Patrick Kruse: Immersion
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Patrick Kruse: Immersion
Patrick Kruse: Immersion – Ein Begriff und seine Definition Immersion erweist sich in seiner Definition innerhalb der Medienwissenschaften als ein vieldeutiges und vielschichtiges Phänomen, insbesondere, wenn es darum geht, dieses Konzept intermedial – also Medien übergreifend – zu beschreiben. Die Definitionen von Immersion in den Medienwissenschaften, aber auch in anderen Disziplinen, reichen vom konkreten leiblichen Eintauchen bis zum eher imaginären Eintauchen in ein Medium, wobei im Zentrum dieser Metapher vor allem die Verringerung von Distanz zwischen bzw. das Aufheben der Trennung von Medium und Rezipient steht. Es stellt sich nun die Frage, wie der Begriff der Immersion in der einschlägigen Literatur technisch orientierter Medien exemplarisch definiert wird und ob sich daraus Ableitungen für eine intermediale Konzeption machen kann. PATRICK KRUSE: (Dr. phil.) Geboren 1976 in Husum. An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Neuere Deutsche Literatur- und Medienwissenschaften, Philosophie und Psychologie studiert. Promovierte in den Medienwissenschaften mit dem Dissertationsthema „Über das Filmbild hinaus... Die Präsenz des Absenten in der Filmrezeption“ und ist zur Zeit als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Fachhochschule Kiel. Seit 2009 Mitglied der Gesellschaft für interdisziplinäre Bildwissenschaft, der Gesellschaft für Medienwissenschaften, des DFG-Netzwerks Bildphilosophie und Gründungsmitglied des Bildwissenschaftlichen Kolloquiums an der CAU zu Kiel. Forschungsschwerpunkte: Immersive Medientheorie, Rezeptionsforschung, Medienphilosophie, Medienpsychologie und Bildwissenschaft. Veröffentlichungen (u.a.): Grabbe, Lars / Kruse, Patrick (2008): Gewalt als Erlebnis. Die somatische Decodierung als Strategie des Filmerlebens in CLOVERFIELD. In: KODIKAS / CODE - Ars Semeiotica, Heft 3-4, S. 299-312; Grabbe, Lars / Kruse, Patrick (2008): Empathische cues und die Möglichkeit einer Affekt-Sprache des Films. In: KODIKAS / CODE - Ars Semeiotica, Heft 3-4, S. 289-298; Kruse, Patrick (2010): Über das Filmbild hinaus… Die Präsenz des Absenten in der Filmrezeption. Ibidem: Stuttgart. Matthias Bauer: Im Sog des Erzählens. Zur Vorgeschichte der Immersion. Ausgehend von der Definition der Immersion durch Béla Balázs wird der Beitrag drei Abschnitte umfassen: 1. einen Rückblick auf die Medien des Pre-Cinema, der den Zweck verfolgt, den Zusammenhang von Dispositiv und Immersion aufzuzeigen. 2. eine kurz gefasste, exemplarisch verfahrende Entwicklungsgeschichte der immersiven Dimension des Spielfilms, die an zwei Beispielen – Der letzte Mann (D 1934, Regie: Friedrich Wilhelm Murnau) für den Stummfilm und White Squall (USA 1996, Regie: Ridley Scott) für den Tonfilm – den Zusammenhang von Szenografie, Montage und Immersion darlegt und 3. einen Ausblick auf die begriffliche Erfassung immersiver Bewegtbildräume, die Narration und Immersion, Szenografie und Dispositiv an das Modell der ökologischen Wahrnehmung koppelt. MATTHIAS BAUER: Geb.: 1962; Dr. phil., Professor am Institut für Germanistik der Universität Flensburg; davor Universität Mainz / Universität Basel (Vertretungsprofessur WS 2006/2007). Forschungsschwerpunkte: Erzählforschung, Filmanalyse und Intermedialität, Semiotik und Wissenschaftsgeschichte; zuletzt erschienen: Diagrammatik. Einführung in ein kultur- und medienwissenschaftliches Forschungsfeld (2010 zus. m. C. Ernst); Der Film als Vorbild literarischer Ästhetik. Balázs, Musil und die Folgen (in: Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910-1960, hrsg. v. Stefan Keppler-Tasaki und Fabienne Liptay, 2010). Weitere Publikationen: Romantheorie und Erzählforschung (2005), Schwerkraft und Leichtsinn. Kreative Zeichenhandlungen im intermediären Feld von Wissenschaft und Literatur (2005), Hrsg.: Berlin. Medien- und Kulturgeschichte einer Metropole im 20. Jahrhundert (2007), Mit-Hrsg.: Kunst und Kognition. Interdisziplinäre Studien zur Erzeugung von Bildsinn (2008). In Vorbereitung: zus. mit M. Jäger (Hrsg.): Mythopoetik in Film und Literatur; zus. mit R. Bieberstein: Michelangelo Antonioni; zus. mit. F. Liptay (Hrsg.): Historien und