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I m p r e s s i o n e n e i n e r f ü n f m o n at i g e n Ü b e r l a n d r e i s e Text und Fotos: Samuel Schlaefli Ostafrika wird bei uns im Westen oft mit Dürren, Gewalt und Armut assoziiert. Das ist die eine traurige Seite einer Weltgegend in stetigem Umbruch. Doch hinter dem offensichtlichen Elend verbergen sich faszinierende Widersprüche, dramatische Landschaften und Menschen, die ihre oft unwürdigen Lebensumstände mit einer unglaublichen Würde tragen. Der Journalist Samuel Schlaefli erzählt in Momentaufnahmen von seiner Reise von Äthiopien ans Kap der Guten Hoffnung. 46 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2012 afrika Allabendliche Hyänenfütterung vor den Toren Harars. verlassenen Wüste herausragend. Nicht unähnlich den Kasbahs, die mich vor Jahren in Marokko in Staunen versetzt hatten. Doch während meiner Einfahrt in Harar zerbröselt mein literarisch verklärtes Bild sogleich. Zwar gibt es nach wie vor einen historischen Kern, doch wirkt er, eingeklemmt zwischen lauter Wellblechsiedlungen und Betongeschwüren neueren Datums, etwas verloren. Nur die gefrässigen Geier, die schon Theroux beschrieben hatte, kreisen auf der Suche nach einem Fetzen Fleisch auch heute noch über den Stadtmauern. In Addis Abeba im Westen, wo ich herkomme, war die Natur grün und das Klima feucht. In Harar ist es heiss und trocken. Die Umgebung ist karg. Ein Klima wie geschaffen für Schirmakazien, Kamele und Khat. Letzteres ist ein Busch mit dunkelgrünen Blättern, nicht unähnlich dem Lorbeer. Wer die Blätter längere Zeit kaut, wird leicht euphorisiert. Die Annäherung ans Zentrum des äthiopischen Khat-Anbaus hatte sich bereits im Bus durch einen lichten Teppich aus grünen Zweigen auf dem Boden angekündigt, dem Abfall, den die Kauenden zurückgelassen hatten. Nach der zehnstündigen Fahrt trinke ich vor dem Kim Café einen Macchiato, einen Espresso mit Milchschaum, der in Äthiopien etwa dieselbe soziale und tagesstrukturierende Funktion hat wie der Minzentee in Marokko. Ein junger Typ mit glänzenden Augen steckt mir einige Zweige Khat entgegen. Es schmeckt, wie es aussieht: Als würde man in einen Busch beissen. Kath ist bitter und trocknet den Mund Stadt des Khat und der domestizierten Hyänen Harar, Äthiopien, September 2011 Wären im 16. Jahrhundert nicht die Portugiesen den orthodoxen Christen zu Hilfe geeilt, wäre Äthiopien heute wahrscheinlich muslimisch. Der gefürchtete Kriegstreiber Ahmed Gragn hatte kurz davor seinen Dschihad in Harar begonnen, im äussersten Osten des Landes, rund 100 Kilometer von der Grenze zum heutigen Somaliland entfernt. Bis heute ist Harar das muslimische Zentrum Äthiopiens. Im Roman «Dark Star Safari» zeichnet der amerikanische Reiseautor Paul Theroux ein mystisches Bild der Stadt. Basierend auf seinen Erzählungen hatte ich mir eine Art riesige Sandburg vorgestellt, aus der ockerfarbenen Erde erschaffen und aus dem Niemandsland einer Auf dem Markt von Harar. aus. Mittlerweile gehört das Grünzeug zu den Hauptexportgütern Äthiopiens, und auf dem lebendigen Markt im Zentrum Harars werden neben allerlei Tomaten, Kohl, Zuckerrohr, Kartoffeln und chinesischem Ramsch in erster Linie grüne Büschel aus dem lokalen Anbau verkauft. Das grosse Kauen beginnt bereits frühmorgens. Die Herren fläzen Daniel Felekes Wunsch: Dokumentarfilm drehen. sich vor den kleinen Teeshops oder vor ihren Geschäften und kauen sich in eine angenehme Redseligkeit. Am frühen Nachmittag beschleicht mich das Gefühl, als sei die halbe Stadt mit nichts anderem mehr beschäftigt. Abends sind die Gehsteige von gezupften Zweigen übersät, an denen sich herumstreunende Ziegen erfreuen. In Harar lasse ich mich zu etwas hinreissen, das ich sonst nie mache: Ich nehme mir zur