Begleitmaterial - Theater an der Parkaue
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Begleitmaterial - Theater an der Parkaue
Uraufführung Der Reichstags 14+ b r a n d von Julia Schreiner und Titus Faschina BEGLEITMATERIAL ZUM STÜCK D er R eic h stagsbra n d 2 Es spielen: Iven Hausmann / Jörg Huke Hagen Löwe Andrej von Sallwitz Franziska Ritter (im Film) Titus Faschina Angelika Wedde Iven Hausmann Julia Schreiner Eddi Damer Ralf Hinz Thomas Holznagel Max Berthold, Jörg Wartenberg Stefan Gilsing Martin Eberle Susann Ebert, Matis Burkhardt Anne Braun, Hannes Schilling, Daniel Wiggers Jürgen Becker Kerstin Richter Karla Steudel Wolfgang Jentsch Ute Seyer Martin Brandt, Michael Isenberg Benjamin Riehm Mit herzlichem Dank an: Krematorium Berlin, Grieneisen GBG Bestattungen GmbH, neue 17 Medienproduktion In Kooperation mit der Beuth-Hochschule für Technik Berlin Premiere: 15. September 2013 Bühne 2 ca. 55 Minuten, ohne Pause Premierenklassen: 9/4 und 10 der PuschkinOberschule (Frau Adler) Berlin-Lichtenberg Regie Bühne + Kostüme Musik + Komposition Dramaturgie + Theaterpädagogik Technischer Direktor Bühnenmeister Licht Ton + Video Tongestaltung Filmmontage Regieassistenz Kamera + Filmton Inspizienz Soufflage Maske Requisite Ankleiderei Dramaturgieassistenz Tongestaltungsassistenz D er R eic h stagsbra n d Inhalt Einleitung 4 Berlin im Februar 1933, Zeitkolorit 5 Der Reichstagsbrand, ein ungeklärtes Attentat 12 Marinus van der Lubbe – ein biografischer Abriss und der Tathergang 14 Historische Quellen 21 Zeitgenössische Witze, ein Beispiel 21 Vernehmungsprotokolle der Polizei und Prozessprotokolle 21 Gutachten der Psychiater 22 Zeitzeugen (Schriftsteller, Tagebücher) 23 Zeitungen 25 Horoskope und Wahrsager (Eric-Jan Hanussen) 26 Das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ 27 Auszüge aus den Schulbüchern für Geschichte beider deutscher Staaten 27 Die Erschaffung von Realitäten: Das Auge des Betrachters 29 Vorschläge zur Vor- und Nachbereitung im Unterricht 30 Hinweise für den Theaterbesuch 33 Impressum 34 3 D er R eic h stagsbra n d 4 Einleitung Der brennende Reichstag, am Abend des 27. Februar 1933, war nicht nur ein Anschlag auf ein Parlamentsgebäude eine Woche vor der Reichstagswahl, sondern ein Bild und eine Tat, die weitreichende Folgen hatte. Man könnte den brennenden Reichstag und dessen politische Instrumentalisierung und Medialisierung mit den einstürzenden Hochhäusern vom 11. September 2001 in New York vergleichen. 1933 wurde noch in der gleichen Nacht der Holländer Marinus van der Lubbe festgenommen, mehrere tausend Kommunisten verhaftet und das „Ermächtigungsgesetz“ trat in Kraft. Die Nationalsozialisten gewannen eine Woche später die Wahl, das Dritte Reich war nicht mehr aufzuhalten. Für die Inszenierung von Titus Faschina wurden viele unterschiedliche Quellen und Archive gesichtet. Wir sind uns bewusst, dass keines der Dokumente eine „Wahrheit“ wiedergeben kann. Es gibt „die Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz Wahrheit“ und „den wirklichen Tathergang“ oder „die gesicherte Täterschaft“ – in diesem Fall exemplarisch – nicht. Für die künstlerische Auseinandersetzung haben wir uns für eine Erzählung, eine eigene „Wahrheit“ entschieden: Die Inszenierung setzt den Fokus auf die Figur des Marinus van der Lubbe und rückt seine persönliche Beschreibung der Ereignisse in den Mittelpunkt. Einer angenommenen „Verwirrung“ und Unsicherheit der zeitgenössischen Bürgerinnen und Bürger und die Vielzahl der politischen Meinungen in den Berliner Straßen im Jahr 1933 haben wir versucht, in einer Gegenüberstellung von historischen Texten und Bildern Folge zu leisten. Wir haben keinen Anspruch auf eine historische Beweisbarkeit, sondern zeigen durch die Textauswahl eine Vielstim- D er R eic h stagsbra n d migkeit rund um die tragische Figur des Marinus van der Lubbe. Das Spiel um „die Wahrheit“ und den Reichstagsbrand wurde in unserer Bühnenfassung u.a. durch die Erfindung einer Freundin van der Lubbes auf der Videoebene erweitert. Bis heute herrscht Uneinigkeit unter den Historikern über Tathergang und Täterschaft. Über die Jahrzehnte wurde und wird die Alleintäterthese, wie die Mittäterschaft der Nationalsozialisten immer wieder bewiesen – die nationalsozialistische These von der kommunistischen Verantwortung wurde seit der Veröffentlichung des „Braunbuchs“ und dem Londoner Gegenprozess inklusive der internationalen Presse im Jahr 1933 nur von den damaligen Machthabern aufrecht erhalten. Die Geschichte um Marinus van der Lubbe und den Reichstagsbrand wurde in den letzten Jahrzehnten des öfteren künstlerisch bearbeitet. So entstanden neben zahlreichen Gedichten, literarischen Texten und Theaterstücken auch diverse Verfilmungen, zuletzt 2012 als großer ZDF-Spielfilm in „Die Nacht über Berlin“. Auch die Rezeption dieses Falles in den beiden deutschen Staaten war sehr unterschiedlich. Während die DDR auf eine Mittäterschaft der Nationalsozialisten setzte und den eloquenten Kommunisten Georgi Dimitrow in den Vordergrund rückte, galt im Westen spätestens seit der großen „Spiegel“-Reportage von 5 1959 mehrheitlich die heute stark zu bezweifelnde Alleintäterthese des Autors Fritz Tobias.* Neben einem Zeitkolorit und einem biografischen Abriss über das Leben van der Lubbes finden Sie in diesem Begleitmaterial viele Zitate aus den recherchierten Quellen und eine kurze Überlegung zur dokumentarisch-medialen Darstellung. Im Theater erleben Sie neben den historischen Textpassagen zudem eine Vielschichtigkeit von Filmbildern: Historische Aufnahmen aus den Anfängen des Dritten Reiches überlagern sich mit einem Ausschnitt aus Luis Trenkers Film „Der Rebell“ von 1932** und nachgedrehten dokumentarischen Sequenzen. Diese Bilder entstanden in Kooperation mit der BeuthHochschule für Technik Berlin. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Entdecken des Materials, wie auch beim Theaterbesuch. Für Fragen können Sie sich jederzeit gerne an mich wenden. Julia Schreiner Dramaturgin / Theaterpädagogin Tel. 030 – 55 77 52 -18 [email protected] Berlin im Februar 1933, Zeitkolorit Wie sah Berlin 1933 aus? Was für eine Stimmung war in den Straßen? Wie haben die Menschen gelebt? Um dem Berlin dieser Zeit näher zu kommen, wird im Folgenden versucht, stichwortartig ein Bild zu kreieren. In welcher Situation kommt Marinus van der Lubbe in Berlin an, wie und unter welchen Voraussetzungen lebten die damaligen Bewohner der Stadt, wie haben sie den Reichstagsbrand erlebt? Selbstverständlich hat diese Darstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern beleuchtet * siehe: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42622980.html ** Van der Lubbe sah sich diesen Film in einem Kino am Alexanderplatz an, siehe: http://www.imdb.com/title/tt0023379/ D er R eic h stagsbra n d lediglich einzelne Punkte, die in die Überlegungen der Inszenierung einflossen. In Berlin leben 1933 knapp 4,3 Millionen Menschen. Die Stadt gilt nach New York und London als die drittgrößte der Welt. Wirtschaftlich ist das Jahr überschattet von der seit Jahren andauernden Weltwirtschaftskrise. Im Durchschnitt verdienen die Berliner Haushalte 1.583 RM (ca. 6300 €) pro Jahr. In Berlin sind 166.152 Wohngebäude mit 1.357.812 Wohnungen registriert. Davon haben 921.730 Wohnungen (67,1%) nur ein bis zwei Zimmer. Das Wetter ist im Winter 1933 sehr kalt, mit verschiedenen Frostperioden, so u.a. auch Ende Februar (vom 14.02. – 02.03.33 mit Werten um die -15°C. In vielen Häusern frieren die Wasserleitungen ein). Im Februar 1933 ist Karneval. Der Berliner Fasching spielt sich ab „‘in einer überaus bunten und wild dekorierten Umgebung‘, unter dem Lärm durcheinander spielender Tanzkapellen, unter großer Verschwendung von allen obligaten Faschingsutensilien. Und nicht zuletzt ‚mit Hilfe von so viel Alkohol, wie man bezahlen kann, und in der sardienenbüchsenhaft engen Umgebung von einigen tausend Leuten, die alle dasselbe tun und sich deshalb wenig genieren.“* Zudem ist Wahlkampf, die Reichstagswahl ist für den 5. März 1933 angesetzt. Hitler ist seit Ende Januar Reichskanzler. Die verschiedenen Parteien werben aggressiv für ihre Ideen. Tägliche Aufmärsche und Prügeleien zwischen allen politischen Lagern bestimmen das Straßenbild. * Aus: Carl Dietmar / Marcus Leifeld: Alaaf und Heil Hitler, HerbigVerlag, 2009, München 6 Nach langer Zeit war Frau Germania einmal wieder zu einem Faschingsball erschienen // Kladderadatsch, 26. Februar 1933 Berlin ist in dieser Zeit auch die große Theater- und Varietéstadt. Revuen mit ihrer zwanglosen Abfolge von Sketchen, Gesangs- und Tanznummern sind stets ausverkauft. Die Berliner Ballsaison glänzt wie nie zuvor. Die Reichshauptstadt Berlin wird zur Welthauptstadt von Musik, Film und Theater. 1933 arbeiteten in Deutschland 22.000 Theaterschaffende an 147 subventionierten Theatern. Am 04.01.33 warnt „das Polizeipräsidium vor wilden Billetthändlern vor Theatern und Kinos. Aufpreise bis zu 200% seien keine Seltenheit, hieß es. Außerdem würden oftmals ungültige Karten abgegeben.“** ** Diese und einige anderen Zahlen aus: www.luise-berlin.de/kalender/ jahr/1933.htm D er R eic h stagsbra n d 7 aus: www.andreaspraefcke.de/carthalia/ germany/berlin_scala.htm Auch die Astrologie hat Hochkonjunktur. Hellseher, wie Erik Jan Hanussen, treten in der Berliner Scala zweimal täglich vor Hunderten von Zuschauern auf. Es gibt verschiedene Zeitschriften und Jahrbücher für Astrologie. Horoskop des Reichstags, aus: Deutschlands Zukunft, Unparteiische Wochenschrift, 1932 D er R eic h stagsbra n d Berlin in Zahlen* Lasst uns Berlin statistisch erfassen! Berlin ist eine ausführliche Stadt, die 190 Krankenkassen und 916 ha Friedhöfe hat. 53.000 Berliner sterben im Jahr, und nur 43.000 kommen zur Welt. Die Differenz bringt der Stadt aber keine Gefahr, weil sie 60.000 Berliner durch Zuzug erhält. Hurra! Berlin besitzt ziemlich 900 Brücken und verbraucht an Fleisch 303.000.000 Kilogramm. Berlin hat pro Jahr rund 40 Morde, die glücken. Und seine breiteste Straße heißt Kurfürstendamm. 8 Berlin hat jährlich 27.600 Unfälle. Und 57.600 Bewohner verlassen Kirche und Glauben. Berlin hat 606 Konkurse, reelle und unreelle, und 700.000 Hühner, Gänse und Tauben. Halleluja! Berlin hat 20.100 Schank- und Gaststätten, 6.300 Ärzte und 8.400 Damenschneider und 117.000 Familien, die gerne eine Wohnung hätten. Aber sie haben keine. Leider. Ob sich das Lesen solcher Zahlen auch lohnt? Oder ob sie nicht aufschlussreich sind und nur scheinen? Berlin wird von 4½.000.000 Menschen bewohnt und nur, laut Statistik, von 32.600 Schweinen. Wie meinen? Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz, Hagen Löwe, Iven Hausmann * von Erich Kästner, 1930, aus: http://hinkenderbote.blogger.de/ stories/1764135/ D er R eic h stagsbra n d 9 Eine kurze Chronik der politischen Ereignisse Anfang 1933* Januar 4. 1. Adolf Hitler (NSDAP) und Franz von Papen führen in Köln Gespräche über eine gemeinsame Regierungsbildung 7. 1. Josef W. Stalin erklärt die erfolgreiche Erfüllung des ersten Fünfjahresplans. 15. 1. Mit fast 40 Prozent der Stimmen wird die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) stärkste Kraft im Parlament des kleinen Freistaats Lippe. Nach dem deutlichen Stimmenverlust bei den Reichstagswahlen vom letzten November wird mit diesem Erfolg der politische Druck der Partei wieder stärker. 21. 1. Die Reichstagsfraktion der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) entzieht Reichskanzler Schleicher das Vertrauen. 22. 1. Demonstration und eine Gedenkfeier für Horst Wessel der Sturmabteilung (SA) mit 16.000 Teilnehmern vor der Berliner Zentrale der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Die Polizei sichert den Aufmarsch und besetzt das Gebäude der KPD. 26. 1. Schleicher verlangt vergeblich von Hindenburg die Übertragung diktatorischer Vollmachten. 28. 1. Da Hindenburg es auch ablehnt, den Reichstag aufzulösen, tritt Schleicher nach 57 Tagen als Reichskanzler zurück. 29. 1. Gespräche Papens mit Alfred Hugenberg und Hitler über eine Regierungsbildung. 30. 1. Hindenburg ernennt Hitler zum Reichskanzler. Im neugebildeten Kabinett wird Papen Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen, Hugenberg erhält das Wirtschaftsministerium. Von der NSDAP treten Hermann Göring und Wilhelm Frick in die Regierung ein. * Auswahl aus: www.dhm.de/lemo/html/1933/ Aus Anlass der Machtübernahme paradieren in Berlin etwa 15.000 Mitglieder von SA, Schutzstaffel (SS), und „Stahlhelm“** mit einem Fackelzug durch das Brandenburger Tor. Die KPD ruft zum Generalstreik auf. Februar 1. 2. Auf Wunsch Hitlers löst Hindenburg den Reichstag auf. 2. 2. Der kommissarisch eingesetzte preußische Innenminister Göring verbietet alle Demonstrationen der KPD. 3. 2. Hitlers erste Ansprache vor Befehlshabern der Reichswehr (Ziel der Außenpolitik: Lebensraum im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung). Bernhard Rust wird zum kommissarischen preußischen Kultusminister ernannt. In der bildenden Kunst müsse „gegen die Liebermänner“, in der Architektur „gegen die Laubhütten-Baumeister“, im Theater „gegen das Ausländertum“ Front gemacht werden, hieß es. 4. 2. Per Notverordnung wird die Versammlungsund Pressefreiheit weiter eingeschränkt. 6. 2. Auf Betreiben Hitlers verleiht Hindenburg von Papen die Vollmacht zur Auflösung des preußischen Landtags. Damit ist der Weg frei für Neuwahlen in Preußen. Die Reichspressestelle der NSDAP in Berlin teilt mit, dass Reichskanzler Adolf Hitler „angesichts der ** Der „Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten“ war ein paramilitärisch organisierter Wehrverband. (s. Wikipedia) D er R eic h stagsbra n d deutschen Not“ auf seine Bezüge als Reichskanzler verzichtet, da er sich „als Schriftsteller sein Einkommen selbst verdient“. 10. 2. Mit der Übertragung ihrer Kundgebung zum Wahlkampfauftakt benutzt die NSDAP den Rundfunk gezielt als Propagandamittel. 11. 2. Die am Vortag gegründete „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“, ein Zusammenschluss von DNVP und „Stahlhelm“, beschließt die Teilnahme an den Reichstagswahlen und will das Kabinett Hitler unterstützen. 15. 2. Heinrich Mann legt auf Druck der NSDAP die Präsidentschaft über die Dichtkunstsektion der Preußischen Akademie der Künste nieder. Aus dem gleichen Grunde tritt auch Käthe Kollwitz aus der Akademie aus. 17. 2. Der preußische Ministerpräsident Hermann Göring fordert die Polizei auf, bei der Verfolgung politischer Gegner unnachsichtig von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. 19. 2. An der Kundgebung „Das Freie Wort“ in der Berliner Kroll-Oper protestieren über 900 vernunftdemokratisch bzw. antinationalsozialistisch eingestellte Geistesgrößen gegen die Nazis. Noch vor Beendigung der Kongresses räumen „Ordnungskräfte“ der neuen Machthaber den Saal. 20. 2. Göring lädt führende Wirtschaftsvertreter zu einem Geheimtreffen mit Hitler ins Palais des Reichstagspräsidenten. Zu den 25 Teilnehmern zählen der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht, der Bankier Kurt von Schröder (1889 – 1966) und die Industriellen Gustav Krupp von Bohlen und Halbach und Albert Vögler sowie weitere Repräsentanten der Schwerindustrie, des Bergbaus und der Banken. Hitler präsentiert seinen Gästen sein politisches Programm, das sie begeistert begrüßen. Als Reaktion spenden sie der NSDAP drei Millionen Reichsmark für den laufenden Reichstagswahlkampf. 22. 2. Göring bildet in Preußen eine Hilfspolizei, deren Mitglieder aus SA, SS und „Stahlhelm“ rekrutiert werden, und ermuntert sie zum „fleißigen Gebrauch der Schusswaffe“. 10 23. 2. Auf der letzten KPD-Kundgebung in Berlin fordert Wilhelm Pieck eine Einheitsfront gegen die Regierung Hitler. 25. 2. Ein Kostümfest der Staatlichen Kunstgewerbeschule in der Prinz-Albrecht-Straße wird von der Polizei aufgelöst und dessen Wiederholung am nächsten Tag verboten. Die Veranstaltung habe „gegen Anstand und Sitte“ verstoßen, hieß es. 27. 2. Um 21.14 Uhr wird in der Wache „Stettin“ Feuer im Reichstag gemeldet. Gegen 21.30 Uhr wurde die Berliner Feuerwehr gerufen. Unter Leitung von Oberbranddirektor Gempp beteiligten sich Hunderte Feuerwehreinheiten der Stadt an den Löscharbeiten. Der Brand zerstört fast den gesamten Mittelteil des Gebäudes und den Plenarsaal. Direkt nach dem Brand erklärt Göring, der festgenommene Niederländer Marinus van der Lubbe habe im Auftrag der KPD das Feuer gelegt. Es folgen zahlreiche politisch motivierte Verhaftungen. Vor allem Mitglieder der KPD und Juden werden verfolgt. D er R eic h stagsbra n d 11 28. 2. Hindenburg unterzeichnet Notverordnungen, die mit sofortiger Kraft die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit noch weiter einschränken und der Polizei weitreichende Befugnisse einräumen. Bis zum Vormittag werden im Zusammenhang mit dem Reichstagsbrand 130 Personen verhaftet. Unter ihnen befanden sich die kommunistischen Rechtsanwälte Litten und Apfel und der Abgeordnete Remmele. Der „Vorwärts“, die Parteizeitung der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), wird vorläufig verboten. Bertolt Brecht und Helene Weigel fliehen nach Prag ins Exil. März 3. 3. In Berlin wird der KPD-Vorsitzende Ernst Thälmann in seinem Versteck verhaftet. 5. 3. Bei den Reichstagswahlen erreicht die NSDAP trotz massiver Propaganda und Terrors 43,9 Prozent der Stimmen und verfehlt die für sicher gehaltene absolute Mehrheit. Die SPD erhält 18,3 %, die KPD 12,3 %, die Zentrumspartei* 11,2 % und die als Kampffront * Die Zentrumspartei war bis zum Ende der Weimarer Republik 1933 als Vertreterin des katholischen Deutschlands und des politischen Katholizismus eine der wichtigsten Parteien im Deutschen Reich. (aus: Wikipedia) D er R eic h stagsbra n d Schwarz-Weiß-Rot angetretene DNVP 8 %. Die gleichzeitigen Wahlen zum preußischen Landtag haben ein ähnliches Ergebnis. 21. 3. Das Konzentrationslager Dachau wird als erstes KZ der SS errichtet.* 12 Der Reichstagsbrand, ein ungeklärtes Attentat Am 27. Februar 1933 brennt am Abend das Reichstagsgebäude. Vor Ort festgenommen wird ein junger Holländer, Marinus van der Lubbe. Genau genommen sind dies bis heute die einzig widerspruchsfreien Aussagen. Der Brand wurde schon in der gleichen Nacht von allen politischen Lagern instrumentalisiert. Neben den tausenden Schaulustigen kamen auch Adolf Hitler, Herrmann Göring und Joseph Goebbels an den Tatort. Die Nationalsozialisten zeigten sich öffentlich überzeugt, dass es sich um eine Verschwörung der Kommunistischen Partei Deutschlands handelte. Noch in der Brandnacht ließ Hermann Göring als kommissarischer preußischer Innenminister verbreiten, der „Beginn des kommunistischen Aufstandsversuches“ stehe unmittelbar bevor. Die Kommunisten erklärten ihrerseits, mit der Tat nichts zu tun zu haben und verdächtigten die Nationalsozialisten, den Brand gelegt zu haben, um sich Vorteile für die eine Woche später stattfindende Wahl zu garantieren. In einem monatelangen Prozess in Leipzig, in dem neben dem geständigen Marinus van der Lubbe auch der deutsche Kommunist Ernst Torgler wie die drei bulgarischen Kommunisten, Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew angeklagt waren, versuchten die Richter und Staatsanwälte immer wieder van der Lubbe dazu zu bringen, Komplizen zu benennen. Für alle Seiten schien ausgeschlossen, * Dachau war das einzige der frühen KZ, das nicht bis zum Zweiten Weltkrieg aufgelöst wurde: Himmler ließ es systematisch ausbauen und nahm es als Prototyp für spätere, systematisch errichtete KZ. (aus: Wikipedia) dass van der Lubbe den Brand hatte allein legen können. Der Angeklagte blieb bis zum Schluss bei seiner Aussage, ohne fremde Mitwirkung oder im Auftrag anderer gehandelt zu haben. Die Beweislage war und ist bis heute äußerst schwierig. Fotos wurden retuschiert, Zeugen erfunden, der Angeklagte (wahrscheinlich) im Laufe des Prozesses mit Brom vergiftet, die deutschen und französischen Kommunisten verfassten das „Braunbuch“ (1933) – das van der Lubbe als einen homosexuellen Gespielen der Nazi-Oberen beschreibt und Beweise für eine Nazitäterschaft liefert – die holländischen Kommunisten erwiderten die These einer Homosexualität van der Lubbes noch im gleichen Jahr mit dem „Rotbuch“. Die Nationalsozialisten erließen bereits am 28. Februar 1933 die Notverordnungen und ließen mehrere hundert kommunistische Abgeordnete verhaften. Am 29. März 1933 wurde das „Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe“, die „Lex van der Lubbe“, zur Verhängung von Todesstrafen verabschiedet. Bis heute befassen sich Historiker mit dem Thema und belegen sich in regelmäßigen Abständen ihre Wahrheiten. Ende der 1950er Jahre veröffentlicht „Der Spiegel“ eine Serie nach den Recherchen von Fritz Tobias, der die Einzeltäterschaft beweisen will. Von verschiedenen Forschern wird diese These massiv hinterfragt. „Es fällt einem ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ schwer, einmal eingenomme Positionen zu revidieren, sagt der Medienhistoriker Lutz Hachmeister. Und der Publizist und Soziologe Hersch Fischler ergänzt: Der ‚Spiegel‘ hat zu dieser Frage die Aufklärung blockiert – und eine Legende produziert. Hersch Fischler recherchiert seit 20 Jahren D er R eic h stagsbra n d zum Thema Reichstagsbrand. Er hat Zeitdokumente ausgewertet und neu erschlossen. Für ihn ist klar, dass die zentrale Beweisführung des ‚Spiegel‘ in Sachen Reichstagsbrand eine Vortäuschung falscher Tatsachen ist. […] Nach dem Fall der Mauer stellen neue Dokumente die These des ‚Spiegel‘ immer mehr in Frage. Im Jahr 2001 reagiert das Magazin mit einem Artikel. Das ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ nimmt seine Kritiker ins Visier. Wissenschaftler wie Fischler seien lediglich akademische Außenseiter, heißt es.