Kostümfilm. Laura Bieger: Ästhetik der Immersion am Bespiel des „neuen“ Las Vegas und des Grand Canyon Skywalk. Die Ästhetik der Immersion ist eine Ästhetik des Eintauchens, ein kalkuliertes Spiel mit der Auflösung von Distanz. Die Räume, in die sich dieser Vortrag begibt, machen Grenzverwischungen zwischen Bild und Welt zum Gegenstand unmittelbaren körperlichen Erlebens. Sie laden buchstäblich dazu ein, sich in die fiktionale Welt des Bildes zu begeben und in ihr zu bewegen. Ein Ort, an dem diese Art ästhetischer Erfahrung in jüngster Zeit stark in den Vordergrund rückte, ist das ‚neue’ Las Vegas. In seiner Transformation von einer losen urbanen Textur aus überdimensionierten Neonschildern und nach Aufmerksamkeit heischenden Kasinofassaden hin zu einer immer dichter werdenden Vision urbaner Hyperrealität hat sich auch das von ihm verkörperte RaumErleben nachhaltig verändert. Paris und New York liegen auf Sichtweite, das imperiale Rom erstrahlt in neuem Glanz, Venedig ist vor der immerwährenden Gefahr seines Untergangs bewahrt. Was dieser Ort uns erleben lässt, ist die fiktionale Realität einer unerhörten räumlichen und zeitlichen Fülle und Verdichtung. Ein weiterer Ort, der auf diese Art der Erfahrung setzt und sie in eine ‚natürliche’ Landschaft überträgt, ist der Grand Canyon Skywalk: eine u-förmige und bis auf zwei Verbindungspunkte mit der Felswand freischwebende Glasbrücke, die 30 Meter in den Abgrund hinausragt und nicht nur einen nahezu perfekten und besonders atemberaubenden Panoramablick in die bizarre Canyonlandschaft eröffnet, sondern auch eine absolut sichere und doch an Unmittelbarkeit kaum zu übertreffende Vertigoerfahrung der 1200 Meter tiefen Schlucht, die sich unter den Füßen des schwindelfreien Betrachters auftut. Beides sind Räume, in denen sich die Wirklichkeit der Welt und die Wirklichkeit des Bildes in der unmittelbaren Wirklichkeit des Körpers konsolidieren. Das Erleben, das sie dem Betrachter bereiten, lässt sich als eine materielle Rückübersetzung digitaler BildRäumlichkeit beschreiben, in dem Gesetze von Schwerkraft, Raum und Zeit überwunden scheinen. Die epistemologische Dimension, die hier aufscheint, hat unweigerliche Auswirkungen auf das Verständnis von ästhetischer Erfahrung im Allgemeinen und der Erfahrung von teils fiktionalen teils realen Raumsituationen im Besonderen: Denn indem die fiktionale Realität dieser Räume das Zusammenspiel von imaginativen und realen Anteilen eines Wirklichkeitsentwurfes zum Gegenstand ästhetischen Erlebens macht, erweist sich die architektonische Gestaltung und die Manipulationsbereitschaft dieser Räume – also das, was sie als ästhetische Objekte kennzeichnet – als genau diejenigen Eigenschaften, die diesen Wirklichkeitswurf in seiner räumlichen und bildlichen Konstitution explizieren und ihn (jedenfalls potentiell) verhandelbar machen. Als „Raumbilder“ verkörpern diese Orte, mit Siegfried Kracauer gesprochen, Träume einer Gesellschaft, deren Entzifferung nicht weniger als einen Blick auf ihre soziale Realität freigibt. LAURA BIEGER: (Dr. phil.) ist Juniorprofessorin in der Abteilung Kultur am John F. Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Visualität, Textlichkeit, Räumlichkeit, Narrative Identität, Theorien ästhetischer Erfahrung und Theorien der Moderne. Ihre aktuelle Forschung beschäftigt sich unter dem Arbeitstitel Is Anybody Home? Beloning and its Place is American Literature mit Narrativen des Beheimatetseins im amerikanischen Roman. Zwei weitere Projekte beschäftigen sich mit Land Art als immersivem Wahrnehmungsraum und ihrer Bedeutung im Rahmen amerikanischer Landschaftsdarstellung sowie dem Verhältnis von Mode, Körper und Identität. Veröffentlichungen (Auswahl): Ästhetik der Immersion: Raum-Erleben zwischen Welt und Bild. Las Vegas, Washington und die White City (Bielefeld: Transcript, 2007); “Belonging and Transnational American Studies: Reflections on a Critical Approach and Reading of Richard Powers’ The Echo Maker” in: Transnational American Studies, ed. W. Fluck, D. Pease, J.C. Rowe (The New Endland University Press, erscheint 2010); “Vertigo, oder: Hitchcocks Schule des Schauens” in: Elisabeth K. Paefgen, Stefan Keppler-Tasaki, eds. Film macht Schule (Berlin: Bertz und Fischer, erscheint 2011). “Ästhetik