POR Hessen - Juristisches Repetitorium Hemmer

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POR Hessen - Juristisches Repetitorium Hemmer
Polizei- und Ordnungsrecht Hessen
-Rechtsanwalt Amer Issa-
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I. Grundlagen
1. Bedeutung
Etwa jede vierte Examensklausur in Hessen hat gefahrenabwehrrechtliche oder polizeirechtliche Probleme zum Prüfungsgegenstand. Setzen Sie hier also einen Schwerpunkt Ihrer Vorbereitung, ähnlich wie im Verfassungsrecht.
2. Klausuren im Polizei-und Ordnungsrecht Hessen
Besonders häufig ist im prozessualen Teil der Fallgestaltungen die FFK nach §§ 113 I S. 4
(analog) VwGO im ersten Examen anzutreffen. Dabei werden häufig die einzelnen Standardmaßnahmen und die Generalklausel abgefragt. Beliebt sind auch die Abgrenzung und Kombination zum Versammlungsrecht.
3. Anwendungsbereich
Das HSOG gilt für die Tätigkeit der (uniformierten) Polizei (§ 91ff HSOG) sowie für das
Handeln der Gefahrenabwehrbehörden (Ordnungsbehörden nach §§ 85 ff HSOG und Verwaltungsbehörden gemäß §§ 82 ff HSOG).
Regelungsinhalte der HSOG:
Aufgaben der Gefahrenabwehr und Polizeibehörden, § 1 HSOG
Ermächtigungsgrundlagen für gefahrenabwehrrechtliche und polizeiliche Maßnahmen,
§§ 11 ff HSOG
Verantwortlichkeit, §§ 6,7 und 9 HSOG
Gefahrenabwehrrechtliche und polizeiliche Handlungsgrundsätze( §§ 4, 5 HSOG)
Vollstreckungsmaßnahmen (§§ 47 ff HSOG)
Schadensausgleichsansprüche im weiteren Sinne, §§ 64 ff HSOG
4. Abgrenzung präventiv/repressiv
Die Polizei kann präventiv zur Gefahrenabwehr aufgrund von Spezialgesetzen wie dem
VersG oder auch aber dem (subsidiären, vgl. § 3 I 2 HSOG) HSOG handeln. Ein weiterer
Aufgabenbereich der Polizei ist die repressive Tätigkeit zur Strafverfolgung (§ 163 StPO, § 53
OWiG).
Zur Abgrenzung ist auf den Zweck, den die Polizei mit der konkreten Maßnahme verfolgt,
abzustellen. Maßgeblich ist die verobjektivierte Zielrichtung polizeilichen Handelns im Zeitpunkt des Einschreitens. Bei mehreren, doppelfunktionellen Maßnahmen ist auf den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen. Im Zweifel ist von Handeln zur Gefahrenabwehr auszugehen.
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Folgen für den Rechtsweg: Handelt die Polizei zum Zwecke der Gefahrenabwehr, ist gemäß §
40 I 1 VwGO der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Wird die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung in Eil- und Notfällen anstelle des eigentlich zuständigen Richters oder im Vorgriff auf
dessen Entscheidung tätig, so ist gemäß § 98 II 2 StPO (nach der Rspr. analoge Anwendung
bei repressiven Maßnahmen, welche keine Beschlagnahme darstellen) der ordentliche
Rechtsweg eröffnet (zB 127 StPO), vgl. auch § 23 EGGVG.
5. Zuständigkeiten (vgl. gesonderte Übersicht)
Grundsätzlich sind in Hessen die (allgemeinen) Verwaltungsbehörden zur Gefahrenabwehr
zuständig. Dies ist § 2 Satz 1 HSOG zu entnehmen. Bemerkt zB der Polizeibeamte P auf einem Streifengang, dass G eine Gaststätte ohne Erlaubnis betreibt, genügt eine Unterrichtung
der zuständigen Verwaltungsbehörde (Gemeindevorstand gem. § 1 GastVO). Die Landkreise
(Kreisausschüsse) und Gemeinden(Gemeindevorstände) nehmen die verwaltungsbehördlichen
Aufgaben dann als Aufgaben zur Erfüllung nach Weisung wahr (§ 82 I HSOG). Die Weisungsbefugnisse sind in § 84 HSOG geregelt, welche auch nach Satz 2 im Einzelfall ausgeübt
werden können.
Ordnungs- und Polizeibehörden nehmen die Aufgaben der Gefahrenabwehr gemäß § 2 Satz
1 HSOG nur wahr, wenn ein Einschreiten der Verwaltungsbehörden als nicht oder nicht
rechtzeitig möglich erscheint (VG Frankfurt a M, NVWZ 1990, 190). Entscheidend ist die
Sicht der Ordnungs-und Polizeibehörde, nicht aber die objektive Sachlage. Maßstab ist jedoch
eine verständige Beurteilung der Situation.
Im Verhältnis Ordnungsbehörden zu Polizeibehörden sind die Polizeibehörden dann zuständig, wenn die Ordnungsbehörden nicht mehr erreichbar sind, so in der Regel nach Dienstschluss, sonst gilt der Grundsatz der Erstbefassung. Die Behörde welche zuerst tätig geworden
ist, nimmt die von ihr ergriffenen Maßnahmen wahr und führt sie dann fort. Beachten Sie
auch die Möglichkeit der Vollzugshilfe nach den §§ 44 ff HSOG.
Die Ordnungsbehörden sind immer dann exklusiv zuständig, wenn ihnen die Aufgaben besonders zugewiesend sind (§ 1 HSOG-DVO).Ordnungsbehörden sind insbesondere die Regierungspräsidien (Darmstadt, Gießen, Kassel), die Landräte und die Bürgermeister (Oberbürgermeister), § 85 I HSOG. Polizeibehörden sind gemäß § 91 III Nr. 2 HSOG insbesondere die
Polizeipräsidien und das Landeskriminalamt.
6.Die Öffentliche Sicherheit
Der Begriff der öffentlichen Sicherheit ist bei der Anwendung der Generalklausel des § 11
HSOG und einiger examensrelevanter Spezialgesetze (zB. § 15 I,II VersG, § 3 I HBO) von
Bedeutung. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit wird in drei (sich überschneidende)
Teilschutzgüter unterteilt:
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a)Bestand des Staates und seiner Einrichtungen,
BVerfG NJW 2007, 2167, 2169: Vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ist die Durchführung der von der Bundesregierung einberufenen Konferenz als eine rechtmäßige Veranstaltung des Staates erfasst.
Einrichtungen des Staates sind zB: Hochschule, Rundfunkanstalten oder Museen; der große
Zapfenstreich ist ein Beispiel für eine staatliche Veranstaltung.
b) subjektive Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen,
Für den Schutz privater Rechte und Rechtsgüter durch die allgemeinen Ordnungsbehörden
und durch die Polizei ist jedoch die eingeschränkte Zuständigkeit aus § 1 III HSOG zu beachten. Polizei und Ordnungsbehörde kompensieren hier nur die Unmöglichkeit des rechtzeitigen
gerichtlichen- einstweiligen- Rechtsschutzes (vgl. OVG Münster NJW 2006, 1450)
Private Rechte sind subjektive Rechte, die ausschließlich privatrechtlich begründet sind. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um privatrechtliche Ansprüche. Von den privatrechtlichen Rechten sind diejenigen Individualrechtsgüter abzugrenzen, die nicht rein privatrechtlicher Natur sind, sondern auch durch öffentliches Recht- außerhalb der Grundrechte- das heißt
Strafgesetze, Ordnungswidrigkeitentatbestände, verwaltungsrechtliche Spezialgesetze begründet bzw. geschützt sind. Voraussetzung ist dabei, dass an ihrem Schutz ein öffentliches
Interesse besteht bzw. ein gewissen Maß an sozialem Bezug des gefährdeten Rechtsguts gegeben ist.
c) die gesamte Rechtsordnung
Unter der gesamten Rechtsordnung werden Rechtsnormen jeder Art erfasst- vom Grundgesetz
bis zu Rechtsverordnungen und Satzungen. Im Hinblick auf die Privatrechtsordnung ist die
Einschränkung des § 1 III HSOG zu beachten.
7. Die Öffentliche Ordnung
BVerfG NVwZ 2004, 90,91: Unter öffentlicher Ordnung wird die Gesamtheit aller ungeschriebenen Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden und mit dem Wertgehalt des Grundgesetz zu vereinbarenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines Gebietes angesehen wird.
Sog. „Zwergenweitwürfe“ und Laserspiele in einem Laserdrom können im Hinblick auf die
öffentliche Ordnung verboten werden. BVerwG NVwZ 2002, 599: Laserspiele in einem „Laserdrom“, bei denen Menschen zum Objekt simulierter Tötungshandlungen werden, widersprechen grundgesetzlichen Wertungen und können nach § 11 HSOG untersagt werden, Die
maßgeblichen Wertungen sind die Menschenwürde (Art 1 I GG), das Recht auf Leben und
körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 II 1 GG) und das staatliche Gewaltmonopol (Art. 20 GG).
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Mit dem Menschenbild des Grundgesetzes, insbesondere mit der in Art 1 I GG normierten
Unantastbarkeit der Würde des Menschen, ist es unvereinbar, die simulierte Tötung von Menschen zum Gegenstand und Ziel eines Unterhaltungsspiels zu machen.
Diese Lösung ist auch europarechtlich unbedenklich. Die Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit erweist sich als durch Art 62 i.V.m. Art. 52 AEUV gerechtfertigt (EuGH DVBl 2004,
1476)
8. Die Gefahr
Eine Gefahr ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die bei ungehindertem Geschehensablauf
mit hinreichender Wahrscheinlichkeit in absehbarer Zeit zu einem nicht nur völlig belanglosen Schaden (Abgrenzung zur bloßen Belästigung; Kriterien sind Intensität der Beeinträchtigung, sowie die allgemeine Üblichkeit des Risikos, vgl. OVG Münster NJW 2006, 1450,
1451) an einem Schutzgut der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung führen.
