Hyperbolische partielle Differentialgleichungen

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Hyperbolische partielle Differentialgleichungen
Partielle Differentialgleichungen II
Sommersemester 2013
c 2013
Prof. Dr. Jens Wirth
Lehrstuhl für Angewandte Mathematik
Mathematisches Institut
LMU München
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 D’Alembert und die Gleichung der schwingenden Saite . . . . . . . . . . .
1.2 Konsequenzen endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit . . . . . . . . . . . .
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
2.1 Hyperbolizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.1.1 Notwendige Bedingungen . . . . . . . . . . . . .
2.1.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2 Strikt hyperbolische Probleme . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.1 C∞ -Korrektheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
2.2.2 Endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit . . . . . .
2.2.3 Energieabschätzungen . . . . . . . . . . . . . . .
2.3 Geometrie hyperbolischer Probleme . . . . . . . . . . . .
2.3.1 Raumartige Hyperebenen und Cauchy-Probleme
2.3.2 Charakteristische Flächen . . . . . . . . . . . . .
2.4 Ebene Wellen und Radon-Transformation . . . . . . . .
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
3.1 Hyperbolizität . . . . . . . . . . . . . .
3.2 Symmetrisch hyperbolische Systeme . .
3.3 Strikt hyperbolische Gleichungen zweiter
3.4 Pseudodifferentielle Symmetrisierer . . .
3.4.1 Das Pseudodifferentialkalkül . . .
3.4.2 Symmetrisierer . . . . . . . . . .
3.5 Existenz von Lösungen . . . . . . . . . .
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Ordnung
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4 Streutheorie
4.1 Fragestellungen und Modelle . . . . . . . . . . . . . . .
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
4.2.1 Diskrete Lax–Phillips-Theorie . . . . . . . . . . .
4.2.2 Kontinuierliche Lax–Phillips Theorie . . . . . . .
4.2.3 Die Lax–Phillips Halbgruppe . . . . . . . . . . .
4.3 Streutheorie für Wellen . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4.3.1 Translationsdarstellungen . . . . . . . . . . . . .
4.3.2 Morawetz-Abschätzungen . . . . . . . . . . . . .
4.3.3 Spektrale Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . .
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5
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51
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53
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64
64
68
71
3
Inhaltsverzeichnis
4.3.4
4
Die analytische Berechnung der Streumatrix . . . . . . . . . . . . . 78
1 Einleitung
Die Vorlesung wird sich mit ausgewählten Themen zur Theorie hyperbolischer partieller
Differentialgleichungen befassen. Das vorliegende Skriptum enthält die wichtigen in der
Vorlesung behandelten Sätze, ersetzt allerdings nicht den Besuch der Vorlesung.
1.1 D’Alembert und die Gleichung der schwingenden Saite
Als Motivation soll im folgenden die Wellengleichung in einer Raumdimension dienen.
Diese wurde zuerst von Jean-Baptiste le Rond d’Alembert (1717–1783) untersucht und explizit gelöst. Das zugrundeliegende mathematische Modell ist das RandAnfangswert-Problem
(∂t2 − c2 ∂x2 )u = 0,
x ∈ (0, L),
u(t, 0) = u(t, L) = 0
t ≥ 0,
(1.2)
u(0, x) = f (x),
x ∈ (0, L),
(1.3)
∂t u(0, x) = g(x)
t ≥ 0,
(1.1)
für die Auslenkung u(t, x) am Ort x und zur Zeit t. Die Konstante c ist eine Materialkonstante. Die Randbedingungen beschreiben die Tatsache, dass die Saite an beiden
Seiten eingespannt ist, während f und g eine Anfangsauslenkung beziehungsweise Anfangsgeschwindigkeit festlegen.
Mathematisch ist es einfacher, sich die Auslenkung u(t, x) ungerade 2L-periodisch
fortgesetzt zu denken. Das erzwingt die Randbedingungen und liefert das entsprechende
Problem auf dem Gesamtraum R1+1 = Rt × Rx . Man hat also
(∂t − c∂x )(∂t + c∂x )u(t, x) = 0
(1.4)
zu lösen. Noch einfacher wird die Gleichung, wenn man die Variablen y = x + ct und
z = x − ct einführt. Dann ist ∂y ∂z u = 0 zu lösen. Sucht man diese Lösung im Raum
D 0 (R1+1 ) der Distributionen, so muss ∂z u = Ψ0 (z) für eine Distribution Ψ ∈ D 0 (R)
gelten. Durch Integration erhält man daraus die allgemeine Lösung
u(t, x) = Φ(x + ct) + Ψ(x − ct),
Φ, Ψ ∈ D 0 (R).
(1.5)
Die Distributionen Φ und Ψ sind eindeutig durch die Anfangsbedingungen bestimmt.
Nimmt man diese als Funktionen an, so gilt
1
1
u(t, x) = f (x − ct) + f (x + ct) +
2
2ct
Z
x+ct
g(y) dy
(1.6)
x−ct
5
1 Einleitung
mit entsprechend periodisch fortgesetztem f und g (letzteres gerade fortgesetzt). Dies
ist die d’Alembertsche Lösungsdarstellung der eindimensionalen Wellengleichung, die
genutzte Methode ist eindimensional und nicht auf höherdimensionale Situationen übertragbar. Sie impliziert neben der Existenz der Lösungen insbesondere das Vorhandensein
von Wellenfronten und die Gültigkeit des Huygens-Prinzips1 .
Abbildung 1.1: Endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit und Huygens-Prinzip
Nichtsdestotrotz wollen wir einige Schlussfolgerungen aus dieser Darstellung ziehen.
Diese sind, wie wir später sehen werden, charakteristisch für hyperbolische partielle
Differentialgleichungen. Sie beziehen sich auf das Problem im Ganzraum.
(H1) Linearkombinationen von Wellen sind wieder Wellen.
(H2) Die Anfangswerte können beliebige glatte Funktionen sein und die zugeordnete
Welle ist wiederum glatt.
(H3) Wellen sind eindeutig durch vorgegebene Anfangswerte bestimmt.
(H4) Der Einfluss der Anfangsdaten breitet sich mit endlicher Geschwindigkeit ≤ c aus.
Wir werden im folgenden zeigen, dass diese vier Eigenschaften eine Klasse partieller Differentialgleichungen, die hyperbolischen Differentialgleichungen, charakterisieren. Insbesondere implizieren (H1)–(H4)
(H5) Wellen werden durch eine partielle Differentialgleichung beschrieben.
(H6) Distributionelle Daten führen zu distributionellen Lösungen.
(H7) Singularitäten breiten sich entlang von Charakteristiken aus.
1
6
Nach Christiaan Huygens (1629–1695), der als erster die Existenz einer zweiten (hinteren) Wellenfront beschrieb.
1.2 Konsequenzen endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit
(H8) Es gelten Energieabschätzungen.
Letzteres sollte man erläutern. Definiert man sich zur schwingenden Saite die elastische
und die kinetische Energie
Eel (u; t) =
c2
2
Z
L
|ux |2 dx,
Ekin (u; t) =
0
1
2
Z
L
|ut |2 dx,
(1.7)
0
so gilt
Eges (u; t) = Ekin (u; t) + Eel (u; t) = Eges (u; 0),
(1.8)
da unter Beachtung der Randbedingungen (und für hier reellwertige Funktionen)
Z
L
2
Z
ut utt + c ux uxt dx =
∂t Eges (u; t) =
0
L
ut utt − c2 uxx dx = 0
(1.9)
0
für zweifach stetig differenzierbares u folgt. Für allgemeinere hyperbolische Gleichungen
kann man Energien definieren, so dass sich die Energie der Lösung zu einem Zeitpunkt
durch die Energie der Anfangsdaten abschätzen lässt. Eine Energieerhaltung gilt nur für
spezielle Fälle.
1.2 Konsequenzen endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit
Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit hat tiefliegende Implikationen. Wir nehmen im
folgenden die Eigenschaften (H1)–(H4) an und wollen einige Schlussfolgerungen ziehen.
Sei dazu u(t, x) = (u1 (t, x), . . . , ud (t, x))> eine vektorwertige glatte Funktion auf einer
offenen Teilmenge Ω des R1+n = Rt × Rnx , welche Zustände eines Mediums zu einem
Zeitpunkt t (als Funktion des Ortes x) beschreibt.2 Wir wollen zulässige Funktionen3
als Wellen bezeichnen und nehmen an, dass die Welle u(t, x) durch den Zustand u(s, x)
für ein beliebiges s eindeutig bestimmt ist.
(H1) W ⊂ C∞ ist ein linearer Teilraum.4
(H2) Für jedes s ∈ R ist die Abbildung W 3 u 7→ u(s, ·) ∈ C∞ surjektiv.
(H3) Für jedes s ∈ R ist die Abbildung W 3 u 7→ u(s, ·) ∈ C∞ injektiv.5
2
In Anwendungen können die Komponenten der Druck, elastische Verformungen, elektrische Felder
oder Magnetfelder beziehungsweise davon abgeleitete Grössen sein.
3
Später: Lösungen der Evolutionsgleichung
4
Präziser: C∞ ist die Garbe C∞ (Ω), Ω ⊂ R1+n offen. Wir fordern, dass W eine Garbe ist mit W(Ω) ⊂
C∞ (Ω) linear.
5
Genauer: Die Abbildung eingeschränkt auf die Teilgarbe Ws von Wellen, so dass deren Definitionsgebiet Ω nur aus direkt vom Schnitt Ω ∩ {t = s} beeinflussten Punkten besteht. Zusammen mit
(H4) genügt es dafür nur Ω zu betrachten, so dass für jeden Punkt p = (tp , xp ) ∈ Ω der Kegel
{|x − xp | ≤ c|t − tp |} ∩ {t ∈ [s, tp ]} im Innern von Ω liegt.
7
1 Einleitung
Im obigen Beispiel müsste man also u und ux zu einem Vektor zusammenfassen (oder
besser ut und ux ). Als nächstes definieren wir, was wir unter Abhängigkeit und Einflussgebiet verstehen wollen. Die Definition ist so für lineare Wellen formuliert, nichtlineare
Wellen benötigen eine Umformulierung der ersten Bedingung.
Definition 1.1.
1. Wir sagen, der Punkt p = (tp , xp ) beeinflusst q = (tq , xq ), falls
zu jeder Umgebung U von xp und jeder Raum-Zeit-Umgebung V von q eine Welle
u ∈ W existiert mit
supp u(t, ·) ⊂ U
und
uV 6= 0.
2. Die Menge aller von p beeinflussten Punkte heißt Einflussgebiet von p.
3. Die Menge aller Punkte, welche q beeinflussen, heißt Abhängigkeitsgebiet von q.
Damit kann man die Forderung der endlichen Ausbreitungsgeschwindigkeit präzisieren.
(H4) Falls für zwei Punkte p = (tp , xp ) und q = (tq , xq )
|xp − xq | > c|tp − tq |
(1.10)
gilt, so beeinflusst p nicht q.
Das hat eine wichtige erste Konsequenz, das Einflussgebiet eines Punktes p ist enthalten im durch (1.10) bestimmten Doppelkegel um p. Die Namensgebung für Einflussgebiet
und Abhängigkeitsgebiet ergibt sich aus folgendem einfachen Lemma.
Lemma 1.2. Sei u ∈ W und gelte (H1)–(H4).
1. Besitzt u(t, ·) für ein t kompakten Träger, so besitzt u(t, ·) für jedes t kompakten
Träger. Dieser ist im Einflussgebiet des Trägers enthalten.
2. Sei A der Schnitt des Abhängigkeitsgebiets von p mit der Ebene t = r. Angenommen, u(t, ·) verschwindet in einer Umgebung von A. Dann gilt u = 0 in einer
Umgebung von p.
Da die Welle u ∈ W eindeutig durch die Daten u(r, ·) für ein r bestimmt ist, bestimmen
diese insbesondere auch die Ableitung ut . Also existiert eine (von r glatt abhängende)
Abbildung G(r), so dass
ut (r, ·) = G(r)u(r, ·)
(1.11)
gilt. Dabei bildet G beliebige glatte Funktionen mit kompakten Träger linear auf glatte
Funktionen mit kompaktem Träger ab. Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit impliziert dazu sogar die Lokalität von G(s).
Lemma 1.3. Die Abbildung G(t) : D(Rn ) → D(Rn ) ist lokal, d.h.,
supp G(t)ϕ ⊂ supp ϕ
für alle ϕ ∈ D(Rn ).
8
1.2 Konsequenzen endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit
Abbildung 1.2: Abhängigkeitsgebiet und Einflussgebiet
Beweis. Dies sieht man am besten an einer Skizze. Gilt supp ϕ ⊂ K für ein Kompaktum
K und ist u(t, x) die zu u(0, ·) = ϕ gehörige Welle, so ist supp u ∩ {t ∈ (−, )} in
[
Kc × (−, ),
Kc =
Bc (x)
x∈K
enthalten. Dies gilt somit auch für ut und nach Definition der Abbildung G(t) folgt
supp G(t)ϕ ⊂ Kc
für jedes > 0. Damit folgt aber schon die Behauptung.
Abbildung 1.3: Zum Beweis von Lemma 1.3
Damit kann man nachfolgenden Satz6 anwenden. Für einen Beweis einer vereinfachten
6
Für den Beweis des angegebenen Satzes verweisen wir auf die Originalarbeit von Jaak Peetre. Er
erschien als
J. Peetre: Réctification à l’article “Une caractérisation abstraite des opérateurs differentiels”. Math. Scand. 8 (1960) 116–120.
9
1 Einleitung
Form desselben verweisen wir auf die Übung.
Satz 1.4 (Peetre ’1960). Jede lokale lineare Abbildung G : D(Rn ) → D(Rn ) ist von der
Form
X
Gϕ(x) =
aα (x)∂xα ϕ(x)
α
als lokal endliche Summe und mit glatten Funktionen aα (x) ∈ C∞ (Rn ) (den Koeffizienten
von G).
Da G glatt von t abhängende Funktionen wiederum auf glatte Funktionen abbildet,
hängen die Koeffizienten glatt von t ab. Wellen erfüllen also stets eine partielle Differentialgleichung.
Folgerung 1.5. Angenommen W erfüllt (H1)–(H4). Dann gilt für jedes u ∈ W
X
∂t u =
aα (t, x)∂xα u
(1.12)
α
mit matrixwertigen Koeffizienten aα ∈ C∞ (R1+n ; Cd×d ).
Unser nächstes Ziel ist es, die dabei auftretende Differentialoperatoren algebraisch zu
charakterisieren. Dies wird zur Definition hyperbolischer partieller Differentialgleichungen führen.
10
2 Gleichungen mit konstanten
Koeffizienten
In diesem Kapitel sollen partielle Differentialgleichungen der Form
X
Aα ∂xα u = G(Dx )u
∂t u =
(2.1)
|α|≤m
mit konstanten matrix-wertigen Koeffizienten Aα ∈ Cd×d untersucht und eine Charakterisierung für die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit ihrer Lösungen angegeben
werden. Wir nehmen in diesem Abschnitt an, dass die Annahmen (H1) bis (H4) für auf
dem gesamten R1+n definierte Wellen u gelten.
2.1 Hyperbolizität
2.1.1 Notwendige Bedingungen
Zuerst nehmen wir an, dass Lösungen eine endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit besitzen und leiten darausfolgende Eigenschaften der Gleichung ab. Wir betrachten dazu
glatte/distributionelle Lösungen, welche zu jedem t einen kompakten Träger in x besitzen. Nach Lemma 1.2 reicht dazu kompakter Träger für ein t.
Sei dazu
Z
−n/2
u
b(t, ξ) = (2π)
e−ix·ξ u(t, x) dξ
(2.2)
die partielle Fouriertransformierte der Lösung. Diese erfüllt


