Mach`s sanfter, Mann!

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Mach`s sanfter, Mann!
Mach’s sanfter, Mann!
Nach Machos, Yuppies und Don-Johnson-Figuren ruft die
Gesellschaft nach einem neuen Mann: Willkommen in der
Welt der Alpha-Softies und Reflexions-Rebellen. Text von Margaretha Jurik
Wechseljahre. Die Rolle des Ernährers ist gegessen. Die bürgerliche Kleinfamilie der 1960er-Jahre ist so
ausgestorben wie die klassischen Männerberufe. Der Mann braucht neue Vorbilder, die alten taugen nicht
mehr. Die Deindustrialisierung am Ende des 20. Jahrhunderts brachte für die starken Männerarme den
­beschäftigungstechnischen Supergau: Keine Arbeit, kein Sinn. Die Wissensgesellschaft ging dann auf das
Konto der Frauen, die zuvor noch viel zu lange das Abendessen mundwarm servierten. Der Mann litt unter
dem strahlenden Lichtschein der weiblichen Verherrlichung des Jahrtausendwechsels, als Kommunikation,
Konfliktfähigkeit und Kooperation nur den Frauen zugetraut und attestiert wurden. Die neue Arbeits- und
Lebenswelt schrie nach neuen Skills: Sozialkompetenz! Zeitmanagement!
Doch er hat die allgegenwärtige Emanzipation überlebt, die sterile Metrosexualität mit Bärten verdrängt
und „halbe-halbe“ neu definiert. Heute kennt er die Patente der Schnuller-Industrie, tauscht Pedale gegen
PS und geht im Papa-Monat zur Belustigung der alten Damen mit seinem Kind Bootfahren. Was Mann
macht, macht er gut, wenn nicht, darf er seine Fehler eingestehen oder gar wortreich besingen. Er erfindet
sich und sein Umfeld neu und lässt
sich auf die Emotionale Evolution
ein. Die alten Rollenbilder waren
sehr lange sehr richtig, also dauert
die Umstellung auch ein bisschen
länger. Seit Kurzem entdeckt der
Mann die klassisch-weiblichen
­K-Domänen (Küche, Kinder, Konsum) von selbst und erobert sie
Schritt für Schritt. Wie das einst
die Frauen mit den männlichen
Wirkungsfeldern taten. Nun ist
aber auch schon Schluss mit den
ewigen Vergleichen und Klischees.
Was der neue Mann braucht, sind
Zeit und Platz zum Entfalten. Und
vielleicht eine klitzekleine Orientierungshilfe. Take your time.
Eine Renaissance des wohl ältesten Merkmals der Männlichkeit in der Geschichte der Menschheit. Nicht immer geliebt, oft gepflegt und dann auch vom anderen Geschlecht beachtet: der kultivierte Bartwuchs. In der Historie als Macht- und Männlichkeitssymbol verwendet (griechische
Philosophen und ihre Bartlocken, die vielen Gelehrten der Sumerer und ihre haarige Gesichtsumrandung), wurde dem Mann der Bart auch in der gekonnten Verweiblichung während der Metrosexualität nie vom weiblichen Geschlecht streitig gemacht. In modernen Städten immer häufiger
als gepflegte Vollversion anzutreffen, wenn wild, dann gestylt. Redakteure und -innen diverser
Ausgaben von Die Presse und Standard’s Rondo haben das flauschige Phänomen unter die Lupe
genommen. Bärte sind visuelle Zusammengehörigkeitsmerkmale, ein Zeichen von Potenz,
Schmuck oder Protest. Diese neuen Männer tragen ihre sichtbare Männlichkeit auch zu einem
Barbier, der mit dem Messer umgehen kann. So schon installiert im Hotel Wiesler in Graz.
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Bestseller 3|4 2012
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Bartmode
Trag ihn mit Würde
Statussymbole
Neue Insignien
der Männermacht
Väterkarenz
Karriere oder Bubenerlebnisse
Der Verzicht auf das hart erarbeitete Gehalts-Niveau, ein sozialer Wiedereinstieg mit Hindernissen, der
Verlust des finanziellen Ernährerstatus – diese und andere Sorgen baumeln wie ein Damoklesschwert über
den Köpfen der erziehungshungrigen und auszeitwilligen Männern. Wer es wirklich wagt, Abenteuer
­Papa-Monat oder Ereignis Väterkarenz in Angriff zu nehmen, ist noch in überschaubarer Gesellschaft.