Kriterien für die Konkretisierung der hinreichenden Wahrscheinlichkeit:
-Sicherheit des der Prognose zugrunde liegenden Erfahrungsschatzes
-zeitliche Nähe des möglichen Schadens
-Größe des Schadens
-Wertigkeit des zu schützenden Rechtsguts
-Wertigkeit des Rechtsguts, in das eingegriffen würde, um das andere Rechtsgut zu schützen
Beispiel: Ist das Schutzgut besonders bedeutsam und der möglicherweise eintretende Schaden
sehr groß (Bombenanschlag), so sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts geringere Anforderungen zu stellen als bei geringerer Wertigkeit des Rechtsguts und kleinem Schaden. Bei besonders großen und schweren Schäden genügt schon die entfernte Möglichkeit ihres Eintritts.
Hinreichende Wahrscheinlichkeit verlangt also einerseits nicht die Gewissheit des Schadenseintritts. Andererseits genügt die bloße Möglichkeit nicht für die Annahme einer Gefahr.
Die Einschreitensschwelle liegt umso niedriger, je größer die Wahrscheinlichkeit der befürchteten Rechtsgutbedrohung und je höher die Bedeutung der bedrohten Rechtsgüter ist. Geboten
ist dabei eine ex-ante Betrachtung.
9. Einzelne Gefahrenbegriffe
Spricht das Gesetz in einer Ermächtigungsgrundlage von einer Gefahr, ist hiermit regelmäßig
die konkrete Gefahr gemeint (siehe Legaldefinition in § 11 HSOG). Für eine konkrete Gefahr (bei § 11 HSOG) bedarf es des Nachweises der Gefahrenlage im Einzelsachverhalt.
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Abzugrenzen ist die konkrete Gefahr von der abstrakten Gefahr, welche eine Mehrzahl
gleichartiger, gedachter und konkret gefährlicher Sachverhalte darstellt, bei welchen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einem Schaden für ein Schutzgut zu rechnen ist. Ihr ist mit
abstrakt-generellen Mitteln, also mit dem Erlass von Gefahrenabwehrverordnungen, §§ 71 ff
HSOG, zu begegnen.
Denkbar sind auch Anscheinsgefahr(=kein pflichtwidriger Irrtum, d.h. nicht vorwerfbar,
Maßstab ist die Einschätzung ex ante aus Sicht eines fähigen, besonnen und sachkundigen
Amtswalters, Behandlung wie wirklich bestehende Gefahr!) und Putativgefahr (= vorwerfbarer Irrtum, Maßnahme rechtswidrig!), bei der der Handelnde von einer Gefahr ausgeht, die objektiv nicht vorliegt.
Der sog. Gefahrenverdacht ist eine Gefahr geringeren Wahrscheinlichkeitsgrades. Er rechtfertigt nur sog. Gefahrenforschungseingriffe, d.h. Maßnahmen, die ergriffen werden, um den
Verdacht aufzuklären. Der Gefahrenverdacht bezeichnet also eine Schwierigkeit der Sachverhaltsaufklärung.
Nach h.M, darf dem Verdachtsstörer nicht aufgegeben werden, die Gefahr zu erforschen, da
die Behörde von sich aus und auf ihre Kosten den Sachverhalt ermitteln muss, § 24 VwVfG.
Der Adressat der Maßnahme hat lediglich eine Duldungspflicht für Gefahrforschungseingriffe
(Beachten Sie aber § 9 II BBodSchG als Ausnahme. Hier darf dem Adressaten die Erforschung des Sachverhalts auferlegt werden).
10. Die Pflichtigkeit
Die Eigenschaft Verantwortlicher zu sein, ist verschuldensunabhängig und setzt weder Geschäfts- noch Deliktsfähigkeit voraus. Zu unterscheiden sind der Verhaltensstörer (§ 6
HSOG), der Zustandsstörer (§ 7 HSOG) und der Nichtstörer (§9 HSOG).
a) Verhaltensstörer nach § 6 HSOG
Die Verhaltenshaftung trifft denjenigen, welcher die Gefahr selbst unmittelbar verursacht hat.
Verhaltensstörer ist, wer durch sein hinzukommendes Verhalten die entscheidende Grenze
überschreitet und so die Gefahr unmittelbar begründet, so zB der Mieter eines Parkplatzes, der
mit seinem KFZ den widerrechtlich auf dem Platz Parkenden blockiert (vgl OVG Saarlouis
NJW 1994, 878).
Nach der im Polizeirecht ganz herrschenden Theorie von der unmittelbaren Verursachung
ist ein Verhalten somit dann ursächlich, wenn es selbst unmittelbar die konkrete Gefahr setzt
und damit die Gefahrengrenze überschreitet, entscheidend ist, wer „das letzte Glied in der
Kette darstellt“. Beruht die Gefahr auf kumulativen Verhaltensweisen, deren eine kausal
durch die andere ausgelöst wurde, so ist also grundsätzlich nur das spätere ausgelöste Verhalten für die Verhaltenshaftung relevant.
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Beachten Sie aber auch, dass nicht notwendiger Weise derjenige zwingend heranzuziehen ist,
der zeitlich die letzte Bedingung gesetzt hat. Auch ein in einem früheren Stadium Beteiligter
kommt als Verantwortlicher in Betracht, wenn er durch sein Verhalten die Grenze zur konkreten Gefahr überschritten hat (vgl. OVG Münster NWVBl 2001, 320).
Eine Durchbrechung der Theorie von der unmittelbaren Verursachung stellt die Figur des
Zweckveranlassers dar. Es handelt sich um eine Sachlage, bei der das Handeln des als
Zweckveranlasser zu bezeichnenden Hintermanns zwar nicht die polizeiliche Gefahrenschwelle überschreitet aber mit der durch den Verursacher (Störer) unmittelbar herbeigeführten Gefahr eine natürlich Einheit bildet, die die Einbeziehung des Hintermanns in die Polizeipflichtigkeit rechtfertigt.
Beispiel: Händigt ein Lebensmittelhändler seinem Lieferanten Schlüssel zur Warenlieferungsschleuse seines Betriebs aus und kommt es entgegen einer Auflage der den Betrieb erfassenden Baugenehmigung zu nächtlichen Warenanlieferungen, kann der belieferte Händler als
Zweckveranlasser herangezogen werden (vgl. OVG Münster JA 2008, 238).
Streitig ist dabei ob,
der Zweckveranlasser die Herbeiführung der Gefahr durch andere zumindest billigend in Kauf
genommen haben muss (subjektive Theorie)
oder
ob aus Sicht eines unbeteiligten Dritten die eingetretene Folge typischerweise durch die Veranlassung herbeigeführt worden sein muss (objektive Theorie).
Die objektive Theorie ist vorzuziehen, da das Abstellen auf subjektive innere Einstellungen
dem Störerbegriff fremd ist
VG Schleswig, NVwZ 2000, 464: Das bloße Erscheinen auf einem Volksfest in für Rechtsradikale szenetypische Kleidung begründet noch nicht die Eigenschaft als Zweckveranlasser,
wenn Dritte sich dadurch provoziert fühlen.
Eine Haftung für Dritte ist nur in Ausnahmefällen vorgesehen (für Minderjährige nach § 6 II
HSOG, für den Verrichtungsgehilfen nach § 6 III HSOG). Zu beachten ist auch das Heranziehen des Betreuers nach § 6 II 2 HSOG.
Für ein Unterlassen haftet man nur soweit eine Rechtspflicht zum gefahrenabwehrrechtlichen
Handeln besteht. Diese muss sich also aus öffentlich-rechtlichen Pflichten ergeben, kann sich
also nicht aus privatrechtlichen Verträgen ergeben. Beispiel: Kommt es zu einer Gefahr, weil
der Gebäudeeigentümer § 15 HBO missachtet hat, so handelt es sich um einen Verhaltensstörer, obwohl eine Handlung des Störers gar nicht vorgelegen hat.
b) Der Zustandstörer nach § 7 HSOG
Beim Zustandsstörer sind Maßnahmen gegen diejenige Person zu richten, die Inhaber der
tatsächlichen Gewalt (insbesondere § 854 BGB) über die gefahrenverursachende Sache (bzw.
das Tier) ist (vgl. § 7 I HSOG).Die Maßnahmen können auch gegen den Eigentümer oder eine
andere berechtigte Person gerichtet werden (vgl. § 7 II HSOG). Bei herrenlosen Sachen können Maßnahmen gegen die derelinquierende Person gerichtet werden (vgl. § 7 III HSOG).
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Bei der Zustandshaftung ist allein entscheidend, dass durch den Zustand der Sache (deren Beschaffenheit, Lage im Raum, Verhalten des Tieres) objektiv eine Gefahr entsteht. Anknüpfungspunkt für die Störereigenschaft ist allein der Einfluss des Zustandsstörers auf den Gefahrendherd; auf ein Verschulden oder die Verursachung kommt es folglich nicht an (OVG
Münster NJW 2000, 2124, 2126).
VG München NVwZ-RR 2002, 166: Das öffentliche Ordnungsrecht kann nicht zulassen, dass
eine durch natürlich, also nicht durch Menschen beeinflusste Einwirkungen entstandene Gefahr unbehoben bleibt, sondern muss im öffentlichen Interesse für deren Abwehr sorgen. Soweit sich aus der weit gefassten Definition der Zustandsverantwortlichkeit Unbilligkeiten ergeben, lassen diese sich befriedigend auf der Rechtsfolgenseite bewältigen. Würde die Verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers als Zustandsverantwortlicher bei Gefahren, die
ausschließlich auf Naturereignissen beruhen, ausgeschlossen, so würde die Zustandsverantwortlichkeit insgesamt weitgehend gegenstandslos werden.
OVG Rheinland-Pfalz NJW 1998, 625: Das Verhältnis des Grundstückswerts zur Höhe des
Aufwands für die Gefahrenbeseitigung ist für die Frage, ob der Zustandsstörer überhaupt in
Anspruch genommen wird, ohne Bedeutung.
Fraglich ist allerdings wie in Fällen der atypischen Risiken, also Fällen in denen die Gefahr
nicht der Risikosphäre des Eigentümers zugerechnet werden kann, vorzugehen ist.
Beispiele: Tankwagenunfall, Hochwasseranschwemmungsfall, die Kampfmittelräumung oder
der Felssturzfall.
Die ganz h.M bejaht auch in diesen Fällen die Verantwortlichkeit des Eigentümers. Insbesondere das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverwaltungsgericht haben sich für eine Inanspruchnahme uneingeschränkter (also nicht bloß über § 9 HSOG) Art des Eigentümers
ausgesprochen.