“* Der Historikerstreit ist bis heute ungeklärt. 2008 erschien das Buch „Der Reichstags 13 brand. Die Geschichte eines Kriminalfalls“ von Sven Felix Kellerhoff, einem Vertreter der Alleintätertheorie, 2013 die Gegenthese von Alexander Bahar und Wilfried Kugel mit „Der Reichstagsbrand: Geschichte einer Provokation: Das Ende einer Legende“, in dem die These der Täterschaft der Nationalsozialisten mit zahlreichen Dokumenten gestützt wird. Neben diesem Historikerstreit, wurde die Tat in den vergangenen Jahrzehnten in beiden deutschen Staaten grundsätzlich sehr unterschiedlich rezipiert. Auszüge aus den Schulbüchern finden Sie in diesem Material auf Seite 27. Szenenfoto mit Iven Hausmann * Aus: www.3sat.de/page/?source=/kulturzeit/themen/165064/index. html D er R eic h stagsbra n d 14 Marinus van der Lubbe – ein biografischer Abriss und der Tathergang „Da nun die Arbeiter nichts unternehmen wollten, wollte ich eben etwas tun. Für ein geeignetes Mittel hielt ich irgendeine Brandstiftung. Ich wollte nicht Privatleute treffen, sondern etwas, was dem System gehört. Geeignet waren also öffentliche Gebäude, z.B. das Wohlfahrtamt, dann das Rathaus, und das Schloss, weil es im Zentrum liegt und wenn es gebrannt hätte, hohe Flammen gegeben hätte, die weit sichtbar gewesen wären. Da diese drei Brände nun nicht funktioniert haben, also der Protest nicht zustande gekommen war, habe ich den Reichstag gewählt, weil er der Zentralpunkt des Systems ist.“ (Marinus van der Lubbe) Die Figur des Marinus van der Lubbe spielt in der Inszenierung eine gewichtige Rolle. Von ihm aus erzählt sich die Geschichte, von ihm aus werden Gerüchte und Hypothesen in alle Richtungen gesponnen. Über das kurze Leben des Marinus van der Lubbe gibt es verschiedene Veröffentlichungen und Filme*. Im Folgenden finden Sie einen biografischen Abriss und eine Beschreibung der Tat, die hauptsächlich aus Horst Karaseks Biografie „Der Brandstifter“ von 1980, so wie aus Martin Schoutens Biografie „Marinus van der Lubbe“ von 1999** (in kursiv) zitiert werden. Schon in der Gegenüberstellung beider (Alleintäter-) Textpassagen lassen sich Abweichungen erkennen und „Wahrheiten“ befragen. Für die Inszenierung haben wir uns großteils für Ausschnitte aus den Tagebüchern und Gerichtsprotokol* Bspw. Water en vuur, roerige geschiedenis van Marinus van der Lubbe (1909-1934), Dokumentation von 1998, holländisch mit englischen Untertiteln. ** siehe: Horst Karasek, Der Brandstifter, 1980, Wagenbach Verlag, Berlin und Martin Schouten, Marinus van der Lubbe – eine Biografie, 1999, Neue Kritik Verlag, Frankfurt am Main len van der Lubbes aus Schoutens Biografie entschieden, die eine Erzählung aus der „Ich-Perspektive“ ermöglichen. Marinus van der Lubbe, genannt Rinus, wurde am 13. Januar 1909 als jüngster von drei Söhnen aus zweiter Ehe von Petronella van Handel und dem Kurzwarenhändler van der Lubbe geboren. „Es war eine sehr arme Familie; der Vater hausierte in allerlei Orten mit der Ware, die Mutter hatte meistens ein Büdchen auf dem Markt. Es war ein Leben von Umherirren und Umherziehen und die Familie verweilte in verschiedenen Orten unseres Landes.“ Als der Vater anfängt zu trinken, selten nach Hause kommt und bald ganz weg bleibt, ist die Mutter mit ihren insgesamt sieben Kindern mittellos. „Ich bin Marinus van der Lubbe. Ich bin in Holland geboren, in Hertogenbosch und dann in Leiden in die Volksschule gegangen, und dann habe ich Maurer gelernt, das war mein Traum: Häuser für Menschen bauen! 1928 bin ich dann Geselle auf dem Bau geworden. Ein Jahr später hatte ich dort einen Unfall mit den Augen und bekomme seit dieser Zeit eine Unfallrente von 7 Gulden 44 Cents die Woche [...] Meine Mutter starb früh, aber ich ging nicht zu meinem Vater nach Dordrecht, sondern blieb in der kleinen Stadt Leiden.“ Marinus lernt Diskriminierung und Freiheit des „Straßenlebens“ kennen. Als äußerst kräftiger junger Mann erkämpft er sich den Spitznamen „Dempsey“, nach dem damaligen Boxweltmeister. Er wird von der staatlichen Fürsorge in ein Heim für verwahrloste Kinder gesteckt und wohnt nach dem Tod der Mutter ab seinem zwölften Lebensjahr bei der Familie seiner Halbschwester in Leiden. Van der Lubbe verlässt im Alter von 14 Jahren die Schule und erlernt das Mauerhandwerk. „Auf dem Bau lernt D er R eic h stagsbra n d er die Arbeitswelt und damit auch die Arbeiterbewegung kennen. Es ist eine neue Welt, die sich ihm auftut und die überkommenen Werte seiner christlichen Erziehung überschwemmt. Sein offener Geist saugt die umstürzlerischen Ideen förmlich auf. Um seine dürftigen Schulkenntnisse aufzubessern, besucht er die Abendschule in Leiden.“ Er gilt in allen Beschreibungen als „guter Charakter“ und „offener und ehrlicher junger Mann“. Im Alter von 16 Jahren schließt er sich dem kommunistischen Jugendverband an. Die Ideen von Freiheit und Gleichheit bewegen ihn. Im gleichen Jahr hat er einen folgeschweren Unfall auf dem Bau: „Ein ganzer Eimer ungelöschten Kalks ergießt sich über sein Gesicht – und allein drei Operationen können ihm das Augenlicht retten. Als Marinus van der Lubbe nach fünf Monaten die Klinik verlassen kann, ist er praktisch Frühinvalide.“ Er bezieht von nun an eine kleine Invalidenrente und schlägt sich mit Gelegenheitsarbei- ten durchs Leben. So arbeitet er als Aushilfskellner, Hoteldiener, auf einem Flussbagger, als Schlächter oder in der Blumenzwiebelzucht und plant u.a. auch an einem Schwimmwettbewerb durch den Ärmelkanal teilzunehmen, ohne die Kosten für Beiboot und Hilfspersonal zu berechnen. Mitte November 1928 leitet van der Lubbe die erste öffentliche Versammlung seines Pionierverbandes, einer Gruppe, die er selbst aufgebaut hat und die aus zwölf- bis vierzehnjährigen Jungs besteht. 15 Seine Agitationen (Flugblätter, Losungen an Fabrikwände, Streikaufrufe etc.) fallen bei jugendlichen Arbeitslosen auf fruchtbaren Boden. Beispielhaft für seine „Provokationen“ könnte das Angeln vor der Sozialfürsorge stehen: „Ein andermal scheint ein Beamter gesagt zu haben, dass die Arbeitslosen, anstatt im Büro der Sozialfürsorge rumzuhängen und die Beamten zu belästigen, besser daran täten, fischen zu gehen. Dies war in keine tauben Ohren gesprochen. Rinus wusste eine tüchtige Gruppe Arbeitsloser zu überreden, dass sie sich am folgenden Morgen mit Angeln bewaffnet an der Uferseite der Steenschur kurz vor dem Sozialamt postierten und ihre Angelkorken in das trübe Wasser der Rapenburg auswarfen. Es versteht sich von selber, dass die Polizei in der kürzest möglichen Zeit alarmiert war und am Ort erschien. Ein Teil der Fischer, Rinus voran, warf sich in das stinkende, verdorbene Wasser und schwamm nach dem Gegenufer nahe des Werfparkes und konnte da entkommen.“ Van der Lubbe wendet sich in den folgenden Jahren und in Zeiten der großen Weltwirtschaftskrise mehrmals von den politischen Organisationen ab, tritt aus dem Jugendverband aus und wird mit offenen Armen wieder aufgenommen. „Das fortschreitende Zerwürfnis mit der Partei und die einhergehende Verleumdung durch deren Funktionäre, die andauernde Arbeitslosigkeit, Schulden und das schlimmer werdende Augenleiden treiben Marinus van der Lub- D er R eic h stagsbra n d be immer häufiger in die Ferne.“ Seine erste große Reise beginnt im Frühjahr 1931. Sie soll ihn in die „Heimat aller Werktätigen“, in die Sowjetunion, führen. Er kommt bis Berlin, von wo aus er im April des gleichen Jahres wieder Richtung Holland umkehren muss, da ihm 160 Mark zur Weiterreise fehlen. Eine zweite Reise im Herbst 1931, die ihn über die Sowjetunion bis nach China bringen soll, endet auf Grund von Visa-Problemen und der MandschureiKrise zwischen Japan und China, in Bulgarien. Bei seiner Rückkehr in Leiden steht er vor einem Scherbenhaufen. Die Unterstützung des Sozialamts bleibt ihm verwehrt und das Haus seines Vaters wurde abgerissen. Van der Lubbe macht sich erneut auf den Weg und bricht im Januar 1932 über Deutschland, Österreich und Ungarn gen Sowjetunion auf. An der Grenze von Polen zur Sowjetunion wird er wegen unerlaubten Grenzübertritts festgenommen und muss für vier Wochen in ein polnisches Gefängnis. Er kehrt wieder unverrichteter Dinge zurück nach Holland, wo ihn eine weitere Gefängnisstrafe erwartet. Er war während seiner Abwesenheit zu drei Monaten Haft wegen des Einwerfens von Fensterscheiben beim Sozialamt verurteilt worden. In der Haft tritt er zum ersten Mal in einen Hungerstreik. Im Oktober 1932 kommt er frei, plant, sich aus der 16 Politik zurückzuziehen und will einen Lesesaal für Arbeitslose in Leiden einrichten. Während seines Gefängnisaufenthalts wird ihm die Unfallgesetzrente gestrichen und van der Lubbe tritt erneut in einen Hungerstreik. Er wird kurzzeitig in ein Krankenhaus eingeliefert. Von Oktober bis Jahresende reist er innerhalb der Niederlande umher. Bei verschiedenen Streiks tritt er „gegen jede Fremdbestimmung der Arbeiter durch die etablierten Gewerkschaften und Parteien auf.“ Sein Augenleiden wird in diesen Monaten immer schlimmer. So muss er am 4. Januar 1933 erneut in die Augenklinik, wo er fast einen Monat verbringt und die Ärzte Augentuberkulose diagnostizieren, eine Krankheit die unaufhaltsam zur Blindheit führt. „Am 28. Januar verlässt Marinus van der Lubbe die Klinik in Leiden. In Deutschland tritt am selben Tag General Schleicher als Kanzler zurück. Während in Deutschland der Faschismus mit der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar sozusagen legal an die Macht kommt, versetzt in den Niederlanden eine Meuterei auf dem Panzerkreuzer Zeven Provincien die bürgerlich-reaktionäre Colijn-Regierung in Angst und Schrecken. Marinus van der Lubbe eilt nach Rotterdam, um den einstigen Anführer der Matrosen […] zu treffen. Dann regelt er seine persönlichen Angelegenheiten in Leiden.“ Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz D er R eic h stagsbra n d „Bis 1930 habe ich Holland nicht verlassen. Dann bin ich gelaufen. Durch Österreich, Ungarn, Jugoslawien, die Tschechoslowakei, Polen; dann wieder Deutschland, Berlin. […] 1933 blieb ich im Januar zuhause und ging erst in den letzten Tagen wieder auf Wanderschaft. Ich ging von Leiden nach Düsseldorf, Essen, Bochum, Dortmund, Braunschweig, Magdeburg bis Berlin. Ich bin hier an einem Sonnabend angekommen. Es war der 18. Februar 1933.“ Er übernachtet auch auf dieser Reise wieder hauptsächlich in Gemeinde-, Obdach- und Asylheimen und isst in öffentlichen Suppenküchen. In Berlin kommt er im Asylheim in der Alexandrinenstraße unter, in dem er auch schon 1931 geschlafen hatte. Marinus van der Lubbe will sich ein Bild von der gärenden Stimmung in Berlin machen und besucht gleich an seinem ersten Tag, einem Sonntag, ein SPD-Konzert auf dem Bülowplatz, erlebt wie diese Veranstaltung von der Polizei widerstandslos aufgelöst wird, wandert weiter durch die Stadt, stößt im Lustgarten auf eine Veranstaltung der „Reichbanner“-Organisation der SPD und schaut sich am Abend den Film „Der Rebell“ von Luis Trenker im Kino am Alexanderplatz an. 17 „Abends ging ich dann weiter in das Asyl in der Fröbelstraße schlafen. […] Montag musste ich für das Asyl Schnee schippen. Ich war gegen ein Uhr fertig und schrieb dann Briefe nach Hause. Nachdem ich noch etwas spazieren gegangen war, ging ich zeitig schlafen, wieder in der Fröbelstraße. Das Gleiche dann am Dienstag. Bis 12.00 Uhr war ich im Wohlfahrtsamt, wo ich eine Essenskarte für Mittwoch bekam. Dort habe ich lange warten müssen, weil da sehr viele Leute waren. Nachmittags ging ich in der Gegend des Alexanderplatzes spazieren und um 15.00 Uhr in ein kleines Kino, wo ich den Film „Der Rebell“ sah. Ab 17.00 Uhr bin ich noch etwas gelaufen, dann wieder im Fröbelasyl schlafen. […] Am Mittwoch bin ich etwa gegen 11.00 Uhr vom Asyl weggegangen und habe mich nach der Gleimstraße begeben, wo ich in der Volksküche Essen bekam. Ich ging dann noch einige Zeit im Wedding spazieren und dann wieder in der Alexandrinenstraße im Männerheim schlafen.“ Ausschnitt aus dem Berliner Stadtplan von 1933 D er R eic h stagsbra n d „Ich habe festgestellt, dass die Anhänger der nationalen Konzentration volle Freiheit in Deutschland haben, der Arbeiter aber nicht.“ Marinus van der Lubbe kannte Berlin bislang als Hochburg der Arbeiterbewegung und ist über die Widerstandslosigkeit und Handlungsunfähigkeit der Bewegung enttäuscht. „Ich habe nun mit den Arbeitern Mittel und Wege besprochen, wie man das heute machen muss. Das Recht, das die Nationalsozialisten heute haben, das müssten auch die Arbeiter haben. Ich fordere auf, eine Demonstration zu machen. Da wird mir gesagt, man müsse sich zuerst an die Organisationen, die KPD, wenden, die sich dann die Demonstration überlegen wird.“ Aber die KPD hat andere Pläne und denkt in diesen Tagen nicht an großangelegte Demonstrationen. Van der Lubbe spricht in diesen Tagen mit vielen Arbeitern auf der Straße. Am 22. Februar beobachtet Marinus van der Lubbe einen SA-Aufmarsch in Neukölln. Am nächsten Tag wird er auf eine KPD-Versammlung im Berliner Sportpalast aufmerksam und macht sich im Postamt C2 am Alexanderplatz einige Notizen, um später als Diskussionsredner auftreten zu können – aber dazu kommt es nicht, auch diese Veranstaltung wird ohne Gegenwehr aufgelöst. Am darauffolgenden Tag geht van der Lubbe erneut ins „rote“ Neukölln, wo er eine Protestkundgebung auf die Beine stellen will. „Auf der Straße spricht er jugendliche Arbeitslose an und provoziert sie – doch […] kann er sie nur zu einem müden Achselzucken bewegen. Noch einmal verbringt er eine unruhige Nacht in der Alexandrinenstrasse – dann handelt er auf eigene Faust. Am Samstag, dem 25. Februar verlässt van der Lubbe gegen 10 Uhr das Asylheim. Am Vortag hat er sich fünf Mark beim Postamt abgeholt, die ihm ein Freund aus Holland geschickt hatte. Er kauft sich eine Schachtel Streichhölzer der Marke „Hausmarke“ in einer Kohlenhandlung und einem Kolonialwarenladen, zudem je zwei Pakete Kohlenanzünder der Marke „Oldin“. Gegen 16 Uhr ist van der Lubbe beim Wohlfahrtsamt Neukölln am Mittelweg. Er studiert die ihm bereits bekannte Baracke, kehrt um, da es noch zu hell ist und ist am frühen Abend wieder vor Ort. Van der Lubbe zündet die ersten Pakete Kohlenanzünder an, wirft eines auf das schneebedeckte Dach und das andere durch ein offenes Fenster. Als 18 dieser Kohlenanzünder in der Frauentoilette aufkommt und achtsame Passanten die ersten Flammen sogleich löschen, ist van der Lubbe schon längst mit der U-Bahn zum Alexanderplatz gefahren. Van der Lubbe läuft an diesem späten Februarnachmittag wie ein Getriebener durch Berlin. Alle ihm bekannten öffentlichen Gebäude geraten in seinen Fokus, mehrmals versucht er mittels der Kohlenanzünder Feuer zu legen, nirgends hat er die Zeit zu überprüfen, ob das Feuer ausbricht. „Am Sonnabend ging ich dann um 10.00 Uhr aus dem Männerheim fort und wandte mich dem Berliner Zentrum zu, wo ich auch das Schloss gesehen habe. Vom Alexanderplatz ging ich direkt nach Süden und kam dann auf den Hermannplatz. Hier war ich etwa gegen 17.00 Uhr. Auf dem Weg zum Hermannplatz kam mir der Gedanke, das Wohlfahrtsamt anzuzünden. Ich kaufte zu diesem Zweck für 30 Pfennige vier Pakete Kohlenanzünder. Ich habe eine Hecke überklettern müssen und bin hinten herumgegangen, bis ich etwa in Kopfhöhe ein Eckfenster sah, in das ich dann ein brennendes Paket hineinwarf. Ob das Paket einen Brand entfacht hat, weiß ich nicht, da ich sofort auf demselben Weg, wie ich hineingekommen war, geflüchtet bin. […] Von dort aus ging ich in die Königstraße und kam um 19.15 Uhr vor das Rote Rathaus. Hier ging ich zunächst an der Querseite des Gebäudes vorbei. An der Ecke sah ich ein Kellerfenster offenstehen. [...] Ich entzündete wieder ein Paket der Kohlenanzünder und warf es in den Keller hinein. Es war schon fast dunkel und mich hat niemand beobachtet. Ob das Paket einen Brand entfacht hat, weiß ich nicht, da ich auch hier schnell weggegangen bin. Ich bin die Spandauer Straße und dann in die Königstraße in Richtung Schloss eingebogen. […] Am Schloss war ich gegen 20.00 Uhr. An der einen Seite des Schlosses befindet sich ein großes Denkmal. Auf dieser Seite des Schlosses wird gerade gebaut, deshalb sind dort auch hohe Gerüste errichtet worden. Auf der linken Seite des Torbogens bin ich dann daran hoch geklettert und so auf das Dach gelangt. Mitten auf der Seite des Schlossdaches brachte ich dann die restlichen beiden Pakete zur Entzündung. Die Pakete habe ich in ein Dachfenster geworfen. Ich bin dann denselben Weg wieder zurückgeklettert und über die Spree, die Königstraße entlang, zum Alexanderplatz zurückgegangen. Abends habe ich dann wieder im Männerheim genächtigt.“ D er R eic h stagsbra n d Am Folgetag, einem Sonntag, irrt er durch die Stadt, unschlüssig, ob er die Heimreise antreten soll, oder nicht. Über den Tiergarten, Charlottenburg und Spandau wandert er weiter nach Henningsdorf. Er besitzt nur noch eine Mark. In Henningsdorf lässt er sich gegen 18.20 Uhr im Polizeiasyl registrieren. „Am Sonntag bin ich früh um 9.00 Uhr aufgebrochen und durch den Tiergarten über Charlottenburg nach Spandau gegangen. Den Grund, weswegen ich dort hingegangen bin, kann ich nicht angeben. Geld habe ich bis auf eine Reichsmark nicht mehr besessen; ich hätte also bis Leiden laufen müssen. Am Sonntagabend bin ich in einem Dorf bei Spandau eingekehrt. Dieses Dorf heißt Hennigsdorf.“ Am Rosenmontag geht van der Lubbe von Hennigsdorf wieder in Richtung Berlin. „Am Montag bin ich dann gegen 8.00 Uhr von Hennigsdorf wieder in Richtung Berlin abmarschiert und habe mich zuerst nach Tegel begeben. Ich bin die ganze Müllerstraße, Chausseestraße und Oranienburger Straße entlang bis direkt zum Reichstag gegangen. Ich kam von der Oranienburger Straße zunächst zu den Linden, ging diese hinunter bis zur ersten Querstraße vor dem Brandenburger Tor. Von dort ging ich direkt zum Reichstag hinüber. Ich war etwa gegen 17.00 Uhr da und habe mir das ganze Gebäude genau angesehen. Bereits am Vormittag habe ich mir beim Passieren der Müllerstraße 48 (auf der linken Seite derselben nach der Stadt zugesehen) noch einmal vier Pakete Kohlenanzünder für 30 Pfennige gekauft. Der Laden war ein Kohlengeschäft in einem kleinen Holzgebäude. Kartoffeln sind dort auch verkauft worden. Ich erkenne diesen Händler genau wieder. Als ich in das Geschäft kam, hatte ich noch nicht gewusst, wie man diese Anzünder auf Deutsch nennt. Ich habe nach den Dingern zum „Kacheln“ gefragt, bis mich ein Mann im Laden darauf brachte, dass dieses Material Kohlenanzünder heißt. Am Nachmittag wärmt er sich im Postamt C2 auf und studiert Flugblätter und Wahlkampfbroschüren. Nach Anbruch der Dunkelheit bricht er Richtung Reichstag auf. Marinus van der Lubbe ist gegen 21 Uhr am Reichstag. Er klettert von der großen Treppe aus auf ein mannshohes Sims und tritt das Glas der Balkondoppeltür ein. Er gelangt in das Reichstagsrestaurant, wo er versucht, Gardinen und einen Tisch in Brand zu setzen. Von hier aus rennt er mit weiteren Kohlenanzündern in den Plenarsaal. Er steckt 19 seine Jacke und seinen Pullover in Brand, um im dunklen Reichstagsgebäude besser sehen zu können. Draußen vor dem Reichstag haben die ersten Zeugen bereits die Polizei alarmiert. Während viele der kleinen Brandherde nicht richtig brennen wollen, ist der Plenarsaal mit seinen stoffbespannten Holzwänden und der ausgedörrten Wandvertäfelung geradezu „ideal“. „Ich habe nachmittags den Anbruch der Dunkelheit abgewartet und bin dann wieder die Linden lang zur Dorotheenstraße gegangen und dann fast ganz um den Reichstag herum. Als ich an die Freitreppe kam, bin ich an der rechten Seite der Treppe an einem etwa mannshohen Gesims hochgeklettert und auf einen kleinen Balkon gestiegen. Ich trat das Glas der Balkondoppeltür ein und gelangte so in ein Zimmer. Dort habe ich das erste Feuer angezündet und zwar mit einem von den Paketen, das ich unter die Gardine legte. Da der Brand gar nicht richtig losging, habe ich noch ein zweites Stück angezündet und auf den Tisch gelegt. Da es so dunkel war, habe ich damit das Zimmer erhellen wollen. Ich ging auf den Korridor und habe hier meine Jacke und meine Weste ausgezogen. Das Feuer war inzwischen ausgegangen und ich habe daher meinen Pullover angezündet, um das Feuer weiter zu tragen. Zum Anzünden des Pullovers verwendete ich die glimmenden Reste auf dem Tisch. Mit dem brennenden Pullover rannte ich dann den Korridor entlang, der hinten einen rechten Winkel machte. Dort fand ich in einem Büro Papier, das ich nun mit dem dritten Paket Kohlenanzünder zum Anlegen eines großen Brandes verwenden konnte. Ich bin dann zurückgerannt und habe die Tür zur Küche eingetreten. Dort habe ich ein Tafeltuch in Brand gesetzt, indem ich das letzte Paket Kohlenanzünder verwendete. Dann habe ich eine Speiseklappe, die zum Durchgeben des Essens dient, entzwei gemacht. Ich gelangte in einen kleineren Saal und rannte dort die Treppen hoch. Ein brennendes Tischtuch habe ich mitgenommen und kam dann in eine große Kirche. […] Ich rannte also auf den Eingang des Saales zu. In diesem Augenblick hörte ich auf der gegenüberliegenden Seite des Saales Stimmen. Ich lief jetzt in den großen Saal, in dem ich auch noch Feuer anzünden wollte. Auch hier habe ich nichts Brennbares gefunden, also lief ich wieder zum Bismarcksaal zurück, unterwegs verlor ich brennende Teile. Hier hörte ich wieder Stimmen. Ich nahm an, dass es die Polizei sei und habe gewartet. Im Bismarcksaal bin ich auch festgenommen worden.