch einmal vor: „Herr, mein Gott und Retter, Tag und
Nacht schreie ich zu dir! Lass mein Gebet zu dir dringen, höre meinen Hilferuf! Tag für Tag
schreie ich zu dir, Herr, und strecke meine Hände zu dir aus!“ Das ist die Reaktion des
Psalmbeters. Beeindruckend, wie ich finde. Obwohl er Gott für den Verursacher des Leides
hält, wendet er sich ihm zu. Das hat mich sehr beeindruckt!
Denn was ist denn die „normale“, die menschlich verständliche Reaktion auf diese Situation?
Ich denke, das normale wäre hier sich abzuwenden.
Wolfgang Borchert, ein deutscher Autor, ist ein klassisches Beispiel dafür. Er hat im 2.
Weltkrieg schlimme Dinge erlebt, mit denen er nie wirklich fertig geworden ist. Und diese
versucht er in seinen Werken, die ich sehr schätze, zu verarbeiten. Unter anderem sitzt dabei
immer wieder Gott auf der Anklagebank. Und Borcherts Urteil ist vernichtend: Mit so einem
Gott will er nichts zu tun haben. Er wendet sich ab – und stirbt qualvoll ohne Gott.
Und auch viele andere Menschen scheitern an dieser Frage – bzw. an ihrer Reaktion darauf.
die häufigste Formulierung, die man hört, wenn man Menschen nach dem Grund ihres
Unglaubens fragt ist: „An so einen Gott, der so was zulässt, will ich nicht glauben.“ Sie
wenden sich ab. Dieses Verhalten ist tragisch, in meinen Augen falsch – aber nur zu
verständlich.
So könnten wir doch auch reagieren. Es ist ja schon verlockend, das muss ich ehrlich sagen.
Sich enttäuscht und zornig von Gott abwenden, sich Karotten in die Ohren stopfen und die
beleidigte Leberwurst spielen.
Oder wir legen die „Jetzt-erst-recht“ Taktik an den Tag. Gott ist für unser Leid
verantwortlich? Ok,. dann jetzt erst recht mit Bitten und Flehen zu ihm! Ich weiß nicht mehr
weiter und kann nicht mehr? Ok, dann jetzt erst recht zu Gott damit! Das ist in meinen Augen
die einzig richtige Reaktion, und der Psalmbeter macht sie uns hier ja vor. Auch wenn es
widersinnig erscheint, wenn es schwerfällt, wenn es unnormal und gegen unsere Natur ist –
hin zu Ihm! das ist die Richtung, die wir gehen sollten. Trotz alles Leides in unserem Leben!
Wenn du Jesus kennst, Gott nachfolgst: Wenn wir sagen, dass Gott der Herr unseres Lebens
ist, wenn wir ihn mit Hingabe und Ernsthaftigkeit nachfolgen wollen, dann sollten wir genau
das in eben allen Lebenslagen tun. Dann sollten wir zu ihm stehen, uns zu ihm flüchten, uns
ihm ausliefern, egal ob es uns gut geht, wir glücklich sind, wir leiden oder es uns hundeelend
geht. Gott ist kein Gott für gute Zeiten, er ist sozusagen ein „Allwettergott“. Zur Nachfolge
gehört eben auch kompromisslose Treue auch in schweren Zeiten!
Aber vielleicht bist du dir bei der Sache mit Jesus noch nicht so sicher. Hast schon einiges
gehört, aber weißt noch nicht, ob du zu Gott gehören willst. Dann ist so eine Aussage
natürlich herausfordernd. Ich bin der festen Überzeugung, dass Gott ein liebender Vater ist,
der es gut meint mit uns – auch wenn er uns manchmal Leid zumutet. Trotz aller schlechten
Erfahrungen ist Gott auf unserer Seite. Und auch wenn das hart klingt, ich denke, dass sich
abzuwenden die falsche Reaktion ist. Und ich möchte Mut machen, sich trotzdem ihm
zuzuwenden, sich, auch wenn es schwerfällt, in Gottes Arme zu werfen!
Was aber heißt das praktisch? Welche Konsequenzen hat dieses „Zu Ihm“ für unser
alltägliches Leben? Ich möchte 2 ganz kurz aufzeigen:
1. In Zeiten der Krise helfen feste Rituale und Gewohnheiten. Wenn ich es gewohnt bin, den
Tag mit der Losung und einer Gebetszeit zu beginnen, dann sollte ich daran festhalten, auch
wenn es mir gerade schlecht geht. alles andere wäre eine Flucht. Wenn ich die Gewohnheit
habe, sonntags in den Gottesdienst zu gehen, dann sollte ich das in der Krise erst recht tun.
