Broschüre - Alice Salomon Hochschule Berlin

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Broschüre - Alice Salomon Hochschule Berlin
Komm mit!
Leben mit Behinderung in der Ukraine und Belarus. Einblicke
und Erfahrungen
Rebecca Augustin, Sandra Böttcher, Candy Boldt-Händel, Selcan Demirel, Irina Kotenko,
Marie von Koskull, Gudrun Piechotta-Henze, Heike Prestin, Sigrid Stahler-Gey, Marleen
Wischow
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
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Gudrun Piechotta-Henze
1. Ukraine
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Rebecca Augustin, Candy Boldt-Händel, Selcan Demirel, Irina Kotenko
1.1 Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und ihren Familien
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1.2 Beispiele für Einrichtungen
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1.3 Persönlicher Erfahrungsbericht: Mein Aufenthalt und meine Erfahrungen
in der Ukraine
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Thorsten Lötzsch
2. Belarus
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Sandra Böttcher, Marie von Koskull, Heike Prestin, Marleen Wischow
2.1 Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und ihren Familien
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2.2 Versorgung von Menschen mit Behinderung
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2.3 Beispiele für Einrichtungen
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2.4 Kooperation mit deutschen Hilfsorganisationen
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2.5 Beispiele der Zusammenarbeit und Unterstützung
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3. Im Gespräch
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3.1 Vorstellung der Organisationen und GesprächspartnerInnen
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3.2 Erkenntnisse und Sichtweisen zu der Lebenssituation von
Menschen mit Behinderung in der Ukraine und in Belarus
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Einleitung
Im Bachelor-Studiengang „Gesundheits- und Pflegemanagement“ an der Alice Salomon
Hochschule Berlin (ASH) haben sich acht Studierende mit Ausbildung in der Heilerziehungspflege oder Gesundheits- und Krankenpflege mit zwei Dozentinnen im Rahmen eines
dreisemestrigen studentischen Projektes „auf den Weg gemacht“, die Situation von Menschen mit Behinderung in der Ukraine und in Belarus/Weißrussland zu beleuchten mit dem
Ziel, insbesondere in Ausbildungsschulen für Heilerziehungspflege, auf den – oftmals schwierigen – Alltag von Kindern und Erwachsenen mit Behinderung aufmerksam zu machen. Vielleicht, so die Hoffnung, entwickelt sich bei HeilerziehungspflegerInnen sowie bei Gesundheits- und KrankenpflegerInnen, Interesse an der Lebenssituation der Menschen mit Behinderung und deren Familien sowie an der Arbeitssituation und den Arbeitsbedingungen des
Personals in beiden Ländern, vielleicht entwickelt sich eine Motivation, Organisationen zu
unterstützen, die bereits in diesen Ländern Menschen mit Behinderung sowie Einrichtungen
und den dort tätigen MitarbeiterInnen unterstützen, vielleicht finden sich Ausbildungsstätten, die sich über Ländergrenzen hinweg austauschen möchten und so gemeinsam Ressourcen und Kompetenzen entdecken, aber auch Widersprüche und Barrieren.
Warum gerade die beiden Länder, Ukraine und Belarus? Verschiedene Gründe haben zu dieser Auswahl geführt: Einerseits sind beide Länder in geografischer Nähe zu Deutschland, anderseits sind sie nicht in der EU. Belarus hat die UN-Behindertenrechtskonvention nicht ratifiziert, die Ukraine hat diese unterschrieben. Bekannt war, dass es in beiden Ländern wenige
außerordentlich reiche Familien gibt, aber der Großteil der Menschen in eher problematischen sozioökonomischen Verhältnissen lebt. Da selbst in einem so reichen Land wie
Deutschland, Behinderung der Faktor für ein Leben in Armut oder zumindest für ein armutsnahes Leben sein kann, unter welchen Umständen leben die Menschen mit Behinderung und
ihre Familien in einer Gesellschaft, deren wirtschaftliche Situation prekär ist? Wie soll es
dann noch möglich sein, Menschen mit Behinderung, deren Angehörige und die für sie zuständigen Versorgungs-, Bildungs- und Therapieeinrichtungen finanziell gut zu versorgen?
Und: Wie soll es gelingen, die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen (UNBRK) in diesen Ländern umzusetzen, wenn der größte Teil der – gesunden, arbeitenden –
Bevölkerung mit einem geringen durchschnittlichem Einkommen zurechtkommen muss?
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Eine teilnehmende Studentin, Irina Kotenko, die vor 18 Jahren aus der Ukraine nach
Deutschland emigrierte, aber bis heute intensive Kontakte mit Familienangehörigen in der
Ukraine hat, berichtete immer wieder von den Lebensverhältnissen in ihrem Herkunftsland.
Ihre persönlichen Berichte haben zu unserem Interesse und unserer Motivation wesentlich
beigetragen. Und wir haben erkannt, dass Zahlen und Fakten, das heißt politische, ökonomische und soziale Rahmenbedingungen, wichtig sind, um die Lebenssituation von Menschen
(mit Behinderung) in einem Land, in einer Gesellschaft, in der Familie, in Einrichtungen wie
Heimen erklärbar und nachvollziehbar zu machen, aber dass es auch die persönliche Ebene
ist, Menschen, auch wenn sie relativ weit entfernt in einem anderen Land leben, einander
nahe bringen.
Vor diesem Hintergrund haben wir Personen gebeten, uns von ihrer – freiwilligen – Arbeit
mit Menschen mit Behinderung in Belarus und in der Ukraine zu berichten, von ihren persönlichen Begegnungen, Erlebnissen und Eindrücken. Ihnen, Inge Banczyk, Thorsten Lötzsch
und Florian Rilke, möchten wir für Ihren Besuch im Seminar danken. Der Erfahrungsbericht
von Thorsten Lötzsch befindet sich im vorliegenden Heft. Vielen Dank! Ein großer Dank geht
auch an Karsten Hein, der uns von seinem Aufenthalt und seinen Filmen in beiden Ländern
berichtet hat.
Mit diesen vielfältigen Eindrücken ausgestattet, haben wir uns dann in die Interviewphase
begeben, um so noch tiefer in die Gesamtsituation in den beiden Ländern, in die Lebenssituation, die Problemlagen und Ressourcen von Menschen mit Behinderung und die sie betreuenden Personen „eintauchen“ zu können.
Diese Interviews sind aufgezeichnet, transkribiert und ausgewertet worden. Die Ergebnisse
finden sich im Kapitel „Gespräche mit ExpertInnen“. Wir bedanken uns bei: Benjamin Braun
vom Förderkreis Hilfe für strahlengeschädigte belarussische Kinder in der EvangelischFreikirchlichen Gemeinde Berlin-Köpenick, Sonja Kemnitz und Dr. Ilja Seifert vom Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland e.V. – für Selbstbestimmung und Würde, Herbert
Wohlhüter, ehrenamtlicher Vorsitzender des Internationalen Bildungs- und Begegnungswerks.
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Wie schnell sich Situationen ändern können, zeigt die politische Situation in der Ukraine. Als
wir im Oktober 2013 mit dem Projekt in der Alice Salomon Hochschule begonnen haben, gab
es Unruhen im Land, beängstigend rasch eskalierte dann die Lage, vor allem in Kiew gegen
Ende des Jahres. Zu Beginn 2014 folgte die Abtrennung der Krim, die Konflikte verschärften
sich, Menschen wurden verletzt, gedemütigt, erschossen, OSZE-Mitglieder als Geiseln genommen usw. Mittlerweile muss man von einer Kriegssituation sprechen, eine politische
Lösung und Frieden sind nicht absehbar.
Diese aktuellen, dramatischen Verläufe haben wir in der vorliegenden Broschüre nicht beschrieben. Die Ereignisse und ihre Entstehungs- und Verlaufshintergründe sind viel zu komplex als dass wir ihnen hier gerecht werden könnten.
Berlin, den 04.02. 2015
Gudrun Piechotta-Henze
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1. Ukraine
Quelle: russland.RU (2004)
1.1 Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und ihren Familien
Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Unabhängigkeit der Ukraine ist keinesfalls mit
einer neuen Wahrnehmung und Versorgung von Menschen mit Behinderung (MmB) einhergegangen, vielmehr wirkt sich weiterhin die politisch verordnete Sichtweise „es gibt keine
Abweichung von der Norm“ aus.
Infolgedessen wurden und werden – bis auf wenige Ausnahmen – alle Menschen die körperlich und geistig behindert waren bzw. sind, vor allem Menschen mit geistiger Behinderung, in
speziellen Einrichtungen isoliert. Zum Beispiel richtete die ukrainische Caritas nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion spezielle Angebote für Menschen mit Beeinträchtigung ein.
Heute gibt es ein großes Netzwerk von Sozialzentren für Menschen mit den verschiedensten
Bedürfnissen.
In der Ukraine leben derzeit ca. 45 Mio. Menschen, etwa 10 % der Einwohner, also ca. 4,5
Mio. Menschen haben eine körperliche, geistige oder psychische Beeinträchtigung. Die UNBehindertenrechtskonvention (UN-BRK) wurde in der Ukraine im Jahr 2010 ratifiziert.
Gleichwohl ist die wirtschaftliche Situation für Menschen mit Behinderung sowie für ältere
Menschen desolat. Essen, Heizung, Medikamente sind von der staatlichen Unterstützung
kaum zu bestreiten. Der Verdienst in sozialen Berufen ist sehr gering.
In der ukrainischen Caritas wird großen Wert auf die Weiterbildung von MitarbeiterInnen
gelegt. Es werden spezielle pädagogische Schulungen organisiert und Erfahrungsaustausche
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mit KollegInnen aus dem Ausland ermöglicht. Ein gutes Beispiel dafür ist die unten beschriebene Autismusambulanz in Lviv. Ebenfalls sind bis heute Freiwillige aus dem In-und Ausland
ein großes Thema in der Ukraine, sie finden einen vielfältigen Einsatz.1
Betrachtet man die im Land tätigen ausländischen Hilfsorganisationen, fällt auf, dass dies vor
allem deutschsprachige christliche Organisationen sind. So zum Beispiel erhält die Caritas
Ukraine sehr viel Unterstützung von der Caritas Deutschland, Österreich und der Schweiz.
Derzeit hat die Caritas Ukraine Zentren in Lviv, Drohobyych, Stryi und Iwano-Frankiwsk. Dort
werden über 100 Menschen betreut und ihre Eltern und Angehörigen werden unterstützt.
Menschen mit Behinderung können an verschiedenen Angeboten teilnehmen, etwa an Aktivitäten im Bereich Bildung, Arbeit, Kunst-und Musiktherapie, Erlernen sozialer Kompetenzen. Auch werden immer wieder Treffen mit anderen MmB aus verschiedenen Einrichtungen
organisiert, wie z.B. Camps, Festivals und Messen. Zudem gibt es eine gute Zusammenarbeit
mit staatlichen Bildungseinrichtungen, Kultureinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Organisationen in der Ukraine und im Ausland. Das Ansehen von Menschen mit Beeinträchtigungen ist dadurch gestärkt worden, ebenso die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
1.2 Beispiele für Einrichtungen2
Iwano-Frankiwsk
In Iwano-Frankiwsk befindet sich eine Einrichtung der Caritas, ein Zentrum für Rehabilitation
für junge Menschen mit Behinderung. Dieses wird seit 2009 von der Caritas Fulda unterstützt. Hier wurde ein neues Konzept entwickelt, in Zusammenarbeit mit der ukrainischen
Griechisch-Katholischen Kirchengemeinde des Ortes:
„Mit dem Aufbau der Behindertenhilfe betrat die Caritas der ukrainischen
Griechisch-Katholischen Kirche von Ivano-Frankiwsk völliges Neuland, denn
behinderte Menschen waren bis vor gar nicht allzu langer Zeit weitgehend
"unsichtbar" in der Ukraine. Die meisten Familien behielten die jungen behinderten Menschen zu Hause. Es fehlte ohnehin an Angeboten für sinnvolle All-
1 Aufgrund der Kriegssituation im Osten des Landes, ist ausschließlich der westliche Teil der Ukraine gemeint.
2 Die Einrichtungen sind geographisch geordnet.
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tagsgestaltung, für Rehabilitation und vor allem auch für adäquate Arbeit.“
(www.caritas-ua.org)
Im „Zentrum für Freizeitgestaltung und soziale Adaption von geistig behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen“ wurden mehrere Angebote geschaffen: Fünf Lehrwerkstätten, die themenbezogen aufgebaut sind, wie z.B. Musik, Arbeiten mit Papier etc.. Angeboten
wird auch die Begleitung zur therapeutischen Rehabilitation. Im Aufbau befinden sich derzeit
eine Computerklasse und eine Holzwerkstatt.
