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Da
Humanis Verlag für Gesundheit GmbH • Silcherstrasse 15 • D-67591 Mölsheim • Deutsche Post AG • Entgelt bezahlt • ZKZ D 05475 • ISSN 0723-5070
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29. Jahrgang
2/ 2011
D A S L E B E N G E H Ö R T A L L E N . F I ATA U T O N O M Y. D E
D IE FREIHEIT, D IE WIR MEINEN .
Lebenswege sind individuell – wie die Menschen, die sie leben. Träume sind so verschieden wie diejenigen, die sie träumen. Fiat Autonomy möchte Ihnen jede Unterstützung dabei anbieten, Ihr Leben zu
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editorial
DemoRenaissance
Liebe Leserin, lieber Leser,
jetzt ist der mehrfache Super-GAU in Japan schon einige Wochen her und so gut wie vergessen. Dass sich ein
paar Kernstäbe schmelzend in die Erde gebohrt haben,
dass Abermillionen Liter radioaktiv verseuchtes Wasser
aus dem explodierenden Reaktor in die Atmosphäre
geschleudert und ins Meer geflossen sind, kratzt kaum
noch jemanden außer die Kanzlerin, die aus Angst um
die Macht über Nacht zur Atomkraftgegnerin mutierte.
Andere Mutationen stehen sicher bevor, schon in Tschernobyl wurden unzählige kranke und behinderte Kinder
geboren. Insofern hat uns dieses Thema dauerhaft zu
interessieren.
Davon abgesehen wird sich die Belastung weltweit verteilen. Schon ist grüner Tee in Japan landesweit belastet
(Überraschung!), wie das mit Unterhaltungselektronik,
Kleinwagen und Sushi aus dem Land der aufgehenden
(Anti-Atom-) Sonne weitergehen soll weiß man nicht.
Natürlich wird sich die Strahlenbelastung durch die
weltweite Verteilung weiter verringern. Nur wird sich ein
Teil davon, und zwar der gefährlichste, über Jahrhunderte kaum verringern. Und Wissenschaftler sagen, dass
es für einige hochgiftige, auch radioaktive Stoffe keine
unschädliche Dosierung gibt. Wie viel Leid durch die
verantwortungslose Nutzung unbeherrschbarer, aber
hoch profitabler Monstertechnik auf die Welt kommt,
wird die Zukunft zeigen. Deutschland übrigens wimmelt
nicht nur so von Erdbebenzonen und schlummernden
Vulkanen, sondern ist eine der Regionen der Erde, auf
denen die meisten Flugzeuge fliegen – wie viel Schaden
die anrichten können wissen wir spätestens seit dem 11.
September 2001.
Gut, dass jetzt wieder demonstriert wurde. Die rote AntiAtom-Sonne auf gelbem Grund feiert ihre Wiedergeburt
als öffentliches Symbol. Bei all diesen Demos sind immer
schon behinderte Menschen dabei gewesen, die sich
schon Jahrzehnte oft unbemerkt für gesellschaftlich relevante Themen einsetzen. Die moderne Politik nennt
das übrigens Teilhabe.
Die Anti-Atom-Demos ließen nach, als der EHEC-Keim
zuschlug. Er ist zwar schon seit über 20 Jahren in seiner
Gefährlichkeit bekannt, fordert auch jedes Jahr neue
Todesopfer, war dann aber doch praktisch, um von anderen Themen abzulenken… Was mich sehr stört ist die
ärztliche Relativierung, so manches Todesopfer habe
„Vorerkrankungen“ gehabt. Na und? Alte und Behinderte sterben eben zuerst, wenn die Seuche kommt, oder
wie sollen wir das verstehen? Auch die durch staatliche
Sparwut in den Krankenhäusern vorzüglich geförderte
Vermehrung resistenter Keime führt bevorzugt bei
Menschen mit Handikap zu lebensbedrohender Infektion. Ist die lahme Reaktion des Staates auf diese Bedrohung doch darauf zurückzuführen, dass es die gesunde
Mehrheit nicht so oft trifft? Ein böser Verdacht.
Demos mit heiteren Gesichtern sah man bundesweit am
5. Mai, dem europaweiten „gemeinsamem Protesttag
für die Gleichstellung behinderter Menschen“. Hoffnung
ist was Schönes, gerade wenn sie begründet erscheint.
Die „UN-Behinderten-Konvention“ führt landauf, landab
zu Aufbruchsstimmung. Gut so, schließlich enthält sie
nahezu vollständig alle Forderungen der Behindertenbewegung. Aber sie ist noch nicht durchgesetzt. Jetzt
mauern sie überall, die hartleibigen Bürokraten (ja, zum
Glück gibt es auch gutwillige), die sparwütigen Politiker,
die stinkfaulen Schulleiter mit der Angst vor arbeitsintensiven behinderten Schülern und überhaupt die Allgemeinbevölkerung, die Minderheiten und Fremdes
per se nicht mag. Wenn wir nicht wollen, dass uns das
Lachen über die neuen Rechte im Hals stecken bleibt,
werden wir wieder kämpfen müssen, bis der Traum über
die Gleichberechtigung aller Wirklichkeit geworden ist.
Dass wir auch in diesem Heft zahlreiche andere Infound Servicethemen bieten, sind Sie von uns gewohnt.
Ein komplettes Angebot, so soll es sein. Wenn Sie sich
darüber freuen, wenn etwas fehlt oder nicht so gelungen ist, schreiben Sie uns. Wir würden uns freuen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ihr
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3$5$3/(*,.(5
3
inhalt
editorial
3
Demo-Renaissance
aktuell
6
Europaweiter Protesttag (1):
8
Europaweiter Protesttag (2):
Berlin und anderswo
Seite 6
„Bonn inklusiv“ – die Zeiten ändern sich
kultur
10
Karikaturen von Barbara Früchtel
bericht
12
Datenbank für rollstuhlgerechte Orte:
16
20 Jahre Engagement für Betroffene
und die Prävention:
www.wheelmap.org
Seite 12
Amputierten-Initiative
25
42
Behinderte Träume?
Die Suche nach dem Frauenarzt
glosse
14 Pünktlichkeit ist eine Zier…
menschen
20
Nils Bandelin:
22
Christian Au:
Menschen mit Amputationen
Mut machen
Alles, was Recht ist
hilfsmittel
27 Rampen – das Angebot ist riesig
markt
30
Bauen-wohnen-renovieren:
46
HausRheinsberg feiert 10-jähriges
Jubiläum
47
„Linksfüßerin“ fährt Auto ohne ihre Arme:
48
iChair – Neue Elektro-Linie
von MEYRA-ORTOPEDIA
49
Optimales Duo –
Selbstkatheterismus und Kondomurinale
4
Seite 16
Schränke – immer an der Wand lang
Soweit die Füße tragen und weit
darüber hinaus
PARAPLEGIKER 2/11
Seite 20
inhalt
q – querschnitt spezial
Seite 27
Seite 36
33
Das silberne Spar-Schwein:
34
Serie: Dekubitus (2)
36
Operation aus Patientensicht:
38
Symposium des Querschnittgelähmtenzentrums Mecklenburg-Vorpommern
40
Gesunde Ernährung ab 40 –
Aspekte für Querschnittgelähmte
„Kaufen Sie sich doch einfach
ein neues Auto“
Das richtige Kissen wählen!
Stoma - Leben mit einem Loch im Bauch
die fotoseite
51 Neulisch in Fronkreisch
kurzgeschichte
neulich nachts geschah:
52 Was
Dumme Nuss
sport
Seite 52
56
Buggykiten:
Schnell wie der Wind
unterwegs
58
Rollibike-Tour entlang des Mains:
62
kleinanzeigen
Von Bayreuth nach Aschaffenburg
recht
Seite 40
63
Der ärztliche Behandlungsfehler (Teil 1)
65
66
abo
impressum
Titelfoto: wheelmap.org.
Seite 58
Seite 56
PARAPLEGIKER 2/11
5
aktuell
Europaweiter Protesttag (1):
Berlin und anderswo
Seit vielen Jahren
findet in Deutschland und in unseren
Nachbarländern
der Europäischen
Gemeinschaft am
5. Mai ein gemeinsamer Protesttag für
die Gleichstellung
behinderter Menschen statt.
D
ieser Tag hat viele Gesichter: Gemeinsame Sternfahrt behinderter Menschen mit Bus und Bahn nach
Berlin oder politische Diskussionen mit den Vertretern der Fraktionen aus Stadt- und Landesparlamenten; immer zum Thema Gleichstellung behinderter
Bürger und Abschaffung von Benachteiligungen.
Egal unter welchem Aspekt oder Schwerpunkt, immer steht der Wunsch nach mehr Akzeptanz im
Brennpunkt. Schluss mit Benachteiligung und Diskriminierung, so oder ähnlich lauten stets die Forderungen. Dahinter steht eigentlich nur der Wille von
behinderten Bürgern nach Anerkennung ihrer Würde. Zahlreich sind die aufgezählten Nachteile, vom
Ruf nach Arbeitsplätzen bis hin zu der Forderung für
mehr Pflegesicherheit im Alter. Auch in diesem Jahr
war das so.
Überall fanden Veranstaltungen statt, große und
kleinere. Unter dem Motto „Kein Sonderweg! Inklusion behinderter Menschen von Anfang an“ gab es
an dem von der LAG Selbsthilfe Bayern e.V. koordinierten Aktionstag auf dem Münchner Marienplatz
eine Vielzahl an Informationen und Diskussionen
6
PARAPLEGIKER 2/11
zum Thema. An knapp dreißig Ständen präsentierten
sich Behindertenverbände, Selbsthilfegruppen und
Vereine.
In Dortmund wurde über das Thema Inklusion an den
Hochschulen diskutiert. Eingeladen hatte das Sozialministerium NRW. Es kamen Vertreter der Ministerien
des Landes, der Landschaftsverbände, der Organisationen und Verbände Betroffener zusammen und debattierten konstruktiv über strukturelle Veränderung
an den Hochschulen. Für Nordrhein-Westfalen zumindest scheint das Thema „Inklusion“ Chefsache zu sein.
So verkündete Ministerpräsidentin Hannelore Kraft in
ihrer Regierungserklärung am 15.9.2010:
„Wer den Zusammenhalt der Gesellschaft will, darf
weder Ausgrenzung noch Diskriminierung hinnehmen. Auch heute noch werden Menschen mit
Behinderungen vielfach von Bildungs- und Ausbildungsangeboten, der beruflichen Teilhabe oder der
bestmöglichen medizinischen Betreuung ausgeschlossen. Gemeinsam mit den Organisationen und
Verbänden behinderter Menschen werden wir einen
Aktionsplan „Eine Gesellschaft für Alle – NRW inklu-
aktuell
siv“ auf den Weg bringen. Wir wollen auch hier aus
Betroffenen Beteiligte machen. Wir werden die UNBehindertenrechtskonvention in allen ihren Teilen
in Landesrecht umsetzen und die Bundesregierung
dabei unterstützen, dasselbe auf Bundesebene zu
tun. Wir werden auf der Grundlage eines breit angelegten Dialogs zur UN-Behindertenrechtskonvention den Eindruck, dass es sich um eine große
Wiedersehensveranstaltung handelte. Es trafen sich
Menschen, die sich das letzte Mal in Bonn aus Anlass der großen Demonstration gegen die Pflegeversicherung sahen. Erinnerungen wurden ausgetauscht nach dem Motto „Weißt Du noch?“. Fragen
nach der Familie und der Gesundheit ließen einige
fast den eigentlichen Anlass des Treffens vergessen.
Aber dann begann der Marsch und man bereitete
sich auf die Kundgebung vor. Es war ein wunderbares Gefühl, ringsum mit Menschen zu laufen und
zu rollen, die sich gemeinsam für die gleichen Ziele
auf den Weg machten. Nach kurzer Überlegung
wusste ich es, das Gefühl heißt Solidarität. Am Zaun
zum Bundeskanzleramt angekommen, stellten sich
alle auf und jeder konnte seine Forderungen an die
Bundesregierung mit einem Mikrophon verkünden.
derung oder chronischen Erkrankung nicht wegen der
Behinderung oder der Schwere der Behinderung von
den gesellschaftlichen Angeboten und Teilhabemöglichkeiten ausgeschlossen werden.
Zu den Forderungen an die Politik heißt es in dem Aufruf: „Es geht um die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention. Unverzüglich und vollständig. Es
geht um Teilhabe. Für alle und jede/n. Es geht um gute
Arbeit und gutes Wohnen, um Assistenz und Barrierefreiheit. Einkommens- und vermögensunabhängig. Es
geht um würdevolles Leben. Selbstbestimmt und diskriminierungsfrei.“
Mit Sicherheit haben an diesem Tag wieder viele Hoffnung geschöpft, vielleicht hat diese Gesellschaft doch
noch eine Chance und kann von ihrer Vielfalt profitieren. Erinnern wir uns an das alte Motto: „Du hast keine
Chance, also nutze sie!“. Wir sehen uns bei der nächsten
Demo.
Text & Foto:
Harry Baus
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Unter den Rednern waren Andreas Vega, der Sprecher für persönliche Assistenz und Persönliche
Budgets der Interessenvertretung Selbstbestimmt
Leben in Deutschland (ISL), Silvia Schmidt, die
Vorsitzende der Initiative „Daheim statt Heim“, Ilja
Seifert, der behinderten- und tourismuspolitische
Sprecher der Linksfraktion im Bundestag. Und mit
einer flammenden Rede auch Ursula Engelen-Kefer,
die ehemalige stellvertretende Vorsitzende des
Deutschen Gewerkschaftsbundes. Zurzeit ist sie
Dozentin an der Hochschule der Bundesagentur
für Arbeit und hat einen Lehrauftrag an der Freien Universität Berlin. Darüber hinaus leitet sie den
Arbeitskreis Sozialversicherung im Sozialverband
Deutschland.
Alle waren sich über die zentrale Aussage ihrer Forderungen einig: Behinderte Menschen wollen eine
inklusive Gesellschaft, in der Menschen mit einer
chronischen Krankheit und Behinderung vom Kindergarten über die Schule bis ins Arbeitsleben von
Anfang an möglichst ohne Sonderweg im gleichen
Maß ausgebildet und gefördert werden. Inklusion
bedeutet, dass auch Menschen mit einer Behin-
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aktuell
Europaweiter Protesttag (2):
„Bonn inklusiv“ –
die Zeiten ändern sich
Dass in der ehemaligen Bundeshauptstadt der 5. Mai auch
begangen wird, überrascht nicht. Schon eher wie das passiert. Früher waren solche Tage bestimmt von einer Frontstellung zu recht unzufriedener behinderter Menschen
gegen einen Staat, der mindestens untätig war gegenüber
zahlreichen Missständen, die das Leben mit Handikap zu
einem ständigen Kampf machten. Heute arbeiten staatliche Stellen vielerorts mit der Selbsthilfe zusammen, um
die „UN-Behinderten-Menschenrechtskonvention“ in die
deutsche Wirklichkeit zu übersetzen.
Auf „inklusive“
Bühnen führen
Rampen, im Bild:
Die Theatergruppe
„Fulminant“.
N
icht, dass wir uns falsch verstehen: Keineswegs haben sich
die Probleme, die sich vor behinderten Menschen auftürmen,
über Nacht in Luft aufgelöst. Das deutsche Bildungssystem ist
weltweit höchstens drittklassig, die Bildungs- und Berufschancen für Behinderte sind nach wie vor schlecht, inzwischen landen auch akademisch Qualifizierte im Abseits. Die öffentlichen
Verkehrsmittel funktionieren z.B. für Rollstuhlfahrer nur in wenigen Städten, der Zugang zu Fernzügen wird immer noch mit
klapprigen Handkurbelrelikten bewerkstelligt. Pflegeskandale
sind an der Tagesordnung, finden aber im Verborgenen statt. Soll
ich weitermachen?
Und doch – es bewegt sich was. In Bonn am erwähnten Tag sogar eine ganze Menge. Der verstorbene stellvertretende FGQVorsitzende Christian Joachimi, gleichzeitig Vorsitzender der Behindertengemeinschaft Bonn, die als Behindertenbeauftragte
fungiert, ist merkwürdigerweise indirekt dafür verantwortlich,
dass ich am Abend diesen Tages eine Veranstaltung namens
„In-Kunst-klusiv“ moderiere. Das kam so: Auf seiner Beerdigung
sprach ich im Auftrag des FGQ-Vorstands ein paar Worte über
Erlebnisse, die ich im Laufe von vier Jahrzehnten mit Christian
Joachimi geteilt hatte. Sie liefen hinaus auf die große Hoffnung
seiner letzten Lebensmonate, die Verwirklichung grundlegender
Verbesserungen für behinderte Menschen eben durch die Umsetzung der UN-Konvention, beispielhaft in Bonn durch den
Teilhabeplan „Bonn inklusiv“. Der steckt noch in den städtischen
Gremien, hat aber wohl Chancen Stück für Stück Wirklichkeit zu
werden, betreffend praktisch alle Lebensbereiche von Menschen
8
PARAPLEGIKER 2/11
mit Behinderung: Erziehung, Bildung, Arbeit, Wohnen, Budget,
Kultur, Freizeit, Gesundheit, Pflege, Barrierefreiheit.
Die Vergangenheit
Und nun stehe ich hier, mit meiner Vergangenheit als Protestler in der Zeit um das „UNO-Jahr der Behinderten“ 1981 herum.
Damals waren die Missstände überall noch deutlich mit Händen
zu greifen, Schulen, öffentliche Einrichtungen und Verkehrsbetriebe sonderten offen und teils aggressiv aus. Unsere Antwort
war entsprechend: Das „Krüppeltribunal“ beschrieb im Dezember 81 sehr deutlich die Probleme und das Verhalten der Täter.
Anschließend gab es einige Demos und andere Konfrontationen,
bis endlich eine Bereitschaft erkennbar war von Aussonderung
zu „Integration“ umzuschalten.
Integration kostet die Betroffenen viel Mühe. Schließlich müssen
sie sich an die herrschenden Verhältnisse anpassen, in denen sie
eigentlich nicht vorgesehen sind. Mein guter Freund Harry Baus,
Autor des vorangehenden Beitrages, hat deshalb immer gern gesagt: „Ich will nicht integriert sein.“
Auf Integration folgt „Inklusion“. Hört sich doof an, hat aber viel
Gutes: Im Grundsatz bedeutet Inklusion die Miteinbeziehung
aller schon bei der Planung. Schule, Verkehrsmittel, Häuser, alles
wird künftig so geplant, dass alle, auch die mit Handikap, damit
und darin klar kommen. Eine paradiesische Verheißung – es gibt
schlechtere Ziele…
Die Veranstaltung
Den ganzen Tag schon geht es auf dem Münsterplatz in Bonn
hoch her. Wer in der Stadt aktiv ist hat einen Stand oder ist dort
aktuell
unterwegs. Verblüffend für den Besucher von außerhalb ist die
offenbar nahtlose, freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen
Stadt, Staat und Selbsthilfe, keine Rede mehr von Fronten. Nicht,
dass alle Probleme gelöst sind, nicht, dass alle zufrieden wären.
Aber man arbeitet wohl zusammen, man kämpft nicht mehr gegeneinander.
Dann kommt der Abend im Münstercarré: „Zum Anlass des europäischen Protesttages zur Gleichstellung von Menschen mit
Behinderung organisiert die Lenkungsgruppe des Behindertenpolitischen Teilhabeplans Bonn eine musikalische und kulturelle
Veranstaltung von und für Menschen mit und ohne Behinderung.“
Karl Valentin wusste es schon vor 60 Jahren: „Kunst ist schön,
macht aber viel Arbeit.“ Das hat diese Veranstaltung auch gemacht. Geleistet von Mitarbeiterinnen der Stadt Bonn. Sie haben
ihre Sache gut gemacht. Das Programm kann sich sehen lassen,
es zu moderieren ist die reine Freude. Dabei habe ich die Gelegenheit, auf die vergangenen Kämpfe der Βehindertenbewegung
hinzuweisen. Und zu mahnen: Inklusion braucht Teilhabe. Die Betroffenen müssen sich beteiligen, sonst werden die Ansätze zur
Veränderung stecken bleiben. Und auch Wachsamkeit ist gefragt.
Sonst werden Formeln und Geschwätz echte Veränderungen
ersetzen. Und doch bleibt es dabei: Es gibt Ansätze zu grundlegenden Verbesserungen der Rechte behinderter Menschen. Die
gilt es zu loben und zu verteidigen.
Programm des Abends
Als erstes werden Texte von Alexander Schallenberg, einem
nichtsprechenden Autisten, vorgetragen. Er besuchte jahrelang
die Sonderschule für geistig Behinderte, heute Förderschule. Über
die so genannte „gestützte Kommunikation“ erhielt er die Möglichkeit mit Unterstützung einer Person auf etwas oder auf Buchstaben zu zeigen, sich mitzuteilen. Bald schrieb er: „Ich möchte
auf eine andere Schule, ich bin hier nicht richtig, ich möchte ein
adäquates Bildungsangebot.“ 2009 machte er sein Abitur an der
Gesamtschule in Bonn Bad Godesberg und studiert seitdem Germanistik und Philosophie.
Als nächster Programmpunkt folgt „Leonce und Lena“ von Georg
Büchner, aufgeführt von der Theatergruppe „Fulminant“ des Bonner Vereins für gemeindenahe Psychiatrie e.V., teilweise Schauspielkunst auf beachtlichem Niveau. Die Gruppe besteht aus 17
Schauspielerinnen und Schauspielern, die in unterschiedlicher
Weise psychiatrisch erkrank sind. 14 Darsteller kommen aus diversen Einrichtungen des Bonner Vereins, wie Wohnheim oder
Tagesstätte. Geboten werden zwei Szenen aus dem 1. Akt des
Theaterstückes, das zurzeit von „Fulminant“ geprobt wird. Ergänzt
wird es mit Texten und Liedern, die Herbert Grönemeyer für eine
Aufführung im Berliner Ensemble mit Robert Wilson geschrieben
bzw. komponiert hat.
Den populären Schlusspunkt des Abends setzt die TH-live Band.
Sie singt Lieder, Schlager-, Pop- und Volksmusik zum Playback.
Die Gesangsgruppe, auch „Tenten live“ oder die „Band“ genannt,
besteht aus Bewohnern des Tenten-Hauses in Bonn, einem Wohnheim der Lebenshilfe Bonn. TH-live entstand im Jahr 2003. Anlässlich eines bevorstehenden Sommerfestes wurde von zwei Mitarbeitern des Hauses eine Band gegründet. Die Idee lag nah, da
viele Bewohner musikalische Talente hatten. Abgesehen von dem
großen Spaß, den alle Beteiligten hatten, kam die Gruppe auch
sehr gut beim Publikum an und schon bald gab es Nachfragen,
ob man nicht auch woanders auftreten könne. Heute besteht die
Gruppe aus fünf Sängern und einem weiteren Bewohner, der den
Rhythmus angibt.
Binnen kurzem kocht der Keller. Unglaublich, was da an unverfälschter Freude an der Musik und echtem Gefühl rüberkommt.
Im Gang wird getanzt, der Saal schunkelt und freut sich. Von „Hey
Baby“ über „Ein Stern der Deinen Namen trägt“ bis zu „Aber bitte
mit Sahne“ kommt alles an, am Schluss hat die Band aber auch
jeden im Raum.
Text & Foto: Peter Mand
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kultur
Karikaturen
von
Barbara Früchtel
10
PARAPLEGIKER 2/11
Eine Marke der Daimler AG
Lassen Sie sich nicht behindern.
Welche Ziele Sie sich auch gesetzt haben – die behindertengerechten Fahrzeuge von Mercedes-Benz
unterstützen Sie dabei. Unsere More Mobility Center und Mercedes-Benz Partner bieten Ihnen eine
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bericht
Datenbank für rollstuhlgerechte
g
Orte:
www.wheelmap.
In Deutschland leben
mehr als 1,6 Millionen
Rollstuhlfahrer. Weltweit liegt die Zahl bei
ca. 185 Millionen. Um
im Alltag zurecht zu
kommen und wirklich
am Leben teilnehmen
zu können, sind sie
alle – nicht nur Rollstuhlfahrer, sondern
auch gehbehinderte
Menschen oder Familien mit Kinderwagen
– auf eine barrierefreie Umwelt angewiesen. Aber wo ist was
barrierefrei und wie
findet der Einzelne
das heraus?
