Baurecht, Umweltrecht und Vergaberecht: Rechtsanwalt Klaus

Transcrição

Baurecht, Umweltrecht und Vergaberecht: Rechtsanwalt Klaus
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
Fachinfo Öffentliches Baurecht:
Rechtsschutzmöglichkeiten des Bauherren
und Nachbarn
Rechtsanwalt Klaus Hoffmann
Fachanwalt für Verwaltungsrecht
Fürstenrieder Straße 281
81377 München
Tel 089/ 71 05 48 48
Fax 089/ 71 05 48 49
[email protected]
www.hoffmann-gress.de
1
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
1.
Rechtsschutz des Bauherrn
1.1
Allgemeines
Wird die beantragte Baugenehmigung von der zuständigen Baugenehmigungsbehörde nicht
oder nicht mit dem beantragten Inhalt (z. B. mit nicht gewünschten Auflagen) erteilt, stellt
sich häufig die Frage nach den verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten des
Bauherrn.
Vor Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Klage ist zunächst zwingend ein Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO) vorgeschaltet. Gegen baurechtliche Verwaltungsakte
kann der Bauherr innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen (§ 70 Abs. 1 VwGO). Über
den Widerspruch entscheidet die nächsthöhere Verwaltungsbehörde (in der Regel Regierungspräsidium). Erst wenn das Widerspruchsverfahren (erfolglos) abgeschlossen ist, kann
innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht erhoben werden. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts kann
die Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht bzw. in einigen Ländern (z.B. Bayern, Baden-Württemberg) zum Verwaltungsgerichtshof des Landes beantragt werden. Unter
bestimmten Voraussetzungen kommt sodann noch eine Revision zum Bundesverwaltungsgericht in Betracht. Vor den Oberverwaltungsgerichten und dem Bundesverwaltungsgericht
ist zwingend die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vorgeschrieben.
Praxis-Tipps:
•
•
•
•
1.2
Im Vorfeld verwaltungsgerichtlicher Streitigkeiten sollte immer überlegt werden, ob
ein Beschreiten des Klagewegs im jeweiligen Fall überhaupt sinnvoll ist. Bei den
meisten Verwaltungsgerichten muss man in Bauprozessen auf eine erstinstanzliche
Entscheidung mindestens ein Jahr warten. Hinzu kommt der Zeitraum eines vorgeschalteten Widerspruchsverfahrens (in der Regel 2 bis 3 Monate).
Neben diesem zeitlichen Gesichtspunkt spielen vor allem die wirtschaftlichen Überlegungen des Bauherrn eine wesentliche Rolle. Hier ist zu fragen, ob sich eine Klage
auf Erteilung einer Baugenehmigung überhaupt lohnt - gerade wenn die bauplanungsrechtliche und bauordnungsrechtliche Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens
unklar ist.
Häufig gibt es in Abstimmung mit der Bauaufsichtsbehörde Alternativlösungen (z. B.
durch teilweise Änderung oder Reduzierung der ursprünglichen Planung, Akzeptanz
bestimmter Auflagen etc.), die für den Bauherrn unterm Strich kostengünstiger und
zielführender und vor allem schneller sind als die Durchführung eines Bauprozesses.
Es empfiehlt sich, vor Einleitung verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutzmöglichkeiten
regelmäßig in einem Gespräch mit der Bauaufsichtsbehörde zu klären, welche Alternativlösungen in Betracht kommen, um die Genehmigungsfähigkeit des beantragten
Bauvorhabens sicherzustellen.
Versagung der Baugenehmigung
Wird die Baugenehmigung versagt, ist wie folgt vorzugehen:
Gegen einen ablehnenden Bescheid der Bauaufsichtsbehörde muss zunächst innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden (§ 68 VwGO). Die Monatsfrist beginnt allerdings
nach § 58 VwGO nur dann zu laufen, wenn der Bescheid eine Rechtsbehelfsbelehrung enthält. Fehlt diese, so kann der Widerspruch innerhalb eines Jahres eingelegt werden.
Im Fall der Zurückweisung des Widerspruchs kann der Bauherr dann ebenfalls innerhalb
eines Monats Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht erheben (§ 42 Abs. 1 Alternative 2 VwGO).