Charkow, Lugansk, Drogobytsch und Uschgorod
Die Caritas Österreich und Ukraine haben vier Einrichtungen in Form von Pflegestützpunkten
für die ambulante Pflege aufgebaut. Insgesamt werden 240 Menschen von Einrichtungen
betreut, wobei 60 Menschen in den Einrichtungen leben. Die anderen KlientInnen werden
von dem Pflegepersonal ambulant betreut. Diese Menschen bekommen in allen Lebenslagen
Hilfe, wie das Waschen der Kleidung, Hilfe beim Einkaufen, Versorgung mit Medikamenten.
Auch ist es gelungen ein Essen auf Rädern zu organisieren.
Ebenso gibt es in Charkow ein Heim für blinde Kinder und eine Blindenschule. Diese wird von
einer polnischen Ordensgemeinschaft geführt. Das deutsche-katholische Blindenwerk e.V.
unterstützt diese Einrichtung, sie wird von staatlicher Seite kaum unterstützt und muss immer wieder um das Überleben kämpfen.
Zyrupinsk
Der Verein „Hilfe für Osteuropa e.V.“ unterstützt in Zyrupinsk ein Kinderheim für Kinder mit
Behinderung. Dort lebten 1994 noch 230 Kinder mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen.
Derzeit leben in diesem Heim noch 170 Kinder. Das übergeordnete Ziel der Einrichtung ist es
Kinder auf ein eigenständiges Leben vorzubereiten.
Lviv
In Lviv wurde eine Autismusambulanz eröffnet, die von „eine Welt-Leipzig e.V.“ und vom
„Kolpingwerk Ukraine“ unterstützt wird. Da in der Ukraine Autismus nicht als Behinderung
anerkannt ist, gibt es so gut wie keine Unterstützung staatlicherseits für die betroffenen
Menschen und das Betreuungspersonal. Die Autismusambulanzen in Leipzig und Halle ko-
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operieren mit der Autismusambulanz in Lviv und führen unter anderem themenspezifische
Schulungen durch.
Kiew
In Kiew existiert eine Kindernotunterkunft des deutschen Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB),
mit dem Namen „Das besondere Kind“. Mütter mit ihren Kindern können hier in
Krisensituationen eine Unterkunft finden.
Kiew
Kindernotruf des ASB Deutschland
„das besondere Kind“
Lviv
Autismus-Ambulanz „eineWelt e.V.
Leipzig und
Kolpingwerk Ukraine
Charkow
Pflegestützpunkt
der Caritas
Drogobytc
Caritas
Uschgorod
Caritas
Drogobytc
Caritas
Tachiv
Wohnheim für
Kinder mit einer
körperlichen
und/oder
geistigen
Behinderung
Ivano-Frankivsk
Caritas
Zyrupinsk
Heim für Kinder
mit Behinderung
Quelle: Brandenburg, Spiegelberg (2015), bearbeitet von Candy Boldt-Händel (2015)
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Quellen:
Brandenburg,
O;
Spiegelberg,
V.
(2015):
Landkarte
Ukraine
http://www.stepmap.de/landkarte/landkarte-ukraine-umriss-mit-staedten-183923.png.
Berlin
Breidenbach, Kraus, Tuchen (2014):
kinderheim-in-charkow. Berlin
www.betterplace.org/de/projects/6253-blinden-
Breidenbach,
Kraus,
Tuchen
(2014):
behindertenhilfe-in-der-ukraine. Berlin
www.betterplace.org/de/projects/7113-
Gomoll, U. (2014): www.hilfe-osteuropa.de/projekte.html. Lychen (Uckermark)
Landau, M.(2014): www.caritas.at. Wien
Lindner, R. (2014): www.d-u-forum.de. Berlin
Reuter, C. (2014): www.asb.de. Köln
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1.3 Persönlicher Erfahrungsbericht:
Mein Aufenthalt und meine Erfahrungen in der Ukraine
Thorsten Lötzsch
Foto von Thorsten Lötzsch: Arbeit mit Andrij, einem jungen Mann mit
Autismus (Behindertenhilfe in der Ukraine/ Ein Hilfsprojekt von
„Eine Welt Leipzig“)
„Freiwilliger sein” – was heißt das?
“Freiwilliger sein” heißt zuallererst etwas freiwillig zu tun. Meine gesamte Zeit in der Ukraine
habe ich ausdrücklich als „Dienst“ und nicht als „Arbeit“ im klassischen Sinn empfunden.
Natürlich verbirgt sich hinter beiden Wörtern Mühe und Anstrengung, dennoch heißt „Freiwilliger sein“ sich tagtäglich bewusst zu sein (oder es sich tagtäglich aufs Neue bewusst zu
machen), dass man das was man tut, wirklich tun will und dass man sich aus freien Stücken
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für einen Dienst entscheidet, bei dem der „Gewinn“ der Anderen und nicht der eigene „Gewinn“ im Vordergrund steht.
Ein Freiwilliger erhält für seine Tätigkeit kein Geld bzw. kein Gehalt. Dafür genießt er große
Freiheit bei der Ausgestaltung seiner Arbeit und seines Projektes und hat die Chance über
einen längeren Zeitraum hinweg in einem anderen Land, in einer anderen Kultur und in einem vollkommen neuen und fremden Umfeld aktiv zu sein.
Und was bitte ist „weltwärts“?
Natürlich muss das Ganze aber irgendwie finanziert werden, denn der Freiwillige muss ein
Dach über dem Kopf haben, etwas essen und nicht zuletzt muss der oder die Freiwillige
überhaupt erst einmal an den Ort des Geschehens, also die Einsatzstelle, kommen (= Reisekosten).
Genau an dieser Stelle kommen Förderprogramme (wie z.B. „Erasmus plus“, „weltwärts“
oder der „internationale Jugendfreiwilligendienst“) ins Spiel. Vor allem viele Vereine, Zusammenschlüsse und nicht-profitorientierte Körperschaften (Vereine und Organisationen
aus den Bereichen Soziales, Kultur, Umwelt) widmen sich der Arbeit mit solchen Programmen. Die Organisationen verfügen dabei meist über Kontakte oder Partnerschaften im Ausland und versuchen diese mit Hilfe engagierter Freiwilliger aufrechtzuerhalten, auszubauen
und weiterzuentwickeln.
Wer sich also für einen Freiwilligendienst interessiert, sucht am besten im Internet nach den
oben genannten Programmen. Über die Programmhomepages lassen sich Datenbanken mit
Projekten und beteiligten Organisationen finden; alles was dann noch zu tun ist, ist, sich auf
die Suche nach dem passenden Projekt und der passenden Organisation zu machen.
Wie genau hat mein Freiwilligendienst funktioniert? Welche Organisationen waren beteiligt?
An meinem Dienst waren, neben mir selbst, die Organisation „Eine Welt Leipzig e.V.“ und
das ukrainische Kolpingwerk „Rodyna Kolpinga v Ukrajini“ beteiligt. „Eine Welt“ agierte dabei als projektleitende Organisation, Kolping als Einsatzstelle. „Projektleitend“ bedeutet,
dass „Eine Welt“ bereits vor Jahren die Partnerschaft zu Kolping geknüpft hatte. Hierbei hatten sich zwei Partner mit ähnlichen Zielen gefunden.
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Was ist eine „Kolpingfamilie“? Mein Projekt
Die Arbeit des Kolpingwerkes beruht in der Ukraine zum größten Teil auf ehrenamtlichem
Engagement von Menschen aus dem kirchlichen Umfeld. Es funktioniert so: In einer Gemeinde finden sich einige Leute zusammen, die ein gemeinsames Anliegen haben (in meinem Fall waren es Eltern autistischer Kinder, die gemeinsam etwas für ihre Kinder tun wollten). Eine solche „Interessengemeinschaft“ stellt also über längere Zeit hinweg gemeinsam
etwas auf die Beine. Sie veranstaltet zum Beispiel Treffen der Eltern, gemeinsame Nachmittage, schafft eine Basis für einen Austausch zwischen den Eltern und hilft ihnen dabei ihr
„gefühltes“ und tatsächliches „Allein sein“ zu durchbrechen. Oft kommen noch gemeinsame
Aktivitäten (Ausflüge, gegenseitige Hilfeleistungen) oder sogar echte „Leistungen“ (z.B. gegenseitige Hilfe bei der Kinderbetreuung) hinzu.
Im Fall meiner Einsatzstelle hatten die Eltern sogar bereits damit begonnen, sich ehrenamtlich um eine Förderung ihrer Arbeit durch nationale und internationale Fonds zu bemühen.
Diese Suche nach externer Hilfe brachte die Eltern schließlich dazu sich an das Kolpingwerk
zu wenden. Die vorerst „lose Interessengemeinschaft“ gliederte sich einer großen, überregional tätigen Organisation an. Dies bedeutete nicht, dass nun automatisch Gelder von Kolping
an die Eltern flossen. Dennoch brachte die Eingliederung als „Kolpingfamilie“ den Eltern die
Chance ihr Anliegen auf einer größeren Plattform publik zu machen. Kolping hilft bei der Projektentwicklung, weist auf mögliche Geldgeber hin und kann die einzelnen „Kolpingfamilien“
teilweise auch durch gezielte Sachförderungen unterstützen.
Im Fall meines Projektes bekam die Kolpingfamilie Lviv/ Lemberg nach jahrelanger ehrenamtlicher Arbeit beispielsweise ein organisationseigenes Auto zur Verfügung gestellt. Ebenso
finanziert das Kolpingwerk den Eltern ein kleines Büro, von dem aus die gemeinsame Arbeit
gelenkt und koordiniert wird. Gemeinsam erfolgt eine Suche nach Förderprogrammen und
Weiterentwicklungsmöglichkeiten. So stieß auch die Leipziger Organisation „Eine Welt“ auf
das Anliegen der Kolpingfamilie Lviv/ Lemberg und entschloss sich, die Arbeit vor Ort durch
die Entsendung von Freiwilligen zu unterstützen. Die Freiwilligen sollen sich dabei vor allem
der direkten Beschäftigung mit den autistischen Kindern widmen.
Projektrealisierung
„Eine Welt“ Leipzig ermöglicht die Entsendung der Freiwilligen konkret durch das Programm
„weltwärts“. Dabei handelt es sich um ein deutsches Förderprogramm des Bundesministeri12
ums für Entwicklung und Zusammenarbeit, das den ehrenamtlichen Einsatz junger deutscher
in einem Land der „Dritten Welt“ fördert. Das Programm übernimmt dabei den Großteil der
anfallenden Reisekosten und Unterkunftskosten und stellt dem Freiwilligen sogar ein kleines
monatliches Taschengeld zur Verfügung. Außerdem wird der Freiwillige während seiner
Dienstzeit über das Programm versichert und in Form von Seminaren begleitet (Vorbereitungsseminar vor der Ausreise, Zwischenseminar, Rückkehrer-Seminar). Das gesamte Programm versteht sich als Bildungs- und Entwicklungsprojekt und nicht etwa als „Arbeitsvermittlung“.