W
heelmap.org, eine online-Karte, ist die Lösung. Sie zeigt Rollstuhlfahrern, wo Barrieren im
Alltag lauern. Entwickelt haben diese Idee die
SOZIALHELDEN. Dieser Verein wurde 2004 von
Raul Krauthausen zusammen mit seinem Cousin
Jan Mörsch in Berlin gegründet. Den beiden, die
teilweise in Peru aufgewachsen sind und dort gesehen haben, was Armut bedeuten kann, ging es
darum, vor allem junge Menschen für gesellschaftliche Probleme zu sensibilisieren. Mit kreativen Aktionen auf soziale Probleme aufmerksam zu machen. Sich zu engagieren. Nicht des Geldes wegen,
sondern mit dem Ziel, zu einem fairen und hilfsbereiten Miteinander anzuregen. Mit nachhaltigen
Aktionen Aufmerksamkeit statt Mitleid zu erregen.
So haben die SOZIALHELDEN 2004 gemeinsam
mit Radio Fritz Berlin zum Beispiel eine Woche lang
Das Team der
„Sozialhelden“.
live im Radio den „SuperZivi“ gecastet, um klar zu
machen, worauf es dabei ankommt und welchen
knallharten Anforderungen sich die Kandidaten
tatsächlich stellen müssen.
Großen Erfolg genießt immer noch das Projekt
„Pfandtastisch helfen!“. Die Idee besteht darin,
Pfandbons in Supermärkten zu sammeln, um soziale Einrichtungen zu unterstützen. Inzwischen
hängen grüne‚Pfandtastisch helfen!‘-Boxen in 100
Berliner Kaiser’s-Filialen. Auch in anderen deutschen Städten können Kunden ihre Pfandbons
spenden. Doch auch nach diesen und anderen erfolgreichen Projekten ließen die SOZIALHELDEN
nicht nach, ihre Umwelt kritisch zu hinterfragen.
So sagte eines Tages ein Freund aus dem Verein
zu Raul: „Weißt du, ich habe eigentlich keine Lust,
mich mit dir immer im gleichen Café zu treffen.
Warum machen wir das nicht mal woanders?“ –
„Ja, aber wo können wir denn hingehen?“ fragte
Raul zurück. „Na dahin, wo es rolligerecht ist.“
Einfaches Ampelsystem
Eine plausible Antwort, doch niemand wusste
so ganz genau, welche Cafés in Berlin rollstuhlgerecht sind. Selbst Raul, der ständig in
Berlin in seinem Rolli unterwegs ist, kannte nur zwei, drei zugängliche Cafés in seinem Kiez. Die Frage wurde lange unter
den SOZIALHELDEN diskutiert. Schließlich
hatten sie die Idee, ein Internetportal zu
entwickeln, um darin alles aus der näheren
Umgebung zu erfassen, was rollstuhlgerecht ist.
Gesagt – getan. Die jungen Leute versuchten zunächst, es selbst zu machen.
„Doch mit unseren dilettantischen
Kenntnissen der Computerprogrammierung sind wir kläglich gescheitert“,
gibt Raul unumwunden zu.
12
PARAPLEGIKER 2/11
bericht
org
Kaffee trinken. Die Frage nach der Toilette soll kein K.O.Kriterium sein, sondern es geht um die Frage, kommt
man rein oder kommt man nicht rein.“
Orientierung und Veränderung
Klar war den SOZIALHELDEN dabei: Wenn jeder die
Möglichkeit hat, etwas auf dieser Karte einzutragen, ist
es sinnvoller, als wenn es nur zehn tun können. Denn
je mehr Menschen bei wheelmap.org mitmachen und
Orte eintragen, desto genauer wird die Karte. Deshalb
haben sie das Projekt so vereinfacht, dass jeder mit
einem iPhone oder am PC die Daten, die ihm bekannt
sind, spielend leicht eintragen kann – ähnlich wie bei
Wikipedia. „Wir kommen zwar alle aus der Internetszene, aber wir haben versucht, es so einfach wie möglich
zu machen.“
Raul Krauthausen
Sie bewarben sich mit ihrer Idee 2009 zunächst beim
deutschen Engagementpreis, eine Auszeichnung, die
engagierten Personen und beeindruckenden Projekten ein Gesicht gibt und die Anerkennungskultur für
bürgerschaftliches Engagement in Deutschland stärkt.
Und – die SOZIALHELDEN gewannen mit ihrem Projekt
wheelmap.org. Das Preisgeld von 10 000 € setzten sie
ein, um einen Entwickler zu bezahlen, der ihnen das
System baute, das seit 2010 online ist. 2010 gewannen
sie darüber hinaus den Publikumspreis des Deutschen
Bürgerpreises, der ebenfalls für bürgerschaftliches
Engagement vergeben wird. Mit dem Preisgeld von
5 000 € konnte das Projekt weiterentwickelt werden. Inzwischen läuft es so gut, dass sie zwei Leute einstellen
konnten.
Wichtig war es den SOZIALHELDEN aber vor allem, die
Thematik der Rollstuhlgerechtigkeit so herunterzubrechen, dass sie auch für Laien verständlich ist. „Wir
sprechen nicht von DIN-Normen und wollen nicht den
Neigungswinkel von Rampen erfassen“, betont Raul
Krauthausen. Ein einfaches Ampelsystem kennzeichnet die Rollstuhltauglichkeit der Orte: Grün bedeutet,
dass ein Ort rollstuhlgerecht ist, orange bedeutet, dass
es zum Beispiel keine Toilette gibt, und rot, dass der
Ort für einen Rollstuhlfahrer nicht zugänglich ist. „Wir
sagen, selbst wenn es keine behindertengerechte Toilette gibt, dann kann man vielleicht wenigstens einen
Inzwischen gibt es täglich über 100 Neueinträge. Natürlich ist auf diese Weise nicht jede Information gesichert. „Aber die Erfahrung zeigt, dass die Einträge zum
größten Teil richtig sind“, betont der Rollstuhlfahrer.
Und vertritt dabei eine ganz klare Haltung: „Eine halbe
Information ist oft besser als gar keine.“
Mit dem
Preisgeld
von 5 000 €
konnte das
Projekt weiterentwickelt
werden.
Inzwischen
läuft es so
gut, dass sie
zwei Leute
einstellen
konnten.
Um die Qualität weiter zu erhöhen, kooperieren die
SOZIALHELDEN auch mit anderen Anbietern wie Internetportalen und Stadtführern wie Mobidat aus
Berlin, die Ähnliches zum Thema Barrierefreiheit betreiben. Dass wheelmap.org dabei erst einmal nur auf
Rollstuhlfahrer setzt, sieht Krauthausen als Stärke. „Wir
haben die Freiheit zu sagen, wir machen erst mal nur
etwas für Rollstuhlfahrer. Nicht, weil wir Blinde nicht
mögen, sondern weil wir meinen, dass Blinde ganz andere Anforderungen haben und denen eine Stufe erst
mal relativ egal ist.“ Damit schließt er nicht aus, dass die
SOZIALHELDEN irgendwann auch ein System für Blinde entwickeln, aber das wird nicht das gleiche sein.
Mit den auf wheelmap.org generierten Daten geben
die SOZIALHELDEN nicht nur Orientierung bei der
Suche nach rollstuhlgerechten Orten. Es geht ihnen
darüber hinaus ganz bewusst darum, die Politiker und
„Ortsbesitzer“ zu motivieren, über Barrierefreiheit in ihren öffentlichen Einrichtungen (wie Kinos, Restaurants
usw.) nachzudenken und diese möglichst rollstuhlgerecht umzugestalten.
Text: Margit Glasow
Fotos: wheelmap.org.
PARAPLEGIKER 2/11
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Pünk
t
glosse
st
eine
Zier…
i
t
i
e
k
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Zeit ist subjektiv. Die Wahrnehmung; ob etwas kurz oder
lange dauert, lässt sich in Sekunden oft nicht messen.
Zwei Minuten können so schnell vergehen, wenn der
VfL Bochum kurz vor Spielschluss unbedingt noch ein Tor zum Aufstieg
braucht und ein gegnerischer
Spieler sich, eine Verletzung heuchelnd, auf dem Rasen wälzt.
120 Sekunden können zur
Ewigkeit werden, wenn
die Familie das Haus verlassen will und die Frau
aus dem Badezimmer
flötet: „Bin in zwei Minuten fertig.“ Für Rollis hat
Zeit nichts spielerisches
Leichtes, sondern mehr etwas
Festes, Starres. Es zwängt einen ein wie ein Korsett. Der
Grund ist: Wir können uns nicht beeilen.
E
in Vorgang dauert für uns so lange wie ein
Vorgang eben dauert. Man macht nichts einmal schnell und dann wieder langsam. Wenn
man einen Rolli fragt, wie lange er braucht, um
ins Auto einzusteigen und den Rollstuhl zu verladen, dann bekommt man eine präzise Angabe. Ich wette, der von mir geschätzte Autor dieser Zeitschrift, Hermann Sonderhüsken, kann
mir eine Excel-Tabelle vorlegen, in der er genau
protokolliert hat: BMW 3er Reihe 1 Minute 30
Sekunden, VW Passat 1 Minute 22 Sekunden,
Porsche Cayenne 4 Minute 10 Sekunden… Jeder von uns weiß genau wie lange er braucht.
Da antwortet keiner: „Oh du, das kommt darauf
an, ob ich es eilig habe.“ – Denn darauf kommt
es nicht an! Ein Rolli macht in der Regel sowieso
alles so schnell er kann.
Die Gründe dafür sind vielfältig: Man will möglichst normal rüberkommen und die Nichtbehis nicht durch sein beschauliches Tempo
bremsen. An der Kasse im Supermarkt stellen
die Leute sich sowieso schon ungern hinter mir
an, weil sie davon ausgehen, dass es bei mir
naturgemäß länger dauert. Damit das nicht so
ist, lege ich mir schon vorher Geldscheine und
14
PARAPLEGIKER 2/11
mögliches Wechselgeld zurecht. Da brauche ich
dann hinterher nicht mit den krummen Fingern
hektisch in der Geldbörse kramen.
Halt normal sein
Man will das Tempo der Nichtbehis mitgehen:
Wenn ich mir mal richtig Zeit lasse mit dem Anziehen (Normalform 14 Minuten, 12 Sekunden,
Bestzeit 12 Minuten 45 Sekunden, schlechteste
Zeit 1 Stunde 10 Minuten – weil bei Rekordversuch aus dem Rollstuhl gefallen…) – also,
wenn ich mir mal richtig Zeit lassen würde, wäre
meine Familie schon mit dem Frühstück fertig,
wenn ich den Reißverschluss schließe. Wir wollen halt normal sein. Das geht so weit, dass wir
beim Stadtbummel ordentlich ackern, um bergauf Fußgängergeschwindigkeit zu halten und
bergab verschwenderisch bremsen, um dem
Partner nicht davon zu rollen. Eigentlich krank,
oder?
Ein Rolli will halt aktiv rüberkommen und ein
Rolli, der trödelt, sieht einfach behindert aus.
Man stelle sich vor, zwischen rechtem und
linkem Socken anziehen trinkt man erst mal ei-
glosse
nen Schluck Kaffee und zieht ein paarmal an der
Zigarette. Wie sieht das aus? Vor 15 Jahren, als
ich noch schnell und sportlich war, musste ich
in der Heidelberger Innenstadt an einem langen, steilen Berg eine kurze Pause machen. Die
Muskeln übersäuert, völlig außer Atem zog ich
die Bremsen fest und stellte den Rollstuhl quer
genau vor ein Schaufenster. Es dauerte genau
eine Minute, da warf mir ein netter älterer Herr
ein 50 Pfennig Stück in den Schoß. Nickte mir
vertraulich zu und ging seines Weges. Ich fühlte
mich wie Jan Ullrich kurz vor Alpe d’Huez und
von außen wirkte ich wie jemand ohne festen
Wohnsitz.
Seitdem stelle ich mich, wenn ich eine Pause
machen muss, immer mit dem Gesicht zum
Schaufenster und tue so, als würde mich der
Laden interessieren. Auf welch langweilige Auslagen musste ich dabei schon schauen: Ein Waffengeschäft war dabei, mehrere Juweliere und
ein Schaufenster für Damenwäsche – man kann
es sich nicht aussuchen wann man eine Pause
braucht… Ich weiß nicht, was die Leute denken,
wenn ein Rolli vor einem Waffengeschäft steht
und intensiv die Auslage begutachtet, aber zumindest wird einem dort kein Geld geschenkt!
Die Gleichung
Aber ich schweife ab. Also beeilen geht nicht,
Trödeln geht gar nicht. Die Dinge brauchen
eben ihre Zeit. Wenn ich um 8.15 Uhr bei der Arbeit sein will muss ich um 7.05 Uhr aufstehen.
Wenn ich zehn Minuten später aufstehe, bin
ich zehn Minuten später da, so einfach ist das.
Obwohl – eine Alternative gibt es: Frühstück
weglassen spart 18 Minuten, Zähneputzen
weglassen 3 Minuten, aufs Klo gehen weglassen 7 Minuten, Anziehen… äh – geht nicht.
Für mich ist das eine geradezu mathematische
Gleichung: 8.15 Uhr ankommen ist x. Aufstehen
ist y. Wegstrecke zur Arbeit ist a, anziehen b, waschen c und so weiter. Dann wäre x = y plus a
plus b plus…
Pünktlichkeit lässt sich also ausrechnen und planen und wer als Behinderter trotzdem unpünktlich ist, kann entweder nicht rechnen oder es ist
ihm egal ob er rechtzeitig ankommt – oder aber
er hat eine Frau, die noch mal eben für zwei Minuten ins Bad muss!
Text: Ralf Kirchhoff
Illustration: Kasia
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20 Jahre Engagement für Betroffene und die Prävention:
Amputierten-Initiative
Jedes Jahr werden in
Deutschland bis zu
60 000 Beinamputationen durchgeführt.
Dabei machen die
Folgen von Unfällen,
Infektionen und Tumore, angeborene
Fehlbildungen und
andere Indikationen
nur dreizehn Prozent
der Fälle aus. Bei 87
Prozent der Betroffenen ist eine Amputation aufgrund eines
Gefäßverschlusses
die letzte Lösung. Nur
etwa 27 Prozent dieser Patientengruppe
sind Diabetiker. Dies
macht deutlich, dass
eine arterielle Durchblutungsstörung nicht
immer die Folge einer
Stoffwechselkrankheit ist.
„
Monika Baumann (links) und Dagmar Gail mit Ex-Gesundheitsminister Philipp Rösler.
Manche Beinamputation wäre vermeidbar,
wenn Ablagerungen und daraus resultierende
Verengungen in den Arterien schon im Frühstadium erkannt und gezielt behandelt würden“, versichert Dagmar Gail. Die Vorsitzende
ist selbst von einer Beinamputation betroffen.
1991 gründete sie zusammen mit Henry Ziemendorf († 1995) und mit Unterstützung des
Berliner Orthopäden Prof. Dr. Georg Neff die
Amputierten-Initiative e.V. als Bundesverband
und Dachorganisation. Besonders am Herzen
liegen der Vorsitzenden eine bessere Information der Bevölkerung über die Risikofaktoren
und Symptome, die zu Gefäßverschlüssen führen und deren Vorbeugung.
16
PARAPLEGIKER 2/11
„Wer weiß denn schon, was eine PAVK ist?“
hinterfragt Dagmar Gail. Ihrer Meinung nach
wäre es Laien besser vermittelbar, wenn Medien und Mediziner anstatt von der Peripheren
Arteriellen Verschlusskrankheit von einem
„Beininfarkt“ sprechen würden. Bei einem
Herz- oder einem Hirninfarkt („Schlaganfall“)
wird aufgrund einer akuten Gefäßverstopfung die lebenswichtige Versorgung der Organe mit Blut und Sauerstoff unterbrochen.
Dasselbe geschieht im Bein, wenn sich in den
Arterienwänden eine Schicht aus Blutfetten,
Blutgerinnseln, Bindegewebe und Kalk (Arteriosklerose) abgelagert hat. Kommt es schließlich zum Verschluss, wird der Blutdurchfluss
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blockiert, was wiederum zum Absterben der
Zellen führt.
Dagmar Gail erinnert sich an ein Vereinsmitglied, das an Diabetes mellitus erkrankt war.
Trotz regelmäßiger Behandlung in einer diabetologischen Fußambulanz besserten sich
die Wunden an beiden Füßen nicht. Erst ein
Facharzt für Gefäßkrankheiten (Angiologe)
klärte ab, warum trotz regelmäßiger Wundsäuberung kein Heilprozess einsetzen konnte und
bereits Ruheschmerzen eingetreten waren: „In
einer Arterienwand wurde eine Dissektion (ein
feiner Riss) festgestellt. Aufgrund dessen konnte das Blut nicht in die Gefäße transportiert
werden.“ Durch einen chirurgischen Eingriff
wurde die Arterie repariert, der Befund besserte sich und die Füße konnten gerettet werden. Ebenso wie sein Leben, da er langfristig
verblutet wäre.
Nicht nur Diabetikern, sondern jedem, der zu
Durchblutungsstörungen neigt, empfiehlt
die Vorsitzende, alle halbe Jahre ein zertifiziertes Gefäßzentrum – mittlerweile gibt es in
Deutschland etwa 140 auf angiologische Erkrankungen spezialisierte Einrichtungen – aufzusuchen und den Gefäßstatus feststellen zu
lassen. Werden frühe Warnzeichen ignoriert,
verschlimmert sich die Arteriosklerose stetig.
Im Volksmund spricht man auch von einer
„Arterienverkalkung“ oder der „Schaufensterkrankheit“. Letzterer Begriff resultiert aus den
Verschnaufpausen (z.B. an Schaufenstern), die
Betroffene wegen der Schmerzen beim Gehen
immer wieder einlegen müssen.
Erbliche Veranlagung nicht
unterschätzen
Besser ist es, frühzeitig einen Arzt aufzusuchen, um die Ursachen für Schmerzen im
Bein abzuklären. Dagmar Gail: „Zuallererst
sollte ein Gefäßspezialist konsultiert werden.“
Durch eine Messung des Knöchel-Arm-Indexes kann der Gefäßstatus eingeordnet und
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bericht
gegebenenfalls ein Therapiekonzept entwickelt werden. Eine weitere diagnostische Methode ist die Sauerstoffpartialdruckmessung
zur Feststellung des Sauerstoffs auf der Haut.
Kündigt sich eine Arteriosklerose an, kann
ihre Weiterentwicklung durch regelmäßige
Infusionen mit durchblutungsfördernden
Prostanoiden unterbrochen oder zumindest
verzögert werden.
Im fortgeschrittenen Stadium kann unter Umständen durch das Einsetzen einer
Gefäßstütze, eines „Stents“, oder eine Dilatation (Erweiterung) die Blutversorgung der Gefäße wieder verbessert werden. Im eigenen
Interesse sollte der Patient
auch Eigeninitiative entwickeln und an einem
Gefäßsporttraining
teilnehmen. Schließt
der Angiologe nach
eingehender Untersuchung
vaskuläre
(gefäßbedingte) Ursachen für die Beinschmerzen aus, sollte
der Betroffene einen
Orthopäden aufsuchen.
Im eigenen
Interesse sollte
der Patient auch
Eigeninitiative entwickeln und an einem Gefäßsporttraining teilnehmen.
Ebenso wie viele andere
chronische
Erkrankungen
kann auch eine Arteriosklerose
durch ungünstige Lebensgewohnheiten gefördert werden. Bekannte Risikofaktoren sind übermäßiger Nikotingenuss,
erhöhter Blutdruck und erhöhte Blutzuckerund Blutfettwerte infolge unausgewogener
Ernährung. Es gibt aber eine weitere Ursache,
die heute noch leider viel zu selten berücksichtigt wird, nämlich die genetische Prädisposition („Veranlagung“). Neuere Studien
zeigen, dass sogar schon bei zwei- bis dreijährigen Kindern eine Veranlagung für arterielle Gefäßverengung feststellbar ist. Die Vorsitzende: „Die Kinder wachsen in der Regel
unbeschwert auf. In der Lebensmitte manifestiert sich die Krankheit. Erst mit 50 oder 60
teilt ihnen aber der Arzt mit besorgter Miene
mit, dass sie an einer Krankheit, nämlich Arteriosklerose leiden.“ So weit muss es aber gar
nicht kommen, wenn frühzeitig mit den heu-
18
PARAPLEGIKER 2/11
te zur Verfügung stehenden diagnostischen
Möglichkeiten eine genetische Prädisposition
erkannt und therapiert wird.
Die Konsequenzen einer Amputation würden
übrigens nicht nur die Lebensqualität der Patienten ganz erheblich beeinträchtigen, sondern seien auch unter volkswirtschaftlichen
Aspekten bedenklich, gibt Dagmar Gail zu
bedenken: „Neben den hohen Kosten für die
Amputation müssen die Krankenkassen auch
eine angemessene Rehabilitation, die Versorgung mit Prothesen und orthopädischen
Schuhen sowie die regelmäßige medizinische
Nachsorge finanzieren.“ Die Betroffenen hingegen sind oft nur noch bedingt oder gar
nicht mehr arbeitsfähig und können nur
eingeschränkt am gesellschaftlichen Leben
teilhaben. Nicht selten belastet eine Amputation auch die Partnerschaft. Nicht allein für
Gesundheitspolitiker Gründe genug, die PAVK
und ihre Folgen ernst zu nehmen und künftig
mehr auf Früherkennung und Prävention zu
setzen.
Massiver Eingriff in die Biographie
Vor diesem Hintergrund empfiehlt Dagmar
Gail jedem, der Familienangehörige mit arteriellen Erkrankungen hat oder hatte, einmal im Jahr zur Vorsorgeuntersuchung mit
Feststellung des Gefäßstatus zu gehen. Gegebenenfalls kann mit entsprechenden Medikamenten und im Zusammenwirken mit
einer risikoarmen Lebensführung einer späteren Amputation vorgebeugt werden. Auch
wünscht sich die Vorsitzende im Interesse
insbesondere der Risikopatienten eine intensivere interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Angiologen, Lymphologen, Phlebologen, Gefäßchirurgen, Amputationschirurgen,
Orthopäden, Diabetologen und Schmerztherapeuten.
Ein weiteres Risiko, von dem sogar Unfallamputierte betroffen sein können, ist die Entstehung einer Thrombose. Hier handelt es sich
um Blutgerinnsel (Thromben), die sich grundsätzlich in jedem Gefäß bilden können. Meistens ist aber von einer Thrombose der Beinvenen (Phlebothrombose) die Rede, die ohne
rasche medizinische Behandlung tödlich
Selbstverständlich werden alle Menschen, denen eine Amputation bevorsteht oder die bereits amputiert worden sind, jederzeit durch
die Amputierten-Initiative e.V. kompetent
beraten und unterstützt. Die Vorsitzende: „Als
Patientenwegweiser stehen wir zur Verfügung
bei Fragen zur prothetischen Versorgung sowie bei medizinischen und sozialrechtlichen
Belangen.“ Zum Beispiel werden Betroffene, in
deren Wohnort es keine spezialisierte Versorgungsmöglichkeit gibt, an kompetente Fachärzte und Fachkliniken in ganz Deutschland
vermittelt. Ebenso erhalten sie Auskunft über
geeignete Rehakliniken und medizinische Einrichtungen für die Nachsorge.
Bei Bedarf unterstützt der Verein auch Amputierte bei der Überwindung bürokratischer
Hürden für die Wiedereingliederung in den
Alltag. Weil es in Akutkrankenhäusern – so die
Erfahrung der Vorsitzenden – in der Regel keine ausreichende psychologische Begleitung
gibt, vermittelt sie auf Wunsch gern Kontakte
zu geeigneten Seelsorgern. „Jede Amputation
ist ein radikaler Eingriff in das Leben und es
muss viel Trauerarbeit bewältigt werden. Dies
gelingt oft nur mit professioneller Hilfe“, so
Dagmar Gail.