Erkundung des historischen Stadtkerns einen Guide. Es hat sich einfach so ergeben: Daniel Feleke, ein Mitzwanziger, teilt mir am Nachmittag meiner Ankunft mit, er wolle mit mir ein wenig Geld verdienen. Er ist mir sofort sympathisch – unter anderem weil er mich mit seiner JohnLennon-Brille und klugen Art an einen guten Freund in der Schweiz erinnert. Daniel ist in Harar aufgewachsen und lebt hier zusammen mit seiner Mum, den beiden Schwestern und Brüdern. Wo sein Vater ist, weiss er nicht und will es auch gar nicht wissen. Daniel schreibt Novellen und möchte irgendwann einen Dokumentarfilm über seine Heimatstadt drehen. 47 Harar: Nur in der Imagination eine aus der Wüste ragende Sandburg – in der Realität trotzdem faszinierend. 500 Kilometer Schlaglöcher und Dürre Überlandfahrt von Äthiopien nach Kenia, Mitte Oktober 2011 Nachmittags wird Khat gekaut. Wir streifen einen Vormittag lang gemeinsam durch die engen Gassen des alten Zentrums, in welchem meist mehrere befreundete Familien in arabischer Manier um einen zentralen Innenhof wohnen. Ihre Häuser sind den Blicken von Fremden durch hohe Mauern entzogen. Immer zum Ramadan würden die bröckelnden, aus Eukalyptus und Lehm errichteten Mauern und Gebäude wieder renoviert, erzählt Daniel. In den Gemäuern finden sich oft auch kleine Moscheen. Die Stadt fasziniert mich, trotz anfänglicher Enttäuschung, mit ihrem Eigensinn. Dazu gehört auch der Brauch, die Hyänen, die Nacht für Nacht vor den Stadttoren herumlungern, mit Schlachtabfällen zu füttern. So werden sie davon abgehalten, auf Essenssuche durch die Stadt zu streunen. Theroux hatte in seinem Roman gefürchtete Biester beschrieben, deren Besänftigung sich nur die waghalsigsten Männer der Stadt widmen. Doch zu meiner Enttäuschung sind die «Biester» mittlerweile dermassen zahm und domestiziert, dass von ihrer Gefährlichkeit, die an den enormen Kieferknochen durchaus zu erahnen ist, nicht mehr viel rüberkommt. Da nützt es auch nichts, dass sich die Hyänenfütterer die Fleischstücke von den Tieren – zur Schau für den «Ferenji» (den Weissen) – aus dem Mund reissen lassen. 48 In Moyale, meinem Eintrittstor von Äthiopien nach Kenia, fragt mich ein älterer Amerikaner, der soeben im Dorf angekommen ist und ziemlich fertig wirkt, nach meinem Ziel. Seine gestrige Route steht bei mir morgen auf dem Programm, worauf er meint: «Oh man, you ain't seen nothing yet!» Die 500 Kilometer lange Piste von Moyale nach Isiolo, der ersten grösseren Siedlung im Norden Kenias, gilt als das schlimmste Stück Strasse Ostafrikas. Die Strecke wird heute nur noch von Land Cruisern und sechsrädrigen Mitsubishi-Trucks befahren. Wer sich das Stück Niemandsland antun will, muss selbstständig einen Transport organisieren. Man rät mir zudem, etwas Proviant einzukaufen. Entlang der Strecke gäbe es zwar durchaus einige Verpflegungsmöglichkeiten, doch die Wahrscheinlichkeit, irgendwo steckenzubleiben, sei relativ hoch. Lange feilsche ich zusammen mit anderen Passagieren mit einem Lastwagenfahrer und dessen Mittelsmann um den Mitfahrpreis für den Transport nach Kenia. Nach zwei Stunden Warten kriege ich für 2500 Schilling, rund 25 Dollar, einen Platz in der Fahrerkabine zugewiesen, die ich mit dem Chauffeur, einem zusätzlichen Fahrgast und einer jungen Familie teile. Acht weitere Mitfahrer sitzen entweder auf dem Kabinendach oder liegen auf Bohnensäcken, die wir geladen haben. Das Brummen des Motors wird während der kommenden 26 Stunden zu unserem kleinen gemeinsamen Mikrokosmos. Eigentlich wäre ich auch lieber auf dem Dach, denn der Chauffeur ist ein mürrischer Misanthrop, der mich nur mit «hey, white man» anspricht und die jungen Eltern anherrscht, sobald der Kleine mal pinkeln muss. Er kaut Büschel um Büschel Khat, um sich wach zu halten, steckt