Warum aber Freiwilliger werden? Motive
„Ich wollte gern etwas Sinnvolles tun.“ Dieser Satz trifft den Kerngedanken. Ich wollte gern
etwas tun, wovon Andere unmittelbar etwas haben. Ich wollte nicht mehr am Schreibtisch
sitzen und trotzdem produktiv sein. Ich wollte nicht auf der Schulbank sitzen und trotzdem
lernen. Ich wollte gern etwas entwickeln können und mich dabei auch selbst entwickeln. Ich
wollte gern direkt am Menschen arbeiten und sehen, fühlen und erfahren dass meine Anwesenheit, mein Bemühen, meine Hände und meine Ideen wirklich etwas bewirken, wirklich
einen Unterschied machen können.
Welche Chance hat man, wenn nicht als Freiwilliger, eine solche Erfahrung zu machen? Sicher, man kann versuchen, eine volle Arbeitsstelle in einem vollkommen fremden Land zu
finden. Man kann versuchen, sich zu bewerben und eine richtige Anstellung zu bekommen,
doch die realen Hindernisse sind sehr groß. Arbeiten in einem außereuropäischen Land oder
in einem Land, das nicht in der EU ist, heißt auch, mit Visa-Bedingungen zu kämpfen und sich
mit Aufenthaltsgenehmigungen und Arbeitserlaubnissen herumzuschlagen. Selbst wenn
man hier hartnäckig und erfolgreich ist, bleibt die Hürde der fremden Kultur und Sprache.
Will man beruflich „voll einsteigen“ sind sicher in irgendeiner Form „Kontakte“ erforderlich,
zudem sollte man die Landessprache sehr gut beherrschen und nicht zuletzt natürlich über
die passende berufliche Qualifikation verfügen. Alternativ zur „Vollstelle“, kann man selbstverständlich auch komplett auf eigene Faust in ein fremdes Land reisen und aus eigener Initiative versuchen etwas „Gutes“ zu tun.
Allein stellt sich die Frage wie man an die richtige Stelle, den richtigen Ort gerät. Um dort
anzukommen und auch ein „Dach über dem Kopf“ zu haben, muss man unweigerlich in die
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eigene Tasche greifen und das Gleiche gilt selbstverständlich für Verpflegung, Versicherung,
Reisekosten usw..
Kurzum: Ich war und bin nicht reich. Ich sprach zum Ausreisezeitpunkt kein Wort ukrainisch
und kannte keinen einzigen Ukrainer. Ich verstehe, bedauerlicherweise, eher wenig von aufenthalts-, und arbeitsrechtlichen Dingen und leider verfüge ich über keinerlei Qualifikation,
die mich als Fachkraft im Bereich der Arbeit mit Menschen mit Behinderung ausweist. Ich
wollte keinen „Full-Time-Job“ mit Stechuhr und Arbeitszeitnachweis, sondern ein Projekt bei
dem es auf die Initiative und Motivation des einzelnen Menschen und nicht auf seine bloße
„Arbeitskraft“ ankommt. Deshalb meine Entscheidung für einen Freiwilligendienst!
Warum 24 Monate?
Der Entschluss einen solchen Dienst dann auch für die Maximalzeit von 24 Monaten zu leisten, war für mich dabei nur logisch und folgerichtig. Ich rechnete damit, einen gewissen Zeitraum zu benötigen, um mich überhaupt im neuen Land, in der neuen Kultur, in der neuen
Aufgabe und der neuen Sprache zu orientieren. Ich ging davon aus, dass es Zeit braucht seinen Platz zu finden, Aufgaben und Probleme zu erkennen, um sich dann Stück für Stück möglichen Lösungen zu widmen. Ich schätzte mich selbst als langsam ein, wusste, dass ich Zeit
brauche und dass die Arbeit mit Menschen vor allem auf gegenseitiger Kenntnis und auf gegenseitigem Vertrauen beruht.
Ich bin nicht in die Ukraine gefahren um alle Kneipen der Lemberger Innenstadt kennenzulernen. Ich war weder auf der Suche nach einer neuen Partnerin, noch wollte ich mein altes
Leben möglichst weit hinter mir lassen. Ich fuhr in die Ukraine, weil ich durch „Eine Welt“
erfuhr, dass es dort Familien mit behinderten Kindern gibt, die praktisch keinerlei Hilfe erfahren. Familien, deren Kinder aufgrund der Diagnose „Autismus“ in keinerlei Einrichtung
betreut werden und ausschließlich nach Kraft und Möglichkeiten der jeweiligen Familien ins
Leben integriert werden. Ich fühlte mich jung und flexibel genug, um in einem Land mit einem anderen Lebensstandard aktiv zu sein; zufrieden und idealistisch genug, um den Wert
der geleisteten Arbeit im Vordergrund zu sehen und nicht den eigenen finanziellen Gewinn;
offen genug, um mich an die Bedingungen einer anderen Kultur anzupassen; gefestigt genug,
um für 24 Monate außer Reichweite aller gewohnten sozialen Kontakte zu sein und interessiert und wohl auch verwegen genug, um mir zu sagen: „Eine neue Sprache lernen? Krieg ich
hin!“
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Der Haken an der Sache
Wann immer ich von meinem „weltwärts“-Dienst berichte, bitte ich folgende Hinweise zu
gestatten: Wer „weltwärts“ geht und einen solchen Dienst leistet wird durch Mittel des Programms finanziert. Er erhält Unterkunft, Verpflegung, Sprachkurs, Krankenversicherung, Taschengeld und zusätzlich eine Bildungsbegleitung in Form mehrerer Seminare. Die durch das
„weltwärts“ Programm zur Verfügung gestellten Geldmittel sind dabei dem tatsächlichen
Bedarf der Projekte aber leider nicht angemessen. Diese Unterfinanzierung von Programmseite aus, zwingt die meisten Organisationen dazu, die Freiwilligen selbst für die Finanzierung ihres Projektes mit in die Pflicht zu nehmen. In der Regel müssen pro Dienstmonat ca.
150 Euro durch den Freiwilligen selbst getragen werden, um den gesamten Einsatz überhaupt zu ermöglichen.
Politisch betrachtet ist diese Vorgehensweise durchaus stimmig: Betrachtet man das Alter
der entsendeten Personen, wird klar, dass der Großteil der jungen Menschen seinen Dienst
zu einer Zeit antritt, zu der er oder sie noch durch die staatliche Leistung Kindergeld gefördert wird. Da ein Anrecht auf Kindergeld auch während des Freiwilligendienstes weiterbesteht, strebt der Gesetzgeber ein „Nullsummenspiel“ an. Die Person wird also vom Familienministerium mit ca. 150 Euro monatlichem Kindergeld gefördert und zahlt diese während
der „weltwärts“-Dienstzeit, mehr oder weniger direkt, wieder in den Topf des Ministeriums
für Entwicklung und Zusammenarbeit ein (fehlende Mittel werden so ausgeglichen und eine
„Doppelförderung“ vermieden). Diese Praxis stellt allerdings ältere Freiwillige (wie mich), die
das Kindergeldalter bereits überschritten haben, vor ein echtes Finanzierungsproblem. Verfügt man hier nicht über den nötigen finanziellen Hintergrund, ist die Wahrscheinlichkeit
hoch, dass der Freiwilligendienst ein Traum bleiben muss. 150 Euro pro Dienstmonat belaufen sich bei einem 24monatigen Dienst immerhin auf die stattliche Gesamtsumme von 3.600
Euro!
Helfen, Hilfe und Helfer
Genau an dieser Stelle will ich aber Mut machen und gleichzeitig „Danke!“ sagen. Nein, ich
persönlich hatte keine 3.600 Euro auf der hohen Kante und auch keine 1.000 und auch keine
300. Auch für meine Eltern sind 3.600 Euro keine Summe, die sie mir spielend für einen
Freiwilligendienst überlassen könnten. Und trotzdem: Ich war 24 Monate in der Ukraine!
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Wie das? Die unglaublichen Geschichten hierzu, würden den Rahmen dieses Berichtes
sprengen. Erwähnt sei aber die Familie von Prof. Dr. Jan-Peter Warnke, die mir, obwohl wir
uns nur einen 24h-Lauf lang kannten, eine Summe von 500 Euro zur Verfügung stellte. Ein
ähnlich unglaubliches Geschenk erhielt ich vom „Bekannten einer Bekannten“. Herr Remco
de Vries aus den Niederlanden zögerte nach einem 10-minütigen Skype-Gespräch nicht, mir
1.000 Euro für mein Projekt zur Verfügung zu stellen – obgleich wir uns im Leben noch nie
gesehen hatten. Freunde aus meiner Heimat und aus meinem Wohnort erfuhren von meinem Vorhaben und taten sich zusammen. Jeder steuerte 10, vielleicht 20 Euro bei und so
kam Stück für Stück eine ungeheure Summe zustande. Was allen klar war: Das gespendete
Geld war kein Geschenk an mich persönlich. Es war Kapital des Projektes und es ermöglicht,
dass ein Mensch für den Zeitraum von zwei Jahren in das Leben der Lemberger Autisten treten kann, der sein Bestes gibt, der versucht sich zu kümmern, der etwas tut und sich tagtäglich bemüht, zu unterstützen und zu helfen. Dank des Vertrauens all dieser Leute, durfte ich
dieser Mensch sein.
Ein Dankeschön gebührt auch der Organisation „Eine Welt Leipzig e.V.“, die von vornherein
wusste, dass ich über keinerlei Geld verfüge und dass meine Entsendung für die Organisation
zum „finanziellen Verlustgeschäft“ werden könnte. Dennoch bekam ich eine Chance. So viel
Idealismus und Vertrauen inmitten aller wirtschaftlichen Zwängen zu finden, ist mehr als
eine Ausnahme und ich bin dem Verein dafür unendlich dankbar.
Europas Grenze? Halt! Die Grenze der europäischen Union!
Die Abteiltür knallt ins Schloss, ein stumpfes Peng und zisch – wieder zu, der Vorhang. Oberhalb meiner Nase vielleicht 20 cm „Kopffreiheit“ und das Zugdach. Ich stopfe die Wolldecke
hinter meinen Rücken, die Sperrholzwand ächzt. Unter mir schnauft ein kahler Russe oder
Ukrainer, so genau kann ich das nicht sagen, und verflucht seinen kratzenden Kuli. Grenzkontrolle: Grenzer, Zöllner, Uniformierte. Hunde, schwere Stiefel, Fellmützen, verschneite
Wagons in gleißendem Neonlicht, ringsum nichts außer Nacht. Wieder Tür auf: Kontrollblick.
Jedes Wort klingt wie „Gulasch“ oder „Schaschlik“ – meinetwegen. Ich sitze mittlerweile gebeugt auf der Pritsche. Meine Füße hängen ratlos nach unten. Die Wörter auf dem dünnen
Papier in meinen Händen verstehe ich nicht! Gagarin, Sputnik, Subotnik, Tawarischtsch und
Pjotr Pjerwui – was immer an Begriffen da war, hier halfen sie nicht weiter. Die „Glatze“
riecht meine Angst und bellt: „Otkuda??“. „Germanija ...“, sage ich, iz Germanii eigentlich. Er
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reißt mir den Zettel aus den Fingern und ritzt vier Kreuze. Mit dem Daumen zeigt er das Feld
„Familija“: „Passport!“ und ich verstehe, er meint, „hierhin schreiben und Klappe halten,
kein Bock auf Stress wegen dem Heini.“ Ich trage ein. Warten. Tür auf, Tür zu. Zettel abholen. Kontrollblick, Pässe, wieder Stiefel. Krach – Tür zu. Warten. Der Zug ruckt an. Ukraina.
Ich atme den schlafenden Bären „sposiba“.
