Das Rennen um die Industrialisierung

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Das Rennen um die Industrialisierung
Das Rennen um die Industrialisierung
Automatisierung in der Leistungsverarbeitung der PKV
Dr. Holger Rommel
Obwohl das wirtschaftliche Umfeld in der Versicherungswirtschaft schwierig ist, hinkt – einem weit
verbreiteten Urteil zufolge – die Assekuranz in der Industrialisierung ihrer Prozesse der restlichen
Finanzindustrie um ca. 10 Jahre hinterher. Das wird zum Beispiel dadurch deutlich, dass sehr
viele Versicherungsunternehmen ihre – eigentlich über die Branche hinweg gut standardisierbaren – Prozesse mit selbstentwickelten Individualsystemen betreiben. Auch die Quote der Dunkelverarbeitung ist vergleichsweise tief, obwohl hier einiges Potenzial brach liegt. Diese Einschätzung wird durch eine neue Studie des Instituts für Versicherungswirtschaft der Uni St. Gallen
gestützt: in dieser wurde festgestellt, dass sich durch eine stärkere Prozessautomation ein zusätzliches Sparpotenzial von 14 % der operativen Gesamtkosten heben lässt – was einem Gewinnzuwachs von 10 – 14 % entspricht!
Nun ist die kontinuierliche Steigerung von Prozesseffizienz und –effektivität in allen Industrien ein
wichtiges Thema. Speziell in der Versicherungswirtschaft liessen sich hier grosse Anstrengungen
erwarten, da die in den letzten Jahren stetig sinkenden Kapitalerträge und die Zunahme von Konkurrenz von ausserhalb der angestammten Assekuranz zu einem hohen Druck führen. Die Versicherungswirtschaft ist allerdings in einer speziellen Situation: die fachliche Komplexität der Prozesse, insbesondere in der Schaden- und Leistungsbearbeitung ist sehr hoch. Gleichzeitig haben
Systemanbieter bisher die Standardisierbarkeit der Fachprozesse nicht glaubwürdig zeigen können, so dass viele Versicherer die entsprechenden (IT-)Projekte scheuen.
Der potenzielle Nutzen durch eine stärkere Prozessautomation überwiegt heute die bestehenden
Risiken der zugehörigen Organisations- und IT-Projekte jedoch deutlich. Das wird besonders im
Leistungsbereich in der Krankenversicherung deutlich, wo Lösungen für die Automation der Prozesse „ab Stange“ bereit stehen.
In den meisten privaten Krankenversicherungen in Deutschland und in der Schweiz sind Lösungen für eine Prüfung der formalen Korrektheit der Rechnungsbelege bereits implementiert. Diese
stellen einen ersten Schritt in Richtung Automatisierung dar, da sie die formale Korrektheit der
Rechnungen (auf Basis der zu Grunde liegenden Tarife) prüfen können. Da diese Tarifsysteme
komplex sind, nehmen die Systeme den Sachbearbeitern die umfangreichen technischen und
formalen Prüfungen ab. Rechnungen mit geringen Rechnungsbeträgen oder einfacher Struktur
können durch diese Systeme auch in Dunkelverarbeitung freigegeben werden – sie werden quasi
ohne eine echte fachliche Prüfung durchgewinkt, da diese rein aus Mengengründen nicht vollständig möglich ist. Da eine fachliche Prüfung immer noch durch den Sachbearbeiter vorgenommen werden muss, ist der eigentliche Automatisierungsgrad tief und der manuelle Aufwand hoch.
Das zeigt sich auch darin, dass Leistungsabteilungen in der Krankenversicherung die mit Abstand
grössten Abteilungen (ca. 30 - 50 % der Workforce) sind.
Grosses Potenzial für das Anheben der Dunkelverarbeitungsquote hat daher die Automation der
fachlichen Prüfungen, bei denen festgestellt wird, ob eine Rechnung fachlich korrekt ist und ob
sie im fachlichen Kontext des Versicherungsnehmers überhaupt zulässig ist (d.h. zu seiner bisherigen Krankengeschichte passt).
