Gottesdienst zur Sommerpredigtreihe 2013 WertvollErleben. Werte

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Gottesdienst zur Sommerpredigtreihe 2013 WertvollErleben. Werte
Gottesdienst zur Sommerpredigtreihe 2013
WertvollErleben. Werte, die uns wichtig sind
Opferbereitschaft – Von Opfern, die Gott gefallen
Pfarrerin Regina Reuter-Aller
12. Sonntag nach Trinitatis, Gregoriuskirche Neckarwestheim
13. Sonntag nach Trinitatis, Martinskirche und Regiswindiskirche Lauffen a.N.
Außer den in der Predigt vollständig genannten, nimmt die Predigt Bezug auf Markus 12, 4144:
41 Und Jesus setzte sich dem Gotteskasten gegenüber und sah zu, wie das Volk Geld einlegte
in den Gotteskasten. Und viele Reiche legten viel ein. 42 Und es kam eine arme Witwe und
legte zwei Scherflein ein; das macht zusammen einen Pfennig. 43 Und er rief seine Jünger zu
sich und sprach zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Diese arme Witwe hat mehr in den
Gotteskasten gelegt als alle, die etwas eingelegt haben. 44 Denn sie haben alle etwas von
ihrem Überfluss eingelegt; diese aber hat von ihrer Armut ihre ganze Habe eingelegt, alles,
was sie zum Leben hatte.
Die Schilderung des Schiffsunglücks hält sich an das Büchlein von Georg Quedens, Schiff auf
Strand! Amrumer Strandungsfälle und an die mündliche Erzählung von Wattführer Heinz
Jürgen Fischer, dessen kenntnisreiche und erfahrungsreiche Führung mir die Thematik der
Predigt vertieft erschlossen hat.
Liebe Gemeinde,
I.
in der evangelischen Kapelle in Wittdün auf der Nordseeinsel Amrum befindet sich ein
Altarbild, dessen Felder keine biblischen Szenen, sondern in der Mitte dem Amrumer
Leuchtturm, links einen gestrandeten Dampfer und rechts ein Rettungsboot zeigen. Es ist
gemalt von Prof. Nicolaus Soltau; und es ist gestiftet vom Hotelier und Vormann des
Wittdüner Rettungsbootes Carl Quedens.
Unser Wattführer, der uns vor gut zwei Wochen sicher auf dem Meeresboden durchs Watt
von der Insel Föhr nach Amrum geleitet hat, sagt am Ende der Wanderung: Wenn Sie
möchten, dann kommen sie noch kurz mit hinein ein in die Kapelle. Ich möchte ihnen da noch
etwas zeigen.
Dann erzählte er in der Kapelle das historische Ereignis zum Altarbild.
Schon seit der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts hatte sich Amrum nach Einrichtung
von Rettungsstationen durch die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger immer
mehr einen Namen als Insel der todesmutigen Rettungsmänner gemacht, die bis hinauf
nach Sylt gerufen wurden.
Es war der 24. November 1922, als die „Albis“ vor Amrum strandete. Es herrschte ein
orkanartiger Sturm. An Bord des Dampfers waren 18 Seeleute. Es muss der
Leuchtturmwärter gewesen sein, der den in der Rütergatbrandung gestrandeten Dampfer
sichtete. Er alarmierte die Seenotrettung.
Das Rettungsboot „Hermann Freese“ mit Vormann Carl Quedens lief aus und erreichte nach
einer halben Stunde den Strandungsort. Unter großer Gefahr gelang es, 9 Schiffsleute zu
bergen, aber dann mussten weitere Rettungsversuche wegen der hohen Brandung
abgebrochen werden. Die Geretteten wurden an Land gebracht, während die übrigen neun
zunächst ihrem Schicksal auf dem gestrandeten Dampfer überlassen werden mussten.
Darunter befand sich auch der Vormann des Rettungsbootes, Carl Quedens, der auf die
„Albis“ gesprungen war, um Bergungsmöglichkeiten zu erkunden.
Inzwischen hatte sich ein weiteres Rettungsboot, die „Picker“ auf den Weg gemacht und
erreichte am nächsten Tag den Dampfer, der nun völlig unter Wasser lag. Nur die
Kommandobrücke war noch frei, und hier hatte sich der Rest der Mannschaft in völlig
erschöpftem Zustand versammelt. Dem Rettungsboot gelang es unter Lebensgefahr, in der
hochgehenden See am Dampfer festzumachen. Dann wurde die Besatzung über Wanten, das
sind Seile zur Verspannung von Masten, und der Fockstag, das ist das Seil zischen dem Bug
des Schiffes und dem oberen Mastende übernommen. Das Altarbild zeigt die Seeleute auf
dem vorderen Mast des Dampfers. Unser Wattführer erzählt, dass die Männer ins eiskalte
Nordseewasser springen mussten, um gerettet zu werden. Dann ging es mit den halttoten
Schiffbrüchigen schnell nach Wittdün, wo die „Picker“ unter großen Beifall an der Brücke
empfangen wurde. Die ganze Besatzung, alle 18 Mann überlebten das Schiffsunglück.