X
∂t u
b=
Aα (iξ)α  u
b = G(ξ)b
u
(2.3)
|α|≤m
und damit eine mit ξ parametrisierte gewöhnliche Differentialgleichung. Das auftretende
(matrix-wertige) Polynom G(ξ) ist dabei das Symbol des Differentialoperators G. Die
Differentialgleichung (2.3) besitzt die eindeutig bestimmte Lösung
u
b(t, ξ) = etG(ξ) u
b(0, ξ),
(2.4)
dargestellt durch die Matrix-Exponentialfunktion
tG(ξ)
e
=I+
∞ k
X
t
k=1
k!
(G(ξ))k .
(2.5)
11
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Damit Eigenschaften (H1)–(H4) für die Lösungen erfüllt sind, muss das Symbol G(ξ)
gewisse Eigenschaften erfüllen. Die wichtigsten sind in folgendem Theorem zusammengefasst.
Satz 2.1. Angenommen, (2.1) erfüllt (H1)–(H4). Dann gelten die folgenden Aussagen.
1. Das charakteristische Polynom des Symbols G(ξ)
p(τ, ξ) = det(iτ I − G(ξ))
(2.6)
hat bezüglich τ denselben Grad wie bezüglich τ und ξ zusammen.
2. Die Nullstellen τ = σj (ξ) des charakteristischen Polynoms p(τ, ξ) = 0 erfüllen
| Im σj (ξ)| ≤ C,
ξ ∈ Rn .
(2.7)
3. Sei p0 (τ, ξ) der homogene Hauptteil des charakteristischen Polynoms. Dann besitzt
p0 (τ, ξ) für jedes ξ ∈ Rn nur reelle Nullstellen τ = τj (ξ).
Wir wollen die Essenz dieses Satzes zu einer Definition zusammenfassen.
Definition 2.2. Die partielle Differentialgleichung (2.1) heißt hyperbolisch, falls die
Nullstellen τ = τj (ξ) der charakteristischen Gleichung p0 (τ, ξ) = 0 für alle ξ ∈ Rn reell
sind. Sie heißt strikt hyperbolisch, falls die Nullstellen darüberhinaus für ξ 6= 0 alle
einfach sind.
Beweis von Satz 2.1. [1.] Da u(t, x) kompakten Träger besitzt, kann die Fouriertransformierte
Z
−n/2
u
b(t, ξ) = (2π)
e−ix·ξ u(t, x) dx
(2.8)
für beliebige ξ ∈ Cn definiert werden und erfüllt ebenso eine Abschätzung der Form
|b
u(t, ξ)| ≤ Ce(a+ct)| Im ξ| ,
supp u(t, ·) ⊂ Ba+ct (0).
(2.9)
Nach dem Satz von Paley–Wiener1 charakterisiert der Exponentialtyp Funktionen mit
kompaktem Träger, es gelten ebenso untere exponentielle Schranken (mit kleineren Konstanten) für entsprechende glatte Funktionen u(0, ·) mit kompaktem Träger. Zusammen
1
Zur Vollständigkeit noch aufgeführt gilt:
Satz (Paley–Wiener). Die folgenden beiden Aussagen sind äquivalent:
1. ϕ ∈ D(Rn ) mit supp ϕ ∈ Ba (0).
2. Die Fouriertransformierte ϕ
b ist analytisch zu einer ganzen Funktion auf Cn fortsetzbar und diese
erfüllt
|ϕ(ξ)|
b
≤ CN hξi−N ea| Im ξ| ,
ξ ∈ Cn
für alle N ∈ N.
12
2.1 Hyperbolizität
mit (2.4) ergibt sich daraus aber, dass alle Eigenwerte der Matrix G(ξ) (für komplexes
ξ) höchstens linear in ξ wachsen können. Also muss2
ξ ∈ iRn
|σj (ξ)| ≤ chξi,
(2.10)
mit der Konstanten c aus (H4) gelten. Schreibt man
p(τ, ξ) =
d
X
ad−ν (ξ)τ ν ,
a0 = id 6= 0,
(2.11)
ν=0
mit Polynomen aν (ξ) und nutzt die Produktzerlegung des Polynoms
d
p(τ, ξ) = i
d
Y
(τ − σj (ξ)),
(2.12)
j=1
so folgt nach Koeffizientenvergleich
|aν (ξ)| ≤ Chξiν ,
ξ ∈ iRn .
(2.13)
Damit ist das Polynom aν aber höchstens vom Grad ν in ξ und somit p(τ, ξ) Polynom
vom Grad d in n + 1 Variablen.
[2. a] Diese Aussage ist tiefer, wir formulieren sie zuerst um und beweisen die schwächere
(aber äquivalente!) Abschätzung3
| Im σj (ξ)| ≤ M log(e + |ξ|),
ξ ∈ Rn .
(2.14)
Diese Abschätzung an die Eigenwerte der Matrix G(ξ) folgen aus einer Normabschätzung
der Matrix, ebenso für die Eigenwerte exp(iσj (ξ)) von exp(G(ξ)). Wir zeigen also
keG(ξ) k ≤ ChξiM ,
ξ ∈ Rn
(2.15)
für ein M .
Dazu nutzen wir eine Korrektheitsaussage des Anfangswertproblems, die wir in folgendem Lemma formulieren.
Lemma 2.3. Angenommen, die Aussagen (H1)–(H4) gelten für die Lösungen der Glein
chung (2.1). Dann ist die Abbildung D(Rn ) 3 u(0, ·) 7→ u ∈ C∞
b ([−1, 1] × R ) stetig.
Insbesondere existieren also zu jedem Kompaktum K ⊂ Rn Konstanten C und k ∈ N,
so dass
X
|u(t, x)| ≤ C
k∂ α u(0, ·)kL∞ (K) .
(2.16)
|α|≤k
2
3
Wir nutzen hξi = (1 + |ξ|2 )1/2 ebenso für komplexes ξ.
Diese Bedingung geht auf Jaques Hadamard (1865–1963) zurück. Er zeigte ihre Notwendigkeit für
die C∞ -Korrektheit des Cauchy-Problems.
13
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Beweis. Hierzu nutzt man den Satz vom abgeschlossenen Graphen auf dem Fréchetraum4
C∞
b versehen mit dem System von Seminormen der gleichmäßigen Konvergenz aller Ableitungen.
n
Sei K ⊂ Rn kompakt. Die Zuordnung DK (Rn ) 3 u(0, ·) 7→ u ∈ C∞
b ([−1, 1] × R )
n
ist linear und auf dem gesamten DK (R ) definiert. Wir betrachten weiterhin eine Folge
fn aus DK (Rn ), welche gegen f ∈ DK (Rn ) konvergiert und nehmen an, dass auch die
n
zugeordneten Wellen un (t, ·) mit un (0, ·) = fn in C∞
b (R ) konvergieren. Da die un die
Gleichung (2.1) erfüllen und dies eine Differentialgleichung ist, gilt für die Grenzfunktion
ebenso (2.1). Ist nun w die zur f zugeordnete Welle, so haben sowohl u als auch w für
jedes feste t kompakten Träger. Da beide die Differentialgleichung lösen (und nach diese
Lösung wegen der Darstellung (2.4) eindeutig ist), folgt u = w. Damit ist aber nach dem
Satz vom abgeschlossenen Graphen die Zuordnung schon stetig.
Insbesondere folgt, dass sich die Seminorm supt,x |u(t, x)| durch endlich viele Seminormen der Daten u(0, ·) in DK (Rn ) abschätzen lassen und das Lemma ist bewiesen.
Wir führen den Beweis der Abschätzung (2.15) indirekt. Sei dazu K ein Kompaktum
und u(0, ·) ∈ DK (Rn ) beliebig. Angenommen, die obige Abschätzung gelte nicht. Dann
wäre die Zuordnung u(0, ·) 7→ u(1, ·) für kein s und M stetig als Abbildung Hs+M (Rn ) →
Hs (Rn ) fortsetzbar. Andererseits liefert obiges Lemma zusammen mit dem Sobolevschen
Einbettungssatz aber gerade stetige Abbildungen
k+n/2+
H0
(K) → Ckb (K) → Cb (Kc ) → L2 (Kc ),
Kc =
[
Bc (x).
x∈K
Aus diesen (und der Translationsinvarianz unseres Problems) folgt aber gerade die Stetigkeit als Abbildung Hk+n/2+ (Rn ) → L2 (Rn ). Widerspruch.
[2. b] Wir zeigen, dass die logarithmische Abschätzung schon die gleichmäßige Schranke
impliziert. Entscheidend ist dabei die Struktur algebraischer Funktionen. Wir nutzen
folgendes auf Lars Gårding5 zurückgehendes Argument. Er zeigte
Lemma 2.4. Sei p(τ, ξ1 , . . . , ξn ) ein komplexes Polynom, so dass sein Grad in τ unabhängig von ξ1 , . . . , ξn ist. Sei weiter M (s) der maximale Realteil der Nullstellen τ =
σj (ξ) von p(τ, ξ) = 0 für maxj |ξj | ≤ s und ξ reell. Dann gilt für hinreichend große s
entweder M (s) = 0 oder
M (s) = asb (1 + o(1)),
s→∞
mit a 6= 0 reell und b rational.
4
Der Raum ist vollständig und seine Topologie wird durch ein abzählbares System von Seminormen
erzeugt. Ebenso ist für festes K der DK (Rn ) = {f ∈ D(Rn ) : supp f ⊆ K} abgeschlossener Teilraum
des Fréchet-Raumes C∞
b (K). Da Fréchet-Räume metrisierbar sind gelten die Folgerungen aus dem
Baireschen Kategoriensatz, wie zum Beispiel der Satz vom abgeschlossenen Graphen.
5
Lars Gårding: Linear Hyperbolic Partial Differential Equations with Constant Coefficients, Acta Mathematica 85 (1951) 1–62, Chapter 1
14
2.1 Hyperbolizität
Beweis. Sei Mn = Mn (ξ1 , . . . , ξn ) das Maximum der Beträge der Realteile der Nullstellen
bei festem ξ und analog Mk = Mk (ξ1 , . . . , ξk , s) = max|ξk+1 ,...,ξn |≤s Mn (ξ1 , . . . , ξn ). Diese
