Wo Hühner kuscheln

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Wo Hühner kuscheln
Bio-Hühnerfarm
Wo Hühner kuscheln
Ein altmodisch anmutender Pendelzug bringt
mich von Wels in das kleine oberösterrei­
chische Nest Unterhart, wo mich die Bäuerin
persönlich abholt. Von der winzigen Halte­
stelle geht es vorbei an Wiesen und Äckern
zur Bio-Hühnerfarm der Familie Bieregger.
Auf dem 18 Hektar großen Hof angekommen,
werde ich von Asta, der Hofhündin, begrüßt.
Fünf Minuten später stehe ich mit der
­Bio-Bäuerin vor dem riesigen Hühnerstall, in
dem sich das Federvieh tummelt. „Sobald es
wärmer wird, gehen die Hühner hinaus aufs
freie Feld. Bis dahin machen sie es sich im
Stall gemütlich.“ Erst auf den zweiten Blick
erkenne ich, dass die Tiere sich an einigen
wenigen Stellen zusammenrotten, obwohl
rundherum genug Platz wäre. „Hühner sind
soziale Wesen und suchen die Nähe der
­anderen – auch die von uns Menschen. ­Meine
Kinder setzen sich manchmal mitten in die
Herde. Und die Hühner lieben es besonders,
wenn ich ihnen vorsinge!“, erzählt Frau Bier­
egger lachend.
Maximal zehn Hühner pro Quadratmeter
Tausende von Wildhühnern werden hier auf­
gezogen: „Wildhühner schmecken beson­
ders gut, weil ihr Brustfleisch saftiger ist als
das von anderen Hühnern“, erzählt die Bäue­
rin stolz, die mit ihrer Familie im Jahr 1996
auf Bio-Landwirtschaft umgestiegen ist.
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„Wir möchten unseren Kindern eine lebens­
werte Zukunft mit gesunden Böden ermög­
lichen!“
Die Lebensbedingungen am Biohof unter­
scheiden sich wesentlich von denen auf
­konventionellen Hühnerfarmen: Maximal
zehn Hennen teilen sich hier einen Quadrat­
meter, zusätzlich ist ein Auslauf von 4 m²
vorgesehen. „Hühner spazieren gerne he­
rum, sie scharren und picken und lieben
Staubbäder.“ Die Stallfläche ist weich einge­
streut. In die Streu werden regelmäßig Ge­
treidekörner eingebracht, damit die Hühner
darin herumpicken und so die Einstreu auf­
lockern können.
Futter aus biologischer Landwirtschaft
Konventionelle Masthühner werden auf
­extreme Fleischleistung gezüchtet: Nach ca.
5 Wochen haben sie das Schlachtgewicht von
1,7 kg erreicht. Biologische Freilandhühner
dagegen wachsen auf natürliche Weise und
daher langsamer. Die Mastperiode dauert
neun bis elf Wochen, also etwa doppelt so
lange wie bei der herkömmlichen Hühnerhal­
tung. Durch die Bewegung sind die Knochen
kräftiger und das Fleisch besser durchblutet.
Das macht sich an der Farbe, in der Fleisch­
qualität und vor allem im Geschmack be­
merkbar. Bio-Hennen bekommen grundsätz­
lich nur Futter aus biologischer Landwirt­
schaft, das zusätzlich gentechnikfrei sein
muss. „Unser Futter besteht zum Teil aus
­eigenem und teils aus zugekauftem biologi­
schen Getreide. Den Unterschied merkt man
am Geruch im Stall – in einem herkömmlichen
Hühnerstall liegt ein beißender Geruch nach
Ammoniak in der Luft.“
Seit 200 Jahren im Besitz der Familie
Sobald die Temperaturen ansteigen, trauen
sich die Hühner hinaus ins Freie. Dann ist
Asta, die Hofhündin gefragt. „Sie hilft uns
abends, die Tiere wieder in den Stall zu trei­
ben, bevor die Füchse oder Iltisse aus dem
nahe gelegenen Wald kommen.“ Frau Bier­
egger ergänzt, dass sie auf der großen Wiese
vor dem Stall noch Bäume anpflanzen wird.
„Die Hühner suchen gerne unter Bäumen
oder Sträuchern Schutz.“
Während die Bio-Bäuerin mir den zweiten
Stall zeigt, erzählt sie vom Familienbetrieb:
gemeinsam mit ihrem Mann, den Schwie­
gereltern und ihren neun Kindern bewirt­
schaftet sie den Hof, der seit 200 Jahren im
Besitz der Familie ist: „Die Kinder sind uns
eine große Hilfe – beim Hendleinfangen
oder Stallausräumen packen sie ordentlich
mit an.“ Außer den Hühnern gibt es bei den
Biereggers noch einen Hund, Katzen, Enten
und Ziegennachwuchs. Als ich einen Blick in
den Ziegenstall werfe, sehe ich zwei neu­
Fotos: Bieregger, Susanne Wolf
Immer mehr Österreicher vertrauen auf Bio. Konsument-Mitarbeiterin Susanne Wolf hat einen erfolgreichen Bio-Bauernhof besucht. Der Hühnermastbetrieb der Familie Bieregger in Oberösterreich
hat bei einem Ethik-Test der Stiftung Warentest eine der besten Bewertungen bekommen.
ist seit
he von Sattledt
Der Hof in der Nä .
milie
im Besitz der Fa
200 Jahren
wird, wagen
Erst wenn es warm
aus dem Stall.
sich die Hühner
Nur wo Bio draufsteht, ist Bio drin
Darauf müssen Sie achten
Bio ist mehr als nur der Verzicht auf Chemie. Die natürlichen Ressourcen
Boden und Wasser werden dabei geschont und künftigen Generationen
weitergegeben. Folgende Prinzipien müssen berücksichtigt werden:
• Möglichst geringer Einsatz von Fremdenergie, z.B. Kunstdünger.