BVerfG NJW 2000, 2573: Die Zustandsverantwortlichkeit findet in der rechtlichen und tatsächlichen Einwirkungsmöglichkeit auf die gefahrenverursachende Sache ihren legitimierenden Grund. Der Eigentümer kann überdies aus der Sache Nutzen ziehen. Daher begegnet es
keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit dahingehend auszulegen, dass der Eigentümer eines Grundstücks allein wegen dieser
Rechtsstellung verpflichtet werden kann, von dem Grundstück ausgehende Gefahren für die
Gesundheit von Menschen oder für das Grundwasser zu beseitigen, auch wenn er die Gefahrenlage weder verursacht noch verschuldet hat.
BVerwG NJW 1999,231: Die ordnungsrechtlichen Vorschriften über die Zustandsverantwortlichkeit knüpfen an die aus der tatsächlichen und rechtlichen Sachherrschaft des Grundstückseigentümers hergeleiteten Rechtspflicht an, dafür zu sorgen, dass von seinem Grundstück keine Störungen oder Gefahren ausgehen. Sie stellen Inhalts-und Schrankenbestimmungen im
Sinne des Art 14 I 2 GG dar, die verfassungsrechtlich schon deshalb unbedenklich sind, weil
sie Ausdruck der dem Sacheigentum nach Art 14 II GG immanenten Sozialbindung sind. Weder die Eigentumsgarantie des Art. 14 I 1 GG noch der mit Verfassungsrang ausgestattete
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehen einer Inanspruchnahme des Grundeigentümers entgegen. Es kommt allein auf die tatsächlich und rechtliche Sachherrschaft des Grundeigentümers
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an und die sich darauf ergebende Pflicht, für die Störungsfreiheit zu sorgen. Der Eigentümer
hat die lagebedingten Nachteile seines Grundstücks so zu tragen, wie sich aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten tatsächlich darstellen. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums setzt voraus, dass das Eigentum an einer Sache mit Risiken behaftet sein kann, die
sich aus der Sachqualität oder Sachherrschaft als solcher ergeben.
ACHTUNG: Differenzierend wird aber die Frage beantwortet, ob der Eigentümer auch die
Kosten der Maßnahme zu tragen hat:
BVerfG NJW 2000, 2573: Die Belastung des Eigentümers mit den gesamten Kosten der Sanierungsmaßnahme ist allerdings nicht gerechtfertigt, soweit sie dem Eigentümer nicht zumutbar
ist. Indiz für die Zumutbarkeit ist der Verkehrswert des Grundstücks nach Durchführung der
Sanierung. Wird dieser Wert von den Kosten überschritten entfällt in der Regel das Interesse
des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch des Grundstücks.
Auch kann die Belastung dann unzumutbar sein, wenn die Gefahr, die von dem Grundstück
ausgeht, aus Naturereignissen, aus der Allgemeinheit zurechenbarer Ursachen oder von nicht
nutzungsberechtigten Dritten herrührt.
Die Kostenbelastung ist zumutbar, wenn der Eigentümer das Risiko der entstandenen Gefahr
bewusst in Kauf genommen hat. Das freiwillig übernommene Risiko mindert seine Schutzwürdigkeit.
Unzumutbar ist es, unbegrenzt für die Sanierung einstehen zu müssen, auch mit Vermögen,
welches keinen rechtlichen oder wirtschaftlichen Bezug zum sanierungsbedürftigen Grundstück hat. Unzumutbarkeit kann auch dann vorliegen, wenn das zu sanierende Grundstück den
wesentlichen Teil des Vermögens des Pflichtigen bildet und die Grundlage seiner privaten
Lebensführung darstellt.
Nach der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts muss in der Anordnung der Sanierungsmaßnahme zugleich über die gegebenenfalls erforderliche Begrenzung der Kostenbelastung des
Zustandsstörers entschieden werden. Kann dies noch nicht abschließend geschehen, ist die
Sanierungsverfügung mit dem Vorbehalt einer gesonderten Kostenentscheidung zu verbinden.
Welche Folgen es hat, wenn die Behörde die Haftungsbegrenzung nicht ausspricht oder einen
zu hohen Betrag angibt ist umstritten:
Nach einer Ansicht ist Verfügung in vollem Umfang aufzuheben (VG Koblenz, Urt. V.
05.12.2002- 2 K 2328/01 KO)
Die Gegenauffassung spricht sich dafür aus, die Aufhebung auf den Teil zu beschränken, der
die Kostentragung regelt und der die Rechtsverletzung des Zustandsverantwortlichen darstellt.
Der ersten Ansicht ist aus klausurtaktischen Gründen (=insgesamt rechtswidrig) und Gründen
der Rechtssicherheit zu folgen.
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Beachten Sie auch die Fälle des § 7 II 2 HSOG im Hinblick auf einen möglichen Diebstahl
(Vorsicht: Gibt der Dieb die Sachherrschaft an der gestohlenen Sache wieder auf, entsteht erneut die Verantwortlichkeit des Eigentümers, vgl. VGH Kassel NJW 1999, 3793, 3794).
In Fällen der Dereliktion (Eigentumsaufgabe) ist an die andauernde Zustandshaftung aus § 7
III zu denken.
c) Der Nichtstörer nach § 9 HSOG
Die Inanspruchnahme nicht verantwortlicher Personen regelt § 9 HSOG. Es müssen kumulativ alle Voraussetzungen des § 9 I Nr. 1-4 HSOG erfüllt sein.
aa) § 9 I Nr. 1 HSOG
Es muss eine gegenwärtige erhebliche Gefahr abzuwehren sein. Gegenwärtig bedeutet, dass
das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unmittelbar bevorsteht (in allernächster Zeit eintreten wird, vgl. OLG Frankfurt a.M.
NVwZ 2002 626,627). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere
Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der eintretende Schaden ist. Drohen
Leben-und schwerwiegende Gesundheitsschäden, genügt sogar die entfernte Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts (BVerwGE 47,40, Kay NVwZ 2003, 521, 522).
Erheblichkeit liegt vor, wenn ein bedeutsames Rechtsgut gefährdet ist.
bb) § 9 I Nr. 2 HSOG
Nr. 2 enthält eine Subsidiaritätsregel. Hier ist zu beachten, dass ausnahmsweise die Inanspruchnahme des Nichtstörers auch dann in Betracht kommt, wenn ein Vorgehen gegen den
Verantwortlichen zwar tatsächlich möglich und Erfolg versprechend, aber unverhältnismäßig
wäre.
cc) § 9 I Nr. 3 HSOG
Nur wenn auch bei Hinzuziehung aller personellen, sachlichen und finanziellen Kräfte die Gefahrenabwehr als nicht möglich oder unzureichend erscheint, ist die Voraussetzung der Nr. 3
gegeben.
dd) § 9 I Nr. 4 HSOG
Schließlich ist zu prüfen, ob nicht im Einzelfall die Opfergrenze des Nr. 4 überschritten wird.
d) Der Anscheinsstörer
Fraglich ist, ob die allgemeinen Störerregeln der §§ 6,7 HSOG auch in den Fällen der Anscheinsgefahr gelten. Dies ist streitig.
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Nach einer Ansicht ist nur derjenige Störer, welcher zurechenbar den Anschein der Gefahr gesetzt hat. Alle übrigen Betroffenen werden als Nichtstörer nach § 9 HSOG in Anspruch genommen. Konsequenz: Es besteht für den letzteren Personenkreis ein unmittelbarer Entschädigungsanspruch aus § 64 I 1 HSOG.
Die Gegenauffassung wendet in den Fällen der Anscheinsgefahr die allgemeinen Störerregeln
unabhängig davon ab, ob der Adressat den Anschein in zumutbarer Weise gesetzt hat oder
nicht. Dieses Verständnis des Störerbegriffs entspricht der Auslegung des Gefahrenbegriffs
und ist daher vorzuziehen. Wenn man für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme die Fälle der
Anscheinsgefahr ausreichen lässt, ist es nur konsequent, den in diesen Fällen in Anspruch Genommenen als Störer anzusehen(siehe bereits oben).
Konsequenz: Jeder Anscheinsstörer ist Störer. § 64 I 1 HSOG kommt unmittelbar nicht zur
Anwendung. Dies erscheint jedoch dann als unbillig, wenn der Anscheinsstörer den Anschein
nicht vorwerfbar verursacht hat, Deshalb wird in diesen Fällen eine analoge Anwendung des
§ 64 I 1 HSOG bejaht (siehe unten unter VII).
d) Störerauswahl
Entscheidend sind bei der Störerauswahl die Kriterien der Effektivität der Gefahrenabwehr und der Verhältnismäßigkeit der Inanspruchnahme.
Aus der Gesetzesreihenfolge lässt sich kein Rangverhältnis ableiten, aus dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit kann sich jedoch ein Vorrang der Inanspruchnahme des Handlungsstörers ergeben. Auf die zivilrechtliche Verantwortlichkeit bei der ausgleichspflicht der Störer
untereinander kommt es nicht an.
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II. Die wichtigsten Klagearten
1. Die Anfechtungsklage, § 42 I Alt. 1 VwGO
A. Zulässigkeit
1)Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I S. 1 VwGO
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Sonst üblicher Aufbau (insb. Normen aus HSOG oder sonst. spezialgesetzlichen Gefahrenabwehrvorschriften)
b) Nichtverfassungsrechtlicher Art
Fehlen der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit
c) (Keine )Abdrängende Sonderzuweisung
zB § 23 I EGGVG, § 98 II S. 2)StPO (analog ), § 33 II S.1, 39 I S.2, 36 V HSOG
Abgrenzung bei Polizeibehörden:
-Gefahrenabwehr (präventiv, dann 40 I S 1. VwGO) von Strafverfolgung (repressiv ,§ 163
StPO, § 53 OwiG, dann ordentlicher Rechtsweg)!
-Abzustellen ist auf den Zweck, den die Polizei mit der konkreten Maßnahme verfolgt. Maßgeblich: Verobjektivierte Zielrichtung zZ des Einschreitens
2. Statthaftigkeit
Feststellung des Klagebegehrens, §§ 88, 86 III VwGO
die Anfechtungsklage gem. § 42 I 1. Alt. VwGO kommt in Betracht, wenn die Aufhebung eines belastenden VA begehrt wird.
a)VA i.S.d. § 35 VwVfG (Problem meistens: Regelung oder Realakt?)