sich von Zeit zu Zeit einen Wurm Kautabak unter die Lippe und spuckt im Halbminutentakt aus dem Fenster. Kurz nach Moyale beginnen die berüchtigten Schlaglöcher, gross wie Basketbälle. Wo die Piste einst befestigt war, liegen heute nur noch vereinzelte Teerfetzen. Im Schritttempo dringen wir in eine über weite Strecken unbewohnte Steppe ein, die je länger, je karger wird und nahtlos in eine Steinwüste übergeht. Zu Beginn verfolgen uns noch einige Baboons, später kommen wir an kleinen Karawanen mit mageren Kamelen vorbei. Danach sehe ich lange Zeit keine Tiere mehr – nur noch Kadaver von Antilopen, die auf der Sandpiste kleben, und überall Fetzen von zerrissenen Pneus. Die Trucks auf dieser Strecke sind ein konstantes «work in progress». Wir führen auf der Ladefläche zwei blutjunge Mechaniker mit, die sich auch als Statisten in einem Piratenfilm gut gemacht hätten. Mit Buschmessern schneiden sie von Zeit zu Zeit einen Lappen vom Pneu ab, den die spitzen Steine auf der Strasse aus dem Gummi geschält haben. Dreimal müssen sie auf der Strecke ein Rad wechseln, wobei mir beim Betrachten der Reserveräder jeweils nicht ganz klar ist, ob der Wechsel tatsächlich eine Besserung ist. In unregelmässigen Abständen steht ein gestrandeter Lastwagen im Niemandsland. Einmal stehen Männer im Kreis um eine Kurbelwelle, die sie aus dem Gefährt operiert haben und zu flicken versuchen. Am Horizont stundenlang ein klarer Strich, der die vom Wind leergefegte Wüste vom blauen Himmel trennt. Eine dramatische und eindrückliche Landschaft für den Reisenden – ein purer Albtraum für die Nomaden, die nach wie vor durch diese Wüste ziehen, um ein Stück Halbzeit der langen Fahrt. Bald wird kein Grün mehr sichtbar sein. afrika Die mitfahrenden Mechaniker bei einem von drei Reifenwechseln. Die ruhige Schwester Sansibars Insel Pemba, Ende November 2011 Bauern lauschen den Worten von Helfern zum Thema Dürre. Grasfläche für ihre Vieh- oder Kamelherden zu finden. Die Menschen hier leiden genauso wie ihre Nachbarn in Somalia und Äthiopien an der seit August herrschenden katastrophalen Dürre. In der Vergangenheit ist es auf der Strecke zwischen Moyale und Isiolo immer wieder zu Überfällen durch Banditen gekommen. Seit die Strecke vom kenianischen Militär rudimentär gesichert wird, ist die Situation besser. Wir passieren sechs Checkpoints, und auf meine Frage hin, wie es um die Sicherheit in der Gegend steht, erzählt mir einer der Soldaten, dass es in der Nähe von Isiolo am Vortag zu Schiessereien gekommen sei. Doch kein Grund zur Sorge, meint er, wir würden auf diesem Abschnitt von der Polizei eskortiert. Das werden wir zwar nicht, doch glücklicherweise bekommen wir von den Ausschreitungen aber nichts mit. Im Gegenteil: Die Einfahrt in Isiolo frühmorgens gehört nach einer schlaflosen, durchrüttelten Nacht zu den Höhepunkten meiner Reise. Im Morgenrot erkenne ich in den niederen Büschen plötzlich eine Giraffenherde. Und vor mir taucht aus der schnurgeraden Ebene der Mount Kenia auf – ein Koloss von einem Berg. Es ist ein Bild wie aus dem Safarikatalog, ein Stück heile Urwelt. Auf der Weiterfahrt nach Nanyuki werden die Strassen allmählich besser, die Umgebung wird grüner und das Klima wieder lebensbejahend. Am Abend in Nanyuki lese ich in der «Daily Nation» von einem getöteten Polizisten und abgebrannten Hütten um Isiolo: Kämpfe um Viehherden zwischen unterschiedlichen Stämmen, wie mir später Bekannte in Kenia erklären. Grauen und Schönheit liegen in Ostafrika oft sehr nahe beieinander. Sansibar ist, abgesehen von der historischen Hauptstadt Stone Town, über weite Strecken der Horror jedes Abenteurers. Die paradiesischen Strandgemeinden sind so austauschbar wie die trockenen Samosas, die man auf der Insel an jeder Strassenecke kriegt. Man