2
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
1.3
Untätigkeit der Behörde
Die Bauaufsichtsbehörden sind grundsätzlich verpflichtet, Bauanträge »zügig« zu bearbeiten. Dies ist nicht immer der Fall. Allerdings kann nur in bestimmten Fällen, bei denen eine
»Untätigkeit« der Behörde vorliegt, der Bauherr ohne vorheriges Widerspruchsverfahren direkt beim Verwaltungsgericht Klage auf Erteilung der Baugenehmigung erheben.
Eine solche Untätigkeitsklage ist nach § 75 VwGO zulässig, wenn über einen Bauantrag innerhalb von drei Monaten nicht entschieden worden ist und auch keine besonderen Umstände vorlagen, die eine angemessene Verlängerung dieser Frist gerechtfertigt hätten.
Haben der Bauherr oder seine Beauftragten die Verzögerung der Bearbeitung mit zu verantworten (z. B. weil notwendige Bauvorlagen unvollständig waren oder zu spät vorgelegt wurden), ist eine Untätigkeitsklage nach Ablauf von drei Monaten nach Einreichung des Bauantrags (noch) nicht zulässig.
Dies gilt auch, wenn sich das Genehmigungsverfahren bei komplizierten Bauvorhaben im
Einzelfall verzögert, wenn umfängliche Stellungnahmen anderer Fachbehörden (z. B. Wasserbehörde, Naturschutzbehörde) eingeholt werden müssen. In diesem Fall wird die Bauaufsichtsbehörde dem Bauherrn regelmäßig eine Zwischennachricht zum Stand des Genehmigungsverfahrens geben, um sich nicht dem Risiko einer Untätigkeitsklage auszusetzen.
1.4
Abweichende Baugenehmigung
Wird die Baugenehmigung inhaltlich anders erteilt, als sie beantragt wurde, ist zu unterscheiden:
1.5
•
Einzelne belastende Auflagen sind selbstständige Verwaltungsakte. Auflagen und
Auflagenvorbehalte (§ 36 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwVfG) sind deshalb grundsätzlich isoliert anfechtbar. Der Bauherr kann deshalb gegen einzelne ihn belastende Auflagen
einer Baugenehmigung Widerspruch einlegen und anschließend - bei Erfolglosigkeit
des Widerspruchsverfahrens - verwaltungsgerichtliche Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1
Alternative 1 VwGO) erheben.
•
Bedingungen (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG) sind nicht isoliert anfechtbar. Der Bauherr
muss nach zwingend vorgeschalteten Widerspruchsverfahren verwaltungsgerichtliche
Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alternative 2 VwGO) auf Erlass einer Baugenehmigung ohne die entsprechende Nebenbestimmung erheben. Dies gilt auch bei den so
genannten modifizierenden Auflagen.
Vorläufiger Rechtsschutz
Die Möglichkeit der Erlangung einer Baugenehmigung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist weitgehend Theorie. Wird eine Baugenehmigung abgelehnt, hat der Bauherr
nicht die Möglichkeit im einstweiligen Rechtsschutz eine vorläufige Regelung zu erreichen.
Eine einstweilige (Regelungs-)Anordnung beim Verwaltungsgericht kommt nicht in Betracht.
Eine solche »vorläufige« Baugenehmigung wäre eine prozessual unzulässige Vorwegnahme
der Hauptsache.
Unterscheide:
§ 212a Abs. 1 BauGB normiert seit 01.01.1998 bundeseinheitlich die sofortige Vollziehbarkeit bauaufsichtlicher Zulassungen. Widerspruch und Anfechtungsklage eines Nachbarn ha-
3
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
ben kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Wenn allerdings die Behörde auf Antrag
des Nachbarn ausnahmsweise die Vollziehung der Baugenehmigung aussetzt (§ 80a Abs. 1
Nr. 2, § 80 Abs. 4 VwGO), kann der Bauherr im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
gemäß § 80a Abs. 3 VwGO i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO die angeordnete Maßnahme vom
Verwaltungsgericht wieder aufheben lassen.