Funktionen sind offenbar stetig in allen Variablen.
Wir nennen ein Polynom q ∈ R[ζ1 , . . . , ζl ] primitiv bezüglich ζ1 , falls es keine echten
von ζ1 unabhängigen Faktoren besitzt. Wir bezeichnen weiter mit Ak die Menge aller
Polynome q ∈ R[ζ0 , . . . , ζk+1 ], q 6= 0, mit
q(Mk , ξ1 , . . . , ξk , s) = 0
(2.17)
für Mk = Mk (ξ1 , . . . , ξk , s), ξ1 , . . . , ξk ∈ R, s ≥ 0 und ohne echte Faktoren mit derselben
Eigenschaft. Alle solchen Polynome sind primitiv bezüglich τ . Wären sie es nicht, so
gäbe es eine Faktorisierung q = q1 q2 mit q1 unabhängig von Mk . Damit wäre aber
q2 (Mk , ξ1 , . . . , ξk , s) = 0 an allen Stellen mit q1 (Mk , ξ1 , . . . , ξk , s) 6= 0. Da diese Stellen
aber dicht in der Menge aller s ≥ 0 sind und Mk stetig von s abhängt, gilt (2.17) für
alle Variablen und q1 wäre konstant. Also ist q primitiv.
An enthält mindestens ein Element. Es gibt ein reelles Polynom q ∈ R[ζ0 , . . . , ζn ],
q 6= 0, welches an den Stellen ζj = ξj , j = 1, . . . , n, und ζ0 = 21 (ti + tj ), i, j = 1, . . . , m,
verschwindet, wobei die tj gerade die Nullstellen des Polynoms q(τ, ξ1 , . . . , ξn ) = 0 sind.
Damit muss aber mindestens einer der Faktoren von q in An liegen.
Sei nun k > 0 und q ∈ Ak . Wir zeigen, dass es damit auch ein Element in Ak−1 gibt.
Wir unterscheiden dazu einige Fälle. Gilt qk = ∂q/∂ζk = 0, so ist q(Mk , ξ1 , . . . , ξk , s)
unabhängig von ξk . Damit ist aber Mk unabhängig von ξk und q liegt schon in Ak−1 .
Gilt andererseits qk 6= 0 und sei ξk0 so gewählt, dass Mk−1 = Mk (ξ1 , . . . , ξk−1 , ξk0 , s) gilt.
Dann ist entweder |ξk0 | = s, gilt also
q(Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , ±s, s) = 0
(2.18)
und wir haben ein Element von Ak−1 , oder |ξk0 | < s. In letzterem Fall bezeichnen wir die
Werte von ∂q/∂ζ0 und qk in ζ0 = Mk−1 , ζ1 = ξ1 ,. . . , ζk = ξk0 und ζk+1 = s als c1 und c2 .
Gilt dann nicht c1 = c2 = 0, so besitzt die Kurve mit Punkten (ξk , Mk ), |ξk | < s, eine
Tangente im Punkt (ξk0 , Mk−1 ) (Satz über die implizite Funktion) und, da Mk ≤ Mk−1
gilt, muss diese parallel zur ξk -Achse sein. Damit ist aber c2 = 0 und es folgt
q(Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , ξk0 , s) = 0
(2.19)
qk (Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , ξk0 , s)
(2.20)
= 0.
Gilt c1 = c2 = 0, so gelten diese Gleichungen ebenso. Damit ist aber ζk = ξk0 mindestens
doppelte Nullstelle von q (betrachtet als Polynom in ζk und mit Koeffizienten aus dem
Quotientenkörper Q des Rings R[ζ0 , . . . , ζk−1 , ζk+1 ]). Sei nun r die Diskriminante von
q bezüglich ζk , also das Produkt über die Differenzen der (komplexen) Nullstellen von
q bezüglich ζk . Diese ist ein Polynom (da sie als Resultante von p und pk dargestellt
werden kann) und gehört damit zu R[ζ0 , . . . , ζk−1 , ζk+1 ]. Da ξk0 mehrfache Nullstelle ist,
gilt
r(Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , s) = 0.
(2.21)
15
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Wir zeigen, dass r 6= 0. Angenommen, r = 0. Da q von ζk abhängt, wäre q = q12 q2 mit
Faktoren aus Q[ζk ] und q1 abhängig von ζk . Nach Multiplikation mit Elementen aus
Q kann man diese Zerlegung auch mit Faktoren aus R[ζ0 , . . . , ζk+1 ] erhalten und damit
folgt, dass q = q12 q2 einen eigentlichen Faktor enthält. Dies widerspricht der Definition
von Ak , also gilt r 6= 0.
Seien nun q ± = q(Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , ±s, s). Dann gilt q ± 6= 0 (dies hätte Faktoren
der Form ξk ± s zur Folge, womit q nicht primitiv bezüglich ζ0 wäre) und somit ist
q̃ = q + q − r 6= 0 und nach Konstruktion gilt q̃(Mk−1 , ξ1 , . . . , ξk−1 , s) = 0. Es besitzt
mindestens einen Faktor in Ak−1 und Ak−1 6= ∅.
Also gibt es ein Element q ∈ A0 und wegen M (s) = M0 (s) gilt q(M (s), s) = 0, s ≥ 0.
Da wir nun Polynome in einer Variablen haben, folgt die Darstellung von M (s) durch
eine Puisseux-Reihe für s → ∞. Also gilt entweder M (s) ≡ 0 oder wir haben eine
Darstellung
M (s) = asb (1 + o(1)),
s→∞
(2.22)
mit reellem a 6= 0 und rationalem b und das Lemma ist gezeigt.
[3.] Dies folgt aus [2.] zusammen mit dem Satz von Rouché6 . Sei dazu τj (ξ) eine Nullstelle
von p0 (τ, ξ) für ein festes ξ ∈ Rn \ {0}. Wegen der Homogenität folgt τj (λξ) = λτj (ξ).
Weiterhin ist p(τ, ξ) − p0 (τ, ξ) vom totalen Grad d − 1, es gilt also
|λ−d p(λτ, λξ) − p0 (τ, ξ)| ≤ Cλ−1 (|τ |2 + |ξ|2 )(d−1)/2
(2.23)
für |τ |2 + |ξ|2 ≥ 1, τ beliebig komplex. Wählt man nun einen hinreichend kleinen Kreis
mit Radius r um die Nullstelle τj (ξ), so dass auf dessen Rand |p0 (τ, ξ)| ≥ δ > 0 für
ein δ gilt, so ist die Differenz (2.23) für große λ kleiner als δ und der Satz von Rouché
impliziert die Existenz einer Nullstelle σ̃j (ξ) im Innern des Kreises τj (ξ) + rD,
λ−d p(λσ̃j (ξ), λξ) = 0.
(2.24)
Wir haben also (für obiges feste ξ) eine Nullstelle des charakteristischen Polynoms
σj (λξ) = λσ̃j (ξ) ∈ λτj (ξ) + rλD
(2.25)
gefunden. Angenommen, τj (ξ) wäre nicht reell. Dann folgt aber für große λ und mit der
oben noch offen gelassenen Wahl von r < | Im τj (ξ)|/2
1
| Im σj (λξ)| ≥ λ| Im τj (ξ)| ≥ c|λξ|
2
(2.26)
im Widerspruch zu Aussage [2.]
6
Der Vollständigkeit halber sei dieser noch aufgeführt:
Satz (Rouché). Seien f und g zwei auf einem beschränkten Gebiet U ⊂ C holomorphe Funktionen.
Gilt dann |g(z)| < |f (z)| auf ∂U , so haben f und f + g dieselbe Anzahl Nullstellen in U .
Der Satz folgt direkt aus dem Argumentprinzip, die Zahl der Nullstellen ist bis auf einen Faktor
die Variation des Arguments arg f (z) entlang ∂U . Weiter ist arg(f (z) + g(z)) nach Voraussetzung
stetig in für || ≤ 1 und damit auch die Zahl der Nullstellen von f (z) + g(z) in U . Als stetige
N-wertige Funktion ist diese damit konstant.
16
2.1 Hyperbolizität
2.1.2 Beispiele
Nachfolgend einige Beispiele.
Beispiel 2.1. Die skalare Wellengleichung selbst sollte als Beispiel nicht fehlen. Sei dazu
d = 2 und das System
ut = v,
2
vt = c
n
X
∂x2j u = c2 ∆u
(2.27)
j=1
gegeben. Elimination von v liefert die lineare Wellengleichung
utt − c2 ∆u = 0
(2.28)
mit Ausbreitungsgeschwindigkeit c. Das charakteristische Polynom des Systems ist
0
1
p(τ, ξ) = p0 (τ, ξ) = − det τ I −
= −τ 2 + c2 |ξ|2
(2.29)
−|ξ|2 0
und hat damit die Wurzeln
τ± (ξ) = ±c|ξ|.
(2.30)
Diese sind für ξ 6= 0 verschieden, die Gleichung also strikt hyperbolisch.
Beispiel 2.2. Seien Aj ∈ Cd×d für j = 1, . . . n selbstadjungiert und B ∈ Cd×d beliebig.
Dann liefert der Operator
n
X
G(Dx ) =
Aj ∂xj + B
(2.31)
j=1
ein hyperbolisches System ∂t u = G(D)u. Ein System dieser Form heißt symmetrisch
hyperbolisches System erster Ordnung. Für dieses gilt
p0 (τ, ξ) = id det(τ I −
n
X
ξ j Aj )
(2.32)
j=1
und die Selbstadjungiertheit der Matrizen Aj impliziert gerade, dass p0 (τ, ξ) = 0 für
reelle ξ nur reelle Lösungen besitzt. Ein solches System ist also (wie der Name schon
vermuten lässt) hyperbolisch.
Beispiel 2.3. Das System der beiden Maxwell-Gleichungen
∂t E = ∇ × B,
∂t B = −∇ × E
(2.33)
im R3 besitzt (ohne Hinzunahme der Gauss’schen Gesetze) das charakteristische Polynom


