Arzthelferin: Prellbock der Gesundheitspolitik
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Arzthelferin: Prellbock der Gesundheitspolitik
Politik Allrounderin im Praxisteam Arzthelferin: Prellbock der Gesundheitspolitik Montagmorgen, 8.30 Uhr. Vor dem Tresen stehen die Patienten Schlange, das Telefon klingelt ununterbrochen. Also: Hörer ans Ohr, gleichzeitig dem ersten Patienten seinen Urinbecher in die Hand drücken und den Weg zur Toilette erklären, beim zweiten schon mal die Versichertenkarte einlesen. Um die Ecke kommt der Doktor und fragt nach den Laborberichten von Frau Neumann. Für die Arzthelferin Simone Kruse der Beginn eines ganz normalen Arbeitstags – der ihr mehr und mehr zu schaffen macht. Denn nicht nur Patienten und Ärzte, auch deren Mitarbeiterinnen leiden unter den Folgen der Gesundheitspolitik. „Manchmal wünsche ich mir fünf Arme und genauso viele Ohren“, seufzt Kruse. Als „Perle“ der Praxis ist die erfahrene Arzthelferin Mädchen für alles: Blut abnehmen, röntgen, bei ambulanten Operationen assistieren, für sterile Untersuchungsgeräte sorgen, Patienten beim An- und Auskleiden helfen, nebenbei die Post durchsehen, Rechnungen schreiben, dem Doktor schon mal die richtigen Formulare heraussuchen, mit den Krankenkassen telefonieren, Patienten einbestellen und den Dienstplan der Kolleginnen organisieren. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Von daher ärgert Kruse sich jedes Mal, wenn ihr jemand mit dem Klischee von der freundlich lächelnden, Kaffee kochenden Empfangsdame kommt. Hat sie ihre Arbeit nicht im Griff, läuft der ganze Laden aus dem Ruder. „Alles auf einmal im Blick zu behalten, wird immer schwerer, weil wir immer weniger Zeit haben“, sagt sie. „Das bekommen auch unsere Patienten zu spüren, und das tut mir weh. So manch einer hat einfach auch das Bedürfnis, mit jemandem zu reden. Viele haben ja auch schlimme Krankheiten wie Krebs. Wenn Sie dann gerade die Blutabnahme vorbereiten und fragen, wo der Schuh drückt, im gleichen Moment aber schon wieder zum Tresen hetzen müssen, weil das Telefon klingelt, frustriert das schon.“ „Um die Patienten optimal und nicht nur im Vorbeiflug zu betreuen, bräuchten wir eigentlich noch zwei Kolleginnen mehr“, sagt Kruse. Viele andere Praxen haben das gleiche Problem: Zwar ist die Zahl der Medizinischen Fachangestellten – so heißen die Arzthelferinnen offiziell – in den Praxen zwischen 1997 und 2005 gestiegen. Doch fast jede dritte hat nur eine Teilzeitstelle. Umgerechnet in Vollzeitstellen gibt es deswegen sogar weniger Arzthelferinnen als früher. Die Kranken werden aber nicht weniger, sondern mehr. „Eine Kollegin in einer benachbarten Praxis schmeißt den Laden übergangsweise ganz alleine. Die ist mit den Nerven völlig am Ende“, berichtet Kruse. „Die Politik muss endlich begreifen, dass die Ärzte mehr Geld brauchen, wenn sie qualifiziertes Personal bezahlen sollen.“ Gesundheitspolitik ist für viele Arzthelferinnen ohnehin ein rotes Tuch: Für fast alles, was sich die Politik an Neuem einfallen lässt, müssen sie als Prellbock für den Unmut der Patienten herhalten. Klassisches Beispiel: Die Praxisgebühr. „Wir sind dann immer die Buhmänner an der Anmeldung, die jetzt plötzlich Geld wollen“, klagt Kruse ihr Leid. „Dann fangen wir erst einmal an zu erklären, dass der Patient, wenn sein Hausarzt im Urlaub ist, trotzdem eine Überweisung braucht, wenn er zum Facharzt will. Nur muss er sich die dann vom Vertreter des Hausarztes holen.