Begleitmaterial - Theater an der Parkaue

Transcrição

Begleitmaterial - Theater an der Parkaue
Uraufführung
Der Reichstags
14+
b r a n d
von Julia Schreiner und Titus Faschina
BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK
D er R eic h stagsbra n d
2
Es spielen:
Iven Hausmann / Jörg Huke
Hagen Löwe
Andrej von Sallwitz
Franziska Ritter (im Film)
Titus Faschina
Angelika Wedde
Iven Hausmann
Julia Schreiner
Eddi Damer
Ralf Hinz
Thomas Holznagel
Max Berthold, Jörg Wartenberg
Stefan Gilsing
Martin Eberle
Susann Ebert, Matis Burkhardt
Anne Braun, Hannes Schilling, Daniel Wiggers
Jürgen Becker
Kerstin Richter
Karla Steudel
Wolfgang Jentsch
Ute Seyer
Martin Brandt, Michael Isenberg
Benjamin Riehm
Mit herzlichem Dank an:
Krematorium Berlin, Grieneisen GBG
Bestattungen GmbH, neue 17 Medienproduktion
In Kooperation mit der Beuth-Hochschule
für Technik Berlin
Premiere: 15. September 2013
Bühne 2
ca. 55 Minuten, ohne Pause
Premierenklassen: 9/4 und 10 der PuschkinOberschule (Frau Adler) Berlin-Lichtenberg
Regie
Bühne + Kostüme
Musik + Komposition
Dramaturgie + Theaterpädagogik
Technischer Direktor
Bühnenmeister
Licht
Ton + Video
Tongestaltung
Filmmontage
Regieassistenz
Kamera + Filmton
Inspizienz
Soufflage
Maske
Requisite
Ankleiderei
Dramaturgieassistenz
Tongestaltungsassistenz
D er R eic h stagsbra n d
Inhalt
Einleitung 4
Berlin im Februar 1933, Zeitkolorit 5
Der Reichstagsbrand, ein ungeklärtes Attentat 12
Marinus van der Lubbe – ein biografischer Abriss und der Tathergang 14
Historische Quellen 21
Zeitgenössische Witze, ein Beispiel 21
Vernehmungsprotokolle der Polizei und Prozessprotokolle 21
Gutachten der Psychiater 22
Zeitzeugen (Schriftsteller, Tagebücher) 23
Zeitungen 25
Horoskope und Wahrsager (Eric-Jan Hanussen) 26
Das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ 27
Auszüge aus den Schulbüchern für Geschichte beider deutscher Staaten 27
Die Erschaffung von Realitäten: Das Auge des Betrachters 29
Vorschläge zur Vor- und Nachbereitung im Unterricht 30
Hinweise für den Theaterbesuch 33
Impressum 34
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D er R eic h stagsbra n d
4
Einleitung
Der brennende Reichstag, am Abend des 27. Februar
1933, war nicht nur ein Anschlag auf ein Parlamentsgebäude eine Woche vor der Reichstagswahl,
sondern ein Bild und eine Tat, die weitreichende
Folgen hatte. Man könnte den brennenden Reichstag und dessen politische Instrumentalisierung und
Medialisierung mit den einstürzenden Hochhäusern
vom 11. September 2001 in New York vergleichen.
1933 wurde noch in der gleichen Nacht der Holländer Marinus van der Lubbe festgenommen, mehrere
tausend Kommunisten verhaftet und das „Ermächtigungsgesetz“ trat in Kraft. Die Nationalsozialisten
gewannen eine Woche später die Wahl, das Dritte
Reich war nicht mehr aufzuhalten.
Für die Inszenierung von Titus Faschina wurden
viele unterschiedliche Quellen und Archive gesichtet. Wir sind uns bewusst, dass keines der Dokumente eine „Wahrheit“ wiedergeben kann. Es gibt „die
Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz
Wahrheit“ und „den wirklichen Tathergang“ oder
„die gesicherte Täterschaft“ – in diesem Fall exemplarisch – nicht.
Für die künstlerische Auseinandersetzung haben
wir uns für eine Erzählung, eine eigene „Wahrheit“
entschieden: Die Inszenierung setzt den Fokus auf
die Figur des Marinus van der Lubbe und rückt seine
persönliche Beschreibung der Ereignisse in den Mittelpunkt. Einer angenommenen „Verwirrung“ und
Unsicherheit der zeitgenössischen Bürgerinnen und
Bürger und die Vielzahl der politischen Meinungen
in den Berliner Straßen im Jahr 1933 haben wir versucht, in einer Gegenüberstellung von historischen
Texten und Bildern Folge zu leisten. Wir haben
keinen Anspruch auf eine historische Beweisbarkeit,
sondern zeigen durch die Textauswahl eine Vielstim-
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migkeit rund um die tragische Figur des Marinus
van der Lubbe. Das Spiel um „die Wahrheit“ und
den Reichstagsbrand wurde in unserer Bühnenfassung u.a. durch die Erfindung einer Freundin van der
Lubbes auf der Videoebene erweitert.
Bis heute herrscht Uneinigkeit unter den Historikern
über Tathergang und Täterschaft. Über die Jahrzehnte wurde und wird die Alleintäterthese, wie die
Mittäterschaft der Nationalsozialisten immer wieder
bewiesen – die nationalsozialistische These von der
kommunistischen Verantwortung wurde seit der Veröffentlichung des „Braunbuchs“ und dem Londoner
Gegenprozess inklusive der internationalen Presse
im Jahr 1933 nur von den damaligen Machthabern
aufrecht erhalten.
Die Geschichte um Marinus van der Lubbe und den
Reichstagsbrand wurde in den letzten Jahrzehnten
des öfteren künstlerisch bearbeitet. So entstanden
neben zahlreichen Gedichten, literarischen Texten
und Theaterstücken auch diverse Verfilmungen,
zuletzt 2012 als großer ZDF-Spielfilm in „Die Nacht
über Berlin“.
Auch die Rezeption dieses Falles in den beiden deutschen Staaten war sehr unterschiedlich. Während die
DDR auf eine Mittäterschaft der Nationalsozialisten
setzte und den eloquenten Kommunisten Georgi
Dimitrow in den Vordergrund rückte, galt im Westen
spätestens seit der großen „Spiegel“-Reportage von
5
1959 mehrheitlich die heute stark zu bezweifelnde
Alleintäterthese des Autors Fritz Tobias.*
Neben einem Zeitkolorit und einem biografischen
Abriss über das Leben van der Lubbes finden Sie in
diesem Begleitmaterial viele Zitate aus den recherchierten Quellen und eine kurze Überlegung zur
dokumentarisch-medialen Darstellung. Im Theater
erleben Sie neben den historischen Textpassagen
zudem eine Vielschichtigkeit von Filmbildern: Historische Aufnahmen aus den Anfängen des Dritten
Reiches überlagern sich mit einem Ausschnitt aus
Luis Trenkers Film „Der Rebell“ von 1932** und
nachgedrehten dokumentarischen Sequenzen. Diese
Bilder entstanden in Kooperation mit der BeuthHochschule für Technik Berlin.
Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entdecken des
Materials, wie auch beim Theaterbesuch.
Für Fragen können Sie sich jederzeit gerne an mich
wenden.
Julia Schreiner
Dramaturgin / Theaterpädagogin
Tel. 030 – 55 77 52 -18
[email protected]
Berlin im Februar 1933,
Zeitkolorit
Wie sah Berlin 1933 aus? Was für eine Stimmung
war in den Straßen? Wie haben die Menschen gelebt? Um dem Berlin dieser Zeit näher zu kommen,
wird im Folgenden versucht, stichwortartig ein Bild
zu kreieren. In welcher Situation kommt Marinus
van der Lubbe in Berlin an, wie und unter welchen
Voraussetzungen lebten die damaligen Bewohner
der Stadt, wie haben sie den Reichstagsbrand erlebt?
Selbstverständlich hat diese Darstellung keinen
Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beleuchtet
* siehe: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42622980.html
** Van der Lubbe sah sich diesen Film in einem Kino am Alexanderplatz an, siehe: http://www.imdb.com/title/tt0023379/
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lediglich einzelne Punkte, die in die Überlegungen
der Inszenierung einflossen. In Berlin leben 1933
knapp 4,3 Millionen Menschen. Die Stadt gilt nach
New York und London als die drittgrößte der Welt.
Wirtschaftlich ist das Jahr überschattet von der
seit Jahren andauernden Weltwirtschaftskrise. Im
Durchschnitt verdienen die Berliner Haushalte 1.583
RM (ca. 6300 €) pro Jahr. In Berlin sind 166.152
Wohngebäude mit 1.357.812 Wohnungen registriert. Davon haben 921.730 Wohnungen (67,1%)
nur ein bis zwei Zimmer. Das Wetter ist im Winter
1933 sehr kalt, mit verschiedenen Frostperioden, so
u.a. auch Ende Februar (vom 14.02. – 02.03.33 mit
Werten um die -15°C. In vielen Häusern frieren die
Wasserleitungen ein). Im Februar 1933 ist Karneval.
Der Berliner Fasching spielt sich ab „‘in einer überaus bunten und wild dekorierten Umgebung‘, unter
dem Lärm durcheinander spielender Tanzkapellen,
unter großer Verschwendung von allen obligaten
Faschingsutensilien. Und nicht zuletzt ‚mit Hilfe von
so viel Alkohol, wie man bezahlen kann, und in der
sardienenbüchsenhaft engen Umgebung von einigen
tausend Leuten, die alle dasselbe tun und sich deshalb wenig genieren.“*
Zudem ist Wahlkampf, die Reichstagswahl ist für
den 5. März 1933 angesetzt. Hitler ist seit Ende Januar Reichskanzler. Die verschiedenen Parteien werben aggressiv für ihre Ideen. Tägliche Aufmärsche
und Prügeleien zwischen allen politischen Lagern
bestimmen das Straßenbild.
* Aus: Carl Dietmar / Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler, HerbigVerlag, 2009, München
6
Nach langer Zeit war Frau Germania einmal wieder
zu einem Faschingsball erschienen // Kladderadatsch, 26. Februar 1933
Berlin ist in dieser Zeit auch die große Theater- und
Varietéstadt. Revuen mit ihrer zwanglosen Abfolge
von Sketchen, Gesangs- und Tanznummern sind
stets ausverkauft. Die Berliner Ballsaison glänzt
wie nie zuvor. Die Reichshauptstadt Berlin wird zur
Welthauptstadt von Musik, Film und Theater. 1933
arbeiteten in Deutschland 22.000 Theaterschaffende an 147 subventionierten Theatern. Am 04.01.33
warnt „das Polizeipräsidium vor wilden Billetthändlern vor Theatern und Kinos. Aufpreise bis zu 200%
seien keine Seltenheit, hieß es. Außerdem würden
oftmals ungültige Karten abgegeben.“**
** Diese und einige anderen Zahlen aus: www.luise-berlin.de/kalender/
jahr/1933.htm
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7
aus: www.andreaspraefcke.de/carthalia/
germany/berlin_scala.htm
Auch die Astrologie hat Hochkonjunktur. Hellseher,
wie Erik Jan Hanussen, treten in der Berliner Scala
zweimal täglich vor Hunderten von Zuschauern auf.
Es gibt verschiedene Zeitschriften und Jahrbücher
für Astrologie.
Horoskop des Reichstags, aus: Deutschlands
Zukunft, Unparteiische Wochenschrift, 1932
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Berlin in Zahlen*
Lasst uns Berlin statistisch erfassen!
Berlin ist eine ausführliche Stadt,
die 190 Krankenkassen
und 916 ha Friedhöfe hat.
53.000 Berliner sterben im Jahr,
und nur 43.000 kommen zur Welt.
Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr,
weil sie 60.000 Berliner durch Zuzug erhält.
Hurra!
Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken
und verbraucht an Fleisch 303.000.000 Kilogramm.
Berlin hat pro Jahr rund 40 Morde, die glücken.
Und seine breiteste Straße heißt Kurfürstendamm.
8
Berlin hat jährlich 27.600 Unfälle.
Und 57.600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben.
Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle,
und 700.000 Hühner, Gänse und Tauben.
Halleluja!
Berlin hat 20.100 Schank- und Gaststätten,
6.300 Ärzte und 8.400 Damenschneider
und 117.000 Familien, die gerne eine Wohnung
hätten.