τ
ξ3 −ξ2

τ
−ξ3
ξ1 




τ
ξ2 −ξ1

.
(2.34)
p(τ, ξ) = p0 (τ, ξ) = det 

−ξ
ξ
τ
3
2



 ξ3
−ξ1
τ
−ξ2 ξ1
τ
17
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Dieses besitzt (da symmetrisch) für reelle ξ nur reelle Nullstellen. Damit ist das angegebene System symmetrisch hyperbolisch. Es ist nicht strikt hyperbolisch, Eigenunterräume
sind auf Grund der Blockstruktur mindestens zweidimensional.
Beispiel 2.4. Gleichungen, welche elastische Verformungen von Festkörpern beschreiben sind hyperbolisch. Ist der Festkörper homogen und isotrop, so ist die entstehende
Gleichung für die (vektorwertige) Verschiebung von Punkten
utt − µ∆u − (λ + µ)grad div u = 0.
(2.35)
Dies ist das Lamé-System mit Parametern λ und µ. Nimmt man beide als positiv an, so
ist das entsprechend zugeordnete System erster Ordnung
u
0
I
u
=
(2.36)
∂t
ut
µ∆ + (λ + µ)grad div 0
ut
hyperbolisch mit den Wurzeln
√
τ1,± (ξ) = ± µ |ξ|,
p
τj,± (ξ) = ± λ + 2µ |ξ|,
j = 2, 3.
(2.37)
Da zwei der Wurzeln jeweils doppelt auftreten, ist das Lamé-System nicht strikt hyperbolisch.
P
Beispiel 2.5. Sei p(τ, ξ) ein Polynom vom Grad d dargestellt als p(τ, ξ) = dk=0 τ k qd−k (ξ)
mit Polynomen q` (ξ) vom Grad ` und q0 (ξ) = 1. Dann ist durch die Begleitmatrix


0
1


..
..


.
.
G(ξ) = 
(2.38)



0
1
−qd (ξ) · · · −q2 (ξ) −q1 (ξ)
ein Differentialoperator G(Dx ) bestimmt, so dass p(τ, ξ) gerade das charakteristische
Polynom des Systems ∂t u = G(Dx )u ist.
Der Zusammenhang zwischen hyperbolischen Systemen und hyperbolischen Polynomen ist tiefer als er auf dem ersten Blick erscheinen mag. Es gilt folgender Satz.
Lemma 2.5. Gelte ∂t u = G(Dx )u. Dann erfüllen alle Komponenten ui von u die skalare
Gleichung p(Dt , Dx )ui = 0 mit p(τ, ξ) = det(iτ I − G(ξ)).
Beweis. Sei Gi die i-te Zeile aus G. Dann gilt
∂t u
bi = Gi (ξ)b
u,
···
∂tk u
bi = Gi (ξ)G(ξ)k−1 u
b
···
(2.39)
P
Sei p(τ, ξ) = dk=0 τ k qd−k (ξ) = det(iτ − G(ξ)) das charakteristische Polynom von G(ξ).
Dann gilt nach dem Satz von Cayley-Hamilton
d
X
(−iG(ξ))k qd−k (ξ) = 0.
k=0
18
(2.40)
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
Also folgt (nach Multiplikation mit (· · · , 0, 1, 0, · · · ) und dem Einsetzen von (2.39))
d
X
qd−k (ξ)(−i∂t )k u
bi = 0.
(2.41)
k=0
Das ist aber gerade die Behauptung p(Dt , Dx )ui = 0.
Bemerkung: Hier wird wesentlich genutzt, dass man mit Differentialoperatoren wie mit
Matrizen rechnen kann. Der Zusammenhang ist für Operatoren mit variable Koeffizienten
falsch.
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
2.2.1 C∞ -Korrektheit
Nun zeigen wir, dass strikt hyperbolische partielle Differentialgleichungen die Eigenschaften (H1)–(H4) besitzen. Statt dem Problem (2.1) betrachten wir zuerst nur das
zugeordnete charakteristische Polynom p(τ, ξ) = det(iτ I − G(ξ)).
Definition 2.6. Sei p ∈ C[τ, ξ1 , . . . , ξn ] ein Polynom vom Grad d und p0 (τ, ξ) sein
homogener Hauptteil. Wir sagen, p(τ, ξ) ist strikt hyperbolisch, falls
p0 (τ, 0) 6= 0,
τ ∈ R \ {0}
(2.42)
p0 (τ, ξ) = 0,
ξ ∈ Rn \ {0}
(2.43)
gilt und die Gleichung
d paarweise verschiedene reelle Nullstellen τ = τj (ξ), j = 1, . . . , d, besitzt. Diese werden
als charakteristische Wurzeln des strikt hyperbolischen Polynoms p bezeichnet.
Da p0 homogen ist, sind die charakteristischen Wurzeln homogen in ξ. Es gilt also
τj (λξ) = λτj (ξ) für alle λ > 0. Darüberhinaus bestimmen die charakteristischen Wurzeln
das Verhalten der Nullstellen des Polynoms für große reelle ξ. Es gilt der nachfolgende
Satz.
Satz 2.7 (Hauptsatz über strikt hyperbolische Polynome). Sei p strikt hyperbolisches
Polynom.
1. Die charakteristischen Wurzeln τj (ξ) sind positiv homogen in ξ, τj (λξ) = λτj (ξ),
und ihre Einschränktung auf die Einheitskugel τj : Sn−1 → R sind glatt.
2. Für die Nullstellen τ = σj (ξ) des Polynoms p(τ, ξ) gilt
σj (ξ) = |ξ|τj (ξ/|ξ|) +
N
−1
X
|ξ|−k µj,k (ξ/|ξ|) + O(|ξ|−N ),
|ξ| → ∞,
(2.44)
k=0
bei geeigneter Zuordnung der Indices und mit glatten Funktionen µj,k : Sn−1 → C.
19
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Beweis. [1.] Da die Nullstellen alle einfach sind, folgt die Glattheit direkt aus dem Satz
über die implizite Funktion.
[2.] Die Beweisidee7 ist wie folgt: Wir ordnen dem Polynom p(τ, ξ) eine Matrix L(ξ)
mit charakteristischem Polynom p zu. Danach konstruieren wir rekursiv eine Folge von
Matrizen, welche die Matrix bis auf einen Fehler der Ordnung O(|ξ|−N ) diagonalisieren
und nutzen ein elementares Störungsresultat für Eigenwerte um daraus die gesuchte
asymptotische Entwicklung
abzuleiten.
P
Sei dazu p(τ, ξ) = dk=0 τ d−k |ξ|k qk (ξ) mit Polynomen |ξ|k qk (ξ). Wir schreiben letzP
tere noch als Summe homogener Komponenten, also qk (ξ) = k`=0 |ξ|−` qk,` (ξ), wobei
qk,` (λξ) = qk,` (ξ) für λ > 0. Dann ist p(τ, ξ) (bis auf einen konstanten Faktor) gerade
das charakteristische Polynom der Begleitmatrix


0
1


..
..


.
.
L(ξ) = |ξ| 
(2.45)
 ∈ Cd×d .