könnte auch in Ko Samui oder Goa sein. Die Gegenwelt dazu findet sich auf der kleinen Schwesterinsel Pemba, drei Stunden Fähre von Sansibar entfernt. Das eigensinnige Fischervolk würde sich gegen zu viel Entwicklung und touristische Infrastruktur wehren, hatte mir ein Tourenorganisator erzählt. Tatsächlich muss man sich die Schätze dieser Insel, die unglaublich fruchtbare und unberührte Natur sowie die Hilfsbereitschaft der Menschen erst erkämpfen. Auf Pemba ist es brütend heiss und tropisch feucht. Schwitzen ist hier nicht mehr an eine Tätigkeit gekoppelt, sondern ein Dauerzustand. Auf den Ladeflächen von kleinen Lastern, den einzigen öffentlichen Verkehrsmitteln, sitzen die Menschen mehr aufeinander als nebeneinander und es riecht nach Schweiss, Fisch und Nelken. Letztere liegen vor den Lehmhäusern auf Plachen ausgebreitet zum Trocknen – die frisch gepflückten Stäbchen grün, die halbtrockenen rot und die trockenen schwarz. Die wassergesättigte Luft der gesamten Insel ist durchtränkt von ihrem süssen, frischen Parfüm. Ich und Sarah, die mich von Uganda bis nach Tansania begleitet, sind die einzigen Touristen in Wete, einem Städtchen im Nordwesten der Insel. Vielleicht weil hier Flut und Ebbe besonders stark und die Strände steinig und voller Seegras sind. Unser Plan war es, später von hier aus direkt nach Tanga auf dem Festland Tansanias überzusetzen, wenige Stunden von Dar es Salaam entfernt. Dass es keine offizielle Fährverbindung gibt, wussten wir. Doch wir vertrauten darauf, eine Mitfahrgelegenheit in einer kleinen «Dhow», einem traditionellen Holzsegelschiff, oder einem Frachter zu finden. Dafür gehen wir hinunter zum kleinen Hafen, dort, wo in den Baumwipfeln tagsüber die «Flying foxes» schlafen, eine Art übergrosse Fledermaus mit einem fuchsähnlichen Kopf, die auf Ostafrikas Inseln heimisch sind. Kaum Abendstimmung im Hafen von Wete auf der Insel Pemba. Der einzige Basketballkorb hängt in einer improvisierten Mehrzweckhalle. sommer 2012 GLOBETROTTER-MAGAZIN 49 Omar, Immigration Officer am Hafen. deren reife Früchte von Kindern von den Ästen geschüttelt werden, Hügel voller Bananenstauden, Kokospalmen, Zitronenbäume und Äcker, bepflanzt mit Papayabäumen. Auf den Märkten werden Zwiebeln, Tomaten, Orangen, Avocados und Zuckerrohr feilgeboten. Hinzu kommen grillierte Muschelspiesse und getrocknete Tintenfische. Diese werden, in einer Suppe eingeweicht, gerne auch zum Frühstück verspeist. Wir radeln über einen kleinen Weg durch das «Ngezi Vumawimbi Forest Reserve», ein Stück geschützter Regenwald. Colobus-Äffchen mit ihren weiss umrahmten Trauergesichtern und Vögel in grellen Farben begleiten uns. Von mächtigen Bäumen tropft kondensiertes Wasser, und der Farn am Wegrand ist so hoch, dass er ein hübsches Spalier bildet. Verdrehte Lianen zwischen den Bäumen sind kleine Kunstwerke und die pechschwarzen Tausendfüssler so gross wie bei dunkelt es ein, kann man ihr Geflatter und Gekreische von weit her hören. Wir freunden uns im Hafen von Wete mit Omar an, dem Immigration Officer, und hoffen, dass er uns ein Boot für die Rückreise vermitteln kann. Das sei problematisch, erklärt er mit viel Pathos. Wenige Wochen zuvor sei ein überladener Frachter mit 3000 Passagieren gesunken. Danach habe die Regierung das Mitnehmen von «Muzungus» (Weissen) verboten. Er gibt uns jedoch zu verstehen, dass es in seiner Kompetenz liegt, zu bestimmen, wer hier auf ein Boot steigt und wer nicht: Irgendwann in den nächsten Tagen laufe ein Zementfrachter in Wete ein, er würde es uns rechtzeitig wissen lassen. Bis es so weit ist, handeln wir in einer Werkstatt die Miete für zwei alte Velos aus und machen uns auf, die Umgebung Wetes zweirädrig zu entdecken. Pemba ist ein Wunder der FruchtbarIm überfüllten Kleinlaster riecht