1.6
Schadenersatz bei abgelehnter oder zu spät erteilter Baugenehmigung
Hat der Bauherr - auch wenn er schließlich die Baugenehmigung in einem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren erstritten hat - einen Schaden erlitten, kann er unter bestimmten
Voraussetzungen Schadenersatz nach den Grundsätzen der Amtshaftung (§ 839 BGB i. V.
m. Art 34 GG) vor den Zivilgerichten geltend machen. Schadenersatzansprüche setzen jedoch ein Verschulden des betreffenden Amtsträgers voraus, das im Haftungsprozess vom
Geschädigten nachgewiesen werden muss.
Ein Schaden läge z. B. vor:
• bei Mehraufwendungen für die Baufinanzierung oder
• bei (teilweisem) Wegfall der Genehmigungsfähigkeit des beantragten Bauvorhabens
nach Abschluss des gerichtlichen Verfahrens infolge einer zwischenzeitlich erfolgten
Bebauungsplanänderung durch die Gemeinde.
Hat sich die Bauaufsichtsbehörde bei der Erteilung der Genehmigung oder die Gemeinde bei
der Erteilung des Einvernehmens (§ 36 BauGB) unangemessen lange Zeit gelassen (siehe
1.3), so kann der Bauherr seinen Verzögerungsschaden in Form von Mehraufwendungen
für die Finanzierung oder entgangene Erträge für Vermietung oder Verkauf geltend machen.
Amtshaftungsansprüche kommen auch dann in Betracht, wenn die Bauaufsichtsbehörde
dem Bauherrn unzutreffende Auskünfte erteilt und dieser im Vertrauen auf die Richtigkeit der
Auskünfte Dispositionen trifft, die sich später als Fehlschlag erweisen.
Hat eine Gemeinde die Entscheidung über einen Bauantrag oder über die Erteilung des Einvernehmens (§ 36 BauGB) zunächst unangemessen verzögert und dann ein Bebauungsplanaufstellungs- oder Planänderungsverfahren eingeleitet, durch das dem Bauherrn sein
Baurecht entzogen wird, so kann der Bauherr hierfür vollen Schadenersatz verlangen.
Unterscheide:
Kein Schadenersatz nach Amtshaftungsgrundsätzen kommt in Betracht, wenn eine Gemeinde einen an sich genehmigungsfähigen Bauantrag zum Anlass für ein
Bebauungsplanaufstellungs- oder Planänderungsverfahren nimmt und dies innerhalb einer
angemessenen Bearbeitungsfrist (3 Monate) durch Veränderungssperre oder Zurückstellen
des Baugesuchs absichert.
2.
Rechtsschutz des Nachbarn
2.1
Allgemeines
Auch Nachbarn können gegen erteilte Baugenehmigungen Rechtsmittel einlegen. Das
Nachbarrecht hat eine erhebliche Bedeutung im öffentlichen Recht. Im Gegensatz zum privaten Nachbarrecht stehen sich hier nicht die beteiligten Nachbarn unmittelbar gegenüber.
Vielmehr muss sich der in seinen Rechten beeinträchtigte Nachbar gegen die Behörde wen-
4
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
den, die eine für ihn belastende Entscheidung getroffen hat. Der baurechtliche Nachbarrechtsschutz nimmt bei verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten einen sehr großen Raum ein.
Nachbarn im Sinne des öffentlichen Baurechts sind dabei aber regelmäßig nur die Eigentümer der unmittelbar an das Baugrundstück angrenzenden Grundstücke.
Beachte:
Liegt jedoch eine ausdrückliche Zustimmung der Nachbarn zu dem Bauantrag vor und wurden die Bauunterlagen von ihnen unterschrieben, so verlieren die Nachbarn mit ihrer Unterschrift das Recht, gegen die Baugenehmigung später durch Widerspruch und verwaltungsgerichtliche Klage vorzugehen.
