Bodenschutz in den Niederlanden

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Bodenschutz in den Niederlanden
Bodenschutz
in den Niederlanden
Professor Dr.-Ing. habil. Yeong Heui Lee
Professor Dr. jur. Walter Bückmann
Berlin 2007
Bodenschutz in den Niederlanden
Von
Professor Dr.-Ing. habil. Yeong Heui Lee
Professor Dr. jur. Walter Bückmann
Papers der interdisziplinären Forschungsarbeitsgemeinschaft
für Gesellschaft, Umwelt und Siedlung der Technischen Universität Berlin
Nr. 9/2007
Bodenschutz in den Niederlanden
Gliederung:
1.
Einleitende Bemerkungen
2.
Planungspolitik in den Niederlanden
3.
Nachhaltige Entwicklung in den Niederlanden
4.
Bodenschutzpolitik in den Niederlanden
4.1 Einführung
4.2 Entwicklung der Bodenschutzpolitik
4.3 Rechtliche Rahmen für die Bodenschutzpolitik
4.4 Wesentliche Aspekte der neuen Bodenschutzpolitik
4.5 Bodensanierungspolitik
4.6 Bemerkungen zur Sanierungspolitik in städtischen Bereichen
5.
Bodenschutzrecht in den Niederlanden
5.1 Vorbemerkungen zum Bodenschutzrecht
5.2 Das niederländische Bodenschutzgesetz
5.3 Sonstige bodenschutzdienliche Gesetze
6.
Abschließende Bemerkungen
1. Einleitende Bemerkungen
Die Niederlande gehören mit etwa 484 Einwohnern pro Quadratkilometer
Landfläche zu den am dichtesten besiedelten Staaten der Welt1. Im Juni
2006 hatten die Niederlande 16.336.000 Einwohner, davon wohnte ungefähr
die Hälfte in der "Randstad"2, dem dicht besiedelten Westen des Landes.
Knapp ein Viertel der Landesfläche liegt als Folge umfänglicher Landgewinnungsmaßnahmen unter dem Meeresspiegel. 60 % der Flächen werden
landwirtschaftlich genutzt. Die hoch technologisierte niederländische Landwirtschaft beschäftigt knapp 4 % der Arbeitnehmer, trägt jedoch erheblich
zum Export bei. Die Niederlande sind nach den USA und Frankreich der
weltweit drittgrößte Exporteur landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Beim produzierenden Gewerbe dominieren Lebensmittel- und chemische Industrie,
Erdölverarbeitung und Elektroindustrie.
Die große Bevölkerungsdichte, die industriellen Aktivitäten und die intensive Landwirtschaft verursachen einen hohen ökologischen Problemdruck.3
1)
Zum Vergleich: Bundesrepublik Deutschland 231, Monaco 16.923, Namibia 2,4 Einwohnern pro Quadratkilometer. Vgl.: Fischer Weltalmanach 2006. Zahlen, Daten,
Fakten, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2005, S. 334,117,126,321,325.
2)
Die ″Randstad″ ist das Ballungsgebiet im Westen der Niederlande und erstreckt sich
über Teile der Provinzen Nordholland, Südholland, Flevoland und Utrecht. Zur
Randstad gehören die urbanen Gebiete von und um Amsterdam, Haarlem, Leiden,
Den Haag, Delft, Rotterdam, Dordrecht, Gouda, Utrecht, Hilversum und Almere mit
einer Einwohnerzahl von insgesamt ungefähr acht Millionen Menschen. Die
Randstad macht 20 % der Gesamtfläche der Niederlande aus, in diesem Ballungsgebiet wohnen mehr als 40 % der niederländischen Bevölkerung. Vgl.: http://de. wikipedia.org/wiki/Randstad.
3)
In den Niederlanden wurde vor allem in der Nachkriegszeit in großem Maßstab
Landgewinnung durch Trockenlegung von küstennahen und unter Meeresspiegelniveau liegenden Flächen und Eindeichung gewonnen. Die in großindustriellem
Maßstab vorangetriebene Agrarproduktion verbunden mit ihrem gewaltigen Einsatz
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Das niederländische Umweltrecht geht, wie in Deutschland, auf das Gewerberecht zurück. In der Nachkriegszeit des zweiten Weltkrieges begann
die Entwicklung eines modernen Umweltrechts. Eines der ersten Umweltschutzgesetze, war - durch die spezifischen Gegebenheiten in den Niederlanden - bedingt, das Gesetz über die Verschmutzung der Oberflächengewässer aus dem Jahre 1969, dem nach und nach weitere medienspezifische Regelungen folgten. Inzwischen hat sich das niederländische
Umwelt- und mit ihm das Bodenschutzrecht - im europäischen Vergleich
zum fortschrittlichsten und systematisch gut durchgebildeten Umweltschutzregime entwickelt.4
Das heutige Umweltrecht und die Umweltpolitik in den Niederlanden beruhen auf den international verbreiteten Leitprinzipien bzw. –grundsätzen des Umweltschutzes5: Nachhaltigkeit; Vorbeugung; Vorsorge; Ursachebekämpfung an der Quelle; Verursacherprinzip; nach Akteuren differenzierte Verantwortlichkeit und ALARA (As Low As Reasonably Achievable)-Prinzip6. Daneben spielt das Verschlechterungsverbot (stand still
an Bodenverbesserungsmitteln verursacht nicht nur Boden- und Wasserverunreinigungen, sondern belastet das Grundwasser und die anderen Umweltmedien. Dieser
Befund wurde durch einen im Jahre 1989 veröffentlichten Bericht des Nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM) in das allgemeine Bewusstsein
gerufen. Vgl.: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milikeuhygiene: Zorgen voor
morgen, Nationale Milieuverekenning 1985 – 2010, Alphen aan den Rijn 1989. Die
zweite Fassung des Berichts von 1991 weist auf weiter verschärfte Umweltprobleme
hin. Vgl.: Rijksinstituut voor Volksgezondheid en Milikeuhygiene, Nationale Milieuverekenning 2, 1990- 2010, Alphen an Rijn 1991.
4)
Das gab bereits im Rahmen der Berichterstattung über das nationalstaatliche europäische Bodenschutzrecht im Zusammenhang eines umfangreichen Forschungsvorhabens für die Europäische Union Veranlassung dazu, das niederländische Bodenschutzrecht besonders eingehend zu würdigen. Vgl.: Bückmann, W., Lee, Y. H., Eleveld, R. u. a.: Entwicklung eines integrierten Steuerungssystems zum Schutz der Böden in der Europäischen Union - Juristischer Teilbericht zum Schlussbericht, Berlin
1996; Vgl. auch: Kloepfer, M., Mast, E.: Das Umweltrecht des Auslandes, Berlin 1995,
S. 99 ff.; Lee, Y. H.: Nachhaltiger Bodenschutz - international, europäisch und national, Universitätsverlag der TU Berlin, Berlin 2006, S. 163 ff.
5)
Vgl.: Lee, Y. H.: Die Thematische Strategie für den Bodenschutz, in: Mitschang, S.
(Hrsg.), Bodenschutz in der Europäischen Union, Peter Lang, Frankfurt a.M. 2007.
6)
Das ALARA-Prinzip (best erreichbarer Schutz) zielt auf die bestmögliche Vermei-
6
Bodenschutz in den Niederlanden
principle)7 eine wichtige Rolle. Die Grundsätze sind kodifiziert und beherrschen die Umweltpolitik. Die Kodifizierung betrifft nicht nur das Umweltschutzgesetz, sondern auch die rechtlichen Regelungen in anderen umweltrelevanten Politikfeldern (Raumordnung, Verkehr, Landwirtschaft und
Technologiepolitik)8.
Neben dem Umweltrecht und seinen Leitprinzipien spielen in der Umweltpolitik der Niederlande, wie vergleichsweise in der Republik Korea9 und
auch in Japan10 die staatlichen Umweltpläne mit ihren konkreten und auch
auf die Praxis durchschlagenden Aussagen eine erhebliche Rolle. Die
Rechtsgrundlage dieser Umweltplanungen bildet das Vierte Kapitel des
dung bzw. Verminderung besonderer Umweltrisiken ab. Das Prinzip ist dem amerikanischen Recht nachempfunden und spielt bei der Abwägung von Umweltbelangen
mit anderen Belangen eine Rolle.
7)
Das Verschlechterungsverbots-Prinzip spielt eine nicht unwesentliche Rolle, demzufolge sich einerseits die Umweltsituation in wenig belasteten Gebieten nicht weiter
verschlechtern soll und sich andererseits die Belastungssituation in Problemgebieten
nicht erhöhen darf bzw. verringern soll. Vgl.: Kloepfer, M., Mast, E., Umweltrecht,
a.a.O., 1995, S. 99 ff.
8)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, Central Directorate of
Communication: Where there's a will there's a world – Working on sustainability (4th
National Environmental Policy Plan – Summary), The Hague, The Nederlands, 2001,
S. 26.
9)
Vgl.: Lee, Y. H.: Strategische Planung für eine nachhaltige Entwicklung in der Republik Korea, in: Jänicke, M., Jörgen, H. (Hrsg.): Umweltplanung im internationalen
Vergleich. Strategien der Nachhaltigkeit, Springer-Verlag, Berlin, Heidelberg, New
York 2000, S. 69 ff.; Lee, Y. H.: Transformation des Leitbilds der Nachhaltigkeit in das
Planungs- und Umweltrecht und die Umsetzung in Planung und Politik in der Republik Korea, in: Bückmann, W., Lee, Y. H., Schwedler, H.-U. (Hrsg.): Das Nachhaltigkeitsgebot der Agenda 21, Reimer Verlag, Berlin 2002, S. 169 ff.; Lee, Y. H.: Wege zur
nachhaltigen Entwicklung in der Republik Korea, Universitätsverlag der TU Berlin,
Berlin 2004.
10)
Vgl.: Lee, Y. H., Bückmann, W.: Bodenschutzpolitik und Recht des Bodenschutzes in
Japan, in: Steuerungsfunktionen von Recht, Politik, Planung und Information am Beispiel des Bodenschutzes, Universitätsverlag der TU Berlin, Berlin 1999, S. 209 ff.; Lee,
Y. H.: Die Steuerungsfunktion der Planung am Beispiel des Bodenschutzes, in: Japanisch-Deutsches Zentrum Berlin (Hrsg.): Symposium: Bodenschutz – Steuerungsfunktionen von Recht, Politik, Planung und Information, Veröffentlichungsreihe
Band 41, Berlin 2000, S. 16 ff.; Lee, Y. H.: Bodenschutzrecht in Japan, in: Umwelt- und
Planungsrecht, 11+12/2007, S. 428 ff.
7
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Umweltmanagementgesetzes (Wet Milieubeheer: Wmb), in dem der umfassende nationale Umweltplan und die Eröffnung der Möglichkeit, richtungweisenden Maßnahmen festzulegen, im Einzelnen geregelt ist.