der Immersion: Wenn Räume Wollen” n: Gerturd Lehnert, ed. Räume und Affekte (Bielefeld: Transcript, 2010); „Femmes Fatales: Die verkörperte Coolness und der Tod” (mit Annika Reich) in: Coolness – Zur Ästhetik einer kulturellen Verhaltensstrategie und Attitüde, hg. Annette Geiger et al. (Bielefeld: Transcript, 2010); „Travelers in Image_Space” in: Moving Images – Mobile Viewers: 20th Century Visuality, hg. Renate Brosch, Ronja Tripp (Stuttgart: LIT, 2010); “An der Kippe zwischen Eintauchen und Auftauchen – Für eine Ästhetik des kritischen Distanzverlusts,” in: Katharina Grosse. Shadowbox, hg. Alexander Koch, Angela Rosenberg (Köln: Verlag Walter König, 2009); “Schöne Körper, hungriges Selbst. Über die moderen Wunschökonomie der Anerkennung” in: Der schöne Körper: Mode und Kosmetik in Kunst und Gesellschaft, ed. Annette Geiger (Frankfurt/M.: Böhlau, 2008); „In Bed with Madonna. Wie wir und der Rest der Welt von ihr träumen“ (mit Annika Reich), Madonna und wir, hg. K. Grether, S. Grether (Frankfurt/M.: Suhrkamp, 2008). Tim Rittmann: MMORPGs als virtuelle Welten: Immersion und Repräsentation. Immersion – das Eintauchen in eine virtuellen Welt wie der äußerst populären „World of Warcraft“ – erfolgt auf vier Ebenen: auf einer narrativen, einer ludischen, einer räumlichen und einer sozialen Ebene. Alle vier Formen der Immersion in virtuelle Welten stehen in ihrer Wirkung gleichberechtigt nebeneinander und bedingen sich mitunter. Denn sie sind die Eckpfeiler des Designs. Wer ein spielerisches Erfolgserlebnis verzeichnen möchte, muss sich bis zu einem gewissen Teil auch den ungeschriebenen sozialen Spielregeln unterwerfen. Wer sich in der Geschichte verlieren will, profitiert von einer überzeugend simulierten räumlichen Ausdehnung oder der Interaktionsmöglichkeit mit Objekten im Raum. Man kann davon ausgehen, dass erst das Zusammenwirken dieser immersiven Momente die virtuelle Realität ähnlich wichtig erscheinen lässt wie die „reale“ Realität. Dennoch treten die Formen der Immersion in von User zu User unterschiedlich starker Ausprägung auf. Der Vortrag „Immersion in virtuelle Welten“ beschreibt die vereinte immersive Kraft von Online-Rollenspielen (MMORPGs) und versucht auf diese Weise, ihrem Erfolgsrezept auf die Schliche zu kommen. TIM RITTMANN: (M.A.) Geboren am 30.12.1978 in Dortmund, aufgewachsen in Schwerte. Schreibt mir 16 Jahren seinen ersten Zeitungsartikel. Gründung des Jugendmagazins „caput.“ 1997. Studiert Medien, Politikwissenschaft und Neueren deutschen Literatur in Marburg und Hamburg. Organisation und Kuration des digitalen Film-Festivals „Bitfilm Festival“. Magisterarbeit über Immersion in virtuellen Welten, die später als Buch im Hülsbusch-Verlag erscheint. Journalistisches Volontariat beim GEE Magazin. Lebt und arbeitet inzwischen als freier Journalist in Berlin. Bernd Steinbrink: Elemente der Immersion Um ein Einfühlen des Zuschauers in eine dargestellt Handlung zu erzeugen, die ein Miterleben, Immersion, erzeugt, ist es nicht nur nötig, neue technische Mittel zur Simulation von Realität zu nutzen, sondern für die technischen Mittel muss eine angemessene Bildsprache entwickelt werden. Diese Bildsprache muss jene Formen der Filmsprache übernehmen können, die Immersion erzeugen: Die Möglichkeit der subjektiven Kamera, den Perspektivwechsel, die Großaufnahme und das Detailbild, dadurch die Aufhebung der Distanz und das Herstellen von Identifikation, da der Zuschauer so in das Geschehen hineinversetzt wird und nicht nur vor oder zwischen dem Geschehen sitzt. Die Filmsprache bietet so die Möglichkeiten, wirkungsvolle Handlungsstrukturen umzusetzen, die auf traditionellen Erkenntnissen und Motiven der Erzähl- und Dramentheorie basieren. Peter Popp: Adamas – The Realm of Light Seit dem 3D-Kinofilm Avatar ist “Immersion” weltweit in aller Munde. Der FulldomeProjektionsraum, wie ihn moderne, digitale Planetarien zur Verfügung haben, bietet den Zuschauern ein besonderes, audio-visuelles Erlebnis. Anhand der fulldome Produktion „Realm of Light“ wird gezeigt, wie sich die Kuppelarchitektur auf den kreativen Prozess der Herstellung eines fulldome Films auswirkt, welche Bedeutung und welchen Einfluß die“ hemisphärische Leinwand“ auf den Einsatz der filmtechnischen Mittel hat.