Auch wenn es schwer ist, wenn ich keine Lust habe, und es eine Qual zu sein scheint. Weil
ich gerade Probleme in meinem Glauben habe nicht mehr in die Gemeinde zu gehen ist
Flucht, ist ein Abwenden von Gott. Also: sucht euch feste Punkte und Gewohnheiten, die ihr
in eurem Leben verankert, egal und unabhängig davon, wie es euch gerade geht. Diese
Fixpunkte können zu Ankern im Sturm der Krise werden!
2. Besinnt euch auf die „jetzt-erst-recht“ Einstellung! Das ist einer Kopfsache. Das muss man
entscheiden, das muss man im Kopf beschließen, egal wie es sich gerade anfüllt. Da darf man
das ruhig mal wie ein 3 jähriger trotziger Junge machen. Arme verschränken, Schmollmund
aufsetzen, aufstampfen und sagen: Jetzt erst recht! Das passiert nicht von alleine, das muss ich
beschließen, mit dem Kopf wollen. Zu Ihm. Jetzt erst recht!
3. Licht am Horizont
Abschließend möchte ich noch ein wenig „Licht am Horizont“ erzeugen, auch wenn der Text
es eigentlich nicht tut. Ich möchte mir mit euch im letzten Schritt die Verse 11-13 noch mal
ansehen. In diesen Versen, die ich jetzt gleich noch mal vorlese, findet sich ein beliebtes
Stilmittel: die rhetorische Frage: „Tust du auch für Tote noch Wunder? Stehen die Schatten
auf, um dich zu preisen? Erzählt man im Grab von deiner Güte, in der Totenwelt von deiner
Treue? Weiß man dort in der Finsternis noch, welche Wunder du tust für dein Volk? Denkt
bei den Vergessenen noch jemand daran, wie treu du deine Zusagen einlöst?“
Eine rhetorische Frage erwartet keine Antwort, weil sie eh klar ersichtlich ist. Und die
ersichtliche Antwort in diesem Fall ist ein NEIN. Für die Menschen des Alten Testaments war
klar, dass Gott kein Gott der Toten ist. Es gibt kaum eine Hoffnung über ein Leben auf dieser
Erde hinaus, der Gerechte erwartete hier auf der Erde alle Segnungen Gottes. Aus dieser
Sichtweise ist das Thema Leid noch viel gravierender, wird es noch viel schlimmer.
Im Alten Testament ist die Totenwelt dunkel und unsicher. Hier ist nicht der
Herrschaftsbereich Gottes, er ist ein Gott der Lebenden. Erst im Neuen Testament gibt es eine
Antwort auf diese Fragen. Weil Jesus selbst durch die Totenwelt gegangen ist, weil er
Gottverlassenheit erfahren hat, ändert sich hier die Antwort auf diese rhetorischen Fragen. JA!
All das muss uneingeschränkt bejaht werden. Durch Jesus. Weil er das alles durchgemacht
hat, gibt es eine Hoffnung, die über diese Welt hinausgeht.
Ich habe das immer wieder mal gesagt in den letzten Wochen und ich betone das gerne noch
einmal: Man muss die Psalmen so ernst nehmen wie sie geschrieben sind, aber man muss sie
als Christ immer mit der Brille, im Lichte des Neuen Testaments sehen. Durch Jesus wissen
wir, dass es eine Hoffung über den Tod hinaus gibt. Es gibt ein Leben nach den Leiden dieser
Welt, ein Leben ohne Schmerz, Kummer und Trauer. Ein Leben das uns für alles hier
entschädigen wird. Ein Leben in der Gegenwart Gottes.
Das nimmt dem Leid nicht seine Schärfe. Leid tut immer noch weh, treibt immer noch in die
Verzweiflung, bringt uns immer noch an unsere Grenze. Und der Fakt, dass dieses Leid aus
Gottes Hand kommt, macht es auch nicht besser oder gar leichter. Aber das Wissen um unsere
Zukunft gibt dem Leid und der Kraftlosigkeit den richtigen Stellenwert, den richtigen Platz in
unserem Leben. Was uns erwartet ist viel, viel größer als alles Leid was wir hier erleben
können und erleben müssen. Hier haben wir ein Licht am Horizont, das dem Psalmbeter noch
gefehlt hat, über das ich richtig froh bin!
Schließen möchte ich mit einem Zitat von Luther, das wie ich finde sehr gut in diesen
Zusammenhang hineinpasst und mich immer wieder neu nachdenklich macht. Vielleicht
könnt ihr es euch mitnehmen und als Gedankenanstoß zu diesem Thema nutzen. Nach dem
Motto: Jetzt erst recht.
Luther sagte: „Mein Freund, du sagst: ,Weiß nicht woher ich komme, weiß nicht wohin ich
gehe, frage mich, warum ich trotzdem fröhlich bin’! Aber, müsste es nicht viel mehr heißen:
Weiß woher ich komme, weiß wohin ich gehe, ich wundre mich, dass ich trotzdem traurig
bin!“
Amen!