es nach Schweiss, Fisch und Nelken. keit: uralte, stolze Mangobäume, Fast alles, was das Herz begehrt: der alte Markt in Wete. 50 GLOBETROTTER-MAGAZIN sommer 2012 Getrocknete Tintenfische – Spezialität der Insel. uns zu Hause Blindschleichen. Von einem Jackfruit-Baum schneide ich mir eine leuchtend grüne Frucht mit dem Umfang eines Rugbyballs ab. Doch leider bin ich mit der Ernte der stacheligen Monster ungeübt und erwische eine unreife Frucht, deren gelbes Fleisch unglaublich bitter ist. Am zweiten Abend auf Pemba kommt Omar, der Immigration Officer, in unser Gasthaus zu Besuch. Eine Stunde lang sprechen wir über Gott und die Welt, ohne meine ursprüngliche Anfrage für eine Schiffsverbindung zu erwähnen. Das Leben auf dem vermeintlichen Inselparadies scheint Omar zu langweilen. Er geniesst den kleinen Ausblick in die Welt, den er sich über die beiden Reisenden einholen kann. Kurz vor der Verabschiedung komme ich nochmals auf unsere ursprüngliche Anfrage zurück. «Ah, die Fahrt nach Tanga, genau», er werde rasch per SMS nachfragen. Kurz darauf: «Kein Zementfrachter morgen», und ein «Dhow» sei für uns schlicht zu gefährlich. Das bedeutet: Am kommenden Morgen um 5.30 Uhr auf der Matte stehen, mit Kleinlastern über die Insel nach Mkoani brausen, sodass wir um 9 Uhr die Fähre nach Sansibar erwischen, von wo uns ein weiteres Boot nach Dar es Salaam zurückbringen wird. Omar versteht unsere Hast nicht, vielleicht liefe ja übermorgen oder überübermorgen ein Transporter in Wete ein. Es scheint, als möchte er uns noch ein bisschen hier behalten. Dann könnten wir nämlich nächtelang über europäische Geschichte diskutieren, Omars Lieblingsfach früher in der Schule. Seit damals träumt er von einem Geschichtsstudium – ein Wunsch, dem hier draussen im Indischen Ozean etwas Dramatisches anhaftet. Um ein zusätzliches Argument für unser Bleiben nicht verlegen, sagt Omar: «Wenn ihr morgen Abend noch hier seid, wird euch meine Grossmutter einen Tintenfisch kochen, wie ihr ihn noch nie zuvor gegessen habt.» afrika Mit der «Ilala» durch Malawi Lake Malawi, Anfang Dezember 2011 Der Lake Malawi gleicht eher einem Meer. Von der Grenze Tansanias im Norden zieht er sich 560 Kilometer hinunter in den Süden Malawis. Ich habe Glück, als ich im kleinen Hafendorf Nakatha Bay auf halber Strecke des Sees ankomme: Die «Ilala», das einzige Passagierschiff auf dem Lake Malawi, nimmt nach mehrwöchigen Reparaturen just zwei Tage später wieder ihren Betrieb auf. Den Frachter hatten die Schotten in den 50er-Jahren gebaut. Ein Relikt aus der Kolonialzeit, das ein wenig ausschaut wie die Schiffe in den Tintin-Comics: dunkles, Fisch, flatternde Hühner, greise Männer mit Stöcken, friedlich schlafende Babys und Kübel voller Tomaten werden in die kleinen Boote gehievt. Wie wild springen einige der 38 Besatzungsmitglieder zwischen dem Frachter und den Nussschalen hin und her. Diejenigen Reisenden, die sich eine eigene Kabine oder eine dünne Matratze auf dem Oberdeck leisten können, treffen sich tagsüber an der Bar. Um acht Uhr morgens fliegen die ersten Carlsberg-Kronkorken, und auch der Captain ist ab Mittag ein gern gesehener Gast. Das ist nur deshalb nicht beunruhigend, weil wir während den drei Tagen kein einziges Schiff kreuzen, das auch nur annähernd so gross ist wie die «Ilala». Am zweiten Abend geht das Trinkwasser aus. An der Bar gibts nur noch «Stout». Am O S TA F R I K A Gonder Lalibela Addis Abeba Reiseroute des Autors Handlungsraum der fünf Episoden Harar ÄTHIOPIEN UGANDA RUANDA Kigali Bujumbura BURUNDI KENIA TANSANIA Mbeya Nakatha Bay MALAWI Victoria Falls Moyale Nanyuki Isiola Mt. Kenya Nairobi Kampala Pemba island Sansibar Dar es Salaam Lake Malawi Monkey Bay MOSAMBIK Macuba Milange Harare SIMBABWE Pretoria Johannesburg Maputo SÜDAFRIKA