Laut zuständiger und daher intensiv werbender Bundesministerin für Frauen (sic!) und Öffentlichen
Dienst, Gabriele Heinisch-Hosek, liegt die Väterquote bei den Kindergeldbeziehern – die zu Hause beim
Kind bleiben – gegenwärtig bei fünf Prozent, Tendenz vielversprechend steigend. Der zweite Österreichische Männerbericht an den Nationalrat formuliert das Problem, dass Männer, die aktiv ihren beruflichen
Aufstieg forcieren, auch mehr Zeit im Beruf verbringen. „Häufige Abwesenheit oder gar eine längere Karenzzeit sind für viele mit Karriere nicht vereinbar.“ Dennoch waren 6.354 neue Männer im
Februar 2012 dazu in der Lage. Einer von ihnen, Alexander Foggensteiner, verrät auf der offiziellen Homepage www.maennerinkarenz.at den wahren Grund: Neben den intensiven
Routinen wie waschen, füttern, wickeln „werden wir Bubenerlebnisse haben: spazieren
im Wald, fahren mit dem Boot und uns dabei von älteren Damen bewundern lassen.“
Gekauft wird, was imponiert. Ein
Schnuller muss, um dem väterlichen
Konsumenten zu gefallen, zumindest einen Superlativ enthalten. Der kleinste
Schnuller ist schon mal ein Anfang, ein
technisches Patent auf eine Babyflasche
hat noch bessere Chancen. Immer mehr
Väter entscheiden (mit), welche Produkte das Baby bekommt: „Männer stehen
vor Regalen und prüfen Schnuller und
Flaschen genau auf Funktionalität,
Anwendbarkeit und nützliche Zusatzfeatures“, weiß auch Johannes
Tichy, selbst Mann und Marketing Manager bei MAM Babyartikel. Das höchste der Gefühle sind dann praktische
Dinge: Ein in der Mikrowelle sterilisierbarer Sauger erobert das männliche
Konsumentenherz.
Wichtige Erkenntnis
zwischen den Zeilen:
„Hier hat offensichtlich
ein Wandel stattgefunden,
denn um zu wissen, was
praktisch ist oder Zeit und Aufwand
spart, muss man diese Aufgaben zu
­Hause erst auch einmal übernommen
haben“, fasst Tichy zusammen. Aus dem
Mund in die Hand: Statussymbol Kinderwagen, auch hier sind Technik und das
Design tonangebend für den Entscheidungsträger und Schieber. Dank der beiden holländischen Wagen-Pioniere und
ihres Bugaboo muss man nicht auf Alu­
felgen und Denim-Design verzichten.
Der lieb gewonnene Protz-Bolide hat nicht ausgedient, aber die PS-Wuchter geraten ein wenig in den Hintergrund. Die neue Mobilität bedeutet, ein Auto zu haben, wenn man eines braucht. Morgen fährt vielleicht schon
der Nachbar damit. Das car2go-Konzept macht den Leihwagen sexy: 500 kleine City-Smarts warten auf ihre
Fahrer, das Handy verrät, wo sie stehen. Wenn die Pizza geholt, der Sohnemann verstaut oder die Schlüssel
nachgebracht sind, bleibt das Automatik-Auto irgendwo stehen. Geschäftsführer Robert Henrich sagte in der
Zeit über den Wertewandel: „Sie brauchen kein eigenes Auto und sind dennoch mobil – Käufer werden Nutzer“,
ein Konzept, das in Wien vor allem Männer annehmen. Genug mobile Männer bestehen auf Eigenantrieb. Und
hier findet sehr wohl jedermann sein neues Statussymbol: Statt Sterne, 7-Gang und Zwölfzylinder beherrschen
Nabenschaltungen und Riemenantrieb das Straßenbild. Neu auch hier: Mann bleibt gern ­sauber: Wartungs­
armut und Ölfreiheit lauten die Schlagwörter. Wer kann, fährt ohne Freilauf (Fixed ­Gear) und begnügt sich mit
einem Gang (Singlespeed). Gebastelt wird wieder, ist ja kaum noch was dran.
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Mobilität
Ohne Gänge in die Gänge
Männerberatung
Wann ist Mann
ein Problem?