Aber sie haben keine. Leider.
Ob sich das Lesen solcher Zahlen auch lohnt?
Oder ob sie nicht aufschlussreich sind und nur scheinen?
Berlin wird von 4½.000.000 Menschen bewohnt
und nur, laut Statistik, von 32.600 Schweinen.
Wie meinen?
Szenenfoto mit Andrej
von Sallwitz, Hagen
Löwe, Iven Hausmann
* von Erich Kästner, 1930, aus: http://hinkenderbote.blogger.de/
stories/1764135/
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Eine kurze Chronik der politischen Ereignisse
Anfang 1933*
Januar
4. 1. Adolf Hitler (NSDAP) und Franz von Papen
führen in Köln Gespräche über eine gemeinsame Regierungsbildung
7. 1. Josef W. Stalin erklärt die erfolgreiche Erfüllung des ersten Fünfjahresplans.
15. 1. Mit fast 40 Prozent der Stimmen wird die
Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) stärkste Kraft im Parlament des
kleinen Freistaats Lippe. Nach dem deutlichen
Stimmenverlust bei den Reichstagswahlen
vom letzten November wird mit diesem
Erfolg der politische Druck der Partei wieder
stärker.
21. 1. Die Reichstagsfraktion der Deutschnationalen
Volkspartei (DNVP) entzieht Reichskanzler
Schleicher das Vertrauen.
22. 1. Demonstration und eine Gedenkfeier für Horst
Wessel der Sturmabteilung (SA) mit 16.000
Teilnehmern vor der Berliner Zentrale der
Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD).
Die Polizei sichert den Aufmarsch und besetzt
das Gebäude der KPD.
26. 1. Schleicher verlangt vergeblich von Hindenburg die Übertragung diktatorischer Vollmachten.
28. 1. Da Hindenburg es auch ablehnt, den Reichstag aufzulösen, tritt Schleicher nach 57 Tagen
als Reichskanzler zurück.
29. 1. Gespräche Papens mit Alfred Hugenberg und
Hitler über eine Regierungsbildung.
30. 1. Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler.
Im neugebildeten Kabinett wird Papen Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen,
Hugenberg erhält das Wirtschaftsministerium.
Von der NSDAP treten Hermann Göring und
Wilhelm Frick in die Regierung ein.
* Auswahl aus: www.dhm.de/lemo/html/1933/
Aus Anlass der Machtübernahme paradieren in Berlin etwa
15.000 Mitglieder von SA, Schutzstaffel (SS), und „Stahlhelm“**
mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor. Die KPD
ruft zum Generalstreik auf.
Februar
1. 2. Auf Wunsch Hitlers löst Hindenburg den
Reichstag auf.
2. 2. Der kommissarisch eingesetzte preußische
Innenminister Göring verbietet alle Demonstrationen der KPD.
3. 2. Hitlers erste Ansprache vor Befehlshabern der
Reichswehr (Ziel der Außenpolitik: Lebensraum im Osten und dessen rücksichtslose
Germanisierung). Bernhard Rust wird zum
kommissarischen preußischen Kultusminister
ernannt. In der bildenden Kunst müsse „gegen
die Liebermänner“, in der Architektur „gegen die Laubhütten-Baumeister“, im Theater
„gegen das Ausländertum“ Front gemacht
werden, hieß es.
4. 2. Per Notverordnung wird die Versammlungsund Pressefreiheit weiter eingeschränkt.
6. 2. Auf Betreiben Hitlers verleiht Hindenburg
von Papen die Vollmacht zur Auflösung des
preußischen Landtags. Damit ist der Weg frei
für Neuwahlen in Preußen. Die Reichspressestelle der NSDAP in Berlin teilt mit, dass
Reichskanzler Adolf Hitler „angesichts der
** Der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ war ein paramilitärisch
organisierter Wehrverband. (s. Wikipedia)
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deutschen Not“ auf seine Bezüge als Reichskanzler verzichtet, da er sich „als Schriftsteller
sein Einkommen selbst verdient“.
10. 2. Mit der Übertragung ihrer Kundgebung zum
Wahlkampfauftakt benutzt die NSDAP den
Rundfunk gezielt als Propagandamittel.
11. 2. Die am Vortag gegründete „Kampffront
Schwarz-Weiß-Rot“, ein Zusammenschluss
von DNVP und „Stahlhelm“, beschließt die
Teilnahme an den Reichstagswahlen und will
das Kabinett Hitler unterstützen.
15. 2. Heinrich Mann legt auf Druck der NSDAP die
Präsidentschaft über die Dichtkunstsektion der
Preußischen Akademie der Künste nieder. Aus
dem gleichen Grunde tritt auch Käthe Kollwitz aus der Akademie aus.
17. 2. Der preußische Ministerpräsident Hermann
Göring fordert die Polizei auf, bei der Verfolgung politischer Gegner unnachsichtig von
der Schusswaffe Gebrauch zu machen.
19. 2. An der Kundgebung „Das Freie Wort“ in der
Berliner Kroll-Oper protestieren über 900
vernunftdemokratisch bzw. antinationalsozialistisch eingestellte Geistesgrößen gegen die
Nazis. Noch vor Beendigung der Kongresses
räumen „Ordnungskräfte“ der neuen Machthaber den Saal.
20. 2. Göring lädt führende Wirtschaftsvertreter zu
einem Geheimtreffen mit Hitler ins Palais des
Reichstagspräsidenten. Zu den 25 Teilnehmern zählen der Reichsbankpräsident Hjalmar
Schacht, der Bankier Kurt von Schröder (1889 –
1966) und die Industriellen Gustav Krupp von
Bohlen und Halbach und Albert Vögler sowie
weitere Repräsentanten der Schwerindustrie,
des Bergbaus und der Banken. Hitler präsentiert seinen Gästen sein politisches Programm,
das sie begeistert begrüßen. Als Reaktion
spenden sie der NSDAP drei Millionen Reichsmark für den laufenden Reichstagswahlkampf.
22. 2. Göring bildet in Preußen eine Hilfspolizei,
deren Mitglieder aus SA, SS und „Stahlhelm“
rekrutiert werden, und ermuntert sie zum „fleißigen Gebrauch der Schusswaffe“.
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23. 2. Auf der letzten KPD-Kundgebung in Berlin
fordert Wilhelm Pieck eine Einheitsfront gegen die Regierung Hitler.
25. 2. Ein Kostümfest der Staatlichen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße wird
von der Polizei aufgelöst und dessen Wiederholung am nächsten Tag verboten. Die
Veranstaltung habe „gegen Anstand und Sitte“
verstoßen, hieß es.
27. 2. Um 21.14 Uhr wird in der Wache „Stettin“
Feuer im Reichstag gemeldet. Gegen 21.30
Uhr wurde die Berliner Feuerwehr gerufen.
Unter Leitung von Oberbranddirektor Gempp
beteiligten sich Hunderte Feuerwehreinheiten
der Stadt an den Löscharbeiten. Der Brand
zerstört fast den gesamten Mittelteil des Gebäudes und den Plenarsaal. Direkt nach dem
Brand erklärt Göring, der festgenommene
Niederländer Marinus van der Lubbe habe im
Auftrag der KPD das Feuer gelegt. Es folgen
zahlreiche politisch motivierte Verhaftungen.
Vor allem Mitglieder der KPD und Juden werden verfolgt.
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28. 2. Hindenburg unterzeichnet Notverordnungen, die mit sofortiger Kraft die Meinungs-,
Presse- und Versammlungsfreiheit noch weiter
einschränken und der Polizei weitreichende
Befugnisse einräumen. Bis zum Vormittag
werden im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand 130 Personen verhaftet. Unter ihnen
befanden sich die kommunistischen Rechtsanwälte Litten und Apfel und der Abgeordnete
Remmele. Der „Vorwärts“, die Parteizeitung
der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
(SPD), wird vorläufig verboten.
Bertolt Brecht und Helene Weigel fliehen nach
Prag ins Exil.
März
3. 3. In Berlin wird der KPD-Vorsitzende Ernst
Thälmann in seinem Versteck verhaftet.
5. 3. Bei den Reichstagswahlen erreicht die NSDAP trotz massiver Propaganda und Terrors
43,9 Prozent der Stimmen und verfehlt die für
sicher gehaltene absolute Mehrheit. Die SPD
erhält 18,3 %, die KPD 12,3 %, die Zentrumspartei* 11,2 % und die als Kampffront
* Die Zentrumspartei war bis zum Ende der Weimarer Republik 1933
als Vertreterin des katholischen Deutschlands und des politischen
Katholizismus eine der wichtigsten Parteien im Deutschen Reich.
(aus: Wikipedia)
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Schwarz-Weiß-Rot angetretene DNVP 8 %.
Die gleichzeitigen Wahlen zum preußischen
Landtag haben ein ähnliches Ergebnis.
21. 3. Das Konzentrationslager Dachau wird als
erstes KZ der SS errichtet.*
12
Der Reichstagsbrand,
ein ungeklärtes Attentat
Am 27. Februar 1933 brennt am Abend das Reichstagsgebäude. Vor Ort festgenommen wird ein junger
Holländer, Marinus van der Lubbe.
Genau genommen sind dies bis heute die einzig widerspruchsfreien Aussagen. Der Brand wurde schon
in der gleichen Nacht von allen politischen Lagern
instrumentalisiert. Neben den tausenden Schaulustigen kamen auch Adolf Hitler, Herrmann Göring und
Joseph Goebbels an den Tatort. Die Nationalsozialisten zeigten sich öffentlich überzeugt, dass es sich
um eine Verschwörung der Kommunistischen Partei
Deutschlands handelte. Noch in der Brandnacht ließ
Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister verbreiten, der „Beginn des kommunistischen Aufstandsversuches“ stehe unmittelbar bevor.
Die Kommunisten erklärten ihrerseits, mit der Tat
nichts zu tun zu haben und verdächtigten die Nationalsozialisten, den Brand gelegt zu haben, um sich
Vorteile für die eine Woche später stattfindende Wahl
zu garantieren.
In einem monatelangen Prozess in Leipzig, in dem
neben dem geständigen Marinus van der Lubbe
auch der deutsche Kommunist Ernst Torgler wie die
drei bulgarischen Kommunisten, Georgi Dimitrow,
Blagoi Popow und Wassil Tanew angeklagt waren,
versuchten die Richter und Staatsanwälte immer
wieder van der Lubbe dazu zu bringen, Komplizen
zu benennen. Für alle Seiten schien ausgeschlossen,
* Dachau war das einzige der frühen KZ, das nicht bis zum Zweiten
Weltkrieg aufgelöst wurde: Himmler ließ es systematisch ausbauen
und nahm es als Prototyp für spätere, systematisch errichtete KZ.
(aus: Wikipedia)
dass van der Lubbe den Brand hatte allein legen
können. Der Angeklagte blieb bis zum Schluss bei
seiner Aussage, ohne fremde Mitwirkung oder im
Auftrag anderer gehandelt zu haben.
Die Beweislage war und ist bis heute äußerst schwierig. Fotos wurden retuschiert, Zeugen erfunden, der
Angeklagte (wahrscheinlich) im Laufe des Prozesses
mit Brom vergiftet, die deutschen und französischen
Kommunisten verfassten das „Braunbuch“ (1933) –
das van der Lubbe als einen homosexuellen Gespielen
der Nazi-Oberen beschreibt und Beweise für eine Nazitäterschaft liefert – die holländischen Kommunisten
erwiderten die These einer Homosexualität van der
Lubbes noch im gleichen Jahr mit dem „Rotbuch“.
Die Nationalsozialisten erließen bereits am 28. Februar 1933 die Notverordnungen und ließen mehrere
hundert kommunistische Abgeordnete verhaften. Am
29. März 1933 wurde das „Gesetz über Verhängung
und Vollzug der Todesstrafe“, die „Lex van der Lubbe“, zur Verhängung von Todesstrafen verabschiedet.
Bis heute befassen sich Historiker mit dem Thema
und belegen sich in regelmäßigen Abständen ihre
Wahrheiten. Ende der 1950er Jahre veröffentlicht
„Der Spiegel“ eine Serie nach den Recherchen von
Fritz Tobias, der die Einzeltäterschaft beweisen will.