-Sicherstellung und Verwahrung als Dauer-VA, §§ 40, 41 HSOG
- Halten gefährlicher Tiere, § 43 a HSOG
-Kostenbescheide (vgl. § 1 I Nr. 2 HVwKostG)
- Androhung von Zwangsmitteln ( vgl. z.B. 47 I, 53 HSOG, Arg: Festlegung bestimmter
Zwangsmittel, Rückschluss aus § 16 HAGVwGO)
-Festsetzung eines Zwangsgeldes (Arg: Verbindlichkeit, Umkehrschluss aus § 16
HAGVwGO)
b) noch keine Erledigung (siehe auch FFK)
Hauptbeispiel für Erledigung ist der Vollzug der Maßnahme, vgl. auch § 43 HVwVfG
3. Klagebefugnis, § 42 II VwGO
Möglichkeit einer Verletzung von Rechten des Klägers; der Adressat eines belastenden VA ist
immer möglicherweise zumindest in seinen Rechten aus Art. 2 I GG verletzt (Achtung: Speziellere GR nennen!)
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4. Vorverfahren, §§ 68 ff. VwGO
-Beachte: § 16 a HAGVwGO !
5. Klagefrist, § 74 I VwGO, § 58 VwGO
6. Klagegegner, § 78 VwGO
Rechtsträgerprinzip
•
allgemeine Verwaltungsbehörde : Gemeindevorstand , Magistrat , Kreisausschuss ⇒ Klagegegner (§ 78 VwGO) : Gemeinde , Stadt, Landkreis
•
allgemeine Ordnungsbehörde : Bürgermeister / Oberbürgermeister , Landrat ⇒ Klagegegner (§
78 VwGO) : a) Bürgermeister / Oberbürgermeister ⇒ Gemeinde/ Stadt b) Landrat ⇒
Landkreis
•
Polizeibehörde: Polizeipräsidium / LKA ... ⇒ Klagegegner (§ 78 VwGO) : Land Hessen vertreten durch das jew. Polizeipräsidium
7. Sonstige Sachurteilsvoraussetzungen
Keine Besonderheiten im Polizei- und OrdnungsR
Also insbesondere:
a) Zuständigkeit des Gerichts
aa) sachlich, §§ 45 ff. VwGO
bb) örtlich, § 52 VwGO
b) Partei- oder Beteiligtenfähigkeit, § 61 VwGO
c) Prozessfähigkeit, § 62 VwGO
d) Ordnungsgemäße Vertretung, § 62 III VwGO
e) Ordnungsgemäße Klageerhebung, §§ 81 f. VwGO
f) Keine entgegenstehende Rechtskraft, §§ 121, 173 VwGO i.V.m. 705 ZPO
g) Keine anderweitige Rechtshängigkeit, §§ 90, 173 VwGO i.V.m. 17 I S. 2 GVG
e) Allgemeines Rechtschutzbedürfnis
B. Begründetheit
Die Klage ist begründet, soweit der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und der
Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt wird (vgl. § 113 I Satz 1 VwGO).
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1. Ermächtigungs- bzw. Rechtsgrundlage des VA
Der VA ist rechtmäßig, wenn er auf einer gültigen Rechtsgrundlage beruht und deren formelle
und materielle Voraussetzungen erfüllt sind.
Bei Eindeutigkeit die in Betracht kommende Rechtsgrundlage nennen. Falls einschlägige
Rechtsgrundlage fraglich, verschiedene Möglichkeiten bzw. mindestens einschlägiges
Rechtsgebiet/Gesetz nennen, denn dies kann bereits für die formellen RM-Voraussetzungen
maßgebend sein.
Hier uU Überprüfung von Verletzung höherrangigen Recht (insbes. Grundrechte/Europarecht)
Prüfen ob Spezialgesetz einschlägig, z.B.:§§ 17, 24,25 BImSchG, §§ 13, 15 VersG, § 5
GastG, § 4 HGastG
Dann: Standardmaßnahmen der §§ 12- 43 HSOG
Zuletzt: Generalklausel, § 11 HSOG
2. Formelle Rechtmäßigkeit des VA
a) Zuständigkeit der handelnden Behörde?
(Vgl. Übersicht zur Zuständigkeit!!!)
aa)sachliche Zuständigkeit ergibt sich i.d.R. aus
-spezialgesetzlichen Regelungen
-der Durchführungsverordnung (DVO)
-§§ 1, 2 HSOG
bb) Instanzielle Zuständigkeit
zB 85,89 HSOG iVm DVO
cc)Örtliche Zuständigkeit
§§ 100 ff HSOG
b) Verfahren
-Insbesondere Anhörung nach § 28 I HVwVfG, beachte II; Nachholung noch möglich, § 45
Abs. 1 HVwVfg
- Bei mündlichen VA´s keine Begründung erforderlich nach § 39 HVwVfG, da dieser nur
schriftliche VA´s betrifft.
3. Materielle Rechtmäßigkeit des VA (Schwerpunkt in der Klausur!)
a) Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
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aa)Spezialgesetz außerhalb des HSOG (selten)
bb) Spezielle Normen aus dem HSOG, z.B. § 43 a HSOG
cc) § 11 HSOG
Öffentliche Sicherheit oder Öffentliche Ordnung
Gefahr (beachte auch Anscheins-und Putativgefahr)
b) Richtiger Adressat der Verfügung
-aus dem Spezialgesetz
-sonst aus §§ 6,7, 9 HSOG
c) Bestimmtheit der Verfügung, § 37 HVwVfG
d)Verhältnismäßigkeit, § 4 HSOG
-insbesondere Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit
e) Ermessen, § 5 HSOG
-Entschließungsermessen („ob“)
-Gestaltungsermessen(„wie“)
-Auswahlermessen („wer“)
Wenn VA sich als rechtmäßig erwiesen hat, ist der Kläger durch ihn nicht in seinen Rechten
verletzt (GR-Eingriff gerechtfertigt); falls VA rechtswidrig ist, ist hier noch einmal konkret zu
erwähnen, welche Rechte des Klägers verletzt sind (siehe Klagebefugnis!)
2.Fortsetzungsfeststellungsklage, § 113 I S. 4 VwGO analog/direkt
A. Zulässigkeit
1)Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs, § 40 I S. 1 VwGO
a) Öffentlich-rechtliche Streitigkeit
Sonst üblicher Aufbau (insb. Normen aus HSOG oder sonst. spezialgesetzlichen Gefahrenabwehrvorschriften, s.o.)
b) Nichtverfassungsrechtlicher Art
Fehlen der doppelten Verfassungsunmittelbarkeit
c)Abdrängende Sonderzuweisung
zB § 23 I EGGVG, § 98 II S. 2)StPO (analog ), § 33 II S.1, 39 I S.2, 36 V HSOG
15
Abgrenzung bei Polizeibehörden:
-Gefahrenabwehr (präventiv, dann 40 I S 1. VwGO) von Strafverfolgung (repressiv ,§ 163
StPO, § 53 OwiG, dann ordentlicher Rechtsweg)!
-Abzustellen ist auf den Zweck, den die Polizei mit der konkreten Maßnahme verfolgt. Maßgeblich: Verobjektivierte Zielrichtung zZ des Einschreitens (Schwerpunkt!)
2. Statthaftigkeit
Feststellung des Klagebegehrens, §§ 88, 86 III VwGO
FFK (+), wenn sich Klagebegehren auf die Feststellung des Rechtswidrigkeit von Gefahrenabwehr- oder Polizeimaßnahmen mit VA-Qualität richtet, die sich bereits erledigt haben
-a) VA- Qualität der Maßnahme bei Anfechtungsklage bzw. Verpflichtungsklage (analog),
siehe oben zu den Problemen der Regelungswirkung
-b)Erledigung des VA
=Nachträglicher Wegfall der tatsächlichen oder rechtlichen Beschwer, Aufhebung des VA
muss als sinnlos erscheinen
c) nach Klageerhebung bzw. vor Klageerhebung (analog)
d) Fälle: Regelmäßig Maßnahmen aufgrund der Eingriffsbefugnisse §§ 11 Hs 2, 12- 43 a
HSOG (Standardmaßnahmen), weil diese sich regelmäßig sofort erledigt haben
3. Klagebefugnis, § 42 II VwGO analog
Klagebefugnis für jew. Klageart
4. Widerspruchsverfahren, § 68 ff VwGO
HIER unterscheiden, ob sich VA vor oder nach Ablauf der Widerspruchsfrist erledigt
hat.
a)Erledigung nach Ablauf der Widerspruchsfrist
Vorverfahren muss ordnungsgemäß durchgeführt worden sein: Eine unzulässige Anfechtungsoder Verpflichtungsklage, kann nicht im Gewand der FFK zulässig werden!
b)Erledigung vor Ablauf der Widerspruchsfrist
1.Mm: Vorverfahren durchführen
2. Mm: Vorverfahren nicht zwingend erforderlich, aber statthaft
hM: Kein Vorverfahren bzw. formlose Einstellung, Funktion des Vorverfahrens (Selbstkontrolle der Verwaltung, Rechtsschutz des Bürgers, Entlastung der Gerichte) aufgehoben.
5. Klagefrist, § 74 I VwGO
Umstritten: Jahresfrist oder keine Frist (nur prozessuale Verwirkung)
6. Berechtigtes Feststellungsinteresse
a) Wiederholungsgefahr
b) Rehabilitationsinteresse
c) Präjudizielle Wirkung
d) Tief greifende Grundrechtseingriffe
B: Begründetheit
OS: Die FFK gemäß § 113 I S. 4 VwGO ( analog) ist begründet, soweit der VA bzw. die Ablehnung des VA vor seiner Erledigung rechtswidrig war und der Kläger dadurch tatsächlich
in seinen Rechten verletzt wurde.
16
Zuständigkeiten nach dem HSOG
§§ 1 Abs. 1, 2 S. 1 HSOG
Gefahrenabwehrbehörden
Polizeibehörden, §§ 91 ff.
⇒ Eilzuständigkeit, § 2 S. 1
⇒
⇒
Hilfeleistung, § 1 I 2
Vollzugshilfe, §§ 44 ff.
Verwaltungsbehörden, §§ 82 ff.