Automatisierte fachliche Prüfungen ermöglichen Einsparungen in zwei ganz unterschiedlichen
Bereichen:
1. Durch die Automation der fachlichen Prüfungen sinkt der Personalaufwand in den Leistungsabteilungen der Versicherer, da Prozesseffizienz und- effektivität steigen. Leistungssachbearbeiter können sich auf wenige komplexe Fälle konzentrieren
2. Da die vollständige fachliche Prüfung sämtlicher Rechnungen möglich ist, werden Überzahlungen verhindert. Falsche Rechnungspositionen können automatisiert korrigiert oder
zurückgewiesen werden.
Systeme, die diese anspruchsvolle fachliche Aufgabe leisten können, beginnen sich derzeit am
Markt zu etablieren. Ein Beispiel ist die Helsana Krankenversicherung aus Zürich. Die Helsana
ist mit 3000 Mitarbeitern und einem Bruttoprämienvolumen von 5.7 Mrd. CHF der grösste Schweizer Krankenversicherer.
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2012 wurde bei der Helsana für die Leistungsverarbeitung das Standardprodukt adcubum
SYRIUS in Betrieb genommen. Das eingesetzte System erlaubt die vollautomatische Abwicklung
der Leistungsverarbeitung. Neben der formalen Prüfung der Rechnungen können die fachliche
Zulässigkeit von Tarifkombinationen, die Zulässigkeit der Rechnungspositionen im Kontext sämtlicher Daten des jeweiligen Versicherungsnehmers (anhand historischer Leistungsdaten, Partnerdaten, Deckungen, Abmachungen mit Leistungserbringern etc.) automatisch geprüft werden
– und das bei sämtlichen Rechnungen. Dadurch werden einfache Rechnungen nicht mehr ungeprüft „durchgewinkt“. Auch umfassende Rechnungen werden automatisiert geprüft, und nur sehr
komplexe Fälle landen noch bei den Spezialisten der Leistungsverarbeitung. Die Dunkelverarbeitungsquote stieg bei der Helsana dadurch auf über 90 %, und es konnten jährliche Einsparungen
(verminderte Leistungskosten, Einsparungen durch effizientere und effektivere Prozesse) von ca.
1 % der Heilungskosten (über 30 Mio. CHF) erreicht werden. [Kasten zum Praxisbeispiel]
Die bei der Helsana eingesetzte Lösung kann bei allen Krankenversicherern - insbesondere auch
in Deutschland – eingesetzt werden. Möglich wird dies durch ein flexibel parametrierbares Regelwerk, mit dem auch hochkomplexe fachliche Prüfungen vorgenommen werden können. Weil
die aufwändige Pflege der Regelwerke für die Leistungsprüfung ebenfalls als Service eingekauft
werden kann, realisieren die nutzenden Versicherungsunternehmen weitere Einsparungen bei
der Administration der Leistungsprozesse.
Die Versicherungsprodukte als wichtiges Differenzierungsmerkmal bleiben dabei ebenso in der
vollen Hoheit der Versicherungen wie die daraus abgeleiteten speziellen fachlichen Prüfregeln.
Dadurch erhalten die Versicherer eine hohe Flexibilität bei gleichzeitig tiefen Prozesskosten.
Das Praxisbeispiel Helsana zeigt, dass in der Krankenversicherung eine sehr weit gehende Automation der Prozessverarbeitung durch eine echte Standardsoftware möglich ist. Es stehen
heute erprobte technische Mittel zur Verfügung, um die Fachprozesse der Versicherungswirtschaft wirksam zu automatisieren. Werden diese Möglichkeiten durch die Versicherungsunternehmen genutzt, so wird sich der Rückstand der Assekuranz im Bereich Industrialisierung sehr
schnell in eine erfolgreiche Aufholjagd wandeln.
[Kasten: Eckdaten Praxisbeispiel]
Lösung voll produktiv seit
2012
Anzahl eingereichte Rechnungen / Jahr
ca. 12 Millionen
Anzahl zu prüfender Tarifpositionen / Beleg
ca. 8
Anzahl Prüfungen je Beleg
> 1‘000
Dunkelverarbeitungsquote in der Leistungs- > 90%
prüfung
Prämienvolumen KV
CHF 5.734 Mrd.
Einsparung durch die neue Lösung (2013)
ca. CHF 30 Mio.
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