Sofern Nachbarn dem beantragten Bauvorhaben nicht bereits vorab durch ihre Nachbarunterschrift zugestimmt haben, wird ihnen die erteilte Baugenehmigung zugestellt. Wie der
Bauherr kann der Nachbar dann innerhalb eines Monats Widerspruch einlegen. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (§§ 68 ff. VwGO) kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO) zum
Verwaltungsgericht erhoben werden. Das Verfahren unterscheidet sich insoweit nicht vom
Rechtsmittelverfahren eines Bauherrn (siehe 1.1). Die verwaltungsgerichtliche Klage des
Nachbarn richtet sich nicht gegen den Bauherrn, sondern gegen die Behörde bzw. deren
Rechtsträger (häufig das jeweilige Bundesland).
Praxis-Tipp:
Widerspruch und verwaltungsgerichtliche Klage eines Nachbarn gegen bauaufsichtliche Zulassungen haben gemäß § 212a BauGB kraft Gesetzes keine aufschiebende Wirkung. Um
einen Baustopp zu erreichen, können Nachbarn im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes
nach § 80a, § 80 Abs. 5 VwGO beim Verwaltungsgericht die Anordnung der aufschiebenden
Wirkung ihres Widerspruchs bzw. ihrer Klage beantragen (siehe 2.3).
2.2
Nachbarschützende Vorschriften
Öffentlich-rechtlichen Nachbarrechtsschutz gibt es allerdings nur dann, wenn der Nachbar
die Verletzung nachbarschützender Vorschriften des öffentlichen Rechts geltend machen
kann. Wendet sich der Nachbar gegen die einem anderen erteilte Baugenehmigung, so kann
er diese mit Widerspruch bzw. verwaltungsgerichtlicher Anfechtungsklage nur erfolgreich zu
Fall bringen, wenn er dadurch in eigenen (nachbarschützenden) Rechten verletzt worden ist.
Ist eine Baugenehmigung aus sonstigen Gründen rechtswidrig, die den Nachbarn nicht berühren, so kann er der erteilten Baugenehmigung nicht wirksam entgegentreten. Zahlreiche
Nachbarprozesse bleiben allein deshalb erfolglos.
Die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (z. B. BVerwG, BayVBl. 1987, 151) geht davon
aus, dass nicht jede für ein Bauvorhaben im Genehmigungsverfahren zu prüfende öffentlichrechtliche Vorschrift auch den Nachbarn schützt. Ob eine nachbarschützende Vorschrift vorliegt, ist im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Nach der so genannten Schutznormtheorie
kommt es für den nachbarschützenden Charakter einer Regelung darauf an, ob die Regelung zumindest auch dem Schutz privater Belange dient. Ob eine öffentlich-rechtliche Norm
nachbarschützenden Charakter hat, ist deshalb im Wege der Auslegung anhand ihres Wortlauts, ihrer Entstehungsgeschichte und ihres Sinns zu ermitteln. Ein Indiz für den nachbarschützenden Charakter einer Regelung ist unter anderem die Erwähnung des Nachbarn oder
seiner Interessen in der Vorschrift selbst.
Folgende Vorschriften werden unter Berücksichtigung dieser Grundsätze allgemein als
nachbarschützend angesehen:
5
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
2.2.1 Nachbarschützende Vorschriften im Bauplanungsrecht
§ 30 BauGB (Bebauungsplan)
Nachbarschützende Festsetzungen eines Bebauungsplans begründen Abwehrrechte. Werden solche Festsetzungen eines Bebauungsplans im Sinne des § 30 BauGB nicht beachtet,
kann der Nachbar eine erteilte Baugenehmigung erfolgreich angreifen. Anerkannt sind Festsetzungen im Bebauungsplan über die Art der baulichen Nutzung. In der Regel nicht nachbarschützend sind dagegen Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, zur Bauweise
und zu den überbaubaren Grundstücksflächen.
Zu nennen ist in diesem Zusammenhang die Auffangvorschrift des § 15 Abs. 1 BauNVO.
Danach sind Bauvorhaben trotz ihrer Übereinstimmung mit den Festsetzungen eines Bebauungsplans im Einzelfall dann unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen und Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets in diesem selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind. Bei § 15 Abs. 1 BauNVO handelt es sich um eine gesetzliche Regelung des Gebots der Rücksichtnahme. Die Regelung vermittelt Nachbarschutz, wenn
ausnahmsweise ein an sich bebauungsplankonformes Vorhaben im Einzelfall unzumutbar
sein kann. Die Vorschrift greift in eher seltenen Ausnahmefällen durch. Üblicherweise ist davon auszugehen, dass ein Bauvorhaben, welches den Festsetzungen eines Bebauungsplans
entspricht, in der Regel nicht von den Nachbarn abgewehrt werden kann.