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menschen
Nils Bandelin:
Menschen mit
Amputationen
Mut machen
„Als ich aufwachte, war das Bein schon amputiert“ erinnert sich Nils Bandelin an seinen Unfall,
der nun schon 20 Jahre zurückliegt. 1990 auf dem
Nachhauseweg von der Arbeit auf der Stralsunder
Volkswerft nach Abtshagen, einem kleinen Dorf
im Landkreis Nordvorpommern 15 Kilometer von
Stralsund entfernt, war der Motorradfahrer mit
einem Trabant zusammengeprallt. Im Stralsunder
Krankenhaus mussten die Ärzte sofort sein linkes
Bein abnehmen. Nils Bandelin bekam davon nichts
mit, er war ohne Bewusstsein. Wieder aufgewacht,
hatte sich sein Leben plötzlich völlig verändert.
„
Ich war 20, stand unter Schock und habe versucht, es zu
verdrängen.“ Es war die Zeit kurz nach der Wende. Damals
war vieles anders, zum Teil durcheinander, die Zuständigkeiten bei den Krankenkassen ungeklärt, die Hilfsmittelversorgung schlecht. „Ganz wichtig war in dieser Zeit die
Unterstützung durch meine Familie, vor allem von meiner
Frau“, erzählt der heute Vierzigjährige. Seine Situation sei
dadurch erschwert gewesen, dass bei dem Unfall zusätzlich
sein linker Arm verletzt worden sei. So hatte er zunächst
Schwierigkeiten, wieder auf die Beine zu kommen, denn
mit dem gelähmten Arm konnte er keine Gehstütze greifen. Physiotherapie erhielt er nur unzureichend.
Erst vier Monate später, noch in Stralsund, wurde die erste Prothese angepasst. Kurz darauf, im Januar 1991, kam
er – aufgrund seines eigenen Drängens – ins Krankenhaus
der Berufsgenossenschaft nach Hamburg-Bergedorf. Bei
seiner Aufnahme dort war man zunächst erstaunt über die
veraltete Prothesenversorgung, mit der Nils Bandelin sehr
schlecht laufen konnte. Man schmunzelte und rief in der
dortigen Gehschule mit der Bemerkung an: „Kommt mal
her, das müsst ihr euch ansehen, ich hab´ hier was ganz Tolles“. In Hamburg bekam der junge Mann endlich eine adä-
20
PARAPLEGIKER 2/11
quate Versorgung und Behandlung, die ihm dazu verhalf,
immer besser laufen zu können.
Da er seinen Beruf als Schweißer nicht mehr ausführen
konnte, ging er nach seinem Krankenhausaufenthalt in
Hamburg im Herbst 1991 zur Umschulung zum Bürokaufmann ins Berufsförderungswerk nach Stralsund. Das sei
eine super Zeit gewesen, betont er. Dort habe er, wie zuvor
schon in Hamburg, viele andere Menschen mit einer Behinderung kennen gelernt. Dabei sei ihm klar geworden, dass
er froh sein könne, dass es ihn nicht schlimmer erwischt
habe.
Leistung durch Sport
Was ihm während der ganzen Zeit der Neuorientierung zu
Gute gekommen sei: „Ich war Sportler mit einer guten Konstitution. Bis zu meinem Unfall hatte ich aktiv Fußball gespielt und oft und gern getanzt.“ Doch dann habe sich der
Gedanke in ihm breit gemacht, mit dem Sport sei es vorbei.
Bis er in Hamburg-Bergedorf die Rollstuhlbasketballer beobachtet habe und ziemlich begeistert davon gewesen sei.
Während seiner dreieinhalbjährigen Ausbildung in Stral-
menschen
sund suchte er deshalb nach Möglichkeiten, wieder aktiv
Sport zu treiben. „In mir war ein ungeheurer Leistungswille
erwacht. Zumal ich im Oktober 1991 Vater geworden war
und meine kleine Tochter unbedingt auf den Arm nehmen
und allen zeigen wollte, dass ich noch zu was zu gebrauchen bin“, erzählt der vitale Mann.“ Doch das erwies sich als
nicht ganz einfach, denn das Umfeld war nicht wirklich darauf vorbereitet. Es gab in jener Zeit kaum Sportangebote
für Menschen mit Behinderung in der Region. Schließlich lernte er 2003 bei den Landesmeisterschaften in der
Leichtathletik Ines Müller kennen, die ehemalige deutsche
Leichtathletin und Olympiateilnehmerin, die – für die DDR
startend, damals noch unter dem Namen Ines Reichenbach
– in den 1980er Jahren zu den weltbesten Kugelstoßerinnen gehörte und inzwischen als Trainerin auch für Menschen mit Behinderung arbeitete .Bei Ines Müller begann
Nils Bandelin mit dem Kugelstoßen. „Ich habe gemerkt, wie
weit man körperlich gehen kann, wenn man es will. Ich bin
in jener Zeit wesentlich leistungsfähiger geworden.“
tauschen können, denn nur Betroffene können andere Betroffene in einer solch extremen Situation wirklich verstehen.
Auch beruflich ging es bergauf. Nach dem Ende der Ausbildung versuchte der frisch gebackene Bürokaufmann,
eine Arbeit im Angestelltenverhältnis zu bekommen. Das
erwies sich zwar zunächst als schwierig. „Heute würde ich
ganz anders an solche Einstellungsgespräche herangehen.
Ich würde viel selbstbewusster auftreten, denn ein fehlendes Bein stört nicht beim Denken“, erklärt er lachend.
Doch da er schon seit 1992 nebenberuflich erfolgreich als
Finanzberater gearbeitet hatte, machte sich der Abtshagener 1994 als Versicherungsvermittler selbstständig und
arbeitet noch heute in diesem Beruf.
eMail: [email protected]
Für den konkreten Ablauf der Gründung arbeitete er mit der
in Stralsund beheimateten Kontakt- und Informationsstelle für
Selbsthilfegruppen (KISS) zusammen. Hier erfolgte im März
2010 die Gründungsveranstaltung. Im Laufe der Monate entwickelte sich die Selbsthilfegruppe zu einem regelmäßigen
Treffpunkt für einen intensiven Gedankenaustausch. Durch
den extremen Winter mit Schnee und Glatteis schliefen die
Treffen in den Wintermonaten jedoch ein, denn für Menschen
mit Amputationen ist es dann besonders schwierig, draußen
zu laufen, zumal wenn der Straßendienst mehr schlecht als
recht funktioniert. Doch Nils Bandelin gibt nicht auf. Er will die
Treffen wiederbeleben. Dazu sind ihm die Ziele zu wichtig: Die
Verbesserung der prothetischen Versorgung, die Beschleunigung der beruflichen und sozialen Rehabilitation und die Erhöhung der Lebensqualität insgesamt. Vor allem aber geht es
ihm darum, Mut zu machen – Mut zum Leben.
Text: Margit Glasow
Foto: privat
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Sein gesundes Bein, das beim Sport ständig überlastet
wurde, zwang ihn letztendlich 2009 dazu, den aktiven
Sport zu beenden: „Ich wollte nicht auch noch mit diesem Bein ernsthafte gesundheitliche Probleme bekommen“, sagt er etwas wehmütig. Und es sei ihm verdammt
schwer gefallen, den Sport aufzugeben. Ihm fehlte nicht
nur der körperliche Ausgleich, sondern er vermisste auch
die Kontakte im Sportverein. Diesen Verlust wollte er kompensieren. Etwas Sinnvolles tun. Und so begab er sich auf
die Suche nach einer Selbsthilfegruppe für Menschen mit
Amputationen. Doch die gab es in erreichbarer Nähe nicht.
Schließlich sagte er sich: So eine Selbsthilfegruppe kannst
du auch selbst aufbauen. Hinzu kam, dass ein Bekannter
aus seinem Umfeld, ebenfalls amputiert, sich das Leben
genommen hatte, weil er mit der ganzen Situation nicht
mehr zu Recht kam. Dieses Ereignis hatte Nils Bandelin
noch einmal mehr vor Augen geführt, wie wichtig es ist,
dass Menschen mit Amputationen sich untereinander aus-
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menschen
Christian Au
Alles, was Recht ist
Bei Christian Au fällt sofort seine freundliche und ansteckend
positive Ausstrahlung auf. Der engagierte Anwalt gehört nicht zu
denen seiner Zunft, welche die üblichen Aufgaben eines Anwaltes
wahrnehmen. Christian Au hat sich vielmehr darauf spezialisiert,
Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht zu verhelfen.
maligen RSC Hamburg, der jetzt beim großen HSV
als „Sparte Rollstuhlsport“ geführt wird. Er hat in
der Zweiten Bundesliga und als Aushilfe auch immer mal wieder in der Ersten Bundesliga gespielt.
Schon früh hat Christian Au sein ausgeprägtes
Gefühl für Gerechtigkeit und Unrecht entdeckt.
Folgerichtig kam deshalb nur ein entsprechender
Beruf infrage und so begann er 1994 an der Uni
Hamburg ein Jura-Studium. Nach dem Referendariat hat er im Mai 2004 als sogenannter „Volljurist“ seine Ausbildung abgeschlossen und hatte
damit seine Zulassung. Während der Wartezeit auf
ein Referendariat hat der ehrgeizige junge Mann
zusätzlich „Europäisches Umweltrecht“ an der Uni
Lüneburg studiert.
Ein aktiver und positiv
denkender Mensch:
Christian Au.
Geboren wurde Christian Au am Heiligabend des
Jahres 1974 mit Spina Bifida („offener Rücken“) in
Hamburg, ist im Stadtteil Bramfeld der Hansestadt
aufgewachsen. In Hamburg hat er auch das Gymnasium besucht und sein Abitur gemacht. „Ich war
ein eher ruhiges Kind, hatte aber viele Interessen.“
So hat der Rollstuhl fahrende Schüler im Schulorchester Geige gespielt mit etlichen Konzertreisen,
sogar international, beispielsweise in Prag. Aber
auch als Schachspieler war der Junge und Heranwachsende aktiv: „Das Spiel hat mir gelegen, ich
war in einer Mannschaft und habe bei Meisterschaften gespielt.“ Schon früh war Christian Au im
Rollisport aktiv, zunächst im allgemeinen Kinderund Jugendsport, ab 1990 als Basketballer im da-
22
PARAPLEGIKER 2/11
Seinen ersten Job als Jurist bekam Christian Au im
Juli 2004 bei einer gesetzlichen Krankenversicherung in Hamburg. Dort arbeitete er bis zum März
2009 zunächst als Justitiar und dann als Sachbearbeiter für Sozialrecht: „In dieser Zeit habe ich
teilweise Entscheidungen gegen verletzte und
behinderte Menschen vertreten müssen, mit denen ich irgendwann nicht mehr leben konnte.“
Konsequenterweise kündigte Christian Au und
machte sich als freier Anwalt mit der „Kanzlei für
Sozialrecht“ selbstständig.
Nach seinen Hobbys gefragt, nennt Christian Au
an erster Stelle seine Familie. Seit Dezember 2005
ist er mit der Lehrerin Anika verheiratet, die Tochter Merle wurde im Oktober 2009 geboren: „Sie ist
unser Sonnenschein, es ist wunderschön, ein Kind
zu haben.“
Seit 2005 ist Christian Au Mitglied des Bundesvorstandes der „Arbeitsgemeinschaft Spina Bi-
menschen
Da passt alles
rein für die junge
Familie: Der Anwalt mit
seinem VW Caddy-Maxi.
Einzelberatung bei einer
ASBH-Veranstaltung in Kassel.
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„Einfach
und sicher –
ohne Infektionen,
ohne Risiko.“
menschen
fida und Hydrocephalus e.V.“, kurz ASBH, der
deutschlandweit tätigen Gemeinschaft für Spina-Bifida-Geschädigte. Seit September 2009 ist
er Vorsitzender dieser gut organisierten Institution. Die wesentlichen Aufgaben im ASBH für
Christian Au sind die Weiterentwicklung der konzeptionellen Ausrichtung, die Abstimmung von
Maßnahmen und Aktionen mit der Geschäftsführung und den Mitarbeiterinnen der Dortmunder Bundesgeschäftsstelle des ASBH, Gespräche
mit Förderern des ASBH und Politikern und Repräsentation.
Christian Au ist ein echter Hamburger, freundlich, zurückhaltend, tatkräftig. Er wird noch vielen
Menschen mit Behinderungen ein effektiver Helfer sein.
Text & Fotos:
Hermann Sonderhüsken
Weitere Infos bei
www.rechtsanwalt-au.de
Fragen an Christian Au und seine Antworten
? Herr Au, was ist Ihr größter Wunschtraum:
! Mit meiner Familie weiter gesund und ohne
Sorgen zu leben.
Als StiftungsBeispiel sehe
ich die Stiftung
„Augenblicke“,
für die auch der
bekannte Schauspieler und Comedian Ingolf
Lück wirbt. Ich
empfehle, mal in
www.stiftungaugenblicke.de
reinzuschauen.
? Was sind Ihre hervorstechendsten Eigenschaften:
! Ich kann gut und ruhig schwierige Fälle verhandeln, vermitteln und für Ausgleich sorgen, habe
ein sehr ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl und
sicher auch das, was man „soziale Kompetenz“
nennt.
? Was regt Sie so richtig auf:
! Richtig schlimm finde ich, wenn Menschen nicht
ehrlich und aufrichtig sind.
? Womit kann man Ihnen die schönste Freude
machen:
! Wenn ich bei Gericht den Eindruck einer fairen
Behandlung meiner Mandanten habe.
? Wo sind Sie am liebsten:
! Ich liebe die ruhige und schöne Landschaft der
Region „Altes Land“ westlich von Hamburg.
? Was sind für Sie die drei wichtigsten Dinge in
Ihrem Leben:
! Da fällt mir sofort meine Familie ein, natürlich
sind Gesundheit wichtig mit körperlicher und geistiger Fitness und nicht zuletzt auch mein Beruf.
? Was ist für Sie ein besonders schöner Tagesverlauf:
! Mit meiner Familie in schöner Harmonie einen
sonnigen Sonntag verleben. Dazu gehört auch ein
Spaziergang an der Elbe bei Finkenwerder.
? Was halten Sie für Ihre größten Macken:
24
PARAPLEGIKER 2/11
! Ich habe immer nur meine Arbeit im Kopf, auch in
der Freizeit.
? Was würden Sie mit einem Lottogewinn von 16
Millionen machen:
! Als erstes würde ich für meine Familie und für
mich ein ebenerdiges und natürlich total barrierefreies Haus mit sehr viel Platz bauen. Dann würde
ich eine Stiftung gründen mit der Zielsetzung,
bei berechtigten Ansprüchen von behinderten
Menschen sehr schnell und unbürokratisch in
Vorleistung zu gehen. Danach dann kostenfreien
Rechtsbeistand zu bieten gegen eventuell uneinsichtige Behörden, Institutionen und Kostenträger.
So ist es immer wieder frustrierend, wenn einem
Kind ein Sportrollstuhl zunächst versagt wird.
Wenn dann nach Jahren die Zusage kommt, ist das
Kind eventuell schon wegen fehlender Bewegung
so schwergewichtig, daß der Sportrolli dann auch
nicht mehr hilft. Als Stiftungs-Beispiel sehe ich die
Stiftung „Augenblicke“, für die auch der bekannte
Schauspieler und Comedian Ingolf Lück wirbt. Ich
empfehle, mal in www.stiftung-augenblicke.de
reinzuschauen.
? Was würden Sie tun, wenn Sie alle Macht der
Welt hätten:
! Ich würde dafür sorgen, dass Menschen in Not
geholfen wird, unbürokratisch, schnell und effektiv. Da mangelt es heute in vielen Fällen doch sehr.
? Was ist Ihr Lebensmotto:
! Steh auf, wenn Du am Boden bist.
? Wie empfinden Sie Ihr Leben im Rollstuhl:
! Total normal.
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Behinderte Träume?
Viele Menschen glauben, dass wir durch unsere Träume noch mehr über
unser Unterbewusstsein herausfinden könnten. Stimmt das? Forscher haben
die Träume von gehörlos oder gelähmt geborenen Menschen mit denen
von Personen ohne Behinderung verglichen.
E
ine Studie der Universitäten Bonn und Frankfurt sowie
der Harvard Medical School fand heraus, wie wenig Träume
über uns verraten. An der Studie nahmen vier Taubstumme, zehn Gelähmte und 36 nicht Behinderte teil. Die Probanden führten ein Traumtagebuch und notierten darin
ihre nächtlichen Phantasien. Innerhalb von zwei Wochen
kamen so mehr als 350 detaillierte Beschreibungen zusammen, die die Forscher inhaltlich und formal auswerteten.
Erstaunlicherweise spielte die Behinderung in den wenigsten Träumen eine Rolle: Gelähmte gingen, rannen oder
schwammen, obwohl sie diese Bewegungen in Realität
noch nie vollzogen hatten. Gehörlose kommunizierten im
Schlaf nicht in Gebärdensprache, sondern konnten hören
und sprechen.
Der Psychoanalytiker Sigmund Freud ging davon aus, dass
in unseren Träumen unsere tiefsten Wünsche in Erfüllung
gehen. Demzufolge könnte man die Ergebnisse der Studie
als Sehnsucht der Betroffenen deuten, ihre Behinderung zu verlieren. „Unsere Resultate
sprechen gegen diese Interpretation“,
betont die Bonner Psychologin Dr. Ursula Voss. „In den Träumen der gelähmten
Teilnehmer spielte das Motiv ‚Bewegung’ keine besondere
Rolle: Es tauchte weder häufiger noch seltener auf als bei
Nichtgelähmten.“
Vielleicht enthalten Träume aber verborgene Fingerzeige
auf den Träumenden, die in einer statistischen Auswertung
nicht hinreichend zum Ausdruck kommen. Die Forscher
gingen auch dieser These nach. Sie baten daher einen Psychoanalytiker, einen Verhaltenstherapeuten, einen Psychologen und (als Fachfremden) einen Physiker, die Träume
zu analysieren, und für jeden einzelnen Traum herauszufinden, ob er von einer taubstummen, einem gelähmten
oder einem Probanden ohne Behinderung
stammte. Unabhängig von der Ausbildung der Tester, gelang das nur in
einem geringen Teil der Fälle. So
ordneten sie lediglich jeden
dritten Traum eines
Gelähmten kor-
PARAPLEGIKER 2/11
25
bericht
rekt dieser Gruppe zu. „Unsere Probanden sind mit ihrem
Handikap zur Welt gekommen“, so Voss. Sie wissen nicht,
wie es ist, etwas zu hören; sie sind noch nie gelaufen oder
geschwommen. Diese Erfahrungen fehlen ihnen komplett.
Vor diesem Hintergrund ist es besonders erstaunlich, dass
man davon in den Träumen so wenig merkt: Dort scheinen
Taubstumme oder Gelähmte all das zu können, wozu Menschen eben normalerweise befähigt sind.“
Unser Traum-Ich hat keine Ecken
und Kanten
Sehen wir in den Träumen nicht uns selbst, sondern gewissermaßen ein Ideal, eine Art menschlichen Prototypus ohne
Ecken und Kanten? Mit einem noch unveröffentlichten Experiment haben die Wissenschaftler versucht, diese Frage
zu beantworten. Sie malten dazu auf die Hände gesunder
Versuchspersonen einen roten Fleck und frischte diese
Markierung, wenn sie verblasste, über mehrere Wochen
immer wieder auf. Zudem baten sie ihre Probanden, sich
immer wieder vor dem Einschlafen gedanklich intensiv mit
dem Farbklecks auf ihrer Hand zu beschäftigen. Dennoch
tauchte diese Markierung in deren Träumen nicht auf. „Allerdings sind Träume flüchtig“, relativiert Voss. „Schon kurz
nach dem Aufwachen kann man sich oft nicht mehr an alle
Details erinnern.“
Natürlich enthalten unsere Träume aber auch viele persönliche Anspielungen, auch wenn sie sich sehr ähneln. Aber
für Außenstehende scheint es schwer zu sein, diese zu enträtseln. „Vielleicht ist es ja so, dass nur der Träumer selbst
weiß, wie er den Inhalt seines Traums interpretieren muss“,
vermutet Ursula Voss. Derzeit planen die Forscher eine
weitere Studie, um noch mehr Licht in das Dunkel unserer
nächtlichen Phantasien zu bringen. Außerdem wollen sie
herausfinden, ob sich die täglichen Begebenheiten, die ihre
Probanden akut besonders beschäftigen, in den Träumen
wiederfinden.
Zwischen Wahrheit und Wahn
Manche Menschen werden sich beim Träumen bewusst,
dass sie sich in einem Traum befinden. Die Wissenschaftler
der Universitäten Bonn, Darmstadt und Mainz sowie der
Harvard Medical School haben gezeigt, dass das Gehirn
bei sogenannten „Klarträumen“ zwei Bewusstseinszustände gleichzeitig einnimmt. Das schlafende Gehirn träumt
und unternimmt zeitgleich eine kritische Bewertung und
Realitätsüberprüfung dieser Traumphantasien. Albträume
sind auch deshalb so schrecklich, weil der Träumende sie für
bare Münze nimmt. Manche Menschen merken aber, dass
es sich nur um Phantasiebilder handelt. Sie sind möglicher-
26
PARAPLEGIKER 2/11
weise auch für die Diagnose und Therapie von Psychosen
von Interesse. Diese gehen – wie Träume – mit Phantasievorstellungen einher, die die Patienten nicht als solche identifizieren können.
Unsere Traumerlebnisse sind reine Produkte unserer Phantasie. Im Schlaf merken wir das jedoch in aller Regel nicht,
sondern nehmen sie für bare Münze. Die Angst, die wir
verspüren, wenn uns im Traum ein Tiger angreift, ist daher
auch sehr real. Wenn Schlafende während eines Traums
plötzlich realisieren, dass sie nur Phantasiebilder sehen,
spricht die Wissenschaft von „Klarträumen“. „Bislang wusste
aber niemand, was dabei genau in unserem Gehirn passiert“, so Voss. Das Stirnhirn, auch frontaler Cortex genannt,
ist für die kritische Bewertung von Geschehnissen zuständig. Normalerweise ist es im Schlaf weitgehend inaktiv. Daher sind wir gar nicht dazu in der Lage, die Erlebnisse im
Traum zu hinterfragen. Bei Klarträumen ist das anders: Das
Stirnhirn ist dabei deutlich aktiver. In den anderen Hirnbereichen ändert sich gegenüber „normalen“ Träumen dagegen nichts. „Es ist, als wäre ein Teil des Gehirns plötzlich ein
wenig wacher, während der Rest weiter schläft“, sagt die
Privatdozentin. Einerseits ist es interessant, dass sich die
Fähigkeit zu „Klarträumen“ trainieren lässt. Menschen, die
häufig unter schweren Albträumen leiden, können möglicherweise lernen, sie beim Schlaf einem „Realitäts-Check“
zu unterziehen. So würden nächtliche Horrorphantasien
einen Teil ihres Schreckens verlieren.
Spannend ist auch, dass bei manchen psychiatrischen Erkrankungen eben diese Fähigkeit zum Realitäts-Abgleich
fehlt. So gehen Psychosen mit Wahnvorstellungen einher,
die der Betroffene nicht von der Wirklichkeit unterscheiden kann. Im Vergleich zum Klartraum scheint hier die Situation genau umgekehrt: Der Betroffene ist wach, kann
seine Phantasien aber dennoch nicht kritisch analysieren.
„Vielleicht kann man diese Fähigkeit jedoch – ähnlich wie
bei unseren Versuchspersonen – trainieren“, hofft Voss. Falls
ja, könnten die Betroffenen lernen, zwischen „wahr“ und
„Wahn“ zu unterscheiden. (Quelle: Universität Bonn)
Die Universität Bonn sucht dringend Probanden für das
Schlaflabor und zwar Behinderte, die schon von Geburt
an nicht gelaufen sind. Die Anfahrt und 50 € Aufwandsentschädigung werden bezahlt.
Kontakt: PD Ursula Voss, Ph.D.
Universität Bonn, Abt. Allgemeine Psychologie 2
tel 02 28-73 43 51
eMail: [email protected]
Text: Heike Stüvel
hilfsmittel
–
n
e
p
m
a
das Angebot ist riesig
R
Für die verschiedensten Einsatzzwecke
werden Rampen und
Schienen angeboten.
Trotzdem ist es manchmal nicht möglich, z.B.
einen Wohnungszugang rollstuhlzugänglich zu gestalten. Das
kann am Platzmangel
liegen, an der fehlenden Finanzkraft oder
auch an uneinsichtigen
Nachbarn. Diese Rahmenbedingungen
sollte man also abklären, bevor man Geld für
Rampen ausgibt.