Die ersten Eindrücke
Europa hat wirklich Grenzen, echte Grenzen: Kontrolle, Formulare, Durchsuchung, Uniforme, Maschinenpistolen, Grundverdacht, finden und nicht finden wollen. Europa hat hier eine
Grenze, weil hier die europäische Union eine Grenze hat und diese Grenze ist mehr als ein
nichtssagender Strich auf einer Landkarte. Auf der einen oder der anderen Seite geboren zu
sein, entscheidet darüber, ob man, wie ich als EU-Bürger, jederzeit in einen Bus steigen und
den Strich passieren kann oder ob man über Monate hinweg mit Behörden kämpfen, Einladungen und Reisegründe vorlegen muss, um eventuell die Bewilligung für eine Reise ins von
Lviv/ Lemberg 30 km entfernte Polen zu erhalten.
Im Laufe meines Dienstes traf ich immer wieder auf Menschen, die „genauso waren wie
wir“. Ich meine, die uns kulturell genauso nah waren wie jeder Pole, jeder Tscheche und jeder Slowake. Die Blicke dieser Leute auf meinen Reisepass, auf den Sternenkreis EU, auf
meine Freitagsfahrkarte nach Krakau, die ich mir ganz im Vorbeigehen schnell am Mittwoch
noch besorgt hatte, werde ich für immer im Gedächtnis behalten. Was ich dort sah, war
nicht etwa Neid oder Missgunst, sondern viel mehr die traurige, ohnmächtige Gewissheit,
dass manche Menschen eben Glück haben und manche nicht. Noch nie hatte ich Herkunft
als etwas derart grundlos Trennendes und Ungerechtes empfunden.
Weitere erste Eindrücke: Die erwartete Lebhaftigkeit auf Straßen und Fußwegen (vom Deutschen gern als „heilloses Durcheinander“ empfunden) und eine wunderschöne Stadt. Alles
ist etwas baufälliger als daheim, aber zwischen ruinös und hochglänzend gibt es die gesamte
postsowjetische Bandbreite. Ein weiterer erster Eindruck, der sich über den gesamten
Dienstzeitraum immer wieder bestätigte: Die gesellschaftliche Schere klafft unheimlich weit
auseinander. Es gibt viele Leute, die von allem zu wenig und nicht wenige Leute, die alles im
Überfluss haben. Die Unterschiede sind extrem. Und noch ein Eindruck: Alles scheint etwas
„rau“ und „ungeregelt; alles Staatliche scheint „schwach“. Es gibt auffällig viele Uniformen
im Stadtbild und beispielsweise mindestens vier verschiedene Arten von Polizei, von denen
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keiner eigentlich weiß, welche Befugnis wer hat und wer genau welcher Institution, welchem
Interesse dient. „Am besten man hat mit keinem von denen etwas zu tun“, bestätigte mir
später eine Bekannte. Die „Schwäche“ des ukrainischen Staates zeigte sich während meiner
Dienstzeit an zahlreichen Stellen und in zahlreichen Begegnungen und Gesprächen immer
wieder aufs Neue. Es scheint einen Konsens hinsichtlich der Ablehnung des aktuellen staatlichen Gebildes zu geben. Einen Konsens wer und was dieser Staat eigentlich sein soll, konnte
ich während meines Aufenthaltes allerdings nicht ausmachen.
Das Land ist riesig, es benötigt beinahe zwei Tage um es von West nach Ost zu durchqueren.
Es umfasst sehr unterschiedliche Natur- und Kulturräume, die über keine einheitliche Geschichte und schon gar nicht über eine einheitliche Geschichtsdeutung und -schreibung verfügen. Die Ukraine beheimatet Menschen verschiedenster Identitäten, Menschen verschiedener Volkszugehörigkeit und Menschen mit unterschiedlichen Muttersprachen. Sie ist ein
unglaublich reiches und zugleich bitterarmes Land.
Dienst-Inhalt
Was ich in zwei Jahren konkret in der Ukraine getan habe, lässt sich schwer in einem kurzen
Abschnitt beschreiben. Zu groß ist der Zeitraum und zu sehr sind die Dinge aus unendlich
vielen kleinen Schritten und Begebenheiten entstanden und gewachsen. Dennoch will ich
versuchen, einen kurzen Einblick zu geben. Hauptbestandteil meines Dienstes war die Arbeit
mit autistischen „Kindern“. Kinder schreibe ich dabei bewusst in Anführungszeichen, weil die
drei von mir betreuten „Kinder“ eigentlich in meinem Alter, in einem Fall sogar zehn Jahre
älter als ich selbst waren. Allen drei gemeinsam war die Diagnose Autismus, alle drei verfügten aber über ein individuelles Ausprägungsbild und individuelle „Nebenbeeinträchtigungen“. „Meine“ drei „Klienten“ sind männlich und leben bei ihren jeweiligen Familien. Meine
Hauptaufgabe war es nun diese drei „Jungs“ in ihren Familien zu besuchen, sich mit ihnen zu
beschäftigen, einen neuen Input zu schaffen, eventuell Lernmöglichkeiten zu erschließen, die
Familie bei der Betreuung zu entlasten und Freiräume für die Angehörigen zu schaffen. Diese
Arbeit war von vornherein eine große Herausforderung. Ein „Kind“ in seiner Familie zu besuchen heißt sofort ins „Innerste“, in den absoluten Rückzugsraum, vorzudringen. Man begegnet den Kindern hierbei nicht auf neutralem Gebiet und es war ungewiss wie sehr ein Kind
und die betreffende Familie einen Freiwilligen tatsächlich in ihr tägliches Leben einlassen.
Man kommt den Menschen, denen man eigentlich helfen möchte, von Beginn an sehr nah –
18
obwohl man aus einem völlig anderen Land, einer vollkommen anderen Gesellschaft kommt
und eine andere Sprache spricht. Wenn ich jetzt all diese Dinge schreibe, muss ich umso
mehr staunen, wie gut das Unterfangen geglückt ist. Nein, ich kann nicht mehr sagen, wann
genau ich anfing, passabel genug ukrainisch zu sprechen, um nicht nur den drei „Jungs“,
sondern auch ihren Familien bei meinen Besuchen ein einigermaßen sicheres Gefühl zu vermitteln. In meiner Erinnerung bin ich immer im Gespräch mit Müttern, Vätern, Tanten, Brüdern und Pavlos umwerfender Großmutter, auch wenn ich genau weiß, dass das nicht die
Wahrheit sein kann. Vielleicht liegt dies daran, dass die Kommunikation so wichtig ist. Bis
heute spreche ich zwar kein wirklich gutes Ukrainisch. Dennoch habe ich mich wirklich sehr
bemüht, wenigstens ein Level gegenseitiger Verständigung zu erreichen.
Dienst-Leistung
Was konkret haben wir während des Dienstzeitraumes geschafft?
Pavlo
Pavlo lebte und lebt bei seiner Familie. Beide Eltern sind voll berufstätig. Für Familien mit
behinderten Angehörigen gibt es in der Ukraine in der Regel maximal eine kleine staatliche
Kompensationszahlung. Diese genügt aber keinesfalls um den Familienhaushalt so zu entlasten, dass ein Familienmitglied aus dem Berufsleben ausscheidet und sich der Pflege wwidmet. In der Folge sind Familien mit einem beeinträchtigten Kind meist direkt von sozialer Not
betroffen. Einerseits, da durch die Beeinträchtigung des Kindes ein unmittelbarer Mehrbedarf besteht, andererseits weil die Familie die finanziellen Mittel von beiden voll werktätigen
Elternteilen benötigt und gleichzeitig die Betreuung des Kindes in voller Eigenleistung stemmen muss. In Pavlos Fall haben die Eltern auf eine eigene Wohnung verzichtet und leben
gemeinsam mit Pavlo, seiner kleinen Schwester und den Großeltern in einer ca. 70qm großen Wohnung. Da beide Elternteile voll arbeiten, übernehmen die Großeltern die Betreuung
und Pflege Pavlos. Pavlos selbst ist autistisch, gleichzeitig aber auch von einer geistigen Behinderung betroffen. Pavlo kann sich bewegen, gehen und einige Worte sprechen, allein
seine Motivation ist sehr gering. Den Großteil des Tages sitzt er in seinem Rollstuhl im Korridor, hält sein Buch und seinen Ball in der Hand und scheint teilnahmslos und in sich versunken. Mit Pavlo habe ich trainiert, physischen Kontakt zu tolerieren. Für Pavlo war der Sachverhalt „berührt zu werden“ aus seiner Erfahrung heraus, wahrscheinlich weitestgehend
gleichbedeutend mit „gezerrt werden“. Wie bereits beschrieben, scheint Pavlos sehr in sei19
ner Welt versunken, er hält kaum Augenkontakt und reagiert scheinbar nicht auf Ansprache
und Aufforderungen. Im Zeitraum meines Dienstes habe ich aber die Erfahrung gemacht,
dass Pavlo durchaus auf Ansprache und Aufforderungen reagieren kann. Dafür braucht er
aber viel Zeit und Rituale müssen wirklich immer gleichartig ausgeführt und über einen langen Zeitraum hinweg eingeübt werden. Das alles erfordert sehr viel Geduld und vermutlich
auch emotionalen Abstand, um nicht den Mut zu verlieren. Für Pavlos Großeltern ist die
Pflege Pavlos nicht nur psychisch, sondern auch körperlich herausfordernd. Sowohl die
Großmutter als auch der Großvater überschreiten das Alter von 70 Jahren und Pavlo ist ein
ausgewachsener Mann und bringt etwa 100 Kilogramm auf die Waage. Pavlo auf die Toilette
zu bringen, ihn zu waschen, zu rasieren, ihn aus dem Bett in den Rollstuhl zu transferieren,
dass alles kostet Energie und auch viel körperliche Kraft.
Hinzu kommt, dass Pavlos Großeltern einer Generation angehören, die ein völlig anderes
Verständnis von „Behinderung“ hat. Behinderung wird hier eher im Sinne von „Invalide“ oder „Krüppel“ verstanden. Beide Großeltern lieben Pavlo von ganzem Herzen, genau so fest
verankert ist aber auch ihr Glaube, dass es mit Pavlo keine Entwicklung geben kann und dass
er schlicht und einfach „zu behindert“ ist, um zu lernen, aktiv mitzuwirken. Dementsprechend heißt jede Bewegung für Pavlo „bewegt werden“. Er wird zur Toilette gebracht, er
wird gewaschen, er wird rasiert und vor allem wird er „gepackt“ und dann passiert mit ihm
etwas für ihn unverständliches, auf das er zudem keinen Einfluss ausüben kann.
Eines meiner Ziele war es also, Pavlo dabei zu helfen, diese Angst „gepackt“ zu werden, dieses sich innerlich „steif“ machen, abzubauen. Ich übte mit Pavlo ein Begrüßungsritual ein.
Danach trainierten wir das Aufstehen aus dem Rollstuhl, dann den Gang in das Wohnzimmer, in dem wir jeweils ein kleines Übungsprogramm absolvierten. Bei allen erstellten Lern-,
und Übungsprogrammen versuchte ich mich im Wesentlichen an der TEACCH-Methode zu
orientieren. Ich versuchte verschiedene Kommunikationswege (Rhetorik, Optik, Gestik, Mimik, Schrift, Farben, Töne, Fotos, Bilder, Piktogramme) anzubieten und zu fördern, versuchte
möglichst reizisoliert zu arbeiten und genau zu beobachten. Ich versuchte mit verschiedensten Materialien zu arbeiten, Verstärker gezielt einzusetzen und Fixationen Stück für Stück
abzubauen. Allem voran versuchte ich aber beständig und stabil und in klaren, immer gleichen Abläufen zu arbeiten.
Pavlos Lernprogramm war Bildkartengestützt. Es gab Zuordnungsaufgaben, Sprachaufgaben,
Bewegungsaufgaben, Aufmerksamkeitsaufgaben. Im Mittelpunkt stand dabei immer Pavlo.