Von verschiedenen Forschern wird diese These massiv hinterfragt. „Es fällt einem ‚Sturmgeschütz der
Demokratie‘ schwer, einmal eingenomme Positionen
zu revidieren, sagt der Medienhistoriker Lutz Hachmeister. Und der Publizist und Soziologe Hersch
Fischler ergänzt: Der ‚Spiegel‘ hat zu dieser Frage
die Aufklärung blockiert – und eine Legende produziert. Hersch Fischler recherchiert seit 20 Jahren
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zum Thema Reichstagsbrand. Er hat Zeitdokumente
ausgewertet und neu erschlossen. Für ihn ist klar,
dass die zentrale Beweisführung des ‚Spiegel‘ in
Sachen Reichstagsbrand eine Vortäuschung falscher
Tatsachen ist. […] Nach dem Fall der Mauer stellen
neue Dokumente die These des ‚Spiegel‘ immer
mehr in Frage. Im Jahr 2001 reagiert das Magazin
mit einem Artikel. Das ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ nimmt seine Kritiker ins Visier. Wissenschaftler wie Fischler seien lediglich akademische Außenseiter, heißt es.“* Der Historikerstreit ist bis heute
ungeklärt. 2008 erschien das Buch „Der Reichstags
13
brand. Die Geschichte eines Kriminalfalls“ von Sven
Felix Kellerhoff, einem Vertreter der Alleintätertheorie, 2013 die Gegenthese von Alexander Bahar und
Wilfried Kugel mit „Der Reichstagsbrand: Geschichte einer Provokation: Das Ende einer Legende“, in
dem die These der Täterschaft der Nationalsozialisten mit zahlreichen Dokumenten gestützt wird.
Neben diesem Historikerstreit, wurde die Tat in
den vergangenen Jahrzehnten in beiden deutschen
Staaten grundsätzlich sehr unterschiedlich rezipiert.
Auszüge aus den Schulbüchern finden Sie in diesem
Material auf Seite 27.
Szenenfoto mit Iven Hausmann
* Aus: www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/165064/index.
html
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14
Marinus van der Lubbe –
ein biografischer Abriss
und der Tathergang
„Da nun die Arbeiter nichts unternehmen wollten, wollte ich eben etwas tun. Für ein geeignetes Mittel hielt
ich irgendeine Brandstiftung. Ich wollte nicht Privatleute treffen, sondern etwas, was dem System gehört.
Geeignet waren also öffentliche Gebäude, z.B. das
Wohlfahrtamt, dann das Rathaus, und das Schloss, weil
es im Zentrum liegt und wenn es gebrannt hätte, hohe
Flammen gegeben hätte, die weit sichtbar gewesen wären. Da diese drei Brände nun nicht funktioniert haben,
also der Protest nicht zustande gekommen war, habe
ich den Reichstag gewählt, weil er der Zentralpunkt des
Systems ist.“
(Marinus van der Lubbe)
Die Figur des Marinus van der Lubbe spielt in
der Inszenierung eine gewichtige Rolle. Von ihm
aus erzählt sich die Geschichte, von ihm aus werden Gerüchte und Hypothesen in alle Richtungen
gesponnen. Über das kurze Leben des Marinus van
der Lubbe gibt es verschiedene Veröffentlichungen
und Filme*. Im Folgenden finden Sie einen biografischen Abriss und eine Beschreibung der Tat, die
hauptsächlich aus Horst Karaseks Biografie „Der
Brandstifter“ von 1980, so wie aus Martin Schoutens
Biografie „Marinus van der Lubbe“ von 1999** (in
kursiv) zitiert werden. Schon in der Gegenüberstellung beider (Alleintäter-) Textpassagen lassen sich
Abweichungen erkennen und „Wahrheiten“ befragen. Für die Inszenierung haben wir uns großteils für
Ausschnitte aus den Tagebüchern und Gerichtsprotokol* Bspw. Water en vuur, roerige geschiedenis van Marinus van der
Lubbe (1909-1934), Dokumentation von 1998, holländisch mit
englischen Untertiteln.
** siehe: Horst Karasek, Der Brandstifter, 1980, Wagenbach Verlag,
Berlin und Martin Schouten, Marinus van der Lubbe – eine Biografie, 1999, Neue Kritik Verlag, Frankfurt am Main
len van der Lubbes aus Schoutens Biografie entschieden, die eine Erzählung aus der „Ich-Perspektive“ ermöglichen.
Marinus van der Lubbe, genannt Rinus, wurde am
13. Januar 1909 als jüngster von drei Söhnen aus
zweiter Ehe von Petronella van Handel und dem
Kurzwarenhändler van der Lubbe geboren. „Es war
eine sehr arme Familie; der Vater hausierte in allerlei
Orten mit der Ware, die Mutter hatte meistens ein
Büdchen auf dem Markt. Es war ein Leben von Umherirren und Umherziehen und die Familie verweilte
in verschiedenen Orten unseres Landes.“ Als der
Vater anfängt zu trinken, selten nach Hause kommt
und bald ganz weg bleibt, ist die Mutter mit ihren
insgesamt sieben Kindern mittellos.
„Ich bin Marinus van der Lubbe. Ich bin in Holland
geboren, in Hertogenbosch und dann in Leiden in die
Volksschule gegangen, und dann habe ich Maurer
gelernt, das war mein Traum: Häuser für Menschen
bauen! 1928 bin ich dann Geselle auf dem Bau geworden. Ein Jahr später hatte ich dort einen Unfall mit den
Augen und bekomme seit dieser Zeit eine Unfallrente
von 7 Gulden 44 Cents die Woche [...] Meine Mutter
starb früh, aber ich ging nicht zu meinem Vater nach
Dordrecht, sondern blieb in der kleinen Stadt Leiden.“
Marinus lernt Diskriminierung und Freiheit des
„Straßenlebens“ kennen. Als äußerst kräftiger junger
Mann erkämpft er sich den Spitznamen „Dempsey“,
nach dem damaligen Boxweltmeister. Er wird von
der staatlichen Fürsorge in ein Heim für verwahrloste Kinder gesteckt und wohnt nach dem Tod
der Mutter ab seinem zwölften Lebensjahr bei der
Familie seiner Halbschwester in Leiden. Van der
Lubbe verlässt im Alter von 14 Jahren die Schule
und erlernt das Mauerhandwerk. „Auf dem Bau lernt
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er die Arbeitswelt und damit auch die Arbeiterbewegung kennen. Es ist eine neue Welt, die sich ihm
auftut und die überkommenen Werte seiner christlichen Erziehung überschwemmt. Sein offener Geist
saugt die umstürzlerischen Ideen förmlich auf. Um
seine dürftigen Schulkenntnisse aufzubessern, besucht er die Abendschule in Leiden.“ Er gilt in allen
Beschreibungen als „guter Charakter“ und „offener
und ehrlicher junger Mann“. Im Alter von 16 Jahren
schließt er sich dem kommunistischen Jugendverband an. Die Ideen von Freiheit und Gleichheit
bewegen ihn. Im gleichen Jahr hat er einen folgeschweren Unfall auf dem Bau: „Ein ganzer Eimer
ungelöschten Kalks ergießt sich über sein Gesicht –
und allein drei Operationen können ihm das Augenlicht retten. Als Marinus van der Lubbe nach fünf
Monaten die Klinik verlassen kann, ist er praktisch
Frühinvalide.“ Er bezieht von nun an eine kleine Invalidenrente und schlägt sich mit Gelegenheitsarbei-
ten durchs Leben. So arbeitet er als Aushilfskellner,
Hoteldiener, auf einem Flussbagger, als Schlächter
oder in der Blumenzwiebelzucht und plant u.a. auch
an einem Schwimmwettbewerb durch den Ärmelkanal teilzunehmen, ohne die Kosten für Beiboot und
Hilfspersonal zu berechnen. Mitte November 1928
leitet van der Lubbe die erste öffentliche Versammlung seines Pionierverbandes, einer Gruppe, die er
selbst aufgebaut hat und die aus zwölf- bis vierzehnjährigen Jungs besteht.
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Seine Agitationen (Flugblätter, Losungen an Fabrikwände, Streikaufrufe etc.) fallen bei jugendlichen
Arbeitslosen auf fruchtbaren Boden. Beispielhaft für
seine „Provokationen“ könnte das Angeln vor der
Sozialfürsorge stehen:
„Ein andermal scheint ein Beamter gesagt zu haben,
dass die Arbeitslosen, anstatt im Büro der Sozialfürsorge rumzuhängen und die Beamten zu belästigen, besser
daran täten, fischen zu gehen. Dies war in keine tauben
Ohren gesprochen. Rinus wusste eine tüchtige Gruppe
Arbeitsloser zu überreden, dass sie sich am folgenden
Morgen mit Angeln bewaffnet an der Uferseite der
Steenschur kurz vor dem Sozialamt postierten und
ihre Angelkorken in das trübe Wasser der Rapenburg
auswarfen. Es versteht sich von selber, dass die Polizei
in der kürzest möglichen Zeit alarmiert war und am Ort
erschien. Ein Teil der Fischer, Rinus voran, warf sich in
das stinkende, verdorbene Wasser und schwamm nach
dem Gegenufer nahe des Werfparkes und konnte da
entkommen.“
Van der Lubbe wendet sich in den folgenden Jahren
und in Zeiten der großen Weltwirtschaftskrise mehrmals von den politischen Organisationen ab, tritt
aus dem Jugendverband aus und wird mit offenen
Armen wieder aufgenommen. „Das fortschreitende
Zerwürfnis mit der Partei und die einhergehende
Verleumdung durch deren Funktionäre, die andauernde Arbeitslosigkeit, Schulden und das schlimmer
werdende Augenleiden treiben Marinus van der Lub-
D er R eic h stagsbra n d
be immer häufiger in die Ferne.“ Seine erste große
Reise beginnt im Frühjahr 1931. Sie soll ihn in die
„Heimat aller Werktätigen“, in die Sowjetunion, führen. Er kommt bis Berlin, von wo aus er im April des
gleichen Jahres wieder Richtung Holland umkehren muss, da ihm 160 Mark zur Weiterreise fehlen.
Eine zweite Reise im Herbst 1931, die ihn über die
Sowjetunion bis nach China bringen soll, endet auf
Grund von Visa-Problemen und der MandschureiKrise zwischen Japan und China, in Bulgarien.
Bei seiner Rückkehr in Leiden steht er vor einem
Scherbenhaufen. Die Unterstützung des Sozialamts
bleibt ihm verwehrt und das Haus seines Vaters wurde abgerissen. Van der Lubbe macht sich erneut auf
den Weg und bricht im Januar 1932 über Deutschland, Österreich und Ungarn gen Sowjetunion auf.
An der Grenze von Polen zur Sowjetunion wird er
wegen unerlaubten Grenzübertritts festgenommen
und muss für vier Wochen in ein polnisches Gefängnis. Er kehrt wieder unverrichteter Dinge zurück
nach Holland, wo ihn eine weitere Gefängnisstrafe
erwartet. Er war während seiner Abwesenheit zu drei
Monaten Haft wegen des Einwerfens von Fensterscheiben beim Sozialamt verurteilt worden. In der
Haft tritt er zum ersten Mal in einen Hungerstreik.
Im Oktober 1932 kommt er frei, plant, sich aus der
16
Politik zurückzuziehen und will einen Lesesaal für
Arbeitslose in Leiden einrichten. Während seines
Gefängnisaufenthalts wird ihm die Unfallgesetzrente
gestrichen und van der Lubbe tritt erneut in einen
Hungerstreik. Er wird kurzzeitig in ein Krankenhaus
eingeliefert. Von Oktober bis Jahresende reist er
innerhalb der Niederlande umher. Bei verschiedenen Streiks tritt er „gegen jede Fremdbestimmung
der Arbeiter durch die etablierten Gewerkschaften
und Parteien auf.“ Sein Augenleiden wird in diesen
Monaten immer schlimmer. So muss er am 4. Januar
1933 erneut in die Augenklinik, wo er fast einen
Monat verbringt und die Ärzte Augentuberkulose
diagnostizieren, eine Krankheit die unaufhaltsam
zur Blindheit führt. „Am 28. Januar verlässt Marinus
van der Lubbe die Klinik in Leiden. In Deutschland
tritt am selben Tag General Schleicher als Kanzler
zurück. Während in Deutschland der Faschismus mit
der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar sozusagen legal an die Macht kommt, versetzt
in den Niederlanden eine Meuterei auf dem Panzerkreuzer Zeven Provincien die bürgerlich-reaktionäre
Colijn-Regierung in Angst und Schrecken. Marinus
van der Lubbe eilt nach Rotterdam, um den einstigen
Anführer der Matrosen […] zu treffen. Dann regelt
er seine persönlichen Angelegenheiten in Leiden.“
Szenenfoto mit
Andrej von Sallwitz
D er R eic h stagsbra n d
„Bis 1930 habe ich Holland nicht verlassen. Dann bin
ich gelaufen. Durch Österreich, Ungarn, Jugoslawien,
die Tschechoslowakei, Polen; dann wieder Deutschland, Berlin. […] 1933 blieb ich im Januar zuhause und
ging erst in den letzten Tagen wieder auf Wanderschaft.
