Unikate, Lieblinge und Legenden

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Unikate, Lieblinge und Legenden
Unikate, Lieblinge und Legenden
Publikumsrekord bei Europas größter Oldtimermesse Retro Classics mit mehr als 87 000 Besuchern
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Stuttgart - Wie viele Menschen sich in den vergangenen vier Tagen auf der 15. Retro
Classics wohl gegenseitig ins Bild gelaufen sind, ist schwer zu schätzen. Fest steht: viele.
Auf Europas größter Oldtimermesse, bei der 15 000 Aussteller auf 120 000 Quadratmetern
ihre größten Schätze präsentierten, knipsten die Autofans, was die Speicherkarte hergab.
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Von Karla Schairer
Viel fotografiert wurde beispielsweise der Glöckler-Porsche 356 Coupé. Laut Verkäufer
Harald Henninger, Geschäftsführer der Firma Mirbach, der wohl älteste Carrera der Welt.
Nur einmal gibt es ihn. Für 1,2 Millionen Euro konnte man ihn haben. Da nahm man das
Schild „Bitte nicht berühren“ ganz genau.
Berühren erlaubt war bei dem Billardtisch in Form eines 1965er Ford Mustang. „Am Anfang
haben wir noch ganze Autos verbaut, mittlerweile verwenden wir Originalteile“, erklärte
Harry Busch und schnappte sich einen Queue, um eine Runde auf dem Ford Mustang zu
spielen. Aber nicht aus jedem Auto ließen sich solche Billardtische bauen, erklärte Busch:
„Von den älteren, größeren Ami-Schlitten müsste man zu viel wegschneiden, die würde man
gar nicht mehr erkennen.“
Beim nächsten Unikat kam man erst gar nicht in Versuchung, es zu berühren. Hinter
Glasscheiben stand der Chevron B 12, der 1968 für den englischen Privatrennfahrer John
Woolfe gebaut wurde. Woolfe galt als britische Hoffnung beim 24-Stunden-Rennen von
LeMans. Bis 1972 fuhr der B 12 Rennen, dann war er für 35 Jahre verschollen.
Wiederentdeckt wurde er in einer Scheune in Deutschland - in relativ gutem Zustand nur
ohne Originalmotor.
In Scheunen wird auch Gerhard Schumacher fündig. Der Chef des Traktormuseums am
Bodensee weiß: „Bauern werfen nichts weg. Wenn man Glück hat, findet man in ihren
Scheunen so ein vergammeltes Teil.“ Teile, mit denen er die Traktoren restauriert. Bei den
älteren Modellen aus dem Jahr 1910 dauere die Suche länger, bei jüngeren wie dem Ursus B
28 gehe es schneller. Für den hellblauen Allradtraktor hat Schumacher den Retro-ClassicsPreis für die beste Originalität im Bereich Traktoren erhalten. „Ursus heißt übersetzt Bär“,
erzählte Schumacher. „Die Firma ist aus Wiesbaden und war in den 50er-Jahren erfolgreich,
der Traktor hier wurde speziell im Forst und in der Landwirtschaft eingesetzt. Er hat vier
gleich große Räder, die dem Traktor besondere Zugkraft verleihen“, sagte der Museumschef
und geriet ins Schwärmen.
So wie Erich Weber. Die Liebe zum Cadillac entbrannte bei ihm auf einem Schüleraustausch.
Mit 18 verbrachte er ein Jahr in Detroit bei einer autoverrückten Familie. „Der Vater hat eine
Firma für Verchromung gehabt und die großen Hersteller beliefert, der Opa hat mich seinen
Cadillac fahren lassen“, erzählte Weber, der in den USA auch seinen Führerschein machte.
„Es war ein Eldorado Seville in Hellblau-metallic“, erinnerte er sich genau. Am Ende des
Austausches schenkte der Großvater dem jungen Erich sogar den Cadillac. Aber es scheiterte
am Taschengeld. „Die 2500 Mark für den Transport nach Deutschland konnte ich mir damals
als Schüler nicht leisten“, bedauert es Weber noch heute. Am Geld scheitert es bei Weber
nun nicht mehr: Mittlerweile nennt er einige der großen amerikanischen Fahrzeuge sein
eigen und arbeitet im Cadillac Museum im rheinland-pfälzischem Hachenburg. Auf der Retro
Classics verkaufte er einige seiner Schätze. Zum Beispiel den Eldorado Biarritz, Baujahr 1959.
Ein bisschen schwer fiel es ihm schon, sich nach fast 30 Jahren von dem Fahrzeug zu trennen.
„Ich habe ihn damals im Originalzustand gekauft und in den USA restaurieren lassen,
Lackierung und Karosseriearbeit sind dort viel billiger.“ Der Transport war da kein Thema
mehr.
Gestern schloss die Messe eigenen Angaben zufolge mit neuen Rekordergebnissen: Mehr als
87 000 Besucher waren gekommen, im Vorjahr waren es 80 000. Auch auf Anbieterseite sei
die Bestmarke mit 1500 erreicht worden. Mehr als zufrieden war Messe-Geschäftsführer
Roland Bleinroth. Aus einer Besucherbefragung ging hervor, dass mehr als doppelt so viele
eine Investitionshöhe von 100 000 Euro oder mehr angaben, fast doppelt so hoch wie 2014.
Das internationale Interesse steigt.
Artikel vom 30.03.2015 © Eßlinger Zeitung