20
Die Aufgaben sollten teils herausfordernd, teils angenehm sein. Während meiner Dienstzeit
lernte Pavlo mit mir gemeinsam den Transfer vom Rollstuhl in den Stand und das Gehen ins
Wohnzimmer relativ zügig zu bewältigen. Pavlo lernte Bildkarten zu erkennen, den Kopf zu
heben, auf Aufforderung etwas anzuschauen. Er schaffte es wiederholt phasenweise Augenkontakt mit mir herzustellen. Er lernte seine Familienmitglieder auf Bildkarten zu erkennen
und ihre Namen wiederzugeben. Pavlo verbesserte seine Aufmerksamkeit und Ausdauer vor
allem beim, von ihm geliebten, Ballspielen. Er lernte Gegenstände zu geben und zu nehmen,
sie mit den Augen zu verfolgen, abzulegen und wieder zu greifen und erweiterte sein Spektrum an „überhaupt-akzeptierten-Gegenständen“.
Nicht zuletzt lernte Pavlo meine Anwesenheit anzuerkennen und mich als Bezugsperson anzunehmen. Ab etwa der Mitte meines Dienstes begann mich Pavlos Großmutter zusätzlich
um kleine Hilfen im Alltag zu bitten, so etwa bei Pavlos Toilettengang oder an Pavlos Rasiertag. Sowohl Pavlos Großmutter, als auch Pavlo sowie ich selbst merkten, dass ich kein Fremder mehr war und das meine Unterstützung wirkliche Entlastung sein konnte und nicht etwa
zusätzlichen Stress für Pavlo bedeutete.
Andrij
Der zweite von mir betreute junge Mann war Andrij. Auch er lebte und lebt bei seiner Familie, mit dem Unterschied, dass hier keine Großeltern verfügbar sind, die sich tagsüber um ihn
kümmern können. Sowohl Andrijs Eltern als auch sein Bruder müssen voll berufstätig sein,
um den Lebensunterhalt der Familie zu sichern. Andrij hat, genau wie Pavlo, in seinem Leben
nie eine Schule oder Fördereinrichtung besucht. Tagsüber bleibt der Familie nichts anderes
übrig als Andrij allein daheim zurückzulassen. Andrijs Zimmer ist dabei mit viel Liebe gestaltet und die Eltern bemühen sich von ganzem Herzen Andrij – die Zeit allein daheim – so angenehm und gefahrlos wie möglich zu gestalten. Andrij war und ist der wahrscheinlich typischste „Autist“ meiner drei „Klienten“. Er ist nicht-sprechend und verfügt auch über keine
„eigene“ Sprache. Laute gibt Andrij nur mit geschlossenem Mund von sich. Ausdrücken kann
sich Andrij vor allem über sein Verhalten. Andrij kann Augenkontakt halten und zeigt großes
Interesse an „Kleinigkeiten“. Dabei nimmt Andrij jede Winzigkeit in seiner Umgebung sehr
intensiv wahr und man muss teilweise sehr genau hinsehen und hinhören, um eventuell zu
entdecken, was genau Andrijs Aufmerksamkeit einfängt. Andrij zeigt systematisierendes,
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sortierendes Verhalten, kann Dinge ordnen, sich aber auch in seinem Wunsch „Ordnung zu
schaffen“ in stereotypes Verhalten verlieren.
Der Hauptwunsch der Familie war es, Andrij aus den eigenen vier Wänden herauszuholen.
Ihn zu Spaziergängen abzuholen, ihm ein Freund und Begleiter zu sein und wenn möglich,
vielleicht irgendwie ein paar kleine Dinge zu lernen. Für jeden Input, jede Bemühung war
Andrijs Familie mehr als dankbar. Das Verständnis von „Behinderung“ betreffend, gab es
einen gigantischen Unterschied zwischen Pavlos Familie (Behinderung=Invalidität) und
Andrijs Familie (Kind mit Behinderung=vollwertiges Familienmitglied). Dank der Unterstützung des Kolpingwerkes war es mir nicht nur möglich mit Andrij spazieren zu gehen, sondern
auch die Räumlichkeiten eines Kindergartens für unser Treffen zu nutzen. Andrijs Treffen
organisierte ich also immer für den späteren Nachmittag. Ich fuhr zunächst allein in den Kindergarten und bereitete die Räumlichkeiten vor. Auch wenn das seltsam klingen mag, ich
räumte sämtliche Gegenstände und Spielzeuge beiseite bis schließlich nur noch das Zimmer,
ein Tisch und ein Stuhl übrig blieben. Dann holte ich Andrij von zu Hause ab, spazierte mit
ihm bis zum Kindergarten. Dort angekommen absolvierten wir ein kleines Aufgabenprogramm, wobei die Leere des Zimmers Andrij beruhigte und es ihm und mir ermöglichte an
jeweils einem angebotenen Material zu arbeiten. Stück für Stück lernte ich so für Andrij interessante und für Andrij uninteressante Materialien zu unterscheiden und konnte so sukzessive ein passendes Lernprogramm erstellen. In Andrijs Fall gab es neben der direkten Arbeit
mit ihm selbst aber auch noch ein zweites wichtiges Anliegen, das sich im Fortlauf unserer
Treffen als immer wichtiger herauskristallisierte: Die Elternarbeit. Von Beginn an merkte ich,
dass Andrij von seiner Familie sehr geliebt wird. Andrij war und ist absolut wünschenswert
integriert und angenommen. Dennoch ließ sich von Seiten seiner Familie auch immer eine
gewisse „Scham vor der Öffentlichkeit“, ein gewisses „das behinderte Kind nicht thematisieren wollen“, fühlen. Mit großer Wahrscheinlichkeit war dieses Verhalten Ergebnis der gesellschaftlichen Erfahrungen, die die Familie auf ihrem Lebensweg mit einem autistischen Kind
bis hierhin gemacht hatten. So „übergab“ mir Andrijs Mutter anfangs ihren Sohn zwar jeweils stolz und freudestrahlend für unsere Spaziergänge, traute sich aber gleichzeitig kaum
von ihrem Sohn zu berichten. Nicht von dem was er tut, wie er lebt, was er kann und nicht
kann und wie sich das Leben gemeinsam mit ihm gestaltet. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, dass so etwas jemanden interessieren könnte und dass sich jemand für ihren Sohn
interessieren könnte. Ich begann also aktiv zu fragen und Andrij nicht nur physisch, sondern
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auch als Thema zum Mittelpunkt unserer Treffen zu machen. Schritt für Schritt begann die
Familie sich zu öffnen und nachdem es für die Mutter selbstverständlich geworden war, von
Andrij zu erzählen, begann ich von meinen Erfahrungen und Eindrücken mit Andrij zu berichten. So wurde die Neugier der Mutter geweckt und sie begann sich wiederum lebhaft dafür
zu interessieren, was genau wir denn in diesem Kindergarten „anstellen“ bzw. was ich mit
Andrij zu erlernen versuche und mit welchen Methoden.
Es war beeindruckend zu sehen, wie hinter der anfänglichen Scham immer deutlicher die
Neugier einer ganz normalen Mutter hervortrat, die natürlich wissen will,l was ihr Kind so
anstellt und wie es sich verhält, was es lernt und wie es sich beim „lernen“ so schlägt.
Ihor
Als dritten „Autisten“ betreute ich Ihor. In jederlei Hinsicht war Ihor der Sonderfall unter
„meinen drei Jungs“. Ihor war und ist ungefähr zehn Jahre älter als ich. Ihor lebte und lebt
mit seiner Mutter und seiner Tante zusammen. Ihor spricht, wenn auch undeutlich und beinahe ausschließlich in Substantiven. Seine Muttersprache ist russisch und diese wird mit
ukrainischen Vokabeln gemischt. Was dabei wohin gehört ist oft unklar. Die Grenzen sind
fließend. Seinen Vater kennt Ihor nicht. Ihor geht tagsüber einer richtigen Arbeit nach. Seine
Familie hat das große Glück, über die internationale Organisation „Arche Noah/ la Arc“, über
einen Platz in einer Behindertenwerkstatt zu verfügen. Ihors rechte Körperseite ist motorisch
leicht beeinträchtigt und sicher ist auch sein Intellekt in gewisser Weise gemindert. Alles in
allem ist Ihor aber ein ganz normaler „junger“ Mann. Er interessiert sich für Popmusik, Autos
und Mädchen und es nervt ihn, wenn seine Tante ihm durch die Haare streicht wie einem
dreijährigen Kind. Ihors größtes Problem und gleichzeitig größtes Interesse ist Sprache. Ihor
kann sich nicht so ausdrücken, dass er in der Öffentlichkeit von jedem unmittelbar verstanden wird. Ihor möchte Briefe schreiben und weiß nicht welche Worte zu seinen Gefühlen
passen könnten und wie er seine Eindrücke am besten wiedergeben kann. Ihor ist räumlich
und zeitlich wenig orientiert, obwohl er seine unmittelbare Umgebung gut kennt. Ihor weiß
wie man einkauft, aber es fällt ihm schwer, der Verkäuferin zu vermitteln, was er gern möchte. Er kennt viele Einrichtungen und auch die dazugehörigen Tätigkeiten (zum Beispiel: Geschäft-einkaufen, Trolleybus-fahren usw.), er kann sie aber nicht immer sinnvoll zuordnen.
Darüber hinaus fällt es Ihor schwer, sich in andere Menschen hineinzuversetzen. Er kann
nicht verstehen, dass es eine fremde Frau vielleicht erschrecken kann, wenn er sie im Trol23
leybus am Arm streichelt. Ihor selbst wäre es doch höchst angenehm, würde besagte Frau
ihn am Arm streicheln.
All diesen Schilderungen entsprechend sahen die Treffen mit Ihor auch grundlegend anders
aus. Ich holte Ihor jeweils am Nachmittag, manchmal auch am Wochenende, von daheim ab.
Wir fuhren ins Kolpingbüro und machten dort ganz verschiedene Dinge. Wir arbeiteten viel
mit Wörtern und Sprache, wir lasen, schrieben, malten, bastelten. Wir sangen und machten
Musik, wir nahmen Ihor beim Lesen von Wörtern auf Tonband auf und spielten Tonmemory.
Wir lachten und blödelten und beschäftigten uns aber auch mit ernsthaften Dingen. Wir erstellten Ihors Wochenplan, ordneten Tätigkeiten und Ereignisse Tagen und Zeiten zu. Wir
entwarfen eine Karte von Ihors Umgebung und ordneten zu, was sich wo befindet und was
man wo tun kann. Wir sortierten Substantive und Verben und Adjektive und versuchten ganze Sätze zu sprechen und irgendwann stolperte ich über meine alte Digitalkamera und von
da an begannen wir damit Ihors Welt noch einmal neu zu entdecken. Ihor knipste und wir
schauten und beschrieben das Gesehene, ordneten es, dachten uns Hausaufgaben auf und
werkelten Woche für Woche weiter.
Nebenbei bemühte ich mich, Ihor auch zu Freizeitaktivitäten mitzunehmen. Ich versuchte
Dinge möglich zu machen, die in dieser Form wohl von seiner Mutter oder Tante nicht angeboten worden wären. Wir gingen im Stadtzentrum in ein Café, ich bat den Kellner an unseren Tisch und ließ Ihor seine Bestellung hervorbringen. Im Winter kletterten wir, mit Plastiktüten bewaffnet, auf einen verschneiten Berg und rutschten auf unseren Hintern herunter.
Gemeinsam mit einer Freundin besuchten wir eine Zirkusvorstellung und im Europameisterschaftssommer nahm ich Ihor mit zum Spiel der Ukraine in die Fan-Zone. Auch Ihor sollte die
Chance haben, kühlen Kwas zu trinken, sich blaue und gelbe Striche auf die Wangen malen
zu lassen, sich vor die riesige Leinwand zu drängen und lauthals „Ukrajina!“ zu schreien. Ihor
und seine Familie nahm all dies dankbar und in vollem Vertrauen an und im Gegenzug achtete ich darauf, Ihor viel zu ermöglichen und ihn stets zu ermuntern, ihn aber gleichzeitig nie
zu überlasten und Rücksicht auf ihn zu nehmen.