“ Viel Geduld brauchen die Arzthelferinnen auch, wenn es um die neuen Rabattverträge für Medikamente geht. Bei ihnen weiß der Arzt vorher oft nicht, welches Medikament der Patient in der Apotheke bekommt, wenn er ein Rezept schreibt. Kein Wunder, dass da auch viele Patienten nicht durchblicken, wenn ihre Tabletten einmal rosa und beim nächsten Mal lila-blassblau sind. „Da heißt es schnell: Der Doktor hat das Falsche aufgeschrieben.“ Bis das erklärt ist, geht viel Zeit verloren. „An diesem Chaos ist die Politik schuld. Aber auch die Medien tragen einen Teil zur Verunsicherung bei“, meint die Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, Sabine Rothe: „Die Politik streut irgendwelche Schlagworte, Wie viel ist die Versorgung der Patienten wert? Im Interview: Sabine Rothe Arzthelferin ist für viele Schülerinnen noch immer ein Traumberuf. Doch weil die Rahmenbedingungen schlecht seien, fehle bald der Nachwuchs, warnt die Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, Sabine Rothe. Dabei steigt die Zahl der Patienten, die Betreuung brauchen. Fotos: B. Haeusser, Verband medizinischer Fachberufe durchblick: Viele Ärzte klagen über schlechte Arbeitsbedingungen und niedriges Honorar. Bekommen die Arzthelferinnen – offiziell heißen sie heute Medizinische Fachangestellte – das auch zu spüren? Ja, auf jeden Fall. Den Praxen geht es immer schlechter. Die Ärzte können sich immer weniger Mitarbeiterinnen leisten. Deswegen haben viele Kolleginnen, die früher Vollzeit gearbeitet haben, jetzt Teilzeitstellen oder sogar nur noch Minijobs. Die Arbeit in den Praxen ist aber geblieben. Genauso wie der Arzt geht keine Arzthelferin nach Hause, wenn die Arbeit nicht fertig und die Patienten nicht versorgt sind. Wenn die Kolleginnen Dienst nach Vorschrift machen würden, wären ganz viele Telefone und Tresen unbesetzt. Eigentlich wird das Gesundheitswesen nur durch das Engagement des gesamten Praxisteams aufrechterhalten. durchblick: Womit haben Sie noch zu kämpfen? Es sind so viele Tätigkeiten dazugekommen. Es gibt immer mehr Bürokratie und immer mehr Vorschriften zu beachten. Die Kolleginnen übernehmen gerne neue Aufgaben, gar kein Problem. Aber irgendwann ist das Maß durchblick gesundheit • Oktober 2007 auch voll. Wir können nicht immer mehr für das gleiche Gehalt tun. Der Bäcker hebt die Brötchenpreise auch an. Und die Kollegin muss die Brötchen kaufen. Da ist momentan eine große Kluft. Und die ist bei den Mitarbeiterinnen noch größer als bei den Ärzten, weil die Gehälter sowieso schon niedrig sind. Viele, die in Teilzeit oder Minijobs arbeiten, haben einen Zweitjob. Manche sind sogar auf den Aufstockungsbetrag zu Hartz IV, also auf staatliche Unterstützung, angewiesen – obwohl sie arbeiten gehen. Da muss man schon die Frage stellen: Wie viel ist uns die Versorgung der Patienten wert? durchblick: Was ist vom Traumberuf Arzthelferin geblieben? Das ist ein ganz toller und interessanter Beruf, und die Frauen sind mit viel Einsatz und Liebe zum Patienten dabei. Aber leider wird er nicht angemessen honoriert und beachtet. Stattdessen wird immer mehr Leistung gefordert. Die Kolleginnen wollen sich qualifizieren und ihren Job gut machen. Aber wenn sie für ihr Engagement kein angemessenes Gehalt bekommen, ist das nicht nur frustrierend, sondern wird auch noch ein ganz großes Problem werden. durchblick: In welcher Hinsicht? Uns geht der Nachwuchs aus. Bald kommen die geburtenschwachen Jahrgänge, wo sich jeder um die guten Schulabgänger bemühen wird. Im Wettbewerb um die Bewerberinnen werden wir Arzthelferinnen die Verlierer sein, weil in unserem Beruf die Ausbildung schlecht bezahlt und die psychische Belastung hoch ist und die Arbeitsbedingungen ungünstig sind. Weil die Menschen immer älter werden, werden wir aber noch mehr Patienten zu versorgen haben. Und die verlangen, dass wir sie gut und fachlich qualifiziert betreuen. 