Literatur
Die modernen
Seiten des Mannes
Als Mann kann man seine großen und kleinen Sorgen getrost in private, staatliche oder
kirchliche Beratungsohren legen. Jedes Jahr
melden sich rund 10.000 Männer zu einem
Erstberatungsgespräch in den vielen Institutionen – die meisten freiwillig und
selbstständig. „Wenn eine Mutter ihren Sohn anmelden möchte, und wir kriegen heraus, dass
er schon über 40 ist, dann nehmen wir das nicht an“, erklärt
Jonni Brem von der Männer­
beratung Wien. Der Sohn muss
sich schon selber melden, auch
wenn in diesem Fall ein Beratungsgrund klar ist. Die häufigsten Themen,
die sich mit dem Mannsein beschäftigen,
drehen sich um Körperlichkeit, Krisen und
Werteverschiebung. Das erzeugt Druck, den
es früher so nicht gab. Dazu Brem: „Schön
sein, wissen, was Kinder essen und wie man
das zubereitet, sind neue Anforderungen, denen nicht jeder gewachsen ist“, oft fühlt man
sich zerrissen zwischen Vater- und Ehemann-Rolle. Dennoch, Mannsein ist kein
Problem, das den zusätzlichen Anforderungen Gerechtwerden oft schon.
Die Erschaffung des neuen Männerbuchs
­gelingt Stefan Pott mit seinem Werk
„MANN. Moderne Betrachtungen“. Er konzentriert sich auf eine sehr geradlinige Definition des Mannseins und postuliert das
auch mit einfachen, aber starken Worten:
Mann darf kein Junge sein, sonst gibt’s nur
Mädchen oder Mütter, jedoch keine Frauen.
Und er ist Manns genug, um in den drei
­lebenswichtigen Bereichen Liebe, Familie
und Beruf zu punkten. Mann will eben
mehr, und nicht mehr oder weniger. Und
Mann muss Vater bleiben, auch bei Scheidung, Trennung und Problemen. Die Welt
muss er verändern wollen, Großes anstreben
und Kleines bemerken. Der dezidierte
Frauen­freund und Männermotivator Stefan
Pott redet gut zu, erklärt verständlich, warnt
vor Mittelmaß und
mahnt zur Tat. Und
die Belohnung ist
Paradies­ähnlich: Mann
hat Frau, Mann bekommt Sex, Mann hat
Erfolg, Mann gründet
Familie – tja, Mann
tut, was man kann.
Musik
Klänge für
den Klagemann
Sie bejammern den Weltschmerz,
begleiten sich meist selbst am
Klavier oder der Gitarre und leiden unter dem Druck des Lebens,
retten die Welt aber durch Liebe.
Nach den ungehobelten MachoBösebuben wie Eminem, Sido
oder den ungezogenen Poly­
gamie-Fans von Seeed salben die
liebes­vernach­lässigten Lieder­
sänger die wunden Ohren: Max
Prosa, der „die Tränen durch den
­Regen trägt, weil eh schon alles
nass ist“, oder Tim Bendzko, der
die Welt retten muss und erkennt,
„manchmal ist ein Herz wie aus
Glas und zerbricht mit einem
Mal“, oder Lyrik-Leier James
Blunt. Ähnlich üppige F
­ risur,
treuherziger Welpenblick und die
­Fähigkeit, Unsicherheit und Ängste in Männertexte zu packen.
Männer wurden lange unter die Lupe genommen, untersucht, ­­­beund hinterfragt. Das Resultat des Zukunftsinstituts ist eine dicke
Männerstudie. Mehrere Erkenntnisse wurden hier für Mann, Frau
und Marketing aufbereitet. Wichtige Inhalte: Der Mann macht
sich an die Eroberung der Domänen der Frauen – wenn man ihm
das richtige Expeditionsgerät zur Seite stellt: „Kochen wird mit
zehnmal geschmiedeten japanischen Kampf-Messern zu einer
gran­diosen Tat mit genialer Technik“, erklärt Andreas Steinle.
Der Geschäftsführer des Zukunftsinstituts greift aus seiner
­Männerstudie 2008 prominente Männerfiguren in den Medien als
­Beispiele heraus: James Bond und Wladimir Putin. „Die beiden
haben sich über Jahrzehnte hinweg extrem gewandelt. Aus den
kämpferischen, ­aalglatten Machos ohne Schwächen wurden beinahe sanfte Charaktere, die Verletzungen und Kratzer abbekommen oder nach dem Wahlerfolg weinen dürfen.“ Ein Wertewandel findet statt und nimmt die Märkte gleich mit in den Wechsel.
Klischees sind out, der Megatrend Individualisierung verteidigt
das Image aller Männertypen, auch das des neuen Mannes.
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shock/Fotolia, Sandra Ludewig, Christian Reister/Buenos Dias
Männerstudie
Putin weint absichtlich