Ich ging von Leiden nach Düsseldorf, Essen, Bochum,
Dortmund, Braunschweig, Magdeburg bis Berlin. Ich
bin hier an einem Sonnabend angekommen. Es war der
18. Februar 1933.“
Er übernachtet auch auf dieser Reise wieder hauptsächlich in Gemeinde-, Obdach- und Asylheimen
und isst in öffentlichen Suppenküchen. In Berlin
kommt er im Asylheim in der Alexandrinenstraße
unter, in dem er auch schon 1931 geschlafen hatte.
Marinus van der Lubbe will sich ein Bild von der
gärenden Stimmung in Berlin machen und besucht gleich an seinem ersten Tag, einem Sonntag,
ein SPD-Konzert auf dem Bülowplatz, erlebt wie
diese Veranstaltung von der Polizei widerstandslos aufgelöst wird, wandert weiter durch die Stadt,
stößt im Lustgarten auf eine Veranstaltung der
„Reichbanner“-Organisation der SPD und schaut
sich am Abend den Film „Der Rebell“ von Luis
Trenker im Kino am Alexanderplatz an.
17
„Abends ging ich dann weiter in das Asyl in der
Fröbelstraße schlafen. […] Montag musste ich für das
Asyl Schnee schippen. Ich war gegen ein Uhr fertig und
schrieb dann Briefe nach Hause. Nachdem ich noch
etwas spazieren gegangen war, ging ich zeitig schlafen, wieder in der Fröbelstraße. Das Gleiche dann am
Dienstag. Bis 12.00 Uhr war ich im Wohlfahrtsamt, wo
ich eine Essenskarte für Mittwoch bekam. Dort habe ich
lange warten müssen, weil da sehr viele Leute waren.
Nachmittags ging ich in der Gegend des Alexanderplatzes spazieren und um 15.00 Uhr in ein kleines Kino,
wo ich den Film „Der Rebell“ sah. Ab 17.00 Uhr bin
ich noch etwas gelaufen, dann wieder im Fröbelasyl
schlafen. […] Am Mittwoch bin ich etwa gegen 11.00
Uhr vom Asyl weggegangen und habe mich nach der
Gleimstraße begeben, wo ich in der Volksküche Essen
bekam. Ich ging dann noch einige Zeit im Wedding
spazieren und dann wieder in der Alexandrinenstraße
im Männerheim schlafen.“
Ausschnitt aus dem Berliner Stadtplan von 1933
D er R eic h stagsbra n d
„Ich habe festgestellt, dass die Anhänger der nationalen Konzentration volle Freiheit in Deutschland haben,
der Arbeiter aber nicht.“ Marinus van der Lubbe
kannte Berlin bislang als Hochburg der Arbeiterbewegung und ist über die Widerstandslosigkeit und Handlungsunfähigkeit der Bewegung enttäuscht. „Ich habe
nun mit den Arbeitern Mittel und Wege besprochen,
wie man das heute machen muss. Das Recht, das die
Nationalsozialisten heute haben, das müssten auch die
Arbeiter haben. Ich fordere auf, eine Demonstration zu
machen. Da wird mir gesagt, man müsse sich zuerst an
die Organisationen, die KPD, wenden, die sich dann die
Demonstration überlegen wird.“
Aber die KPD hat andere Pläne und denkt in diesen
Tagen nicht an großangelegte Demonstrationen. Van
der Lubbe spricht in diesen Tagen mit vielen Arbeitern auf der Straße.
Am 22. Februar beobachtet Marinus van der Lubbe
einen SA-Aufmarsch in Neukölln. Am nächsten
Tag wird er auf eine KPD-Versammlung im Berliner
Sportpalast aufmerksam und macht sich im Postamt
C2 am Alexanderplatz einige Notizen, um später als
Diskussionsredner auftreten zu können – aber dazu
kommt es nicht, auch diese Veranstaltung wird ohne
Gegenwehr aufgelöst. Am darauffolgenden Tag geht
van der Lubbe erneut ins „rote“ Neukölln, wo er eine
Protestkundgebung auf die Beine stellen will. „Auf
der Straße spricht er jugendliche Arbeitslose an und
provoziert sie – doch […] kann er sie nur zu einem
müden Achselzucken bewegen. Noch einmal verbringt er eine unruhige Nacht in der Alexandrinenstrasse – dann handelt er auf eigene Faust. Am Samstag, dem 25. Februar verlässt van der Lubbe gegen
10 Uhr das Asylheim. Am Vortag hat er sich fünf
Mark beim Postamt abgeholt, die ihm ein Freund aus
Holland geschickt hatte. Er kauft sich eine Schachtel Streichhölzer der Marke „Hausmarke“ in einer
Kohlenhandlung und einem Kolonialwarenladen,
zudem je zwei Pakete Kohlenanzünder der Marke „Oldin“. Gegen 16 Uhr ist van der Lubbe beim
Wohlfahrtsamt Neukölln am Mittelweg. Er studiert
die ihm bereits bekannte Baracke, kehrt um, da es
noch zu hell ist und ist am frühen Abend wieder vor
Ort. Van der Lubbe zündet die ersten Pakete Kohlenanzünder an, wirft eines auf das schneebedeckte
Dach und das andere durch ein offenes Fenster. Als
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dieser Kohlenanzünder in der Frauentoilette aufkommt und achtsame Passanten die ersten Flammen
sogleich löschen, ist van der Lubbe schon längst mit
der U-Bahn zum Alexanderplatz gefahren. Van der
Lubbe läuft an diesem späten Februarnachmittag wie
ein Getriebener durch Berlin. Alle ihm bekannten
öffentlichen Gebäude geraten in seinen Fokus, mehrmals versucht er mittels der Kohlenanzünder Feuer
zu legen, nirgends hat er die Zeit zu überprüfen, ob
das Feuer ausbricht.
„Am Sonnabend ging ich dann um 10.00 Uhr aus dem
Männerheim fort und wandte mich dem Berliner Zentrum zu, wo ich auch das Schloss gesehen habe. Vom
Alexanderplatz ging ich direkt nach Süden und kam
dann auf den Hermannplatz. Hier war ich etwa gegen
17.00 Uhr. Auf dem Weg zum Hermannplatz kam mir
der Gedanke, das Wohlfahrtsamt anzuzünden. Ich kaufte zu diesem Zweck für 30 Pfennige vier Pakete Kohlenanzünder. Ich habe eine Hecke überklettern müssen und
bin hinten herumgegangen, bis ich etwa in Kopfhöhe
ein Eckfenster sah, in das ich dann ein brennendes Paket hineinwarf. Ob das Paket einen Brand entfacht hat,
weiß ich nicht, da ich sofort auf demselben Weg, wie
ich hineingekommen war, geflüchtet bin. […] Von dort
aus ging ich in die Königstraße und kam um 19.15 Uhr
vor das Rote Rathaus. Hier ging ich zunächst an der
Querseite des Gebäudes vorbei. An der Ecke sah ich ein
Kellerfenster offenstehen. [...] Ich entzündete wieder ein
Paket der Kohlenanzünder und warf es in den Keller
hinein. Es war schon fast dunkel und mich hat niemand
beobachtet. Ob das Paket einen Brand entfacht hat,
weiß ich nicht, da ich auch hier schnell weggegangen
bin. Ich bin die Spandauer Straße und dann in die
Königstraße in Richtung Schloss eingebogen. […] Am
Schloss war ich gegen 20.00 Uhr. An der einen Seite
des Schlosses befindet sich ein großes Denkmal. Auf
dieser Seite des Schlosses wird gerade gebaut, deshalb
sind dort auch hohe Gerüste errichtet worden. Auf der
linken Seite des Torbogens bin ich dann daran hoch
geklettert und so auf das Dach gelangt. Mitten auf der
Seite des Schlossdaches brachte ich dann die restlichen
beiden Pakete zur Entzündung. Die Pakete habe ich in
ein Dachfenster geworfen. Ich bin dann denselben Weg
wieder zurückgeklettert und über die Spree, die Königstraße entlang, zum Alexanderplatz zurückgegangen.
Abends habe ich dann wieder im Männerheim genächtigt.“
D er R eic h stagsbra n d
Am Folgetag, einem Sonntag, irrt er durch die Stadt,
unschlüssig, ob er die Heimreise antreten soll, oder
nicht. Über den Tiergarten, Charlottenburg und
Spandau wandert er weiter nach Henningsdorf. Er
besitzt nur noch eine Mark. In Henningsdorf lässt er
sich gegen 18.20 Uhr im Polizeiasyl registrieren.
„Am Sonntag bin ich früh um 9.00 Uhr aufgebrochen
und durch den Tiergarten über Charlottenburg nach
Spandau gegangen. Den Grund, weswegen ich dort hingegangen bin, kann ich nicht angeben. Geld habe ich
bis auf eine Reichsmark nicht mehr besessen; ich hätte
also bis Leiden laufen müssen. Am Sonntagabend bin
ich in einem Dorf bei Spandau eingekehrt. Dieses Dorf
heißt Hennigsdorf.“
Am Rosenmontag geht van der Lubbe von Hennigsdorf
wieder in Richtung Berlin.
„Am Montag bin ich dann gegen 8.00 Uhr von Hennigsdorf wieder in Richtung Berlin abmarschiert und
habe mich zuerst nach Tegel begeben. Ich bin die ganze
Müllerstraße, Chausseestraße und Oranienburger
Straße entlang bis direkt zum Reichstag gegangen. Ich
kam von der Oranienburger Straße zunächst zu den
Linden, ging diese hinunter bis zur ersten Querstraße
vor dem Brandenburger Tor. Von dort ging ich direkt
zum Reichstag hinüber. Ich war etwa gegen 17.00 Uhr
da und habe mir das ganze Gebäude genau angesehen.
Bereits am Vormittag habe ich mir beim Passieren der
Müllerstraße 48 (auf der linken Seite derselben nach
der Stadt zugesehen) noch einmal vier Pakete Kohlenanzünder für 30 Pfennige gekauft. Der Laden war ein
Kohlengeschäft in einem kleinen Holzgebäude. Kartoffeln sind dort auch verkauft worden. Ich erkenne diesen
Händler genau wieder. Als ich in das Geschäft kam,
hatte ich noch nicht gewusst, wie man diese Anzünder
auf Deutsch nennt. Ich habe nach den Dingern zum
„Kacheln“ gefragt, bis mich ein Mann im Laden darauf
brachte, dass dieses Material Kohlenanzünder heißt.
Am Nachmittag wärmt er sich im Postamt C2 auf
und studiert Flugblätter und Wahlkampfbroschüren.
Nach Anbruch der Dunkelheit bricht er Richtung
Reichstag auf. Marinus van der Lubbe ist gegen 21
Uhr am Reichstag. Er klettert von der großen Treppe
aus auf ein mannshohes Sims und tritt das Glas der
Balkondoppeltür ein. Er gelangt in das Reichstagsrestaurant, wo er versucht, Gardinen und einen Tisch
in Brand zu setzen. Von hier aus rennt er mit weiteren Kohlenanzündern in den Plenarsaal. Er steckt
19
seine Jacke und seinen Pullover in Brand, um im
dunklen Reichstagsgebäude besser sehen zu können.
Draußen vor dem Reichstag haben die ersten Zeugen bereits die Polizei alarmiert. Während viele der
kleinen Brandherde nicht richtig brennen wollen, ist
der Plenarsaal mit seinen stoffbespannten Holzwänden und der ausgedörrten Wandvertäfelung geradezu
„ideal“.