0
1 
−qd (ξ) · · · −q2 (ξ) −q1 (ξ)
Nutzt man die Zerlegung qk in homogene Komponenten, so erhält man die Darstellung
L(ξ) = |ξ|L0 (ξ) + L1 (ξ) + · · · + |ξ|1−d Ld (ξ)
(2.46)
mit homogenen Matrizen Lk (λξ) = Lk (ξ). Nach Konstruktion sind diese glatte Funktionen Lk : Sn−1 → Cd×d . Weiter sind die Eigenwerte von L0 (ξ) gerade die als verschieden
vorausgesetzten charakteristischen Wurzeln τj (ξ/|ξ|).
Schritt 1: Die Matrix L0 (ξ) hat nur einfache Eigenwerte und ist damit diagonalisierbar.
Den Diagonalisator M (ξ) kann man dabei als glatte Funktion8 auf Sn−1 wählen und
M (ξ)−1 ist ebenso glatt. Wir setzen M homogen fort, M (λξ) = M (ξ), λ > 0.
Damit genügt es
−1
M (ξ)
L(ξ)M (ξ) = |ξ| diag(τ1 (ξ), . . . , τn (ξ)) +
d
X
|ξ|1−k L̃k (ξ)
(2.47)
k=1
zu betrachten. Wir können im folgenden also OBdA annehmen, dass L0 (ξ) eine Diagonalmatrix ist.
Schritt 2: Wir konstruieren rekursiv Matrizen Nk (ξ), Nk (λξ) = Nk (ξ), λ > 0, so dass
L(ξ)(I +
k
X
`=1
|ξ|−` N` (ξ)) = (I +
k
X
`=1
|ξ|−` N` (ξ))(|ξ|L0 (ξ) +
k
X
|ξ|1−k D` (ξ)) + O(|ξ|−k )
`=1
(2.48)
7
Der Beweis ist so aus
K. Jachmann, J. Wirth: Diagonalisation schemes and applications, Annali di Matematica
189 (2010) 571–590
entnommen.
8
Die Eigenunterräume bilden ein glattes komplex eindimensionales Vektorbündel auf Sn−1 . Ein solches
besitzt stets einen nirgends verschwindenden glatten Schnitt und aus diesen Schnitten kann man
den Diagonalisator zusammensetzen. Für reell eindimensionale Vektorbündel wäre das auf der S2 im
allgemeinen falsch!
20
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
mit noch zu bestimmenden diagonalen Matrizen Dk (ξ), mit Dk (λξ) = Dk (ξ), λ > 0, gilt.
Speziell für k = 1 benötigen wir also D1 und N1 , so dass
(|ξ|L0 (ξ) + L1 (ξ))(I + |ξ|−1 N1 (ξ)) = (I + |ξ|−1 N1 (ξ))(|ξ|L0 (ξ) + D1 (ξ)) + O(|ξ|−1 ) (2.49)
gilt. Nutzt man jetzt, dass L0 diagonal ist, so ist dies äquivalent zu
L0 (ξ)N1 (ξ) − N1 (ξ)L0 (ξ) = D1 (ξ) − L1 (ξ).
(2.50)
Die Einträge des Kommutators auf der linken Seite sind dabei aber gerade die Einträge von N1 (ξ) an der Stelle i, j multipliziert mit τj (ξ) − τi (ξ). Damit stehen auf der
Diagonalen gerade Nullen und es folgt
D1 (ξ) = diag L1 (ξ).
(2.51)
Weiter sind die nichtdiagonalen Einträge von N1 (ξ) eindeutig bestimmt als Quotienten
der Einträge von L1 (ξ) und der Differenz τj (ξ) − τi (ξ). Wir setzen die Diagonaleinträge
als Nullen fest.
Das Vorgehen für k > 1 ist ähnlich. Sei dazu
B̃k (ξ) = L(ξ)(I+
k−1
X
`=1
|ξ|−` N` (ξ))−(I+
k
X
|ξ|−` N` (ξ))(|ξ|L0 (ξ)+
`=1
k−1
X
|ξ|1−k D` (ξ)) (2.52)
`=1
der Fehlerterm aus dem (k − 1)-ten Schritt. Nach Konstruktion ist B̃k glatt in ξ 6= 0
und erfüllt B̃k (ξ) = O(|ξ|1−k ). Wir bezeichnen mit Bk (ξ) den homogenen Anteil mit
B̃k (ξ) = |ξ|1−k Bk (ξ) + O(|ξ|−k ). Dieser ist ebenso glatt und liefert Gleichungen für
Nk (ξ). Damit (2.48) für k gilt, muss
L0 (ξ)Nk (ξ) − Nk (ξ)L0 (ξ) = Dk (ξ) − Bk (ξ)
(2.53)
erfüllt sein. Dann muss aber wiederum Dk = diag Bk gelten und die nichtdiagonalen
Einträge von Nk sind eindeutig bestimmt. Die Diagonaleinträge setzen wir wieder als 0
fest.
P
Schritt 3: Für große |ξ| ist die Matrix (I + k`=1 |ξ|−` N` (ξ) als kleine Störung der
Einheitsmatrix invertierbar und die Inverse von der Form I + O(|ξ|−1 ). Damit ist die
Matrix L(ξ) aber ähnlich zu einer kleinen Störung einer Diagonalmatrix9 . Da die Störung
viel kleiner ist als die Differenz der Eigenwerte τj , folgt die Aussage mit den Einträgen
von Dk (ξ)
Dk (ξ) = diag(µ1,k (ξ), . . . , µd,k (ξ))
(2.54)
als Koeffizienten der asymptotischen Entwicklung.
Eine erste Folgerung ist die C∞ -Korrektheit strikt hyperbolischer Systeme.
9
Diagonalmatrizen sind normal. Damit liegen die Eigenwerte von L(ξ) in Kreisen mit Radius kB̃k (ξ)k
um die Diagonaleinträge.
21
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Folgerung 2.8. Angenommen, (2.1) ist strikt hyperbolisch. Dann existiert zu jedem
u0 ∈ D(Rn ) eine eindeutig bestimmte Lösung u ∈ C∞ (R; S (Rn )).
Beweis. Die Lösung ist durch
u
b(t, ξ) = etG(ξ) u
b0 (ξ)
(2.55)
bestimmt und es genügt diese für große ξ abzuschätzen. Dort sind nach obigem Satz
aber die Eigenwerte iσj (ξ) von G(ξ) aber paarweise verschieden und somit die Lösung
als
d
X
u
b(t, ξ) =
eitσj (ξ) Pj (ξ)b
u0 (ξ),
|ξ| 1,
(2.56)
j=1
mit zugeordneten Eigenprojektoren Pj (ξ) schreibbar. Letztere sind darstellbar als
Y G(ξ) − iσi (ξ)
iσj (ξ) − iσi (ξ)
(2.57)
||Pj (ξ)|| ≤ Chξi(d−1)(m−1)
(2.58)
Pj (ξ) =
i6=j
und damit polynomial beschränkt,
mit d der Dimension des Systems und m der Ordnung von G. Weiter gilt | Im σj (ξ)| =
|µj,1 (ξ/|ξ|)| + O(|ξ|−1 ) und exp(itσj (ξ)) ist für festes t gleichmäßig beschränkt. Damit
ist aber u
b(t, ·) eine Schwartz-Funktion und die Behauptung folgt.
2.2.2 Endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit
In einem nächsten Schritt soll nun die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit der so konstruierten Lösungen gezeigt werden. Dazu nutzen wir folgende den bereits zitierten Satz
von Paley–Wiener verschärfende Aussage.
Satz 2.9 (Paley–Wiener).
1. Sei f ∈ D(Rn ) und sei K = supp f . Dann ist die Fouriertransformierte fb(ξ) analytisch auf Cn fortsetzbar und es gilt für alle N
|fb(ξ)| ≤ CN hξi−N esK (Im ξ) ,
ξ ∈ Cn
(2.59)
mit einer Konstanten CN und der Stützfunktion
sK (ξ) = sup x · ξ
(2.60)
x∈K
des Trägers K.
2. Sei s : Rn → R mit s(λξ) = λs(ξ), λ > 0. Angenommen, die Fouriertransformierte
einer temperierten Distribution f ist analytisch zu einer ganzen Funktion auf Cn
fortsetzbar und diese erfüllt
|fb(ξ)| ≤ ChξiN es(Im ξ) ,
22
ξ ∈ Cn
(2.61)
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
Abbildung 2.1: Definition der Stützfunktion sK (ξ) = supx∈K x · ξ einer Menge K
für ein C und N , so gilt
\
supp f ⊂
{x · ξ ≤ s(ξ)}.
(2.62)
ξ∈Rn
Beweis. [1.] Für f ∈ D(Rn ) mit kompaktem Träger supp f = K gilt
Z
fb(ξ) = (2π)−n/2
e−ix·ξ f (x) dx, ξ ∈ Rn .
(2.63)
K
Da K kompakt ist, ist e−ix·ξ für beliebiges ξ ∈ Cn beschränkt auf K und somit existiert das Integral auch für beliebige ξ ∈ Cn . Da weiterhin die Voraussetzungen für das
Vertauschen von Ableitung und Integral erfüllt sind, ist fb(ξ) (reell) differenzierbar und
erfüllt koordinatenweise das Cauchy–Riemann-System. Damit ist fb ganz in ξ ∈ Cn .
Es bleibt die Abschätzung zu zeigen. Zunächst gilt für beliebiges ξ ∈ Cn
Z
|fb(ξ)| ≤ (2π)−n/2
|f (x)| dx sup |e−ix·ξ | = Cesup x·Im ξ
(2.64)
K
x∈K
und mit der Definition der Stützfunktion sK (ξ) = supx∈K x·ξ folgt die erste Abschätzung
|fb(ξ)| ≤ CesK (Im ξ) .
(2.65)
Da weiter auch ∂ α f ∈ D(Rn ) mit supp ∂ α f ⊂ K gilt, folgt analog
|ξ α fb(ξ)| ≤ Cα esK (Im ξ) .
(2.66)
23
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
und somit die erste Aussage.
[2.] Sei nun f ∈ S 0 (Rn ) und fb(ξ) analytisch fortsetzbar auf Cn und gelte (2.61). Sei
weiter η ∈ Cn , η 6= 0 beliebig. Wir zeigen, dass supp f ⊂ {x · η ≤ s(η)}. Sei dazu
ϕ ∈ D(Rn ) eine Testfunktion mit Träger im Komplement dieses Halbraums, d.h. gelte
inf
y∈supp ϕ
y · η ≥ s(η) + δ
(2.67)
mit einem δ > 0. Dann gilt
Z
hf, ϕi = hfb, ϕ(−·)i
b
=
Rn
fb(ξ)ϕ(−ξ)
b
dξ.
(2.68)
Wir wollen den Integralsatz von Cauchy verwenden und die Integrationshyperebene um
iλη, λ > 0, verschieben und
Z
hf, ϕi =
fb(ξ + iη)ϕ(−ξ
b
− iη) dξ.
(2.69)
Rn
abschätzen. Die nachfolgenden Abschätzungen begründen ebenso die Anwendbarkeit des
Integralsatzes. Es gilt (mit hξ + iηi ≥ hξi und der passenden Wahl der polynomialen
Schranke für ϕ)
b
Z
|hf, ϕi| ≤ C
hξi−n−1 eλs(η) e−λs(η)−λδ dξ ≤ C 0 e−λδ → 0,
λ → ∞.
(2.70)
Rn
Da ϕ beliebig war, folgt dass f im Halbraum {x · η ≤ s(η)} getragen sein muss. Da η 6= 0
beliebig war folgt die Aussage des Satzes.
Man kann den Satz von Paley–Wiener auf die Lösungsdarstellung hyperbolischer partieller Differentialgleichungen anwenden. Wir betrachten das strikt hyperbolische Anfangswertproblem
X
∂t u =
Aα ∂xα u = G(D)u,
u(0, ·) = u0 ,
(2.71)
|α|≤m
unter der Annahme, dass der Grad der Matrixeinträge
deg G(ξ)i,j ≤ 1 + si − sj
(2.72)
für eine Folge von Zahlen (Gewichten) s1 , . . . , sd erfüllt. Dann ist für ξ 6= 0 die Matrix
G(ξ) ähnlich zu
e
G(ξ)
= diag(hξi−s1 , . . . , hξi−sd ) G(ξ) diag(hξis1 , . . . , hξisd )
(2.73)
e
und nach Konstruktion kG(ξ)k
≤ M hξi ≤ M (1 + |ξ|). Damit gilt aber
ketG(ξ) k ≤ CeM |ξ|
(2.74)
und nach dem Satz von Paley–Wiener folgt die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit
der Lösungen (mit grober Schranke M an die Geschwindigkeit).
24
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
Folgerung 2.10. Strikt hyperbolische Anfangswertprobleme erfüllen (H4).
Wir wollen dies genauer machen. Sei dazu τmax (ξ) die größte der charakteristischen
Wurzeln und KG (t, ·) ∈ S 0 (Rn ; Cd×d ) die Fundamentallösung des hyperbolischen Systems,10
n/2 tG(ξ)
d
K
e
.
(2.75)
G (t, ξ) = (2π)
Die Fundamentallösung KG ist also eine d×d Matrix mit temperierten Distributionen als