Unterschrieben sind die Bildtafeln mit folgenden Bibelworten:
Unter dem Bild der gestrandeten Albis steht: Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten
und so sollst du mich preisen. Psalm 50,15
Unter dem Bild mit dem Rettungsboot steht: Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein
Leben lässt für seine Freunde. Johannes 15,13
Unter der mittleren Tafel mit dem Leuchtturm steht der Name des Stifters.
Ich verstand dieses Altarbild als einen Dank für die Rettung. Für den Stifter des Bildes war es
ja eine doppelte Rettung: die Rettung der 18 gestrandeten Seeleute und seine eigene, dass
er selbst den Rettungseinsatz überlebte. Das war alles andere als selbstverständlich.
So lange wie Segelschiffe auf den Weltmeeren dominierten, gab es kaum einen großen
Sturm ohne Strandungsfall in Seebereich der Insel Amrum mit vielen Opfern. Von
Westwundstürmen gejagt scheiterten die Schiffe an den tückischen Sandriffen vor Amrum.
Ich dachte bei mir: Wunderbar ist und zugleich grausem ist die Natur. Da hast du dich an
einem schönen Sommertag dem Wattführer anvertraut und bist bei abfließendem Wasser,
sozusagen gefahrlos über dem Meeresboden gewandert, hast die Fernsicht genossen und
hast gestaunt über den Wechsel von Ebbe und Flut, hast Muscheln, unzählige Wattwürmer
und Meeresgetier und Sandformationen bewundert. Aber dann ist dir doch ein Schauder
über den Rücken gelaufen, als es an einem im Sand vergrabenen Schiffswrack vorbeiging,
und als der Wattführer auf die gefährliche Brandung draußen auf dem Meer und auf
verschiedene Unglücksstellen aufmerksam machte. Ein plötzlicher Wetterumschwung, ein
Drehen der Windrichtung, eine nicht beachtete Warnung oder ein Leichtsinn und schon kann
es passiert sein. Die Naturgewalten, die Winde und Stürme fordern ihren Tribut und ihre
Opfer. Wie wunderbar hat Gott die Welt geschaffen und zugleich ist sie voller Bedrohungen.
Mich hat dieses Altarbild und das dazu gehörige erzählte historische Ereignis auch als ein
Beispiel für menschliche Opferbereitschaft tief beeindruckt. Die Bibelworte des Altarbildes
geben einen Kommentar auf ihre Weise.
Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten und so sollst du mich preisen. Psalm 50,15
Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. Johannes 15,13
Gott rettet. Gott er rettet auch durch Menschen; und überall, wo Menschen retten, geben
sie ein Zeugnis für Gottes rettende Liebe. Das ist auch die Bedeutung des Namens Jesus, dass
Gott rettet. Gegen alle Schrecken, Nöte und Gefahren kommt letztlich nur die Liebe an. Die
Liebe, die im Extremfall alles gibt und alles riskiert. Es ist die größte Liebe, die Liebe Gottes.
Das sind Jesu Worte zu seinem Tod, aber ich denke auch zu jedem Menschen, der sein Leben
einsetzt, ohne dass er dazu zu Tode kommen muss.
… und so sollst du mich preisen. Auch der heutige Betrachter des Bildes wird aufgefordert,
Gott zu danken, dass es Menschen gibt, die ihr Leben für andere einsetzen und das höchste
Maß an Opferbereitschaft aufbringen, das einem Menschen möglich ist.
II.