5 die ein Normalpatient nicht verstehen kann. Dann gibt die Gesundheitsministerin im Fernsehen ein Interview, in dem sie sagt, dass die Patienten natürlich alles bekommen. Wenig später wird ein Beitrag gesendet, in dem bewiesen wird, dass es gar nicht so ist, wie es die Ministerin vorher geschildert hat“, berichtet Rothe. „Das verwirrt die Patienten.“ Anstatt immer und immer wieder das Gleiche zu erklären, würden Kruse und ihre Kolleginnen sich viel lieber intensiver den Patienten widmen. Gerade wenn ältere Patienten in die Praxis kommen, ist es nicht damit getan, die Krankenversichertenkarte entgegenzunehmen und einen Platz im Wartezimmer anzuweisen. Oft haben diese Patienten mehrere Krankheiten auf einmal und brauchen intensive Betreuung. Dass sie beim An- und Ausziehen mehr Zeit oder sogar Hilfe benötigen, müssen die Arzthelferinnen schon bei der Terminplanung bedenken. Sonst müssen alle Patienten danach warten. Wenn dann auch noch ein langes Gespräch mit den Angehörigen oder dem Pflegeheim nötig ist, kommt der ganze Terminplan ins Rutschen. Auch wenn ein Besuch bei einem Arzt einer anderen Fachrichtung nötig ist, übernehmen die Arzthelferinnen häufig die Organisation. Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen sind in Praxen gefordert, in denen sich viele Ausländer behandeln lassen. Sprachbarrieren und kulturelle Unterschiede lassen sich nicht mal so nebenbei überbrücken. Doch individuell auf den Patienten einzugehen, muss oft zurückstehen. Seien es Anfragen von Kassen, Vordrucke für Patienten, die an Chronikerprogrammen teilnehmen, oder die Abrechnung von Kassenpatienten: „Es ist so was von kompliziert geworden, da blickt keiner mehr durch“, stöhnt Kruse. Für jede Krankenkasse gibt es andere Formulare, und ständig ändert sich etwas. „Wir bringen Leistung und müssen uns mit diesen Formularen noch ewig dafür rechtfertigen“, schimpft sie. „Das kann es doch nicht sein.“ Unterdessen klingelt Kruses Telefon schon wieder. Diesmal ist es kein Patient, der einen Termin will, sondern eine Kassenmitarbeiterin. Sie will wissen, warum die Patientin Frau Schulze nun unbedingt zur Behandlung ins Krankenhaus soll und warum das nicht ambulant ginge. Außerdem sei der Antrag für Herrn Schneider nicht richtig ausgefüllt, plärrt es aus dem Hörer. „Anstatt uns um die Patienten zu kümmern, ärgern wir uns mit Verwaltungskram herum. Wenn ich dann noch daran denke, was wir Arzthelferinnen im Vergleich zu den Kassenangestellten verdienen, kommt mir manchmal schon die Galle hoch“, sagt Kruse: „Eine Arzthelferin in Westdeutschland bekommt nach der Ausbildung im ersten Berufsjahr 1.300 Euro brutto – eine 20-jährige Sachbearbeiterin in einer Ersatzkasse aber schon 1.700 Euro. Da wird mehr in die Verwaltung als in die Betreuung der Patienten investiert.“ n Anja Schulte-Lutz 6 „Ärzte haben im Gesundheitssystem die Wahl: Sie können sich den Strick aussuchen oder zwischen Messer und Pistole wählen.“ „2008 ist das Tal der Tränen für die Vertragsärzte.“ „Die Krankenkassen sparen sich gesund auf Kosten der Patienten.“ Dr. Michael Sereny, Präsident der Zahnärztekammer Niedersachsen, über die geplante neue Gebührenordnung für Zahnärzte Dr. Andreas Köhler, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, über die Arzthonorare im Jahr 2008 Bundesärztekammerpräsident Prof. Jörg-Dietrich Hoppe über die Halbjahresergebnisse der Krankenkassen „Wir Ärzte sind einer der Esel des Systems, dem immer mehr aufgebürdet wird, der aber den Karren nicht länger ziehen kann.“ Dr. Martin Wagner, Vorstandssprecher des Gesundheitsnetzes Süd durchblick gesundheit • Oktober 2007 11 Fotos (v.l.n.r.): ZKN, KBV, BÄK, GNS Aufgeschnappt