Radioaktive Stoffe in Fischen

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Radioaktive Stoffe in Fischen
15 RADIOAKTIVE STOFFE IN FISCHEN
U. Rieth
Johann Heinrich von Thünen-Institut, Institut für Fischereiökologie
Leitstelle für Fisch und Fischereierzeugnisse, Krustentiere, Schalentiere, Meereswasserpflanzen
Als Folge des Reaktorunfalls von Tschernobyl traten
in Fischen unabhängig davon, ob sie aus dem Meer
oder aus Binnengewässern stammten, längerfristig
praktisch nur 137Cs und 134Cs auf1. Die Aktivitäten
dieser Nuklide nahmen bereits seit Mitte des Jahres
1987 wieder kontinuierlich ab, wobei 134Cs schon
seit Jahren nur noch sehr selten nachgewiesen werden konnte. Im Bericht „Umweltradioaktivität und
Strahlenbelastung“ des BMU [49] werden einige
charakteristische Zeitreihen der 137CsAktivitätskonzentrationen von 1986 bis 2009 präsentiert. Die zu Grunde liegenden Daten (jeweils Jahresmittelwerte) stammen von den Messstellen der
Bundesländer und der Leitstelle.
Binnenseen
Den höchsten 137Cs-Anstieg nach Tschernobyl wiesen Fische aus Binnenseen auf. Der Vergleich der
Aktivitätswerte zwischen Süddeutschland (BadenWürttemberg und Bayern) und Norddeutschland
(Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen, Bremen, ab 1991 auch Brandenburg und MecklenburgVorpommern). zeigt, dass der Rückgang von 137Cs
in Binnenseefischen beider Regionen ab 1988 nahezu parallel erfolgte. Bis 2009 fielen die 137Cs-Jahresmittelwerte auf 1,2 Bq/kg Feuchtmasse (FM) in Süddeutschland und 1,5 Bq/kg FM in Norddeutschland.
Fließgewässer
Auf Grund des Abtransports der Cäsiumnuklide
durch die natürliche Fließgeschwindigkeit dieser
Gewässer vollzog sich die Abnahme der Aktivität,
beginnend Anfang 1987, deutlich schneller als in
Binnenseen. Bis 2009 gingen die mittleren 137CsAktivitätswerte auf 0,32 Bq/kg FM (Süddeutschland), 0,23 Bq/kg FM (Mitteldeutschland) bzw.
0,35 Bq/kg FM (Norddeutschland) zurück.
Fischteiche
Die zeitliche Entwicklung für 137Cs in Fischen aus
Fischteichen (Fischwirtschaften, Angelteiche, Baggerseen) verhält sich qualitativ ähnlich der Entwicklung in Fließgewässern. Bis 1989 waren die in Fisch1 134Cs
wurde in wenigen Proben in Ostseefisch mit
so großer Unsicherheit gefunden, dass es nicht mehr
in die jährliche statistische Auswertung einbezogen
wird.
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teichen gefundenen Mittelwerte etwa um die Hälfte
niedriger als in Fließgewässern. Ab 1990 ist praktisch kein Unterschied mehr zu verzeichnen.
Karpfen und Forellen
Eine Einzelbetrachung der beiden wirtschaftlich bedeutendsten Binnengewässer-Fischarten Karpfen
und Forelle ergibt, dass die mittleren 137Cs-Werte
seit ihrem Maximum von etwa 16 bzw. 7 Bq/kg in den
Jahren 1986 und 1987 kontinuierlich abnehmen. Die
im Jahr 2009 ermittelten Werte sind 0,14 Bq/ kg (Forellen) bzw. 0,09 Bq/kg (Karpfen). Da für die Auswertung jeweils Forellen und Karpfen aus allen Binnengewässerarten zusammengefasst wurden, lassen
sich die in der Zeitreihe in manchen Jahren auftretenden leicht höheren 137Cs-Werte bei Karpfen auf den
Einfluss höher kontaminierter Binnenseekarpfen zurückführen.
Nord- und Ostsee
Auf Grund von Ableitungen aus den europäischen
Wiederaufarbeitungsanlagen waren Nordseefische
bereits vor dem Reaktorunfall von Tschernobyl leicht
mit 137Cs kontaminiert. Nach dem Unfall zeigten die
137
Cs-Jahresmittelwerte mit bis zu 3 Bq/kg zunächst
keinen deutlichen Trend . Der Tschernobyl-Einfluss
kann wegen eines raschen Abtransports des Fallouts
im Nordseewasser als sehr gering bezeichnet werden. Ab 1988 ist bis Mitte der neunziger Jahre eine
leichte Aktivitätsabnahme zu verzeichnen. Danach
stagnierten die 137Cs-Werte bzw. eine weitere Abnahme trat nur noch sehr langsam auf. Der Jahresmittelwert für 2009 betrug 0,16 Bq/kg FM. Die Abnahme über den gesamten Zeitraum ist im Wesentlichen auf die seit Mitte der siebziger bis Mitte der
achtziger Jahre erfolgte, kontinuierliche Reduzierung
der 137Cs-Ableitungen aus der englischen Wiederaufarbeitungsanlage Sellafield zurückführbar. Ab der
zweiten Hälfte der neunziger Jahre verzögert das
aus dem Sediment der Irischen See remobilisierte
und in die Nordsee transportierte 137Cs eine weitere
Abnahme der Aktivität.