“ D er R eic h stagsbra n d 20 Foto vom Reichstagsbrandprozess Marinus van der Lubbe wird um 21.27 Uhr festgenommen. Er ruft: „Protest! Protest!“, lässt sich durchsuchen. Bei sich hat er nur einen niederländischen Pass, einen Geldbeutel und ein Taschenmesser. In einem spektakulären und international viel beachteten Prozess in Berlin und Leipzig wird van der Lubbe am 23. Dezember 1933 zum Tode verurteilt. Seine vier Mitangeklagen (Ernst Torgler, sowie die drei bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow, Blagoi Popow und Wassil Tanew) werden aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Am 10. Januar 1934 wird van der Lubbe mit der Guillotine in Leipzig hingerichtet. Das Urteil gegen ihn wird 2007 von der Bundesanwaltschaft aufgehoben. „Die Annullierung des Richterspruchs gegen den kommunistischen Widerstandskämpfer durch die Generalbundesanwaltschaft beruht auf dem Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile von 1998 [...]. Laut Bundesanwaltschaft beruhte die Verhängung der Todesstrafe auf „spezifisch nationalsozialistischen Unrechtsvorschriften“, die gegen die Grundvorstellungen von Gerechtigkeit verstießen. Demnach wurde die Todesstrafe für Taten wie Brandanschläge erst einen Tag nach dem Vorfall eingeführt – jedoch auf vorher begangene Straftaten rückwirkend erstreckt. [...] Im April 1967 war das Todesurteil gegen den Niederländer zunächst vom Berliner Landgericht teilweise abgeändert und zu acht Jahren Zuchthaus umgewandelt worden.“* * aus: http://einestages.spiegel.de/static/topicalbumbackground/1185/ justiz_hebt_todesurteil_gegen_van_der_lubbe_auf.html D er R eic h stagsbra n d 21 Szenenfoto mit Hagen Löwe, Andrej von Sallwitz, Iven Hausmann Historische Quellen Der Text und die Inszenierung des Dokumentarfilmers Titus Faschina gehen (fast) ausschließlich von historischen Quellen aus. Die Vielfalt der Dokumente und deren Widersprüchlichkeiten verleiten zur Annahme einer allgemeinen Unsicherheit der Bürger und der Historiker, damals wie heute: Was und wem kann man glauben? Wo positioniert man sich in einer Quellenflut? Wo setzt man einen Schwerpunkt? Wem nutzt eine Tat? Wer schreibt Geschichte? Für diese Inszenierung wurden verschiedenste Materialien und Archive gesichtet. Wir waren uns bei der Recherche durchaus bewusst, dass auch offizielle Quellen – in diesem Fall ziemlich offensichtlich – gefälscht wurden.* Um einen assoziativen Raum im Spieltext zu ermöglichen, sind neben den zahlreichen historischen Dokumenten auch kulturwissenschaftliche Texte zum „Gehen“ und „Laufen“, zur „Guillotine“, * Sowohl die Vernehmungsprotokolle, wie auch seine Tagebuchaufzeichnungen sind mit größter Wahrscheinlichkeit nicht wort-wörtlich von van der Lubbes. sowie ein Textausschnitt aus „die Heimkehr“ von Franz Kafka und das Höhlengleichnis von Platon eingearbeitet. Einige der Quellen, die zum Teil auch in den collagehaften Stücktext eingeflossen sind, werden im Folgenden dargestellt. Zeitgenössische Witze, ein Beispiel Am Abend des 27. Februar kommt Görings Adjutant atemlos ins Arbeitszimmer seines Chefs gestürzt: „Herr Ministerpräsident!“, schreit er. „Der Reichstag brennt!“ Göring schaut auf die Uhr und schüttelt verwundert den Kopf: „Was denn, jetzt schon?“ Vernehmungsprotokolle der Polizei und Prozessprotokolle Die Selbstbeschreibung van der Lubbes in der Vernehmung der Polizei am 28. Februar, 1. und 2. März 1933 diente dem Text der Inszenierung als Basis für die Figur des Marinus van der Lubbe (Ausschnitte aus Schoutens Biografie im vorherigen D er R eic h stagsbra n d Kapitel und im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Bestand ST 65). Die stenografischen Mitschriften der Verhandlungen vom 21.09.33 – 23.12.33 vor dem Reichsgericht sind erhalten und im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde einzusehen. Zum Teil sind sie auch abgedruckt in „Der Reichstagsbrandprozess und Georgi Dimitrow“ (Hg: Institut für MarxismusLeninismus beim ZK der SED). „Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. Die Regierung beeinflusste das Verfahren von Anfang an. Der die Untersuchung leitende Richter wurde zu Beginn durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte.“* Für die Inszenierung spielten diese Akten keine beachtenswerte Rolle, da die Beschreibung van der Lubbes im Vordergrund stand und nicht der verzweifelte und missglückte Versuch einer jungen Diktatur, ein Exempel gegen die Kommunisten zu statuieren. Der Prozess wurde bereits damals aufgezeichnet**. Inzwischen ist er mehrfach verfilmt*** und für das Theater dramatisiert****. Gutachten der Psychiater „Die psychiatrischen Gutachten, aus denen hervorging, dass van der Lubbes Verhalten keineswegs unverständlich oder gar krankhaft, sondern die Abwehrhaltung eines in seiner Menschenwürde zutiefst beleidigten Mannes war, sind bereits im Prozess von den medizinischen Sachverständigen sehr ausführlich vorgetragen worden. Gutachter waren zwei namhafte, politisch und fachlich gleichermaßen integre Wissenschaftler: der 1948 verstorbene Geheime * aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagsbrand# Der_Reichstagsbrandprozess ** Einen Ausschnitt kann man bspw. unter: http://videokatalog.msn. de/Gesellschaft/Geschichte/video-1933-Reichstagsbrand-ProzessReichstagsbrand-Prozess-Machtergreifung-46946.html einsehen. *** u.a. ein TV-Mehrteiler von Tom Tölle, Der Reichstagsbrandprozeß, 1967, BRD / Marinus van der Lubbe en de Rijksdagbrand (1933, Original-Filmmaterial mit Ton aus dem Reichstagsbrandprozess) **** u.a. von Hedda Zinner, Der Teufelskreis, 1955. Anspielungen auch in Berthold Brecht, Der unaufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui, 1941 oder „Professor Mamlock“ von Friedrich Wolf, 1933 22 Medizinalrat Professor Dr. Karl Bonhoeffer von der Universität Berlin und der damalige Privatdozent und heutige Direktor der Nervenklinik Frankfurt am Main, Professor Dr. Jürg Zutt. Die beiden Professoren haben im August 1934 unter dem Titel „Über den Geisteszustand des Reichstagsbrandstifters Marinus van der Lubbe“ in der „Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie“ (Band 89, Heft 4, Seiten 185 bis 213) den wesentlichen Inhalt ihrer Gutachten über Lubbe wiedergegeben.“***** Anhand der Beschreibungen der Psychiater, die hier aus Martin Schoutens Biografie zitiert werden, lassen sich Rückschlüsse auf einen klaren Charakter ziehen: „Marinus van der Lubbe war ein großer, breitschultriger, ungeschlachter junger Mann. Er sah jünger aus, als es seinem tatsächlichen Alter von 24 Jahren entsprach, was nur zum Teil an seinem breitknochigen Gesicht lag, auch Haltung und Bewegungen hatten etwas sehr Jungenhaftes. […] Im Tonfall und mimischen Gebaren war er präzise und vielfältig an Nuancen, obschon er mit relativ leiser Stimme sprach. […] Man hatte ihm gegenüber sehr das Gefühl einer Persönlichkeit, die weiß, was sie will. […] Die meist unordentlichen, dünnen, leicht gewellten, rötlich-braunen Haare umgaben etwas spärlich das blasse, fast gedunsen wirkende Gesicht. Mehr als gewöhnlich schienen Augen und Mund Träger des lebendigen Ausdrucks zu sein. Recht häufig runzelte er die Stirn. […] Die Augen waren klein, die Augenlider stets etwas entzündet […] Es versteht sich, dass gerade diese krankhafte Veränderung der Augen den ganzen mimischen Ausdruck sehr stark bestimmte. [...] Er sah nicht so aus, als ob ihm etwas entging. […] Es ist nur diese eine Auffassung möglich: Dieser junge 24-jährige Mensch hat sich mit einer erstaunlichen effektiven Unerbittlichkeit, ja Verbissenheit, konsequent gehalten bis zu seiner Hinrichtung. Darin liegt – gerade im Hinblick auf sein jugendliches Alter – eine erstaunliche menschliche Leistung. Aber er war eben auch ein ungewöhnlicher Mensch: Er war von brennendem Ehrgeiz, daneben ***** aus: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42623554.html D er R eic h stagsbra n d Szenenfoto mit Andrej von Sallwitz bescheiden und kameradschaftlich; ein Wirrkopf, ohne rechtes Bedürfnis nach intellektueller Klarheit, dabei aber doch einer unbeugsamen Entschlossenheit fähig, für widersprechende Argumente einsichtslos und unbelehrbar. Er war gutmütig und nicht nachtragend, aber gegen alle Autorität lehnte er sich auf. Diese grundsätzlich aufrührerische Tendenz war wohl seine bedenklichste Eigenschaft […] In irgendeiner Weise Ungewöhnliches war von ihm zu erwarten. Geisteskrank ist er aber darum nicht gewesen. “ Zeitzeugen (Schriftsteller, Tagebücher) Der Reichstagsbrand ist von zahlreichen Menschen beschrieben worden. So findet man neben Tagebuch- 23 einträgen auch viele literarische Aufarbeitungen. Gedichte, Theatertexte, Witze und Prosa. Ein paar Beispiele finden Sie im Folgenden. Clara Brause (Tagebucharchiv Hamburg): „Ich habe dieses schreckliche Ereignis erst heute Nachmittag drei Uhr erfahren, als ich Einkäufe machte. Da ich Wäsche hatte, kam ich nicht früher auf die Straße. In dem Schaufenster der Nazi-Zeitungen las ich das Furchtbare und glaubte anfangs an einen Faschingsulk. – Fast gelähmt schleppte ich mich zum Zeitungsstand, um mir eine „B.Z.am Mittag“ zu kaufen. Darin fand ich dann das Grausige bestätigt. – Als meine Tochter um 5 Uhr heimkam, war sie noch gar nicht im richtigen Bilde. Man hatte die tollsten Geschichten von dem Brande verbreitet. Gott wird wissen, was uns in den nächsten Tagen und Wochen noch Böses bevorsteht. Wir bitten um seine Gnade.“ Joseph Goebbels (Tagebücher 1924-1945): 27. Februar 1933: „Um neun Uhr kommt der Führer zum Abendessen. Wir machen Musik und erzählen. Plötzlich ein Anruf von Dr. Hanfstaengl: „Der Reichstag brennt!