„Ich habe nachmittags den Anbruch der Dunkelheit
abgewartet und bin dann wieder die Linden lang zur
Dorotheenstraße gegangen und dann fast ganz um den
Reichstag herum. Als ich an die Freitreppe kam, bin ich
an der rechten Seite der Treppe an einem etwa mannshohen Gesims hochgeklettert und auf einen kleinen
Balkon gestiegen. Ich trat das Glas der Balkondoppeltür ein und gelangte so in ein Zimmer. Dort habe ich
das erste Feuer angezündet und zwar mit einem von den
Paketen, das ich unter die Gardine legte. Da der Brand
gar nicht richtig losging, habe ich noch ein zweites
Stück angezündet und auf den Tisch gelegt. Da es so
dunkel war, habe ich damit das Zimmer erhellen wollen.
Ich ging auf den Korridor und habe hier meine Jacke
und meine Weste ausgezogen. Das Feuer war inzwischen ausgegangen und ich habe daher meinen Pullover angezündet, um das Feuer weiter zu tragen. Zum
Anzünden des Pullovers verwendete ich die glimmenden
Reste auf dem Tisch. Mit dem brennenden Pullover
rannte ich dann den Korridor entlang, der hinten einen
rechten Winkel machte. Dort fand ich in einem Büro
Papier, das ich nun mit dem dritten Paket Kohlenanzünder zum Anlegen eines großen Brandes verwenden
konnte. Ich bin dann zurückgerannt und habe die Tür
zur Küche eingetreten. Dort habe ich ein Tafeltuch in
Brand gesetzt, indem ich das letzte Paket Kohlenanzünder verwendete. Dann habe ich eine Speiseklappe, die
zum Durchgeben des Essens dient, entzwei gemacht.
Ich gelangte in einen kleineren Saal und rannte dort die
Treppen hoch. Ein brennendes Tischtuch habe ich mitgenommen und kam dann in eine große Kirche. […] Ich
rannte also auf den Eingang des Saales zu. In diesem
Augenblick hörte ich auf der gegenüberliegenden Seite
des Saales Stimmen. Ich lief jetzt in den großen Saal,
in dem ich auch noch Feuer anzünden wollte. Auch
hier habe ich nichts Brennbares gefunden, also lief ich
wieder zum Bismarcksaal zurück, unterwegs verlor ich
brennende Teile. Hier hörte ich wieder Stimmen. Ich
nahm an, dass es die Polizei sei und habe gewartet. Im
Bismarcksaal bin ich auch festgenommen worden.“
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Foto vom Reichstagsbrandprozess
Marinus van der Lubbe wird um 21.27 Uhr festgenommen. Er ruft: „Protest! Protest!“, lässt sich
durchsuchen. Bei sich hat er nur einen niederländischen Pass, einen Geldbeutel und ein Taschenmesser.
In einem spektakulären und international viel beachteten Prozess in Berlin und Leipzig wird van der
Lubbe am 23. Dezember 1933 zum Tode verurteilt.
Seine vier Mitangeklagen (Ernst Torgler, sowie
die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew) werden aus
Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 10. Januar
1934 wird van der Lubbe mit der Guillotine in Leipzig hingerichtet.
Das Urteil gegen ihn wird 2007 von der Bundesanwaltschaft aufgehoben. „Die Annullierung des
Richterspruchs gegen den kommunistischen Widerstandskämpfer durch die Generalbundesanwaltschaft
beruht auf dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile von 1998 [...]. Laut
Bundesanwaltschaft beruhte die Verhängung der
Todesstrafe auf „spezifisch nationalsozialistischen
Unrechtsvorschriften“, die gegen die Grundvorstellungen von Gerechtigkeit verstießen. Demnach wurde die Todesstrafe für Taten wie Brandanschläge erst
einen Tag nach dem Vorfall eingeführt – jedoch auf
vorher begangene Straftaten rückwirkend erstreckt.
[...] Im April 1967 war das Todesurteil gegen den
Niederländer zunächst vom Berliner Landgericht
teilweise abgeändert und zu acht Jahren Zuchthaus
umgewandelt worden.“*
* aus: http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/1185/
justiz_hebt_todesurteil_gegen_van_der_lubbe_auf.html
D er R eic h stagsbra n d
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Szenenfoto mit
Hagen Löwe,
Andrej von Sallwitz,
Iven Hausmann
Historische Quellen
Der Text und die Inszenierung des Dokumentarfilmers Titus Faschina gehen (fast) ausschließlich von
historischen Quellen aus. Die Vielfalt der Dokumente und deren Widersprüchlichkeiten verleiten zur
Annahme einer allgemeinen Unsicherheit der Bürger
und der Historiker, damals wie heute: Was und wem
kann man glauben? Wo positioniert man sich in
einer Quellenflut? Wo setzt man einen Schwerpunkt?
Wem nutzt eine Tat? Wer schreibt Geschichte? Für
diese Inszenierung wurden verschiedenste Materialien und Archive gesichtet. Wir waren uns bei der
Recherche durchaus bewusst, dass auch offizielle
Quellen – in diesem Fall ziemlich offensichtlich –
gefälscht wurden.* Um einen assoziativen Raum im
Spieltext zu ermöglichen, sind neben den zahlreichen historischen Dokumenten auch kulturwissenschaftliche Texte zum „Gehen“ und „Laufen“, zur
„Guillotine“,
* Sowohl die Vernehmungsprotokolle, wie auch seine Tagebuchaufzeichnungen sind mit größter Wahrscheinlichkeit nicht wort-wörtlich
von van der Lubbes.
sowie ein Textausschnitt aus „die Heimkehr“ von
Franz Kafka und das Höhlengleichnis von Platon
eingearbeitet. Einige der Quellen, die zum Teil auch
in den collagehaften Stücktext eingeflossen sind,
werden im Folgenden dargestellt.
Zeitgenössische Witze, ein Beispiel
Am Abend des 27. Februar kommt Görings Adjutant
atemlos ins Arbeitszimmer seines Chefs gestürzt:
„Herr Ministerpräsident!“, schreit er. „Der Reichstag
brennt!“ Göring schaut auf die Uhr und schüttelt verwundert den Kopf: „Was denn, jetzt schon?“
Vernehmungsprotokolle der Polizei und
Prozessprotokolle
Die Selbstbeschreibung van der Lubbes in der
Vernehmung der Polizei am 28. Februar, 1. und
2. März 1933 diente dem Text der Inszenierung
als Basis für die Figur des Marinus van der Lubbe
(Ausschnitte aus Schoutens Biografie im vorherigen
D er R eic h stagsbra n d
Kapitel und im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde,
Bestand ST 65). Die stenografischen Mitschriften
der Verhandlungen vom 21.09.33 – 23.12.33 vor
dem Reichsgericht sind erhalten und im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde einzusehen. Zum Teil sind
sie auch abgedruckt in „Der Reichstagsbrandprozess
und Georgi Dimitrow“ (Hg: Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED). „Insgesamt wurden
bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in
einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. Die Regierung beeinflusste das Verfahren von
Anfang an. Der die Untersuchung leitende Richter
wurde zu Beginn durch einen Mann des Regimes
ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der
Beschuldigten ablehnte.“*
Für die Inszenierung spielten diese Akten keine
beachtenswerte Rolle, da die Beschreibung van der
Lubbes im Vordergrund stand und nicht der verzweifelte und missglückte Versuch einer jungen Diktatur,
ein Exempel gegen die Kommunisten zu statuieren.
Der Prozess wurde bereits damals aufgezeichnet**.
Inzwischen ist er mehrfach verfilmt*** und für das
Theater dramatisiert****.
Gutachten der Psychiater
„Die psychiatrischen Gutachten, aus denen hervorging, dass van der Lubbes Verhalten keineswegs
unverständlich oder gar krankhaft, sondern die Abwehrhaltung eines in seiner Menschenwürde zutiefst
beleidigten Mannes war, sind bereits im Prozess von
den medizinischen Sachverständigen sehr ausführlich vorgetragen worden. Gutachter waren zwei
namhafte, politisch und fachlich gleichermaßen integre Wissenschaftler: der 1948 verstorbene Geheime
* aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagsbrand#
Der_Reichstagsbrandprozess
** Einen Ausschnitt kann man bspw. unter: http://videokatalog.msn.
de/Gesellschaft/Geschichte/video-1933-Reichstagsbrand-ProzessReichstagsbrand-Prozess-Machtergreifung-46946.html einsehen.
*** u.a. ein TV-Mehrteiler von Tom Tölle, Der Reichstagsbrandprozeß,
1967, BRD / Marinus van der Lubbe en de Rijksdagbrand (1933,
Original-Filmmaterial mit Ton aus dem Reichstagsbrandprozess)
**** u.a. von Hedda Zinner, Der Teufelskreis, 1955. Anspielungen auch
in Berthold Brecht, Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, 1941
oder „Professor Mamlock“ von Friedrich Wolf, 1933
22
Medizinalrat Professor Dr. Karl Bonhoeffer von der
Universität Berlin und der damalige Privatdozent
und heutige Direktor der Nervenklinik Frankfurt am
Main, Professor Dr. Jürg Zutt. Die beiden Professoren haben im August 1934 unter dem Titel „Über
den Geisteszustand des Reichstagsbrandstifters Marinus van der Lubbe“ in der „Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie“ (Band 89, Heft 4, Seiten
185 bis 213) den wesentlichen Inhalt ihrer Gutachten
über Lubbe wiedergegeben.“*****
Anhand der Beschreibungen der Psychiater, die
hier aus Martin Schoutens Biografie zitiert werden,
lassen sich Rückschlüsse auf einen klaren Charakter
ziehen:
„Marinus van der Lubbe war ein großer, breitschultriger, ungeschlachter junger Mann. Er sah jünger
aus, als es seinem tatsächlichen Alter von 24 Jahren
entsprach, was nur zum Teil an seinem breitknochigen Gesicht lag, auch Haltung und Bewegungen
hatten etwas sehr Jungenhaftes. […] Im Tonfall und
mimischen Gebaren war er präzise und vielfältig
an Nuancen, obschon er mit relativ leiser Stimme
sprach. […] Man hatte ihm gegenüber sehr das Gefühl einer Persönlichkeit, die weiß, was sie will. […]
Die meist unordentlichen, dünnen, leicht gewellten,
rötlich-braunen Haare umgaben etwas spärlich das
blasse, fast gedunsen wirkende Gesicht. Mehr als
gewöhnlich schienen Augen und Mund Träger des
lebendigen Ausdrucks zu sein. Recht häufig runzelte
er die Stirn. […] Die Augen waren klein, die Augenlider stets etwas entzündet […] Es versteht sich, dass
gerade diese krankhafte Veränderung der Augen den
ganzen mimischen Ausdruck sehr stark bestimmte.
[...] Er sah nicht so aus, als ob ihm etwas entging.
[…] Es ist nur diese eine Auffassung möglich:
Dieser junge 24-jährige Mensch hat sich mit einer
erstaunlichen effektiven Unerbittlichkeit, ja Verbissenheit, konsequent gehalten bis zu seiner Hinrichtung. Darin liegt – gerade im Hinblick auf sein
jugendliches Alter – eine erstaunliche menschliche
Leistung. Aber er war eben auch ein ungewöhnlicher
Mensch: Er war von brennendem Ehrgeiz, daneben
***** aus: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42623554.html
D er R eic h stagsbra n d
Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz
bescheiden und kameradschaftlich; ein Wirrkopf,
ohne rechtes Bedürfnis nach intellektueller Klarheit,
dabei aber doch einer unbeugsamen Entschlossenheit fähig, für widersprechende Argumente einsichtslos und unbelehrbar. Er war gutmütig und nicht
nachtragend, aber gegen alle Autorität lehnte er sich
auf. Diese grundsätzlich aufrührerische Tendenz
war wohl seine bedenklichste Eigenschaft […] In
irgendeiner Weise Ungewöhnliches war von ihm
zu erwarten. Geisteskrank ist er aber darum nicht
gewesen. “
Zeitzeugen (Schriftsteller, Tagebücher)
Der Reichstagsbrand ist von zahlreichen Menschen
beschrieben worden. So findet man neben Tagebuch-
23
einträgen auch viele literarische Aufarbeitungen.
Gedichte, Theatertexte, Witze und Prosa. Ein paar
Beispiele finden Sie im Folgenden.