Rampen sind Hilfsmittel zur Überwindung von
Stufen oder anderen Barrieren. Das ist allerdings
auch schon die ganze Gemeinsamkeit. Die Liste der
Unterschiede ist weitaus länger: Es gibt besonders
leichte Rampen, Rampen zum Klappen oder Rollen,
Rampen für den Dauereinsatz und Rampen für den
kurzfristigen Gebrauch. Sowohl gemauerte schräge
Auffahrten zu öffentlichen Einrichtungen wie auch
nebeneinander liegende Schienen, die den Rollstuhltransport ins Auto erleichtern, werden als Rampen
bezeichnet. Ein unübersichtlicher Markt, so der erste
Eindruck.
Auch die Ziele der Käufer sind unterschiedlich. Transportable Rampen werden überraschenderweise nicht
unbedingt von Rollstuhlfahrern gekauft, sondern
eher von Messeveranstaltern oder öffentlichen Einrichtungen, die für barrierefreie Zugänge sorgen wollen.
Auch das Mieten von Rampen ist keine Seltenheit
mehr. Wer als Rollstuhlfahrer Ferien macht, der be-
2 % Steigung –
macht sich hier jemand über
Rollstuhlfahrer lustig?
nötigt vielleicht nur vorübergehend eine möglichst
flexible Rampe.
Wie steil darf eine Rampe sein?
Je steiler die Rampe, desto mehr Kraft braucht man.
Egal, ob man den Rollstuhl schiebt oder mit den Händen
antreibt: Je weniger Kraft man hat, desto flacher sollte
sie sein. In öffentlichen Gebäuden werden die Rampen
mit sechs Prozent Neigung gebaut. Wie lang und wie
steil eine Rampe bei welchem Höhenunterschied wird,
kann man im Web nachrechnen (http://nullbarriere.de/
rampenlaenge-steigung.htm). Das ist aber, da sind sich
die Fachleute einig, nur ein ungefährer Anhaltspunkt.
Kinder und ältere Menschen haben oft weniger Kraft,
trainierte Rollstuhlsportler deutlich mehr.
Wichtig ist es, beim Bau einer Rampe am oberen Ende
eine gerade Plattform vorzusehen: Wie sollte man vom
Rollstuhl aus auf der Schräge stehend eine Tür öffnen?
PARAPLEGIKER 2/11
27
hilfsmittel
Zwischen
Hightech und
Baumarkt
(pmd) Manchmal ist die primitivste Lösung die haltbarste. Als
unverwüstlich und wetterfest
erweisen sich Lkw-Bodenbretter.
Ein paar Reststücke drunter genagelt und die Steigung stimmt
auch – bis auf weiteres.
Tut es noch: Vom Zahn der Zeit
angeknabbertes Provisorium.
Perfekte Lösung: Maßgefertigte
Alurampe (www.etac.de).
Maßgefertigte Alurampen
können einer kleinen Kante
den Schrecken der Rückenwirbelstauchung bei der täglichen
Überfahrt nehmen, aber Obacht:
Richtig messen, sonst wird’s
doppelt teuer.
Fotos: P. Mand
28
PARAPLEGIKER 2/11
Je länger eine Rampe, desto teurer ist sie. Besonders lange Rampen brauchen außerdem Flächen
zum Ausruhen zwischendrin. Kürzere Rampen sind
zwar in der Anschaffung billiger, zu kurze Rampen
machen dem Anwender das Leben allerdings durch
die Steilheit extra schwer. Gefährlich wird die Sache, wenn das untere Ende abrupt von steil zu flach
wechselt: wer hier zu schnell ist, riskiert einen Sturz.
Welches Material?
Das kommt auf den Einsatzort an: Im Wohnbereich
sind die Ansprüche an die Optik meistens höher, hier
werden Schwellen oder niedrige Stufen oft durch
einfache Holzrampen überbrückt. Im Außenbereich
stehen andere Ansprüche im Vordergrund. Wenn
die Rampe für den Transport ins Auto gedacht ist,
muss man sich zwischen festen, einteiligen Rampen
und Schienen entscheiden. Einteilige Rampen sind
schwerer und schlechter zu transportieren. Schienen
sind dagegen für den Selbstfahrer oft schwierig einzustellen und beim Befahren eine wacklige Angelegenheit.
Feste Rampen im Außenbereich werden aus Beton
oder witterungsunempfindlichem Metall hergestellt.
Hier kommen Aluminium oder Stahl in Frage. Aluminium ist leichter, es ist witterungsbeständig und gut
belastbar. Stahlrampen sollten aus verzinktem Stahl
sein. „Aber von der Optik her sind fest gebaute Rampen meistens am schönsten“, so Geschäftsführer Lothar Esser von promedserv, „und außerdem sind sie
wartungsfrei“. Meistens entscheiden Platzfragen darüber, welche Art von Rampe am besten geeignet ist.
Rampenspezialist Esser (www.rampenspezialist.de)
ist selbst Rollstuhlfahrer. Er empfiehlt, genau zu prüfen, welche Kosten möglicherweise von der Pflegeversicherung übernommen werden können. Manche Rampen haben eine Hilfsmittelnummer, andere
nicht. „Manchmal muss man verhandeln“, erklärt er.
Er berät häufig telefonisch, lässt sich auch schon mal
Fotos zuschicken, um die Situation vor Ort einschätzen zu können. Wenn die optimale Lösung gefunden wurde, bekommt der Kunde die Rampe durch
eine Spedition geliefert. „Der Aufbau ist ungefähr so
schwer wie bei Möbeln aus dem Möbelhaus“, so Esser. Nur sehr untalentierte Menschen haben seiner
Erfahrung nach Probleme mit den Baukastensystemen. Er findet es nur ganz selten unvernünftig, die
vorhandene Wohnung mit Rampen barrierefrei zu
gestalten. Aber er erinnert sich an einen Fall, wo der
Umbau auf beengtem Raum rund 10 000 Euro gekostet und keine wirklich überzeugende Lösung garantiert hätte. Da empfiehlt er dann doch eher einen
Umzug.
Eine Besonderheit: Rollrampen
Wussten Sie, dass Wohnungs-Eigentümergemeinschaften dem Bau einer festen Rampe nicht unbedingt zustimmen müssen? Denkmalschutz ist auch
gar nicht so selten eine problematische Angelegenheit für Rollstuhlfahrer. Wenn sich die „lieben
Nachbarn“ stur stellen, bleibt nur ein Umzug oder
eine transportable Rampe. In diesen Fällen muss ein
möglichst leichtes Modell her, eine Rollrampe beispielsweise. Rollrampen (www.roll-a-ramp.de) bestehen aus einzelnen Modulen, die ineinander gesteckt
werden. Sie können also in den verschiedensten
Längen hergestellt werden. Das ist, wie Roll-A-RampGeschäftsführer Franz-Josef Lasek erklärt, auch aus
Krankenkassensicht interessant: Seiner Erfahrung
nach sehen es die Kassen inzwischen als Vorteil, dass
gebrauchte Rollrampen problemlos verkürzt oder
verlängert und damit wieder neuen Einsatzzwecken
zugeführt werden können.
Erfahrungsgemäß übernehmen Krankenkassen die
Kosten, wenn ein Rollstuhlfahrer Barrieren in seiner
Wohnung oder auf dem Weg von der Wohnung auf
die Straße überwinden muss. Voraussetzung ist wie
immer eine Verordnung des Arztes, auf der auch die
Hilfsmittelnummer vermerkt ist. Die Rollrampen haben eine Hilfsmittelnummer, genauer gesagt gibt es
mehrere Nummern, die für unterschiedliche Längen
und Breiten gelten.
Eine Besonderheit sind Roll-Brücken, die nicht nur
zum Überbrücken von Gräben gedacht sind. Eine
typische Einsatzmöglichkeit sind nicht belastbare
Schwellen, beispielsweise zum Balkon: Türen mit
Kunststoffrahmen, die nicht für die Belastung durch
einen Rollstuhl konstruiert sind.
Zu schwer?
Schwergewichte im Elektrorollstuhl werden besonders darauf achten, für welches Gewicht die Rollstuhlrampe ausgebaut ist. Eine Rampe, die einen
Menschen von rund 120 kg plus E-Rollstuhl trägt,
braucht eine Tragkraft von etwa 300 kg. Das ist
machbar, aber das Gewicht der Rampe selbst wird
normalerweise bei ca. 60 bis 70 kg liegen – für einen
hilfsmittel
Begleiter also nicht einfach unter den Arm zu klemmen.
Wenn um Rampen gestritten wird...
Im schwäbischen Fichtenau streitet Rollstuhlfahrer Michael Müller um die Möglichkeit, an den öffentlichen
Sitzungen des Gemeinderates teilnehmen zu können.
Der Sitzungssaal befindet sich im ersten Stock, ein
Aufzug ist nicht vorhanden. Mittlerweile gibt es zwar
eine Rampe, die ins Erdgeschoss des Gemeindehauses
führt. Diese hat allerdings laut Müller eine sechzehnprozentige Steigung und weitere Mängel. Bürgermeister Martin Piott bestätigte dem PARAPLEGIKER am
29. März 2011, dass die Situation sich nicht verändert
habe. (Die Auseinandersetzungen innerhalb des Ortes
kann man hier nachlesen: http://fichtenauerforum.
blogspot.com/2010/10/rampe-ruckwartsi.html)
Susanne Becker aus Taufkirchen musste wegen einer
Rampe vor Gericht: Das Münchner Amtsgericht hatte
ihr mit einer einstweiligen Verfügung verboten, ihre
beiden Alu-Schienen weiter zu benutzen. Die Rollstuhlfahrerin hatte sich im Baumarkt zwei Schienen
gekauft, um mit dem E-Rollstuhl zwei Stufen zum
Gehweg zu überwinden. „Nicht verkehrssicher“, lautete der Einwand der Hausverwaltung. Es drohte ein
Ordnungsgeld von bis zu 250 000 €. Der Rollstuhlfahrerin blieb nichts anderes übrig, als in der Wohnung
zu bleiben. Der Richter hatte eine einfache Idee: Die
Rollstuhlfahrerin muss eine dritte Rampe zwischen
die beiden Schienen legen und die Konstruktion mit
Schrauben fixieren, sodass niemand mehr mit dem
Fuß in die Lücke geraten kann. (Nachzulesen unter
http://www.elo-forum.org/schwerbehinderte-gesundheit-rente/64711-freiheitsberaubung-darf-rollirampe-mehr-benutzen.html)
Text: Ruth Auschra
Fotos: Auschra, Roll-A-Ramp
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Schränke –
immer an der Wand lang
Schränke und Schrankwände sind eine feine
Sache, weil sich
hinter ihren Türen
das ganze
Chaos verstecken lässt,
das sonst unsere Wohnräume so
„wohnlich“
macht.
Der Schrank der
Renaissance – so
Wikipedia – blieb
auch für die spätere Gestaltung
dieses Möbelstückes maßgebend, bis hin zur
Gegenwart.
Laut Wikipedia ist „Schrank“ die Bezeichnung
für „ein Möbelstück, das meistens abgeschlossen
ist oder wenigstens geschlossen werden kann. Er
entwickelte sich aus der aufrecht gestellten Kastentruhe bzw. aus zwei übereinander gestapelten
Truhen. Später erhielt der Schrank Türen, die mit
Malereien verziert waren, und wurde auf vier
niedrige Pfosten gesetzt, die erst in der Renaissancezeit zu gedrehten Füßen ausgebildet wurden. Abweichend davon war ein Stollenschrank
ein auf hohen Pfosten stehender Schrank.“ Der
Schrank der Renaissance – so Wikipedia – blieb
auch für die spätere Gestaltung dieses Möbelstückes maßgebend, bis hin zur Gegenwart.
So ist es zumindest in der alten Welt noch lange
Zeit geblieben, bis in unsere Tage. In Nordameri-
30
PARAPLEGIKER 2/11
ka pflegte man eine andere Tradition, wie Michael
Greven, Importeur technischer Produkte für den
Schrankbau, bereits 1978 auf seinen Reisen durch
diesen Erdteil erfahren konnte. Die Schranktüren
wurden dort an Schienen zwischen Boden und
Decke geführt, verschlossen meist einfach eine
Nische und waren nicht mit dem Schrankinneren verbunden. Greven brachte diesen Gedanken
mit nach Hause und entwickelte daraus von 1979
an das heute bekannte „Cabinet“-System – ein
perfekt funktionierendes Gleittür-EinbauschrankProgramm, das von mehr als 100 Partnern in
Deutschland, Österreich und der Schweiz vertrieben wird.
markt
Gleitende Türen
Ein Studio oder Fachgeschäft kann unter www.
cabinet.de gesucht werden. Dessen Mitarbeiter
nehmen in der Wohnung Maß und beraten bei
der Inneneinrichtung nach den individuellen Bedürfnissen des Kunden. Nach einer im Möbelbau
üblichen Lieferzeit von sechs bis acht Wochen
werden die passgenau vorgefertigten Schrankteile geliefert und vom Fachpersonal eingebaut.
Wie Julia Greven von Cabinet unterstreicht, sind
die Fachleute mit den besonderen Anforderungen vertraut, die bei der Planung von Einbauschränken und Schranksystemen für Menschen
mit Behinderung zu beachten sind. „Besondere
Vorzüge bieten unsere Schranksysteme für Menschen mit Mobilitätsbeschränkungen, da es bei
Gleittüren beispielsweise keinen Öffnungsradius
gibt, der möglicherweise störend im Weg stehen
kann. Die Türen gleiten leise und leicht zur Seite.
Cabinet-Gleittüren werden auf Wunsch sogar mit
einem sanften Selbsteinzug geliefert, dem so genannten ,Softstopp‘.“ Ausstattungsmerkmale wie
Rahmenprogramme mit verschiedenen Griffen,
darunter auch praktische Stabgriffe, sind besonders geeignet für Menschen, die auf den Rollstuhl
angewiesen sind.
„Einige Türenprogramme sind zudem mit einer
Synchro-Technik ausgestattet: Mit einem Griff
kann man so zwei Türen zugleich öffnen. Das ist
besonders praktisch und leicht zu bedienen, beispielsweise für Rollstuhlfahrer bei Durchgängen,
die eine gewisse Breite haben sollen. Zur Zeit
arbeiten wir auch an Automatiktüren. Unsere
Schranktüren sind vom Innenleben unabhängig
und können somit in beliebigem Abstand vom
Korpus geplant und platziert werden. Die Bodenschiene kann auf Wunsch in den Boden(belag)
eingelassen werden. Auch hängende, an der
Decke befestigte Gleittüren sind erhältlich und
ebenfalls sehr praktisch für Gehbehinderte oder
Rollstuhl fahrende Menschen. Und da wir das Innenleben nach Kundenwunsch fertigen, können
Auszüge, Schubladen und Kleiderstangen so wie
viele weitere nützliche Ordnungshilfen in beliebiger Höhe montiert werden.“
Stückzahl eins
Eine andere Philosophie vertreten „Die Möbelmacher“ Gunther Münzenberg und Herwig Danzer, die Inhaber der 1988 gegründeten gleichnamigen Massivholzschreinerei in Hersbruck. Bereits
im Jahr 1986 hat Geschäftsführer Herwig Danzer
während der Ausbildung zum Zivildienst in Ritterhude bei Bremen gelernt, wie schwer das Leben
Rollstuhlfahrern oft (meist unnötig) gemacht wird.
Damals wurden aus den Testbesuchen in Cafés,
Kaufhäusern und Supermärkten Empfehlungen
erarbeitet, die man in den heutigen DIN-Normen
so ähnlich wiederfinden kann. „Leider haben heute noch immer nicht alle Planer die Grundregeln
des Rollstuhl gerechten Einrichtens verinnerlicht.
Gerade im privaten Bereich geht es dabei weniger um Normen, sondern um Menschen, deren
eingeschränkte Bewegungsfreiheit so gut wie irgend möglich durch intelligente und individuelle
Einrichtungslösungen ausgeglichen werden soll.“
„Einige Türenprogramme sind
zudem mit einer
Synchro-Technik
ausgestattet: Mit
einem Griff kann
man so zwei Türen
zugleich öffnen.
... Das ist leicht
zu bedienen, beispielsweise für
Rollstuhlfahrer bei
Durchgängen, die
eine gewisse Breite
haben sollen.
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Dank der speziell entwickelten Fahrschiene bleibt ihre Treppe in ganzer Breite frei. Der
Einbau kann in Mehrfamilienhäusern, engen Treppenhäusern, über mehrere Etagen
erfolgen. Haltestellen sind frei wählbar. Die Bedienung erfolgt auch bei eingeschränkter
Mobilität durch den Benutzer oder Begleitperson. Fernsteuerbar ohne Kabelmontage.
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www.hoegglift.de
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Der Kleiderschrank für Rollstuhlfahrer hat im
optimalen Greifraum zwei Schubladen, die unterhalb vom Kleiderlift
angeordnet sind.
So ist für Rollstuhlfahrer der gesamte
Schrankinnenraum
erreichbar...
Dazu eigne sich die Flexibilität der Möbelmacher
durch die Einzelanfertigung ganz besonders,
denn nur die „Stückzahl eins“ sei geeignet, einen
optimalen Kompromiss aus Bewegungsfreiheit,
Zugriffsmöglichkeiten und Quadratmeterverbrauch zu verwirklichen. „Egal, ob Küche, Bad oder
Schlafzimmer, ob höhenverstellbare Arbeitsplatten, unterfahrbare Betten oder Kleiderschränke
mit Garderobenlift: In Unterkrumbach suchen wir
nach der funktionalsten und gleichzeitig optisch
ansprechenden Lösung. Denn eines wollen wir
unbedingt erreichen: Dass die neue Einrichtung
aus Massivholz zuerst wegen ihrer Ästhetik und
erst im zweiten Schritt wegen ihrer Rollstuhltauglichkeit auffällt.“
Hoteleinrichtungen
und Selbstbaulösungen
Im Zuge dieser Tätigkeit haben „Die Möbelmacher“ ein Hotelzimmer mit barrierefreier Einrichtung speziell für Rollstuhlfahrer entwickelt. „Das
erste Hotel, in dem die speziell für Rollstuhlfahrer
gebauten Möbel stehen, ist der ,Grüne Baum‘ in
Kühnhofen. Gemeinsam mit den Fachleuten der
Firma Coframed testeten wir gleich die Funktionalität mit dem Rollstuhl. Besonders wichtig war
uns die Unterfahrbarkeit des Kleiderschrankes mit
dem Rollstuhl. Der Kleiderschrank für Rollstuhlfahrer hat im optimalen Greifraum zwei Schubladen,
die unterhalb vom Kleiderlift angeordnet sind. So
ist für Rollstuhlfahrer der gesamte Schrankinnenraum erreichbar, außer den oberen Fächern hinter
der beidseitig verspiegelten Tür. Der Massivholzschrank steht auf zwei nur mittig angebrachten
Beinen, weil das die Unterfahrbarkeit verbessert
und ist ansonsten an der Wand befestigt.“
Immer wieder kommt es vor, dass uns die Post den
»Paraplegiker« mit dem Vermerk “unzustellbar“ zurücksendet.
Dann beginnen für uns zeit- und arbeitsaufwendige, vor allem
auch kosteintensive Nachforschungen, die nicht selten als
ergebnislos eingestellt werden müssen.
Darum bitten wir Sie:
dem Humanis Verlag Ihre neue- und alte Anschrift mitzuteilen.
Bei Abo-Abbuchungen bitte auch die Änderungen
der Bankdaten mitteilen.
Vielen Dank – Ihr Humanis Verlag
32
PARAPLEGIKER 2/11
Schiebetüren für Einbauschränke, begehbare
Schränke oder Raumteiler findet man auch als
Selbstbausystem im Heimwerkermarkt, etwa bei
„Bauhaus“. Wer sich mit einer beschränkten Motivauswahl bei den Türfüllungen zufrieden geben kann, sollte sich auf der Website des Selbstbauprogrammes umsehen. Unter www.platzda.
eu findet sich nicht nur ein Überblick über das
Türenprogramm, sondern alles, was für die Planung der Inneneinrichtung erforderlich ist. Der
Internet-Planer wird ergänzt durch allgemeine
Informationen und Prospekte, Preislisten und
Montageanleitungen, die einfach als PDF-Dokument heruntergeladen werden können und die
zahlreiche Ideen und Lösungen für nahezu jede
Raumsituation bieten, dazu vollständige Preislisten der benötigten Komponenten sowie Montageanleitungen mit Tipps und Hinweisen für das
Selbstbausystem.
Text: Raimund Artinger
Foto: Cabinet Schranksysteme AG
Infos:
Cabinet Schranksysteme AG
tel 0 22 75-92 03 60, www.cabinet.de
eMail: [email protected]
Bauhaus/Platz da!, www.platzda.eu
Die Möbelmacher GmbH, tel 0 91 51-86 29 99
www.die-moebelmacher.de
eMail: [email protected]
Weitere Adressen:
www.prometer.de
www.schrank-werk.de
www.holzschwab.de
www.raumplus.de
www.schrank-direkt.de
www.team7-pfullingen.de
www.haus-freudenberg.de
www.bock.net
www.moebel-bau.com
q – querschnitt spezial
Das silberne Spar-Schwein:
„Kaufen Sie sich doch einfach
ein neues Auto“
So einfach wollte es sich das Sanitätshaus Brillinger
machen, um eine offensichtliche Fehlversorgung für
einen MS-Patienten aus der Welt zu schaffen.
Was war geschehen? Herr X ist seit langem an
Multiple Sklerose erkrankt. Er ist auf einen Elektrorollstuhl angewiesen und braucht Hilfe rund um die
Uhr. Zur Kreislaufstabilisierung und zur Aktivierung
der noch vorhandenen Restmuskulatur übte er täglich in einem Stehtrainer. Jedenfalls so lange, wie
es für seine auch schon im Rentenalter stehende
Ehefrau möglich war, ihn vom E-Rollstuhl ins Stehgerät und zurück zu schaffen. Irgendwann war das
bei dem über 1,90 m großen kräftigen Mann nicht
mehr möglich. Als Alternative bot sich ein Elektrorollstuhl mit Stehfunktion an, der nach den üblichen
Anfangsschwierigkeiten auch von seiner Krankenkasse, der DAK in Karlsruhe genehmigt wurde. Verschiedene Rollstühle wurden ausprobiert und ein
Anforderungsprofil erstellt. Dazu gehörte auch, dass
bestimmte Maße nicht überschritten werden durften. Der Rollstuhl durfte nicht zu breit sein, damit
er in den Aufzug zum zweiten Stock passte und vor
allem nicht höher als 1,40 m, damit auch der Transport in dem dafür extra umgebauten Renault Kangoo möglich blieb, nicht nur für Fahrten zum Arzt
und zur Physiotherapie, sondern auch, damit Herr X
weiterhin am Leben außerhalb der Wohnung teilhaben kann.
Ein Rollstuhl von der Firma Vassilli, der vom Sanitätshaus Brillinger zusammen mit einem Mitarbeiter des
Herstellers vor Ort getestet wurde, entsprach diesen
Kriterien, war der DAK aber zu teuer. Also wurde ein
anderer Rollstuhl ausprobiert. Dieses Mal aber nur
mit einem Mitarbeiter der Firma Brillinger, ohne dass
ein Mitarbeiter des Herstellers dabei war. Die Frage
nach der Verlademöglichkeit ins Auto beantwortete
dieser „Wenn der alte Rollstuhl ins Auto passte, dann
geht das auch mit diesem Modell.“ Nachdem in der
Wohnung auch alles glatt ging, reichte das der DAK
aus, diesen Rollstuhl zu genehmigen.
Kurz und gut, der Rollstuhl wurde ausgeliefert – und
war mit 1,50 m 10 cm zu hoch für die Verladung in
den Renault Kangoo. Er lässt sich, auch nach Rück-
sprache mit dem Hersteller, nicht auf eine geringere
Höhe umbauen. So muss Herr X – trotz aller TÜVund Herstellervorgaben und auf eigenes Risiko –
mit schräg gestellter Rückenlehne im Auto gefahren
werden.
Die Krankenkasse, die durch die Ablehnung des
ersten Vorschlages rund 1 000 € eingespart hat,
schweigt dazu und verweist an die Firma Brillinger.