Kapstadt Die letzten Säcke werden eingeladen, bevor die «Ilala» aus Nakatha Bay ausläuft. geöltes Holz, Druck- und Temperaturanzeigen aus Kupfer und eine mit Holzintarsien und afrikanischen Skulpturen verzierte Bar auf dem offenen Oberdeck. Die dreitägige Fahrt ist eine Ode an die Schönheit des langsamen Reisens. Teils stehen wir eine halbe Nacht in der Bucht vor einer Insel, ohne genau zu wissen, weshalb. Doch das ist auch egal: Die frühen Nächte auf dem windig-kühlen Deck eröffnen einen Sternenhimmel, der wie eine mit Gold gefüllte Schatztruhe funkelt. Die Lampen der Fischerboote auf dem See verstärken den Zauber. «The Lake of Stars» hatte der britische Entdecker David Livingstone den See genannt. Tagsüber ankern wir für Stunden vor kleinen Dörfern, wobei unser Boot für sie oft die einzige Verbindung zur Aussenwelt ist. Die Rettungsboote werden zu Wasser gelassen, bullige Nussschalen mit einem kleinen Motor. Gleichzeitig schippern Motorboote und aus Eukalyptus geschlagene Einbäume zur «Ilala». Dann wird es hektisch: Bündel mit Feuerholz, 100-Kilogramm-Säcke mit Bohnen, Mais und Reis, Pakete, prall gefüllt mit getrocknetem das Reisen und die Lebensmittel im Land in wenigen Monaten beinahe doppelt so teuer geworden sind. Man hört unterschiedliche Geschichten darüber, wie es zur aktuellen Krise kam. Die glaubwürdigste erzählt mir später Silas, ein ehemaliger Vertreter Malawis in der Welthandelsorganisation: Vor einigen Monaten hat sich der britische Botschafter bei seiner Regierung darüber beklagt, dass der amtierende Präsident je länger, je autokratischer regiere. Die Depesche gelangte irgendwie an die Öffentlichkeit, was dazu führte, dass der Präsident dritten Tag kreuzen wir mitten auf dem See ein stillstehendes Fischerboot. Mit einem Kran wird es auf die Ladefläche der «Ilala» gehievt. Die erschöpften Fischer erzählen, dass ihnen der Diesel ausgegangen sei. Wahrscheinlich sind sie nicht die einzigen. Malawi erlebt zur Zeit meines Besuchs seinen wirtschaftlichen Tiefpunkt. In Blantyre, der zweitgrössten Stadt, sah ich vor ein paar Tagen lange Schlangen von wartenden Autos vor den Tankstellen. Dem Land geht das Benzin und der Diesel aus, die Tankstellen werden nur noch sporadisch beliefert. Minibusfahrer kaufen auf dem Schwarzmarkt Benzin, das aus Mosambik geschmuggelt oder nachts aus den Tanks der am Zoll wartenden Lastwagen abgezapft wurde. William Mhone, der Second Motorman im Maschinenraum. All das hat dazu geführt, dass 51 Die malawischen Jungs haben Spass, die Touristen schlafen. den Botschafter des Landes verwies. England stoppte daraufhin seine finanzielle Unterstützung. Andere Länder folgten dem Exempel. Dabei muss man wissen, dass sich das malawische Haushaltsbudget zu 80 Prozent aus Hilfsgeldern aus dem Ausland zusammensetzt. Seither fehlen dem Land ausländische Devisen, um sich Erdöl und Nahrungsmittel auf dem Weltmarkt zu kaufen. Nach der zweiten Nacht beginnt die Moral der Schiffsreisenden zu sinken. Der Kapitän wird nun in regelmässigen Abständen danach gefragt, wie lange es noch dauere bis nach Monkey Bay, unserem Zielhafen im Süden. Trotz den genüsslichen Blicken auf unbewohnte, paradiesische Küstenabschnitte und einer wohltuenden Ereignislosigkeit, die dem Geist Ruhe schenkt. Doch meine Haut ist fettig geworden, das Haar strähnig, die Fingernägel schwarz und das Gepäck ist voller Maschinenfett. Zudem beginnt die Diät aus Bohnen, Reis und Rind zu nerven. 