8
Bodenschutz in den Niederlanden
2. Planungspolitik in den Niederlanden
Die Niederlande besitzen eine hohe Reputation in der Umweltpolitik, die
nicht zuletzt auf der Umweltplanung basiert. Seit der Veröffentlichung des
Ersten Nationalen Plans für die Umweltpolitik (Nationaal Milieubeleidsplan: NMP) am 25.5.1989 gelten die Niederlande als progressiver Vorreiter eines effektiven Umweltschutzes in Europa.11
Der Erste Nationale Plan für die Umweltpolitik (NMP1) wurde als Gemeinschaftsprojekt des Ministers für Wohnungswesen, Raumordnung und Umwelt (VROM), des Wirtschaftsministers, des Ministers für Landwirtschaft
und Fischerei und des Verkehrsministers dem niederländischen Unterhaus
vorgelegt. Der NMP1 war der erste seiner Art und intendierte nicht weniger als den Übergang zu einer nachhaltigen Entwicklung innerhalb einer
Generation herbeizuführen. Zusammenfassend beruht der NMP1 auf fünf
Elementen: Zeithorizontales umweltpolitisches Handeln - kurzfristige Politikmaßnahmen, mittelfristig strategische Politikziele und langfristige Zielsetzungen bis 2010; fünf räumliche Ebenen zur Bekämpfung von Umweltproblemen - lokal, regional, fluvial, kontinental und global; Integration von
Umweltbelangen in andere Politikfelder unter Betonung der Umweltverantwortung der einzelnen Akteure sowie sonstige politische Initiativen und
Maßnahmen. Der NMP1 definiert mehr als 220 quantifizierte Einzelziele,
die zeitlich terminiert und finanziell genau kalkuliert sind.
Der Zweite Nationale Plan für die Umweltpolitik (NMP2), der im Jahr 1993
veröffentlicht wurde, diente vorrangig der Fortschreibung des Planungsprozesses und der Reduktionsziele des ersten NMP. Er konzentrierte sich in
erster Linie auf die Frage, inwieweit die Ziele des ersten NMP erreicht
11)
Vgl.: Stark, S.: Nachhaltigkeitspolitik – die zukünftige Umweltpolitik oder das Stiefkind der Nationen? Eine vergleichende Studie vier europäischer Länder, Berlin 2004,
S. 184 ff.
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wurden und mit welchen Kosten dies verbunden war. Die Ergebnisse waren zwar positiv in Bezug auf den Gesamtrahmen, aber kritisch in Bezug
auf die Effektivität des NMP. Der NMP2 nimmt daher kaum neue Zielsetzungen vor, sondern beschäftigt sich ausgiebig mit den Implementationsdefiziten und den notwendigen Maßnahmen zur Ereichung der Reduktionsziele für das Jahr 2000. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der
NMP2 verstärkt den internationalen umweltpolitischen Kontext. Zugleich
verfolgte der NMP2 das Ziel einer kosteneffektiveren Politik in den einzelnen Programmbereichen.
Mit dem im Jahre 1998 verabschiedeten Dritten Nationalen Plan für die
Umweltpolitik (NMP3) wurde Bilanz gezogen über die Erfahrungen mit
der Politik der nationalen Umweltplanung. Die Umsetzung des NMP1 und
NMP2 bewirkten deutliche Verbesserungen der Umweltqualität in den
Niederlanden bei gleichzeitigem ökonomischem Wachstum. Trotz verbesserter Umwelteffizienz war jedoch schon 1998 absehbar, dass einige der für
2010 gesteckten Ziele nicht erfüllt werden konnten12. Es bleibt, auch nach
der vollständigen Umsetzung der Maßnahmen des NMP3, bedeutende Defizite in den Bereichen Klimawandel (CO2-Emissionen), Umweltbelastung
durch Verkehr (NOx-Emissionen und Lärmbelastung) und Umweltbelastung durch die Landwirtschaft (Ammoniak und Dünger).
Der Vierte Nationale Plan für die Umweltpolitik (NMP4) mit dem Titel
"Where there's a will there's a world – Working on sustainability"13, wurde
im Jahre 2001 verabschiedet. Das ressortübergreifende14 Dokument beschreibt die sieben großen Umweltprobleme und ihre Situation im Jahr 2030
und Strategien für die Bekämpfung. Solange diese Probleme nicht wirksam
12)
VROM: Dritter Nationaler Plan für die Umweltpolitik, 1998.
13)
Ins Deutsch übersetzt: "Eine Welt und ein Wille – Auf dem Weg zur Nachhaltigkeit".
14)
An der Erstellung des NMP4 waren folgende Ministerien beteiligt: Ministerium für
Wohnungswesen, Raumordnung und Umwelt; Ministerium für Inneres; Ministerium
für Wirtschaftsangelegenheiten; Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und
Fischerei; Ministerium für Verkehr, öffentliche Arbeiten und Wasserwirtschaft; Ministerium für auswärtige Angelegenheiten; Ministerium für Finanzen; Ministerium
für Bildung, Kultur und Wissenschaft; Ministerium für Gesundheit, Gemeinwohl und
Sport.
10
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bekämpft und gelöst werden, so die zentrale Aussage, sei keine nachhaltige
Lebens- und Wirtschaftsführung möglich und die Probleme würden nur
abgewälzt. Zu den genannten großen Umweltproblemen gehören die
nachteiligen Auswirkungen des gesellschaftlichen Handelns auf die biologische Vielfalt sowie die gesundheitlichen Risiken durch chemische Stoffe,
Klimawandel und externe Sicherheit. Neue Probleme, die sich aus technologischen Innovationen ergeben einschließlich Problemen rund um gentechnisch veränderte Organismen sind außerdem auf der neuen Agenda.
Darüber hinaus formuliert der NMP4 die künftigen politischen Leitlinien
und benennt die wichtigsten Bereiche, in denen in der Zukunft ein starkes
finanzielles Engagement notwendig ist.
In der Einleitung des Plans wird nachdrücklich darauf hingewiesen, dass
der Dritte Nationale Plan für die Umweltpolitik uneingeschränkt gültig
bleibe. Der NMP4 unterscheidet sich dadurch von den früheren, dass er viel
weiter in die Zukunft reicht: der Planungszeitraum wurde bis zum Jahr
2030 verlängert. Darüber hinaus wird auch Problemen Beachtung geschenkt, die eine internationale Zusammenarbeit erfordern. Internationale
Vereinbarungen seien unverzichtbar, auch auf Gebieten, über die bis jetzt
kaum verhandelt wurde.
Das eigentliche Motiv hinter dem vierten Plan ist die Philosophie, dass das
Leben in einer sich nachhaltig entwickelnden Umwelt tatsächlich möglich
ist, ohne negative Konsequenzen in der Gesellschaft. Die Umweltpolitik soll
einen Beitrag zu einem gesunden und sicheren Leben in einem attraktiven
Lebensumfeld inmitten einer vitalen Natur leisten, ohne die weltweite Artenvielfalt zu beeinträchtigen oder natürliche Ressourcen zu erschöpfen,
sowohl hier und jetzt als auch andernorts und später.
Es seien sieben miteinander zusammenhängende Barrieren erkennbar, die
einer Lösung der großen Probleme im Wege stehen: 1. Ungleiche Verteilung; Kurzfristiges Denken; 3. Behördliche Eigenbrötelei und institutionelle
Unzulänglichkeiten; 4. Unzulänglichkeiten des Instrumentariums; 5. keine
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Lösungen durch die Problemverursacher; 6. Ungewissheiten; 7. Mangel an
Vorsorge.15
Für die Lösung der im NMP4 genannten großen Umweltprobleme bedarf
es nach dem Plan weitergehender Systeminnovationen, die in vielen Fällen
die Form eines langfristigen, gesellschaftlichen Wandels mit technologischen, wirtschaftlichen, soziokulturellen und institutionellen Veränderungen annehmen.16
Zusammenfassend lässt sich das "Rückgrat" der niederländischen Umweltpolitik durch zwei Hauptelemente beschreiben:
– Ein klarer Rahmen in Form von in der Umweltplanung festgelegten Zielen und Zielvorgaben verbunden mit einer Verständigung auf eine eindeutige, langfristige Richtung mit einem klaren Zeitplan für die einzelnen Schritte.
– Eine enge Kooperation mit der Industrie und mit den Regional- und
Kommunalverwaltungen, die eine Anpassung der jeweiligen Entscheidungsprozesse an die Umweltthematik garantiert, damit für spezifische
Probleme auch spezifische Lösungen gefunden werden können.
Das vierte NMP zielt darauf ab, durch die Entwicklung integraler Lösungen
sowohl für das Hier und Jetzt als Anderenorts und für spätere Zeiten einen
Beitrag zu einem kontinuierlichen Prozess der Verbesserung der Umweltqualität zu leisten.17
15)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, 4th National Environmental Policy Plan, a.a.O., 2001, S. 23 f.
16)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, 4th National Environmental Policy Plan, a.a.O., 2001, S. 30.
17)
Vgl. Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, 4th National Environmental Policy Plan, a.a.O., 2001, S. 78.
12
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3. Nachhaltige Entwicklung in den Niederlanden
Das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung ist in den Niederlanden nicht
nur in der Planung, sondern auch in Recht und Rechtsprechung fest verankert.18 Das gilt zunächst für die Verfassung (Grondwet) von 1983, welche
die Wesenselemente der Nachhaltigkeit in ihr Normgefüge aufgenommen
hat. Art. 21 bezeichnet es als Ziel, die Umweltqualität zu schützen, während
die sozialen und ökonomischen Aspekte in anderen Artikeln festgelegt
sind.19
Der holländische Kabinett entschied 2001, eine nationale Strategie für nachhaltige Entwicklung (Nationale Strategie voor Duurzame Ontwikkeling:
NSDO) aufzustellen. Ein ressortübergreifendes Organ wurde in Form einer
ministeriellen Gruppe unter Leitung des den Premierministers gebildet. Die
Minister für Umwelt, für Wirtschaftsangelegenheiten und für Stadtentwicklung und Integration waren ständige Mitglieder der Leitgruppe. Andere
Minister konnten sich je nach Materie beteiligen.
Im Umweltrecht findet sich eine medienübergreifende Regelung, das Umweltmanagementgesetz, das die Grundlage für das niederländische Umweltplanungs- und -monitoring-System bildet, das am Leitbild der Nachhaltigkeit ausgerichtet ist.
18)
Duurzaam ondernemen en regelgeving (Sustainable business and regulation); Vereniging voor Milieurecht (Society for environmental law) meeting 11.10.2000, Boom,
Den Haag 2001.
19)
Über die Tragweite dieser Vorgabe und ihre Umsetzung in Recht und Verwaltung
findet sich in den Niederlanden, vergleichbar mit der Diskussion über die Umweltgrundrechtsverbürgung im Grundgesetz, eine reichhaltige Diskussion. Vgl.: Tonnaer,
A.: Het Nederlands mileurecht in ontwikkeling, Alphen an den Rijn 1990.