Clara Brause (Tagebucharchiv Hamburg): „Ich
habe dieses schreckliche Ereignis erst heute Nachmittag drei Uhr erfahren, als ich Einkäufe machte.
Da ich Wäsche hatte, kam ich nicht früher auf die
Straße. In dem Schaufenster der Nazi-Zeitungen
las ich das Furchtbare und glaubte anfangs an einen
Faschingsulk. – Fast gelähmt schleppte ich mich
zum Zeitungsstand, um mir eine „B.Z.am Mittag“ zu
kaufen. Darin fand ich dann das Grausige bestätigt. –
Als meine Tochter um 5 Uhr heimkam, war sie noch
gar nicht im richtigen Bilde. Man hatte die tollsten
Geschichten von dem Brande verbreitet. Gott wird
wissen, was uns in den nächsten Tagen und Wochen
noch Böses bevorsteht. Wir bitten um seine Gnade.“
Joseph Goebbels (Tagebücher 1924-1945): 27.
Februar 1933: „Um neun Uhr kommt der Führer
zum Abendessen. Wir machen Musik und erzählen. Plötzlich ein Anruf von Dr. Hanfstaengl: „Der
Reichstag brennt!“ Ich halte das für eine tolle Phantasiemeldung und weigere mich, dem Führer davon
Mitteilung zu machen. Ich orientiere mich nach allen
Seiten und erhalte dann die furchtbare Bestätigung:
es stimmt. Lichterloh schlagen die Flammen aus der
großen Kuppel. Brandstiftung! Ich benachrichtige
gleich den Führer und dann rasen wir im 100-kmTempo die Charlottenburger Chaussee herunter zum
Reichstag. Das ganze Gebäude steht in Flammen.
Über dicke Feuerwehrschläuche gelangen wir durch
das Portal 2 in die große Wandelhalle. Auf dem
Wege dahin kommt Göring uns entgegen und bald
danach ist auch v. Papen da. An vielen Stellen wurde
schon Brandstiftung festgestellt. Es besteht kein
Zweifel, dass die Kommune hier einen letzten Versuch unternimmt, durch Brand und Terror Verwirrung zu stiften, um so in der allgemeinen Panik die
Macht an sich zu reißen. Nun ist der entscheidende
Augenblick gekommen. […]
28. Februar 1933: […] Nun wird die rote Pest mit
Stumpf und Stiel ausgerottet. Widerstand zeigt sich
nirgendwo. Das gegnerische Lager scheint durch
unser plötzliches und scharfes Durchgreifen so verblüfft zu sein, dass es sich gar nicht mehr zu wehren
D er R eic h stagsbra n d
wagt. Ich schaue mir im Reichstag die Folgen der
Brandnacht an. Das Plenum bietet ein einziges Bild
von Verwüstung. Trümmer über Trümmer. Das wird
der K.P.D. teuer zu stehen kommen. Im ganzen
Volk herrscht eine unbeschreibliche Empörung über
dieses feige Attentat. Nun läuft die Arbeit wie von
selbst. Das Schlimmste ist vorbei. Die hoffentlich
letzte Panne ist glücklich überwunden. Noch ein
paar Tage und dann werden wir unseren großen
Triumph feiern können. Es ist wieder eine Lust zu
leben. [...]“
Victor Klemperer (Die Tagebücher): „30. Januar:
Hitler Kanzler. Was man bis zum Wahlsonntag
Terror nannte, war mildes Prélude. Jetzt wiederholt
sich haargenau, nur mit anderem Vorzeichen, mit
Hakenkreuz, die Sache von 1918! Wieder ist es
erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht. Wo
ist Bayern, wo ist das Reichsbanner usw. usw.? Acht
Tage vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, dass irgend
jemand wirklich an kommunistische Täter glaubt
statt an bezahlte Arbeit. Dann die wilden Verbote u.
Gewaltsamkeiten. Und dazu durch Straße, Radio etc.
die grenzenlose Propaganda.“
24
Klaus Mann: „Zwischen einem Tango und einem
Walzer erzählte man sich die neuesten Schreckensnachrichten aus Berlin. Als der Anarchist Erich
Mühsam, der Pazifist Carl von Ossietzky und der
Kommunist Ernst Thälmann von der Gestapo verhaftet wurden, kehrte man in München Luftschlangen und Konfetti von den Straßen. Man war verkatert. Der Fasching war vorüber.“
Tom Crepon / Hans Fallada: „Am Abend des 27.
Februar sitzt eine kleine Runde in den Schlichterschen Weinstuben in der Augsburger Straße, um auf
den Erfolg des neuen Fallada-Romans anzustoßen.
[…] als der Abend schon tüchtig vorangeschritten
ist, stürmt Ernst von Salomon – wie Dietzen Lektor
im Rowohlt-Verlag – mit der Nachricht ins Zimmer,
der Reichstag brenne. Er erntet ungläubiges Staunen,
Zweifel, bei Rowohlt sogar Spott: „Das möchten Sie
oller Bombenschmeißer und Attentäter wohl gern?
Haben Sie wohl selbst iniziiert, he?“ Aber Salomon
geht nicht darauf ein. Er wiederholt, was soeben
über den Berliner Rundfunk verbreitet wurde.“
Szenenfoto mit
Hagen Löwe
D er R eic h stagsbra n d
Bertolt Brecht:
Der römische Kaiser Nero (1933)
Der römische Kaiser Nero, der ebenfalls
Als großer Künstler gelten wollte, soll angesichts
Des auf sein Geheiß brennenden Roms auf einem Turm
Die Harfe geschlagen haben. Bei einer ähnlichen
Gelegenheit
Zog der Führer angesichts eines brennenden hohen
Hauses
Den Bleistift und zeichnete
Den schwungvollen Grundriss
Eines neuen Prachtbaus. So, in der Art ihrer Kunst
Unterschieden sich die beiden.
Thomas Brasch: Van der Lubbe, Terrorist
(Niemands Land)
Das Gedicht umfasst zwölf Strophen. Hier ein Ausschnitt:
Die Geschichte spielt in meiner Stadt,
die der Krieg zerschnitten hat
und aus tausend Häuserwunden
Blut noch heute alle Stunden
Unterm Pflaster seufzt und stöhnt
Totes das sich nicht gewöhnt
an den Tod Und drüber fährt
feiges Volk das sich nicht kehrt
weiter taub und blind und stumm
Staat macht Angst und Angst macht dumm:
Februar 27. brennt das Regierungshaus.
Van der Lubbe atemlos läuft durch die Säle, rote Feuer
spiegeln sich in seiner Kinderfratze, er findet
einen Ausgang noch zum Reichstagsufer steht:
Seht meine Arbeit, die zum Himmel brennt:
Seht die Flamme aus dem Krater brechen:
Jetzt laßt uns den Staat wegstechen.
Keine Antwort nur die Autos fahren hin und her:
schon zwei Stunden später ist er festgenommen,
abgefahren, vorgeführt, Personalien festgestellt:
Name, Wohnort, Auftraggeber. Van der Lubbe lacht:
Eigner Auftrag, das versteht kein Polizist.
Staunend stehn sie an den Türen:
Dieser Brand soll ein größres Feuer schüren.
Keiner handelt ohne Auftrag, sagen alle im Gericht,
auch die angeklagten Kommunisten
25
nennen ihn das Werkzeug der Faschisten,
die ihn aber auch durchschaun
und dem Roten in die Fresse haun.
Van der Lubbe versteht jetzt garnichts mehr:
Und das Volk. Als ob nichts geschehen wär.
Ernst Busch: Die Ballade vom Reichstagsbrand
Die Ballade vom Reichstagsbrand umfasst 22
Strophen und wird nach der Melodie des „Macky
Messer“-Songs aus der Dreigroschenoper gesungen.
3. Eines Tages, es war noch Winter
Blieb man an der Panke Strand Denn der Führer
sagte: in der Luft liegt heut´ ein Reichstagsbrand
4. Und an diesem Montag abend Stand ein hohes
Haus in Brand. Fürchterlich war das Verbrechen Und
der Täter unbekannt
5. Zwar ein Knabe ward gefunden
Der nur eine Hose trug
Und in Leinwand eingebunden
Der Kommune Mitgliedsbuch
21. Zu Berlin im Jahre neunzehnhundertdreiunddreißig stand
Dann an einem Montag Abend des
Letzten Reichstags Haus in Brand.
Zeitungen
Anhand der vielen verschiedenen Zeitungsberichte
vom 28. Februar 1933, lässt sich ein differenziertes
Bild der Zeit ablesen. Eine Woche vor der Reichstagswahl konnte über dieses weltgeschichtliches
Ereignis nicht unterschiedlicher berichtet werden.
Eine Auswahl von Ausgaben vom 28.02.33 und
anderen Daten findet man digitalisiert unter http://
zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/
date/1933-02-28/. Den „Völkischen Beobachter“, die
„Vossische Zeitung“ und „Vorwärts“ vom Tag nach
dem Reichstagsbrand finden Sie mit Arbeitsblättern
für die Sekundarstufe I und II unter http://zeitungszeugen.de/ausgabe-2/. Für die Inszenierung wurden
auch Zitate aus den damals erschienenen Blättern
entnommen. So u.a. Teile aus dem Leitartikel von
Joseph Goebbels im „Völkischen Beobachter“.
D er R eic h stagsbra n d
26
Horoskope und Wahrsager
(Eric-Jan Hanussen)
In der Weimarer Zeit spielten Horoskope, astrologische Kalender und große Wahrsager-Shows
eine erstaunlich bedeutende Rolle. Auch bei der
Beschäftigung mit dem Reichstagsbrand stößt man
unweigerlich auf eine Vielzahl von übernatürlichen
Hinweisen. So findet man bereits in der Zeitschrift
„Deutschlands Zukunft – Unparteiische Wochenschrift für Astrologie, Politik und aktuelle Kulturprobleme“ von August 1932 einen großen Artikel über
den Untergang des Reichstags: „Durch Reichstagskatastrophe zur Diktatur? Was kündet das Horoskop
des neuen Reichstags: Vier Planeten im Todeshaus.“
Die Zeitung, die das bedrohende Horoskop des
Reichstags (Abbild s. Seite 7) veröffentlichte, ist
eines der unbekannteren Beispiele:
„Da sowohl der Aszendent des Reichstagshoroskopes wie auch der Geburtsgebieter Jupiter günstig
Hanussen bei einer Hypnosesitzung
bestrahlt sind, können wir dem Reichstag weder
Lebensfähigkeit noch baldiges Ende voraussagen. In
diesen Tagen muss sich nämlich die verhängnisvolle
Besetzung des 7. Feldes im Horoskop des Reichstages auslösen, da der Mars nunmehr bis zur Position
des Mondes fortgeschritten ist und am 28. Februar
durch den laufenden Mond diese Konjunktion ausgelöst wird.“
Weit bekannter ist die populäre und schillernde Person des Wahrsagers Eric-Jan Hanussen. Hanussen
(1889 – 1933) geboren als Hermann Steinschneider,
war ein Star seiner Zeit, ein Hellseher, über den
die ganze Stadt sprach und der zweimal täglich die
Berliner Scala mit mehreren tausend Zuschauern
füllte. „‚Hanussens bunte Wochenschau‘ war kurzfristig eine der auflagenstärksten Zeitungen Berlins. Durch ‚astrologische Börsentipps‘ konnte er
Aktienkurse beeinflussen. […] Hanussen verkaufte
allerhand okkulte Produkte und wurde so reich, dass
er sich unter anderem eine Luxus-Yacht leistete und
in der Lietzenburgerstraße in Berlin ein Gebäude
D er R eic h stagsbra n d
27
als ‚Palast des Okkultismus‘ ausbauen ließ. […]
Durch seine ‚Geldverleihungen‘ erwarb er sich viele
Freunde.“* Der Wahrsager war trotz seiner jüdischen
Herkunft ein großer Sympathisant der Nationalsozialisten, unterstützte Hitlers Aufstieg durch seine
astropolitischen Zeitschriften und hatte nachweislich
Kontakt zur Führungsriege der Partei. Anfang 1933
sagte er den Reichstagsbrand voraus. Am 26. Februar 1933 hypnotisierte Hanussen die tschechoslowakische Schauspielerin Maria Paudler, die in Hypnose
ausrief: „Ich sehe gesegnete Felder … Deutschland
wird glücklich … das Volk jubelt seinem Führer zu
… noch hat er Gegner … sie versuchen einen letzten
Stoß … aber jeder Widerstand ist nutzlos … Da ist
Feuer. Ich sehe ein großes Haus in Flammen stehen“.