§ 31 Abs. 2 BauGB (Befreiungen vom Bebauungsplan)
§ 31 Abs. 2 BauGB ist ebenfalls als Ausdruck des Rücksichtnahmegebots drittschützend.
Die Rechtsprechung folgert aus dem Gebot, bei der Erteilung einer Befreiung von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nachbarliche Interessen mit zu würdigen, dass § 31 Abs. 2
BauGB auch die Interessen des Nachbarn schützen will.
§§ 34, 35 BauGB, Innenbereich/Außenbereich, Rücksichtnahmegebot
Die Regelungen zum unbeplanten Innenbereich nach § 34 und zum Außenbereich nach § 35
BauGB sind als solche nicht nachbarschützend. In diesem Zusammenhang spielt jedoch das
von der Rechtsprechung entwickelte Gebot der Rücksichtnahme eine wesentliche Rolle.
Dieses kann als Bestandteil des »Einfügens« im Rahmen des § 34 Abs. 1 BauGB bzw. als
ungeschriebener öffentlicher Belang im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB Abwehrrechte für
Nachbarn entstehen lassen.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (grundlegend: BVerwGE 52, 122)
können sich Nachbarn auf Verstöße gegen planungsrechtliche Vorschriften (nur) dann berufen, wenn »in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist«. So kann sich
z. B. ein privilegiert im Außenbereich ansässiger Landwirtschaftsbetrieb gegen heranrückende Wohnbebauung zur Wehr setzen, die ihn zur Einschränkung seines Betriebes zwingen
würde.
Bei Vorhaben in faktischen Baugebieten (§ 34 Abs. 2 BauGB) gilt nach neuerer Rechtsprechung (vgl. BVerwGE 94, 151) derselbe Nachbarschutz wie bei einer Festsetzung des Baugebietes durch Bebauungsplan (siehe 2.2.1).
2.2.2 Nachbarschützende Vorschriften im Bauordnungsrecht
Im Bauordnungsrecht sind als nachbarschützende Vorschriften der Landesbauordnungen
anerkannt:
6
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
•
•
•
•
2.3
die Bestimmungen über Abstand(s)flächen,
die Vorschriften über Standfestigkeit einer baulichen Anlage,
die Vorschriften über Brandschutz und Brandwände,
die Vorschriften über die Lage von Stellplätzen und Garagen.
Rechtsschutz in der Hauptsache
Im »dreipoligen Rechtsverhältnis« Bauherr - Bauaufsichtsbehörde - Nachbar kann der Nachbar unmittelbar nur gegen die Behörde vorgehen. Nach Durchführung eines Widerspruchsverfahrens (§ 68 ff. VwGO) - der Widerspruch muss grundsätzlich innerhalb eines Monats
nach Zustellung der Baugenehmigung eingelegt werden (§ 70 Abs. 1 VwGO) - kann der
Nachbar Anfechtungsklage beim örtlich zuständigen Verwaltungsgericht gegen die Baugenehmigung erheben (§ 42 Abs. 1 Alternative 1 VwGO).
Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung durch das Verwaltungsgericht
ist der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (in der Regel Widerspruchsbescheid)
maßgeblich.
Richtet sich die Anfechtungsklage gegen eine im vereinfachten Genehmigungsverfahren
erteilte Baugenehmigung, dann darf das Verwaltungsgericht nur im Rahmen derjenigen
nachbarschützenden Normen entscheiden, welche die Behörde zu prüfen hat.
Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ergeht regelmäßig durch Urteil. Gegen ein erstinstanzliches Urteil kann innerhalb eines Monats die Zulassung der Berufung zum Oberverwaltungsgericht des Landes (in einigen Ländern: Verwaltungsgerichtshof) beantragt werden. Die
Zulassung der Berufung kann nach § 124 Abs. 2 VwGO nur gestützt werden auf:
•
•
•
•
•
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils,
besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache,
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache,
eine entscheidungserhebliche Abweichung des Urteils von der ober- oder höchstrichterlichen Rechtsprechung,
einen für die Entscheidung möglicherweise ursächlichen Verfahrensmangel.