Einträgen und nach Konstruktion gilt für die Lösung u(t, ·) zu Daten u0 die Darstellung
u(t, ·) = KG (t, ·) ∗ u0 , wobei die Faltung im Sinne eines Matrixprodukts zu interpretieren
ist.
Folgerung 2.11. Angenommen (2.1) ist strikt hyperbolisch. Dann gilt
supp KG ⊂ {(t, x) ∈ R1+n : ∀ξ ∈ Rn
x · ξ ≤ τmax (−tξ)}
(2.76)
und (2.1) besitzt damit endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit ≤ supξ∈Sn−1 τmax (ξ).
Beweis. Wir zeigen dies komponentenweise. Da etG(ξ) offenbar (als Potenzreihe im Cn )
analytisch in ξ ∈ Cn ist, kann man auf alle Matrixeinträge den Satz von Paley–Wiener
anwenden. Dazu benötigen wir eine möglichst scharfe Wachstumsschranke für die wir
das Phragmen–Lindelöf Prinzip11 nutzen wollen.
Für festes t und reelle ξ gilt die polynomiale Abschätzung
ketG(ξ) k ≤ chξiN .
(2.77)
Sei nun für reelle ξ, η ∈ Rn und z ∈ C
h(z) =
1
etG(ξ+zη ).
c(z + i)N
(2.78)
Dann ist diese Funktion holomorph in Im z > 0 und stetig in Im z ≥ 0. Für rein reelle
z ist sie nach Konstruktion beschränkt, kh(z)k ≤ 1, z ∈ R. Weiter gilt für große rein
10
11
Die Konstante ergibt sich aus dem Faltungssatz f[
∗ g(ξ) = (2π)n/2 fb(ξ)b
g (ξ).
Wir zitieren zur Vollständigkeit den Satz aus der Funktionentheorie. Es gilt
Satz (Phragmen–Lindelöf). Sei f : C+ → C holomorph auf C+ = {z ∈ C : Im z > 0} und stetig auf
dem Abschluss und gelte |f (x)| ≤ 1 für x ∈ R zusammen mit
1−
|f (z)| ≤ Cec|z|
für ein > 0. Dann folgt |f (z)| ≤ 1 auf C+ .
Speziell für die Viertelräume C+± = {z ∈ C : Im z > 0, ± Re z > 0} ergibt sich daraus zusammen
mit der Nichtexistenz lokaler Maxima
Satz (Phragmen–Lindelöf-Prinzip). Sei f : C+ → C holomorph und stetig auf dem Abschluss. Gilt
dann |f (x)| ≤ 1 für x ∈ R und |f (iy)| ≤ ecy für y 1 groß, sowie eine exponentielle Schranke
2−
|f (z)| ≤ M eC|z| , so folgt |f (z)| ≤ ec Im z für alle z ∈ C+ .
25
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
imaginäre z, dass die Eigenwerte von G(ξ + zη) von der Form izτj (η) + O(1) sind (analog
zu Satz 2.7). Damit folgt
kh(iz)k ≤
chzηiN −zτmax (tη)
e
≤ e−zτmax (tη) ,
c(1 + z)N
z 1.
(2.79)
Weiter gilt für alle z ∈ C+ die grobe exponentielle Schranke kh(z)k ≤ CeM |z| . Damit
liefert aber das Phragmen–Lindelöf Prinzip für alle z ∈ C+
kh(z)k ≤ eτmax (−tη) Im z
(2.80)
und speziell mit z = i folgt die Behauptung.
2.2.3 Energieabschätzungen
Wir betrachten das strikt hyperbolische Problem ∂t u = G(D)u mit Anfangsdaten u(0, ·) =
u0 . Wir wissen schon, dass das Problem C∞ -Korrekt ist und ebenso kennen wir eine
Charakterisierung der Ausbreitungsgeschwindigkeit, es gelten also Eigenschaften (H1)—
(H4). Darüberhinaus gelten Energieabschätzungen. Diese ergeben sich für Probleme mit
konstanten Koeffizienten direkt aus der angegebenen Konstruktion der Lösung.
Seien also iσj (ξ) die Eigenwerte der Matrix G(ξ), |ξ| 1, und seien weiter
Pj (ξ) =
Y G(ξ) − iσi (ξ)
iσj (ξ) − iσi (ξ)
(2.81)
i6=j
die zugeordneten Eigenprojektoren. Mit diesen kann man die Matrix
X
H(ξ) =
Pj (ξ)∗ Pj (ξ),
|ξ| 1,
(2.82)
j
bilden. Die Matrix H bildet einen Symmetrisierer des hyperbolischen Systems, d.h. es
gilt:
Lemma 2.12. Es gibt eine Konstante c, so dass
Re(H(ξ)G(ξ)) − cH(ξ) ≤ 0
(2.83)
gilt.
Beweis. Einsetzen der Definition liefert (da G(ξ) und Pj (ξ) kommutieren)
X
X
H(ξ)G(ξ) =
Pj (ξ)∗ G(ξ)Pj (ξ) =
iσj (ξ)Pj (ξ)∗ Pj (ξ)
j
∗
∗
G(ξ) H(ξ) =
j
X
j
∗
∗
G(ξ) Pj (ξ) Pj (ξ) =
X
−iσj (ξ)Pj (ξ)∗ Pj (ξ)
j
und damit wegen | Im σj (ξ)| ≤ c gleichmäßig in ξ die Behauptung.
26
(2.84)
(2.85)
2.2 Strikt hyperbolische Probleme
Wir denken uns im folgenden H(ξ) für kleine ξ so definiert, dass H(ξ) > 0 und die
Abschätzungpdes letzten Lemmas gilt (z.B. indem man H(ξ) = I setzt). Dann kann man
den Vektor H(ξ)b
u(ξ) betrachten und sieht
√
√
√ √
√ √
√
∂t || H u
b(t, ·)k2L2 = ∂t H u
b, H u
b L2 =
HGb
u, H u
b L2 +
Hu
b, HGb
u L2
√
(2.86)
bk2L2
= 2 Re HG u
b, u
b L2 ≤ 2ck H u
für dessen L2 (Rn ; Cd )-Norm. Also folgt
√
√
k Hu
b(t, ·)k2L2 ≤ e2ct k H u
b0 k2L2 .
(2.87)
Wir definieren dazu den Energieraum des hyperbolischen Problems
Z
2
n
d
2
E = {f ∈ L (R ; C ) : ||f ||E = (fb(ξ), H(ξ)fb(ξ))Cd dξ < ∞}
(2.88)
und erhalten
Folgerung 2.13. Angenommen, (2.1) ist strikt hyperbolisch und E der zugeordnete
Energieraum. Dann gilt
ku(t, ·)kE ≤ ect ku0 kE
(2.89)
für alle Daten u0 ∈ E. Sind die Daten darüberhinaus glatt, so gilt ebenso12
k∂xα u(t, ·)kE ≤ ect k∂ α u0 kE ,
α ∈ Nn0 .
(2.90)
Der Energieraum ist in Anwendungen oft ein Sobolevraum mit verschiedenen SobolevOrdnungen für die verschiedenen Einträge des Vektors u.
Beispiel 2.6. Ein Beispiel dazu: Betrachtet man die Wellengleichung vtt − ∆v = 0 und
schreibt sie als hyperbolisches System für den Vektor u = (v, vt ), also als
vt
0
1
0 1
,
(2.91)
∂t u =
u,
G(ξ) =
=
−|ξ|2 0
vtt
∆ 0
so sind die charakteristischen Wurzeln gerade σ± (ξ) = ±|ξ| und der Symmetrisierer
besitzt die Darstellung
1
±i|ξ|
1
P± (ξ) = ±
(2.92)
2i|ξ| −|ξ|2 ±i|ξ|
H(ξ) = P+ (ξ)∗ P+ (ξ) + P− (ξ)∗ P− (ξ)
1 + |ξ|2
0
=
,
|ξ| 1.
0
1 + |ξ|−2
(2.93)
Es gilt also E = H1 (Rn ) × L2 (Rn ) und die Aufgabe des Symmetrisierers ist es, die
Ordnungen der Einträge des Vektors u entsprechend auszugleichen.
Beispiel 2.7. Für symmetrisch hyperbolische System ergibt die Konstruktion H(ξ) = I
und der Energieraum ist gerade E = L2 (Rn ; Cd ).
12
Hier nutzt man wesentlich, dass die Koeffizienten der Differentialgleichung konstant sind! Für variable
Koeffizienten hängen auftretende Konstanten von α ab.
27
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
2.3 Geometrie hyperbolischer Probleme
Bisher hatten wir eine klare Trennung zwischen der Zeitvariablen t und den Raumvariablen x. Das muss nicht so sein und es ist interessant zu fragen, auf welchen Hyperebenen des R1+n man Daten für durch eine hyperbolische partielle Differentialgleichung
beschriebene Wellen vorgeben kann.
Im folgenden sollte man konsequent zwischen Vektoren z ∈ R1+n und Kovektoren
ζ ∈ R1+n unterscheiden und beachten, dass ζ ·z nur die Anwendung der Linearform ζ auf
den Vektor z bezeichne. Die Fouriertransformation benötigt nur diese Dualitätsbeziehung
zur Definition, ist in diesem Sinne also koordinatenfrei definiert. Insbesondere bestimmt
jedes Polynom p ∈ C[ζ0 , . . . , ζn ] einen Differentialoperator p(D) im R1+n mittels
ZZ
0
−n−1
p(D)f = (2π)
eζ·(z−z ) p(ζ)f (z 0 ) dz 0 dζ.
(2.94)
Homogene Polynome vom Grad 1 sind stets von der Form p(ζ) = ν · ζ für einen festen
Vektor ν ∈ R1+n \ {0}, der zugeordnete Operator entspricht gerade p(D)f = −i∂ν f =
−iν · df der Richtungsableitung in Richtung ν.
2.3.1 Raumartige Hyperebenen und Cauchy-Probleme
Sei p hyperbolisches Polynom mit homogenem Hauptteil p0 . Dann ist durch
C = {(τ, ξ) : p0 (τ, ξ) = 0}
(2.95)
ein (mehrschaliger) Doppelkegel, die charakteristische Varietät von p, definiert. Da p
hyperbolisch ist, schneidet jede Gerade ξ = const. den Kegel C in n Punkten. Dies kann
man invariant formulieren. Dazu gehen wir wie folgt vor:
Definition 2.14. Sei p ∈ C[ζ0 , . . . , ζn ] komplexes Polynom vom Grad d mit homogenem
Hauptteil p0 .
1. Kovektoren ζ ∈ R1+n heißen hyperbolisch (strikt hyperbolisch) für das Polynom
p, falls p0 (sζ + η) = 0 für jedes nicht zu ζ parallele η ∈ R1+n stets n (paarweise
verschiedene) reelle Nullstellen in s besitzt.
2. Das Polynom p heißt (strikt) hyperbolisch, falls es einen (strikt) hyperbolischen
Kovektor besitzt.
3. Eine Hyperebene E = {z ∈ R1+n : ζ · z = const. } heißt raumartig für p, falls der
Kovektor ζ hyperbolisch bezüglich p ist.
Cauchyprobleme (Anfangswertprobleme) bezüglich raumartiger Hyperebenen sind korrekt gestellt. Das ergibt sich gerade aus der bisher entwickelten Theorie, man schreibt den
gesamten Raum als Produkt der raumartigen Hyperebene und einer (frei wählbaren!)
Zeitachse und erhält, nach Konstruktion, ein strikt hyperbolisches Anfangswertproblem.
28
2.3 Geometrie hyperbolischer Probleme
Abbildung 2.2: Charakteristische Varietät C eines hyperbolischen Polynoms zusammen
mit einem hyperbolischen Kovektor η = E ⊥ und einer nicht η enthaltenden Ebene {tν}⊥ .
Satz 2.15. Cauchyprobleme bezüglich raumartiger Hyperebenen sind korrekt gestellt.
Die Abbildung, welche W = {u ∈ C∞ (R1+n ) : p(D)u = 0} auf Einschränkungen
auf die raumartige Hyperebene E (zusammen mit nichttangentialen Ableitungen ∂νk u)
abbildet
W 3 u 7→ (u|E , ∂ν u|E , . . . , ∂νd−1 u|E ) ∈ C∞ (E; Cd )
(2.96)
ist bijektiv (und damit stetig invertierbar).
Beweis. Wir skizzieren nur den Beweis und nehmen im folgenden oBdA an, dass 0 ∈ E.
Sei E also beliebig raumartig und ν ∈ R1+n nicht parallel zu E und sei R1+n 3 z =
tν + x ←→ (t, x) ∈ R × E zerlegt in Koordinaten t ∈ R und x ∈ E. Dies induziert eine
0
entsprechende Zerlegung des Dualraums in τ ∈ E ⊥ = Rζ und ξ ∈ {ν}⊥ '
PEd . Weiter gilt
∂t = ∂ν und der Differentialoperator p(D) ist von der Form p(Dt , Dx ) = k=0 pk (Dx )∂tk .
Betrachtet man nun v = (u, ∂t u, . . . , ∂td−1 u), so erfüllt dies das System