Ab und an schreibe ich Ihor eine Postkarte. Die derzeitigen Lemberger Freiwilligen versichern
mir, meine alte Digitalkamera hat Ihor immer noch und es wird eifrig geknipst.
24
Schluss
Ich bin nun seit fast zwei Jahren wieder in Deutschland. Ich könnte noch sehr viel über die
Zeit in der Ukraine erzählen, von diesem Freiwilligendienst: von dem Jugendaustausch, den
ich mitorganisieren und leiten durfte, von dem Spielplatz einer Roma-Schule, der mit vielen
guten Händen wieder auf Vordermann gebracht wurde. Ich habe hinter den Karpaten als
Englischlehrer gearbeitet und als Deutschlehrer in Lviv, Uzhgorod und im minus 30 Grad kalten Strij. Den dunstigen Dnister habe ich geschmeckt und die trockene Hitze in Shargorod.
Ich stand vor der Oper in Cernovitz und mit einem nicht mehr fahrenden Auto irgendwo hinter Ternopil. Ich habe in einem ukrainischen Krankenhaus gelegen und am Bettrand Suppe
aus dem Einweckglas einer Bekannten gelöffelt, die mich liebevoll versorgte und sonntags
mit der gesamten Familie besuchte. Ich stand auf einem Gipfel der Waldkarpaten und mit
Stiefeln knöcheltief im Kartoffelacker. Ich habe mich sicher oft schrecklich über manches
geärgert und herzlich über manches gefreut und bin heute vor allem eines: DANKBAR!
25
2. Belarus
Quelle: wikitravel.org (2008)
2.1 Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und ihren Familien
Die Institutionen des Gesundheitssystems sind im Besitz des Staates Belarus. Eine medizinische Grundversorgung ist für Bürger des Staates kostenfrei, darüber hinaus sind Leistungen
gegen Barzahlung in privaten medizinischen Einrichtungen möglich.
Eine allgemeine Krankenversicherung wurde nicht eingeführt. Stattdessen finanziert sich das
Gesundheitssystem durch Steuern und Direktzahlungen an ÄrztInnen, Gesundheitspersonal
und Apotheken. Anfang 2012 entfielen auf 10.000 EinwohnerInnen knapp 51 ÄrztInnen und
129 Krankenschwestern bei 113 Krankenhausbetten. Neben staatlichen Apotheken, die Medikamente an Patienten entweder reduziert oder kostenfrei abgeben, verkaufen Apotheken
in privater Hand die Medikamente zum vollen Preis an PatientInnen.
Ziel des Gesundheitswesens ist die Gewährleistung eines allgemeinen kostenfreien Zugangs
für alle BürgerInnen. Dies gestaltet sich allerdings aufgrund einer ungleichen Verteilung von
personellen und sachlichen Ressourcen im ländlichen und städtischen Bereich als nicht realisierbar.
Der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung hat sich seit dem Zerfall der Sowjetunion, aufgrund des Mangels an vitaminreicher Kost, Medikamenten und medizintechnischen
26
Ausrüstungen sowie durch die Auswirkungen der Tschernobyl-Katastrophe, erheblich verschlechtert. Die häufigsten Krankheiten sind Erkrankungen der Atemwege, des Kreislaufes
oder des Nervensystems. Daneben ist ein hoher Anteil an Aids festzustellen: Im Jahre 2012
waren insgesamt 13.800 Personen auf 100.000 Einwohner mit HIV infiziert.
In Belarus wohnen insgesamt 9,7 Mio. Menschen. Davon haben 503.700 Menschen eine offiziell diagnostizierte Behinderung. Dieser 5%ige-Anteil von Bürgern wird je nach Grad der
Behinderung in drei Gruppen unterteilt. Entsprechend der Einstufung der Behinderung halten die Menschen eine staatliche finanzielle Unterstützung. Die mittlere Invalidenrente betrug im November 2011 umgerechnet etwa 73€.
2.2 Versorgung von Menschen mit Behinderung
Die Versorgung von Menschen mit Behinderung spielte in Belarus lange Zeit eine eher untergeordnete Rolle. Es bestand ein minimales „Versorgungsprinzip“, was in der Regel nur die
Erhaltung der Lebensfähigkeit zum Ziel hatte. Förderung und Pädagogik fanden nicht statt.
Ferner wurde den Familien empfohlen, ihre behinderten Kinder in Heimen unterzubringen.
Menschen mit Behinderung galten lange nicht als förderfähig oder -würdig. Noch in den 90er
Jahren wurden Menschen mit Behinderung in psychoneurologischen Internaten verwahrt
oder innerhalb der Familie vor der Öffentlichkeit versteckt. Erst Mitte der 90er Jahre entstanden erste nichtstaatliche Institutionen für schwer geistig und körperlich behinderte Kinder. Besonders aktiv ist die belarussische Assoziation Hilfe für behinderte Kinder und Jugendliche Belapdi. Sie ist mittlerweile in mehr als 60 Städten vertreten. Schwerpunkt von Belapdi
ist die Beratung von Familien mit behinderten Kindern, Öffentlichkeitsarbeit und das Gestalten von Förder- und Freizeitangeboten. Seit dem Jahr 2004 übernehmen staatliche schulische Förderzentren3 und die Bildungsgesetzgebung in Belarus garantiert Kindern mit Behinderung ein Recht auf Bildung.
Die Journalistin Ulrike Hagen zeichnet aktuell jedoch ein eher negatives Bild der Situation
von Menschen mit Behinderung. Danach werden nach wie vor fast alle Kinder mit Behinderung in Belarus in Heimen untergebracht. Sie erzählt von Gewaltanwendungen und Vernachlässigung der Kinder.
3 Zentren für entwicklungskorrigierende Bildung und Rehabilitation
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In Belarus gibt es neun Internate für Kinder mit psychischen und physischen Entwicklungsstörungen. In ihnen leben mehr als 17.000 Menschen und mehr als 1500 Menschen stehen
auf Wartelisten. Die Aufnahme erfolgt mit Einverständnis des jeweiligen Direktors. Die Betreuung obliegt dem – oft unterbesetzten – Personal sowie der Unterstützung freiwilliger
HelferInnen.
Neben der medizinischen Versorgung erlangen auch pädagogische und therapeutische Aspekte immer mehr an Bedeutung. Eine wichtige Rolle nehmen hierbei die Hilfsorganisationen aus dem Ausland ein. Des Weiteren bauen sich Strukturen auf, die es Eltern und Familien ermöglichen, ihre Kinder zu Hause versorgen zu können.
Nachfolgend werden exemplarisch vier Einrichtungen vorgestellt, die sich um Menschen mit
Behinderung kümmern. Jede dieser Einrichtung arbeitet mit mindestens einer Hilfsorganisation, deren Sitz vorwiegend in Deutschland oder Österreich ist, zusammen.
2.3 Beispiele für Einrichtungen
Behindertenheim Novinki
Novinki ist ein „staatliches Heim für Kinder mit Besonderheiten in der physio-psychischen
Entwicklung“. Hier leben dauerhaft ca. 215 Kinder bis zu ihrem 28. Lebensjahr. Danach
wechseln sie in ein Heim für Erwachsene.
Die Pflegekräfte werden „Sanitarka“ genannt, sind in der Regel ohne Ausbildung und werden
schlecht bezahlt. Die Bedingungen der Heimbewohner sind unzureichend, die Lebenserwartungen der Kinder sind niedrig.
Behindertenheim Schurawitschi
Das Behindertenheim Schurawitschi liegt etwa 200 km von Tschernobyl entfernt. Hier werden 240 Kinder mit schweren geistigen und körperlichen Behinderungen betreut. Die Bewohner leben unter einfachsten Bedingungen. Die Versorgung erfolgt unter anderem durch
drei polnische Ordensschwestern mit behindertenpädagogischer Ausbildung. Die Einrichtung
wird durch die Caritas in Linz unterstützt.
SOS-Kinderdorf Mogilev
Mogilev liegt an der Grenze zu Russland. Es gehört zu dem am stärksten betroffenen Gebiet
der Tschernobyl-Katastrophe. Die Stadt Mogilev ist die drittgrößte Stadt in Belarus und wich28
tiges Wirtschafts- und Industriezentrum. Mehr als eine Million Menschen leben in dem kontaminierten Gebiet. Etwa 4500 Kinder können dort nicht von ihren Eltern betreut werden.
Das SOS-Kinderdorf umfasst dreizehn Familienhäuser, bis zu 91 Kinder finden hier ein Zuhause. Das SOS-Sozialzentrum betreibt ein Familienstärkungsprogramm: Spezielle Bedürfnisse
von Kindern werden hier berücksichtigt (z.B. in medizinischer und materieller Hinsicht, in
Bildungsfragen, im Hinblick auf soziale Fähigkeiten), Familien erhalten Hilfe, um selbständig
für Schutz und Betreuung der Kinder sorgen zu können, um eine verlässliche Einkommensquelle zu sichern und es werden Erziehungsberatungen angeboten.
Kinderdorf Gomel
Gomel ist die zweitgrößte Stadt in Belarus, 120 km von Tschernobyl entfernt. Dieses Kinderdorf ist ein Modellprojekt der Caritas Linz. Die etwa 60 Kinder leben in familienähnlichen
Gruppen zusammen. Das hier tätige Pflegepersonal wird in Polen im Umgang mit Kindern
mit Behinderung ausgebildet.
2.4 Kooperationen mit deutschen Hilfsorganisationen
Ein Großteil der Kontakte deutscher Hilfsorganisationen nach Belarus entstand in Folge der
Reaktorkatastrophe (Tschernobyl) im Jahr 1986. Hunderte von Initiativen und Organisationen unterstützen bis heute den Aufbau sozialer Einrichtungen in Belarus und organisieren
regelmäßige Erholungsreisen für Kinder und Jugendliche aus den verstrahlten Gebieten im
Südosten. Dadurch entstand ein großes Netzwerk von Gruppen, die auch im Bereich der Hilfe von MmB in Belarus viel bewegen konnten. Über die Jahre entwickelte sich in vielen Orten
eine Zusammenarbeit und Kooperation mit belarussischen Partnerorganisationen. Mehr und
mehr achten die deutschen Organisationen darauf, dass ihre Hilfe nicht einseitig ist und ihre
Hilfe in Belarus nachhaltig auch eine Hilfe zur Selbsthilfe ist. Neben vielen kleinen Initiativen
und Partnerschaften sind die größten Geldgeber im Bereich der Hilfe von MmB die Europäische Union, die Bundesregierung und die Aktion Mensch.
2.5 Beispiele der Zusammenarbeit und Unterstützung
Verein Kanikuli
Kanikuli e.V. wurde von Menschen gegründet, die Freiwilligenarbeit in Belarus geleistet haben. Der gemeinnützige Verein macht es sich zum Ziel, hilfebedürftige und sozial benachtei29
ligte Menschen in Belarus zu unterstützen, vor allem Menschen mit Behinderung zu fördern.
Mit der Finanzierung, Planung und Durchführung von Ferienlagern soll für Kinder und Erwachsene eine Abwechslung zu ihrem Heimalltag ermöglicht werden. Zudem werden Projekte und Aktivitäten (z.B. Weihnachtsfeste, Workshops, Seminare) finanziert, auch Sachleistungen (z.B. Rollstühle, Spezialschuhe, Bastelmaterialien, Hygieneartikel) kommen den hilfsbedürftigen Menschen in Belarus zugute. Weitere Ziele sind die Veränderung des gesellschaftlichen Bildes von MmB und die Weiterentwicklung der Behindertenarbeit.