“ Ich halte das für eine tolle Phantasiemeldung und weigere mich, dem Führer davon Mitteilung zu machen. Ich orientiere mich nach allen Seiten und erhalte dann die furchtbare Bestätigung: es stimmt. Lichterloh schlagen die Flammen aus der großen Kuppel. Brandstiftung! Ich benachrichtige gleich den Führer und dann rasen wir im 100-kmTempo die Charlottenburger Chaussee herunter zum Reichstag. Das ganze Gebäude steht in Flammen. Über dicke Feuerwehrschläuche gelangen wir durch das Portal 2 in die große Wandelhalle. Auf dem Wege dahin kommt Göring uns entgegen und bald danach ist auch v. Papen da. An vielen Stellen wurde schon Brandstiftung festgestellt. Es besteht kein Zweifel, dass die Kommune hier einen letzten Versuch unternimmt, durch Brand und Terror Verwirrung zu stiften, um so in der allgemeinen Panik die Macht an sich zu reißen. Nun ist der entscheidende Augenblick gekommen. […] 28. Februar 1933: […] Nun wird die rote Pest mit Stumpf und Stiel ausgerottet. Widerstand zeigt sich nirgendwo. Das gegnerische Lager scheint durch unser plötzliches und scharfes Durchgreifen so verblüfft zu sein, dass es sich gar nicht mehr zu wehren D er R eic h stagsbra n d wagt. Ich schaue mir im Reichstag die Folgen der Brandnacht an. Das Plenum bietet ein einziges Bild von Verwüstung. Trümmer über Trümmer. Das wird der K.P.D. teuer zu stehen kommen. Im ganzen Volk herrscht eine unbeschreibliche Empörung über dieses feige Attentat. Nun läuft die Arbeit wie von selbst. Das Schlimmste ist vorbei. Die hoffentlich letzte Panne ist glücklich überwunden. Noch ein paar Tage und dann werden wir unseren großen Triumph feiern können. Es ist wieder eine Lust zu leben. [...]“ Victor Klemperer (Die Tagebücher): „30. Januar: Hitler Kanzler. Was man bis zum Wahlsonntag Terror nannte, war mildes Prélude. Jetzt wiederholt sich haargenau, nur mit anderem Vorzeichen, mit Hakenkreuz, die Sache von 1918! Wieder ist es erstaunlich, wie wehrlos alles zusammenbricht. Wo ist Bayern, wo ist das Reichsbanner usw. usw.? Acht Tage vor der Wahl die plumpe Sache des Reichstagsbrandes – ich kann mir nicht denken, dass irgend jemand wirklich an kommunistische Täter glaubt statt an bezahlte Arbeit. Dann die wilden Verbote u. Gewaltsamkeiten. Und dazu durch Straße, Radio etc. die grenzenlose Propaganda.“ 24 Klaus Mann: „Zwischen einem Tango und einem Walzer erzählte man sich die neuesten Schreckensnachrichten aus Berlin. Als der Anarchist Erich Mühsam, der Pazifist Carl von Ossietzky und der Kommunist Ernst Thälmann von der Gestapo verhaftet wurden, kehrte man in München Luftschlangen und Konfetti von den Straßen. Man war verkatert. Der Fasching war vorüber.“ Tom Crepon / Hans Fallada: „Am Abend des 27. Februar sitzt eine kleine Runde in den Schlichterschen Weinstuben in der Augsburger Straße, um auf den Erfolg des neuen Fallada-Romans anzustoßen. […] als der Abend schon tüchtig vorangeschritten ist, stürmt Ernst von Salomon – wie Dietzen Lektor im Rowohlt-Verlag – mit der Nachricht ins Zimmer, der Reichstag brenne. Er erntet ungläubiges Staunen, Zweifel, bei Rowohlt sogar Spott: „Das möchten Sie oller Bombenschmeißer und Attentäter wohl gern? Haben Sie wohl selbst iniziiert, he?“ Aber Salomon geht nicht darauf ein. Er wiederholt, was soeben über den Berliner Rundfunk verbreitet wurde.“ Szenenfoto mit Hagen Löwe D er R eic h stagsbra n d Bertolt Brecht: Der römische Kaiser Nero (1933) Der römische Kaiser Nero, der ebenfalls Als großer Künstler gelten wollte, soll angesichts Des auf sein Geheiß brennenden Roms auf einem Turm Die Harfe geschlagen haben. Bei einer ähnlichen Gelegenheit Zog der Führer angesichts eines brennenden hohen Hauses Den Bleistift und zeichnete Den schwungvollen Grundriss Eines neuen Prachtbaus. So, in der Art ihrer Kunst Unterschieden sich die beiden. Thomas Brasch: Van der Lubbe, Terrorist (Niemands Land) Das Gedicht umfasst zwölf Strophen. Hier ein Ausschnitt: Die Geschichte spielt in meiner Stadt, die der Krieg zerschnitten hat und aus tausend Häuserwunden Blut noch heute alle Stunden Unterm Pflaster seufzt und stöhnt Totes das sich nicht gewöhnt an den Tod Und drüber fährt feiges Volk das sich nicht kehrt weiter taub und blind und stumm Staat macht Angst und Angst macht dumm: Februar 27. brennt das Regierungshaus. Van der Lubbe atemlos läuft durch die Säle, rote Feuer spiegeln sich in seiner Kinderfratze, er findet einen Ausgang noch zum Reichstagsufer steht: Seht meine Arbeit, die zum Himmel brennt: Seht die Flamme aus dem Krater brechen: Jetzt laßt uns den Staat wegstechen. Keine Antwort nur die Autos fahren hin und her: schon zwei Stunden später ist er festgenommen, abgefahren, vorgeführt, Personalien festgestellt: Name, Wohnort, Auftraggeber. Van der Lubbe lacht: Eigner Auftrag, das versteht kein Polizist. Staunend stehn sie an den Türen: Dieser Brand soll ein größres Feuer schüren. Keiner handelt ohne Auftrag, sagen alle im Gericht, auch die angeklagten Kommunisten 25 nennen ihn das Werkzeug der Faschisten, die ihn aber auch durchschaun und dem Roten in die Fresse haun. Van der Lubbe versteht jetzt garnichts mehr: Und das Volk. Als ob nichts geschehen wär. Ernst Busch: Die Ballade vom Reichstagsbrand Die Ballade vom Reichstagsbrand umfasst 22 Strophen und wird nach der Melodie des „Macky Messer“-Songs aus der Dreigroschenoper gesungen. 3. Eines Tages, es war noch Winter Blieb man an der Panke Strand Denn der Führer sagte: in der Luft liegt heut´ ein Reichstagsbrand 4. Und an diesem Montag abend Stand ein hohes Haus in Brand. Fürchterlich war das Verbrechen Und der Täter unbekannt 5. Zwar ein Knabe ward gefunden Der nur eine Hose trug Und in Leinwand eingebunden Der Kommune Mitgliedsbuch 21. Zu Berlin im Jahre neunzehnhundertdreiunddreißig stand Dann an einem Montag Abend des Letzten Reichstags Haus in Brand. Zeitungen Anhand der vielen verschiedenen Zeitungsberichte vom 28. Februar 1933, lässt sich ein differenziertes Bild der Zeit ablesen. Eine Woche vor der Reichstagswahl konnte über dieses weltgeschichtliches Ereignis nicht unterschiedlicher berichtet werden. Eine Auswahl von Ausgaben vom 28.02.33 und anderen Daten findet man digitalisiert unter http:// zefys.staatsbibliothek-berlin.de/kalender/auswahl/ date/1933-02-28/. Den „Völkischen Beobachter“, die „Vossische Zeitung“ und „Vorwärts“ vom Tag nach dem Reichstagsbrand finden Sie mit Arbeitsblättern für die Sekundarstufe I und II unter http://zeitungszeugen.de/ausgabe-2/. Für die Inszenierung wurden auch Zitate aus den damals erschienenen Blättern entnommen. So u.a. Teile aus dem Leitartikel von Joseph Goebbels im „Völkischen Beobachter“. D er R eic h stagsbra n d 26 Horoskope und Wahrsager (Eric-Jan Hanussen) In der Weimarer Zeit spielten Horoskope, astrologische Kalender und große Wahrsager-Shows eine erstaunlich bedeutende Rolle. Auch bei der Beschäftigung mit dem Reichstagsbrand stößt man unweigerlich auf eine Vielzahl von übernatürlichen Hinweisen. So findet man bereits in der Zeitschrift „Deutschlands Zukunft – Unparteiische Wochenschrift für Astrologie, Politik und aktuelle Kulturprobleme“ von August 1932 einen großen Artikel über den Untergang des Reichstags: „Durch Reichstagskatastrophe zur Diktatur? Was kündet das Horoskop des neuen Reichstags: Vier Planeten im Todeshaus.“ Die Zeitung, die das bedrohende Horoskop des Reichstags (Abbild s. Seite 7) veröffentlichte, ist eines der unbekannteren Beispiele: „Da sowohl der Aszendent des Reichstagshoroskopes wie auch der Geburtsgebieter Jupiter günstig Hanussen bei einer Hypnosesitzung bestrahlt sind, können wir dem Reichstag weder Lebensfähigkeit noch baldiges Ende voraussagen. In diesen Tagen muss sich nämlich die verhängnisvolle Besetzung des 7. Feldes im Horoskop des Reichstages auslösen, da der Mars nunmehr bis zur Position des Mondes fortgeschritten ist und am 28. Februar durch den laufenden Mond diese Konjunktion ausgelöst wird.“ Weit bekannter ist die populäre und schillernde Person des Wahrsagers Eric-Jan Hanussen. Hanussen (1889 – 1933) geboren als Hermann Steinschneider, war ein Star seiner Zeit, ein Hellseher, über den die ganze Stadt sprach und der zweimal täglich die Berliner Scala mit mehreren tausend Zuschauern füllte. „‚Hanussens bunte Wochenschau‘ war kurzfristig eine der auflagenstärksten Zeitungen Berlins. Durch ‚astrologische Börsentipps‘ konnte er Aktienkurse beeinflussen. […] Hanussen verkaufte allerhand okkulte Produkte und wurde so reich, dass er sich unter anderem eine Luxus-Yacht leistete und in der Lietzenburgerstraße in Berlin ein Gebäude D er R eic h stagsbra n d 27 als ‚Palast des Okkultismus‘ ausbauen ließ. […] Durch seine ‚Geldverleihungen‘ erwarb er sich viele Freunde.“* Der Wahrsager war trotz seiner jüdischen Herkunft ein großer Sympathisant der Nationalsozialisten, unterstützte Hitlers Aufstieg durch seine astropolitischen Zeitschriften und hatte nachweislich Kontakt zur Führungsriege der Partei. Anfang 1933 sagte er den Reichstagsbrand voraus. Am 26. Februar 1933 hypnotisierte Hanussen die tschechoslowakische Schauspielerin Maria Paudler, die in Hypnose ausrief: „Ich sehe gesegnete Felder … Deutschland wird glücklich … das Volk jubelt seinem Führer zu … noch hat er Gegner … sie versuchen einen letzten Stoß … aber jeder Widerstand ist nutzlos … Da ist Feuer. Ich sehe ein großes Haus in Flammen stehen“. 20 Stunden später brannte der Reichstag. […] Am 23. März 1933 wurde Hanussen in seiner Privatwohnung verhaftet und in der Nacht des 24. März von einem SA-Kommando erschossen. Seine Leiche wurde Tage später, in einem Waldgebiet südlich Berlins, aufgefunden.“** Ob Hanussen von einem Plan der Nationalsozialisten den Reichstag anzuzünden wusste, ob er mit Brandstiftern Kontakt hatte oder ob sich gar eine Brücke zwischen Hanussen, SAMitgliedern und Marinus van der Lubbe herstellen ließe, bleibt eines der vielen ungelösten Rätsel dieser Tat***. In dem Kapitel „Die wahren Brandstifter“ trugen die Autoren auf über 60 Seiten die damals bekannt gewordenen Fakten über die Wahrheit der amtlichen Kommuniqués, interne und öffentliche Widersprüche in der Darstellung der Abläufe, sowie technische und inhaltliche Details der Darstellung des Brandes zusammen, die auf der einen Seite die Angeklagten entlasteten und andererseits die faschistischen Organisationen und Führer in den Blick nahmen. In diesem Kapitel kommen die Verfasser zu dem Ergebnis: „Hauptmann Göring ist der Organisator des Reichstagsbrandes. Sein Parteigenosse Goebbels hat den Plan erdacht, Göring hat ihn durchgeführt. In seiner Hand waren alle Möglichkeiten vereint. In seiner Hand war alle notwendige Macht gegeben. In seiner Hand liefen alle Fäden zusammen. Der Morphinist Göring hat den Reichstag angezündet.