Das Unternehmen, für das die Versorgung wegen
anderer Mängel schon jetzt ein Zuschussgeschäft
zu werden droht, schlägt dem Rentnerehepaar als
einzige Problemlösung die Anschaffung eines neuen Autos mit höherem Innenraum vor, natürlich auf
eigene Kosten. Eine wahrlich ungewöhnliche Form
der Anpassung. Nicht das Hilfsmittel wird an die
Anforderung angepasst, sondern umgekehrt. Ein
Umbau des zehn Jahre alten noch gut erhaltenen
Autos mit wenigen Kilometer auf dem Tacho, der
zwischenzeitlich auch einmal in Erwägung gezogen
wurde, wäre nicht nur erheblich teurer als das, was
der neue Rollstuhl gekostet hat, er würde wegen
mangelnder Sicherheit auch nicht vom TÜV akzeptiert.
Kriterium für die „Ehrung“ ist
die Kreativität der Begründung
für eine Ablehnung. Je unsinniger,
desto besser sind die Chancen.
Ob man darüber eher schmunzelt
oder sich mehr über die Ignoranz
ärgert, bleibt jedem selbst überlassen. Vorschläge sind willkommen.
Herbert Müller
Rechtsbeistand im Sozialrecht
der Fördergemeinschaft
der Querschnittgelähmten
in Deutschland e.V.
Freiherr-vom-Stein-Str. 47
56566 Neuwied-Engers
tel 0 26 22-88 96-32; Fax: -36
eMail: [email protected]
Text: Herbert Müller
PARAPLEGIKER 2/11
33
q – querschnitt spezial
Serie: Dekubitus (2)
Das richtige Kissen wählen!
Nicht jeder Rollstuhlfahrer entwickelt Dekubitalgeschwüre (kurz: Dekus).
Die Gefahr ist eher hoch, wenn keine Restsensibilität vorhanden ist,
so dass Schmerzreize im Gesäßbereich nicht wahrgenommen werden
können. Gefährdet sind auch Menschen, die die Sitzfläche nicht über ein
Hochdrücken aus dem Rollstuhl entlasten können, die unter Spastiken
oder Kontrakturen leiden.
Leider entwickeln auch Paraplegiker, die eigentlich im Alltag gut und selbstständig zurechtkommen, gar nicht so selten Dekus. Bei
ihnen besteht das Risiko vor allem darin, dass
sie so gut alleine mit ihren Einschränkungen
leben und keine weitere Hilfe in Anspruch nehmen. Das kann dazu führen, dass ein Deku im
Anfangsstadium unbemerkt bleibt, wenn niemand pflegerische Hilfe leisten muss.
im Rollstuhl, Bauchlagerung oder individuell zugeschnittene Schaumstoffauflagen ist
unumgänglich, um eine gute Durchblutung
wiederherzustellen. Experten empfehlen alle
10 Minuten eine Entlastung der Sitzfläche.
Druckstellen entstehen bekanntlich auch
durch Mikro-Verletzungen, die beispielsweise
von Kleidung mit Nähten oder Falten an belasteten Stellen verursacht werden kann. Selbst
Tabelle: Die Entwicklung eines Dekus
Stadium
Anzeichen
Was tun?
Stadium I:
Intakte Haut mit einer Besonderheit: Es bleibt eine rote
Stelle bestehen, wenn man mit dem Finger auf die belastete Haut
am Steißbein oder Sitzbeinhöcker drückt. Die gesunde Haut um
diese Stelle herum blasst dagegen ab. Es können Ödeme bestehen,
möglicherweise ist die Haut hart und/oder heiß.
Die Haut muss unbedingt dauerhaft entlastet werden. Schon
nach einigen Stunden bis Tagen kann man die Hautrötung zum
Verschwinden bringen. Ohne Druckentlastung geht es allerdings
weiter: Es kommt zu einer verstärkten Einlagerung von Flüssigkeit in die Druckstelle.
Stadium II:
Die Haut ist oberflächlich geschädigt. Sichtbar ist eine Blase, eine Art
Hautabschürfung oder vielleicht auch ein flaches Geschwür.
Jetzt reicht eine Entlastung nicht mehr:
Chirurgen aufsuchen!
Stadium III:
Das Geschwür hat alle Hautschichten und das unter der Haut liegende
Gewebe geschädigt. Sogar der unter der Haut liegende Muskel kann
betroffen sein. Ein tiefes offenes Geschwür ist entstanden.
Stadium IV:
Das Geschwür hat sich auch auf Knochen, Sehnen oder Gelenkkapsel
ausgedehnt.
Zur Vorsorge werden die verschiedensten
Anti-Dekubitus-Kissen angeboten: Kissen aus
Schaumstoff, mit Gel gefüllte Kissen oder Luftkammerkissen. Ob Waben oder Luftkammern
– immer geht es darum, für eine möglichst optimale Druckentlastung zu sorgen. Kissen mit
herausnehmbaren Schaumstoffwürfeln erlauben eine punktuelle Entlastung, Wabenkissen
sollen die Scherkräfte besonders gut reduzieren.
Selbstverständlich haben alle Kissen ihre
Grenzen: Entlastung durch Hochdrücken
34
PARAPLEGIKER 2/11
raue Oberflächen oder zu warme Sitzflächen
(Wärmflaschen oder Sitzheizungen) können
gefährlich sein.
Ganz grundsätzlich gibt es nicht das perfekte
Kissen für alle Bedürfnisse. Welches Kissen
individuell am besten passt, hängt von den
Anforderungen im Einzelfall ab: Das Sitzkissen
soll ja nicht nur für Druckentlastung sorgen,
sondern auch für einen stabilen Sitz.
Die Anforderungen sind umfangreich: Das
Gewicht des Kissens spielt ebenso eine Rolle wie das des Rollstuhlfahrers. Je aktiver der
q – querschnitt spezial
Rollstuhlfahrer, desto leichter sollte das Kissen
möglichst sein. Wer inkontinent ist, braucht
auf jeden Fall ein Kissen, das Feuchtigkeit
aufnimmt und gut gereinigt werden kann.
Atmungsaktive Sitzkissen sorgen zusätzlich
dafür, dass die Haut trocken bleibt, auch wenn
man schwitzt. Gelkissen sorgen möglicherweise für verstärktes Schwitzen – was ein Nachteil
wäre: Feuchte Haut ist bekanntlich anfälliger
für die Entwicklung von Wunden. Kissen mit
luftgefüllten Noppen, Mini-Luftkissen oder
Noppenkissen aus Neopren passen sich dem
Körpergewicht an und sorgen neben Entlastung für eine stabile Sitzposition. Andere Rollstuhlfahrer schwören auf Luftsitzkissen, deren
Kern mit einer Handpumpe aufgeblasen wird.
Ideal ist es, wenn man ein Sitzkissen nicht nur
kurz probieren, sondern längere Zeit testen
kann. Am besten verlässt man sich nicht nur
auf das eigene Sitzgefühl, sondern lässt an-
schließend eine Hautkontrolle auf Rötungen
und Feuchtigkeit durchführen. Sitzdruckmessungen können spannende Ergebnisse
erbringen: Manchmal ist gar kein anderes
Kissen sinnvoll, sondern eine veränderte Neigung des Sitzes oder eine Veränderung des
Abstands zu den Fußstützen. Allerdings darf
man aus einer Druckanalyse nicht ableiten,
dass an einer Stelle mit erhöhtem Druck
auch zwangsläufig ein Deku entstehen muss. Leider werden Sitzdruckmessungen hierzulande fast
nur in Querschnittzentren durchgeführt. Vielleicht lohnt es sich, einen
Checkup-Termin außerdem zum Kissentest zu nutzen? Ein Anruf beim Krankenhaus
sollte vorab klären, ob das möglich ist und ob genügend Kissen zum Testen vorhanden sind.
Ideal ist es,
wenn man ein
Sitzkissen nicht nur
kurz probieren, sondern längere Zeit
testen kann.
Text: Ruth Auschra
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Röntgenbild einer spastischen Blase.
Tourismusverband
Niederlausitz,
Foto: Nada Quenzel
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Auch die Arbeitsgemeinschaft „Barrierefreie Reiseziele
in Deutschland“ hat sich auf die besonderen Bedürfnisse mobilitätseingeschränkter Gäste eingestellt
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Die Bahn
macht mobil.
q – querschnitt spezial
Operation aus Patientensicht:
Abb.: Stoma-Welt.de
Stoma - Leben mit
einem Loch im Bauch
Ein Stoma ist ein künstlicher Darmausgang. Auch so mancher
querschnittgelähmte Mensch denkt „Ein Stoma kommt für mich
nur in Frage, wenn ich es wirklich nicht vermeiden kann“ und verbindet den Begriff mit Darmkrebs, Morbus Crohn, Colitis Ulcerosa oder anderen schweren Krankheiten.
Dabei denkt er nicht daran, dass auch seine Querschnittlähmung bei nicht behinderten
Menschen oft genug eine ähnliche Abwehrreaktion hervorruft, obwohl auch damit ein positives
und erfülltes Leben möglich ist. Aber wenn es
wie bei einem Stoma um das Tabuthema Ausscheidungen geht, bleibt die Objektivität leicht
auf der Strecke, vor allem dann, wenn man einmal erlebt hat, wie sehr Menschen, die sich mit
ihrem Stoma nicht anfreunden konnten, einer
Rückverlegung entgegenfiebern. Mit Querschnittlähmung ist man schon froh, dass man
die Blasenlähmung durch Kathetern oder andere Techniken einigermaßen im Griff hat und
akzeptiert, dass man mindestens jeden zweiten
oder dritten Tag bis zu mehreren Stunden dort
verbringt, wo selbst der Kaiser zu Fuß hingeht.
„Da stinkt man ja“
oder „Ich habe gehört, dass...“ verhindern, dass man
sich objektiv über
eine möglicherweise sinnvolle Lösung seiner Darminkontinenzprobleme informiert ...
Ein Dickdarmstoma (med. Colostoma) ist gewiss
nicht die Ideallösung für jeden mit einer Mastdarmlähmung, aber es ist gewiss ein Nachdenken darüber wert – fernab jeder subjektiven
emotionalen Bedenken. Denn viele Informationen darüber basieren wie so oft auf Halbwissen und Spekulationen. Sprüche wie „Igitt – wie
eklig“, „Da stinkt man ja“ oder „Ich habe gehört,
dass...“ verhindern, dass man sich objektiv über
eine möglicherweise sinnvolle Lösung seiner
Darminkontinenzprobleme informiert, die eine
erhebliche Verbesserung der Lebensqualität bedeuten kann.
In Deutschland leben rund 100 000 Menschen
mit einem künstlichen Darmausgang. Ein Colostoma ist ein kleines Loch im Bauch, in dem der
untere Teil des Dickdarms endet, der bis dato in
36
PARAPLEGIKER 2/11
den Enddarm weiterführte, 20 bis 40 mm groß,
meist links in der Nähe des Nabels. Die Hauptaufgabe des Dickdarms im Körper ist es, den
Ausscheidungen das Wasser zu entziehen und
diese dadurch anzudicken, damit der Darm normal entleert werden kann. Im Gegensatz zu einen Ileostoma (des Dünndarms) sind bei einem
Colostoma normalerweise keine besonderen
Essensvorschriften zu beachten. Man lebt damit
weiter wie vorher. Ausführliche bebilderte Informationen dazu sind im Internet bei Wikipedia zu
finden (http://de.wikipedia.org/wiki/Enterostoma). Auch die Website www.stoma-welt.de mit
mehr als 30 000 Besuchern pro Monat bietet für
interessierte Leser qualifizierte Informationen,
die mithelfen, wenn man sich mit dem Thema
befasst.
Weniger Rücksicht nehmen
Auf der Jahrestagung der DGMP 2006 in Wien
wurde berichtet, dass in der WWK in Bad Wildungen von 69 querschnittgelähmten Patienten, bei denen – meist zum Schutz des
Gesäßes bei einem Dekubitus – ein Stoma angelegt wurde, sich 62, also rund 90 % entschieden haben, das Stoma beizubehalten. Es gibt
andere Fälle, bei denen sich Querschnittgelähmte jahrelang damit herumgequält haben,
dass sie ihr ganzes Leben nur danach ausrichten mussten, ob sie gerade Durchfall oder Verstopfung hatten und nur dorthin gingen wo
sie sicher waren, dass eine Behindertentoilette
für Notfälle wirklich in der Nähe war. Als sie sich
nach eingehender Beratung für eine Stomaanlage entschieden hatten, begann für sie ein
q – querschnitt spezial
neues Leben und so mancher von ihnen stellte
fest, dass er sich schon viel früher damit hätte
befassen sollen.
Natürlich ist jede Operation ein Risiko und neben dem Stoma bleibt bei einer solchen Routine-OP als Andenken auch eine OP-Narbe am
Bauch zurück und man muss mit ca. zwei Wochen Krankenhausaufenthalt rechnen. Dafür
entfallen von da an 20, 30 oder mehr Stunden
pro Monat, die man auf der Toilette verbringt,
das Umsetzen auf die Toilette mit dem Risiko,
die Haut zu schädigen usw. Unterwegs kann
man auch in Zimmern ohne rollstuhlgeeignete
Toilette übernachten, im Urlaub seine Zeit ganz
anders planen. Kurz, man muss weniger Rücksicht auf die Stuhlinkontinenz nehmen. Selbst
das gefürchtete Unglück Durchfall hat weniger
Schrecken, weil dann zwar u. U. die Kleidung
verdreckt wird, aber der Rollstuhl samt Kissen
sauber bleibt.
Heute gibt es eine Vielzahl von Stomaversorgungen, die nicht nur absolut dicht sind,
sondern sich auch im Rollstuhl einfach und
problemlos handhaben lassen. Sie fallen auch
gefüllt nicht auf und beeinträchtigen auch nicht
die Beweglichkeit. Man kann damit schwimmen
gehen oder in die Sauna. Es entsteht auch keine
Geruchsbelästigung. Wer es nicht weiß, merkt
es nicht wenn jemand ein Stoma hat. Der Wechsel, je nach System ein- bis mehrmals am Tag, ist
Minutensache und ist auch unterwegs in jeder
stillen Ecke möglich (wenn man wie es sich gehört ein Versorgungsset dabei hat...).
gungen werden je nach Bedarf ein bis drei Mal
am Tag gewechselt.
Fußgänger bevorzugen manchmal auch die Irrigation, die auch bei einem Stoma möglich ist.
Dann muss in der ausscheidungsfreien Zeit statt
eines Beutels nur eine kleine Stomakappe getragen werden. Aber erfahrungsgemäß ist das
für Rollstuhlfahrer nicht besonders praktisch,
abgesehen von dem zusätzlichen Zeitaufwand
von ½ bis 1 Stunde pro Vorgang, die man durch
die Stomaanlage gewonnen hat und dann wieder hergibt.
Die Stomaversorgungen zahlt die Krankenkasse. Eventuelle Zuzahlungen für „zum Verbrauch
bestimmte Hilfsmittel“ von max. 10 € im Monat
beinhalten benötigte Stomaversorgung, Katheter usw. insgesamt, sind also nicht doppelt zu
leisten, sofern man nicht ohnehin von Zuzahlungen befreit ist.
Text: Herbert Müller
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Vor- und Nachteile
Mit welchem System man am besten zurecht
kommt muss man ausprobieren. Die Anbieter
stellen gerne – wie bei Kathetern – kostenlose
Muster zur Verfügung, weil sie ja auf Dauerkunden hoffen. Damit kann man Dichtigkeit
und Hautverträglichkeit testen, welches Befestigungssystem bei so genannten Zweiteilern
sich am besten eignet usw. Es gibt zweiteilige
Systeme mit einem Kunststoffring, der in das
Gegenstück auf einer Basisplatte einrastet und
solche mit einer Klebefläche. Beides hat Vorund Nachteile. Speziell für Tetraplegiker mit
eingeschränkter Handfunktion sind meist Klebesysteme praktischer. Einteilige Stomaversor-
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q – querschnitt spezial
Am 13. und 14. Mai
dieses Jahres fand ein
wissenschaftliches
Symposium des Querschnittgelähmtenzentrums für Mecklenburg-Vorpommern
der BDH-Klinik Greifswald statt. Eingeladen waren (ehemalige) Patienten und
deren Angehörige,
Therapeuten unterschiedlicher Bereiche,
Mitarbeiter der Krankenpflege sowie Ärzte
unterschiedlicher
Fachrichtungen, die
die Betroffenen seit
ihrer Querschnittlähmung begleiteten und
im weiteren Verlauf
weiter betreuen.
Symposium des Querschnittgel
Mecklenburg-Vorpommern
N
ur durch eine bestmögliche Akutbehandlung sowie spezifische Behandlungsmethoden in
den Behandlungszentren für Querschnittgelähmte kann nach Auftreten einer frischen Schädigung
des Rückenmarks die Gesundheit stabilisiert und
die Lebensqualität wesentlich verbessert werden,
betonte der Chefarzt des Zentrums, Prof. Dr. Platz.
Nach umfangreicher Erstbehandlung ist im Falle
fortbestehender Lähmungserscheinungen ein lebenslanger Behandlungs- und Rehabilitationsbedarf zu verzeichnen. So wurden beim Symposium
zunächst Fragen der anfänglichen Akutbehandlung durch Neurochirurgen aus den Universitätsklinika Rostock, Prof. Dr. Piek, und Greifswald, Dr.
Müller, sowie den HELIOS-Kliniken Schwerin, Dr.
Salger, umfassend dargestellt.
Ein weiterer wesentlicher Themenkomplex waren
neurologische Therapiemöglichkeiten bei akuter
Querschnittlähmung bedingt durch entzündliche
Erkrankungen des Rückenmarks oder Durchblutungsstörungen desselben. Hier referierten Neurologen aus Greifswald, Priv.-Doz. Dr. Dressel, und
Stralsund, Prof. Dr. Sieb.
Da die weiteren Behandlungs- und Rehabilitationsziele bei Vorliegen einer Querschnittlähmung
vielfältig sind, ist auch das Behandlungsteam am
Greifswalder Querschnittgelähmtenzentrum multiprofessionell aufgebaut. Vor dem Hintergrund
langjähriger Erfahrungen stellten Therapeutinnen
und Therapeuten des Querschnittgelähmtenzentrums ihre vielfältigen Behandlungsmethoden
dar. Themen waren hierbei die Erstrehabilitation
Querschnittgelähmter aus physio- und sporttheChefarzt
Prof. Dr. med. Platz.
38
PARAPLEGIKER 2/11
rapeutischer Sicht, die unterstützende Behandlung durch die funktionelle Elektrostimulation
sowie Therapieschwerpunkte aus ergotherapeutischer Sicht.
Ziel der Erstbehandlung ist es, dass bei Querschnittgelähmten zumindest teilweise Funktionen wieder hergestellt werden können und dass
sie so trotz verbleibender Lähmung ein selbstbestimmtes Leben führen können. Ergänzt wurde
dieser Gedanke durch Vorträge des psychologischen Dienstes und des Sozialdienstes, der den
Bogen bis hin zur Vorbereitung der medizinischen
beruflichen Rehabilitation und die Re-Integration
in den Arbeitsprozess schloss. Die Rehabilitation
des Querschnittgelähmten beginnt am Unfallort
und endet idealerweise am Arbeitsplatz.
Ärzte aus dem Greifswalder Querschnittgelähmtenzentrum und aus anderen Zentren der Bundesrepublik vertieften Fragen der spezifischen
medizinischen Behandlung. Neben Themen wie
der neuro-urologischen Diagnostik und Therapie
bei vorliegender Harnblasenlähmung wurden
auch neueste Erkenntnisse bezüglich des Darmmanagements aus ärztlicher sowie pflegerischer
Sicht dargestellt (ltd. OA Dr. Bremer und Mitarbeiter sowie Dr. Leder aus Immenstadt). Dr. LöchnerErnst aus Murnau referierte über Probleme und
deren Lösung bei vorliegender Einschränkung der
Sexualfunktionen.
Ein weiterer Vortragsblock war der Komplikationsbehandlung gewidmet. Dargestellt wurden
vorbeugende und konservativ therapeutische
Auch Patienten nahmen am Symposium teil.
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ähmtenzentrums
Ansätze bei Vorliegen eines Decubitalulcus
(Druckgeschwürs), ebenso mögliche operative
Behandlungsstrategien (Herr ten Venne, Facharzt
für Orthopädie, und Jan Sadewasser, Wundmanager). Auch das notwendige Management bei vorliegender spinaler Spastik wurde allen Zuhörern
umfassend erläutert (Funktionsoberarzt Meierhenrich-Fath, Facharzt für Nervenheilkunde). Ein
weiterer Kernpunkt des Symposiums war die notwendige lebenslange Nachsorge bei vorliegender
Querschnittlähmung, lassen sich doch durch
regelmäßige Kontrolluntersuchungen im Verlauf
schon recht frühzeitig drohende Komplikationen
erkennen und frühzeitig abwenden, bevor eine
Schädigung der Organe eintritt.
In der begleitenden Industrieausstellung konnten
sich die Teilnehmer über aktuelle therapeutische
Optionen und Hilfsmittel zudem umfassend informieren.
Insgesamt trafen sich bei dieser Veranstaltung circa 200 Querschnittgelähmte, ihre Behandler und
Weiterbehandler unterschiedlicher Professionen.
Insgesamt verdeutlichte auch das Symposium,
dass das Greifswalder Querschnittgelähmtenzentrum, das Behandlungszentrum des Bundeslandes Mecklenburg-Vorpommern, auf eine
13-jährige Erfahrung bei der Erstbehandlung,
Komplikationsbehandlung und lebenslange
Nachsorge Querschnittgelähmter zurückschauen
kann.
Den zahlreichen Unterstützern dieser Veranstaltung sei auch auf diesem Wege nochmals gedankt.
Text:
Prof. Dr. med. T. Platz
Chefarzt
Dr. med. J. Bremer
Facharzt für Urologie
- Physikalische Therapie
- Ltd. Oberarzt
Fotos: BDH-Klinik
q – querschnitt spezial
Gesunde Ernährung ab 40 –
Heutzutage ist es auch für querschnittgelähmte Menschen kein Problem mehr ein hohes Alter
zu erreichen. Das bedeutet aber auch, dass man zusätzlich die Gesundheitsrisiken von Gesunden bekommt, die mit dem Altern auch so ihre Probleme haben. Man soll sich viel bewegen,
um Osteoporose, Diabetes etc. vorzubeugen. Leicht gesagt. Aber worauf muss man nun besonders achten, wenn man im Rollstuhl sitzt und die 40, 50 oder 60 überschritten hat?
T
atsächlich wird es meistens schwieriger auf Dauer sein Gewicht zu halten, geschweige es zu reduzieren. Die Schilddrüse
drosselt die „Aktivitätshormone“, das bedeutet, man braucht
immer weniger Energie, der Grundumsatz sinkt. Bei Frauen
kommt hinzu, dass die Östrogene weniger werden, dann nimmt
der Appetit zu. Bewegung ist immer gut – auch wenn sich das
nur auf die Arme beschränkt. Sie hilft den Muskelabbau vorzubeugen und die Koordinationsarbeit trainiert das Gehirn. Auch
Glückshormone werden dadurch aktiviert. Dazu kommt, dass
Bewegung in jedweder Form hilft, Diabetes Typ II – der früher
nicht umsonst Altersdiabetes genannt wurde – vorzubeugen.
Sojabohnen, Kichererbsen oder Linsen hinzufügen, um den Eiweißgehalt zu erhöhen.
Zuckerkrankheit wird nicht nur durch mangelnde Bewegung
gefördert – 20 Jahre Übergewicht bedeutet nahezu 100 % Diabetes. Um das Gewicht zu halten oder zu reduzieren sind Hungerkuren definitiv die falsche Möglichkeit, denn sie provozieren
allenfalls den Jojo-Effekt. Man weiß heute, dass weder Diäten
ohne Fett oder ohne Kohlenhydrate helfen. Stattdessen ist es
ganz wichtig satt zu werden. Weniger als 800 Kilokalorien darf
man definitiv nicht zu sich nehmen.