0
1


..
..


.
.

.
(2.97)
∂t v = G(Dx )v,
G(ξ) = 

..

.
1 
p0 (ξ) p1 (ξ) · · · pd−1 (ξ)
Nach Konstruktion ist das charakteristische Polynom dieses Systems aber gerade p(τ, ξ)
(in den neuen Koordinaten auf dem R1+n ) und damit (da ζ strikt hyperbolischer Kovektor war) strikt hyperbolisch. Also folgt die C∞ -Korrektheit.
29
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Allgemeiner bezeichnet man eine glatte Hyperfläche Σ ⊂ R1+n als raumartig, wenn
alle ihre Tangentialhyperebenen raumartig sind. Ohne Beweis erwähnen wir hier vorerst
nur, dass obige Aussage analog für alle raumartigen Hyperflächen gilt:
Satz. Cauchyprobleme bezüglich raumartiger Hyperflächen sind korrekt gestellt.
Beispiel 2.8. Sei p(ζ) eine quadratische Form. Dann kann man bei geeigneter Koordinatenwahl diese auf die Normalform
p(ζ) =
sX
1 −1
ζj2 −
j=0
n
X
ζj2
(2.98)
j=s2
mit 0 ≤ s1 ≤ s2 ≤ n reduzieren. Es ist leicht einzusehen, dass eine solche quadratische
Form genau dann hyperbolisch ist, wenn sie die Signatur s1 = s2 = 1 besitzt. Damit gilt
aber
n
X
p(ζ) = ζ02 −
ζj2
(2.99)
j=1
und die zugeordnete hyperbolische Gleichung ist (bei geeigneter Koordinatenwahl) stets
eine Wellengleichung utt − ∆u = 0. In diesem Falle ist die charakteristische Varietät
gerade der Doppelkegel
n
X
2
C = {ζ : ζ0 =
ζj2 }
(2.100)
j=1
und hyperbolische Kovektoren sind gerade die im Inneren des Kegels liegenden Kovektoren. Raumartige Hyperebenen sind also gerade diejenigen Hyperebenen, die durch solche
hyperbolischen Kovektoren bestimmt sind, sie liegen also (so sie durch den Ursprung gehen) stets ausserhalb eines Kegels
C ⊥ = {z : z ⊥ = {ζ : ζ · z = 0} tangential an C},
(2.101)
des zu C dualen Kegels.
2.3.2 Charakteristische Flächen
Eine Hyperebene E = {z : ζ · z = const. } heißt charakteristisch für p, falls ζ ∈ C
charakteristisch ist, d.h., falls p0 (ζ) = 0 gilt. Entsprechend heißt eine glatte Hyperfläche
charakteristisch, falls jede ihrer Tangentialhyperebenen charakteristisch ist.
Wir wollen kurz untersuchen, was charakteristische Ebenen von raumartigen unterscheidet. Sei dazu p0 homogenes strikt hyperbolisches Polynom vom Grad d und E
charakteristisch bezüglich p0 . Sei weiter ν ein nicht zu E paralleler Vektor. Wir schreiben wieder R1+n 3 z = tν + x mit x ∈ E und t ∈ R. In diesen Koordinaten (und den
entsprechenden Kovariablen τ und ξ) gilt nun
p0 (τ, ξ) =
d
X
j=0
30
τ j qd−j (ξ)
(2.102)
2.3 Geometrie hyperbolischer Probleme
Abbildung 2.3: Zur Geometrie hyperbolischer Probleme: (a) Cauchy-Probleme zu raumartigen Hyperebenen, (b) zu charakteristischen Hyperebenen und (c) verbleibende Fälle; Lage der charakteristischen Varietät jeweils am Beispiel
der Wellengleichung
mit homogenen Polynomen qd−j (ξ) vom Grad d − j. Da nach Konstruktion der Koordinaten p0 (τ, 0) = 0 für alle τ gilt (E charakteristisch), folgt q0 (ξ) = 0 für alle ξ und das
Polynom p0 besitzt bezüglich τ nur den Grad d − 1. Ein Anfangswertproblem bezüglich
der Hyperebene E entspricht im Fourierbild u
b(t, ξ) damit dem Lösen der gewöhnlichen
Differentialgleichungen
d−1
X
qd−j (ξ)(−i∂t )j u
b(t, ξ) = 0,
(2.103)
j=0
erlaubt also nur maximal d−1 Anfangsdaten u|E , ∂t u|E ,. . . , ∂td−2 u|E auf der Hyperebene.
Diese sind im allgemeinen auch nicht frei wählbar, für Raumdimensionen n ≥ 2 bestimmt
das lineare homogenene Polynom q1 (ξ) eine (n−1)-dimensionale Hyperebene im ξ-Raum
auf der das Polynom nur den Grad d−2 besitzt. Auf dieser müssen die d−1 Anfangsdaten
also eine Kompatibilitätsbedingung erfüllen!
Weiterhin sind Lösungen eines charakteristischen Anfangswertproblems in keinster
Weise eindeutig. Setzt man in der gewöhnliche Differentialgleichung (2.103) speziell ξ =
0, so ist die Gleichung trivial erfüllt. Jede Funktion u mit u
b(t, ξ) = h(t)δ0 für beliebig
vorgegebenes h ist also eine Lösung. Damit ist aber ebenso jede der Funktionen
u(t, x) = h(t)
(2.104)
eine Lösung des charakteristischen Problems. Solche Lösungen sind uns in der Einleitung
schon begegnet, es handelt sich bei ihnen um ebene Wellen.
31
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Zuletzt sei nur noch der folgende Satz erwähnt. Es gilt auch die Umkehrung wie man
speziell mit h(t) = 1[0,∞) (t) sieht.
Satz 2.16. Sei p strikt hyperbolisches Polynom. Angenommen, eine stückweise glatte
schwache Lösung u der Gleichung p(D)u = 0 besitzt einen Sprung entlang einer Hyperebene E. Dann ist diese charakteristisch, es gilt also p0 (ζ) = 0 für jede Konormale ζ
von E.
Abbildung 2.4: Zum Beweis von Satz 2.16
Beweis. Wir nehmen an, eine schwache Lösung von p(D)u = 0 habe in den von der
Ebene E bestimmten Koordinaten die Form u(t, x) = u± (t, x) für ±t > 0 mit bis zum
Rand glatten Funktionen u± und einem Sprung [u]t=0 = u+ (0, x) − u− (0, x). Weiter
schreiben wir
d
X
p(τ, ξ) =
τ j qd−j (ξ),
(2.105)
j=0
als Polynom in τ mit polynomialen Koeffizienten in ξ. Dann gilt für jede Testfunktion
ϕ ∈ D(R1+n )
Z
Z
Z
0 = u p> (D)ϕ =
p(D)u ϕ −
[q0 (Dx )u]t=0 (−Dt )d−1 ϕ
t6=0
−
d−1 Z
X
j=1
{t=0}
{t=0}
[qd−j (Dx )u + Dt qd−j−1 (Dx )u + · · · + Dd−j
q0 (Dx )u]t=0 (−Dt )j−1 ϕ,
t
(2.106)
mit dem entsprechend transponierten Operator p> (D) zum Polynom p> (ζ) = p(−ζ). Da
u± glatt sind, gilt p(D)u± = 0 in klassischem Sinne und das erste Integral verschwindet. Damit muss die verbleibende Summe ebenso verschwinden. Da die Ableitungen
32
2.4 Ebene Wellen und Radon-Transformation
(−Dt )j−1 ϕ voneinander unabhängig sind (es gibt zu jedem vorgegebenen System solcher
Ableitungen auf der Ebene E eine entsprechende Testfunktion ϕ im umgebenden Raum
mit diesen Ableitungen), sind die in der Formel auftretenden Sprünge an t = 0 alle Null.
Da deg q0 = 0 gilt, impliziert dies insbesondere entweder [u]t=0 oder q0 = 0. Im ersten
Fall liegt kein Sprung vor, im zweiten ist die Ebene E charakteristisch.
2.4 Ebene Wellen und Radon-Transformation
Wir betrachten vorerst nur ein homogenes strikt hyperbolisches Problem. Sei also p ∈
C[τ, ξ1 , . . . , ξn ] strikt hyperbolisch und homogen vom Grad d. Dann gibt es zu jeder
Richtung ξ ∈ Sn−1 , genau d charakteristische Wurzeln τ1 (ξ), . . . , τd (ξ) und damit auch
d Familien ebener Wellen
u(t, x) = h(x · ω + tτj (ω), ω)
(2.107)
parametrisiert durch Funktionen h ∈ S (R × Sn−1 ), welche die Gleichung p(Dt , Dx )u = 0
lösen. Wir wollen hier der Frage nachgehen, ob man jede Lösung als Überlagerung solcher
ebener Wellen schreiben kann. Gilt also
d Z
X
u(t, x) =
hj (x · ω + tτj (ω), ω) dω
(2.108)
j=1
Sn−1
für jede Lösung u mit geeigneten, von den Cauchydaten u(0, ·), . . . , ∂td−1 u(0, ·) abhängenden,
Funktionen hj ? Wenn ja, wie bestimmt man die dabei benötigten hj ?
Beispiel 2.9. D’Alembert’s Lösungsformel sieht formal genauso aus. Die beiden stehenden Wellen sind dabei gerade Φ(x + ct) und Ψ(x − ct) und diese sind in (1.6) durch die
Anfangsdaten ausgedrückt. Dort ist dies noch elementar auflösbar.
Differenzieren von (2.108) nach t und betrachten der Anfangswerte liefert das folgende
System von Gleichungen. Es muss
u(0, x) =
d Z
X
j=1
∂t u(0, x) =
d Z
X
j=1
hj (x · ω, ω) dω
(2.109)
τj (ω)h0j (x · ω, ω) dω
(2.110)
Sn−1
Sn−1
..
.
∂td−1 u(0, x)
=
d Z
X
j=1
Sn−1
(d−1)
τj (ω)d−1 hj
(x · ω, ω) dω
(2.111)
wobei h0j die Ableitung nach der ersten Komponente bezeichne. Wir können annehmen,
dass die Funktionen h die Symmetrie hj (r, ω) = hd−j (−r, −ω) erfüllen (wobei die τj (ω)
der Größe nach sortiert seien.
33
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Wir wollen dies nur für den Fall der klassischen Wellengleichung genauer untersuchen.
Dort ist also
utt − ∆u = 0,
u(0, ·) = u0 , ut (0, ·) = u1
(2.112)
und die gesuchte Darstellung in ebene Wellen durch
Z
XZ
h± (x · ω ± t, ω) dω = 2
u(t, x) =
Sn−1
±
h+ (x · ω + t, ω) dω
(2.113)
Sn−1
gegeben, wobei wir die Symmetrie h+ (r, ω) = h− (−r, −ω) genutzt haben. Wir nennen
2h+ = h und haben damit aus den Anfangsdaten u0 und u1 die Funktion h mittels
Z
Z
h0 (x · ω, ω) dω.
(2.114)
h(x · ω, ω) dω,
u1 (x) =
u0 (x) =
Sn−1
Sn−1
zu bestimmen. Das erste Integral hängt dabei aus Symmetriegründen nur vom geraden
Anteil , hev (r, ω) = 12 (h(r, ω) + h(−r, −ω)) ab, das zweite vom ungeraden hod (r, ω) =
1
13
2 (h(r, ω) − h(−r, −ω)). Zum bestimmen von h nutzen wir die Radontransformation.