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Das Nachhaltigkeitsprinzip bildet vor allem den Bezugspunkt der politischen Planung.20 Der nationale Plan für die Umweltpolitik bietet den strategisch wesentlichen Ansatz zur Berücksichtigung der europäischen und
internationalen Dimension der Nachhaltigkeitspolitik. Eine der strategischen Grundaussagen dieses Plans ist, dass die internationale Dimension
der Umwelt- und Nachhaltigkeitsproblematik einen Perspektivwechsel
notwendig macht: Es gilt in Zukunft nicht nur von der nationalen Ebene auf
die europäische und internationale Ebene zu schauen, sondern die umgekehrte Perspektive zu wählen – von "außen" nach "innen"21.
Der von den NMPs gesetzte Rahmen übt erheblichen Einfluss auf die technologischen Entscheidungen der Unternehmen aus. Die konsensorientierten Verhandlungen, in denen die Zielvorgaben des NMP formuliert und
operationalisiert werden, ermöglichen eine für Staat und Wirtschaft befriedigende Politikformulierung. Dieser Prozess aus klaren, anspruchsvollen
Ziel- und Zeitvorgaben, vertrauensbildenden Verhandlungen und Umweltverantwortung der Industrie setzt Anreize für ein umweltfreundliches
Innovationsverhalten der Unternehmen.
Die niederländische Umweltplanung hat Modellcharakter. Ihre Ausführungen lassen sich weitgehend auch auf das umweltstrategische Vorgehen in
den anderen europäischen Staaten übertragen.
20)
Insbesondere ist das Leitbild unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den BrundtlandBericht in den nationalen Plan für die Umweltpolitik und die Raumplanung) aufgenommen worden. Vgl.: Huppes, G.: Sustainability in Environmental Law in the
Netherlands, in: Bückmann, W., Lee, Y. H., Schwedler, H.-U. (Hrsg.): Das Nachhaltigkeitsgebot der Agenda 21, Reimer Verlag, Berlin 2002, S. 143 ff.
21)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, 4th National Environmental Policy Plan, a.a.O., 2001.
14
Bodenschutz in den Niederlanden
4. Bodenschutzpolitik in den Niederlanden
4.1 Einführung
Die Niederlande haben eine lange Tradition in der Nutzbarmachung des
Bodens – durch Entwässerung, Deichbau, Torfabbau, Rekultivierung, Düngung und Nivellierung des Bodenniveaus und Bewässerung. Das Ergebnis
ist ein Land, das ganz im Zeichen der menschlichen Gestaltung steht, mit
einer sehr produktiven Landwirtschaft und nur wenigen Wäldern oder natürlichen Gebieten. Das Bodenmanagement mit dem Ziel der Verhinderung
von Erosion, Senkung, Erdrutschen, Erschöpfung, Verdichtung, Überschwemmungen und andere Bodenschäden waren nicht immer erfolgreich.22
4.2 Entwicklung der Bodenschutzpolitik
Die Niederlande haben seit den 1970er Jahren eine systematische Bodenschutzpolitik betrieben und sind diffusen Stoffeinträgen und lokalen Bodenverunreinigungen, Versauerung und Eutrophierung mit zum Teil radikalen Programme und Maßnahmen auf dem Gebiet der Prävention, der
Forschung und der Sanierung begegnet.
Das Ziel der Bodenschutzpolitik in den Niederlanden war von Anbeginn an
der langfristige Schutz, das Management und die nachhaltige Nutzung des
Bodens. Politische Aufmerksamkeit erlangte der stoffliche Bodenschutz
durch einen Giftmüllskandal in Lekkerkerk (= Kirche an der Lek).23 Lek22)
Vgl.: Netherlands'position paper EU soil strategy sept. 2005,S. 4.
23)
Lekkerkerk ist ein Dorf der Gemeinde Nederlek in der niederländischen Provinz
Südholland. Die Gemeinde Nederlek besteht aus den beiden, entlang den Flussdeichen entstandenen, holländischen Dörfern Krimpen aan de Lek (= Krimp {Kurve} an
15
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kerkerk war 1980 der erste Ort in den Niederlanden in dem Boden unter
einem neu erbauten Wohnviertel ausgehoben und ersetzt werden musste,
da stark mit chemischen Abfällen kontaminierte Flächen als Baugrund für
ein Wohngebiet verwendet worden waren. Der Giftmüllskandal erregte im
ganzen Land erhebliches Aufsehen. Demzufolge lag seit den 1980er Jahren
der Schwerpunkt der Bodenschutzpolitik auf der Sanierung von Bodenkontaminationen.
Die Vorsoge vor Bodenverunreinigungen und der sorgsame Umgang mit
ausgehobener Erde und Baggergut kamen später hinzu. In einer formalen
Mitteilung "Letter setting out the new policy for soil"24, die vom Umweltministerium gemeinsam mit dem Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Lebensmittelqualität und dem Ministerium für Verkehr, öffentliche Arbeiten und Wasserwirtschaft an die Zweite Kammer Ende des Jahres 2003 gerichtet wurde, teilte die Regierung ihre neue Bodenpolitik mit.
Darin wurde zugleich der Plan für eine Erweiterung des Politikbereichs auf
andere Bodenqualitäten und damit der Link zu Planung, Naturschutz,
Wassermanagement und Landwirtschaft, angekündigt.25
In Bezug auf Kompetenzverteilung wurde in den Niederlanden systematisch das Konzept der Dezentralisierung verfolgt. Dezentralisierung bietet
aus holländischer Sicht bessere Möglichkeiten für Entscheidungen, die sich
lokalen Wünschen und Lösungen für spezifische Probleme zuwendet. Der
Zentralregierung obliegt die Aufgabe, die wichtigsten Linien der Bodenpolitik sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass der Boden von guter Qualität
ist und auf nachhaltiger Weise genutzt wird. Hinzu kommt die Kartierung.
Provinzbehörden und lokale Behörden implementieren die Politik der
der Lek) und Lekkerkerk (= Kirche an der Lek). Die beiden Dörfer leben von jeher
von der Landwirtschaft und der Flussschifffahrt. Inzwischen gibt es etwas Industrie,
und es haben sich Pendler angesiedelt, die täglich zu ihren Arbeitsstellen im nur etwa
12 km entfernten Rotterdam und Umgebung fahren. http://www.nederlek.nl/.
24)
Date Reference: BWL/2003 096 250.
25)
Die Mitteilung wurde im Unterhaus eingehend diskutiert. Im Februar wurden im
Parlament 50 Fragen zur neuen Bodenpolitik eingebracht. Das Ministerium reagierte
darauf am 26.3.2004. Die neue Politik wurde beschrieben, wie in der BodenpolitikMitteilung dargelegt, ausführlicher noch in einem Umsetzungsprogramm.
16
Bodenschutz in den Niederlanden
Zentralregierung und erarbeiten weitere Politikkonzepte für ihre Zuständigkeitsbereiche. Das Ministerium für Wohnungswesen, Raumplanung und
Umwelt ist zuständig für die Bodenschutzpolitik und unterstützt die Behörden der unteren Ebene bei der Umsetzung ihrer Politik. Das Ministerium für Landwirtschaft, Naturschutz und Lebensmittelqualität spielt eine
wichtige Rolle für die landwirtschaftlichen Flächen, die Naturschutzgebiete
und die Erhaltung der biologischen Vielfalt. Das Ministerium für Verkehr,
öffentliche Arbeiten und Wasserwirtschaft trägt die Hauptverantwortung
für die aquatischen Sedimenten und das Grundwasser.
4.3
Rechtliche Rahmen für die Bodenschutzpolitik
Der Umwelt- und Bodenschutz in den Niederlanden ist verfassungsrechtlich verankert. Die umweltschutzspezifische Staatszielbestimmung der
Verfassung von 1983 besagt in Art. 21, dass dem Staat die Sorge für die Bewohnbarkeit des Landes sowie für den Schutz und die Verbesserung der
natürlichen Umwelt obliegt26.
Der rechtliche Rahmen für die Bodenschutzpolitik ist das Bodenschutzgesetz (Wet bodembescherming: Wbb), erlassen im Jahr 1987 im Jahr 1994 novelliert, und das Umweltmanagementgesetz (Wet Milieubeheer: Wmb). Der
essentielle Ausgangspunkt der Vorschriften ist, dass sich die Qualität des
Bodens nicht verschlechtern darf und gegebenenfalls der Boden saniert
werden muss.
Wesentliche bodenschutzspezifische Regelungen in der Form von Rechtsverordnungen und Richtlinie für den Bodenschutz sind unter anderem:
– Das Dekret für die Lagerung in unterirdischen Öltanks: Am 15.1.1993
wurde als eine typische anlagenbezogene Bodenschutzregelung das
Dekret über die Lagerung in unterirdischen Tanks veröffentlicht, das seit
dem 1.3.1993 in Kraft ist.27 Unterirdische Tank sind nach § 1 Ziffer 1 des
26)
Verschuren, J.: Het Grondrecht op bescherming von het leefmilieu, Zwolle 1993.
27)
Decree of 1 July 1993, Bulletin of Acts, Orders and Decrees no. 414, containing rules
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Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Dekrets alle Behälter aus Stahl oder Kunststoff, die sich entweder vollständig oder teilweise im Boden oder in einem Hügel zusammen mit den
zugehörigen Rohrleitungen und Armaturen befinden.
– Das Deponien (Bodenschutz)-Dekret: Das Deponien(Bodenschutz)Dekret vom 20.1.199328 mit Vorschriften für die Ablagerung von Abfällen ist eine Verwaltungsvorschrift auf der Grundlage des Umweltmanagementgesetzes. Dieses Dekret richtet sich nicht unmittelbar an den Verantwortlichen für die Deponie, sondern an die zuständige Zulassungsbehörde. Das Dekret regelt nur die Nachbehandlung abgeschlossener
Deponien (§ 14 Wbb). Die Nachbehandlung ist weiterhin im Umweltmanagementgesetz (Kapitel 8, Abschnitt 8.3 und Kapitel 15, Abschnitt
15.11, unter A 1.3) geregelt.
– Das Baumaterialien (Boden- und Oberflächenwässerschutz) Dekret
(Bouwstoffenbesluit bodem- en oppervlaktewaterenbescherming: Bsb):
Das Baumaterialien Dekret vom 23.11.199529 regelt die Verwendung von
steinigen Materialien und Erden im Baugewerbe und anderen Gewerken
und trat am 1.1.1999 in Kraft. Das Dekret basiert auf dem Bodenschutzgesetz und dem Gesetz über die Verschmutzung der Oberflächenwässer,
§ 2930 basiert auf dem Gesetz für Wohnungswesen.31 "Baumaterialien"
werden definiert in § 1 Ziffer c Bsb: Materialien der Art, wie sie bei baurelating to the storage of liquids in underground tanks (1998 Storage in Underground
Tanks Decree).
28)
Decree of 20 January 1993, containing rules on the landfilling of waste (Bulletin of
Acts, Orders and Decrees 1993, 55) [amended by Decree 16 November 1993, Bulletin
of Acts, Orders and Decrees 606 and Decree of 5 January 1998, Bulletin of Acts, Orders and Decrees 22].