• Nützen von natürlichen Selbstregulierungs-Mechanismen: vielfältige
Fruchtfolge, Einsatz passender Sorten und Tierrassen.
• Ernährung des Bodens und nicht der Pflanze: Durch sorgfältige Bearbei­
tung des Bodens und Ausbringung von Kompost werden Bodennährstoffe
aktiviert.
• Möglichst geschlossene Betriebskreisläufe: Was am Hof anfällt, wird wieder­
verwendet – wie Kompost oder Wirtschaftsdünger (Mist, Jauche, Gülle).
Österreich steht beim Bio-Anbau an erster Stelle innerhalb der EU: der Anteil
der Biobetriebe an allen Betrieben liegt bereits bei 15 %, der Anteil der BioFläche bei knapp 20 %. Die Zahl der Bio-Betriebe beträgt derzeit rund
21.000 und ist im Vergleich zum Vorjahr um 4,5 % gestiegen.
Die Österreicher haben im Jahr 2010 Bio-Produkte im Wert von 306,4 Mio.
Euro eingekauft – das ist um 19 % mehr als im Jahr davor. Die großen
­Gewinner am Bio-Markt sind Butter, Käse, Frischobst, Frischgemüse, Erdäpfel
und Eier. Fleisch, Geflügel, Wurst und Schinken in Bio-Qualität hinken nach –
der Bio-Anteil an Hühnerfleisch liegt derzeit bei 3 %.
Seit 1. Juli 2010 muss auf Bio-Produkten das neue EU-BioLogo verwendet werden, das die Bio-Qualität von Lebens­
mitteln garantiert. Das Österreichische Bio-Zeichen, das BioAustria-Logo und die Eigenmarken der Handelsketten sind
weitaus bekannter und werden (neben dem EU-Logo) auch
weiterhin verwendet. Außerdem muss der Code der Kont­
rollstelle angeführt sein, z.B. AT-BIO-401.
Nur die Bezeichnungen „biologisch“ oder „ökologisch“
garantieren Ware aus biologischer Landwirtschaft: z.B.
„aus kontrolliert ökologischem Anbau“. Bezeichnungen wie
„aus naturnahem Anbau“, „aus umweltgerechter Landwirt­
schaft“ oder „aus kontrolliertem Anbau“ haben dagegen
mit „Bio“ nichts zu tun! Auch „Freilandeier“ sind noch lange
keine Bio-Eier.
Bio-Hühner gibt es in Biomärkten und -läden sowie bei gro­
ßen Supermarktketten wie Hofer („Zurück zum Ursprung“),
Billa („Ja Natürlich“) oder Interspar („Natur pur“) zu kaufen;
der höhere Preis (meist das Doppelte von Hühnern aus
­konventioneller Landwirtschaft) ist die Folge des erhöhten
Aufwandes in der biologischen Landwirtschaft.
geborene Zicklein um ihre Eltern herum­
staksen. Auch Obst und Gemüse werden
am Hof angebaut: Holunder, Himbeeren,
­Austernpilze, Shiitake-Pilze. „Früher haben
wir mehr davon verkauft, aber seit wir die
Hendln haben, bleibt keine Zeit mehr.“
Ständiger Überlebenskampf
Die frisch geschlüpften Küken werden von
­einer Brüterei geliefert und sind nur einige
Wochen lang auf dem Hof, bevor sie zum
Schlachten abgeholt werden. Die Tiere und
vor allem der Kot müssen regelmäßig kont­
rolliert werden. „Es muss immer jemand da
sein. Ein gemeinsamer Urlaub geht sich für
uns nur für drei Wochen im Sommer aus,
wenn wir gerade keine Hühner haben.“
Erst seit die Firma Hofer mit der Bio-Linie
„Zurück zum Ursprung“ zu ihren Abneh­
mern zählt, zahlt sich das Geschäft für die
Familie Bieregger aus. „Es ist ein ständiger
Kampf zwischen dem Anstieg der Futter­
preise und nachhinkenden Hühnerpreisen.
Die Kosten sind oft höher als der Verdienst.“
Trotzdem ist die Bäuerin von ihrer Arbeit
überzeugt und profitiert von ihrer Erfah­
rung als Krankenschwester: „Vorbeugender
Einsatz von Antibiotika oder Antiparasiten­
mitteln ist in der biologischen Landwirt­
schaft verboten. Da ich auch nicht viel von
Impfungen halte, setze ich lieber Kräuter­
mischungen gegen Durchfall und Homöo­
pathie gegen Kokzidiose ein.“ Die strengen
Bio-Richtlinien werden regelmäßig von
­Kontrolloren überprüft; zusätzlich müssen
Biobauern einige Stunden Fortbildung pro
Jahr besuchen.
Beim Abschied hat Frau Bieregger noch einen
Wunsch: „Hoffentlich hilft Ihr Artikel, das Be­
wusstsein für Bio-Produkte noch zu stärken!“
Links:
www.bio-austria.at
www.gruenerbericht.at
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