Zwischen April und Oktober sollte man sich so viel wie möglich
in der Sonne aufhalten, wenn möglich mindestens 20 Minuten
täglich. Im Winter kann man kein Vitamin D in der Haut bilden,
da der Einfallswinkel der Sonne dafür zu ungünstig ist, das
heißt, man lebt dann von seinen Speichern. Vitamin D-Mangel
begünstigt die Entstehung von Diabetes Typ II. Auch Depressionen, Krebs und Muskelabbau sind die Folgen davon. Auch
über die Nahrung kann man das Vitamin zuführen. 5 - 10 μg pro
Tag zusätzlich sind hilfreich.
• Entscheidend für die Sättigung ist das Volumen der zugeführten Mahlzeiten, nicht deren Kaloriengehalt. Das bedeutet:
Man muss Lebensmittel auswählen mit hohem Nährwert, großem Volumen und wenig Kalorien. Ganz falsch sind zum Beispiel
Nuss-Nugatcremes: Sie sättigen erst bei großen Mengen, die
man davon besser vermeiden sollte.
Vitamin D – ein Problemvitamin
Mit zunehmendem Alter wird Vitamin D ein Problem. Selbst unter den völlig Gesunden haben 82 % der Männer und 91 % der
Frauen zu wenig davon. Je älter man wird, desto mehr nimmt
die Fähigkeit der Haut ab, es zu bilden. Das heißt: Ein gepflegtes
Sonnenbad wird wichtiger denn je. Dafür braucht man auch
keinen Sonnenbrand zu riskieren.
Ab und an sollte man beim Arzt seinen Vitamin D-Spiegel überprüfen lassen, um die Probleme eines Mangels erst gar nicht
entstehen zu lassen. Wenn man Glück hat, zahlt dies sogar die
Krankenkasse.
Altern und die Knochen
• Größere Mahlzeiten sättigen besser, das heißt: Die Kleinen zu
Gunsten von drei Großen besser vergessen. Fünf Mahlzeiten am
Tag bedeuten nur fünfmal am Tag Insulinausschüttung. Dieses
Hormon sorgt dafür, dass Fett und Kohlenhydrate nicht abgebaut, sondern gespeichert werden.
• Der Vitamin- und Mineralstoffbedarf steigt, wenn man älter
wird. Obst und Gemüse enthalten viel davon und sie sättigen.
Isst man zum Beispiel ein Schnitzel, kommt man locker auf 550
kcal. Dieselbe Nahrungsmenge als Obst und Gemüse liefert
denselben Effekt bei nur 150 kcal.
• Kartoffeln dämpfen das Hungergefühl, jedoch dies in Form
von Pellkartoffeln und nicht als Pommes Frites. Dazu gegrillten
Fisch und Salat ist ideal, um ein paar Pfunde los zu werden. Auch
die Kohlsuppe eignet sich, jedoch sollte man Hülsenfrüchte wie
40
PARAPLEGIKER 2/11
Osteoporose wird mit den Jahren zunehmend ein Problem.
Dies insbesondere, wenn man sich zu wenig bewegt. Auch deshalb ist ein ausreichender Vitamin D-Spiegel so wertvoll, der
dafür sorgt, dass das Kalzium der Nahrung in die Knochen eingelagert werden kann.
Viel davon enthalten Milchprodukte. Insbesondere Hartkäse ist
reich davon, aber auch Joghurt ist zu empfehlen. Reichlich findet man auch noch in Sesam. Im Bioladen werden leckere Gewürzmischungen (Gomasio) und Mus in verschiedenen Sorten
aus gemahlener Sesamsaat (Tahin) angeboten. Ein Versuch ist
es auf alle Fälle wert, wenn man Hartkäse nicht mag.
Hilft alles nichts, so kann man immer noch in die Trickkiste
der Ernährung greifen. So hilft die mexikanische Yamswurzel
q – querschnitt spezial
Aspekte für Querschnittgelähmte
Frauen, ohne größere Probleme über die Wechseljahre hinwegzukommen. Das gilt auch für Osteoporose. Es gibt die Wurzel
in Form von Hautcremes, aber auch als Homöopathikum und
konzentriert als Tabletten. Ein aufgeschlossener Arzt hilft bei
der Anwendung.
Wertvolle Lebensmittel
Wenn man älter wird, ist es wichtig vitamin- und mineralstoffreiche Lebensmittel zu sich zu nehmen, da der Nährstoffbedarf
nicht abnimmt. Das wären zum Beispiel:
• Obst
• Gemüse
• Keimlinge – je nach Geschmack kann man Weizenkörner oder
Mungbohnen etc. keimen – je nach bevorzugter Geschmacksrichtung. Damit ist man unabhängig vom Einkauf und hat dennoch täglich Vitamine und Mineralstoffe zur Verfügung.
• Kakao enthält etwa 300 gesunde Inhaltsstoffe. Bereits 7-9 g
täglich reduzieren das Schlaganfallrisiko. Dies erhält man, wenn
man ein bis zwei Stückchen Halbbitter- oder noch besser:
Bitterschokolade zu sich nimmt.
• fettarme Milchprodukte
• Nüsse
• Sesam
• Grüner Tee
• Mineralwasser mit mehr als 200 mg Kalzium/l und, sofern
erhältlich, reichlich Kieselsäure, dies soll sogar Alzheimer vorbeugen.
100 g verzehrbares
Lebensmittel
μg Vitamin D
100 g verzehrbares
Lebensmittel
μg Vitamin D
Lebertran
300
geräucherter Aal
90
geräucherte
Sprotte
32
Bückling
30
Hering
(Atlantik)
27
Aal
20
Lachs
16
Schwarzer Heilbutt
(Grönland)
15
Weißer
Heilbutt
5
Makrel
4
Durchschnittlicher Vitamin D-Gehalt einiger Vitamin D-reicher Lebensmittel
Wie Sie an der letzten Aufstellung erkennen, müssen Sie sich nicht
kasteien, wenn Sie älter werden nur intelligent ernähren.
Text: Dr. Andrea Flemmer
Mehr zu dem Thema „Gesunde Ernährung ab 40“ können Sie
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bericht
Die Suche
nach dem Frauenarzt
?
Eine fast aussichtslose Suche nach einem geeigneten niedergelassenen Gynäkologen, umständliches Procedere im Vorfeld der
Behandlung, fehlendes Einfühlungsvermögen, warten und abgewiesen werden: Das ist der Alltag für viele behinderte Frauen,
wenn sie an die medizinische Versorgung durch einen Frauenarzt denken. Es geht aber auch anders.
2008 haben die vereinten Nationen eine
Konvention verabschiedet, in der festgehalten
wurde, dass Menschen mit Behinderung den
gleichen Zugang zur medizinischen Versorgung haben wie Nicht-Behinderte. Doch es ist
bisher wenig geschehen, was vermutlich daran
liegt, dass sich nur schwer eine Lösung findet,
wie der Mehraufwand einer angemessenen
Versorgung von Menschen mit Behinderung
finanziert werden soll. In der Gynäkologie ist
die Situation besonders dramatisch. Es gibt in
Deutschland nur vier Anlaufstellen, die ambu-
42
PARAPLEGIKER 2/11
lant Sprechstunden anbieten: Berlin, Bremen,
Frankfurt und Dachau bei München.
Nach jahrelangen zähen Verhandlungen zwischen Kassen und der Regierung konnte im
November endlich die gynäkologische Ambulanz für Frauen mit Behinderung an der Dachauer Klinik eingeweiht und die Arbeit aufgenommen werden. „Ich war dort eine der ersten
Patientinnen und kann nur sagen, dass ich
mich noch bei keinem niedergelassenen Arzt
so aufgehoben fühlte wie in den Händen von
Frau Professor Gerlinde Debus“, sagt Irene S. Anders als
bei niedergelassenen Ärzten
und Ärztinnen kalkuliert das
Team der Frauenklinik eine
Untersuchungseinheit mit
einer Stunde, auch wenn
dies nicht adäquat vergütet
wird. Bei einem niedergelassenen Arzt beträgt die
Untersuchungseinheit pro
Person 7 Minuten. „Durch
den Hebelifter ist der Transfer auf den gynäkologischen
Stuhl kein Problem“, so Irene
S. „Mein Kinderwunsch wurde nicht abgetan mit den
Sätzen `Was wollen Sie denn
mit einem Kind?´, sondern
ich wurde mehrmals untersucht, ob eine Schwangerschaft auf Grund meiner
körperlichen Situation möglich ist.“
bericht
Innere und äußere Barrieren
überwinden
Gynäkologische Praxen für Behinderte? Fehlanzeige. „Körperbehinderte Menschen sind
deutlich schlechter versorgt als körpergesunde“, sagt Frau Professor Debus, Chefärztin
der Frauenklinik im Klinikum Dachau. Diese
Aussage gilt besonders für Frauen und Mädchen, die schwer körperbehindert sind und
im Rollstuhl sitzen. „Ich vergebe pro Woche
an vier Patientinnen Termine“, so Debus. Sie
arbeitet für das gleiche Honorar wie niedergelassene Gynäkologen und sieht es als ihr
persönliches soziales Engagement an, diesen Frauen zu helfen. „Ohne Unterstützung
meines Arbeitsgebers, dessen Einrichtung zu
den Amper Kliniken gehört, hätte ich dieses
Projekt nicht verwirklichen können, da die
Kassen den erhöhten Aufwand nicht übernehmen“, fügt die Chefärztin hinzu. Durch
Spendengelder konnten der bewegliche und
höhenverstellbare Untersuchungsstuhl und
ein Hebelift angeschafft werden.
Die Barrierefreiheit einer Behinderten-Ambulanz wird immer wieder eingefordert. Hier
geht es in erster Linie um äußere Barrieren
wie Stufen, schmale Türen, zu hohe und nicht
besteigbare gynäkologische Untersuchungsstühle usw.
Aber nicht nur äußere Barrieren sind zu überwinden, auch innere, psychologische. So
entspricht das Körperbild von behinderten
Menschen oft nicht dem, was uns in der Werbung als Muss in Form von Schlankheit, Muskelkraft, Sportlichkeit entgegen blickt. Der
eventuelle Verlust der Kontrollfunktion der
Ausscheidungsorgane bedeutet insbesondere für Frauenärzte/-ärztinnen eine zusätzliche
Erschwernis. „Auch die unvermeidliche Auseinandersetzung mit dem Thema Sexualität ist
schwierig zu führen, besteht doch die große
Gefahr, dass eigene Gefühle den Blick für die
Patientin verstellen“, so Debus. „Häufig bestehen seitens der behinderten Frauen Scham
und Hemmungen, bestimmte Themen anzusprechen.“
In ihrer wissenschaftlichen Begleitung soll die
Spezialambulanz die besonderen Bedürfnisse
schwer körperbehinderter Frauen und Mädchen erfassen und ggf. Konzepte für die zukünftige bessere gynäkologische Versorgung
erarbeiten.
Persönliches Engagement Bremer
Frauenärzte
Der Verdacht liegt nahe, dass sich nur mühsam eine Lösung findet, Geld für den Mehraufwand zur Versorgung der betroffenen
Gruppen zu bezahlen.
In Bremen ist ein Projekt im Aufbau, dem
bisher 15 von 100 Frauenärztinnen und Frauenärzte des Landes angehören. Unterstützt
wird diese Eigeninitiative vom frauenärztlichen Berufsverband, der Ärztekammer, dem
Senat und der kassenärztlichen Vereinigung.
„Der Anstoß zu diesem Engagement ging
von den Behindertenverbänden aus“, sagt
Anzeige
bericht
Dr. Andreas Umlandt, Landesvorsitzender der
Frauenärzte und –ärztinnen Bremen. „Wir verpflichten uns, in voll ausgestatteten Praxen
mobilitätseingeschränkte Frauen zu therapieren, zu beraten und zu betreuen.“ Spendengelder helfen das Projekt zu verwirklichen.
„Besonders
in großen
Städten sollte
es möglich
sein, eine ambulante Versorgung hinzubekommen.“
„Auch ganz gut ausgestattete normale Frauenarzt-Praxen können behinderte Frauen versorgen. Oft ist bei denen die Hemmschwelle
auch nicht so groß“, sagt Umlandt. Das hängt
ganz vom Schweregrad der Behinderung ab,
inwieweit das möglich ist. „Wir appellieren
immer wieder an das persönliche Engagement der Ärzte“, so der Facharzt. „Besonders
in großen Städten sollte es möglich sein, eine
ambulante Versorgung hinzubekommen.“
Wenn sich aber die finanzielle Situation für
die längere Behandlung nicht ändert, werden
sich kaum Praxen finden, die sich speziell mit
der Versorgung von Frauen mit Behinderung
beschäftigen.
Motivation für den Besuch einer
gynäkologischen Praxis
Wer zunächst eine Hemmschwelle überwinden muss, einen Frauenarzt oder eine Frauenärztin aufzusuchen, der ist in Frankfurt
am Main bei der pro familia-Beratungsstelle
44
PARAPLEGIKER 2/11
in den besten Händen. Hier bekommen die
Frauen alles, was sie für eine vertrauensvolle
Untersuchung brauchen: Eine Ärztin mit viel
Verständnis, Geduld und Zeit.
In den großen Praxisraum würden auch zwei
Untersuchungszimmer passen. Den Platz
braucht Hannelore Sonnleitner-Doll v. a. für
ihre Patientinnen mit den speziellen Ansprüchen. Sie nimmt sich viel Zeit für ihre Patientinnen und plant an zwei Sprechtagen in der
Woche circa eine Stunde für eine Frau mit Behinderung ein.
Behutsamkeit und Einfühlungsvermögen
erfordern Zeit für die Anamnese, das Ausziehen, die Gurte des elektrischen Hebelifts zu
befestigen und den „Transport“ mit Hilfe des
Lifters auf den gynäkologischen Stuhl. Bis
die Patientin richtig gelagert ist, kann leicht
eine halbe Stunde vergehen. Benötigt wird
hierzu auch die Unterstützung einer Pflegekraft oder Sprechstundenhilfe. Nach der
Untersuchung geht die Prozedur von vorne
los. Wer nicht auf den gynäkologischen Stuhl
gehoben werden kann, wird auf einer höhenverstellbaren Liege untersucht. „Nach einer
Untersuchung sieht es manchmal aus, als
hätte der Blitz eingeschlagen“, erzählt Frau
Sonnleitner-Doll.
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Hier in der pro familia-Beratungsstelle Frankfurt am Main in der Nähe des Palmengartens
können allerdings nur Vorsorgeuntersuchungen vorgenommen werden. Bei einem
pathologischen Befund werden die Frauen an
kooperierende Kliniken weiter verwiesen. Der
Club Behinderter und ihrer Freunde Frankfurt
(CebeeF) übernimmt den Transport dahin.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die
Anliegen der Frauen mit Behinderung, eine
gynäkologische Praxis aufzusuchen, sich nicht
im Wesentlichen von denen der Frauen ohne
eine Behinderung unterscheiden. Es geht
vor allem um Fragen der körperlichen Entwicklung, Gesundheit der Frauenorgane und
frauenspezifische Vorgänge im Körper, wie z.
B. das Zyklusgeschehen und die Menstruation, die Krebsfrüherkennung, Sexualität und
Partnerschaft, Beschwerden in den Wechseljahren, Verhütung, sexuell übertragbare und
andere gynäkologische Erkrankungen, Kinderwunsch, Schwangerschaft, Beschwerden
im Zusammenhang mit den Frauenorganen,
Inkontinenz sowie die Frauengesundheit insgesamt.
Mode,
die im
Sitzen
Insbesondere aus organisatorischen Gründen
müssen die Frauen häufig ihre Behinderungen
thematisieren. Es gibt Frauen mit Behinderungen, die im Auftrag einer Einrichtung,
eines Erziehungsberechtigten oder eines Vormunds zur gynäkologischen Untersuchung
geschickt werden. Besonders in diesen Fällen
bedarf es viel Einfühlungsvermögen der Ärztin / des Arztes, den Auftrag zu prüfen, um
z. B. sexuellen Missbrauch zu erkennen und
einem geäußerten Kinderwunsch neutral und
informativ zu begegnen.
sitzt.
Kostenlose Kataloge gleich anfordern.
Bei pro familia in Frankfurt am Main engagiert
man sich seit einiger Zeit für ein neues Projekt: Geburtsvorbereitungskurse für Frauen
mit Behinderung – wieder ein Bestreben mit
Vorbildcharakter, das 2010 mit drei Paaren
mit Behinderung erfolgreich gestartet ist.
Text: Heike Stüvel
Fotos: Jutta Güldenpfennig, pro familia
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Manfred Sauer GmbH
Geschäftsbereich Rolli-Moden
Neurott 20 • 74931 Lobbach
Tel: 06226 960 200
Fax: 06226 960 050
[email protected]
markt
HausRheinsberg feiert
10-jähriges Jubiläum
Ein herrliches preußisches Schloss, ein duftender Garten und ein glitzernder See:
Das gibt es im brandenburgischen Rheinsberg schon seit Jahrhunderten. Doch wo
früher in bester Seelage nur eine Wiese war, steht heute der deutsche Vorreiter im barrierefreien Tourismus. 2011 feiert das HausRheinsberg Hotel am See seinen zehnjährigen
Geburtstag. Und viel hat sich hier seitdem verändert. Neue barrierefreie Wege, Zugänge und Freizeitangebote kamen in Rheinsberg und im Ruppiner Land hinzu
und machen die Seenlandschaft auch für Rollstuhlfahrer attraktiv.
Für
Hoteldirektorin Corinna
Fritz war seit der
Eröffnung
im
Juni 2001 klar,
dass ein barrierefreies Hotel
dieser Größenordnung
nur
dann erfolgreich
sein
könne,
wenn es sich mit den Maßstäben eines VierSterne-Hotels messen lassen kann: „Es war
ein besonderes Projekt: Ein anspruchsvoller
Hotelneubau für Menschen mit Behinderung
verbunden mit einer eigenen Sammlung
zeitgenössischer Kunst – ein Hotel als Galerie. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: 35
000 Gäste waren bei uns zu Gast. Was uns besonders freut: Viele von ihnen halten uns die
Treue und kommen regelmäßig wieder.“
46
PARAPLEGIKER 2/11
Wichtig sei, dass ein Hotel von den Gästen
lernen will, so Corinna Fritz. Schon parallel zu
den Bauarbeiten konnten Probegäste einige
Testzimmer bewohnen und bewerten. Auch
die Gäste der vergangenen Jahre haben dazu
beigetragen, das Haus immer besser auf die
Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung
auszurichten. „Auf diesen Erfahrungsschatz
sind wir besonders stolz“, so Corinna Fritz. „Es
zeigt sich einfach in vielen Details: Unseren
Gästen stehen unterschiedlich ausgestattete
Zimmer zur Verfügung. Eine große Auswahl
an Hilfsmitteln halten wir auf Wunsch bereit.“ Zusätzlich verfügt das Hotel über barrierefreie Freizeitbereiche wie Schwimmbad,
Dampf- und Trockensauna oder Fitnessraum,
die zu Beginn des Jubiläumsjahres umgebaut
und aufgefrischt wurden.
Im Jubiläumsjahr plant das HausRheinsberg Hotel am See zwischen dem 18.06. und
16.07.2011 vier Jubiläumswochen für seine
Besucher mit speziellen Veranstaltungen und
Kultur-Events. Am 02.07.2011 findet ein Jubiläumssommerfest mit Musik, exzellenten
Speisen und vielen Extras statt. Auch im August und in den Folgemonaten warten besondere Angebote und Aktionen auf die Gäste.
Und natürlich, wie seit Jahrhunderten, locken
ein herrliches Schloss und der glitzernde See
direkt vor dem Balkon.
Ausführliche Infos zu den Jubiläumswochen
unter 03 39 31 / 3 44-0 und
www.hausrheinsberg.de
markt
„Linksfüßerin“ fährt Auto ohne ihre Arme:
Soweit die Füße tragen und weit
darüber hinaus
Frank Sodermanns begrüßt
eine junge Frau, eine erfahrene
Autofahrerin, in seinen neuen
Räumen des frisch entstandenen
„ größten Kompetenzzentrums
in NRW für bewegungseingeschränkte Menschen“. Iris Landen
erfüllt durch ihre schiere Lebensfreude und Kraft den Raum. Sie
fährt seit ca. 18 Jahren selbst
Auto. Soweit nichts Besonderes.
D
och Iris Landen kam ohne Arme und
Hände auf die Welt. Autofahren ohne Arme
und Hände? Für sie völlig normal und Alltag.
„Schließlich schreibe ich auch mit meinen
Füßen. Also warum soll ich nicht auch da-
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Das qualifizierte Behandlungszentrum für Querschnittgelähmte in Mitteldeutschland zur:
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umfassenden Akutbehandlung bei Verletzungen und Erkrankungen des Rückenmarks
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Behandlung aller lähmungsbedingten Komplikationen
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Rückenmarkverletzte
Mo - Di: 9:00 bis 14:30 Uhr
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Kontaktaufnahme
Telefon: (0345) 132 - 63 11
Fax:
(0345) 132 - 61 13
E-Mail: [email protected]
www.bergmannstrost.com
markt
mit fahren können?“ Ganz
selbstverständlich steuert
sie den im Autohaus ihrer
Eltern gekauften Opel Insignia mit den Füßen. Ihr Opel
wurde beim Umrüstspezialisten PARAVAN auf der
Schwäbischen Alb modifiziert. Gelenkt wird der Opel
dabei mit dem linken Fuß,
welcher blitzschnell in einen
auf dem Lenkpedal montierten Halbschuh
schlüpft. Das Lenkpedal wurde von PARAVAN im Fußraum links neben dem Bremspedal eingebaut. Durch einfaches Drehen des
Fußes nach links oder rechts wird der innovative Wagen gesteuert.
Beschleunigt und verzögert wird der Opel
(Automatikschaltung) herkömmlich mit dem
rechten Fuß. Alle neun Sekundärfunktionen
wie z.B. Blinker, Hupe, Licht und Scheibenwischer werden über einen so genannten
Bleeper gesteuert. Eine Art Quizshow-Buzzer,
der über eine bestimmte Tonfolge die durch
Drücken ein- oder ausgeschaltete Funktion
signalisiert.
Das Lenkpedal, ein Prototyp, ist wie das ganze Fahrzeug, perfekt auf die Bedürfnisse von
Iris Landen angepasst. Die Lenklösung wurde durch das Space Drive® System der Firma
Paravan ermöglicht. Das mehrfach prämierte
Drive-by-wire System bietet die gleiche Sicherheit wie sie in einem Verkehrsflugzeug
gefordert wird und ermöglicht der Fahrerin
ein sicheres und bequemes Lenken.
„Für mich war der Wechsel von meinem bisherigen mechanischen System auf das elektronisch-digitale Lenksystem Space Drive®
eine evolutionäre Weiterentwicklung.“ Innerhalb kürzester Zeit waren sie und ihr optimal
angepasster Opel Insignia ein eingespieltes
Team. Apropos Team, mit Frank Sodermanns
hat Frau Landen einen geschulten Mobilitätsprofi für die Space Drive Technologie direkt
vor Ort an ihrer Seite. Das Autohaus Sodermanns hat in der Vergangenheit bereits einer
Vielzahl ähnlich gelagerter Kunden mit seinen beeindruckenden Kfz-Umrüstungen ein
großes Stück Freiheit ermöglicht: Nämlich –
die der eigenen Mobilität.
Infos: www.handicapfahrzeuge.eu
iChair – Neue Elektro-Linie
von MEYRA-ORTOPEDIA
Drei Modelle – eine
Antwort auf unterschiedlichste Anforderungen im Elektrosegment. Die neuen iChair
MC-Modelle von Meyra-Ortopedia schaffen durch zahlreiche
Verstellmöglichkeiten
die Voraussetzung für
einen optimalen Wiedereinsatz.
48
PARAPLEGIKER 2/11
Mit einer Sitzbreite von 38 bis 65 cm, einer Sitztiefe von 40 bis 56 cm und den entsprechenden
Sitzsystemen für jede Abmessung ermöglichen
alle drei Elektro-Rollstühle eine bestmögliche
Anpassung für Nutzer unterschiedlicher körperlicher Beschaffenheit. Entspannte Positionierung
und Benutzerkomfort für das Langzeitsitzen sind
durch ein breites Spektrum an elektrischen Verstellmöglichkeiten gewährleistet.
MC1 – der kompakte und intelligente Einstieg
mit einer Gesamtbreite von 59 cm ermöglicht
eine problemlose Bewältigung von Innenräumen. Der MC2 bietet zudem ein Standardnutzergewicht von 160 kg und ist optional als 10 km/hVariante erhältlich.
markt
komfort garantiert. Der Sitzhub von 30 cm unterstützt die Selbstständigkeit im Alltag und die
soziale Integration des Benutzers.