⇒ Zwangsanwendung,§§ 52,54 ff.
⇒ grundsätzlich zuständig zur Gefahrenabwehr,
§ 2 S. 1 HSOG!
(Landkreis, Kreisausschuss, § 41 HKO; Gemeinde,
Gemeindevorstand, § 66 HGO)
Ordnungsbehörden, § 85 ff
allgemeine Ordnungsbehörden, § 85
Sonderordnungsbehörden, § 90
⇒ Eilzuständigkeit, § 2 S. 1
⇒
Hilfeleistung, § 1 I 2
⇒ Zuständigkeit
kraft besonderer Zuwei-
sung, § 89 I i.V.m. DVO
z.B.:
• Versammlungswesen (VersG)
• Waffenwesen (WaffG)
• Straßenverkehr (StVO, FeV)
⇒ Aufgabenabgrenzung zu Polizeibeh.:
•
entweder exklusive Zuweisung (z.B. DVO)
•
ansonsten Grundsatz der Erstbefassung
17
III.„Klausurklassiker“ im POR
1.Anfechtungsklage, §42 I, Alt. 1 VwGO:
-Sicherstellung und Verwahrung als Dauer-VA, §§ 40, 41 HSOG
- Halten gefährlicher Tiere, § 43 a HSOG
-Kostenbescheide (vgl. § 1 I Nr. 2 HVwKostG)
- Androhung von Zwangsmitteln ( vgl. z.B. 47 I, 53 HSOG, Arg: Festlegung bestimmter
Zwangsmittel und Umkehrschluss aus § 16 HAGVwGO)
-Festsetzung eines Zwangsgeldes (Arg: Verbindlichkeit und Umkehrschluss aus § 16
HAGVwGO)
2. FFK, §§ 113 I S. 4 (analog) VwGO
- Regelmäßig Maßnahmen aufgrund der Eingriffsbefugnisse §§ 11 HS 2, 12- 43 a HSOG
(Standardmaßnahmen), weil diese sich regelmäßig sofort durch Vollzug erledigt haben
3. Allgemeine Feststellungsklage, § 43 VwGO
- Gefährderanschreiben /-ansprache (RGL: § 11 HSOG)
4. Verpflichtungsklage, § 42 I Alt. 2 VwGO
-Anspruch auf Einschreiten ( Ermessensreduktion auf null!!!)
- Auskünfte und Aktenauskünfte bzw. Vernichtung von Akten/Unterlagen (
in der Entscheidung über den Anspruch, umstr.)
Regelung hier
5. Allgemeine Leistungsklage /Unterlassungsklage
- behördliche Warnungen vor Sekten, Lebensmitteln etc. (Unterlassung)
- § 14, 14 a HSOG (Unterlassung)
-Herausgabe von sichergestellten Sachen nach § 43 I S. 1 HSOG (Leistung)
6. Normenkontrolle, 47 VwGO
Überprüfung von Gefahrenabwehrverordnungen, §§ 71 ff HSOG,vgl. § 47 I Nr. 2 VwGO iVm
§ 15 HAGVwGO
In Hessen Gefahrenabwehrverordnungen regelmäßig bei: Hundehaltung, Taubenfütterungsverbote, Sperrbezirksregelung, Skateboard fahren, Bettelverbote
18
IV. Verwaltungszwang im POR
Unmittelbare
Ausführung,
§ 8 HSOG
Sofortvollzug
§ 47 II HSOG
Literatur: Sofortvollzug als Maßnahme des Zwangs
setzt voraus, dass ein entgegenstehender
Wille des (anwesenden) Adressaten
gebrochen werden soll.
Ein VA vor Anwendung des Zwangs wird
aber nicht erlassen, weil er nicht rechtzeitig
möglich ist oder keinen Erfolg verspricht.
Literatur: Unmittelbare Ausführung
setzt voraus, dass Zwangsmaßnahmen nicht ergriffen werden
können, weil ein entgegenstehender
Wille des Adressaten nicht feststellbar ist (Hauptanwendungsfälle: Abwesenheit od. nicht
willensfähiger Adressat)
Achtung: Rechtsprechung (VGH): § 8 HSOG hat immer Vorrang, wenn beide
Normen einschlägig sind (vgl. unten)
19
Verwaltungszwang gem. §§ 47 ff HSOG1
Grund-VA ⊕
Gestrecktes Verfahren, § 47 I
EGL: § 47 I 1.Alt.
„unanfechtbar“
1. VA unanfechtbar
2. RM des GrundVA, welcher auf H/D/U gerichtet
ist, ist nicht Vorauss. der
RM des Verwaltungszwangs, Grund-VA aber
zumindest wirksam (§43
HVwVfG) nicht nichtig (§
44 HVwVfG)
3. Nichtbefolgen des
Grund-VA´s
4. Besondere Vollstreckungsvoraussetzungen (§48)
5. Art u Weise der Zwangsvollstreckung
a) Androhung, §53 oder §
58;
b)Festsetzung nur bei
Zwangsgeld,
§
50;
c)Ordnungsgemäße Anwendung des unmittelbaren Zwangs, §§ 52, 54 ff
HSOG
6. Keine Einwände nach Erlass des VAs (zB Erfüllung,
Unmöglichkeit)
7.Ermessen und Verhältnismäßigkeit,§§ 4, 5 HSOG
1
EGL § 47 I 2.Alt.
„keine aufsch. Wirkung“
Grund-VA (-)
Sofortvollzug, § 47 II2
EGL: § 47 II
Kein VA
1.formelle Rechtmäßigkeit
a)Zuständigkeit § 47 II S.1
1. VA sofort vollziehbar,
, §§100 ff HSOG
§ 80 II VwGO
2. str., ob RM des Grund- b) Verfahren § 28 II Nr. 5
VA = Vorauss. d. RM des HVwVfG
2. Materielle Rechtmäßigkeit
Verwaltungs-zwangs
a)Überprüfen der Rechte.A.: (+), Vgl. mit
mäßigkeit des fingierten
§ 47 II, effektiver
Grund-VA( vgl. 47 II HSOG:
Rechttschutz
h.M.: (-), arg. effek- ti- „innerhalb ihrer Befugnisse“)
b) Besondere Voraussetzunve Gefahrengen des Sofortvollzugs, § 47
abwehr, aber
II HSOG („Notwendigkeit
Berücksichtigung
zur Abwendung einer gegenauf Kostenebene
wärtigen Gefahr“)
3. Voraussetzung des konkret
3. ...
angewendeten Zwangsmittels
4. ...
4. Ordnungsgemäße Anwendung
bei
unmittelbarem
5. ...
Zwang
6. ...
5. Ermessen und Verhältnis7. …
mäßigkeit, §§ 4 5HSOG
Unmittelb. Ausführung,§ 8
EGL: § 8 I
Kein VA
1. Formelle Rechtmäßigkeit
Zuständig sind die Gefahrenabwehr- oder Polizeibehörden,
§ 8 I S. 1 HSOG iVm
§ 2 S.1 HSOG („Eilfall“), besondere Verfahrensbestimmung
des § 8 I S. 2 HSOG
2. Materielle Rechtmäßigkeit
a)Rechtmäßigkeit der hypothetischen Primärmaßnahme
aa)EGL (zumeist § 11 Hs
1HSOG)
bb) Form. Rm
cc)Mat. Rm
Subsumtion unter EGL und
Prüfung der gefahrenabwehrrechtlichen Handlungsgrundsätze
3. Vertretbare Handlung (zB
Abschleppen, Abriss)
4. Notwendigkeit der unmittelbaren Ausführung (Vorrang
von Maßnahmenadressat nach
§§ 6,7 HSOG)
5. Ermessen und Verhältnismäßigkeit, §§ 4,5 HSIOG
Beachte : §§ 47 ff. HSOG gelten nur für die Vollstreckung ordnungsbehördlicher oder polizeilicher VA auf
H/D/U, vgl. Wortlaut § 47 I HSOG. VA‘e der Verwaltungsbehörden (zur Zuständigkeit vgl. § 1 I 1 HSOG), die
auf H/D/U gerichtet sind, werden nach §§ 68 ff. HVwVG vollstreckt,
Dagegen werden ö-r Geldforderungen der Ordnungs- und Polizeibehörden (z.B. Kosten der unmittelbaren
Ausführung / der Ersatzvornahme / der Sicherstellung oder Zwangsgeld) nach dem HVwVG vollstreckt,
vgl. § 1 II 2 HVwVG.
20
Ergänzende Hinweise zur Vollstreckung
Grundsatz: Bei 47 I HSOG ist eine Grundverfügung vorhanden, bei §§ 47 II, 8 HSOG nicht.
§§ 47 II oder 8 HSOG?
Rspr.: Der VGH geht von einer vorrangigen Anwendbarkeit des§ 8 HSOG aus, unabhängig
vom Willen eines Pflichtigen.
Argumente: Sofortvollzug nur einschlägig, wenn „Maßnahmen gegen Personen nach §§ 6-9
HSOG nicht möglich sind“, also geht auch § 8 HSOG vor, Willenskriterium (nach Lit., siehe
sogleich) steht nicht in der Norm.
Zudem nach VGH Kassel (vgl. NVwZ-RR 1999,23) § 8 HSOG wenn:
-keine Grundverfügung
- nur Verstoß gegen eine Rechtsnorm (zB § 12 StVO)
- Verkehrszeichen nach ursprünglich rechtmäßigem Abstellen aufgestellt, insb. mobile Verkehrszeichen
- Kostenbescheid gegen Halter, der nicht gefahren ist, da der VA gegenüber dem Pflichtigen
nicht bekannt gemacht worden ist.
- andere als für Grundverfügung zuständige Behörde schleppt ab
Literatur: § 47 II setzt Handeln gegen den (mutmaßlichen) Willen voraus, in den übrigen
Fällen greift § 8 HSOG. Die unmittelbare Ausführung findet ohne oder ggf. sogar mit dem
Willen des Betroffenen statt, es soll kein entgegenstehender Will gebrochen werden.
Argumente: Zielrichtung des Vorgehens.
Verwaltungsvollstreckung erfolgt, jedenfalls dem Grundgedanken nach, gegen den Willen des
Verpflichteten. Das sieht man plastisch an den allgemeinen Vollstreckungsmitteln Zwangsgeld und Zwangshaft, durch die der Betroffene motiviert werden soll, in der von ihm geforderten Weise zu handeln, und es zeigt sich besonders deutlich an den spezifischen polizeirechtlichen Vollstreckungsmitteln des unmittelbaren Zwangs.