Aufrufe zur Opferbereitschaft und die Notwendigkeit Opfer zu bringen sind im Laufe der
Geschichte vielfach zu unmenschlichen Zwecken missbraucht worden. Da muss man schon
fragen: Gibt es überhaupt Opfer, die Gott gefallen? Ist das ein Wert, für den ich einstehen
kann? Leichter wäre es, die vielen unnötigen Opfer aufzuzählen, an denen Gott keine Freude
hat und die ihm ausdrücklich missfallen. Ich glaube nicht dass Gott Menschenopfer für sich
möchte oder dass es ihm gefällt, wenn Menschen bei einem Unglück zu Tode kommen, oder
wenn ein Mitglied einer Rettungsmannschaft beim Einsatz ums Leben kommt. Gott fordert
keinen Tribut wie die Naturgewalten. Ich habe auch Zweifel, ob Gott die Naturgewalten
steuert. Das möchte ich gerne glauben. Aber ob er das kann? Ich will auch nicht glauben,
dass Gott macht, dass Menschen im Einsatz für andere umkommen. Ich glaube viel mehr,
dass Gott jedes Opfer schmerzt, nicht nur die Opfer der Meere, auch die Unfallopfer, die
Opfer von Gewalt und Terror. Ich glaube auch, dass es Gott genauso schmerzt, wenn jemand
von den Rettungskräften bei einem Einsatz ums Leben kommt, bei der Seenotrettung, oder
ein Feuerwehrmann oder eine Polizistin, wie Michele Kiesewetter 2007 in Heilbronn auf der
Theresienwiese. Oder wie Dominic Brunner, dessen Zivilcourage vor vier Jahren in der
Münchner U-Bahn tödlich endete. Jedes Opfer dieser Art ist besonders für die Angehörigen
unendlich schmerzhaft. Bitte verstehen sie mich nicht falsch: Ich halte es für unklug das
Risiko bewusst zu suchen; und ich halte es für richtig, dass bei Rettungskräften der Schutz
des eigenen Lebens Vorrang hat.
Aber wie unmenschlich und unbarmherzig ginge es zu, gäbe es diese Bereitschaft ein wenn
auch begrenztes Risiko auf sich zu nehmen nicht. Was wäre, wenn es nicht mehr geschähe,
dass im Extremfall ein Mensch für einen anderen Menschen unter dem Einsatz seines
eigenen Lebens eintritt? Wie viel Leben würde nicht gerettet und ginge verloren? Im
Brandfall, bei der Bergrettung, bei Erdbeben. Das Risiko dieser Art der Opferbereitschaft
kann hoch werden. Es kann zum schlimmsten Fall werden. Man kann diese
Opferbereitschaft nicht einfordern. Aber sie stellt einen hohen Wert da, dass Menschen
durch Menschen gerettet werden. Man kann sie rein humanitär deuten. Für mich ist sie ein
Erweis der größten Liebe, der Liebe Gottes. Wir sollten froh und dankbar sein, wenn sie in
ihrer letzten Konsequenz, dass sie tödlich endet, die Ausnahme bleibt. Und wir sollten sie
hoch schätzen, gerade auch da, wo es nicht zum Äußersten kommst und sie im ganz
Alltäglichen gelebt wird.
Ich nehme solch alltägliche Opferbereitschaft im materiellen Sinn aber auch im ideellen Sinn
an vielen Stellen wahr.
Im Pfarrdienst begegnen mir Menschen, die viel und von Herzen geben. Sehr hohe
Geldbeträge sind darunter; Und mir begegnen Menschen, die selber nicht viel haben und
trotzdem immer etwas übrig haben und genauso von Herzen geben. „Für die Kirche“ oder,
„wo es nötig ist.“
Ich sehe auch manchmal eine Selbstlosigkeit, die das eigene Leben nicht schont, wenn es
um den Aufbau der Gemeinde geht, ein immenser Einsatz an Zeit und Kräften, Liebe und
Geduld und auch Risiko.
Genauso im Berufsleben war. Der Mann und die Frau, die in ihrer Firma vollen Einsatz
zeigen. Die Schwester und der Pfleger, die mehr als Dienst nach Vorschrift tun.
Und im Familienleben: Die Mutter, die über lange Wochen und Monate keine Nacht mehr
durchschläft, weil das kleine Baby sie braucht. Und genauso bei der Pflege alter und
gebrechlicher Familienangehöriger.
Solche hingebungsvolle Zuwendung ist bewundernswert und wir brauchen sie auch, nicht
allein in der Kirchengemeinde. Unser ganzes Gemeinwesen und unsere Gesellschaft braucht
diese aus Liebe gegebene Hingabe. Denn wo nur die Berechnung und der Eigennutz regiert,
da ist Kälte und Hartherzigkeit. Und da ist nicht gut sein .
Aber wo Liebe und Güte wohnt, da ist auch Gott. Und da ist es gut sein. Da werden, so
meine ich, Opfer gegeben, die Gott gefallen.
Trotzdem müssen wir auch kritisch nach den Grenzen und nach dem für einen selbst noch
zuträglichen fragen. Für die Arbeit die eigene Gesundheit opfern? Für die Kinder alle
eigenen Bedürfnisse aufgeben. Für die Kirchengemeinde die Familie auf der Strecke lassen?