Bei Verfahren vor den Oberverwaltungsgerichten müssen sich private Kläger durch einen
Rechtsanwalt vertreten lassen. Bereits der Antrag auf Zulassung der Berufung kann nur von
einem Rechtsanwalt gestellt werden.
Gegen Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte ist unter bestimmten Voraussetzungen
die Revision zum Bundesverwaltungsgericht (§§ 132 ff. VwGO) möglich. Im Revisionsverfahren werden ausschließlich rechtliche Aspekte eines Falls geprüft, der Sachverhalt wird nicht
nochmals neu aufgerollt.
Praxis-Tipps:
•
•
Tendenziell sind Baunachbarprozesse häufig bereits in der ersten Instanz (regelmäßig nach ca. 1 bis 2 Jahren) beendet. Die Zulassung der Berufung wird von den Oberverwaltungsgerichten eher restriktiv gehandhabt. Noch seltener und schwieriger
ist die Zulassung einer Revision zum Bundesverwaltungsgericht.
Nachbarklageverfahren als taktische Mittel zur Verzögerung von Bauvorhaben haben
erheblich an Bedeutung verloren. Rechtsbehelfe eines Nachbarn gegen Baugenehmigungen führen seit 01.01.1998 nicht mehr automatisch zum Baustopp eines Vor-
7
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
habens, da sie grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung haben. Dies führte in den
vergangenen Jahren teilweise zu einer Verlagerung der nachbarrechtlichen Auseinandersetzungen in den einstweiligen Rechtsschutz (siehe 2.4).
2.4
Eilverfahren
Seit der Änderung des BauGB durch das BauROG zum 01.01.1998 haben Nachbarrechtsbehelfe gegen bauaufsichtliche Zulassungen gemäß § 212a Abs. 1 BauGB grundsätzlich
keine aufschiebende Wirkung. Der Nachbar kann jedoch bei der Bauaufsichts- oder der Widerspruchsbehörde die Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80a Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 80
Abs. 4 VwGO beantragen.
Der Nachbar kann auch - ohne dass es eines vorherigen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde bedarf - nach § 80a Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 5 VwGO bei dem zuständigen Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs oder seiner
Klage anordnen lassen.
Im Eilverfahren erfolgt eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage durch das Verwaltungsgericht. Die Eilentscheidung durch das Verwaltungsgericht hat allerdings häufig Präjudizcharakter für das nachfolgende Hauptsacheverfahren.
Das Verwaltungsgericht entscheidet über einen Eilantrag durch Beschluss. Hiergegen kann
innerhalb von zwei Wochen Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht bzw. Verwaltungsgerichtshof des Landes eingelegt werden.
2.5
Rechtsschutz gegen baugenehmigungsfreigestellte Vorhaben
Die Ausdehnung von Genehmigungsfreistellungsverfahren bzw. Anzeigeverfahren sowie die
Ausweitung des Katalogs genehmigungsfreier Vorhaben durch die Bauordnungen der einzelnen Bundesländer haben auch erhebliche Auswirkungen auf die Rechtsschutzmöglichkeiten. „Klassischer“ Nachbarwiderspruch, Anfechtungsklage, aber auch der einstweilige
Rechtsschutz des Nachbarn nach den §§ 80, 80a VwGO entfallen hier.
Dem Nachbarn bleibt bei baugenehmigungsfreigestellten Vorhaben nur ein Vorgehen im
einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim zuständigen Verwaltungsgericht nach § 123
VwGO (einstweilige Anordnung) und in der Hauptsache eine Verpflichtungsklage (§ 42 Abs.
1 Alternative 2 VwGO) auf behördliches Einschreiten gegen ein Nachbarbauvorhaben, das –
trotz Genehmigungsfreistellung – gegen Bauvorschriften verstößt.
