Ein Tag in Mainz

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Ein Tag in Mainz
Ein Tag in Mainz
„Aufstehn!“ schreit mit monotonem Piepen die Maschine, namens Uhrwerk. Orange-farbenes
Licht durchflutet mein Wohnheimzimmer 1408. Die Vögel kreisen vor meinem Fenster zum Hof.
Der Himmel über Berlin hätte an diesem Tag im Oktober nicht schöner sein können. Aber ich will
nicht nach Berlin, sondern bin glücklich hier in Mainz.
Die Nacht war kurz und ich stehe früh auf. Es gibt Schokolade zum Frühstück bei Tiffany; bei mir
gibt es French Toast, Coffee and Cigarettes. Die Giganten in den Straßen von New York hätten
nichts Besseres bieten können. Danach mache ich mich auf den Weg zur Uni und kämpfe mich in
den Zeiten des Aufruhrs durch die Massen von Gremlins. Kinder, die zur Schule müssen und mir
dabei den Weg versperren. Natürlich bin ich viel zu spät und die 39 Stufen der Unterführung zur
Straßenbahnhaltestelle muss ich wieder mal rennen, um die Tram zu kriegen. Mein linker Fuß
blockiert die Lichtschranke in letzter Sekunde. Ich suche mir einen Platz an der Sonne und lausche
nun der Sinfonie der Großstadt mit hupenden Autos und dem Klingeln der Straßenbahn.
Die Fahrt fühlt sich an wie die Reise zum Mond. „La Boum!“- ein Knall ershrekt mich und wir
machen Halt auf freier Strecke. Der Strom ist vom Winde verweht und der Straßenbahnverkehr
kommt zum Erliegen. Nach gefühlten 127 Stunden kommt der Strom zurück. In die Zukunft
blickend, kann ich behaupten, dass es nun weiter geht mit unserer Odyssee im Weltraum.
Ein „Guten Tag, die Fahrscheine bitte!“ entreißt mich aus der unerträglichen Leichtigkeit des Seins
und der Kontrolleur, der soeben eingestiegen ist, schaut mich mit großen Erwartungen an. Als mich
Herr Lehmann erkennt, lächelt er und wünscht mir noch einen letzten schönen Herbsttag, ohne
mein Semesterticket sehen zu wollen. Tja, nach 13 Semestern in dieser Metropolis kennt man sich
eben. Am Schillerplatz steige ich um. Während ich auf den nächsten Bus warte, der in 4 Minuten
kommt, beobachte ich einen jungen Mann, der einer Gruppe von Jugendlichen erklärt: „Das ist
Goethe!“ und dabei auf das Schillerdenkmal zeigt. Auf seiner Jacke steht „The Tourist“. Ein
andalusischer Hund pinkelt gegen das Denkmal, auf das die wohl schlechtesten Sprayer der Stadt
Parolen schmierten. „Lo laren nt“, lese ich. Was immer das heißen mag...
Mein heutiges Seminar behandelt das Thema „Die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf das
Liebesleben der Pflastersteine“. Die Langeweile reicht bis zur Unendlichkeit und noch viel weiter,
denn die Rede des Königs, der Vorname: Jan, ist heute wieder sehr monoton. „Er sollte aufhören
hier rum zu eiern, Mensch (→ Iron Man)“, denke ich. Nach 88 Minuten, die sich anfühlen wie die
Ewigkeit und ein Tag ist das Seminar endlich vorbei und ich sterbe vor Hunger, also ab in die Mensa
wo the Hunger-Games beginnen mögen. Dort ist „Französische Woche“. Ich bin zwar der Sprache
nicht mächtig aber der Speiseplan klingt vielversprechend: Le Mépris à bout de Souffle avec „grüne
Tomaten“; Nouvelle Vague avec sauce Truffaut; La Peau douce des Mistons und Erbsen auf halb 6.
Ich entscheide mich für das Erbsengericht und bin vollkommen zufrieden. Als Dessert wähle ich
das Mousse au Chocolat et Caramel mit Zimt, denn ich liebe Zimt!
Anschließend muss ich ins Studienbüro, in dem es aussieht also ob dort das Vermächtnis der
Tempelritter zu finden sei. Ich hole meine letzte Hausarbeit mit dem Thema „Die Ermordung des
Jesse James durch den Feigling Robert Ford“ ab.
„Der Name bitte“, fragt die Frau in Schwarz. Das Parfum, das sie trägt, beißt in meiner Nase.
„Schmidt, Angel-A“, antworte ich.
„Mit 'dt' ?“
„Ja, aber das D ist stumm!“
Sie händigt mir die Arbeit aus und ich habe eine fu**...fantastic Four. Oh Boy, in einer besseren
Welt wäre das Streben nach Glück und guten Noten einfacher.
Ich verlasse das Büro und treffe auf dem Campus Fünf Freunde.
Die Träumer Jules und Jim; Matilda, das Mädchen mit dem Perlenohrring; Paul, der Mann, der
zuviel wusste und Michael. Sie küssten und sie schlugen ihn, als er ein Kind war, doch irgendwann
wehrte er sich. Seitdem nennen ihn alle nur noch Kick-Ass.
„Wir gehen an den Rhein, Mann (→ Rain Man)“, schlägt ein Freund von mir vor, „oder lass uns im
Jurassic Park chillen. komm und sieh doch wie toll das Wetter ist!“ Unterwegs besorgen wir uns Eis
am Stiel und Cornetto in den drei Farben: Weiß, Blau, Rot. Eine wahre Trilogie! Unten am Fluss
angekommen, genießen wir barfuß das Reich der Sonne, lauschen der Radio Rock Revolution und
lesen die neueste Ausgabe Audimax. So verbringen wir mehrere Stunden, bevor wir uns auf den
Weg ins Kino machen. Jedoch nicht ins Cinestar-Trek, sondern ins Cinema Paradiso.
Anschließend ziehen wir, begleitet von den Lichtern der Großstadt durch die Mainzer Kneipen und
Clubs: ins schonschön, ins Red Cat und begeben uns abschließend im Nirgendwo auf die Suche
nach einem Freund fürs Ende der Welt, denn was nützt die Liebe in Gedanken? Zusammen ist man
schließlich weniger allein.
„Ohne dich wären die Gefühle von heute nur die leere Hülle der Gefühle von damals, denn wenn
Träume fliegen lernen, dann erscheinen sie auf der magischen Oberfläche einer Leinwand!“,
schreibe ich mit einem Edding an eine der Toilettentüren, warum, weiß ich nicht. Vielleicht, weil es
mal gesagt werden muss oder weil der menschliche Drang nach Verewigung befriedigt werden
wollte oder einfach weil ich nach dem letzten Swimming Pool Cocktail ein bisschen betrunken bin.
Im Leuchten der Stille tanzen wir wie die Halbstarken und lachen wie die Verurteilten. „...Denn sie
wissen nicht, was sie tun“, werden die Leute sagen, doch das ist uns egal und wir leisten keine
Abbitte.
Auf dem langen Weg nach Hause, zählen wir die letzten Glühwürmchen, die wie Elementarteilchen
des Nachthimmels sind. Das weiße Band zwischen uns wird stärker, denn wir sind alle ziemlich
beste Freunde und es ist tatsächlich Liebe zwischen uns. Und nichts ist so schön auf der Welt wie
betrunken traurige Musik zu hören und doch sage ich: „Traurigkeit verzieh dich. Wir wollen
Menschen sein, die es verdient haben geliebt zu werden; die es wert sind. Denn wir sind es wert.“