29)
Decree of 23 November 1995 (Bulletin of Acts, Orders and Decrees 1995, 567), containing regulations on the use of building materials on or in the soil or in surface waters - Building Materials (Soil and Surface Waters Protection) - Decree, as amended by
Royal Decree of 4 November 1997 (Bulletin of Acts, Orders and Decrees 525).
30)
§ 29 Bsb beruht auf § 120 des Gesetzes für das Wohnungswesen, der Basis für die
Transformation der Regelungen über die Implementation der "European Directive on
Construction Products" (Council Directive 89/106/EEC).
31)
Soil Directorate, Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment: Building Materials Decree. Texts and explanatory notes, The Hague 1999, S. 1.
18
Bodenschutz in den Niederlanden
lichen Arbeiten verwendet werden und in denen die Gesamtkonzentration von Silizium, Kalzium oder Aluminium insgesamt mehr als 10 %
(m/m) des Materials ausmacht.
Der Zweck des Baumaterialien Dekrets ist, die Verschmutzung der
Oberflächengewässer, des Grundwassers und des Bodens zu verhindern. Es enthält Vorschriften und Standards, die der Gewährleistung einer bestimmten Qualität der Baumaterialien, einschließlich der verwendeten Erden, dienen. Dieses Dekret betrifft alle Parteien, die bei Baumaßnahmen aller Art eine Rolle spielen, wie Hersteller und Anbieter
von Baumaterialien, lokale Behörden, die für Baugenehmigungen etc.
zuständig sind, Laboratorien, denen die Materialprüfung obliegt sowie
Zertifizierungsstellen etc. Auch Einzelpersonen können durch das Dekret - zum Beispiel bei der Erneuerung eines Hausdaches - berührt sein.
Ausländische Hersteller, die ihre Produkte in den Niederlanden verkaufen, müssen den Anforderungen des Baumaterialien-Dekrets entsprechen.32
– Das Dekret über das Ablassen/die Direkteinleitung von Flüssigkeiten in
den Boden.
– Die niederländische Richtlinie für den Bodenschutz bei industriellen Tätigkeiten (NRB). Die NRB beschreibt präventive Bodenschutzmaßnahmen und sonstige Maßnahmen für industrielle und betriebliche Aktivitäten und ist eine Anleitung für betrieblichen Bodenschutz. Die zuständige Behörde nutzt die Richtlinie für die Erteilung von Genehmigungen und für die Durchführung des Umweltmanagementgesetzes.
Nach der Bodenschutzrichtlinie sind für die Mehrheit der Unternehmen
32)
Die Einrichtungen (Labors und Prüfagenturen), welche die Qualität von Baumaterialien nach dem Dekret zu prüfen haben, werden vom Minister für Wohnungswesen,
Raumordnung und Umwelt und vom Minister für Verkehr, öffentliche Arbeiten und
Wasserwirtschaft designiert. Die Baumaterialien-Dekret-Qualitätsgarantie (Kwaliteitswaarborg Bouwstoffenbesluit) belegt, dass die Probenahme und/oder die Analyse korrekt und zuverlässig im Einklang mit den Protokollen und Vorgaben des Dekrets durchgeführt wurden.
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Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
in den Niederlanden die allgemeinen Vorschriften für die Betriebsführung anzuwenden.
Darüber hinaus finden sich weitere wichtige Regeln für die Sanierung in
der Form von so genannten Rundschreiben (Circular), so beispielsweise in
einem Rundschreiben vom 4.2.2000 "Ziel- und Interventionswerte für die
Bodensanierung".33 Diese Regelung legt fest, wann Sanierungsmaßnahmen
getroffen werden müssen.34
Die Regelung über finanzielle Bestimmungen für die Bodensanierung legt
die Beiträge an die zuständige Behörde fest, die für den nachsorgenden
Bodenschutz zu entrichten sind. Wichtige Regelungen für das Management
leicht kontaminierter Böden sind zudem im Baumaterialien Dekret
enthalten sowie einer Bestimmung über die "Erdbewegungs-Anwendungsbefreiung".
Zur Vorsorge gegenüber Bodenverunreinigungen tragen das Düngemittelgesetz und das Dekret betreffend organische Düngemittel (Qualität und
Nutzung) bei.
Weiterhin sind zahlreiche mediale staatliche und provinzielle Regelungen
bodenschutzdienlich.
Vor diesem Hintergrund stehen die Niederlande auf dem Standpunkt, dass
eine Europäische Bodenrahmenrichtlinie zwar ein geeignetes Mittel für den
Bodenschutz sei, diese jedoch noch unverbindlicher sein müsse, als der
Entwurf der Kommission, da es bereits viele nationale Regelungen gebe.35
Eine gute Bodenschutzstrategie könne die notwendige Kohäsion, den
politischen Erfolg und eine langfristige Perspektive der EU-Bodenschutz-
33)
Ministry of Housing, Spatial Planning and Environment: Circular on target values
and intervention values for soil remediation, February 4th, 2000, The Hague.
34)
Das Rundschreiben differenziert bezüglich der Dringlichkeit zwischen dem Beginn
des Sanierungsprozesses innerhalb von vier Jahren nach der formalen Entscheidung,
zwischen vier und zehn Jahren und nach mehr als zehn Jahren, aber vor dem Jahre
2025.
35)
http://www.forum-bodenschutz.de/eu_soil.php.
20
Bodenschutz in den Niederlanden
politik gewährleisten. Eine Bodenrahmenrichtlinie sei nicht erforderlich.
Die Niederlande befürworten eine Bodenschutzstrategie, die umgesetzt
werden kann über Empfehlungen oder ein Aktionsprogramm des Europäischen Parlaments und des Rates jedoch keine Richtlinie36.
4.4 Wesentliche Aspekte der neuen Bodenschutzpolitik
Die neue niederländische Bodenschutzpolitik wird den Schwerpunkt verstärkt auf eine bewusstere und nachhaltigere Nutzung des Bodens legen.
Damit wird intendiert, den praktischen Wert des Bodens zu bewahren.
Nachhaltige Bodennutzung soll umgesetzt werden.
– Verantwortliche Nutzung des Bodens bedeutet, dass alle Personen oder
Institutionen, die den Boden nutzen: Bürger, Landwirte, Planer, Projektentwickler, Naturschützer, lokale Behörden, Provinzbehörden, politische
Entscheidungsträger, oder wer auch immer Planungsaktivitäten entfaltet
oder für die Durchführung von Planungen auf oder in dem Boden verantwortlich ist, nicht nur berechtigt sind, den Boden zu nutzen, sondern
auch die Pflicht haben, den Boden mit Sorgfalt zu behandeln, auch unter
Berücksichtigung der Interessen Dritter. Der Nutzer des Bodens wird
daher künftig eine größere persönliche Verantwortung zu übernehmen
haben. Es ist sicherzustellen, dass die Nutzer des Bodens mit dieser Verantwortung umgehen können. Sie erhalten mehr Informationen über die
Qualität des Bodens und über die Nutzung des Bodens. Bürger und Unternehmen müssen künftig einen besseren und einfacheren Zugang zu
zuverlässigen Informationen über den Boden haben.
– Die lokalen Behörden und die Provinzialbehörden werden den Zustand
der Böden bei Planung und Entwicklung bewusster zu berücksichtigen
haben. Sie werden Entscheidungen über die Nutzung der Bodenoberfläche und des Untergrundes auf der Grundlage einer Bewertung der
Auswirkungen auf den Boden treffen. Die Akteure werden den Boden
zukünftig in einer bewussteren Art und Weise behandeln, in der Land36)
Vgl.: Netherlands'position paper EU soil strategy Sept. 2005, S. 2.
21
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
wirtschaft, beim Naturschutz und beim Wassermanagement. Der Boden
wird bewusster behandelt, weil der Wert des Bodens als Gemeingut betrachtet wird und auch künftig seine Funktionen erhalten bleiben müssen.
– Gemeinden, Provinzen und Wasserbehörden werden mehr Spielraum
für die Einführung von hilfreichen Lösungen auf ihren Gebieten haben.
– Bei der Planung und Entwicklung innerhalb ihrer Zuständigkeitsbereiche werden die örtlichen Behörden und die Provinzialbehörden die derzeitige Qualität des Bodens und die künftig erforderliche Qualität der
Böden für seine neue Verwendung zu Grunde legen. Die Maßnahmen
werden davon abhängig sein, von wem und wofür die Böden genutzt
werden: eine Fabrik kann auf stärker verunreinigtem Boden gebaut
werden als eine Spielstätte für Kinder. Die neue Bodenschutzpolitik profitiert von einem risikobasierten Ansatz, der die Wahrscheinlichkeit des
Auftretens, die Exposition oder die Streuung von Bodenkontaminationen berücksichtigt. Die angestrebte Qualität des Bodens wird in einem
Boden-Management-Plan oder einer sonstigen Festlegung der lokalen
Behörde bestimmt werden. Dieser beruht auf öffentlichen Konsultationen und unterliegt der demokratischen Kontrolle.
– Für die Bürger ist es wichtig zu wissen, dass auch sie verantwortlich für
eine transparente Entscheidungsfindung und Garanten für die Qualität
der neuen Bodenschutzpolitik sind.
– Die neue Bodenschutzpolitik soll sich aus einem Weniger an Vorschriften und einem Mehr an einfacher Politik für den Umgang mit (verunreinigten) Böden und Klärschlamm ergeben.
Die neue Bodenschutzpolitik wird Auswirkungen auf die Integration der
politischen Rahmenvorgaben für den Bodenschutz haben, wie sich aus dem
Memorandum "Vaste waarden, nieuwe vormen"37 ergibt. Aus der von der
37)
22
Parliamentary Documents II, 2002-2003, 28663, no. 1, a report implementing the
Fourth National Environmental Policy Plan.
Bodenschutz in den Niederlanden
Regierung dem Unterhaus des Parlaments vorgelegten Mitteilung über die
Änderung der Umweltvorschriften38 unter Beachtung der Politik für den
Boden ergeben sich weitere Einzelheiten. Das "Politik-Update" wird
umfangreiche Änderungen der Gesetze und sonstiger Regelungen in Bezug
auf den Boden begleiten, es wird dabei auf mehr Transparenz und mehr
Konsequenz abzielen und administrative Bürden reduzieren.
Diese Änderungen werden mit einer Inkorporation der Inhalte des Bodenschutzgesetzes in das Umweltmanagementgesetz verbunden. Durchführungsregelungen in anderen Bestimmungen werden konsolidiert oder
integriert. Die Verträglichkeit mit anderen Gesetzen und Regelungen
(insbesondere für die räumliche Planung, die Landwirtschaft und das
Wasser) soll integrierte Lösungen ermöglichen.