Die unmittelbare Ausführung knüpft demgegenüber gerade daran an, dass der Polizeipflichtige nicht in Anspruch genommen wird, eine Konfrontation mit einem entgegenstehenden Willen also nicht vorhanden ist.
Beispiele für 8 I HSOG nach der Literatur: Ein Kfz wird verkehrsbehindernd abgestellt,
der Fahrer ist nicht erreichbar und deswegen wird das Fahrzeug zum nächsten Parkplatz abgeschleppt. Oder: Ohnmächtiger Fahrer sitzt am Steuer eines verkehrsbehindernden Wagens.
Beispiele für 47 II HSOG nach der Literatur: Polizeibeamte drängen einen gewalttätigen
Demonstranten zurück. Auf dem verkehrsbehindernd parkenden Fahrzeug klebt ein Aufkleber: „Polizeistaat Hessen-Ich parke wo ich will“.
21
Abgrenzung unmittelbare Ausführung – Sofortvollzug: Ergänzung
unmittelbare Ausführung, § 8 I 1 HSOG
Sofortvollzug, § 47 II HSOG
I. Rechtsnatur:
bes. Form d. Inanspruchnahme Verantwortl.
Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung
e.A.: VA, arg.: „andere hoheitl. Maßnahme“
iSd § 35 S. 1 HVwVfG
e.A.: VA, arg.: § 18 II VwVG
a.A.: Realakt, arg.: fehlende Bekanntgabe
a.A.: Realakt, arg.: VA nach der VwGO
nicht mehr rechtschutzeröffnend
II. Voraussetzungen:
1. konkrete Gefahr
1. konkrete (idR gegenw.) Gefahr
2. RM eines hypothet. VA
insb. Verantwortl. gem. §§ 6 oder 7
2. RM eines hypothet. Grund-VA
insb. Verantwortl. (§§ 6, 7) oder § 9
3. unverzügl. Unterrichtung (§ 8 I 2) keine
RM-Vorauss., nur auf Kostenebene relev.
3. sonstige Vorauss. der Verw.vollstreckung
4. Ermessen
4. Ermessen
III. Durchführung:
de facto „Ersatzvornahme“
Ersatzvornahme oder unmittelbarer Zwang
IV. Unterschiede:
1. nur bei vertretbaren Handlungen
1. auch bei unvertretbarer Handlung
2. nur gegen Verantwortliche (§§ 6, 7)
2. auch gegen Nichtverantwortliche (§ 9)
3. Anwendung. auch d. allg. Verw.behörden
3. Anw. nur durch Polizei- + Ordn.behörden
4. vorrangig vor § 47 II
4. subsidiär ggü Vorgehen nach § 8 I 1
V. Prüfungsreihenfolge:
1. Wer handelt ? ⇒ allg. Verw.behörden ?
⇒
stets nur § 8 möglich
2. Betroffener Nichtverantwortlicher (§ 9) ?
⇒
stets nur § 47 II möglich
3. unvertretbare Handlung ? ⇒ stets nur § 47 II möglich
4. erst jetzt
a)
nach Lit. Abgrenzung vorzunehmen;
Kriterium: Liegt Maßnahme gegen oder ohne den Willen des Betroffenen vor ?
b)
nach Rspr. ist § 47 II stets subsidiär zu § 8;
arg.: Wortlaut § 47 II: „6 bis 9“ ⇒ nur wenn § 8 scheitert, ist § 47 II zu prüfen
22
V. Prüfungsschema für eine
Gefahrenabwehrverordnung gem. §§ 71 ff HSOG
1.
Definition
Legaldefinition in § 71 HSOG
2.
Ermächtigungsgrundlage
a) § 71 i.V.m. §§ 72 – 74 HSOG (vgl. Art. 118, 107 HV)
b) für HundeVO: § 71a HSOG (lex spezialis)34
3.
3
Formelle Rechtmäßigkeit
a.
Zuständigkeit
aa. sachliche Zuständigkeit: §§ 72 - 74 HSOG
bb. Verbandskompetenz:
(1) Ministerien => Land Hessen, § 72 I HSOG
(2) Reg.präs. => Reg.bezirk, § 72 II HSOG
(3) Landkreise => Landkreis, § 73 HSOG
(4) Gemeinden => Gemeindegebiet, § 74 HSOG
cc. Organkompetenz:
Landkreise: Kreistag, § 73 S. 2 HSOG
Gemeinden: Gemeindevertretung, § 74 S. 2 HSOG
b.
Verfahren
aa. ggf. Verfahrensprobleme aus HGO, HKO
bb. ggf. Einvernehmen, § 72 HSOG, bzw. Anhörung, § 73 S. 3 HSOG
cc. Verkündung:
Ministerium / Reg.präs.: Staatsanzeiger, § 1 VerkündG
Landkreis / Gemeinde: Amtsblatt, § 2 I VerkündG
c.
Form
aa. Formerfordernisse, § 78 HSOG
bb. Angabe Geltungsdauer, § 79 HSOG
Die Vorschrift des § 71a I HSOG wurde infolge des Urteils des BVerwG vom 03.07.02 (L&L 2003,
S. 116) eingefügt, nach dem die Generalklausel zum Erlass von Gefahrenabwehr-VO (§ 71 HSOG)
kein Einschreiten der Sicherheitsbehörden in Form einer Rechtsverordnung bei bloßem Gefahrverdacht / zur Vorsorge gegen drohende Schäden rechtfertige, sondern es vielmehr einer
spezialgesetzlichen Ermächtigung bedürfe.
4
Die Vorschrift des § 71a II HSOG wurde infolge des Urteils des VGH Kassel vom 29.08.01 eingeführt,
das die Regelung über die Haftpflichtversicherung in der HundeVO vom 15.08.00 für nichtig erklärt
hatte.
23
3.
Materielle Rechtmäßigkeit
a. Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
„zur Gefahrenabwehr erforderlich“, § 71 HSOG
=> abstrakte Gefahr muss vorliegen5
b. Verpflichtung von Verantwortlichen gem. § 6 und 7 HSOG
durch die RVO dürfen nur Personen gem. § 6 und 7 belastet werden,
nicht hingegen Nichtverantwortliche nach § 9 HSOG
c. Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, vgl. § 75 HSOG
hier ggf. Prüfung von GRen / Rückwirkung / etc.
d. Bestimmtheit, vgl. § 76 HSOG
e. Verhältnismäßigkeit
f. Ermessen - keine Ermessensfehler
Zu beachten:
In der Regel ist die RVO inzident zu überprüfen. Klausurrelevant ist insbesondere der Fall,
dass per RVO dem Bürger ein bestimmtes Verhalten aufgegeben wird (z.B. Anleinen von
Hunden), er sich an diese Pflicht nicht hält und er jetzt daraufhin einen belastenden VA etwa
auf Grundlage der Generalklausel des § 11 HSOG enthält.
Dann ist zu erkennen, dass iRd Prüfungspunktes Voraussetzungen der RGL des § 11 HSOG
zur öffentlichen Sicherheit auch die Rechtsordnung gehört und damit auch eine - wenn wirksame - Gefahrenabwehrverordnung, die dann an dieser Stelle inzident zu prüfen ist.
5
Bloße Belästigungen können dagegen nicht durch VO geregelt werden (Hornmann, HSOG, 1997, § 71
Rn. 6).
24
VI. Staatshaftung und Polizei- und Ordnungsrecht
Ansprüche bei rechtmäßigem Handeln
Ansprüche bei rechtswidrigem Handeln
Verschuldensunabhängig:
§ 64 I 1 HSOG
Voraussetzungen:
§ 64 I 2 HSOG
Voraussetzungen:
•
Maßnahme einer Gefahrenabwehr- oder
Polizeibehörde
•
•
Maßnahme einer Gefahrenabwehr- oder
Polizeibehörde
RM der Inanspruchnahme des Nichtstörers ( Unbeteiligter Dritter)
•
RW der Maßnahme
•
Kausaler Schaden
•
•
Kausaler Schaden (P) Unmittelbarkeit,
vgl. Fall 3 StaatshaftungsR
Kein Anspruchsausschluss, § 64 II
•
Kein Anspruchsausschluss, § 64 II
Rechtsfolge
Entschädigung für Vermögensschäden, § 65
HSOG – Nichtvermögensschäden nur
§ 65 II HSOG
ggf. zu berücksichtigen:
• Abtretung von Anspr. gg. Dritte, § 65 IV
HSOG
•
Vorteilsanrechnung,§ 65 V 1 HSOG (h.M.:
obj. und ex post zu beurteilen)
•
Mitverschulden, § 65 V 2, 3 HSOG
§ 64 I 1 HSOG analog für den
•
•
•
Entschädigung für Vermögensschäden, § 65
HSOG – Nichtvermögensschäden nur
§ 65 II HSOG
ggf. zu berücksichtigen:
• Abtretung von Anspr. gg. Dritte, § 65 IV
HSOG
•
•
Vorteilsanrechnung,§ 65 V 1 HSOG (h.M.:
obj. und ex post zu beurteilen)
Mitverschulden, § 65 V 2, 3 HSOG
Unbeteiligten Dritten (h.M.; a.A.: allg.
Aufopferungsanspruch
Staatshaftungsrecht)
für Nichtvermögensschäden
Anscheinsstörer, falls ex-post nicht verantwortlich, (h.M.; a.A.: (-))
•
Rechtsfolge:
Anspruch
aus
enteignungsgleichem
Verdachtsstörer, falls ex-post nicht ver- Eingriff
antwortlich, (h.M.; a.A.: (-))
subsidiär zu § 64 HSOG
(-) beim Freiwilligen Nothelfer => in
Hessen bes. geregelt: § 64 III HSOG
Anspruch aus enteignendem Eingriff
subsidiär zu § 64 HSOG
Verschuldensabhängig:
Amtshaftungsanspruch, § 839 BGB, Art. 34
GG
neben § 64 HSOG, vgl. § 64 IV
25
VII. Versammlungsrecht und Polizeirecht
Beachten Sie die enorme Bedeutung des Versammlungsrechts, Ermächtigungsgrundlagen
finden sich in §§§ 5, 9II, 12 a, 13 I VersG für öffentliche Versammlungen in geschlossenen
Räumen, in §§§ 15 (versammlungsrechtliche Generalklausel), 17a IV, 18 III, 19 IV,19 a iVm
12 a VersG für Versammlungen unter freiem Himmel.