Alle Freiwilligen arbeiten ehrenamtlich und bekommen für ihr Engagement keine Aufwandsentschädigung.
Zentrum für Menschen mit Behinderungen „Funke der Hoffnung“ in Slavgorod
Das Zentrum hat sich zur Aufgabe gemacht, nicht nur Kinder mit Behinderungen zu unterstützen, sondern auch für erwachsene Menschen mit Behinderungen eine Perspektive zu
bieten. Hier arbeitet eine gemeinnützige Organisation aus dem westeuropäischen Ausland
mit der belarussischen Regierung zusammen.
Das Projekt umfasst Tagesstätte, Frühförderung und Werkstatt, finanziert von der Aktion
Mensch, aus Fördermitteln der Bundesrepublik Deutschland und aus Eigenmitteln des Vereins. Der Staat Belarus übernahm die Kosten für Planung, Material und Lohnkosten. Die Tagesstätte wird mittlerweile von der Stadt Slavgorod finanziert.
Quellen:
Brix,
A.
(2011):
Kein
Recht
auf
Zukunft?
http://www.goethe.de/ins/ru/lp/prj/drj/top/wtt/011/tol/de7542928.htm
(Zugriff: 28.11.2013)
Caritas Linz „Gomel“: Ein Zuhause für Kinder mit Behinderung – Kinderdorf Gomel
http://www.caritas-linz.at/auslandshilfe/projekte/europa/weissrussland/ein-zuhause-fuerkinder-mit-behinderungen/ (Zugriff: 29.11.2013)
Caritas Linz „Schurawitschi“: Behindertenheim Schurawitschi
http://www.caritas-
linz.at/auslandshilfe/schwerpunktlaender/weissrussland/waerme-und-sicherheit-fuerbehinderte-kinder/ (Zugriff: 01.12.2013)
Förderkreis-Belarus (2003-2012): Förderkreis-Hilfe für strahlengeschädigte belarussische
Kinder http://www.belarus-projekt.org/selbsth.htm (Zugriff: 28.11.2013)
30
GUMPO
e.V.
(2008):
Behindertenheim
Novinki
.http://www.gumpo-
ev.de/index.php?article_id=17 (Zugriff: 28.11.2013)
Hagen, U. (2013): Die Freiheit im Wald- Ein Sommerlager für Kinder in Weißrussland
http://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/notizbuch/nah-dran/heimkinderweissrussland-100.html (Zugriff: 30.11.2013)
Lebenshilfe (2007-2013): Internationale Hilfen – Beispiel für ein konkretes Praxisprojekt
http://www.lebenshilfe.de/de/ueber-uns/internationales/846242071.php?listLink=1
(Zu-
griff: 28.11.2013)
SOS-Kinderdörfer:
SOS-Kinderdorf
Mogilev
http://www.sos-kinderdoerfer.de/unsere-
arbeit/wo-wir-helfen/europa/weissrussland/mogilev (Zugriff: 30.11.2013)
31
3. Im Gespräch
3.1 Vorstellung der Organisationen und GesprächspartnerInnen
Viele Organisationen, auch aus Deutschland, sind in der Ukraine und in Belarus auf unterschiedliche Art und Weise und in verschiedenen Bereichen tätig. Zahlreiche Einrichtungen,
von denen wir gehört und gelesen haben, sind von uns angeschrieben und um weitere Informationen gebeten worden. Zudem haben wir nachgefragt, ob das Führen eines Interviews (persönlich, telefonisch oder per Mail) möglich wäre. Schließlich wurden fünf Interviews geführt, die persönlich geführten Gespräche wurden vor der Auswertung transkribiert.
Die Ergebnisse bzw. Aussagen werden im Folgenden dargestellt, sie beziehen sich fast ausschließlich auf Belarus.
Zuvor sollen aber vier InterviewpartnerInnen und ihre Einrichtungen bzw. Projekte kurz vorgestellt werden. Eine Interviewpartnerin bat darum, weder sie selbst noch die Institution, die
u.a. Projekte für Menschen Behinderung in beiden Ländern, Ukraine und Belarus, namentlich
zu nennen. Dieser Bitte sind wir selbstverständlich nachgekommen.
Benjamin Braun
Herr Braun ist verantwortlich für die Projekte, die vom FÖRDERKREIS Hilfe für strahlengeschädigte belarussische Kinder in der Evangelisch- Freikirchlichen Gemeinde Berlin-Köpenick
(Bahnhofstrasse 9, 12555 Berlin), in Belarus unterstützt werden. Seit ca. 15 Jahren ist er für
den Förderkreis tätig und war mehrfach in Belarus.
Der Förderkreis ist seit 1991 in Belarus aktiv. Ausgangspunkt war die Arbeit für und mit
strahlengeschädigten Kindern, seit 2002/2003 werden zusätzliche Projekte im Bereich der
Arbeit mit Menschen mit Behinderung unterstützt. Ziel der Organisation ist es, die Rechte
und Ansprüche von Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft zu vertreten. Es werden
keine eigenen Projekte initiiert, sondern Kooperationspartner vor Ort unterstützt. Hauptkontakt ist BelAPDIiMI in Minsk, ein nichtstaatlicher Träger, der die Dachorganisation eines landesweiten agierenden Netzwerkes ist (Eltern-Organisation). Inhaltlich geht es um Wissenstransfer und Erfahrungsaustausch für den vorschulischen, schulischen und beruflichen Bereich, sowie Materialtransfer in wenigen Ausnahmen. Direkte deutsche Kooperationspartner
gibt es nicht, bei Fachfragen und fachbezogenen Bedarf werden ExpertenInnen und Träger
(z. B. WfbM) kontaktiert.
32
Harald Kolmar
Herr Kolmar war bis Ende 2012 für die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. (Raiffeisenstr. 18,
35043 Marburg; Leipziger Platz 15, 10117 Berlin) tätig. Er war für die internationale Projektarbeit zuständig und selbst mehrfach in den Ländern vor Ort aktiv.
Die Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. ist u.a. in den beiden Ländern Ukraine und Belarus
tätig. Ziele in Belarus sind die finanzielle und strukturelle Unterstützung von Organisationen
vor Ort. Es sollen Hilfsstrukturen und alternative Unterstützungsstrukturen für Familien von
Menschen mit Behinderung aufgebaut werden, ebenso modellhaftes Lernen gefördert und
Strukturen in den Internaten verändert werden. Kooperationspartner sind nichtstaatliche
Organisationen für Menschen mit Behinderung in Belarus.
Dr. Ilja Seifert & Sonja Kemnitz
Dr. Ilja Seifert ist Vorsitzender vom Allgemeinen Behindertenverband in Deutschland e.V. –
Für Selbstbestimmung und Würde (abgekürzt ABiD; Friedrichstr. 95, 10117 Berlin), Sonja
Kemnitz ist als Bundesgeschäftsführerin des Verbandes tätig.
Die Orts-, Kreis- und Landesverbände des ABiD verfolgen das Ziel, durch Selbsthilfe, d.h.
durch die Beratung untereinander und gegenseitiges Helfen im Alltag, Teilhabe zu ermöglichen. Nicht umsonst trägt der Name des Verbandes den Zusatz: Für Selbstbestimmung und
Würde. Der Bundesverband in Berlin konzentriert sich auf die Interessensvertretung gegenüber der Regierung und der Öffentlichkeit.
Der ABiD pflegt bereits seit einigen Jahren gute Kontakte mit dem größten belarussischen
Behindertenverband Belaroy. Es gab immer wieder Projekte in Belarus in denen der ABiD
involviert war. Das letzte Projekt „Inklusiver Sozialraum nutzt allen“ wurde im März 2014
nach einer Laufzeit von ca. eineinhalb Jahren abgeschlossen. Auch zukünftig soll es weiterhin
Projekte in Belarus geben. Im Fokus der Projekte liegt immer der Austausch von Erfahrungen
aller Beteiligten. Ein Ziel ist, im Rahmen von Pilotprojekten die Möglichkeiten vor Ort und im
Kontext sozialer Realitäten zu sondieren, die ein selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Ein
weiteres Bestreben ist es, die Behinderteninitiativen vor Ort zu unterstützen und diese zu
motivieren, selbständig Projekte zu entwickeln und Wege der Umsetzung zu finden. Die Erfahrungen der Projekte des ABiD fließen in eine gesamteuropäische Diskussion ein. Dr. Sei-
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fert, Delegierter im europäischen Behindertenforum, versteht diese Arbeit auch als Brücke
zwischen west- und osteuropäischen Sichtweisen und Perspektiven.
Herbert Wohlhüter
Herr Wohlhüter ist evangelischer Theologe im Ruhestand. Er war Leiter der v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel in Bielefeld. Im Rahmen dieser Tätigkeit ist er auf die Situation von Menschen mit Behinderung in Belarus aufmerksam geworden.
Seit seinem Ruhestand ist er als ehrenamtlicher Vorsitzender des Internationalen Bildungsund Begegnungswerks (IBB) in Dortmund (Bornstr. 66, 44145 Dortmund) aktiv, von wo aus
ein Großteil der Vernetzungsarbeit zwischen deutschen und belarussischen Organisationen
und Projekten koordiniert wird.
3.2 Erkenntnisse und Sichtweisen zu der Lebenssituation von Menschen mit
Behinderung in der Ukraine und in Belarus
Übereinstimmend schilderten die GesprächspartnerInnen, dass die Integration behinderter
Menschen in die Gesellschaft zwar immer mehr in das Bewusstsein rückt, dennoch liegen
hier weiterhin ein breites Aufgabenfeld und zahlreiche Herausforderungen.
Welche Prozesse zeichnen sich ab? Sind behinderte Angehörige früher ausschließlich in
staatlichen Einrichtungen untergebracht worden, so erfahren die betroffenen Familien seit
den 90er Jahren Veränderungen im Sinne von zunehmendem Verständnis, aber auch durch
staatliche, strukturelle und gesetzliche Veränderungen die nunmehr innerfamiliäre Unterstützungsleistungen vorsehen und beansprucht werden können. Gleichwohl ist die Situation
von Menschen mit Behinderung von sozialer Isolation, Benachteiligung, Diskriminierung und
Fremdbestimmung bis heute geprägt.
Bildungs-und Arbeitsmöglichkeiten
Durch das Fehlen von räumlichen und pädagogischen Voraussetzungen ist eine Aufnahme in
Kindertagesstätten selten und eine Frühförderung findet so gut wie nicht statt. Die Möglichkeiten von Integrationsklassen in der Grundschule sind durch entsprechende Gesetzgebungen zwar gegeben, aber nicht immer realisierbar. In der Umsetzung sieht es so aus, dass für
Kinder mit leichten Beeinträchtigungen ein Schulbesuch möglich ist, während Kinder mit
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schweren Beeinträchtigungen von sogenannten Defektologen4 besucht oder in Korrektionszentren5 beschult werden. Braun erklärt, dass in den Korrektions-Zentren Bildungs- und
Rehamaßnahmen durchgeführt werden. Die Zentren gibt es inzwischen in jedem Kreis und
jedem Stadtbezirk, sie bieten Angebote der Frühförderung, der vorschulischen und schulischen Bildung an.
Menschen mit Behinderung werden meist in eigens für sie errichtete Wohneinrichtungen
untergebracht. Diese sind nach Altersstufen geordnet: Kinder im Alter von 0-6 Jahre werden
in Waisenhäuser versorgt, Kinder und Jugendliche von 6-18 Jahren leben in Kinderheimen
und kommen mit dem Erreichen des 18. Lebensjahres in neuropsychiatrische Internate. Benjamin Braun bezeichnet die Unterbringung in solchen Internaten als „Aufbewahrung“, da
Angebote für Förderung, Freizeit und Beschäftigung eigentlich nicht vorhanden seien.
Wenn Betroffene das Erwachsenenalter erreichen, werden keine Unterschiede zwischen
einer psychischen Erkrankung und einer geistigen Behinderung gemacht, erklärt Harald
Kolmar.