Bei einem solchen einstweiligen Rechtsschutzverfahren nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht sind nach der Rechtsprechung folgende Kriterien zu beachten:
•
•
•
•
ein Anspruch des Nachbarn auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde besteht regelmäßig nur dann, wenn ein Vorhaben gegen öffentlich-rechtliche nachbarschützende Vorschriften verstößt;
die geschützten Belange des Nachbarn müssen durch das Bauvorhaben mehr als
nur geringfügig berührt werden;
eine einstweilige Anordnung zu Gunsten des Nachbarn kommt dann in Betracht,
wenn gewichtige und ernst zu nehmende Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit in
nachbarrechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht werden können, so dass
der Ausgang eines Hauptsacheverfahrens vor dem Verwaltungsgericht zumindest als
offen angesehen werden muss (vgl. z. B. VGH Mannheim, BauR 1995, 219; VGH
München, NVwZ 1997, 923).
8
RA Klaus Hoffmann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, München
Darüber hinaus kommt im Einzelfall ein Eilrechtsschutz des Nachbarn im Rahmen eines
Normenkontrollverfahrens gegen den maßgeblichen Bebauungsplan gemäß § 47 Abs. 6
VwGO vor dem Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof in Betracht. Genehmigungsfreigestellte Vorhaben müssen im Gebiet eines (qualifizierten) Bebauungsplans gemäß § 30
Abs. 1 BauGB liegen und dessen Festsetzungen entsprechen.
Einen Baustopp kann der Nachbar unter Umständen erreichen, wenn er glaubhaft macht,
dass der Bebauungsplan bzw. einzelne Festsetzungen gegen höherrangiges Recht verstoßen. In diesem Fall würde die Realisierung des auf der Grundlage des Bebauungsplans ohne Baugenehmigung zulässigen Vorhabens seine Nachbarrechte beeinträchtigen.
2.6
Zivilrechtliches Vorgehen gegen Nachbarbauvorhaben
Der Nachbar hat grundsätzlich die Wahl, ob er ein Bauvorhaben öffentlich-rechtlich durch
Widerspruch oder Anfechtungsklage abwehren will oder ob er unmittelbar gegen den Nachbarn zivilrechtlich vorgeht. Nach ganz herrschender Meinung hindert eine Baugenehmigung
den Nachbarn nicht, sich gegen ein Bauvorhaben auch privatrechtlich zur Wehr zu setzen.
Das private Nachbarrecht findet sich vornehmlich in den §§ 906 bis 923 BGB sowie in den
einzelnen Landesnachbargesetzen. Die Nachbargesetze der Länder regeln zum Teil detailliert einzelne Verhaltensanforderungen an Grundstücksnachbarn und gewähren bei deren
Verletzung zivilrechtliche Unterlassungsansprüche. So gibt es beispielsweise Regelungen
über die Nachbar- und Grenzwand, Einfriedungen oder einzuhaltende Grenzabstände für
Anpflanzungen. Die hierzu ergangene Rechtsprechung ist - was niemanden verwundert mehr als reichhaltig.
3. Rechtsschutz gegen bauaufsichtliche Anordnungen
Gegen bauaufsichtliche Verfügungen der Baugenehmigungsbehörde, wie z. B. Baueinstellung, Beseitigungsanordnung oder Nutzungsuntersagung kann der Bauherr Widerspruch und
verwaltungsgerichtliche (Anfechtungs-)Klage einlegen.
Widerspruch und Klage haben grundsätzlich aufschiebende Wirkung. In der Praxis werden
allerdings die Baueinstellung und die Nutzungsuntersagung regelmäßig mit der Anordnung
der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO versehen. Dies bedeutet, dass
der Bauherr trotz seines Rechtsbehelfs die Anordnung sofort befolgen muss.
Gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann der Eigentümer einen Antrag auf
Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs im Eilverfahren nach
§ 80 Abs. 5 VwGO beim zuständigen Verwaltungsgericht stellen.
Praxis-Tipp:
Häufig sind gerichtliche Eilverfahren bei bauaufsichtlichen Verfügungen wegen des weiten
Ermessensspielraums der Behörde wenig Erfolg versprechend. Es empfiehlt sich deshalb,
mit der Bauaufsichtsbehörde eine einvernehmliche Lösung zu suchen, um die Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens sicherzustellen.
9