Voraussetzung für die Anwendbarkeit des Versammlungsgesetzes ist, dass es sich um eine öffentliche Versammlung (=wenn die Teilnahme jedermann offensteht, dies insbesondere unabhängig von einer persönlichen Einladung) im Sinne von § 1 I VersG handelt. Lediglich § 3,
21,23,28,30 VersG betreffen auch nicht öffentliche Versammlungen.
Eine Versammlung erfordert nach h.M.
-eine Zusammenkunft mehrerer Personen (mind. 2)
-die in innerer Verbundenheit stehe (Abgrenzung zur bloßen Ansammlung)
- zur kollektiven Meinungskundgabe nach außen (hM öffentliche Belange)
Versammlungen
in geschlossenen
Räumen
öffentlich
§§ 5- 13 VersG
Art. 8 I GG
unter freiem Himmel §§ 14 ff VersG
Art. 8 II GG
nicht öffentlich
HSOG(grs.)
Art. 8 I GG
HSOG(grs.)
Art. 8 II GG
a)Grundsätzlich müssen Sie sich das VersG bei öffentlichen Versammlungen wie ein Zelt
vorstellen, dass die Versammlungsteilnehmer vor den speziellen, weitreichenden Befugnissen
des HSOG schützen. Die Anwendbarkeit des HSOG ist grs. ausgeschlossen (lex specialis des
VersG). Ab dem Zeitpunkt des Beginns der Versammlung ist eine Versammlung grs. „polizeifest“, d.h. die Behörde darf nur noch auf Grund des VersG handeln.
b)Grundsätzlich sind also Maßnahmen nach Auflösung oder sonstiger Beendigung bzw. im
Vorfeld von Versammlungen nach dem HSOG zu behandeln.
c)Sehr umstritten ist insbesondere die Frage, ob bei dem Weg der Teilnehmer zur Versammlung auch bereits das VersG greift. Während nach einer Ansicht wegen des starken Schutzcharakters von Art. 8 I GG auch hier das VersG greifen müsse, ist nach h.M auch hier das HSOG
abschließend die Ermächtigungsgrundlage. Allerdings müssen die Vorschriften des HSOG
hier restriktiv im Lichte des Art. 8 GG ausgelegt werden.
d)Auch bei nichtversammlungsspezifischen Gefahren ist das HSOG anwendbar.( Bsp: Ein aus
dem Zoo ausgebrochener Elefant, welcher auf die Versammlung zuläuft).
e) Das HSOG ist auch dann anwendbar, wenn das VersG für bestimmte Bereiche keine Regelung enthält (zB: Zwangsmittel, §§ 47 ff HSOG).
26
f) Nach hM kann die Behörde zudem nach Beginn der Versammlung nur noch die Auflösung
als Eingriffsmöglichkeit vornehmen, vgl. § 15 III VersG. Minusmaßnahmen sind nach hM wenn sie milder als die Maßnahmen im VersG sind (AUFLÖSUNG!) oder wenn sie dem
Schutz der Versammlung dienen- nach dem HSOG zu behandeln, nach der mM werden die
Vorschiften des VersG analog angewandt.
Vergl. vertiefend hierzu: Polizei-und Ordnungsrecht Hessen/ Hemmer/Wüst/Hein, 1. Auflage
2010, Rn 490 ff.
VIII. Die Rechtsnachfolge
Die Frage nach der Rechtsnachfolge stellt sich insbesondere bei der Prüfung der Störereigenschaft (Ist der Rechtsnachfolger automatisch Störer, wenn der Rechtsvorgänger Störer war?)
und in der der Vollstreckung (Kann der bereits erlassene VA gegenüber dem Rechtsnachfolger vollstreckt werden?).
Neben einigen Sondervorschriften wie § 53 Abs. 5 HBO, wonach Verwaltungsakte
auch für und gegen Rechtsnachfolger gelten, und § 4 Abs. 3 BBodSchG, wonach der
Gesamtrechtsnachfolger eines Verursachers einer schädlichen Bodenveränderung
oder Altlast für die Sanierung verantwortlich ist, finden sich zur Frage der Rechtsnachfolge
im HSOG keine allgemeinen Regelungen.
Zu differenzieren ist zwischen Einzelrechtsnachfolge (rechtsgeschäftlicher Erwerb, §§
873,925, 929; Zuschlag im Wege der Zwangsversteigerung) und Gesamtrechtsnachfolge
(insbesondere §§ 1922, 1967, 414 ff BGB, 25 HGB, 20 I Nr. 1 UmwG) sowie abstrakter (=
kein VA) und konkreter Polizeipflicht (= VA erlassen). Weiterhin ist zwischen Verhaltensverantwortlichkeit und Zustandsverantwortlichkeit zu differenzieren.
a) Rechtsnachfolge in abstrakte Polizeipflicht bei Verhaltensverantwortlichkeit
(§6HSOG)
Eine solche Rechtsnachfolge ist insbesondere bei Verhaltensverantworlichkeit nach allgemeiner Meinung ausgeschlossen. Diese knüpft von ihrem Grundcharakter her an das eigene,
höchstpersönliche Verhalten an und kann deshalb von einem Dritten nicht übernommen werden.
b)Rechtsnachfolge in konkrete Polizeipflicht bei Verhaltensverantwortlichkeit (§6 HSOG)
Ob bei einem bereits erlassenen VA eine Rechtsnachfolge möglich ist, ist umstritten.
Teilweise wird vertreten, dass wegen der Personenbezogenheit des VAs (zB Ermessen hinsichtlich bestimmter Person ausgeübt) eine Rechtsnachfolge nicht möglich sei,
Nach wohl hM ist zwischen vertretbaren und unvertretbaren Handlungen zu differenzieren. Bei unvertretbaren Handlungen sei wegen der Höchstpersönlichkeit eine Rechtsnachfolge ausgeschlossen (zB Impfschutzmaßnahme gegen Rechtsvorgänger). Bei vertretbaren
27
Handlungen geht die Verpflichtung im Fall der Gesamtrechtnachfolge über, im Fall der Einzelrechtsnachfolge nur dann, wenn dies gesetzlich angeordnet ist. (zB § 4 III BBodSchG)
c)Rechtsnachfolge in abstrakte Polizeipflicht bei Zustandsverantwortlichkeit (§ 7 HSOG)
Bei der Zustandsverantwortlichkeit ohne erlassenen VA erfolgt die Verantwortlichkeit automatisch kraft Gesetzes, § 7 II S.1 HSOG, unabhängig davon ob Einzel-oder Gesamtrechtsnachfolge eingetreten ist.
d)Rechtsnachfolge in konkrete Polizeipflicht bei Zustandsverantwortlichkeit (§ 7 HSOG)
Die wohl h.M bejaht im Wege der Einzelrechtsnachfolge die Zustandsverantwortlichkeit bei
der konkreten Polizeipflicht. Beim Erwerb ist das Eigentum wegen der Sach-, Grundstücks-,
bzw. Anlagenbezogenheit mit einer aktualisierten verwaltungsrechtlichen Verpflichtung belastet, es findet eine Verdinglichung des VAs statt. Kostenrechtlich kann hiernach aber nur der
herangezogen werden der im Zeitpunkt der Störungsbeseitigung Verantwortlicher war.
Im Zuge der Gesamtrechtsnachfolge ergibt sich nach wohl h.M (Rspr.) kein Unterschied.
Vergl. vertiefend- auch zur Ansicht der Literatur- Polizei-und Ordnungsrecht Hessen/ Hemmer/Wüst/Hein, 1. Auflage 2010, Rn 411 ff.
28
IX. Die Abschleppfälle
Vorab: § 43 III 1 HSOG als Rechtsgrundlage für Kosten? nur (+), wenn Sicherstellung nach §
40 HSOG
a)Literatur: Entscheidend, dass es Ordnungsbehörde darauf ankommt, die Sache in Verwahrung zu haben. Im Gegensatz zur Sicherstellung eines gestohlenen Pkw kommt es der Stadt in
den Abschleppfällen nicht darauf an, Besitz an dem Wagen zu begründen
b)Rspr: Unterschied bloßes Versetzen oder Verwahren auf Verwahrplatz, bei letzterem liegt
Verwahrwille vor
Zudem: § 44 II S 2 StVO ist nicht einschlägig, da keine taugliche Ermächtigungsgrundlage.
Das Abschleppen ist keine vorläufige Maßnahme zur Gefahrbeseitigung, sondern eine endgültige.
1. Abschleppen mit Verkehrszeichen
Ersatzvornahme nach § 47 I HSOG, da Verkehrszeichen benutzungsregelnde Allgemeinverfügungen sind (§ 35 S. 2 Fall 3 HVwVfG), welche auch ein Wegfahrgebot enthalten.
2. Abschleppen ohne Verkehrszeichen
Unmittelbare Ausführung nach § 8 oder Sofortvollzug § 47 II HSOG, je nach Situation und
Ansicht (Lit./VGH) der man folgt.
3. Abschleppen mit nachträglich aufgestelltem Schild
Wird das Halteverbotsschild erst nach dem Parken des Fahrzeugs aufgestellt, kommt eine Ersatzvornahme nach § 47 I HSOG nur dann in Betracht, wenn man für die Wirksamkeit das
Aufstellen genügen lässt (siehe unten). Sonst greifen die Regeln über die unmittelbare Ausführung oder den Sofortvollzug.
4. Abschleppen zum Schutz des Eigentümers
Hier liegt eine Sicherstellung nach § 40 HSOG vor. Der Eigentümer soll im Wege der Sicherstellung vor Verlust oder Beschädigung der Sache geschützt werden. Dabei ist strittig, ob es
auf den Wert der Sache (im Rahmen der Verhältnismäßigkeit ankommt).
5. Exkurs: Abschleppen bei unbefugtem Parken auf Privatgrundstück
BGH NJW 2009, 2530: Wer sein Fahrzeug unbefugt auf einem Privatgrundstück abstellt,
begeht verbotene Eigenmacht, derer sich der unmittelbare Grundstücksbesitzer erwehren darf,
indem er das Fahrzeug abschleppen lässt; die Abschleppkosten kann er als Schadensersatz
von dem Fahrzeugführer verlangen.