20 Stunden später brannte der Reichstag. […] Am
23. März 1933 wurde Hanussen in seiner Privatwohnung verhaftet und in der Nacht des 24. März
von einem SA-Kommando erschossen. Seine Leiche
wurde Tage später, in einem Waldgebiet südlich Berlins, aufgefunden.“** Ob Hanussen von einem Plan
der Nationalsozialisten den Reichstag anzuzünden
wusste, ob er mit Brandstiftern Kontakt hatte oder
ob sich gar eine Brücke zwischen Hanussen, SAMitgliedern und Marinus van der Lubbe herstellen
ließe, bleibt eines der vielen ungelösten Rätsel dieser
Tat***.
In dem Kapitel „Die wahren Brandstifter“ trugen
die Autoren auf über 60 Seiten die damals bekannt
gewordenen Fakten über die Wahrheit der amtlichen
Kommuniqués, interne und öffentliche Widersprüche in der Darstellung der Abläufe, sowie technische
und inhaltliche Details der Darstellung des Brandes
zusammen, die auf der einen Seite die Angeklagten
entlasteten und andererseits die faschistischen Organisationen und Führer in den Blick nahmen. In diesem Kapitel kommen die Verfasser zu dem Ergebnis:
„Hauptmann Göring ist der Organisator des Reichstagsbrandes. Sein Parteigenosse Goebbels hat den
Plan erdacht, Göring hat ihn durchgeführt. In seiner
Hand waren alle Möglichkeiten vereint. In seiner
Hand war alle notwendige Macht gegeben. In seiner
Hand liefen alle Fäden zusammen. Der Morphinist
Göring hat den Reichstag angezündet.“****
Das „Braunbuch über Reichstagsbrand
und Hitlerterror“
Nachdem das „Braunbuch“ am 1. August 1933 der
Öffentlichkeit vorgestellt wurde, dauerte es nur wenige Wochen, bis es in siebzehn Sprachen übersetzt
und weltweit in Millionenauflagen verbreitet wurde.
Damit wurde es in den ersten Monaten und Jahren
der faschistischen Herrschaft eines der wichtigsten
Materialien der antifaschistischen Aufklärungsarbeit.
„Das Braunbuch ist eine Hetzschrift, die ich vernichten lasse, wenn ich sie kriege.“ (Hermann Göring im
Reichstagsbandprozess)
In den Kapiteln „Der Reichstag muss brennen!“ und
„Das Werkzeug van der Lubbe“ gelingt den Verfassern des „Braunbuchs“ der Nachweis, dass der
Reichstagsbrand eine von den Nationalsozialisten
geplante Provokation war, die als Vorwand für die
Verschärfung des Terrors herhalten sollte.
* aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Jan_Hanussen
** aus: http://www.lovelybooks.de/autor/Mel-Gordon/Erik-JanHanussen-7430281-t/rezension/950084039/ und besonders: http://
einestages.spiegel.de/s/tb/27905/80-jahre-reichstagsbrand-ich-seheden-grossen-bau-in-hellen-flammen-aufgehen.html
*** Siehe u.a. Lexikon zur Homosexuellen Verfolgung 1933 – 45 von
Günter Grau, Lit-verlag 2011
„Van der Lubbe ist für die Tat von den homosexuellen SAFührern, die mitzündelten, als Werkzeug empfohlen worden. Diesem eitlen, ruhmsüchtigen, halbblinden Werkzeug
klar zu machen, dass er für eine ‚große Rolle‘ ausersehen
sei, war leicht. Van der Lubbe wurde im brennenden
Reichstag zurückgelassen, weil er das Beweismittel gegen
die Kommunisten war. Er hat seine Rolle so gut gespielt,
wie er konnte. Und wird weiter alles gestehen, was seine
Auftraggeber von ihm verlangen.“
(aus: Braunbuch)
Auszüge aus den Schulbüchern für
Geschichte beider deutscher Staaten
Anhand der Darstellung des Reichstagsbrandes
in den Schulbüchern der letzten Jahrzehnte lässt
sich die Instrumentalisierung und Veränderung der
Rezeption dieser Tat sehr gut erkennen. So ist u.a.
auffällig, dass der Reichstagsbrand im Westen so gut
**** aus: http://www.dasjahr1933.de/braunbuch-reichstagsband/
D er R eic h stagsbra n d
wie keine Erwähnung fand, sondern nur im Zusammenhang mit der Reichstagswahl vom 5.März 1933
angesprochen wird, im Osten hingegen oft ausführliche Artikel zum Reichstagsbrandprozess und einem
der Hauptakteure, Georgi Dimitrow, zu lesen sind.
Als unterstützende Recherche haben wir in verschiedenen Schulbucharchiven nachgeforscht und die
folgenden (hier teils stark gekürzten) Artikel aus Ost
und West gefunden:
„Am Abend des 27. Februar wurde das Reichstagsgebäude in Brand gesetzt und brannte aus. Obwohl es
eine Tat von Nationalsozialisten war, ließ Hitler sofort
verkünden, das sei durch die Kommunisten als Auftakt
zu einer bolschewistischen Erhebung geschehen.“
(Bundesrepublik Deutschland, 1952)
„In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 organisierten die Faschisten eine ungeheuerliche Provokation gegen die KPD – den Reichstagsbrand. Die Nazis
behaupteten, die KPD hätte das Reichstagsgebäude
in Brand gesteckt, um damit angeblich das Signal zu
einem kommunistischen Aufstand zu geben. In Wirklichkeit war der Reichstagsbrand das Signal zu einer Welle
28
antikommunistischer Hetze und zu ungezügeltem Terror
gegen die KPD und alle antifaschistischen Kräfte.“
(DDR, 1960)
„In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 stand
das Reichstagsgebäude in Flammen. Hitler erklärte die
Kommunisten für die Brandstifter und ließ ihre Abgeordneten verhaften.“
(Bundesrepublik Deutschland, 1963)
Eine „Kette von Terrormaßnahmen erreichte am Abend
des 27. Februar 1933 mit der Reichstagsbrandprovokation einen Höhepunkt. Gegen 21.00 Uhr stand das
Reichstagsgebäude in hellen Flammen. Die unmittelbar
danach eintreffenden faschistischen Führer Goebbels,
Göring und Hitler behaupteten sofort, der Brand sei
von den Kommunisten als Signal für einen kommunistischen Aufstand gelegt worden. Die Brandstifter waren
jedoch die Faschisten selbst.“
(DDR, 1975)
„Am Abend des 27. Februar brannte das Reichstagsgebäude. Als Täter wurde der ehemalige holländische
Kommunist Marinus van der Lubbe verhaftet – hatte er
das ausgedehnte Feuer alleine legen können?“
(Bundesrepublik Deutschland, 1986)
Szenenfoto mit
Iven Hausmann und
Andrej von Sallwitz
D er R eic h stagsbra n d
„Diese Nachricht ließen sie auch über Presse und
Rundfunk verbreiten. Die Brandstifter waren jedoch die
Faschisten selbst, wie später nachgewiesen wurde. Sie
schufen damit einen Vorwand, um ihre antikommunisti-
29
sche Hetze zu verstärken und eine grausame Blutorgie
gegen Kommunisten und andere fortschrittlich denkende Deutsche zu entfesseln.“
(DDR, 1989)
Die Erschaffung von Realitäten:
Das Auge des Betrachters
Bei der vorbereitenden Arbeit für diese Inszenierung hat das Regieteam immer wieder festgestellt,
dass wir nicht nur auf Grund unserer unterschiedlichen politischen Sozialisierungen verschiedene
Dinge zum Reichstagsbrand meinten zu wissen. Als
Dokumentarfilmer ist Titus Faschina bei der Abbildung von Ereignissen immer mit der Frage nach der
Wahrheit konfrontiert. Kann ich eine „Wahrheit“
abbilden? Gibt es die eine Wahrheit? Wie sehr beeinflusst meine Darstellung die anderen? Der Reichstagsbrand ist diesbezüglich ein besonders dankbares
Forschungsobjekt. Im Folgenden finden Sie ergänzend zu den verschiedenen historischen Quellen der
vorangegangenen Kapitel Ausschnitte aus dem Artikel von Peter Krieg über eine Wahrheit, die immer
nur im Auge des Betrachters entstehen kann.
„Für Journalisten ist die Frage nach der Realität
meist sehr einfach: Realität ist das Ereignis, über
das zu berichten ist. Aufgabe des Journalisten ist es,
eine möglichst wahrheitsgetreue Berichterstattung
über das Ereignis zu erstellen. In der demokratischen
Tradition des Journalismus wird immerhin darauf
hingewiesen, dass es „Objektivität“ im Sinne einer
absolut originalgetreuen Wiedergabe nicht geben
kann, denn jede Wahrnehmung ist vom Wahrnehmenden gefärbt. Dennoch wird als Ziel und Idealfall
des journalistischen Berichts die möglichst weitgehende Annäherung an das Ereignis postuliert. Der
Journalist ist danach jemand, der unablässig auf der
Suche nach der Realität und damit der Wahrheit ist.
[…] Als Gradmesser für die Annäherung an die „Realität“ dienen uns gern Begriffe wie „Authentizität“,
also „Echtheit“, die allzu leicht vergessen lassen,
dass sie lediglich Definitionen über die inszenatorischen Methoden darstellen, mit der z. B. im Dokumentarfilm bestimmte Gefühle beim Zuschauer (Illusion, einer „Realität“ unmittelbar beizuwohnen?)
erzeugt werden. Die Vorstellung einer journalistisch
erfassbaren und vermittelbaren Realität „irgendwo
da draußen“ ist wohl in keinem Berufszweig so
ungebrochen wie im Journalismus. Ich habe den Eindruck, dass ausgerechnet und nicht zufällig genau
dort sich der blinde Fleck befindet, ohne den wohl
keine Berufsgruppe auskommt. […] In dem Maße,
wie diese Gesellschaft wächst, bedient sie sich technischer Mittel zur Kommunikation – der Medien.
Sinn dieser Medien ist es, gemeinsam konsensuelle
Bereiche zu schaffen, innerhalb derer eine Koordination der Handlungen der Individuen möglich ist.
Diese konsensuellen Bereiche nennen wir schlicht
„Realität“. Realität ist danach also ein gesellschaftliches Konstrukt, das wiederum Gesellschaft ermöglicht und konstituiert. Die Medien haben also die
Funktion, diese „Realität“ zu schaffen, indem sie sie
durch Beobachtung der Gesellschaft konstruieren
und in ihr verbreiten. Je komplexer und größer die
Gesellschaft, desto wichtiger ist die Funktion der
Medien, weil ohne sie eine Gesellschaft größerer
Dimensionen und Komplexität nicht als Gesellschaft
funktionieren könnte. […] Bei der Hervorbringung
von Realität in einem kollektiven Prozess entsteht
natürlich ebenfalls ein blinder Fleck. Dieser blinde
Fleck ist dort, wo die strukturelle Kopplung der
Individuen zu parallelen psychischen Zuständen,
also Emotionen, geführt hat. Realität als Vorstellung
D er R eic h stagsbra n d
einer Umwelt kann ja nur dann entstehen, wenn ich
zumindest für den Augenblick der Entstehung den
Beobachter als Hervorbringer der Realität „ausblende“, also damit auch seine Emotionen im Augenblick
der Hervorbringung vernachlässige. Die Vorstellung
einer gemeinsamen (wie auch individuellen) Realität
muss so tun, als sei sie unabhängig von der augenblicklichen Emotion des oder der Beobachter, die sie
hervorbringen. Dadurch wird verständlich, dass die
Medien, ebenso wie die Individuen, in aller Regel
davon ausgehen, als sei die Realität gegeben und
von den psychischen Zuständen der Beobachter unabhängig. […] Wenn ich sage, die Medien vermitteln
nicht etwa eine a priori gegebene Realität, sondern
sie erschaffen vielmehr eine gesellschaftliche Realität, so ist damit allein noch nicht viel gewonnen.
Ob sich die Erde um die Sonne dreht oder die Sonne
um die Erde, ändert bekanntlich wenig an meiner
täglichen Erfahrung von Sonnenauf- und -untergang.