Die Regierung hat in ihrer Mitteilung über die neue Bodenpolitik39 einen
Überblick über die künftigen Bodenschutzregelungen, wie in Tabelle 1
dargestellt, vorgestellt:
Tabelle 1: Künftige Konzeption des Bodenschutzrechts
Aktuelle Rechtslage
Bodenschutzgesetz:
- Separates Gesetz neben dem
Umweltmanagementgesetz
Künftige Rechtslage
- Bodenschutzgesetz inkorporiert in
das Umweltmanagementgesetz
- Vorlage des Gesetzentwurfs für die
Implementation der BEVER (Aktualisierung der Politik der
Bodensanierung) an Unterhaus
des Parlaments im ersten Quartal
des Jahres 2004
38)
Parliamentary documents II, 2003-2004, 29 200 XI, no.7.
39)
BWL/2003 096 250.
23
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Vorsorgende Bodenschutzpolitik:
- Regeln für die Betriebe integriert in
Dekrete nach dem Umweltmanagementgesetz
- Sechs Dekrete nach dem Bodenschutzgesetz (Lagerung in unterirdischen Öltanks, Baumaterialien,
Düngemittel, Deponien, Abwassereinleitung, Infiltration)
Bodensanierung:
- Gesetzliche Regelung im Bodenschutzgesetz und im Stadterneuerungs(Investment)-Gesetz mit Regeln für die Durchführung (obligatorische Bodenerhebung, finanzielle
Bestimmungen) und Rundschreiben
(mit Ziel- und Interventionswerten,
Priorität, Methoden)
Erden und Baggerschlämme
- Einschlägigen Regelungen verstreut
und in mehreren Regelungen
enthalten: Baumaterialien Dekret,
Bodensanierungsdekret und
Anwendungsbefreiungs-Dekret
(alle nach dem Bodenschutzgesetz)
und Deponie-Verbote (nach dem
Umweltmanagementgesetz)
- Integration verstärkt durch Inkorporation in das Umweltmanagementgesetz
- Konsolidierung der Verordnungen
und Integration in andere Verordnungen
- Integrierter Rahmen (Umweltmanagementgesetz) für Altlasten
- Verbesserung der Bodenqualität und
der Vorschriften über Bodensanierung
und/oder Wiederverwendung von
Böden und Baggerschlämmen
- Grundprinzipien: Vernetzung mit
sozialen und räumlichen Prozessen,
Dezentralisierung, Differenzierung
des Aufwandes nach Risiken, Vereinfachung der Vorschriften und Reduzierung der Verwaltungskosten
Baumaterialien Dekret:
- Bestimmungen über primäre und
sekundäre Baumaterialien
einschließlich der Erden und
Baggerschlämme
- Erhebliche Vereinfachung der
Vorschriften für Baumaterialien in
einer übergreifenden Verordnung
Qualität der Implementation
- Maximaler Spielraum für die
Selbstregulierung durch die Parteien,
die für die Durchführung verantwortlich; Rahmenregelung im
Umweltmanagementgesetz
- Detaillierte Regelungen zur Minimierung der Risiken
24
Bodenschutz in den Niederlanden
4.5
Bodensanierungspolitik
Die Niederlande zielen darauf ab, das Problem der Bodenkontamination bis
zum Jahre 2025 in den Griff zu bekommen.
In der Bodensanierungspolitik spielen die Bodenwerte eine erhebliche
Rolle. Der Ausgangspunkt für die Festlegung von Qualitätsnormen für die
Umwelt- und Bodenschutzpolitik als Ganzes ist die Festlegung und Bewertung der jeweiligen Risiken. Dieser strategische Ansatz ist in dem Dokument "Prämissen für Risiko-Management" (Omgaan met risico's) festgelegt40.
Nach dem geltenden System der Qualitätsnormen werden drei Arten von
Bodenstandards für die Bodenqualität - Interventionswerte, indikative
Werte (Richtwerte) und Zielwerte - verwendet41.
Bondensanierung-Interventionswerte greifen ein, wenn die funktionalen
Eigenschaften des Bodens für den Menschen, die Flora und Fauna ernsthaft
beeinträchtigt oder gefährdet sind. Sie basieren auf umfangreichen Studien
über human-ökotoxikologische Auswirkungen von Bodenkontaminanten
des Nationalen Instituts für öffentliche Gesundheit und Umwelt (RIVM).
Allerdings weichen einige Interventionswerte in dem Rundschreiben
(Circular) für einige Stoffe von den Werten des RIVM ab. Den Grund dafür
bilden unter anderen Diskussionen über die verfügbaren Daten. Humantoxikologische Wirkungen wurden in Form von Konzentrationen im Boden
quantifiziert, welche das so genannte maximal zulässige Risiko (maximum
permissible risk: MPR) für Menschen überschritten. Für karzinogene Stoffe
entspricht es der tolerierbarer täglichen Aufnahmemengen (tolerable daily
intake: TDI). Für karzinogene Stoffe wird von der zusätzlichen Möglichkeit
des Tumors von 104 für die Dauer der Exposition ausgegangen. Weiter wird
davon ausgegangen, dass alle Expositionswege funktionsfähig sind.
40)
Vgl.: Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment (VROM), Lower
House of Parliament, parliamentary proceedings 1988-1989, 21 137, no. 5).
41)
Vgl.: Anhang zum Rundschreiben für Ziel- und Interventionswerte für Bodensanierung vom 4.2.2000 des VROM.
25
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Die Vorschläge für Interventionswerte des RIVM enthalten für eine Reihe
von Stoffen keine Interventionswerte, sondern so genannte indikative
Werte (Richtwerte) für ernsthafte Kontaminationen. Indikative Werte
wurden allerdings in keinem Fall für die in erster Linie gefährlichen Stoffe
angegeben. Für diese Stoffe gibt es keine standardisierten Messungen und
es stehen keine Analysen zur Verfügung. Bei den indikativen Werten
besteht für die Intervention ein höheres Maß an Unsicherheit. Der Status
der indikativen Ebenen entspricht folglich nicht dem Status der Intervention. Überschreitung oder Unterschreitung der unverbindlichen Ebene
haben daher keine unmittelbare Auswirkung auf die Entscheidung über die
Schwere der Kontamination, die von der zuständigen Behörde zu treffen
ist. Daraus ergibt sich, dass die Behörde auch andere Erwägungen bei der
Entscheidung darüber berücksichtigen soll, ob es sich um einen Fall von
schwerer Verunreinigung handelt.42
Die Zielwerte indizieren, auf welcher Ebene von einer nachhaltigen
Qualität des Bodens die Rede sein kann. Das bedeutet, dass die Zielwerte
zeigen, dass ein Niveau erreicht werden soll, das wieder die funktionalen
Eigenschaften des Bodens für den Menschen, die Flora und die Fauna
gewährleistet. Die Zielwerte ergeben sich aus dem "Integrated Environmental Quality Standards" (INS)-Projekt und wurden im Dezember 1997
vom VROM veröffentlicht43. Die INS-Zielwerte wurden mit einigen Ausnahmen in die Bodenqualitätsnormen aufgenommen. Die INS-Zielwerte
wurden auf der Basis der verfügbaren Risikoanalysen für die einzelnen
Substanzen festgelegt.44
Einzelheiten zu den niederländischen Bodenwerten, ihrer Herleitung und
den Analysemethode ergeben sich aus dem Anhang zum Rundschreiben
für Ziel- und Interventionswerte für Bodensanierung vom 4.2.2000 des
VROM.
42)
Anhang zum Rundschreiben vom 4.2.2000 des VROM, S. 3 f.
43)
VROM: Integrated Environmental Quality Standards project (INS) für Boden, Wasser,
Luft, 1997.
44)
Anhang zum Rundschreiben vom 4.2.2000 des VROM, S. 5.
26
Bodenschutz in den Niederlanden
Die Interventionswerte und die dementsprechenden Zielwerte für Boden/
Sediment und Grundwasser und die indikativen Werte für ernsthafte Kontamination des Bodens und die dementsprechenden Zielwerte für Boden/
Sediment und Grundwasser sind gleichfalls dem Rundschreiben vom
4.2.2000 des VROM in Bezug auf die einzelnen Stoffe in den Kategorien für
Metalle, anorganische Verbindungen, aromatische Verbindungen, polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), chlorierte Kohlenwasserstoffe, Pestizide und sonstige Kontaminanten zu entnehmen.
Wegen der umfangreichen Stoffpalette wird in der folgenden Tabelle 2 die
Wiederhabe auf für die Bodensanierung relevante Metalle beschränkt und
zwar jeweils auf Interventionswerte, indikative Werte und Zielwerte.
27
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Tabelle 2: Zielwerte, Bodensanierungs-Interventionswerte und indikative
Werte für ernsthafte Kontamination für Metalle
Erde/Sediment
(mg/kg Trockenmasse)*
Zielwerte
Antimon
BodensanierungInterventionswerte
Indikative
Werte
für
ernsthafte
Kontamination
Grundwasser
(µg/l liegen in der Lösung)
Zielwerte
flach
BodensanierungsInterventionswerte
tief
Indikative
Werte
für
ernsthafte
Kontamination
3
15
-
0,15
20
29
55
10
7,2
60
Barium
160
625
50
200
625
Cadmium
0,8
12
0,4
0,06
6
Chrom
100
380
1
2,5
30
Kobalt
9
240
20
0,7
100
Kupfer
36
190
15
1,3
75
Quecksilber
0,3
10
0,05
0,01
0,3
Blei
85
530
15
1,7
75
3
200
5
3,6
300
35
210
15
2,1
75
Zink
140
720
65
24
800
Beryllium
1,1
30
-
0,05
15
Selen
0,7
100
-
0,07
160
Tellur
-
600
-
-
70
Thallium
1
15
-
2
7
Zinn
-
900
-
2,2
50
42
250
-
1,2
70
-
15
-
-
40
Arsen
Molybdän
Nickel
Vanadium
Silber
* Werte für Boden/Sediment: Konzentration in einem Standardformat Boden –
10 % organische Stoffe und 25 % Ton.
28
Bodenschutz in den Niederlanden
4.6 Bemerkungen zur Sanierungspolitik in städtischen Bereichen
Die Verbesserung der städtischen Lebensqualität gehört in den Niederlanden zu einer der wichtigsten Aufgaben der Politik. Dazu gehört die
Sanierung von kontaminierten Flächen, den "Brownfields". Die Niederlande zählen in diesem Politikfeld zu den fortschrittlichsten Staaten.
Die OECD definiert städtische Brownfield-Standorte (urban brownfield
sites) als "leere, verlassene, untergenutzte Grundstücke in städtischen Gebieten mit tatsächlichen Bodenkontaminationen oder dem Risiko einer
Kontamination" ("vacant, derelict, underused lots in urban areas, with
actual soil contamination or risk of soil contamination").45
Städtische Brownfield-Standorte sind Flächen, auf denen in der Vergangenheit industrielle Tätigkeiten stattgefunden haben und deren industrielle Nutzung seitdem aufgegeben worden ist. Diese Flächen zeichnen
sich häufig durch eine mangelhafte soziale, wirtschaftliche und räumliche
Struktur aus. Durch eine Umstrukturierung der ökonomischen Entwicklung in diesen Gebieten kann die Situation dieser Standorte verbessert
werden.46
Die Sanierung aufgegebener Brownfield-Flächen steht seit Jahrzehnten auf
der politischen Agenda, weil nicht zuletzt die Flächenknappheit einen
relativen hohen Druck auf die Politik ausübt. Demzufolge hat in den Niederlanden die Bodensanierung einschließlich der Sanierung der städtischen
Brownfield-Standorte bereits seit mehreren Jahrzehnten in großem Umfang
stattgefunden.