600 verschiedene Fischarten soll es im Lake Malawi geben, darunter schmackhafte Tigerfische, Tilapias und Seebarsche. Und obwohl das Schiff aus allen Ritzen nach getrocknetem Fisch stinkt, heisst es im kleinen Bootrestaurant Abend für Abend: «Sorry, no fish today. Maybe tomorrow.» Bei meiner letzten Sternschnuppe vor dem Einlaufen in Monkey Bay wünsche ich mir deshalb ein rechtes Stück Fisch. Es wirkt: Am Folgetag lerne ich Jon kennen, einen Malawi, der das Venice Beach Hotel führt, benannt nach seinem heutigen Wohnort in den USA. Er läuft die meiste Zeit mit einem dicken Joint im Mund herum und bringt seine Jobs als Programmierer in den USA und Hotelmanager in Malawi mit einem unglaublichen Drang zum Feiern unter einen Hut. Er schippert mich und einige seiner malawischen Freunde im Motorboot hinüber in die Bucht von Cape Mc Clea, einen ehemaligen Magneten für afrikanische Touristen, als es Malawi noch besser ging. Wir kreuzen Fischer in Einbäumen, die ihren Fang zur Präsentation über die hölzerne Aussenwand legen. Mit einem Dutzend prächtiger Exemplare legen wir an einem isolierten Sandstrand zum Mittagessen an. Jon und seine Freunde spiessen die Fische mit langen Holzstöcken der Länge nach auf, bestreuen sie mit etwas Salz und stellen sie seitlich ans offene Feuer. Wenige Minuten später lösen wir von Hand das saftige Fleisch, kompakt wie ein Filet, von den Gräten und füllen unsere Bäuche mit dem, was zu Hause meist nur Beilage ist. Der coole Jon – für einmal nicht mit Joint, sondern mit frisch gefangenem Fisch. 52 Mosambik – im Südamerika Ostafrikas Grenzübergang Malawi/Mosambik, Weihnachten 2011 Ich liebe Grenzübergänge. Nirgends offenbaren sich kulturelle, soziale und wirtschaftliche Unterschiede zweier Länder deutlicher. Und nirgends ist das Eintauchen in ein neues, einem noch gänzlich unbekanntes Universum intensiver, dieses erfüllende Gefühl des «Weltensammelns», um es angelehnt an einen Buchtitel von Ilija Trojanow zu beschreiben. Oft ist dieses Eintauchen nicht ganz umsonst, und der Zugang zum neuen Land will erkämpft sein. So geht es dem Reisenden, der vom Südosten Malawis, bei den mächtigen Mulanje-Mountains, die Küste Mosambiks ansteuert. Ich konnte im Vornherein nicht ausfindig machen, ob mir an der Grenze in Milange überhaupt ein Einreisevisum für Mosambik ausgestellt wird. Entsprechend glücklich bin ich, als mir der Beamte einen Stempel in den Pass drückt, selbst wenn dieser horrende 79 Dollar kostet. Auf der anderen Seite des Schlagbaums wartet bereits eine Meute junger Burschen mit alten Fahrrädern, die sich ob der Tatsache, dass der Dorfkern Milanges einige Kilometer von der Grenze entfernt liegt, ein kleines Geschäft aufgebaut haben. Die einzige Verbindung von Milange ins 200 Kilometer entfernte Mocuba, die nächste grössere Stadt mit Anschluss an die Nord/SüdRoute durch Mosambik, ist eine unbefestigte, staubige Piste. Einen regulären öffentlichen Verkehr gibt es nicht, nur kleine Isuzu-Trucks mit ungedeckten Ladeflächen, die mit Menschen und Material überfüllt sind. Vierzig Passagiere sind wir zu Spitzenzeiten, auf vielleicht vier Mal eineinhalb Meter. Schon bald beschweren sich die ersten. Die Enge macht aggressiv, und immer wieder kommt es zu kleinen Querelen. Nach einer halben Stunde Fahrt, bei etwas über 40° Celsius, beginnt eine jammernde, mollige Frau unter einem dunklen Stofftuch zu kotzen – beissender Duft von Magensäure sticht in unsere Nasen. Staub, Enge, Lärm und ekelhafte Gerüche bin ich mir mittlerweile gewohnt. Doch der fehlende Sonnenschutz ist mehr als ein Luxusproblem. Eine siebenstündige Fahrt an praller Sonne kann unter diesen Bedingungen durchaus zum Kollaps führen. Die meisten sind vorbereitet und schützen sich mit Kappen, Tüchern und breiten Schals, in die sie sich einwickeln. Ich habe glücklicherweise vor der Fahrt meine Regenjacke aus dem Rucksack gekramt und auch den Faserpelz, mit dem ich meine bleichen Schenkel abdecke. Auch den vier Hühnern, die mit Säcken, Koffern und Plastikkanistern in einem Bündel mit einem Seil auf der Fahrerkabine festgezurrt sind, scheint die Reise