Beim Thema Arbeitsmöglichkeiten beschreibt Wohlhüter, dass Menschen mit Behinderung
als krank gelten und deshalb einem Arbeitsverbot unterliegen. Durch das Fehlen einer gesetzlichen Grundlage zur Erwerbstätigkeit für Menschen mit Behinderung bleibt nur die
Möglichkeit einer Beschäftigung. Allerdings gibt es in Belarus keine Werkstätten für Menschen mit Behinderung, wie sie in Deutschland vorzufinden sind. Die Möglichkeit der Beschäftigung wird oft durch private Initiativen geschaffen und dann z.B. in handwerklichen
Kleinbetrieben durchgeführt.
Eine Ausnahme bei den Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten bilden hier die Menschen mit
Seh- und Hörbeeinträchtigung, für sie wurden bereits zu Sowjet-Zeiten Sondereinrichtungen
geschaffen, die eine Förderung in den entsprechenden Bereichen bieten .
4 Defektologen - Wohlhüter beschreibt die Defektologie als Arbeit mit Erwachsenen auf pädagogischer Ebene,
meist führen die Defektologen Spezialaufgaben bzw. Spezialtherapien durch.
5 Korrektionszentren sind laut Wohlhüter verantwortlich für die Schulbildung von Kindern mit Behinderung. In
diesen Zentren befinden sich Klassen für schwer behinderte Kinder, es werden aber auch Kinder in „normale“
Schulklassen integriert und durch diese Zentren in den Schulen weiter betreut, sollte dies nötig sein (z.B. durch
Sprachtherapien).
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Finanzielle und materielle Situation
Familien, die ein Kind mit Behinderung haben, erhalten eine finanzielle Unterstützung durch
den Staat. Bis in das Erwachsenenalter haben die Familien ein Anrecht auf eine Behindertenrente. Auch nach Eintreten der Volljährigkeit ist eine finanzielle Unterstützung sichergestellt,
allerdings ist diese so gering, dass sie für die Grundbedürfnisse des Alltags (wohnen, essen
etc.) nicht ausreichend ist.
Der zur Verfügung stehende Betrag staffelt sich je nach Form der Behinderung in drei Gruppen. Die Differenzierung wird durch die Medizinisch Rehabilitative Expertenkommission
(MREK) vorgenommen. Wie bereits oben angemerkt, sind die finanziellen Zuwendungen
äußerst gering, sodass Familien mit einem behinderten Angehörigen eine hohe finanzielle
Belastung tragen, die oftmals zu weitreichenden Konsequenzen führen: Ehemänner verlassen ihre Familien und/oder die Kinder werden in Wohneinrichtungen (Internate) des Staates
untergebracht.
Soziale Teilhabe
Wie steht es um die Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderung? Sowohl die Teilhabe im Bildungsbereich als auch die Partizipation am gesellschaftlichen Leben wird von allen Gesprächspartnern als ungenügend bewertet. Während sich die Überzeugung, dass es
keine „unbildbaren“ Kinder gibt, durchsetzt, und eine Integration von Kindern mit Behinderung in Regelschulen und Intergrationskindergärten gegeben ist, sind strukturelle Rahmenbedingungen in der Öffentlichkeit oftmals nur punktuell vorhanden oder sinnlos: In vielen
öffentlichen Gebäuden fehlt es an Fahrstühlen, Rampen enden fast symbolisch im Nirgendwo.
Menschen mit Behinderung, die Pflege beanspruchen, werden entweder häufig in Familien
„versteckt“ oder in Wohneinrichtungen oft noch außerhalb der Städte untergebracht. Diese
Wohneinrichtungen werden oftmals von ehemaligen Offizieren und/oder Verwaltungspersonal geleitet. Einige Leitungen, so beschreibt Wohlhüter, sind mit großem Engagement und
„viel Herz“ dabei. Doch Qualitätsmessungen orientieren sich eher daran, ob die BewohnerInnen ausreichend Vitamine mit ihren Mahlzeiten erhalten. Sowohl räumliche Bedingungen als auch die Atmosphäre in den Einrichtungen, d.h. Faktoren, die Lebensqualität beeinflussen, bleiben in vielen Einrichtungen unbeachtet.
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Unterstützungsmöglichkeiten für Familien der Betroffenen
Für Familien, die mit Menschen mit Behinderung zusammenleben, gibt es die Möglichkeit
der humanitären Unterstützung durch die Elternorganisation BelAPDIiMI6. Diese ist eine
nichtstaatliche Organisation und kämpft wie viele andere Nichtregierungsorganisationen
(NGO`s) immer wieder mit sehr willkürlichen Behördenentscheidungen. Auch in Sozialzentren werden Freizeitangebote für Betroffene realisiert.
Situation des Personals
Die Bedingungen des Personals werden von allen Gesprächspartnern als ungenügend und
mangelhaft eingestuft. In Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sind sowohl ungelernte als auch studierte Kräfte beschäftigt. Die Mehrzahl des Personals ist allerdings Gesundheitsbetreuer, sogenannte Sanitas, deren Ausbildung einem Hilfssanitäter ähnelt. Dieser eher medizinisch ausgerichtete und für Frauen typische Beruf wird nur gering entlohnt
und erfährt wenig Ansehen in der Bevölkerung. Eine Ausnahme bilden die Korrektionszentren, dort sind Sonderpädagogen die pädagogisch Hauptverantwortlichen. Eine pflegerisch
oder pädagogisch orientierte Ausbildung, beispielsweise zum Heilerziehungspfleger, die auf
die Arbeit mit Menschen mit Behinderung spezialisiert ist, gibt es nicht. Im universitären
Kontext, berichtet Braun, ist mittlerweile eine Fakultät für Sonderpädagogik an der Uni
Minsk entstanden. Das hier ausgebildete akademische Personal arbeitet vor allem in schulischen Förderzentren, die inzwischen personenzentriert tätig sind. Die Ausbildung von SozialarbeiterInnen hat kaum eine inhaltliche Ausrichtung, die sich auf die Arbeit mit MmB bezieht. In Sozialzentren finden sich aber bereits Tagesbetreuungsangebote für Menschen mit
Behinderung.
Erfolge, Widersprüche und Hemmnissen
Welche Erfolge, Widersprüche oder auch Hemmnisse sind im Leben von Menschen mit Behinderung und ihren Familien prägend? Zum letztgenannten Punkt, zu den Hemmnisse, wird
die paternalistische Fürsorge des Staates genannt. Dies stellt eine Bevormundung dar und
steht hier für fürsorgliches, aber fremdbestimmtes Denken. Die Betroffenen bekommen
6 BelAPDIiMI - belarussische Assoziation der Hilfe für behinderte Kinder und behinderte
Jugendliche, die 1995 als eine Elternorganisation gegründet wurde.
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kaum eine Chance auf Selbstbestimmung, im Gegenteil: diese ist nicht erwünscht und wird
somit auch nicht gefördert.
Wohlhüter sieht eine totale Entmündigung bei Erwachsenen mit Behinderung. Des Weiteren
fehlen systematische Angebote bezüglich Wohnen und Arbeiten für Erwachsene; von Seiten
des Staates ist kein Bemühen sichtbar, Pilotprojekte werden ausschließlich von nichtstaatlichen Einrichtungen initiiert.
Dennoch: Es sind auch Erfolge sichtbar, etwa der Dialog zwischen Politik und Zivilgesellschaft. Dieser führte bereits zu Veränderungen in der Sozialgesetzgebung. Es sind einzelne
Inklusionsansätze realisiert, mit Teilerfolgen im schulischen Bereich. Wohlhüter sieht außerdem positive Innovationen in Form der Tageszentren. Diese tragen wesentlich zu einem veränderten Verständnis von Behinderung und Menschen mit Behinderung in der Gesellschaft
bei.
Freiwilligenarbeit
Sollte man einen Freiwilligeneinsatz im Umgang mit Menschen mit Behinderung in Belarus
empfehlen? Wenn ja, sollte sich ein solcher Einsatz auf Personen mit einer Berufsausbildung,
insbesondere im Bereich Heilerziehungspflege, beschränken? Oder ist eine Ausbildung keine
Voraussetzung, womöglich sogar kontraindiziert? Können Menschen in Deutschland auch
„aus der Ferne“, d.h. in Deutschland, sich für Menschen mit Behinderung in Belarus engagieren?
Die InterviewpartnerInnen waren hier nicht immer einer Meinung. Als Mindestalter wurde
von Kemnitz 21 Jahre empfohlen. Daneben sollten Freiwillige neben Sprachkenntnissen eine
Offenheit für die Arbeit mit Menschen mit Behinderung, Motivation, Selbstreflexion und
psychische Belastbarkeit als Basis für die Arbeit in Belarus mitbringen. Auch eine geschichtliche Vorbereitung, d.h. historisches und politisches Wissen, sei für den Auslandseinsatz empfehlenswert bis notwendig.
Die Gesprächspartner meinten, dass eine Berufsausbildung nicht notwendig sei, Vorerfahrungen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung seien aber von Vorteil.
Obwohl keine der Organisationen ein konkretes Programm vorhält, das Freiwillige in Ihrer
Arbeit im Ausland begleitet, meinten alle, dass Freiwillige vor ihrem Einsatz eine inhaltliche
Vorbereitung empfohlen wird; hier sollten die historische Entwicklung des Landes und Konzepte im Umgang mit MmB vertiefend thematisiert werden
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Kolmar empfiehlt, zuvor Erfahrungen zu sammeln, beispielsweise mittels Einsätzen und Programmen bei Organisationen wie Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.7 Aber auch ein Ersteinsatz ist möglich. So steht die Partnerorganisation der Lebenshilfe im Land Belarus Freiwilligen grundsätzlich positiv gegenüber und erleichtert den Aufenthalt durch eine Bereitstellung von Unterkunft, Verpflegung und Transportkosten.
Den Freiwilligen wird ein Einsatz zu zweit empfohlen, um die Möglichkeit eines Austausches
über die Erlebnisse zu gewährleisten. Wohlhüter spricht sich auch für eine begleitende fachliche Supervision vor Ort aus.
Einig sind sich alle in einem Punkt: Auch von Deutschland aus können Menschen mit Behinderung in Belarus und in der Ukraine unterstützt werden, und zwar durch ein Engagement
bei entsprechenden Organisationen. So können z.B. bilaterale Workshops und Fortbildungen
mit organisiert werden, Öffentlichkeitsarbeit zur Lebenssituation betrieben und darüber die
Sensibilität für die Lebenssituation von Menschen mit Behinderung und deren Familien erhöht werden.
Abschließende Anmerkungen
Obwohl die Ausbildung zum/zur HeilerziehungspflegerIn nicht konkret von den ExpertInnen
benannt wurde, sind wir uns als Projektgruppe einig, dass Kenntnisse in der Arbeit mit Menschen mit Behinderungen, im besten Fall durch eine Ausbildung, von Vorteil ist.
Und ein weiterer Punkt ist uns wichtig: Eine „Heilbringer-Rolle“ ist nicht förderlich für eine
Tätigkeit mit Menschen mit Behinderung, um in einem fremden Land als Freiwillige/r – im
Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention und mit der Perspektive auf Inklusion – eine
humanitäre Spur zu hinterlassen und eine länderübergreifende Entwicklung des gleichberechtigen und selbstbestimmten Miteinanders mit auf den Weg zu bringen.
7 Aktion Sühnezeichen ist ein gemeinnütziger Verein, der Freiwillige in 13 Ländern und 180 Projekten
unterstützt einen „Friedensdienst“ im Ausland zu absolvieren. Das Programm unterstützt junge Menschen
durch eine kompetente Vorbereitung, professionelle Begleitung u.a. in Belarus durch Partnerbüros sowie eine
Nachbereitung nach dem Aufenthalt.
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