Nach einer vergleichenden Studie über die Politik des Umgangs mit
städtischen Brownfield-Flächen, die von der OECD in Kooperation mit der
EPA und der ICMA47 unter Beteiligung der Niederlande durchgeführt
45)
Zandvoort Planning & Advice: Urban Brownfields, Auftrag: Ministerium für Wohnungswesen, Raumplanung und Umwelt, 1998, S. 5.
46)
Vgl.: Zandvoort Planning & Advice, Urban Brownfields, a.a.O., 1998, S. 5.
47)
ICMA =International Capital Markets Association.
29
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
worden ist48, sind Anzahl und Umfang der niederländischen BrownfieldStandorte im Vergleich zu anderen Ländern gering.49 Das wird vor allem
auf die lange Tradition der Planung und die relativ hohe Flächennachfrage
in den städtischen Gebieten der Niederlande zurückgeführt.
Die niederländischen Behörden haben ihre Sanierungspolitik seit den
späten 1980er Jahren entsprechend dem Leitziel der nachhaltigen Entwicklung betrieben. Sie ist durch einen integrierten Ansatz gekennzeichnet.
Zahlreiche Ressorts tragen zur Stadterneuerung einschließlich der Sanierung der Brownfield-Flächen bei50. Zahlreiche Programme wurden dazu
entwickelt51.
Mitte des Jahres 1997 kam es in der Stadterneuerungs- und Sanierungspolitik zu einer radikalen Änderung mit dem Ziel, mehr Standorte zu
dekontaminieren und schnellere Sanierungsverfahren zu ermöglichen.
Diese Politikänderung sollte zur Verbesserung sowohl der gesellschaftlichen als auch der ökologischen Effektivität führen. Intendiert war die so
genannte funktionsorientierte Sanierung52. Sie sollte schnellere Fortschritte
48)
Das Projekt wurde in der ersten Hälfte des Jahres 1997 von der OECD in Auftrag gegeben. Zu diesem Zweck hatte das niederländische Ministerium für Wohnungswesen, Raumplanung und Umwelt der Dienststelle "Zandvoort Planning & Advice" einen Auftrag erteilt. Das Papier skizziert die niederländische Politik im Hinblick auf
die Entwicklung der städtischen Brownfield-Standorte, insbesondere die Merkmale,
die charakteristisch für niederländische Politik sind.
49)
Städtische Brownfield-Standorte in den Niederlanden sind vor allem Industriestandorte, die nicht mehr genutzt werden oder in denen radikale Änderungen erfolgt sind,
insbesondere Standorte der Textilindustrie, Bergbau, Metallverarbeitung, Tabak,
Lack- und Druckindustrie, Werften und (veraltete) Hafenanlagen, wie in Amsterdam,
Rotterdam und Zaanstad.
50)
Eine Reihe von Ministerien - unter anderem das Ministerium für Wohnungswesen,
Raumplanung und Umwelt, Ministerium für Verkehr, öffentliche Arbeiten und Wasserwirtschaft, Ministerium für Wirtschaftsangelegenheiten und das Ministerium für
Inneres - sind bei der Umstrukturierung der Städte beteiligt. Vgl. Zandvoort Planning
& Advice, Urban Brownfields, a.a.O., 1998, S. 8.
51)
Beispielsweise: Schlüssel-Projekte (Sleutelprojecten); Stadt & Umwelt (Stad & Milieu);
Förderung der politischen Synergie "Qualität am Standort"; Stimulationsprogramm
Intensive Nutzung des Raums (StIR); Bodensanierungspolitik (BEVER Projekt) etc.
52)
Vgl.: Ministry of Housing, Spatial Planning and Environment: Interdepartmental pol-
30
Bodenschutz in den Niederlanden
in der Sanierung kontaminierter Flächen in einer umweltverträglichen Art
und Weise ermöglichen und die Kosten niedrig halten.53 Verbunden war
die Politikänderung mit der Einführung eines Systems der Mischfinanzierung.
In der bereits erwähnten Mitteilung der Regierung an das Parlament aus
dem Jahre 200354 wurde das Ziel einer nachhaltigen Flächenentwicklung
und -nutzung und ihre Verbindung mit verschiedenen Aspekten des
Bodenschutzes betont. Die Mitteilung bezieht sich ausdrücklich, auf die
Verknüpfung und Integration von Bodenschutz und Raumplanung (Flächennutzungsplanung und Planung unterirdischer Strukturen), Wassermanagement, Stadtentwicklung, Natur und Landwirtschaftspolitik. Seitdem wird in den Niederlanden auf allen Ebenen und in jeder Weise die
Leitlinie verfolgt, einen integrierten sektorübergreifenden Ansatz bezüglich
der Brownfield-Standorte zu verwirklichen55. Ein offener Planungsprozess
soll dazu verhelfen, dies zu erreichen. Wenn die unterschiedlichen Akteure
bereit sind, sich an der Entwicklung der jeweiligen Gebiete zu beteiligen, ist
ein integrierter Ansatz möglich.
icy review: Soil remediation, Letter from the minister containing the government
statement relating to the function-oriented and cost-effective approach to soil pollution, Den Haag, 3.12.1999, S. 5 ff.
53)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment: Cabinet position on updating soil remediation policy, based on the Interdepartmental Soil Remediation
Study, the Soil Remediation Policy Update (BEVER), Interim results reported by the
Environmental Management Act Evaluation Committee, 1997, S. 3 ff.
54)
BWL/2003 096 250 ("Letter setting out the new policy for soil").
55)
Vgl.: Zandvoort Planning & Advice, Urban Brownfields, a.a.O., 1998, S. 17.
31
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
5.
Bodenschutzrecht in den Niederlanden
5.1
Vorbemerkungen zum Bodenschutzrecht
Das Bodenschutzrecht der Niederlande56 wird aus inhaltlichen und
formalen Gründen und wegen seines Detailliertheitsgrades innerhalb der
EU-Staaten und auch auf internationaler Ebene als vorbildlich betrachtet.
Während die Regelungen anderer EU-Mitgliedstaaten, soweit sie sich
überhaupt dem Bodenschutz widmen, auf bestimmte Gefährdungen der
Böden fokussiert sind, stehen in den Niederlanden alle Arten der Bodengefährdung, einschließlich der Grundwasserverschmutzung, im Mittelpunkt.
Die Niederlande haben als erster Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft bereits 1982 mit dem vorläufigen Gesetz für die Bodensanierung
(Interimwet Bodemsanering)57 eine fortschrittliche Bodensanierungsregelung, erlassen, die seit 1983 gilt. Im Jahre 1983 wurde auf Initiative des
VROM der Begriff der "ernsten Gefahr" in dem Leitfaden zur Bodensanierung, der allseits bekannten "Holländischen Liste", durch in drei Kategorien klassifizierte Grenzwerte, seinerzeit die sog. A-, B- und C-Werte
56)
Vgl. zum Bodenschutzrecht auf europäischer Ebene bereits: Bückmann, W., Dreißigacker, H.-L., Eleveld, R., Lee, Y. H., Gerner, I., Mackensen, R., Maier, H.: Bodenschutz
in der Europäischen Union, Universitätsverlag der TU Berlin, Berlin 1994; Bückmann,
W., Damborg, A., Dreißigacker, H.-L., Eleveld, R., Lee, Y. H., Gerner, I., Mackensen,
R., Maier, H.: Entwicklung eines integrierten Steuerungssystems zum Schutz des Bodens in den EG-Staaten, Schlussbericht für die EG-Kommission, Band I: Gemeinsamer Teil, Berlin 1995; diess: Bodenschutz in Europa, Dreißigacker, H.-L. (Hrsg.), Carl
Heymanns Verlag, Köln, Berlin, Bonn, München 1997. Aktuelle vgl.: Lee, Y. H.,
Nachhaltiger Bodenschutz, a.a.O., 2006, S. 139 ff. (Zu den Niederlanden: S. 163 ff.).
57)
Interimwet Bodemsanering, Staatsblaad 1982, Nr. 763, spätere Vollreglung durch Wet
Bodemsanering vom 10.5.1994, Staatsblaaden 1994, Nrs 331, 332 en 333, inzwischen
mehrfach novelliert und um eingehende Regelungen über die Altlastensanierung angereichert.
32
Bodenschutz in den Niederlanden
(ABC-Liste), konkretisiert. Den Qualitätswerten der ABC-Liste fehlte allerdings eine wissenschaftliche Fundierung58, sie hatten als verwaltungsinterne Bestimmungen keine rechtliche Verbindlichkeit.
1987 wurden allgemein-verbindlich sogenannte "Referenzwerte für gute
Bodenqualität" für Schwermetalle im Boden eingeführt.59 Sie ersetzten die
A-Werte in der ABC-Liste.60 Die C-Werte, die Sanierungsbedürftigkeit indizieren, wurden seitdem "Interventionswerte" genannt. Die B-Werte bezeichneten die Notwendigkeit weiterer Untersuchungen.61
Am 10.5.1994 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Erweiterung des
Bodenschutzgesetzes mit eingehenden Sanierungsregelungen, die am 15.5.
1994 in Kraft traten62. Gleichzeitig wurde das Interimgesetz Bodensanierung aufgehoben. Am 1.1.1995 traten weitere Sanierungsregelungen in
Kraft. Dabei wurden Interventionswerte für die Bodensanierung festgelegt.
Als weitere Kategorie wurden sog. "Zielwerte" eingeführt, welche die maximale Konzentration eines Stoffes für eine "multifunktionale Bodenqualität"
anzeigen.
Der bis dato geltende Grundsatz der Multifunktionalität wurde durch
Entscheidung des niederländischen Kabinetts vom 16.6.199763, wie oben
bereits im Zusammenhang mit der Flächensanierungspolitik dargestellt, in
ein funktionsorientiertes Prinzip abgemildert.64 Die Sanierungspolitik zielt
somit darauf ab, sich alle Optionen offen zu halten, so dass in jedem
58)
Eleveld, R., Nijenhuis, J., Bodenschutzgesetz, a.a.O., 1996, S. 52.
59)
Ministry of Housing, Spatial Planning and Environment: Environmental Programme,
Progress Report 1988/91, Den Haag 1988, S. 27 ff.
60)
Vegter, J. J.: Development of soil and groundwater clean up standards in the Netherlands, Amsterdam 1992, S. 81 ff.
61)
Sandick, O. van: Policy and legal framework regarding contaminated sites in the
Netherlands, in: BMU, International Workshop on Contaminated Sites in the European Union: Policies and Strategies, Bonn 1994, S. 10-1 ff.