Was sich jedoch ändert, ist die Art des Diskurses in
der Gesellschaft. Heinz von Foerster weist immer
wieder auf die ethische Bedeutung der konstruktivistischen Idee hin: Wenn ich auf die Vorstellung einer
30
von mir unabhängigen Realität verzichte, erlange
ich erst die volle Verantwortung für mein Handeln
– und damit auch die volle Freiheit. Ich kann nun
nicht mehr sagen: Es sind die Medien, die mich zum
Kauf eines neuen Autos zwingen, und die Werbung
ist schuld, dass der Wagen 500 PS haben muss. Als
Journalist oder Dokumentarfilmer bin ich ebenfalls
für die Realität verantwortlich, die ich erschaffe: Ich
kann nicht mehr sagen: Dies ist die wahre Geschichte oder dies sind die harten Fakten, ich kann nur sagen, so habe ich es gesehen, oder so hat man es mir
erzählt, ich habe keine mir als wichtig erscheinenden
Informationen unterschlagen. Die Realität, die ich
mir als Beobachter erschaffe, ist meine Realität 1.
Ordnung. Indem ich darüber berichte, erschaffe ich
eine Realität 2. Ordnung, also eine ‚Landkarte der
Landkarte‘, die dann wiederum für die Zuschauer,
die nicht Zeugen der berichteten Ereignisse waren,
zur Realität 1. Ordnung wird.“*
* aus: Peter Krieg, „Blinde Flecken und schwarze Löcher. Medien als
Vermittler von Wirklichkeiten.“ In: Watzlawick / Krieg, „Das Auge
des Betrachters“, Pieper, München, 1991
Vorschläge zur Vor- und
Nachbereitung im Unterricht
Einführung:
Während einer Doppelstunde und wenn Ihre Schüler
den Nationalsozialismus noch nicht ausführlich besprochen haben, können Sie zunächst einen kurzen
Überblick über die (politische) Situation in Berlin
1933 geben. Dieser Einblick kann übergehen in eine
Beschreibung des Reichstagsbrands und seiner Folgen – immer unter der Beachtung, dass es bis heute
kaum gesicherte Fakten gibt. Um die Frage und
kurze Diskussion anzuschließen: wie Medien unsere
Wahrnehmung und unsere Wirklichkeit bestimmen
(damals hauptsächlich Zeitungen)?
Im Anschluss an diese kurze Einführung empfehle
ich Ihnen die bereits erwähnten „Zeitungszeugen“
und deren Arbeitsblätter* oder Sie lenken die Reflexion auf die jüngere Geschichte: Wo haben sich in
den letzten Jahren ähnlich ikonographische Taten ab
gespielt? Welche weitreichenden Folgen hatten diese
Ereignisse? Wer hat sie wie beschrieben oder für die
eigene politische Untermauerung „verwendet“?
* http://zeitungszeugen.de/ausgabe-2/
D er R eic h stagsbra n d
Beispiel:
Ein ähnlich dramatisch-folgenreiches Beispiel der
jüngeren Geschichte sind die einstürzenden TwinTowers in New York am 11.09.2001. Auch hier
waren die Gebäude, die zerstört wurden, präzise gewählt: Das Weiße Haus und das Pentagon als Symbole der Macht, das World Trade Center als Symbol
des Kapitals und der Wirtschaft. Und auch in diesem
Fall gibt es vielfältige Mythen und Meinungen über
Täter und Tathergang.
Gruppenarbeit und Diskussion:
Die Klasse befasst sich in kleinen Gruppen (à ca.
4 Schüler) mit den unten stehenden Thesen und
wählt pro Gruppe eine These aus. Den kurzen Text
kann die Gruppe frei und selbstständig bearbeiten
und die These in unterschiedlichsten Formen zum
szenischen Ausdruck bringen (Dia-Show, Nachrichtensprecher, live-Reporter, Präsidentenrede, Historiker etc.) und abschließend der Klasse vorstellen.
Diskutiert werden kann die Bedeutungsverschiebung
durch die dargestellte Situation sowie die Unmöglichkeit einer Abbildung der Wirklichkeit.
Sie können diese szenische Übung selbstverständlich
auch mit den unterschiedlichen Zitaten zum Reichstagsbrand durchführen, die Sie in diesem Material
finden.
Thesen-Auswahl:
a. Feuerwehrmann und erste Pressemitteilungen:
ein Unfall
Die erste Meldung eines New Yorker Feuerwehrmannes, Battalion Chief Joseph Pfeifer, geht Sekunden nach dem Einschlag in der Zentrale ein. „Wir
hatten soeben einen Flugzeugabsturz in die oberen
Stockwerke des World Trade Centers. Übertrage
einen zweiten Alarm und beginne Einheiten in das
Gebiet umzuziehen... Der Turm 1 des World Trade
Centers brennt... die ganze Außenhülle des Gebäudes. Es gab gerade eine riesige Explosion ...“
Um 8.49 Uhr zeigt CNN die ersten Bilder von dem
brennenden Gebäude, aufgenommen von einer
permanenten Kamera, als „Breaking News“: „Plane
crashes into World Trade Center tower“ lautet die
Schlagzeile.
31
b. USA – offizielle Rede des Präsidenten
(Ausschnitte)
20.30 Uhr Fernsehansprache G. W. Bush: „Guten
Abend. Heute sind unsere Bürger, unsere Lebensweise, ja, unsere Freiheit mit einer Serie von mutwilligen und tödlichen Terroranschlägen attackiert
worden. […] Tausende Menschenleben wurden
plötzlich ausgelöscht von bösen niederträchtigen
Terrorakten. Die Bilder von Flugzeugen, die in Gebäude fliegen, von lodernden Flammen, von riesigen
Gebäudestrukturen, die kollabieren, haben uns mit
Fassungslosigkeit erfüllt, mit schrecklicher Trauer
und mit einem stillen, unnachgiebigem Groll. […]
Amerika wurde zum Angriffsziel, weil wir in der
Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der
Selbstverwirklichung sind. Und niemand wird den
Glanz dieses Lichtes auslöschen. […] Die Suche
nach den Hintermännern dieser Übeltaten läuft. Ich
habe sämtliche Ressourcen mobilisiert, damit unsere
Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden die
Verantwortlichen ausfindig machen und vor Gericht
bringen können. […] Niemand von uns wird diesen
Tag jemals vergessen, dennoch schreiten wir voran,
um unsere Freiheit zu verteidigen und alles, was in
unserer Welt gut und gerecht ist. Danke. Gute Nacht
und Gott segne Amerika.‘‘
c. Radikale Islamisten – kein offizielles
Bekennerschreiben
Islamisten-Führer Osama Bin Laden, der Mann, den
die Vereinigten Staaten als Hauptverdächtigen hinter
den erfolgten Terroranschlägen auf New York und
Washington erachten, leugnete jede Beteiligung an
diesen Aktionen. In einem Statement, veröffentlicht
vom arabischen Satellitensender Al Jazeera, sagte
Bin Laden: „Die US-Regierung hat mich regelmäßig
beschuldigt, hinter jedem Ereignis eines Angriffs
ihrer Feinde zu stecken. Ich möchte der Welt versichern, dass ich die jüngsten Attacken nicht geplant habe, welche anscheinend von Menschen aus
persönlichen Gründen geplant wurden. [...] Ich lebe
im Islamischen Emirat Afghanistan und befolge die
Regeln seiner Führer. Der aktuelle Führer erlaubt
mir nicht, solcherart Operationen auszuüben.“
D er R eic h stagsbra n d
d. Verschwörungstheorien
Verschwörungstheorien zum 11. September gehen
davon aus, dass die Terroranschläge von Regierungsund Geheimdienstvertretern der USA oder Israels
absichtlich zugelassen oder geplant und durchgeführt wurden.
Verschwörungstheoretische Bücher und Internetseiten begründen ihren Verdacht stets mit der typischen
Frage nach den Nutznießern der Terroranschläge.
Viele Verschwörungstheoretiker sehen die Anschläge
als von der US-Regierung herbeigeführten Vorwand,
mit dem sie ihre lange vor dem 11. September vorhandenen Kriegspläne habe rechtfertigen wollen. Sie
weisen dabei auf geostrategische Interessen der USA
im Gebiet des Persischen Golfes und in Mittelasien
hin.
Beispiele:
• Der Philosoph James H. Fetzer, Gründer der
Gruppe Scholars for 9/11-Truth, schließt Energiewaffenbeschuss durch „Killersatelliten“ aus
dem All oder Mininukes als Ursachen der WTCEinstürze nicht aus.
• Steven Jones gründete Scholars for 9/11-Truth
and Justice. Seine Gruppe favorisiert die These
einer „kontrollierten Sprengung“ der WTC-Gebäude durch Explosivstoffe und behauptet, diese
sei durch bestimmte metallhaltige Verbindungen
im Gebäudeschutt beweisbar. Als „kontrollierte
Sprengung“ (controlled demolition) bezeichnen ihre Vertreter die These, heimlich vorher in
den Gebäuden platzierte und gezündete Explosivstoffe hätten WTC 1, 2 und 7 zum Einsturz
gebracht, nicht die Einschlagschäden und Innenbrände. Diese These gewann „herausragende
Bedeutung“, um andere Täter als die Flugzeugentführer und ein Regierungsverbrechen nahezulegen.
32
e. Künstlerpositionen (Deutschland):
Wiglaf Droste (Satiriker, Autor, Sänger):
„Der Einsturz zweier hässlicher und sehr verzichtbarer
Türme hat nur nationalfolkloristische Bedeutung. Für
mich wird der 11. September 2001 bleiben als die Geburtsstunde der bemannten fliegenden Architekturkritik.
Das Ingenieurbüro Bin Laden & Erben könnte weiterhin viel zur Verschönerung der Welt beitragen. Gegen
blinde-und-taube Hirne/ hilft recht gut die Abrissbirne.
Um es präsidial zu sagen: auch und gerade in Deutschland.“
Karl Heinz Stockhausen (Komponist):
„Also was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen
Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk,
was es je gegeben hat …“ Er führt aus: „Dass also
Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der
Musik nie träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben
wie verrückt, total fanatisch, für ein Konzert. Und dann
sterben. [Zögert.] Und das ist das größte Kunstwerk,
das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen
Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Das sind also
Leute, die sind so konzentriert auf dieses eine, auf die
eine Aufführung, und dann werden fünftausend Leute in
die Auferstehung gejagt. In einem Moment. Das könnte
ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, also als Komponisten. […] Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die
Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in
das Konzert gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen
niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen.“
D er R eic h stagsbra n d
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Hinweise für den Theaterbesuch
Liebe Lehrerin, lieber Lehrer,
viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten
Mal ein Theater oder haben wenig Erfahrung damit.
Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit
Ihrer Klasse die besondere Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich
Darsteller und Zuschauer konzentrieren können.
Dafür braucht es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten
müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht
einhält, beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt
gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen Besucher.
Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines
Theaterbesuchs bei:
1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so
dass jeder in Ruhe den Mantel und seine Tasche
an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen
Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird
beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten.
2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu
gehen, stört sowohl die Darsteller als auch die
übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in
der Vorstellung gibt.
3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu
essen und zu trinken, Musik zu hören und Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player
müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während
der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden.
4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt
den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und
des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über
die Inszenierung. Wem es gut gefallen hat, der gibt
mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger.
Wichtig ist, erst nach dem Ende des Applauses
den Saal zu verlassen.
Unser Einlasspersonal der ARTService GmbH steht
den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung.
Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den
Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen
wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an
die stückbetreuende Dramaturgin / Theaterpädagogin, an den stückbetreuenden Dramaturgen / Theaterpädagogen.
Wir freuen uns auf Ihren Besuch.
Ihr THEATER AN DER PARKAUE
34
I mpressum
Spielzeit 2013/2014
THEATER AN DER PARKAUE
Junges Staatstheater Berlin
Parkaue 29
10367 Berlin
Tel. 030 – 55 77 52 -0
www.parkaue.de
Intendant: Kay Wuschek
Redaktion: Julia Schreiner
Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro
Heike Praetor
Fotos: Christian Brachwitz
Titelfoto und Abschlussfoto mit
Andrej von Sallwitz
Kontakt Theaterpädagogik:
Julia Schreiner
Telefon: 030 – 55 77 52 -18
[email protected]