Im Gegensatz zur Nordsee war für 137Cs in Ostseefischen ein deutlicher Anstieg nach Tschernobyl zu
verzeichnen.In den Folgejahren nach dem Reaktorunfall lag der mittlere 137Cs-Wert in Fischen der Ostsee bei etwa 7 Bq/kg. Seit Anfang der neunziger Jah-
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Abbildung 15.1
Regionaler Verlauf der 137Cs-Aktivität in Fischfilet der Ostsee als Gebietsmittelwert aus den Jahren 2004 bis 2009 
(grün < 6,000 Bq/kg FM; gelb = 6,00 - 9,99 Bq/kg FM; rot > 9,99 Bq/kg FM))
re ist dann nur eine geringe Abnahme erkennbar.
Eine Ursache hierfür ist der langsame Transport von
höher kontaminierten Wassermassen aus der Bottnischen See in die südlicheren Teile der Ostsee. Zusätzlich ist der Wasseraustausch mit der Nordsee erheblich geringer als derjenige der Nordsee mit dem
Nordostatlantik, was einen Abtransport von 137Cs
aus der Ostsee stark verzögert. In den östlichen Untersuchungsgebieten wurden von der Leitstelle über
die Jahre 137Cs-Messwerte bis über 25 Bq/kg FM
(etwa 10 Bq/kg FM in 2009) im Fischfilet gefunden, in
den westlicheren Gebieten (Kieler Bucht) dagegen
etwas niedrigere Werte bis etwa 9 Bq/kg FM (etwa
4 Bq/kg FM in 2009). Den West-Ost-Trend der zunehmenden 137Cs-Werte gibt die Abbildung 15.1
sehr anschaulich wieder. Sie zeigt die Daten aller
Fischfiletproben von Dorsch, Wittling, Scholle, Flunder und Makrele die in den Jahren 2004 bis 2009 bei
Reisen mit dem Fischereiforschungsschiff Walther
Herwig III gewonnen wurden.
Einen Eindruck der 137Cs-Kontaminationsunterschiede zwischen Nord- und Ostsee vermittelt Abbildung 15.2. Hierin sind die Daten aller Gesamtfischproben (z. B. Sprotte, Hering, Kliesche, Stint) der Forschungsreisen mit der Walther Herwig III aus den
Jahren 2004 bis 2009 enthalten.
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Nimmt man zu den Fischen aus Nord- und Ostsee
die nicht geringe Anzahl derjenigen Meeresfische
hinzu, für die von den Messstellen andere oder aber
keine Herkunftsgewässer angegeben wurden (überwiegend Importe, vor allem aus Dänemark), bewegte
sich 137Cs 1986 bis 1991 im jährlichen Mittel zwischen etwa 2 und 3 Bq/kg FM. Danach setzte eine
langsame Abnahme ein, wobei 2008 und 2009 Mittelwerte von 0,10 und 0,11 Bq/kg FM erreicht wurden.
Ergebnisse
Zusammenfassend ist festzustellen, dass der
Tschernobyl-Fallout in den Fischen der untersuchten Gewässer die dominierende Quelle der
Kontamination mit Radionukliden ist. Einzige Ausnahme davon ist die Nordsee, in der dieser Fallout
schon seit vielen Jahren nicht mehr nachzuweisen
ist. Die mittleren 137Cs-Werte in Fischen aus der
Ostsee sind 2009 noch immer etwas höher als diejenigen bei Fischen aus Binnenseen. Die zunächst
größte Bedeutung hatte der Fallout für Fische aus
den Binnengewässern und dort vor allem für die aus
Binnenseen. Bis 2009 war hier jedoch ein deutlicher
Rückgang der mittleren 137Cs-Aktivität auf unter
2 Bq/kg FM zu verzeichnen. In den Teichen und
Fließgewässern war die Kontamination der Fische
um rund eine Größenordnung niedriger als in den
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Abbildung 15.2
Gebietsmittelwerte der 137Cs-Aktivität in Gesamtfischproben aus Nord- und Ostsee aus den Jahren 2004 bis 2009 (grün
(Nordsee) < 1,00 Bq/kg FM; gelb = 1,00 - 2,99 Bq/kg FM; rot = 3,00 - 4,99 Bq/kg FM; violett > 4,99 Bq/kg FM)
Binnenseen. Die Cäsium-Aktivitätswerte bei Fischen
aus Fließgewässern und Teichen nahmen von den
neunziger Jahren bis 2009 nur noch langsam ab,
lagen aber insgesamt auf niedrigem Niveau.
Wie im Vorbericht [52] dargestellt, ergeben sich sich
für die Strahlenexposition der Bevölkerung durch
Verzehr von jährlich 5,6 kg Ostseefisch Dosen von
etwa 0,15 µSv im Jahr. Die entsprechende Dosis
durch Verzehr von Nordseefisch und von zusätzlich
0,55 kg Krustazeen und Mollusken beläuft sich auf
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entwa 0,066 µSv im Jahr. Die Zahlen für den aktuellen Berichtszeitraum 2008-2009 liegen in vergleichbaren Größen, können aber mangels Verfügbarkeit
von aktuellen, detaillierten Verzehrzahlen, nicht
exakt quantifiziert werden. Nimmt man den ca. 6prozentigen Anstieg des Fischkonsums von 2005 auf
2008 als Grundlage, so liegt der dadurch verursachte, zusätzliche Anteil an Strahlenexposition für die
Bevölkerung innerhalb der statistischen Genauigkeit
der zu Grunde gelegten Aktivitätsmittelwerte.
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