62)
Staatsblaaden 1994, Nrs 331, 332, en 333.
63)
Ministry of Housing, Spatial Planning and the Environment, Cabinet position, a.a.O.,
1997, S. 3.
64)
Lee, Y. H., Nachhaltiger Bodenschutz, a.a.O., 2006, S. 170.
33
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
individuellen Fall das Sanierungsziel in Abhängigkeit von der jeweils geplanten Nutzung bestimmt werden kann. Die Bodenqualitätswerte wurden
– bereits ausgeführt - durch das "Rundschreiben für Ziel- und Interventionswerte für Bodensanierung" vom 4.2.2000 auf den neuesten Stand
gebracht.
In Regelungen für diffuse Verschmutzung ist festgelegt, welche Einträge
und welche Verluste von landwirtschaftlichen Nährstoffen als akzeptabel
betrachtet werden.65 Die Systeme zur Bodenüberwachung sollen auf der
Grundlage systematischer Probenahmen und Analysen Informationen über
Veränderungen bei den für die Bodenfunktionen wichtigen Bodenparametern, wie Nährstoffstatus, organische Substanz, biologische Vielfalt und
Kontamination mit Schwermetallen liefern. In den Niederlanden werden,
ebenso wie in Österreich, Frankreich, Finnland, Schweden und dem
Vereinigten Königreich solche systematischen Überwachungen bereits in
einem Rhythmus von 5 bis 10 Jahren durchgeführt.66
Nach dem Umweltmanagementgesetz (Wmb) soll auch die Provinz einen
Plan für die Umweltpolitik aufstellen (§ 4.9). Gemäß § 4.14 Wmb soll die
provinzielle Verwaltung ein jährliches Umweltprogramm aufstellen und in
ihr Programm den aktuellen Plan für die Umweltpolitik einbeziehen. Alle
Bodenschutzbelange und Sanierungspläne sind in diesem provinziellen
Umweltplan und –programm integriert.
65)
KOM(2002) 179 endgültig, S. 1 ff.
66)
KOM(2002) 179 endgültig, S. 31.
34
Bodenschutz in den Niederlanden
5.2
Das niederländische Bodenschutzgesetz
5.2.1
Inhalte des Bodenschutzgesetzes
Das geltende Bodenschutzgesetz (Wet bodembescherming: Wbb) besteht
aus insgesamt XI Kapiteln. Die Kapitel I des Bodenschutzgesetzes (Allgemeines) enthält die Legaldefinition der wesentlichen Begriffe.
"Boden" im Sinne des Bodenschutzgesetzes ist nach § 1 Wbb der feste Teil
der Erde einschließlich der darin enthaltenen flüssigen und gasförmigen
Bestandteile und der Bodenorganismen. Das bedeutet, dass das Grundwasser ein Teil des Bodens ist.
Bodenschutz wird im Definitionsparagraphen, § 1 Wbb, umschrieben:
Bodenschutz ist Vorsorge, Abwehr oder Wiederherstellung der negativen
Veränderungen der Bodeneigenschaften, die zu einer Verringerung oder
Gefährdung der Funktionen des Bodens für Menschen, Flora und Fauna
führen können.
Im Kapitel II des Bodenschutzgesetzes "Technische Bodenschutz-Kommission" sind in den §§ 2 bis 5e der Aufgabenbereich der Technischen Bodenschutz-Kommission, Berichtpflicht (alle vier Jahre) an den Umweltminister,
Zusammensetzung, Amtszeit, Sitzungsverfahren etc. geregelt. §§ 2 und 2c
Wbb regeln die Einsetzung der Bodenschutz-Kommission, die für die
Regierung auf ausdrückliches Ersuchen oder aus sonstigen Anlässen,
Gutachten über Angelegenheiten des Bodenschutzes erstellt.
Kapitel III des Bodenschutzgesetzes, §§ 6 bis 20, enthält allgemeine Bestimmungen für den Schutz des Bodens.
Bezüglich konkreter Verwaltungsmaßnahmen zur Erreichung der Ziele des
Bodenschutzes enthalten die § 6 ff. Wbb umfangreiche Ermächtigungen
zum Erlass von Rechtsverordnungen. Gemäß § 6 Abs. 2 Wbb kann durch
Rechtsverordnung (unter anderem) der Eintrag bodengefährdender Substanzen in die Böden, die Ablagerung bodengefährdender Substanzen und
Abfälle auf den Böden, die Einleitung verunreinigter Wässer, und die
Aufbringung von Verbrennungsrückständen unterbunden werden.
35
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Gemäß § 7 Wbb kann durch Rechtsverordnung (unter anderem) der Eintrag
aller Stoffe und Düngemittel unterbunden werden, welche die Ertragsfähigkeit der Böden negativ beeinflussen. Es können nach § 8 Wbb durch
Rechtsverordnung die Durchführung bodengefährdender Aktivitäten auf
dem oder im Boden, insbesondere die Errichtung bodengefährdende Anlagen, unterirdischer Tanks, Pipelines udgl., die den Boden verunreinigen
oder beschädigen können, unterbunden werden.
§ 13 Wbb statuiert eine allgemeine Sorgfaltspflicht67. Jeder, der auf oder im
Boden Handlungen vornimmt, wie sie in den Vorschriften des Bodenschutzgesetzes näher umschrieben sind, und der weiß oder vermuten
konnte, dass durch diese Handlungen der Boden verunreinigt oder beeinträchtigt werden kann, ist verpflichtet, alle zumutbaren Maßnahmen zu
treffen, um die Verunreinigung oder die Beeinträchtigung des Bodens zu
vermeiden oder aber, wenn der Boden schon verunreinigt oder beeinträchtigt ist, dies soweit wie möglich einzuschränken, die Folgen zu
beseitigen und die Kontamination nach Möglichkeit wieder rückgängig zu
machen.68
Kapitel IV des Bodenschutzgesetzes - §§ 21 bis 63l - enthält allgemeine
Bestimmungen über den Umgang mit Bodenkontaminationen. Kapitel V
regelt in §§ 69 bis 72 den Dispens und die Ausnahmegenehmigung. Kapitel
VI enthält Bestimmungen über Erhebungen im Bereich des Bodenschutzes,
Kapitel VII finanzielle Bestimmungen und Kapitel VIII Verfahrensregelungen.
67)
Vgl.: Dresden, M. J.: Die Sorgfaltspflicht im Umweltrecht, in: Umwelt und Recht,
1989, S. 50 ff.
68)
Der Oberste Gerichtshof (Hoge Raad) hat in einem Urteil vom 26.10.1993, Nr. 94.699E
zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber durch Artikel 13 die Möglichkeit geschaffen hat, in Erwartung des Zustandekommens der auf den §§ 6-11 Wbb beruhenden allgemeinen Rechtsverordnungen, bereits vor Erlass strafrechtlich gegen bodengefährdende Handlungen vorzugehen.
36
Bodenschutz in den Niederlanden
5.2.2
5.2.2.1
Bodensanierungsregelungen
Zuständige Behörden
Die Aufgabe der Regierung beschränkt sich hauptsächlich auf die
Entwicklung übergreifender Bodenschutzregelungen und -strategien, die
für die Regionen zu beachten sind, ferner auf Sanierungen, deren Kosten
den Wert von ca. fünf Millionen EUR übersteigen, sowie auf die Festlegung
von Standards und Kriterien für die Entscheidungen der Regionen.69 Die
wichtigste Behördenebene bei Bodensanierungen sind die Provinzen und
die vier Metropolen. Ihnen werden von Dritten zu sanierende Grundstücke
zur Beurteilung vorgelegt, sie kann für Dritte eine Untersuchung, bzw. eine
Sanierung anordnen, sie stellt jährlich ein Sanierungsprogramm auf und
führt es aus.70 Die Umsetzung obliegt den lokalen und regionalen Verwaltungen.
Nach § 28 Abs. 1 Wbb sind Sanierungsvorhaben den zuständigen Behörden
der Regionen anzuzeigen. Nach § 28 Abs. 2 Wbb ist vor der Durchführung
die Bodenqualität zu untersuchen, um festzustellen, ob der Standort
ernsthaft gefährdet ist, in einem solchen Falle soll die Notifikation mit den
Untersuchungsergebnissen und einem Sanierungsplan verbunden werden.
Nach § 29 Abs. 2 Wbb entscheiden die zuständigen Behörden alsbald und
zwar spätestens innerhalb von fünfzehn Wochen nach Vorlage der
detaillierten Untersuchung über die Einzelheiten der Sanierung.
5.2.2.2
Sanierung
Die entscheidende Sanierungsbestimmung enthält § 38 Wbb. Nach § 38
Abs. 1 hat derjenige, der eine Bodensanierung vornimmt, die Sanierung in
einer Art und Weise durchzuführen, dass dadurch die Funktionen, die der
Boden für Menschen, Tiere und Pflanzen erfüllen muss, erhalten oder
wiederhergestellt werden.
69)
Sandick, O. van, Policy, a.a.O., 1994, S. 10-1 ff.
70)
Die Provinz kann nach § 53 Wbb, wenn eine Gemeinde einen entsprechenden Antrag
stellt, die Durchführung des provinzialen Bodensanierungsprogramms für ihren Zu-
37
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
Verantwortlich im Falle einer Untersuchungs- und/oder Sanierungsanordnung kann nach § 43 Abs. 3 Wbb nur der Verursacher sein. Bei einer
geringeren Verantwortlichkeit als 50 % wird dem Verursacher aufgetragen,
seinen Anteil an der Verunreinigung entweder zu sanieren oder – im Falle
einer Einigung mit der regionalen Regierung – zu verkaufen71. Auch dem
Eigentümer oder Langzeit-Pächter können gemäß § 43 Abs. 3 Untersuchungs- und Sanierungsanorderungen auferlegt werden, es sei denn, es
gelingt – als "relative Ausnahme" von der Sanierungspflicht – der Beweis
gemäß § 46 Wbb, dass keine Kontamination verursacht wurde, dass zu dem
Verursacher der Kontamination im Zeitpunkt der Verursachung keine
dauerhafte rechtliche Beziehung bestand oder dass bei Erwerb des Titels
von der Bodenkontamination keine Kenntnis bestand oder hätte bestehen
müssen. Eine absolute Ausnahme von einer Sanierungsanordnung besteht,
wenn nach § 38 Abs. 3 Wbb alle Maßnahmen zur Isolierung, Kontrolle und
Überwachung der Kontamination durchgeführt wurden oder der Standort
gemäß den Anforderungen des § 38 Abs. 1 bereits wiederhergestellt
wurde.72
Mögliche Verpflichtungen des Verursachers sind neben der Sanierung auch
die Untersuchung und die Beobachtung. Das Bodenschutzgesetz enthält
zudem diverse Instrumente zur Förderung von Untersuchungen der Böden
und zur Durchführung von Abhilfemaßnahmen durch die Verursacher,
Eigentümer oder Besitzer, die unter Umständen – falls aufgrund der Privatisierung keine freiwilligen Maßnahmen vorgenommen werden73 – nach
§ 43 Abs. 1 Wbb in Verbindung mit Abs. 2 zu einer Untersuchung gezwungen werden können.74
Der Sanierungsplan ist den zuständigen Behörden zur Zustimmung
vorzulegen. Mit der Durchführung des Sanierungsplans kann erst begonständigkeitsbereich der Gemeinde überlassen.