“**** Das „Braunbuch über Reichstagsbrand und Hitlerterror“ Nachdem das „Braunbuch“ am 1. August 1933 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, dauerte es nur wenige Wochen, bis es in siebzehn Sprachen übersetzt und weltweit in Millionenauflagen verbreitet wurde. Damit wurde es in den ersten Monaten und Jahren der faschistischen Herrschaft eines der wichtigsten Materialien der antifaschistischen Aufklärungsarbeit. „Das Braunbuch ist eine Hetzschrift, die ich vernichten lasse, wenn ich sie kriege.“ (Hermann Göring im Reichstagsbandprozess) In den Kapiteln „Der Reichstag muss brennen!“ und „Das Werkzeug van der Lubbe“ gelingt den Verfassern des „Braunbuchs“ der Nachweis, dass der Reichstagsbrand eine von den Nationalsozialisten geplante Provokation war, die als Vorwand für die Verschärfung des Terrors herhalten sollte. * aus: http://de.wikipedia.org/wiki/Erik_Jan_Hanussen ** aus: http://www.lovelybooks.de/autor/Mel-Gordon/Erik-JanHanussen-7430281-t/rezension/950084039/ und besonders: http:// einestages.spiegel.de/s/tb/27905/80-jahre-reichstagsbrand-ich-seheden-grossen-bau-in-hellen-flammen-aufgehen.html *** Siehe u.a. Lexikon zur Homosexuellen Verfolgung 1933 – 45 von Günter Grau, Lit-verlag 2011 „Van der Lubbe ist für die Tat von den homosexuellen SAFührern, die mitzündelten, als Werkzeug empfohlen worden. Diesem eitlen, ruhmsüchtigen, halbblinden Werkzeug klar zu machen, dass er für eine ‚große Rolle‘ ausersehen sei, war leicht. Van der Lubbe wurde im brennenden Reichstag zurückgelassen, weil er das Beweismittel gegen die Kommunisten war. Er hat seine Rolle so gut gespielt, wie er konnte. Und wird weiter alles gestehen, was seine Auftraggeber von ihm verlangen.“ (aus: Braunbuch) Auszüge aus den Schulbüchern für Geschichte beider deutscher Staaten Anhand der Darstellung des Reichstagsbrandes in den Schulbüchern der letzten Jahrzehnte lässt sich die Instrumentalisierung und Veränderung der Rezeption dieser Tat sehr gut erkennen. So ist u.a. auffällig, dass der Reichstagsbrand im Westen so gut **** aus: http://www.dasjahr1933.de/braunbuch-reichstagsband/ D er R eic h stagsbra n d wie keine Erwähnung fand, sondern nur im Zusammenhang mit der Reichstagswahl vom 5.März 1933 angesprochen wird, im Osten hingegen oft ausführliche Artikel zum Reichstagsbrandprozess und einem der Hauptakteure, Georgi Dimitrow, zu lesen sind. Als unterstützende Recherche haben wir in verschiedenen Schulbucharchiven nachgeforscht und die folgenden (hier teils stark gekürzten) Artikel aus Ost und West gefunden: „Am Abend des 27. Februar wurde das Reichstagsgebäude in Brand gesetzt und brannte aus. Obwohl es eine Tat von Nationalsozialisten war, ließ Hitler sofort verkünden, das sei durch die Kommunisten als Auftakt zu einer bolschewistischen Erhebung geschehen.“ (Bundesrepublik Deutschland, 1952) „In der Nacht vom 27. zum 28. Februar 1933 organisierten die Faschisten eine ungeheuerliche Provokation gegen die KPD – den Reichstagsbrand. Die Nazis behaupteten, die KPD hätte das Reichstagsgebäude in Brand gesteckt, um damit angeblich das Signal zu einem kommunistischen Aufstand zu geben. In Wirklichkeit war der Reichstagsbrand das Signal zu einer Welle 28 antikommunistischer Hetze und zu ungezügeltem Terror gegen die KPD und alle antifaschistischen Kräfte.“ (DDR, 1960) „In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 stand das Reichstagsgebäude in Flammen. Hitler erklärte die Kommunisten für die Brandstifter und ließ ihre Abgeordneten verhaften.“ (Bundesrepublik Deutschland, 1963) Eine „Kette von Terrormaßnahmen erreichte am Abend des 27. Februar 1933 mit der Reichstagsbrandprovokation einen Höhepunkt. Gegen 21.00 Uhr stand das Reichstagsgebäude in hellen Flammen. Die unmittelbar danach eintreffenden faschistischen Führer Goebbels, Göring und Hitler behaupteten sofort, der Brand sei von den Kommunisten als Signal für einen kommunistischen Aufstand gelegt worden. Die Brandstifter waren jedoch die Faschisten selbst.“ (DDR, 1975) „Am Abend des 27. Februar brannte das Reichstagsgebäude. Als Täter wurde der ehemalige holländische Kommunist Marinus van der Lubbe verhaftet – hatte er das ausgedehnte Feuer alleine legen können?“ (Bundesrepublik Deutschland, 1986) Szenenfoto mit Iven Hausmann und Andrej von Sallwitz D er R eic h stagsbra n d „Diese Nachricht ließen sie auch über Presse und Rundfunk verbreiten. Die Brandstifter waren jedoch die Faschisten selbst, wie später nachgewiesen wurde. Sie schufen damit einen Vorwand, um ihre antikommunisti- 29 sche Hetze zu verstärken und eine grausame Blutorgie gegen Kommunisten und andere fortschrittlich denkende Deutsche zu entfesseln.“ (DDR, 1989) Die Erschaffung von Realitäten: Das Auge des Betrachters Bei der vorbereitenden Arbeit für diese Inszenierung hat das Regieteam immer wieder festgestellt, dass wir nicht nur auf Grund unserer unterschiedlichen politischen Sozialisierungen verschiedene Dinge zum Reichstagsbrand meinten zu wissen. Als Dokumentarfilmer ist Titus Faschina bei der Abbildung von Ereignissen immer mit der Frage nach der Wahrheit konfrontiert. Kann ich eine „Wahrheit“ abbilden? Gibt es die eine Wahrheit? Wie sehr beeinflusst meine Darstellung die anderen? Der Reichstagsbrand ist diesbezüglich ein besonders dankbares Forschungsobjekt. Im Folgenden finden Sie ergänzend zu den verschiedenen historischen Quellen der vorangegangenen Kapitel Ausschnitte aus dem Artikel von Peter Krieg über eine Wahrheit, die immer nur im Auge des Betrachters entstehen kann. „Für Journalisten ist die Frage nach der Realität meist sehr einfach: Realität ist das Ereignis, über das zu berichten ist. Aufgabe des Journalisten ist es, eine möglichst wahrheitsgetreue Berichterstattung über das Ereignis zu erstellen. In der demokratischen Tradition des Journalismus wird immerhin darauf hingewiesen, dass es „Objektivität“ im Sinne einer absolut originalgetreuen Wiedergabe nicht geben kann, denn jede Wahrnehmung ist vom Wahrnehmenden gefärbt. Dennoch wird als Ziel und Idealfall des journalistischen Berichts die möglichst weitgehende Annäherung an das Ereignis postuliert. Der Journalist ist danach jemand, der unablässig auf der Suche nach der Realität und damit der Wahrheit ist. […] Als Gradmesser für die Annäherung an die „Realität“ dienen uns gern Begriffe wie „Authentizität“, also „Echtheit“, die allzu leicht vergessen lassen, dass sie lediglich Definitionen über die inszenatorischen Methoden darstellen, mit der z. B. im Dokumentarfilm bestimmte Gefühle beim Zuschauer (Illusion, einer „Realität“ unmittelbar beizuwohnen?) erzeugt werden. Die Vorstellung einer journalistisch erfassbaren und vermittelbaren Realität „irgendwo da draußen“ ist wohl in keinem Berufszweig so ungebrochen wie im Journalismus. Ich habe den Eindruck, dass ausgerechnet und nicht zufällig genau dort sich der blinde Fleck befindet, ohne den wohl keine Berufsgruppe auskommt. […] In dem Maße, wie diese Gesellschaft wächst, bedient sie sich technischer Mittel zur Kommunikation – der Medien. Sinn dieser Medien ist es, gemeinsam konsensuelle Bereiche zu schaffen, innerhalb derer eine Koordination der Handlungen der Individuen möglich ist. Diese konsensuellen Bereiche nennen wir schlicht „Realität“. Realität ist danach also ein gesellschaftliches Konstrukt, das wiederum Gesellschaft ermöglicht und konstituiert. Die Medien haben also die Funktion, diese „Realität“ zu schaffen, indem sie sie durch Beobachtung der Gesellschaft konstruieren und in ihr verbreiten. Je komplexer und größer die Gesellschaft, desto wichtiger ist die Funktion der Medien, weil ohne sie eine Gesellschaft größerer Dimensionen und Komplexität nicht als Gesellschaft funktionieren könnte. […] Bei der Hervorbringung von Realität in einem kollektiven Prozess entsteht natürlich ebenfalls ein blinder Fleck. Dieser blinde Fleck ist dort, wo die strukturelle Kopplung der Individuen zu parallelen psychischen Zuständen, also Emotionen, geführt hat. Realität als Vorstellung D er R eic h stagsbra n d einer Umwelt kann ja nur dann entstehen, wenn ich zumindest für den Augenblick der Entstehung den Beobachter als Hervorbringer der Realität „ausblende“, also damit auch seine Emotionen im Augenblick der Hervorbringung vernachlässige. Die Vorstellung einer gemeinsamen (wie auch individuellen) Realität muss so tun, als sei sie unabhängig von der augenblicklichen Emotion des oder der Beobachter, die sie hervorbringen. Dadurch wird verständlich, dass die Medien, ebenso wie die Individuen, in aller Regel davon ausgehen, als sei die Realität gegeben und von den psychischen Zuständen der Beobachter unabhängig. […] Wenn ich sage, die Medien vermitteln nicht etwa eine a priori gegebene Realität, sondern sie erschaffen vielmehr eine gesellschaftliche Realität, so ist damit allein noch nicht viel gewonnen. Ob sich die Erde um die Sonne dreht oder die Sonne um die Erde, ändert bekanntlich wenig an meiner täglichen Erfahrung von Sonnenauf- und -untergang. Was sich jedoch ändert, ist die Art des Diskurses in der Gesellschaft. Heinz von Foerster weist immer wieder auf die ethische Bedeutung der konstruktivistischen Idee hin: Wenn ich auf die Vorstellung einer 30 von mir unabhängigen Realität verzichte, erlange ich erst die volle Verantwortung für mein Handeln – und damit auch die volle Freiheit. Ich kann nun nicht mehr sagen: Es sind die Medien, die mich zum Kauf eines neuen Autos zwingen, und die Werbung ist schuld, dass der Wagen 500 PS haben muss. Als Journalist oder Dokumentarfilmer bin ich ebenfalls für die Realität verantwortlich, die ich erschaffe: Ich kann nicht mehr sagen: Dies ist die wahre Geschichte oder dies sind die harten Fakten, ich kann nur sagen, so habe ich es gesehen, oder so hat man es mir erzählt, ich habe keine mir als wichtig erscheinenden Informationen unterschlagen. Die Realität, die ich mir als Beobachter erschaffe, ist meine Realität 1. Ordnung. Indem ich darüber berichte, erschaffe ich eine Realität 2. Ordnung, also eine ‚Landkarte der Landkarte‘, die dann wiederum für die Zuschauer, die nicht Zeugen der berichteten Ereignisse waren, zur Realität 1. Ordnung wird.“* * aus: Peter Krieg, „Blinde Flecken und schwarze Löcher. Medien als Vermittler von Wirklichkeiten.