Wo Opferbereitschaft zur Aufopferung wird geht es auf Dauer nicht gut und wird sich
rächen. Gottgefällig kann das nicht mehr sein und denen, denen man Gutes tun will, tut man
auf Dauer auch keinen Gefallen mehr damit.
III.
Was sind dann Opfer, die Gott gefallen?
Im Hebräerbrief lesen wir dazu: Hebräer 13,15-16 So lasst uns nun durch ihn (Jesus Christus)
Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen
bekennen. Gutes zu tun und mit andern zu teilen, vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen
Gott.
Der Hebräerbrief meint ein Opfer, das aus dankbarem Herzen kommt. Wie in Jesu Beispiel
vom Scherflein der Witwe. Während die Reichen kräftig in den Opferstock einlegen, gibt sie
alles. Und ist das Opfer noch so gering, es darf sich auf Gott berufen. So lehrt uns die arme
Witwe: bei Gott werden wir nicht nach dem bemessen, was wir geben, sondern nach dem,
was wir zurückbehalten. Opfer soll ein Segen sein. Das ist, was Gott will. Dabei denkt der
Brief an zwei verschiedene Richtungen: Das Dankopfer mit den Lippen und das Dankopfer
der Hände. Anbetung und Diakonie. Beides ist entscheidend wichtig, denn was wir nicht
leibhaftig vollziehen, das wandert auch aus unserem Herzen aus. Der Dank im Herzen soll
Gestalt gewinnen und für andere fassbar werden.
Anders gesagt: Das liturgische Lobopfer, singen, danken, Gott loben und preisen, darf nicht
gegen das diakonische Tatopfer gestellt werden. Wer die Kirche am Ende des
Gottesdienstes verlässt, kommt an den Opferbüchsen vorbei, am Opferstock, wie er auch
heißt. Die Gemeinde, die gerade Gott das Lobopfer gebracht hat, die gesungen hat und
gebetet, geklagt, gedankt und auch geschwiegen hat, muss am Opferstock vorbeigehen. Er
ist eine Mahnung: „Opfert Gott Dank. Gebt den Armen. Vergesst nicht zu teilen.“
Aber letztlich haben Mahnungen keinen Sinn und müssen Moralpredigten bleiben, wenn wir
uns nicht in Dankbarkeit erinnern, dass wir es bei Gott gut haben.
Das Lebensopfer Jesu steht für sich. Christus, der Hohepriester, wie er im Hebräerbrief
tituliert wird, gibt nicht mehr etwas. Er gibt sich. Niemand kann, soll und darf es nachahmen.
Opferbereitschaft ja! Aufopferung nein! Denn er will uns beschenken. So ist im 11.Kapitel
bei Matthäus gemeint, wenn Jesus sagt: Kommt her zu mir, alle, die ihr mühselig und beladen
seid, ich will euch entlasten.
Danksagen mit den Lippen kommt von innen. Es darf entstehen. Wes das Herz voll ist, des
geht der Mund über. Danksagen entgiftet von Selbstsucht und Habgier. Dank bleibt nicht
folgenlos, weil sich Dank immer mitteilen und verschenken will. Dank befreit auch unsere
Hände. Das hatte Martin Luther gemeint, als er im Großen Katechismus den Abschnitt „Von
den guten Werken“ im Kapitel: Von der Dankbarkeit einordnete. Gutes Tun und mit anderen
teilen, gute Werke tun, ist möglich, wo Dankbarkeit lebendig ist. Dank soll nicht gefordert,
sondern hervorgerufen werden. Dank ist eine Reaktion, denn bei Gott geht es immer mit
dem Schenken los.
Wir können dann aufhören, zu kalkulieren und zu rechnen, und unser Geben in Eitelkeit zu
feiern. Lass deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tu, so empfiehlt Jesus. Wir sind frei,
und brauchen uns keine Sorgen zu machen, denn Christus hat bereits alles getan.
Entscheidend sind Glaube und Vertrauen und dass Liebe zur Tat wird. So wie im Märchen
Sterntaler.
Das kleine Mädchen hatte bereits alles gegeben,
das letzte Stückchen Brot
und auch alle Kleidungsstücke bis auf das Hemdlein. Und auch das gab er schließlich her.
Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und
waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues
an, und das war vom allerfeinsten Linnen. Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich
für sein Lebtag.
Liebe Gemeinde, das ist nur ein Märchen und nicht nach jeder selbstlosen Tat fallen Taler
vom Himmel. Trotzdem kann es wahr und wirklich werden, wo Liebe zur Tat wird.
Amen. EG 650,1-3 Liebe ist nicht nur ein Wort