71)
Sandick, O., van, Policy, a.a.O., 1994, S. 10-5.
72)
Betlem, G.: The Dutch Soil Protection Act 1994, unveröffentlichtes Manuskript, Utrecht 1995, S. 5 f.
73)
Betlem, G., Dutch Soil Protection Act, a.a.O., 1995, S. 5.
74)
Sandick, O., van, Policy, a.a.O., 1994, S. 10-2 f.
38
Bodenschutz in den Niederlanden
nen werden, wenn diese dem Plan zugestimmt haben. Von Interesse ist die
Bestimmung des § 39 Wbb über den Sanierungsplan, der folgende Angaben
zu enthalten hat:
a. Sanierungstechnik;
b. angestrebte Bodenqualität;
c. nach der Sanierung mögliche Bodennutzungen;
d. Kosten der Sanierung und Überblick über für die vorhandenen Mittel;
e. Ablagerungsort des in situ sanierten Bodens oder Bestimmungsort des
rückgehaltenen kontaminierten Grundwassers;
f. Maßnahmen, die behördlicherseits nach der Sanierung für erforderlich
gehalten werden.
Die Verteilung der Kosten auf die beteiligten Behörden wird anteilig,
abhängig von der Einwohnerzahl, berechnet. Jedes Jahr wird von den Provinzen ein Bodensanierungsprogramm aufgestellt, das eine Liste der prioritären Sanierungsfälle enthält.75
Die Anwendung der Bodenschutzregelungen bereitet insofern Schwierigkeiten, als zum Teil nicht hinreichend deutlich geregelt ist, ob und welche
medialen Vorschriften als Spezialgesetz vorgehen.76
75)
Haan, F. A. M., Zee, S. E. A. T. M. van der: Soil Protection: The Dutch Case, in: Kiss,
A., Shelton, D.: Manual of European Environmental Law, 2. Auflage Cambridge
(England), New York 1997, S. 213 ff.
76)
Einige Vorschriften des Gesetzes gelten nicht, wenn speziellere Vorschriften anderer
Gesetze eingreifen (Bergbau-Gesetz, Gesetz über Pestizide, Gesetz über Kernenergie,
Gesetz über den Bergbau auf dem Festland, Gesetz über die Verschmutzung von
Oberflächengewässern u.s.w.).
39
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
5.3
Sonstige bodenschutzdienliche Gesetze
Von wesentlicher Bedeutung für den Bodenschutz ist das Umweltmanagementgesetz, vor allem durch die darin geregelten präventiven Bodenschutzmaßnahmen, insbesondere die nationalen, regionalen und kommunalen Umweltpläne und –programme (§§ 4.1 - 4.24). Für den stofflichen
Bodenschutz von Interesse sind unter anderem der Abschnitt 8.3
"Regelungen betreffend abgeschlossene Deponiestandorte" (§§ 8.47 – 8.51)
und Kapitel 5 "Umweltqualitätsanforderungen" (§§ 5.1 – 5.5). Kapitel 7 des
Umweltmanagementgesetzes, §§ 7.1 bis 7.43, enthält detaillierte Bestimmungen über die Umweltverträglichkeitsprüfung, die einen nicht unerheblichen Beitrag für den Schutz des Bodens leistet.
Neben den Regelungen des Bodenschutzgesetzes enthalten weitere mediale
Normen Regelungen, die für den Schutz des Bodens von Bedeutung sind.
Das gilt in erster Linie für das Wasser- und das Abfallrecht. Das niederländische Wasserrecht umfasst ein Instrumentarium, das die Erhaltung der
Qualität der Gewässer und den Schutz der Gewässer vor Kontaminationen
gewährleistet. Ziele und Instrumente des Gesetzes schützen auch gleichzeitig mit dem Wasser den Boden. Die Kernbestimmungen des Wasserrechts enthält das Gesetz über die Verschmutzung der Oberflächenwässer.
Bodenschutzdienlich sind weiterhin das Grundwassergesetz und das Tierdunggesetz. Für den Abfallbereich galt bis zum Inkrafttreten des medienübergreifenden Umweltschutzgesetzes das Abfallbeseitigungsgesetz von
1977, das jedoch mit einem eigenen Abschnitt in das medienübergreifende
Umweltschutzgesetz aufgenommen worden ist.
Für das nichtstoffliche Bodenschutzrecht ist das Raumplanungsrecht von
Bedeutung, das vor allem im Raumordnungsgesetz von 1962 und den dazu
ergangenen Novellen seine Regelung gefunden hat. Das Instrumentarium
dieses Gesetzes wird zum Teil in den Niederlanden – wie dies auch für
andere Rechtssysteme verbreitet angenommen wird – als das ausschlaggebende Regelwerk für den Umweltschutz betrachtet.77
77)
40
Vgl.: Otten, F. P. M.: Ruimtelijke Ordening en Milieubeheer, Gravenhage 1980.
Bodenschutz in den Niederlanden
Von großem Belang für den Bodenschutz ist schließlich das Naturschutzgesetz von 1967, dass allerdings nicht über eine Eingriffsregelung verfügt.
Älteren Datums als das Naturschutzrecht ist das Forstschutzrecht, das
bereits auf das Jahr 1917 zurückgeht. Das geltende Waldgesetz stammt aus
dem Jahre 1961. Daneben sind weitere spezielle Gesetze, die Eingriffe in
Natur und Landschaft begrenzen, einschlägig, wie das Berggesetz und das
Abgrabungsgesetz.
41
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
6. Abschließende Bemerkungen
Der niederländische Bodenschutz ist nicht nur durch das Bodenschutzgesetz nebst unterrechtlichen Regelungen gewährleistet, das im Gegensatz
zum deutschen Recht keinerlei Einschränkungen und Subsidiaritäten
zugunsten anderer Umweltmedien kennt, sondern eine vorbildliche
Vollregelung darstellt.
In den Niederlanden sind gesetzliche Vorschriften für die Sanierung des
Bodens bereits im Jahre 1983 in Kraft getreten. Es folgten in den folgenden
Jahren eine ganze Reihe von Durchführungsregelungen im Zusammenhang
mit Gülle, Öllager, Versickerungen, Einleitungen, Baumaterialien, Analyse
und der Sanierung des Bodens und Verwendung von Kunstdünger. In den
letzten Jahren hat sich im Zusammenhang mit dem Klimawandel (Boden
als Quelle und Senke von Treibhausgasen) und dem Verlust der biologischen Vielfalt in den Böden die Aufmerksamkeit für den Schutz der Böden
erhöht, was zu wirksamen rechtlichen und unterrechtlichen Regelungen
führte. So ist die niederländische Zurückhaltung gegenüber Regelungsabsichten der europäischen Ebene verständlich, wenngleich diese inzwischen so verwässert sind, dass sie auch für das niederländische System
keinen Schaden anrichten können.
Ein wesentliches strategisches Instrument für die Problemerkennung und
Politikformulierung ist die Planung78, die in fast allen Politikbereichen eine
wesentliche Rolle spielt. Die nationalen Umweltpolitikpläne stellen die
78)
42
Die Funktion der Planung im politischen Raum ist allgemein die Vorsorge im weitesten Sinne, Vorsorge gegenüber Risiken für die Gesellschaft, Vorsorge gegenüber gefahrdrohenden Entwicklungen. Vgl. Lee, Y. H.: Verhaltenssteuerung durch Planung
im Bereich des Bodenschutzes – Brückenfunktion der Planung im Kontext von Politik, Recht und Verhalten, in: Steuerungsfunktionen von Recht, Politik, Planung und
Information am Beispiel des Bodenschutzes, Universitätsverlag der TU Berlin, Berlin
1999, S. 123 ff.
Bodenschutz in den Niederlanden
Regel und nicht die Ausnahme dar. Die hervorstechenden strategischen
Aspekte der niederländischen Umweltpolitikpläne liegen in der konsequenten Zielorientierung, im praktizierten Konsens- und Kooperationsprinzip und in der Operationalität. Alles dies und die explizite Einbindung von
mit der operationalen Ebene verbundenen Finanzierungsfestlegungen
gewährleisten gleichzeitig die Vollzugsorientierung, insbesondere durch
Vorwegnahme möglicher Kollisionen konfligierender Interessen. Planung
in den Niederlanden ist, wie in der Republik Korea und Japan, ein
bewährtes und von den Akteuren akzeptiertes wichtiges Instrument für
Problemlösungen.
Die Niederlande befinden sich derzeit in einer Phase einer umfassenden
Neuorientierung des Umweltschutzes und damit auch des Bodenschutzes,
wie aus Tabelle 1 entnommen werden kann. Motto sind unter anderem:
Vereinfachung der Vorschriften im Interesse der besseren Implementation,
Reduzierung des Verwaltungsaufwandes; mehr Dezentralisierung der
Entscheidungsbefugnisse; verstärkte Integration; mehr Flexibilität; mehr
Transparenz und Effizienzerhöhung. Die Niederlande befürchten daher,
dass sich die Europäische Bodenrahmenrichtlinie eher als kontraproduktiv
erweisen kann.
Die Niederlande haben mehrfach darauf hingewiesen, dass politische
Maßnahmen für den Schutz von Böden und Gewährleistung der nachhaltigen Bodennutzung auf europäischer Ebene wichtig – in der Tat auch
notwendig sind. So unterstützen und begrüßen die Niederlande die EUPläne zur Schaffung eines Rahmens für die nachhaltige Nutzung und
Bewirtschaftung des Bodens. Deswegen gibt es nach wie vor, wie ausgeführt, die politische Beantwortung einer europäischen Bodenschutzstrategie, allerdings nicht einer Richtlinie.79
Es ist zu hoffen, dass der im Gange befindliche Umstrukturierungsprozess
des Umweltrechts das europaweit mustergültige Bodenschutzrechtsregime
nicht schwächt, sondern bereichert und dass der niederländische Boden-
79)
Vgl.: Netherlands' position paper EU soil strategy Sept. 2005.
43
Yeong Heui Lee & Walter Bückmann
schutz nach wie vor positives Musterbeispiel bleiben wird. Nachhaltige
Entwicklung ist das Kernziel der staatlichen Entwicklung der Niederlande.
Ziel des Bodenschutzes ist die nachhaltigen Bodennutzung und nachhaltige
Bodenbewirtschaftung. Das ist für die Niederlande eine unabdingbare
Aufgabe, die allerdings zunehmend schwieriger werden wird, je mehr die
Böden global, in den Niederlanden vor allem durch den Anstieg der
Meeresspiegel, gefährdet sind.
44