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G L Ü C K / N A C H H A LT I G K E I T
Wer die Meme hat,
hat die Macht
Impulse für eine nicht kommerzielle
Kultur
Culture Jamming ist ein Aufruf, sich nicht von den Traumbildern
der Werbewirtschaft einschläfern zu lassen.
Ein estländischer Mathematiker und Spezialist für Computersimulationen entschließt sich, ein
Marktforschungsunternehmen in
Tokio zu gründen. Von dort wechselt er zu einer Film-Kommune in
Kanada über und gewinnt internationale Auszeichnungen für Experimentalfilme. Dann spezialisiert er
sich auf Werbespots, die gegen die
Abholzung der Regenwälder Stimmung machen. Solche Spots sind
Meme, kürzeste Informationseinheiten, Slogans, die von Gehirn zu
Gehirn wandern und das Denken
verändern können. Kalle Lasn ist
ein vielseitiger Künstler. In seinem
Buch Culture Jamming („to jam„
heißt einklemmen oder blockieren)
fordert er auf: Setzt widerständige
Gedanken in Bewegung und
macht eurer Leben interessanter.
Als Schüler des Medientheoretikers
Marshall McLuhan (1911–1980)
und als Weltreisender, der in mehreren unterschiedlichen Kulturen
Wurzeln schlagen konnte, hat er
auch gelernt, wie das geht. Kultur
wird von den Menschen selbst gemacht, aber wenn nur bestimmte
Profiteure die Medien beherrschen,
dann verlernen die passiven KonsumentInnen bald, wie das geht.
„Die Rückeroberung der Zeichen“
ist ein Aufruf, sich nicht von den
Traumbildern der Werbewirtschaft
einschläfern zu lassen. CultureJammer wollen nicht als Objekte,
sondern als Subjekte der Geschich-
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umwelt & bildung 4/2006
te leben. Daher bringen sie gezielt
Sand ins Getriebe der Traummaschinerie, die nur Bilder vom wachsenden Glück der Konsumgesellschaften auf die Fernseh- und Kinoschirme projiziert. Zeichen sind
neutral. Sie können alles sagen.
Lasn ersetzt die z.B. Sterne auf der
amerikanischen Flagge durch Firmenlogos und siehe da: Das Land
der Freiheit ist zu einem Land der
Konzerne geworden. Ganz ohne Erklärung.
„Der Konsumwahn ist die Todeskrankheit unserer Kultur.“
„Amerikanische Kultur wird
nicht mehr von Menschen geschaffen“, stellt Lasn uncool fest,
„unsere Massenmedien verströmen ein Huxleyssches Soma.“ Denn
das stärkste Betäubungsmittel der
Welt sei das Verlangen dazuzugehören, meint der Filmemacher.
Und wer nicht als Smile-Button
oder grinsende Eigenmarke herumläuft, gehört eben nicht dazu.
Mit bitterem Humor, aber keineswegs resignativ beschreibt Lasn
in seinem Buch, was ansteht, um
nicht als Konsumsüchtige nach immer mehr zu schreien. Falsche körperliche Selbstwahrnehmung, Essstörungen, Diät-, Sport- und Nikotinsucht sind schließlich Ergebnisse
einer Konsumkultur, die konsequent alle Grenzen der Intimität,
der menschlichen Würde und der
Foto: Tabula Rasa
Nachgelesen
Zeichen gehen unter die Haut
Rücksicht auf den Nächsten überschritten und alle Tabus ausgeschöpft hat. Für Culture-Jammer
wäre es laut Lasn die effektivste
Strategie, Anti-Meme in beliebte
Fernsehsendungen einzustreuen.
Das heißt kurze Werbespots zu senden, die das vorher und nachher
Gezeigte inhaltlich zersetzen wie
ein Virus. Die aufregenden cK-Jeans
am Körper eines 15-jährigen Models, das sich pornographisch räkelt, hätten dann vielleicht mit einem 15-jährigen Mädchen aus
Bangladesh zu tun, das sich prostituieren muss, um nicht 17 Stunden
täglich in der Fabrik an der Nähmaschine sitzen und trotzdem hungern zu müssen. Die Vorschläge
von Kalle Lasn sind äußerst intelligent, transportieren starke Gefühle
und zeugen von einem professionellen Know-how. Lasn macht den
Konsumwahn nicht lächerlich, sondern er diagnostiziert ihn als die
Todeskrankheit unserer Kultur, die
in keiner Weise nachhaltig ist.
Ein Buch, das in packender
Rhetorik rücksichtslose Analysen
serviert, aber alle Hoffnung in die
Kreativität setzt.
Gabriele Sorgo
Kalle Lasn: Culture Jamming.
Die Rückeroberung der
Zeichen. orange-press, Freiburg
2005. 224 S., EUR 20,60
ISBN 978-3-936086-21-8
Kalle Lasn ist Gründer der
Media Foundation und des »Adbuster
Magazine«. Er organisiert weltweite
Aktionen wie den »Buy Nothing Day«
oder die »TV-Turnoff-Week«, und ist
Mitbegründer des »Culture Jamming«.
Er lebt in Vancouver, Kanada.