anzuhängen: Ununterbrochen kacken sie aufs darunterliegende Gepäck. Stundenlang fahren wir durch lichten Busch, vereinzelt tauchen ein paar Felsen auf. Hunderte von Quadratkilometern weitgehend afrika Mocuba: positiv überrascht von der Stadt. Entweder waren die Autoren nicht in der Stadt oder sie irren gewaltig. Kommt man aus Malawi, ist Mocuba nämlich das Eintrittstor in eine andere Welt: Vor den Kneipen isst man «Omelettes simples con salsichas» und trinkt dazu ein Laurentina-Bier. Die Bäckereien sind voller Zuckerbomben, und nach Wochen der hellbraunen Brühe aus Schwarztee und Milch, welche die Briten einst in ihren Kolonien eingeführt hatten, gibts hier wieder Espressi mit Schäumchen. Das «Piscina» und «Governo de Mocuba» zeigen die strengen, klaren Formen der Moderne, wie man sie Morgen ist Weihnacht. Nicht nur die Kinder freuen sich. in Oskar Niemeyers Brasilia, aber nirgends sonst auf meiner Reiseroute findet. Die Frauen sind selbstbewusster herigen Reise. Als hätte ich den Kontinent kurim Auftreten und freizügiger in ihrer Bekleizerhand verlassen und wäre in Südamerika gedung. Die Musik erinnert an Reggaeton, den landet. Die Stimmung im Städtchen ist lebendig. ich zuletzt in Kolumbien oft gehört hatte. All Es ist der Tag vor Weihnacht, und man scheint das ist ein Bruch mit dem Afrika meiner bissich aufs kommende Fest zu freuen. Kinder tragen zum Spass rote SanktNikolaus-Mützen. Vor den Geschäften stehen bullige Lautsprecher, die in voller Lautstärke treibende Rhythmen auf die Strasse schmettern. Vor den Alkoholgeschäften bilden sich lange Schlangen. In 20er-Packs werden Whiskey, Rum und Gin in 3-dl-Plastikflaschen gekauft. Männer füllen die Ladeflächen ihrer Pick-ups mit Bierkästen. Auch bei mir macht sich allmählich Vorfreude auf ein rauschendes Weihnachtsfest breit. unbewohntes Land und eine einzige Piste, die hindurchführt. Die unendlichen Weiten Afrikas faszinieren mich immer wieder. Wie viel mehr Raum schenkt dieser Kontinent seinen Menschen im Vergleich zu meiner Heimat! Von Zeit zu Zeit fahren wir an kleinen Dörfern mit Hütten aus luftgetrockneten Lehmbacksteinen und mit Strohdächern vorbei. Die Dorfbewohner sind sich des anstrengenden Reisens bewusst und versorgen uns mit Früchten. Becher mit Wasser werden herumgereicht, und Händler kommen mit langen Spiessen frisch gebratener Pouletstücke angerannt. Gleichzeitig flösst sich ein verlorener Trinker Gin aus einem Plastikbeutel ein und tanzt im Delirium zur Musik aus unserem Lastwagen. Der Alkohol: ein schlechter Freund vieler afrikanischer Männer, denen ich während meiner Reise begegnet bin. Als unsere Schicksalsgemeinschaft am späten Nachmittag erschöpft in Mocuba ankommt, wundere ich mich über die befremdlichen Blicke der Passanten. Erst später im Hotel merke ich, dass nicht nur meine Kleider und das Gepäck von einer dicken Dreckschicht überzogen sind, sondern auch mein Gesicht ausschaut, als wäre ich in eine Pfütze gefallen. Zwar ging es meinen Mitfahrern gleich, doch in deren dunklen Gesichtern war der braune Film nicht aufgefallen. «Tu, was du kannst, um zu vermeiden, dass du hier übernachten musst», steht im LonelyAutor Samuel Schlaefli. Frisch rasiert fotografiert sichs am besten. Planet-Reiseführer zu Mocuba. [email protected] www.samuelschlaefli.ch sommer 2012 GLOBETROTTER-MAGAZIN © Globetrotter Club, Bern Kleine Schicksalsgemeinschaft. Zu Spitzenzeiten sitzen 40 Personen auf der Ladefläche. 53 Weitere exklusive Reisereportagen lesen? Für 30 Franken pro Kalenderjahr liegt das Globetrotter-Magazin alle 3 Monate im Briefkasten. Mit spannenden Reise geschichten, Interviews, Essays, News, Tipps, Infos und einer Vielzahl von Privatannoncen (z.B. Reisepartnersuche, Auslandjobs etc.). 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