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Vertiefung 1: Bekanntgabe eines Verkehrsschildes
Ein Verkehrsschild ist nunmehr nach längerer Streitphase wohl unstreitig als Allgemeinverfügung iSd. §35 S.2, 3. Alt. VwVfG anzusehen
· Problematisch bleibt damit jedoch die Frage der Bekanntgabe des Verkehrsschildes
a) Alte Rspr. des BVerwG (E 28, 181, 184; E 59, 221, 226)
Bekanntgabe eines Verkehrsschildes gegenüber dem jeweiligen Verkehrsteilnehmer gem. § 41
I VwVfG, wenn er sich erstmals in den Bereich des Verkehrsschildes begibt.
b) Rspr. des BVerwG vom 11.12.1996 (E 102, 316, 318): Für die Bekanntgabe von Verkehrsschildern gilt ein eigener Bekanntgabebegriff aus den Regelungen der §§ 39 I, 45 IV
StVO.
Bekanntgabe erfolgt danach mit Aufstellung des Verkehrsschildes in der Weise, dass es
durch einen durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer bei Einhaltung der gem. § 1 StVO
erforderlichen Sorgfalt schon mit einem raschen und beiläufigen Blick wahrgenommen
werden kann
auf die tatsächliche Wahrnehmung kommt es gerade nicht an
II. Die Entscheidung des BVerfG vom 10.09.2009 (NJW 2009, 3642/ JA 2010, 394):
· In der Folgezeit nach der Entscheidung des BVerwG vom 11.12.1996 wurde dann in Teilen
der Rspr. (VGH Kassel NJW 1999, 1651; VGH Mannheim NVwZ-RR 2003, 311) und der
Lit. angenommen, dass die Anfechtungsfrist, die aufgrund des regelmäßigen Fehlens einer
Rechtsbehelfsbelehrung gem. § 58 II VwGO ein Jahr beträgt, ebenfalls mit dem Aufstellen
des Verkehrsschildes beginnt
Andere Teile der Rspr. (OVG Lüneburg, NJW 2007, 1609, 1619) und der Lit. vertraten dagegen die Auffassung, dass die Anfechtungsfrist erst zu laufen beginne, wenn der Verkehrsteilnehmer sich der Regelung des Verkehrsschildes erstmalig gegenübersieht
III. Inhalt des Beschlusses des BVerfG vom 10.09.2009:
Der Beschwerdeführer hatte im Jahre 2007 vor dem Verwaltungsgericht gegen ein Verkehrsschild geklagt, dass bereits im Jahre 1992 aufgestellt worden war. Die Klage war als unzulässig, da verfristet, abgewiesen worden. Der zuständige VGH Baden Württemberg (JuS 2010,
91) hatte die Zulassung der Berufung abgelehnt, da ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des
erstinstanzlichen Urteils nicht ersichtlich seien.
Die dagegen eingelegte Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg
Wesentlicher Inhalt der Entscheidung:
a)Soweit der Gesetzgeber einen Rechtsweg geschaffen hat, ist es mit dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gem. Art 19 IV GG nicht vereinbar, wenn die Zulassungsgründe für ein
Rechtsmittel in unzumutbarer Weise erschwert werden und dadurch die Möglichkeit, die Zulassung des Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leer laufen würde
b) Dem Urteil des BVerwG vom 11.12.1996 (E 102, 316) könne gerade nicht entnommen
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werden, dass schon mit Aufstellung des Verkehrszeichens die Anfechtungsfrist zu laufen
beginne.
c)die Rechtssache wurde daher an den VGH Baden Württemberg zur erneuten Entscheidung
in der Sache zurückverwiesen
III. Die Entscheidung des BVerwG vom 23.09.2010 (NJW 2011, 246):
Zwischenzeitlich gelangte dann ein Rechtsstreit zum BVerwG, der zunächst vor dem VGH
München (Urt. v. 29.07.2009, 11 BV 08.481) verhandelt worden war. Auch hier war unter anderem die Problematik zu beurteilen, dass der Kläger sich im August 2001 gegen ein Verkehrsschild wandte, welches bereits im März 2000 aufgestellt worden war.
Inhalt der Entscheidung:
a)Die Frist für die Anfechtung eines Verkehrsverbotes, welches durch ein Verkehrszeichen
bekanntgegeben wird, beginnt für den jeweiligen Verkehrsteilnehmer zu laufen, wenn er zum
ersten Mal auf das Verkehrszeichen trifft.
b)Begründet wird diese Entscheidung im Wesentlichen unter Hinweis auf das Gebot des effektiven Rechtsschutzes gem. Art 19 IV GG. Es sei mit diesem Grundsatz nicht vereinbar,
dass einem Verkehrsteilnehmer überhaupt kein Rechtsschutz gegen das Verkehrsschild zukomme, wenn die Anfechtungsfrist bereits mit dem Aufstellen beginne. Solange der Verkehrsteilnehmer nicht auf das Verkehrsschild träfe, wäre eine Anfechtungsklage nämlich bereits aufgrund des Fehlens der individuellen Betroffenheit gem. § 42 II VwGO unzulässig.
c) Eine Anfechtung der mit dem Verkehrsschild verbundenen Regelung ist nunmehr auch
noch Jahre nach dessen Aufstellung möglich, wenn der Kläger belegen kann, dass er erstmalig
frühestens ein Jahr vor Klageerhebung auf das angefochtene Verkehrszeichen getroffen ist.
IV. Kritik an dieser Entscheidung (vgl hierzu Ehlers JZ 2011, 155):
a)Das BVerwG verkennt in seiner Entscheidung den Sinn und Zweck der öffentlichen Bekanntgabe. Dieser bestehe gerade darin, dass sie für und gegen jedermann wirkt und insbesondere auch in die Zukunft gegenüber erst später Betroffenen
b)Das Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 IV GG gebietet nicht, dass jeder jederzeit
gegen eine staatliche Maßnahme vorgehen kann, zu beachten ist vielmehr, dass der einzelne
Bürger bei einem unanfechtbaren Verkehrsschild die Möglichkeit hat, an die zuständige Behörde einen Antrag gem. § 51 VwVfG zu stellen, und dann im Falle der negativen Bescheidung die Gerichte anrufen kann, Art 19 IV GG ist dadurch gewahrt.
Vertiefung 2: Anrufen auf dem Handy vor dem Abschleppen
Ist das Abschleppen bei Ablegen eines Zettels im Auto unter Angabe der Handynummer mit
dem Hinweis: „Bei Störung, bitte anrufen, komme sofort“ verhältnismäßig?
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a)Die Möglichkeit über das Kennzeichen den Halter zu ermitteln, stellt infolge ungewisser Erfolgsaussichten keine mildere Maßnahme dar (vgl. BVerwG NJW 2002, 2122).
b) Grundsatz: Keine Nachforschungspflicht, wenn sich der Fahrer nicht in Ruf-oder Sichtweite aufhält, weil der Erfolg zweifelhaft ist und weil unabsehbare Verzögerung droht (so zB
auch VGH Kassel NVwZ-RR 1999,23,25). Zudem sprechen auch generalpräventive Aspekte
(abzuschleppendes Auto als schlechtes Vorbild) dagegen.
c)Ausnahme:
aa)Ein Ausnahme drängt sich aber dann auf, wenn Anhaltspunkte für ein schnelles und sicheres Heranholen des Fahrers ersichtlich sind, zB ein Hinweis auf den Aufenthaltsort des Fahrers im engsten Nahbereich des parkenden Fahrzeugs, soweit dieser Ort ohne übermäßigen
Einsatz des Beamten erreichbar ist (vgl. BVerwG NJW 1990, 931, OVG Hamburg NJW
2005, 2247,2248).
bb)Dies bedarf aber immer einer Abwägung im Einzelfall und nur ein Anruf ist erforderlich.
Das Risiko der Nichterreichbarkeit trägt der Störer. Erforderlich ist wohl zumindest die jeweilige Angabe des (nahen)Aufenthaltsortes.
cc)Zudem muss ein Bezug zur jeweiligen Situation erkennbar sein, so dass der Fahrer ernstlich bereit ist, die Störung zu beseitigen. Ein routinemäßig verwendeter Aufkleber oder Zettel
begründet nicht die Annahme, dass sich der Fahrer bei Verlassen des Wagens hinlänglich bewusst gewesen ist, dass er im konkreten Einzelfall auch erreichbar und kurzfristig zum Wegfahren bereit ist. Ein Anruf ist dann nicht geboten (vgl. VG Hamburg NVwZ-RR 2005,37,38;
OVG Hamburg, JuS 2006,1042).
dd)VORSICHT: Aus Art. 3 I GG kann ggf. sich die Pflicht ergeben erst einen Anruf unter
der ausliegenden Handynummer vorzunehmen. Wenn die Stadt (hier: Mainz) durch ständige
Verwaltungspraxis den Fahrer vor dem Abschleppen versucht zunächst zu erreichen, hat sie
sich selbst gebunden (vgl. VGH Mainz, Urt. Vom 25.03.2004). Jedoch gilt dies nur, wenn ein
Abweichen von dieser Praxis ohne sachlichen Grund erfolgt. Die Behörde kann natürlich
nicht „für immer“ dazu verpflichtet sein.
d) Karenzzeit bei Parkuhr-/Parkscheinverstößen
Nach der Rechtsprechung muss der Parkende nach 1 Stunde rechtswidrigen Parkens mit
dem Abschleppen rechnen (nach OVG Münster ggf. sogar nach ½ Stunde, NJW 98,2465), eine tatsächliche Behinderung durch das Kfz ist nicht nötig.
Hier greifen die obigen Ausführungen entsprechend.
Nach einer Stunde kann nicht mehr von unvorhersehbaren Verzögerungen ausgehen. Und
man muss nicht mehr damit rechnen, dass der Fahrer in absehbarer Zeit fährt
Zudem: Nach dem Zweck, knappen Parkraum zu regeln (vgl. § 13 StVO), werden Parkuhren
an solchen Stellen aufgestellt, wo eine Bewirtschaftung des Parkraums nötig ist, sodass Verstoß sogar eine Gefahr indiziert.

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