Der MC3 erweist sich als komfortabler Wegbereiter für lange Strecken – vor allem durch seine
serienmäßige Allradfederung und die standardmäßig große Bereifung ist ein optimaler Fahr-
Für alle drei Modelle sind die Steuerungen
VR2 und R-Net erhältlich, die unübertroffene
Leistungsfähigkeit und Vielseitigkeit durch erprobte Technik bieten. Effektiv auch für Service
und Wartung durch die übersichtliche Bauweise,
die Kompatibilität von Bauteilen und den Einsatz
zuverlässiger, langlebiger Komponenten.
Infos: www.meyra.de
Optimales Duo – Selbstkatheterismus und Kondomurinale
Das selbstständige Katheterisieren der Harnblase, im Fachjargon als
intermittierender Selbstkatheterismus bezeichnet, erleichtert das Leben
Betroffener erheblich: Ein großes Maß an Eigenständigkeit und Mobilität
kehrt zurück, wenn man gelernt hat, unabhängig von pflegerischer Hilfe
die Blase zu entleeren. Ist die Blasenentleerungsstörung mit einem unkontrollierbaren Harnträufeln verbunden, können beim Mann Kondomurinale für zusätzliche Sicherheit sorgen.
„Neurogene Blase“ – hinter diesem Begriff
verbergen sich je nach Höhe des Querschnitts
und der betroffenen Nervenregionen sehr unterschiedliche Auswirkungen. Entscheidend
sind jeweils der Muskeltonus des Detrusors
und des Schließmuskels, also die Spannungs-
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zustände der Muskeln, die für das Wasserlassen beziehungsweise das Halten des Harns in
der Blase zuständig sind. Häufig ist der Tonus
des Schließmuskels erhöht und kann nicht
willkürlich gesteuert werden, sodass die Blase
nicht entleert werden kann. Der Betroffene ist
markt
dann zwar kontinent, aber auf den Intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK)
angewiesen.
Das regelmäßige Katheterisieren
als Ersatz für das normale Wasserlassen kann der Patient nach
Einweisung selbstständig durchführen. Bei größtmöglicher Eigenständigkeit wird so vermieden,
dass es zu einem Rückstau von
Harn in die Nieren oder einer Schädigung der Blasenwand kommt,
weil das Organ ständig überdehnt
wird. Voraussetzung sind etwas
Sachkenntnis und penible Hygiene,
um das Risiko von Harnwegsinfekten
gering zu halten. So beginnt jedes
Katheterisieren mit einer gründlichen
Reinigung des Intimbereichs und der
Hände. Jeder Kontakt des Katheters
mit der Anal- und Genitalregion muss
sorgfältig vermieden werden, deshalb
sind eine gründliche Vorbereitung und eine
ruhige Atmosphäre so wichtig. Moderne
Katheter wie der Simplycath von UROMED
bieten aufgrund ihrer Vorlaufspitze und abgerundeter Katheteraugen maximale Sicherheit und eine sehr gute Handhabung.
In manchen Fällen jedoch ist der ISK nicht allein ausreichend, um die Blasenproblematik
bei neurogenen Störungen unter Kontrolle
zu halten: Ist der Schließmuskel nicht intakt
oder der Tonus der Blasenmuskulatur dauerhaft zu gering, kommt es auch bei einer
regelmäßig entleerten Blase zu unwillkürlichem, nicht steuerbarem Urinverlust. Bei
gleichzeitig niedrigem Blasentonus oder anderen Defekten des Blasenmuskels verbleibt
Restharn in der Blase, das heißt der Urin
tröpfelt kontinuierlich, die Blase entleert sich
aber nie vollständig. Der Leidensdruck für
die Betroffenen ist groß – nicht nur wegen
der Inkontinenz, sondern auch wegen eines
deutlich erhöhten Risikos für Harnwegsinfektionen. Denn wenn die Durchspülung der
Blase beeinträchtigt ist, können sich Krankheitskeime leichter an der Blaseninnenwand
festsetzen und dort Entzündungsreaktionen
hervorrufen. Auch die Bildung von Harnsteinen wird begünstigt.
50
PARAPLEGIKER 2/11
Für die Verringerung dieser Gefahren, für
mehr Sicherheit im Alltag und zumindest den
teilweisen Verzicht auf oft als unangenehm
erlebte aufsaugende Inkontinenzmaterialien
besteht für Männer die Möglichkeit, Kondomurinale anzuwenden, die den Harnverlust sicher und diskret auffangen. Zusätzlich
sollte bei diagnostiziertem Restharn die vollständige Blasenentleerung mittels ISK herbeigeführt werden, um die Keimbelastung
zu reduzieren. Wird das Katheterisieren mit
dem Wechsel des Kondomurinals verbunden,
verleiht das Kondomurinal den ganzen Tag
Sicherheit. Oft bewirkt das Katheterisieren sogar verlängerte Kontinenzzeiten, weil die Blase bis zum bisherigen Niveau des Restharns
erst einmal wieder speichern kann. Die Verwendung eines Kondomurinals ist problemlos auch dann möglich, wenn es um die Förderung der Wiederherstellung von Kontinenz
geht. Ein entsprechendes Training wird nicht
beeinträchtigt.
Einen optimalen Tragekomfort bieten Kondomurinale nur dann, wenn sie individuell
in der richtigen Größe angepasst werden.
Einfach und sicher in der Anwendung sind
selbstklebende Kondomurinale, die mit unterschiedlich langen Klebeflächen erhältlich
sind. UROMED hat diese Hilfsmittel aus hochwertigem Silikon im Sortiment, um die Gefahr
allergischer Reaktionen zu minimieren. Dem
speziellen Bedarf angepasste Beutelsysteme
ermöglichen eine diskrete Aufnahme des
Harns.
Weitere Informationen zum Intermittierenden
Selbstkatheterismus und den Kondomurinalen
auch unter www.uromed.de
die fotoseite
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deshalb respektiert
„Wenn Du meinen Parkplatz
nimmst, nimm auch meine
Behinderung.“
PARAPLEGIKER 2/11
51
kurzgeschichte
Was neulich nachts geschah:
Dumme Nuss
Spätabends im Bett, wenn ich mir meine Flanellbettwäsche weit über beide Ohren gezogen und das kleine rote Nachttischlämpchen ausgeschaltet habe, lasse
ich gerne die Gedanken schweifen, bis mich der Schlaf übermannt. Im diffusen
Schwebezustand zwischen Halbschlaf und den letzten Augenblicken bewussten
Wachseins, wenn bereits die ersten Traumgesichter sporadisch erscheinen, mich
eingebildete Geräusche, Tierstimmen oder aus dem Zusammenhang gerissene
Teile der herannahenden Traumwelten hochschrecken lassen, denke ich mir gerne
Geschichten aus. Dann stelle ich mir gerne die Frage: „Was wäre, wenn...?“
Eine kleine getigerte Katze tapste durch
mein Blickfeld. Beiläufig fuhr sie mit ihrem
Köpfchen zu mir herum, fauchte mir als brüllender Löwe ihren heißen Brodem ins Gesicht
und trabte eiligen Schrittes, halb Mensch,
halb Wolf davon. In der Ferne explodierte ein
Haus. Mit einer grellen Fontäne blauer Funken und blendender Blitze trennte es sich von
seiner inneren Ordnung und
schleuderte seine steinernen Eingeweide in die einsetzende Dämmerung
des frühen Morgens.
Der intensive
Duft von
Jasmin zog an meiner Nase vorüber und fraß
sich wie beißender Qualm in meine Schleimhäute...
Durch die Wasseroberfläche betrachtete ich
filigrane, weiße Federwolken, die wie überdimensionale Daunen am blauen Himmel
schwebten. Drei Meter glasklaren Wassers
über mir. Kristallenes, kaltes Nass füllte meine
52
PARAPLEGIKER 2/11
Lungen und ich Idiot hatte nichts Besseres im
Sinn, als vorbeiziehenden Wolken hinterher zu
glotzen! Ein Geier mit langem, roten, pockennarbigen Hals schoss im Sturzflug auf mich
hernieder und landete als weißer Schwan mit
einem anmutigen Knoten in seinem orangenen Schnabel auf dem Wasser, hoch über
mir. Wellen verwehrten mir kurzzeitig den
Blick auf meine geliebten Wolken, bevor der
Schwan sich mit einem kräftigen Flügelschlag
wieder in die Lüfte erhob und als kleine Fee
zu mir herabrief, ich hätte jetzt einen Wunsch
frei. Die Fee verwandelte sich in eine Libelle.
Die Sonne warf schillernde Muster auf ihre
hektisch schlagenden, schlanken Flügel, während ihr regenbogenfarbener Körper in den
warmen Sommertag davon schoss…
Ich griff neben mir in die saftig-grüne Wiese,
brach einen langen, vertrockneten Grashalm
ab und begann, darauf herum
zu kauen. Ich verschränkte
die Hände hinter meinem
Kopf. Zufrieden blinzelnd
sah ich in den makellos blauen Himmel und ließ mir die
heiße Sonne auf mein gestreiftes T-Shirt brennen. Ja,
was würdest du tun,
wenn du wirklich einen
Wunsch frei hättest? fragte
ich mich,
kurzgeschichte
eines der letzten Bilder meines Dämmerzustandes aufgreifend. Was
würdest du dir wünschen?
Ein schnelles Auto? Ein
großes Haus? Oder
einfach viel Geld…
Mit dröhnenden Triebwerken heulte ein Militär-Jet über das Firmament. Im Fluge verwandelte er sich in einen Haufen Kot. Platschend
schlugen diese Exkremente in eine Felsformation hinter mir, in welcher ich noch vor wenigen Augenblicken das Antlitz eines hohen Politikers zu erkennen geglaubt hatte. Ich wischte
mir mit der Hand einige feuchte Spritzer aus
dem Gesicht und beobachtete versonnen, wie
der Pilot, dessen Fallschirm sich einfach nicht
öffnen wollte, nicht unweit in einem Geröllfeld zerschellte. Nein, mein lieber Freund, du
denkst schon wieder zu materialistisch, zu wenig ideell. Sollte ich mir nicht besser Gesundheit in alle Ewigkeit wünschen? Ein ewiges
Leben
gar? Unsterblichkeit?
Oder als Kontrastprogramm hierzu, lieber einen schnellen, schmerzlosen Tod, ohne Leid und Siechtum…
Satan ist ein Schnuckelchen
„Du hast einen Wunsch frei!“ surrte die zurückgekehrte Libelle, die mich mit dem
Gesicht eines jungen Mädchens, umrahmt
von blondem, lockigem Haar musterte. „Na
komm‘ schon, Schnuckelchen, wünsch‘ Dir
was!“ flötete das Zwitterwesen. Laut gackernd lachte sie hämisch
auf, bevor sie sich erneut
abwandte und von dannen
schwirrte. Sollte ich mir ei-
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kurzgeschichte
nen sicheren Job wünschen? Einen guten,
verlässlichen Freund? Eine Nutte, die ganz
und gar, Tag und Nacht und nur für mich allein da ist? fragte ich den Abgrund unter mir,
bevor ich sprang – und als schwarze Krähe
aus dem hohen Wipfel der Eiche durch die
frische Frühjahrsluft abwärts glitt.
„Wünsch‘ Dir doch, Herrscher der Welt zu
sein“, unkte Satan zu mir herauf. „Beherrsche die Welt! Versklave die Menschheit! Vernichte Deine Feinde!
Feiere mit Deinen Freunden endlose Orgien, bis zum
jüngsten Tage! Schaffe Dir hier und jetzt Dein
Paradies, das Dir kein Gott im Jenseits jemals
gewähren wird.“ – „Keine schlechte Idee“,
meinte ich krächzend. Unbeholfen landete
ich in der vom Morgentau feuchten Wiese.
Ich pickte nach einem Wurm und ward wieder Mensch.
Was will ich mit Geld? Was will ich mit Gesundheit? Glück ist doch das höchste Gut!
Hand auf‘s Herz - ich griff mir mit der Hand
durch die Rippen in den Brustkorb und riss
mir mein Herz heraus. Interessiert sah ich zu,
wie es in meiner Hand pulsierte. Hand auf‘s
Herz: Ist es nicht viel wichtiger, glücklich zu
sein? Wichtiger als alle Reichtümer dieser
Welt? Oder – Nein! Glück kann Stress bedeuten, dich auszehren. Dir keine Ruhe lassen
im Streben nach immer neuem Glück, nach
immer mehr Glück. Ich setzte mir mein Herz
wieder in den Brustkasten und wischte mir
die blutigen Hände an meiner Jeans ab.
Zufrieden mit allem
„Dann hänge Dich doch auf, Du Arsch!“
brüllte mich der Regenwurm an. Er riss
sein scheunentorgroßes, mit zahlreichen
scharfen, dolchartigen Zähnen besetztes
Maul klaffend auf. Aus der feuchten Erde heraus schoss er auf mich zu und verschlang
mich. Riss sein Maul immer weiter auf. Umfasste die Berge, den Himmel, den ganzen
Planeten. Verschluckte die Welt. Also kein
Glück, überlegte ich, tief in Gedanken versunken, unbeeindruckt vom eben veranstalteten Weltuntergang. In absoluter Schwärze
trieb ich durch die Magensäure des Wurmes,
54
PARAPLEGIKER 2/11
ohne dass dies meine Ausgeglichenheit, meine beinahe apathische Ruhe beeinträchtigt
hätte.
Genau! Zufriedenheit. Das ist es! Kein stressiges Glück. Kein langes, kein langweiliges
Leben in Gesundheit oder Reichtum, keine
perversen Eskapaden, sondern schlichtweg
Zufriedenheit. Von allen Äußerlichkeiten
gänzlich unabhängige Ausgeglichenheit.
Wertneutral. Mitmenschen schonend. Umweltfreundlich. Zufrieden mit allem, was dir
widerfährt. Zufrieden mit allen Zuständen,
mit allen Umständen, die dein Leben diktieren. Was kann es schöneres geben, als diesen
perfekt-stupiden Zustand innerer Ruhe? Ist
nicht die passive Geisteshaltung schlichter
Zufriedenheit weitaus erstrebenswerter
als aufreibendes, aktives Glücklichsein? Zu
meinen Füßen verspeiste eine Hosenträgerschnalle ein weißes Mäuschen. Kommt da aller
materieller
Wohlstand dieser
Welt heran? An eine Zufriedenheit, die sich weder von Gesundheit, noch von körperlichem Siechtum,
weder von Wohlstand, noch von Armut beeinträchtigen lässt? Bingo! Das wünschte ich
mir, wenn ich einen Wunsch frei hätte!
Eine Lawine aus Walnüssen rollte über mich
hinweg. Schlug gegen meine Schläfen, trommelte an meine Stirn. „Was soll der Mist!?“
rief ich empört aus und kämpfte mich mit
rudernden Armbewegungen frei. Die Farben der Welt verblassten zusehends, die
Konturen wurden verwaschener. Keine Geschichten mehr heute! Ich war einfach zu
müde. Stumpfsinnig blickte ich auf das wogende Meer aus Nüssen um mich herum. Ein
Sumpf, in welchem ich bis zum Bauchnabel
feststeckte. Ich gähnte ausgiebig, ob dieser
bedrohlichen Lage.
Jaja. Wenn ich einen Wunsch frei hätte,
wünschte ich, ich wäre eine Walnuss. Schmar-
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ren, was sag‘ ich denn, was red‘ ich denn, was
denk‘ ich denn? – wünschte ich mir einfach
eine Walnuss. „Ist das Dein letztes Wort?“ erkundigte sich eine der Nüsse neben mir. Sie
fixierte mich herausfordernd mit ihrem kleinen, zerknitterten Kobold-Gesicht. „Mein
letztes Wort“, gähnte ich das Ding unhöflich
an. „Und jetzt ist Gute-Nacht-Marie!“
Als ich am darauf folgenden Morgen erwachte, kullerte eine Walnuss von meinem
Kopfkissen. Sie purzelte über die Matratze
und fiel mit einem lauten Klacken auf die
Holzdielen vor meinem Bett. „Ich könnte mich
doch in den Arsch beißen!“ rief ich in den anbrechenden Tag…
Text & Zeichnungen:
Alexander Epp
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Beim Training auf einer Wiese bei Kleinseelheim im Raum Marburg.
Man nutzt die Kraft des Windes und setzt diese durch einen Kite – das ist ein lenkbarer Drachen – in Geschwindigkeit um. Dabei sitzt man in einem Buggy, das ist ein dreirädriges Gefährt. Die Kites haben eine Größe von 1,5 bis zu 14
Quadratmetern. Der sportliche Kiter braucht etwa sieben
Kites, die je nach Windstärke, der Bodenbeschaffenheit und
der beabsichtigten Geschwindigkeit eingesetzt werden.
Schwacher Wind wird trotz großer Kites als langweilig gesehen, Windstärke acht als positive Herausforderung.
Der Buggy hat – je nach Typ – ein Gewicht von etwa 10 bis
zu 60 kg. Die Unterschiede ergeben sich durch den beabsichtigten Einsatz: Sollen eher „Tricks“ mit engen Kurven,
schnellen Wendemanövern und hohen Sprüngen gefahren
werden oder will man eine hohe Geschwindigkeit erreichen.
Der Kiter ist durch ein Gurtsystem – „Trapez“ genannt – fest
mit seinem Kite verbunden. Durch einen „Panikauslöser“
kann man die Verbindung aber blitzschnell ausklinken, was
beispielsweise durch eine unvorhergesehene StarkwindBöe oder andere nicht vorhersehbare Probleme oder auch
Hindernisse lebensnotwendig sein kann.
Auf hartem Sand kann man auf einer geraden Strecke einen
Durchschnitt von etwa 80 km/h schaffen, der Weltrekord –
gefahren vom Niederländer Arjen van der Tol auf dem ausgetrockneten Lake Ivanpah-Salzsee in den USA am 31. März
dieses Jahres – liegt bei sensationellen 133 km/h.
56
PARAPLEGIKER 2/11
Der längste europäische Strand befindet sich bei Calais in
Frankreich, er misst etwa 20 km. Der Strand in Sankt Peter
Ording an der Nordseeküste in Schleswig-Holstein ist etwa
3 km lang. Den weltweit längsten kitebaren Strand hat mit
sage und schreibe etwa 130 Kilometer Neuseeland, alle Kiter
träumen davon, dort mal aktiv zu sein. Rennen werden auf
einem Dreieckskurs nach vorgegebener Zeit gefahren. Sieger ist derjenige, der in beispielsweise 20 Minuten die längste Distanz gefahren hat.
Mit Oliver Draht, Jens Breuer
und Matthias Günther (von links).
Der Kiter lenkt sein Gerät normalerweise mit den Füßen. Ein
Hersteller bietet aber auch Buggys an, die mit den Armen
gelenkt werden können und deshalb rollitauglich sind. Die
Internet-Adresse steht am Ende dieses Berichtes. Anfänger
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können einen gebrauchten Buggy mit der Grundausrüstung von zwei Kites schon
für etwa 600 € bekommen.
Vor neun Jahren – also im Jahr 2002, damals 27 Jahre alt – hatte Patrik einen Motorradunfall und ist seitdem inkomplett querschnittgelähmt im Rollstuhl aktiv.
Seine Beine kann er etwas bewegen und ist deshalb in der Lage, sein Sportgerät
mit den Füßen zu steuern. Patrik lebt in fester Partnerschaft mit Doreen Matern
und hat zwei Kinder: „Die sind mein Ein und Alles, die halten mich megafit.“ Der
gebürtige Sachse hat vor seinem Unfall im Betrieb seines Vaters in Dresden Installateur gelernt, jetzt hat er keine regelmäßige Berufstätigkeit. Seit Juli dieses Jahres
fährt Patrik Rennen, das erste in Sankt Peter Ording. „Es ist ein Megakick, wenn
35 Fahrer gleichzeitig um den Dreieckskurs wirbeln, das sieht auch für Zuschauer
wirklich genial aus.“ Und die sind bei Rennen immer reichlich vertreten.
Um schnell und gut fahren zu können, fährt Patrik gerne nach Dänemark auf die
Inseln Römö oder Fanö. Dort ist der Sand so hart, dass man mit den dünnen Rollstuhlrädern nicht einsinkt. Man darf sogar mit dem Auto auf den Strand. Aber
auch Sankt Peter Ording ist ein gutes Ziel zum Buggyfahren. Im nächsten Jahr wird
dort – wie alle zwei Jahre – als herausragendes Ereignis ein 24-Stunden-Rennen
durchgeführt. Am Start werden 35 Mannschaften mit je drei Fahrern sein. Sieger
wird das Team, das in den 24 Stunden die meisten Kilometer schafft. Im Jahr 2008
waren das beachtliche 1025. Patrik wird mit zwei seiner Freunde dabei sein.
Natürlich ist das Kiten an Meeresstränden zwar besonders reizvoll, durch Fahrtkosten und Übernachtungen aber auch teuer, zudem braucht man die nötige Zeit.
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Deshalb ist Patrik mit anderen Kitern auch gerne auf den heimischen Wiesen unterwegs. „Ich finde es immer wieder faszinierend, die Kraft des Windes zu spüren
und die Freiheit an den Stränden zu geniesen. Dazu kommt natürlich noch der
Kick der Geschwindigkeit.“ So Patrik, der auch andere Rollis für seinen Sport begeistern möchte und gerne weitere Auskünfte gibt. Einfach mailen:
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Text & Fotos:
Hermann Sonderhüsken
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Copyright© 2010, Küschall AG, Schweiz – Alle Rechte vorbehalten.
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Roll
Die gesamte Streckenlänge beträgt 461,9 km
und verläuft meist flach.
Nur zu Anfang, kurz
nach Bayreuth, sind ein
paar Höhenmeter zu
überwinden. Die Steigungen sind aber sehr
moderat. Die Wegbeschaffenheit ist meist
sehr gut. Man bewegt
sich hauptsächlich auf
asphaltierten Radwegen
oder kleineren Landsträßchen. Gelegentlich
müssen auch ein paar
Kilometerchen auf verdichtetem Schotter bewältigt werden. Richtig
holperig wird’s aber nie.
Einkehrmöglichkeiten:
Gibt‘s massenhaft entlang der Strecke. Viele
Biergärten sind aber
montags geschlossen.
58
PARAPLEGIKER 2/11
Start: Bayreuth, Hotel Ramada
Ziel: Aschaffenburg Hauptbahnhof
Die Beschilderung des Radwegs ist anfangs
ziemlich lausig. Hat man Bayreuth hinter sich
gelassen, wird‘s etwas besser, aber wirklich einheitlich wie beispielsweise an Donau oder Weser ist es eigentlich nie.
Equipment/Anreise:
Mit dem Auto bis Aschaffenburg und dann per
Bahn nach Bayreuth mit Umsteigen in Würzburg
Handbike: Stricker Smartdrive mit Akkuunterstützung
Rollstuhl: Küschall Champion
MTB mit Bob-Yak-Anhänger für die Begleitperson
1.Tag: Bayreuth – Lichtenfels
82,8 km, 499 hm (hm=Höhenmeter, einschließlich Ausflug nach Vierzehnheiligen)
Nach dem Aufstehen der erste Blick aus dem
Fenster: Sonne, die Wetterfrösche behielten
recht. Rasch hatten wir unsere Sachen gepackt,
ausgecheckt und standen startklar zur Abfahrt
bereit. Der Radweg war dank GPS trotz der
lausigen Beschilderung recht fix gefunden. Zunächst sieht man den Main nur gelegentlich.
Nach einiger Zeit verläuft der Radweg dann,
mittlerweile beschildert, idyllisch auf einer alten, stillgelegten und zum Radweg umfunktionierten Bahntrasse.
Wir trafen auf den Zusammenfluss von rotem
und weißem Main. Weiter ging‘s vorbei an
Obstwiesen mit voll hängenden Zwetschgenund Mirabellenbäumen nach Lichtenfels. Dort
kamen wir recht früh an, so früh, dass unser
Hotel noch geschlossen war. Wir wollten heute
noch losziehen, um die Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen zu besuchen. Diese liegt ein paar
Kilometer außerhalb und vor allem ein paar
Höhenmeter oberhalb von Lichtenfels. Rechts
des Mains kann man schon von weitem Kloster
Banz sehen, am Horizont ist der Staffelstein zu
sehen und links erhebt sich Vierzehnheiligen.