“ In: Watzlawick / Krieg, „Das Auge des Betrachters“, Pieper, München, 1991 Vorschläge zur Vor- und Nachbereitung im Unterricht Einführung: Während einer Doppelstunde und wenn Ihre Schüler den Nationalsozialismus noch nicht ausführlich besprochen haben, können Sie zunächst einen kurzen Überblick über die (politische) Situation in Berlin 1933 geben. Dieser Einblick kann übergehen in eine Beschreibung des Reichstagsbrands und seiner Folgen – immer unter der Beachtung, dass es bis heute kaum gesicherte Fakten gibt. Um die Frage und kurze Diskussion anzuschließen: wie Medien unsere Wahrnehmung und unsere Wirklichkeit bestimmen (damals hauptsächlich Zeitungen)? Im Anschluss an diese kurze Einführung empfehle ich Ihnen die bereits erwähnten „Zeitungszeugen“ und deren Arbeitsblätter* oder Sie lenken die Reflexion auf die jüngere Geschichte: Wo haben sich in den letzten Jahren ähnlich ikonographische Taten ab gespielt? Welche weitreichenden Folgen hatten diese Ereignisse? Wer hat sie wie beschrieben oder für die eigene politische Untermauerung „verwendet“? * http://zeitungszeugen.de/ausgabe-2/ D er R eic h stagsbra n d Beispiel: Ein ähnlich dramatisch-folgenreiches Beispiel der jüngeren Geschichte sind die einstürzenden TwinTowers in New York am 11.09.2001. Auch hier waren die Gebäude, die zerstört wurden, präzise gewählt: Das Weiße Haus und das Pentagon als Symbole der Macht, das World Trade Center als Symbol des Kapitals und der Wirtschaft. Und auch in diesem Fall gibt es vielfältige Mythen und Meinungen über Täter und Tathergang. Gruppenarbeit und Diskussion: Die Klasse befasst sich in kleinen Gruppen (à ca. 4 Schüler) mit den unten stehenden Thesen und wählt pro Gruppe eine These aus. Den kurzen Text kann die Gruppe frei und selbstständig bearbeiten und die These in unterschiedlichsten Formen zum szenischen Ausdruck bringen (Dia-Show, Nachrichtensprecher, live-Reporter, Präsidentenrede, Historiker etc.) und abschließend der Klasse vorstellen. Diskutiert werden kann die Bedeutungsverschiebung durch die dargestellte Situation sowie die Unmöglichkeit einer Abbildung der Wirklichkeit. Sie können diese szenische Übung selbstverständlich auch mit den unterschiedlichen Zitaten zum Reichstagsbrand durchführen, die Sie in diesem Material finden. Thesen-Auswahl: a. Feuerwehrmann und erste Pressemitteilungen: ein Unfall Die erste Meldung eines New Yorker Feuerwehrmannes, Battalion Chief Joseph Pfeifer, geht Sekunden nach dem Einschlag in der Zentrale ein. „Wir hatten soeben einen Flugzeugabsturz in die oberen Stockwerke des World Trade Centers. Übertrage einen zweiten Alarm und beginne Einheiten in das Gebiet umzuziehen... Der Turm 1 des World Trade Centers brennt... die ganze Außenhülle des Gebäudes. Es gab gerade eine riesige Explosion ...“ Um 8.49 Uhr zeigt CNN die ersten Bilder von dem brennenden Gebäude, aufgenommen von einer permanenten Kamera, als „Breaking News“: „Plane crashes into World Trade Center tower“ lautet die Schlagzeile. 31 b. USA – offizielle Rede des Präsidenten (Ausschnitte) 20.30 Uhr Fernsehansprache G. W. Bush: „Guten Abend. Heute sind unsere Bürger, unsere Lebensweise, ja, unsere Freiheit mit einer Serie von mutwilligen und tödlichen Terroranschlägen attackiert worden. […] Tausende Menschenleben wurden plötzlich ausgelöscht von bösen niederträchtigen Terrorakten. Die Bilder von Flugzeugen, die in Gebäude fliegen, von lodernden Flammen, von riesigen Gebäudestrukturen, die kollabieren, haben uns mit Fassungslosigkeit erfüllt, mit schrecklicher Trauer und mit einem stillen, unnachgiebigem Groll. […] Amerika wurde zum Angriffsziel, weil wir in der Welt die strahlendste Fackel der Freiheit und der Selbstverwirklichung sind. Und niemand wird den Glanz dieses Lichtes auslöschen. […] Die Suche nach den Hintermännern dieser Übeltaten läuft. Ich habe sämtliche Ressourcen mobilisiert, damit unsere Geheimdienste und Strafverfolgungsbehörden die Verantwortlichen ausfindig machen und vor Gericht bringen können. […] Niemand von uns wird diesen Tag jemals vergessen, dennoch schreiten wir voran, um unsere Freiheit zu verteidigen und alles, was in unserer Welt gut und gerecht ist. Danke. Gute Nacht und Gott segne Amerika.‘‘ c. Radikale Islamisten – kein offizielles Bekennerschreiben Islamisten-Führer Osama Bin Laden, der Mann, den die Vereinigten Staaten als Hauptverdächtigen hinter den erfolgten Terroranschlägen auf New York und Washington erachten, leugnete jede Beteiligung an diesen Aktionen. In einem Statement, veröffentlicht vom arabischen Satellitensender Al Jazeera, sagte Bin Laden: „Die US-Regierung hat mich regelmäßig beschuldigt, hinter jedem Ereignis eines Angriffs ihrer Feinde zu stecken. Ich möchte der Welt versichern, dass ich die jüngsten Attacken nicht geplant habe, welche anscheinend von Menschen aus persönlichen Gründen geplant wurden. [...] Ich lebe im Islamischen Emirat Afghanistan und befolge die Regeln seiner Führer. Der aktuelle Führer erlaubt mir nicht, solcherart Operationen auszuüben.“ D er R eic h stagsbra n d d. Verschwörungstheorien Verschwörungstheorien zum 11. September gehen davon aus, dass die Terroranschläge von Regierungsund Geheimdienstvertretern der USA oder Israels absichtlich zugelassen oder geplant und durchgeführt wurden. Verschwörungstheoretische Bücher und Internetseiten begründen ihren Verdacht stets mit der typischen Frage nach den Nutznießern der Terroranschläge. Viele Verschwörungstheoretiker sehen die Anschläge als von der US-Regierung herbeigeführten Vorwand, mit dem sie ihre lange vor dem 11. September vorhandenen Kriegspläne habe rechtfertigen wollen. Sie weisen dabei auf geostrategische Interessen der USA im Gebiet des Persischen Golfes und in Mittelasien hin. Beispiele: • Der Philosoph James H. Fetzer, Gründer der Gruppe Scholars for 9/11-Truth, schließt Energiewaffenbeschuss durch „Killersatelliten“ aus dem All oder Mininukes als Ursachen der WTCEinstürze nicht aus. • Steven Jones gründete Scholars for 9/11-Truth and Justice. Seine Gruppe favorisiert die These einer „kontrollierten Sprengung“ der WTC-Gebäude durch Explosivstoffe und behauptet, diese sei durch bestimmte metallhaltige Verbindungen im Gebäudeschutt beweisbar. Als „kontrollierte Sprengung“ (controlled demolition) bezeichnen ihre Vertreter die These, heimlich vorher in den Gebäuden platzierte und gezündete Explosivstoffe hätten WTC 1, 2 und 7 zum Einsturz gebracht, nicht die Einschlagschäden und Innenbrände. Diese These gewann „herausragende Bedeutung“, um andere Täter als die Flugzeugentführer und ein Regierungsverbrechen nahezulegen. 32 e. Künstlerpositionen (Deutschland): Wiglaf Droste (Satiriker, Autor, Sänger): „Der Einsturz zweier hässlicher und sehr verzichtbarer Türme hat nur nationalfolkloristische Bedeutung. Für mich wird der 11. September 2001 bleiben als die Geburtsstunde der bemannten fliegenden Architekturkritik. Das Ingenieurbüro Bin Laden & Erben könnte weiterhin viel zur Verschönerung der Welt beitragen. Gegen blinde-und-taube Hirne/ hilft recht gut die Abrissbirne. Um es präsidial zu sagen: auch und gerade in Deutschland.“ Karl Heinz Stockhausen (Komponist): „Also was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle Ihr Gehirn umstellen – das größte Kunstwerk, was es je gegeben hat …“ Er führt aus: „Dass also Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nie träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch, für ein Konzert. Und dann sterben. [Zögert.] Und das ist das größte Kunstwerk, das es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen Sie sich das doch vor, was da passiert ist. Das sind also Leute, die sind so konzentriert auf dieses eine, auf die eine Aufführung, und dann werden fünftausend Leute in die Auferstehung gejagt. In einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts, also als Komponisten. […] Ein Verbrechen ist es deshalb, weil die Menschen nicht einverstanden waren. Die sind nicht in das Konzert gekommen. Das ist klar. Und es hat ihnen niemand angekündigt, ihr könntet dabei draufgehen.“ D er R eic h stagsbra n d 33 Hinweise für den Theaterbesuch Liebe Lehrerin, lieber Lehrer, viele Kinder und Jugendliche besuchen zum ersten Mal ein Theater oder haben wenig Erfahrung damit. Wir bitten Sie, im Vorfeld eines Besuches sich mit Ihrer Klasse die besondere Situation zu vergegenwärtigen und die nachfolgenden Regeln zu besprechen. Damit eine Vorstellung gelingt, müssen sich Darsteller und Zuschauer konzentrieren können. Dafür braucht es Aufmerksamkeit. Alle Beteiligten müssen dafür Sorge tragen. Wer die Regeln nicht einhält, beraubt sich selbst dessen, wofür er Eintritt gezahlt hat – und natürlich auch alle anderen Besucher. Folgende Regeln tragen zum Gelingen eines Theaterbesuchs bei: 1. Wir bitten, rechtzeitig im Theater einzutreffen, so dass jeder in Ruhe den Mantel und seine Tasche an der Garderobe abgeben und ohne Eile seinen Platz aufsuchen kann. Unsere Garderobe wird beaufsichtigt und ist im Eintrittspreis enthalten. 2. Während der Vorstellung auf die Toilette zu gehen, stört sowohl die Darsteller als auch die übrigen Zuschauer. Wir bitten darum, sich entsprechend zu organisieren. In unseren Programmzetteln lässt sich auch nachlesen, ob es eine Pause in der Vorstellung gibt. 3. Es ist nicht gestattet, während der Vorstellung zu essen und zu trinken, Musik zu hören und Gespräche zu führen. Mobilfunktelefone und mp3-Player müssen vollständig ausgeschaltet sein. Während der Vorstellung darf weder telefoniert noch gesimst oder fotografiert werden. 4. Der Applaus am Ende einer Vorstellung bezeugt den Respekt vor der Arbeit der Schauspieler und des gesamten Teams unabhängig vom Urteil über die Inszenierung. Wem es gut gefallen hat, der gibt mehr Beifall – wem nicht, entsprechend weniger. Wichtig ist, erst nach dem Ende des Applauses den Saal zu verlassen. Unser Einlasspersonal der ARTService GmbH steht den Zuschauern als organisatorischer Ansprechpartner am Tag der Vorstellung zur Verfügung. Wir sind an den Erfahrungen des Publikums mit den Inszenierungen interessiert. Für Gespräche stehen wir zur Verfügung. Bitte wenden Sie sich direkt an die stückbetreuende Dramaturgin / Theaterpädagogin, an den stückbetreuenden Dramaturgen / Theaterpädagogen. Wir freuen uns auf Ihren Besuch. Ihr THEATER AN DER PARKAUE 34 I mpressum Spielzeit 2013/2014 THEATER AN DER PARKAUE Junges Staatstheater Berlin Parkaue 29 10367 Berlin Tel. 030 – 55 77 52 -0 www.parkaue.de Intendant: Kay Wuschek Redaktion: Julia Schreiner Gestaltung: pp030 – Produktionsbüro Heike Praetor Fotos: Christian Brachwitz Titelfoto und Abschlussfoto mit Andrej von Sallwitz Kontakt Theaterpädagogik: Julia Schreiner Telefon: 030 – 55 77 52 -18 [email protected]