Zusammen werden diese drei das Fränkische
Dreigestirn genannt.
unterwegs
Auf den Klosterberg geht es mächtig steil bergan. Dank Akku-Unterstützung war das aber für
Britta kein Problem, obwohl die Traktionsgrenze
am Vorderrad gegen Ende nahezu erreicht war.
Oben angekommen haben wir die Räder abgestellt und uns die eindrucksvolle Barock-Kirche
angesehen. Auch die Aussicht über das Maintal
ist sehenswert. Außerdem gibt es auf dem Klosterberg eine recht brauchbare Rolli-Toilette,
die mit dem Euro-Schlüssel zu öffnen ist. Kein
bayrisches Kloster ohne Brauerei und vor allem
dem zugehörigen Biergarten. Natürlich mussten
wir dort noch einkehren.
deshalb die Küche nicht nur kalt, sondern auch
geschlossen bleibt. Im Landgasthof Schramm
hat uns die Oma des Hauses in Empfang genommen und uns den Schlüssel zu unserem Domizil
gegeben. Unser Zimmer war, wie versprochen,
voll rollitauglich. Nach dem Duschen gönnten
wir uns noch ein Getränk vor dem Haus, das wir
der Hotel-Oma abschwatzten.
2. Tag: Lichtenfels – Roßstadt
60,8 km, 155 hm
Kurz nach der Abfahrt des ICEs 155 nach Würzburg, planmäßige Abfahrt 8:25 sind wir aufgestanden und zum Frühstück getrottet. Selbiges
war völlig in Ordnung, zudem schien die Sonne
und so freuten wir uns auf die nächste Etappe.
Über Kilometer sieht man das beeindruckende
fränkische Dreigestirn. Über meist asphaltierte
Radwege und kleinere, nahezu unbefahrene
Landsträßchen ging‘s weiter nach Ebing.
Weiter führte uns der Main-Radweg nach Bamberg. Bamberg ist eine tolle alte Stadt. Es ging
auf den Domberg. Ziemlich steil und außerdem
Kopfsteinpflaster, aber trotzdem einen Ausflug
wert.
Unser Quartier für die Nacht war der Landgasthof
Schramm in Roßstadt. Beim Buchen teilte man
Britta schon mit, dass montags Ruhetag ist und
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3. Tag: Roßstadt – Volkach
75,7 km, 168 hm
Gut ausgeschlafen machten wir uns relativ früh
auf zum Frühstück. Unser Tagesziel war Volkach.
Der Main war mittlerweile zu einem schiffbaren
Fluss angewachsen, und so haben wir entlang
des Radwegs die eine oder andere Schleuse
unterwegs
4. Tag: Volkach – Würzburg
60,3 km, 116 hm
Der nächtliche Regen hatte sich wieder verzogen und die Sonne schien wieder wie gewohnt.
Das Frühstück war sehr gut und reichhaltig. Nach
dem Auschecken zogen wir los. Heute war eine
eher kurze Etappe vorgesehen. Weiter ging‘s
über Mainsondheim und Mainstockheim nach
Kitzingen. Dort gönnten wir uns ein Päuschen.
Und weiter auf schönen Radwegen, meist direkt
am Main und entlang der Bahnstrecke Richtung
Würzburg. Schon von weitem ist die Festung
Marienberg zu sehen. Das Hotel Ibis liegt etwas
außerhalb vom Zentrum, direkt am Main. Wir
steigen recht gerne im Ibis ab, weil alle Hotels
ähnlich ausgestattet sind und man recht genau
weiß, was einen erwartet, wenn man ein barrierefreies Zimmer bucht. Die Räder mussten heute
im Foyer des Hotels parken, weil es keine Tiefgarage gab. Gegenüber vom Hotel gab es einen
verwunschenen Biergarten, wo wir uns mit fränkischer Kost stärkten.
5. Tag: Würzburg – Marktheidenfeld
gesehen. Durch lauschige Städtchen wie Sand,
Zeil am Main und Haßfurt fuhren wir auf meist
gut ausgebauten Radwegen, teilweise aber auch
auf Landstraßen weiter Richtung Schweinfurt.
Die Sonne brannte immer stärker, und so waren wir, als wir in Schweinfurt ankamen, schon
wieder dem Verdursten nahe. In Obereisenheim
mussten wir noch mal den Main überqueren.
Ohne Wartezeit konnten wir gleich auf die kleine Mainfähre fahren, um auf die linke Mainseite
zu gelangen. Volkach ist ein nettes kleines mittelalterliches Städtchen, geprägt vom Weinbau.
Wir waren nämlich mittlerweile in Weinfranken
angekommen. Dementsprechend gab‘s in der
Kneipe unserer Wahl dann auch nichts außer
Wein bzw. Weinschorle.
Unser Zimmer im Weingasthof Rose kann man
als barrierefrei bezeichnen, das Bad war zwar
nicht rollstuhlgerecht, bot aber genug Bewegungsfreiheit. Nachdem die Räder verstaut und
wir geduscht waren, machten wir uns auf, das
Städtchen zu besichtigen. Im überdachten Innenhof eines alten Weinbauernhofs befand sich
mitten im Zentrum ein gemütliches Restaurant.
60
PARAPLEGIKER 2/11
78,7 km, 112 hm
Der erste Blick aus dem Fenster bestätigte, dass
die Wettervorhersage vom Vorabend zutreffend
war. Dicke Wolken hingen über der Stadt. Noch
war es trocken. Andererseits blickten wir besorgt
zum Himmel. Wir wollten vor dem Regen noch
so weit wie möglich kommen. Wir gaben Vollgas. Der Radweg führte teilweise entlang dem
Main, teilweise entlang einer Bundesstraße.
Nach ca. einer Stunde Fahrt war es dann soweit.
Es regnete, und zwar heftig. Britta hatte wieder
ihr Ganzkörper-Kondom angelegt und blieb
deshalb weitgehend trocken. Ich hatte aber keine Regenhose an Bord und die Regenjacke war
auch schon etwas in die Jahre gekommen und
dementsprechend undicht. Bis Karlstadt mussten wir aber noch durchhalten. Dort suchten
wir ein Cafe, wo wir überdacht draußen sitzen
konnten. Bei leichtem Nieselregen fuhren wir
weiter entlang des Mains auf gut ausgebauten
Radwegen nach Gemünden. Trotz des nicht
so tollen Wetters machten wir auch hier einen
kurzen Rundgang, bevor wir uns die letzten Kilometer nach Marktheidenfeld gegen heftigen
unterwegs
Gegenwind kämpften. Der Main macht hier
nämlich beinahe eine 180° Kehrtwende, und
was bisher kaum als Rückenwind wahrnehmbar
war, entpuppte sich nun als orkanartiger Gegenwind.
6. Tag: Marktheidenfeld – Bürgstadt
57,3 km, 99 hm
Frühstück war okay. Nicht so üppig wie die Tage
davor, aber akzeptabel. Das Wetter sah, bis auf
den heftigen Wind, auch nicht so schlecht aus.
Der Himmel war zwar Wolken verhangen, aber
es war trocken. Auf schönen Radwegen direkt
am Main entlang ging‘s zunächst nach Wertheim, wo wir den ersten Boxenstop einlegten.
Immer entlang des Mains weiter über Faulbach,
wo es dann wieder anfing zu nieseln, nach
Bürgstadt. Dort angekommen checkten wir
gleich im Landhotel Adler ein. Dort gibt es ein
wirklich tolles Rolli-Zimmer mit barrierefreien
sanitären Einrichtungen, und zudem nagelneu.
Wieder war erst mal Rolliwäsche angesagt. Zu
Abend gegessen haben wir ob des lausigen
Wetters im Restaurant des Hotels.
7. Tag: Bürgstadt – Aschaffenburg
Auschecken machten wir noch ein Bildchen
vor dem Hotel und dann nahmen wir die letzte kurze Etappe in Angriff. Zunächst führte uns
der Radweg nach Miltenberg. Dort gibt es eine
sehenswerte Altstadt. Im weiteren Verlauf führt
der Radweg fast immer direkt am Main entlang.
Vorbei an Homburg und Wörth fuhren wir nach
Obernburg am Main. Dieser muss auch das
eine oder andere Mal überquert werden. Durch
Großwallstadt ging‘s dann weiter nach Aschaffenburg, dem Ziel unserer Reise.
Übernachtungen:
Bayreuth:
RAMADA Hotel Residenzschloss Bayreuth
Erlanger Straße 37, 95444 Bayreuth
tel 09 21-75 85-0, www.ramada.de/bayreuth
(rollstuhlgerechtes Zimmer)
Lichtenfels: City-Hotel garni, Bahnhofsplatz 5
96215 Lichtenfels, tel 0 95 71-9 24 30
(ca. 15 Stufen zum Hochparterre)
Roßstadt: Landgasthof Schramm
Fazit: Der Main-Radweg zwischen Bayreuth und
Aschaffenburg ist für Handbiker gut geeignet.
Die einzigen nennenswerten Anstiege sind direkt am Anfang zu bewältigen. Die Landschaft
ist vielfältig, anfangs geprägt von Feldern, Wiesen und Obstgärten, später, in Weinfranken
führt der Weg entlang von Weinbergen und
gegen Ende der Tour prägt der rote Sandstein
das Bild. Kulinarisch ist Franken mit der deftigen Küche sowieso eine Reise wert. Nähere
Infos über den Radweg sind auch unter http://
www.mainradweg.com zu finden. Dort gibt es
viele nützliche Informationen über Unterkünfte, Sehenswürdigkeiten und auch die originale,
gesamte Strecke als GPS-Datei zum Download
(599 km bis nach Mainz).
Frankenstraße 24, 97483 Roßstadt
tel 0 95 22-3 99, www.schramm-landgasthof.de
(rollstuhlgerechtes Zimmer)
Volkach: Weingasthof Rose
Oberer Markt 7, 97332 Volkach
tel 0 93 81-840-0, www.rose-volkach.de
(Eingang ebenerdig, Aufzug, geräumiges
aber nicht rollstuhlgerechtes Bad)
Würzburg: Ibis, Veitshoechheimer Strasse 5B
97080 Würzburg, tel 09 31-4 52 20 (rollstuhlgerechtes Einzelzimmer mit Zustellbett)
Marktheidenfeld: Hotel Zur schönen Aussicht
Brückenstr. 8, 97828 Marktheidenfeld,
tel 0 93 91-30 55, www.hotelaussicht.de/
aussicht/aussicht.html (Eingang ebenerdig,
Aufzug, geräumiges aber nicht rollstuhl-
46,3 km, 112 hm
gerechtes Bad)
Der Regen hatte sich über Nacht verzogen und
die Sonne schien endlich wieder. Frühstück war
gut und reichlich, der Frühstücksraum aber
nur über fünf Stufen zu erreichen. Nach dem
Text & Fotos:
Βritta & Gerd Wittmacher
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Beim Verkauf von Hilfsmitteln muss der Verkäufer
auch der Eigentümer sein.
recht
Der ärztliche
Behandlungsfehler (Teil 1)
Wie die tägliche Praxis des Autors zeigt, ist wesentlich häufiger als vermutet nicht der
Verkehrsunfall oder der Kletterunfall, sondern ein ärztlicher Behandlungsfehler („Kunstfehler“) Ursache einer Querschnittlähmung. Bedauerlicherweise sind es nicht nur schwere Operationen an der Wirbelsäule, sondern auch Routineeingriffe bei Bandscheibenproblemen, die schlimmste Folgen haben können. Manchmal sind diese Schäden aber
nicht – wie gern von Versicherern bezeichnet – „schicksalhaft“, sondern Folge ärztlichen
Versagens, was wiederum zu Schadensersatzansprüchen des Patienten führt.
Anders als bei Verkehrsunfällen, bei denen fast immer eine ganze oder teilweise Haftung feststeht,
muss der ärztliche Behandlungsfehler erst vom Betroffenen nachgewiesen werden – eine Hürde, die
oftmals nur schwer zu nehmen ist, da letztlich ein
Gutachter, der selbst Mediziner ist, über das Fehlverhalten eines Kollegen zu befinden hat.
Auch hohe Prozess- und Gutachterkosten und die
Chance eines Totalverlustes führen oft dazu, dass Klagen, die an und für sich durchaus Erfolgsaussichten
hätten, nicht betrieben werden. Daher ist es wichtig,
im Vorfeld abzuschätzen, welche Möglichkeiten und
Risiken das Vorgehen gegen den behandelnden Arzt
und gegebenenfalls das hinter ihm stehende Krankenhaus bietet.
Einen ersten Einblick soll und kann dieser Artikel geben. Im Einzelfall ist aber auf jeden Fall ein auf das
Schadensersatzrecht oder Medizinrecht spezialisier-
ter Anwalt heranzuziehen, wobei man durchaus hinterfragen sollte, ob der Anwalt eher Ärzte und Versicherungen oder Geschädigte vertritt.
Über Risiken aufklären
Im Endeffekt gibt es drei Arten von ärztlichen Fehlern, die Schadensersatzansprüche auslösen können:
Den Behandlungsfehler, den Aufklärungsfehler und
den Dokumentationsfehler. Ein Behandlungsfehler
liegt immer dann vor, wenn der Arzt seine aus dem
Behandlungsvertrag geschuldete Leistung, nämlich
die fachgerechte Behandlung des Patienten, nicht
erbracht hat und hieraus dem Patienten ein Schaden
entsteht.
Dies bedeutet im Klartext, dass der Arzt zwar nicht
den Heilerfolg schuldet, jedoch die zur Zeit der Behandlung geltenden wissenschaftlich erprobten
und empfohlenen abklärenden (diagnostischen)
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recht
und therapeutischen Maßnahmen richtig anwenden
muss. Hierbei muss er aber nur den Standard einhalten, den ein eingearbeiteter und kompetenter Facharzt erbringen kann. Lediglich wenn der Arzt (oder
das Krankenhaus) mit besonderen Kompetenzen
wirbt – so z.B. eine Spezialklinik für Rückenmarksverletzte – ist auch die spezielle höhere Kompetenz
geschuldet, was die Chance, einen Kunstfehler nachzuweisen, erhöhen kann.
Ein Aufklärungsfehler liegt stets dann vor, wenn der
Patient vor der Heilbehandlung – was insbesondere
bei Operationen eine große
Rolle spielt – nicht hinreichend und rechtzeitig
(d.h. mit Abschluss des
Behandlungsvertrages)
über mögliche Risiken
der Operation aufgeklärt wurde. Der Hintergrund ist, dass jede
ärztliche Maßnahme an
sich zunächst eine Körperverletzung darstellt,
die nur dann gerechtfertigt ist, wenn der Patient
zustimmt. Dies kann er
aber nur, wenn er weiß,
was gemacht wird, wie
hoch die Erfolgsaussichten und wie hoch die
Risiken des Eingriffs sind.
Wird dieses Wissen vom Arzt nicht vermittelt, so
liegt ein Behandlungsfehler in der Form eines Aufklärungsfehlers vor. In diesem Fall kann sich der Arzt
auch nicht darauf berufen, dass ein „normaler, vernünftig denkender“ Patient der Behandlung zugestimmt hätte. Der Arzt hat stets den Patientenwillen
zu berücksichtigen, hier reicht es also im Schadensfall aus, dass der Patient behauptet, dass er den Ein-
Ein Aufklärungsfehler
liegt stets dann vor, wenn
der Patient vor der Heilbehandlung – was insbesondere bei Operationen eine
große Rolle spielt – nicht
hinreichend und rechtzeitig
(d.h. mit Abschluss des Behandlungsvertrages) über
mögliche Risiken der Operation aufgeklärt wurde.
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griff bei ordentlicher Aufklärung nicht hätte durchführen lassen.
Beweislastumkehr
Die dritte Möglichkeit, einen Arzthaftungsprozess
im Sinne des Geschädigten erfolgreich zu beenden,
ist das Vorliegen eines Dokumentationsfehlers. Der
Arzt muss seine Befunde, die eingeleiteten Maßnahmen und aufkommende Fragen dokumentieren, d.h.
schriftlich niederlegen. Röntgenbilder und ähnliches
Material hat er sorgfältig aufzubewahren. Ist die Dokumentation lückenhaft oder fehlen Röntgenbilder,
so ist zunächst davon auszugehen, dass der Arzt einen Fehler gemacht hat. Dies führt zu einer Beweislastumkehr. Nicht mehr der geschädigte Patient muss
den Fehler beweisen, sondern der behandelnde
Arzt muss beweisen, keinen Fehler gemacht zu haben. Dies ist in der Regel nicht möglich, so dass bei
lückenhafter Dokumentation oft eine Haftung dem
Grunde nach feststeht.
In der nächsten Ausgabe des PARAplegikers findet
sich der zweite Teil des Artikels, dort wird auf die taktischen Fragen sowohl vorprozessualer als auch prozessualer Natur eingegangen.
Anmerkung zum Autor: Der Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Oliver Negele, Mitarbeiter
der AG-Recht der FGQ, bearbeitet derzeit ca. 30 Fälle
aus dem Bereich Großpersonenschaden im Jahr.
Kontakt:
Rechtsanwalt u. Fachanwalt für Verkehrsrecht
Oliver Negele
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Ich kann diese Anmeldung innerhalb von 10 Tagen bei der Fördergemeinschaft der
Querschnittgelähmten in Deutschland e.V., Silcherstraße 15, 67591 Mölsheim schriftlich
widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs.
Datum
Unterschrift
Bitte ausschneiden und in einem ausreichend frankierten Umschlag senden an:
Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten
in Deutschland e.V.
Silcherstraße 15
67591 Mölsheim
Rückseite beachten!
• ISSN 07235070
29. Jahr
gang
2/ 20 11
PARAPLEGIKER – Zeitschrift für Menschen
mit Körperbehinderung
Das offizielle Nachrichtenmagazin der Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten erscheint jetzt im
vereinseigenen HUMANIS Verlag. Menschen mit Körperbehinderung haben viele gemeinsame Interessen,
deshalb sollte der Blick auch über den Zaun der eigen
nen Betroffenheit hinausgehen. Der „Para“ bietet einen
Mix aus Information, Kultur, Politik und Unterhaltung.
D 05475
Recht / Schadensersatzrecht
Gottfried Weller
Oliver Negele
Dr. Loeffelladstr. 127 • 86609 Donauwörth
tel 09 06-83 34; Fax 99 99 715
eMail: [email protected]
Unterschrift
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Öffentlichkeitsarbeit
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Felbelstraße 15 • 47799 Krefeld
tel 0 21 51-62 17 000
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Rollstuhl & Co – Test the Best
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Organisation, Finanzierung und Hilfsmittel
In Nah und Fern
Solange es rollt – Vom kleinen Flitzer
Diesen Abschnitt bitte ausfüllen,
bis zum großen Van
ausschneiden, in einen ausTipps vom Anwalt
reichend frankierten Umschlag
Portraits, Sport und Spiel, Beruf
geben und einsenden an:
Recht
Menschen
Planen und
Bauen
Barrierefrei und alltagstauglich
Zu unserem Programm gehören auch
»B-kids«
für behinderte junge Menschen
»K« - Journal Mensch und Krebs
»FGQ-Info« Informationsbroschüren der
Fördergemeinschaft für Querschnittgelähmte in Deutschland.
Bei Interesse fordern Sie bitte ein Probeheft an
oder informieren sich telefonisch beim Verlag.
Bestellcoupon rückseitig
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Werden Sie Mitglied!
JA!
Ich möchte Mitglied im Freundeskreis der
Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten
in Deutschland e.V.werden.
Ich erhalte 1/4 jährlich eine Informationsschrift, die mich unter anderem auch über alle
laufenden Aktivitäten der Fördergemeinschaft informiert. Falls ich durch einen Unfall
eine Querschnittlähmung erleide, erhalte ich als Soforthilfe 50.000 € mit entsprechender
Abstufung bei Teilinvalidität.
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P
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U
M
PARAplegiker – Zeitschrift für Menschen mit Körperbehinderung
HUMANIS Verlag GmbH
Silcherstraße 15 · D-67591 Mölsheim
Telefon: 0 62 43-900 704
Telefax: 0 62 43-903 569
[email protected]
www.humanis-verlag.de
ISSN 0723-5070
Name, Vorname
HERAUSGEBER
Fördergemeinschaft
der Querschnittgelähmten
in Deutschland e.V.
Eingetragen ins Vereinsregister Mannheim Nr. 11844
Geb.-Datum
Straße
GESCHÄFTSFÜHRER
Roger Kniel
PLZ / Wohnort
MARKETINGLEITUNG
Gisela Werner
Folgende Familienangehörige melde ich für 15 Euro an:
Name, Vorname
ANZEIGENBETREUUNG
POINT63 Media- und Verlagsservice
Andreas Stoßberg
Telefon: 02 12-2 33 52 65
Telefax: 02 12-2 33 52 66
[email protected]
Straße / Wohnort
Geb.-Datum
Name, Vorname
Straße / Wohnort
ABOBETREUUNG
Probeheft
Telefon: 0 62 43-900 704
94
Geb.-Datum
Ich bin querschnittgelähmt
ja
nein
REDAKTIONSLEITUNG
(v.i.S.d.P.) Peter Mand
Andere Behinderung:
Spendenkonto 0 179 200, Deutsche Bank Ludwigshafen, BLZ 545 700 94
PARAPLEGIKER PARAPLEGIKER PARAPLEGIKER
Rückseite beachten
Ja!
Ich möchte »PARAPLEGIKER«, die Zeitschrift für Menschen mit
Körperbehinderung abonnieren,
4 Ausgaben jährlich für 15 € (Ausland 20 €) inkl. Porto & Versand.
Vorname:
Name:
MITARBEIT AN DIESER AUSGABE
Harry Baus, Barbara Früchtel, Margit Glasow, Ralf Kirchhoff, Kasia,
Reinhard Wylegalla, Hermann Sonderhüsken, Heike Stüvel, Ruth Auschra, Raimund Artinger, Herbert Müller, Prof. T. Platz, Dr. J. Bremer,
Dr. Andrea Flemmer, Alexander Epp, RA Oliver Negele.
LAYOUT
Eickhoff – Grafik & Design - Speyer
Telefon: 0 62 32-62 93 20
DRUCK
NINO Druck GmbH
Im Altenschemel 21
67435 Neustadt/Weinstraße
ERSCHEINUNGSWEISE
vierteljährlich
Straße / Hausnummer:
PLZ / Ort:
Ihr Rücktrittsrecht: Diese Bestellung kann innerhalb von 8 Tagen (Poststempel) schriftlich widerufen
werden. Diesen Hinweis habe ich zur Kenntnis genommen und bestätige dies durch meine
2. Unterschrift.
Unterschrift.
ANZEIGENSCHLUSS
3 Wochen vor Erscheinen. Anzeigen erscheinen unter Verantwortung der Auftraggeber.
Es gelten die Mediadaten Nr.9 ab 1. Dezember 2008
BEZUGSBEDINGUNGEN
Inland 15 EURO jährlich, Ausland 20 EURO jährlich, Einzelheft:
Deutschland 4 EURO (jeweils inkl. Versand und Mwst.); Ausland 4
EURO (+Versandkosten). Das Abonnement wird im voraus in Rechnung gestellt, Bezugszeitraum ist das Kalenderjahr. Das Abonnement
verlängert sich jeweils um ein Jahr, wenn es nicht mindestens 8
Wochen vor Ablauf beim Verlag schriftlich gekündigt wurde.
Gewünschte Zahlungsweise (bitte ankreuzen)
bargeldlos durch Bankeinzug
Konto-Nr.:
Der gesamte Inhalt der Zeitschrift ist urheberrechtlich geschützt, jede
unzulässige Verwertung ohne Einwilligung des Verlages wird verfolgt.
Die Autoren erklären sich mit der redaktionellen Bearbeitung ihrer
Beiträge einverstanden. Haftung für zugesandte Texte oder Bilder
wird ausgeschlossen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge stimmen nicht zwangsläufig
mit Meinung des Verlages und der Redaktion überein.
BLZ:
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gegen Rechnung (bitte Rechnung abwarten)
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Beantworten Sie bitte noch diese zwei Fragen bevor Sie die Abo-Karte ausgefüllt an uns senden:
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