Satz 2.17 (Radontransformation). Für f ∈ S (Rn ) sei
Z
Rf (r, ω) =
f (x) dσ(x)
(2.115)
{x·ω=r}
definiert als das Integral über die Hyperebenen mit Normale ω und Abstand r zum Ursprung. Dann gelten folgende Aussagen:
1. R : S (Rn ) → S (R × Sn−1 ) ist stetig.
2. Rf (−r, −ω) = Rf (r, ω).
d(ρ, ω) die Fouriertransformierte bezüglich r. Dann gilt
3. Bezeichne Rf
b(ρω)
d(ρ, ω) = (2π) n−1
2 f
Rf
(2.116)
und die Radontransformation ist injektiv.
4. Die transponierte Radontransformation R> ist durch
Z
>
R g(x) =
g(x · ω, ω) dω
(2.117)
Sn−1
gegeben und bildet S ∗ (R × Sn−1 ) → S ∗ (Rn ) ab. Dabei bezeichne
Z
S ∗ (Rn ) = {f ∈ S (Rn ) : xα f (x) dx = 0 ∀α}
(2.118)
und
∗
S (R × S
13
n−1
) = {f ∈ S (R × S
n−1
Z
):
rk f (k, ω) dr = 0
∀k}.
(2.119)
Nach Johann Radon. Wesentliche Beiträge zur Theorie der Radontransformation stammen von Helgason und Ludwig und John, Anwendungen auf die Theorie hyperbolischer partieller Differentialgleichungen nach Lax und Phillips.
34
2.4 Ebene Wellen und Radon-Transformation
5. Es gilt die Inversionsformel
2(2π)n−1 I = R> ◦ |Dr |n−1 ◦ R,
(2.120)
dabei sei |Dr |n−1 entsprechend über die Fouriertransformation definiert zum ‘Symbol’ |ρ|n−1 definiert.14
Beweis. [1.] und [2.] verbleiben als Übung. [3.] ergibt sich direkt aus
d(ρ, ω) = (2π)−1/2
Rf
Z
∞
e−irρ
Z
f (x) dx dr
{x·ω=r}
−∞
= (2π)
−1/2
Z
e−ix·(ρω) f (x) dx = (2π)
n−1
2
fb(ρω)
(2.121)
S
wobei man nutzt, dass Rn = r {x : x · ω = r} gilt und sich das Lebesgue-Maß entsprechend als Produkt schreiben lässt. Damit ist f aber injektiv.
[4.] zeigen wir nur die Darstellung, die Abbildungseigenschaften verbleiben als Übung.
Es gilt für f ∈ S (Rn ) und entsprechendes g ∈ S (R × Sn−1 )
Z
∞
Z
Z
∞
Z
Z
g(r, ω)Rf (r, ω) dω dr =
−∞
Sn−1
g(r, ω)
−∞
Sn−1
Z
=
f (x) dx dω dr
{x·ω=r}
Z
g(x · ω, ω) dω dx
f (x)
Sn−1
Z
=
f (x)R> g(x) dx,
(2.122)
wiederum unter Zusammenfassung des Integrals über die Hyperebenen und über r für
festes ω.
d(−ρ, −ω) = Rf
d(ρ, ω) gilt. Dies folgt direkt aus der
[5.] Wir bemerken zuerst, dass Rf
Symmetrie Rf (−r, −ω) = Rf (r, ω) zusammen der Definition der Fouriertransformation.
Damit ergibt [4.] zusammen mit der Fourierschen Inversionsformel
−n+1/2
Z
∞Z
f (x) = (2π)
0
Sn−1
d(ρ, ω)ρn−1 dρ dω
ei(x·ω)ρ Rf
Z
Z
(2π)−n+1/2 ∞
d(ρ, ω)|ρ|n−1 dρ dω
ei(x·ω)ρ Rf
2
n−1
−∞ S
Z
1
n−1
=
|Dr |
Rf (r, ω)
dω
n−1
2(2π)
Sn−1
r=x·ω
=
(2.123)
und somit die Behauptung. In der zweiten Zeile wurde die Symmetrie genutzt um das
äußere Integral von R+ auf R auszuweiten.
14
Für n ungerade ist dies gerade Dn−1
, für gerade Raumdimensionen im wesentlichen Dn−1
◦ H mit der
r
r
Hilbert-Transformation H.
35
2 Gleichungen mit konstanten Koeffizienten
Zurück zur Wellengleichung: Man erhält R> hev = u0 und R> h0od = u1 durch die Wahl
hev (r, ω) =
1
|Dr |n−1 Ru0 ,
2(2π)n−1
und für n ≥ 3 damit
hod (r, ω) =
h0od (r, ω) =
1
|Dr |n−1 Ru1
2(2π)n−1
−1
∂r |Dr |n−3 Ru1 .
2(2π)n−1
(2.124)
(2.125)
Für gerade Raumdimensionen sind die erhaltenen Funktionen h keine Schwartzfunktionen, da |ρ|n−1 in ρ = 0 nicht glatt ist. Sie sind C∞ , fallen aber langsamer. Dies hat eine
interessante Konsequenz
Satz 2.18 (Huygens-Prinzip). Sei n ≥ 3 ungerade und löse u die Wellengleichung
utt − ∆u = 0,
u(0, ·) = u0 ,
ut (0, ·) = u1
(2.126)
mit supp uj ⊂ BR (0), j = 0, 1, kompakt getragen in einer Kugel vom Radius R um den
Usprung. Dann gilt
u(t, x) = 0
für t > R und |x| ≤ t − R .
(2.127)
Beweis. Nach Konstruktion ist
hev (r, ω) =
1
Dn−1 Ru0 (r, ω) = 0
2(2π)n−1 r
(2.128)
für alle r > R (da dann Ru0 (r, ω) = 0 ist). Ebenso gilt
hod (r, ω) =
−i
Dn−2 Ru1 (r, ω) = 0,
2(2π)n−1 r
somit wegen h(r, ω) = hev (r, ω) + hod (r, ω)
Z
u(t, x) =
h(x · ω + t, ω) dω.
r > R,
(2.129)
(2.130)
Sn−1
Speziell für t > R und |x| < t − R folgt damit x · ω + t ≥ t − |x| > R und somit die
Behauptung.
In geraden Raumdimensionen ist die Aussage falsch. Hier klingen Lösungen für festes
x nur polynomial in t ab.
36
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
Im folgenden betrachten wir Anfangswertprobleme für Systeme erster Ordnung
X
Aα (t, x)∂xα u = G(t, x, Dx )u,
u(0, ·) = u0 ,
∂t u =
(3.1)
|α|≤m
mit variablen matrix-wertigen Koeffizienten Aα ∈ C∞ (R1+n ; Cd×d ) und fragen, inwieweit
diese korrekt gestellt sind. Das matrixwertige Polynom
X
G(t, x, ξ) =
Aα (t, x)(iξ)α
(3.2)
|α|≤m
bestimmt wiederum das System und wird als Symbol des Differentialoperators G(t, x, Dx )
bezeichnet. Die Antwort auf obige Frage wird durch das charakteristische Polynom
p(t, x, τ, ξ) = det(iτ I − G(t, x, ξ))
(3.3)
des Systems und insbesondere seinen Hauptteil p0 (t, x, τ, ξ) bestimmt werden.
Entsprechend kann man auch skalare partielle Differentialgleichungen höherer Ordnung
d
X
X
ak,α (t, x)∂tk ∂xα v = p(t, x, Dt , Dx )v = 0,
k=0 |α|≤d−k
v(0, ·) = v0 , . . . , ∂td−1 v(0, ·) = vd−1
(3.4)
mit skalaren Koeffizienten ak,α ∈ C∞ (R1+n ) betrachten. Wiederum bestimmt das Symbol p(t, x, τ, ξ) die Eigenschaften. Jeder solchen skalaren Gleichung kann auf einfache
Weise ein System zugeordnet werden. Betrachtet man dazu u = (v, ∂t v, . . . , ∂td−1 v)> ,
so erfüllt u ein System erster Ordnung. Dessen Symbol entspricht der Begleitmatrix zu
p und damit ist p gerade das charakteristische Polynom des Systems. Wie im letzten
Kapitel werden beide Probleme gemeinsam betrachtet.
3.1 Hyperbolizität
Die Definition der Hyperbolizität ist vom nachfolgend zitierten Satz von Lax–Mizohata
motiviert. Wir nennen das Anfangswertproblem (3.1) beziehungsweise die Gleichung
(3.4) hyperbolisch, falls für jedes fest gewählte t und x das Polynom (3.3) hyperbolisch
ist und die Ebene {x = const.} raumartig für p(t, x, ·, ·) ist.
Allgemeiner nutzt man für einen Differentialoperator p(z, D) auf dem R1+n mit Symbol
p(z, ζ) folgende invariante Definition.
37
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
Abbildung 3.1: Zum Begriff der lokalen Lösung eines Cauchy-Problems
Definition 3.1.
1. Ein Differentialoperator p(z, D) heißt (strikt) hyperbolisch, falls
für jedes z das Polynom p(z, ·) (strikt) hyperbolisch ist.
2. Eine glatte Hyperfläche Σ ⊂ R1+n heißt raumartig, falls jede ihrer Tangentialebenen Tz Σ raumartig für p(z, ·) ist, d.h., falls ihre Konormale hyperbolisch für p(z, ·)
ist.
3. Eine glatte Hyperfläche Σ ⊂ R1+n heißt charakteristisch, falls jede ihrer Tangentialebenen Tz Σ charakteristisch für p(z, ·) ist.
Um den nachfolgenden Satz von Lax und Mizohata1 zu formulieren, benötigen wir
erst einige Bezeichnungen. Wir sagen, ein Cauchy-Problem
p(z, D)u = 0,
u|Σ = u0 , ∂ν u|Σ = u1 , . . . , ∂νd−1 u|Σ = ud−1
(3.5)
mit einer Hyperfläche Σ ⊂ R1+n ist C∞ -korrekt im Punkt z0 ∈ Σ, falls zu jeder hinreichend kleinen Umgebung U von z0 in Σ relativ kompakte Umgebungen V ⊂ W von z0
in R1+n existieren, so dass für alle Cauchy-Daten uj ∈ C∞ (U )
(1) eine Lösung u ∈ C∞ (W ) mit diesen Cauchy-Daten auf W ∩ Σ ⊂ U existiert; und
(2) diese in C∞ (V ) eindeutig ist.
Wiederum mit dem Satz vom abgeschlossenen Graphen folgt die Stetigkeit der Zuordnung D(U ) 3 (u0 , . . . , ud−1 ) 7→ u ∈ C∞ (V ). Fordert man die lokale Korrektheit des
Cauchy-Problems, so hat das tiefreichende Implikationen für den Operator p und die
Fläche Σ.
1
Nach Peter Lax und Sigeru Mizohata. Die erste Fassung der Aussage (für rein zeitabhängige
Koeffizienten) geht auf Petrowski zurück.
38
3.2 Symmetrisch hyperbolische Systeme
Satz 3.2 (Lax–Mizohata). Angenommen, es existiert eine Hyperfläche Σ durch den
Punkt z0 , so dass das Cauchy-Problem in z0 lokal korrekt ist. Dann ist p in z0 hyperbolisch und Σ in z0 raumartig.
Beweisskizze. Für Probleme mit konstanten Koeffizienten und Hyperebenen Σ haben wir
die Aussage im letzten Kapitel gezeigt. Der Beweis für den allgemeinen Fall ist indirekt
und soll nur ganz grob skizziert werden.2
Wir führen lokal um z0 Koordinaten x ∈ Σ und t ∈ R ein, so dass z0 gerade x = 0
und t = 0 entspricht. Angenommen, der homogene Hauptteil p0 (0, 0, τ, ξ) besitzt eine
komplexe Nullstelle τ = τ∗ (ξ∗ ) mit Im τ∗ ≤ −c|ξ∗ |, c > 0 und p0 (0, 0, τ∗ , ξ∗ ) = 0. Wir
nehmen der Einfachheit halber (Lax folgend) an, dass τ∗ (ξ∗ ) einfache Nullstelle ist, es
also lokal um ξ∗ eine glatte Funktion τ∗ (ξ) mit p(0, 0, τ∗ (ξ), ξ) = 0 gibt. Dann besteht
das Ziel darin, Lösungen zu konstruieren, welche sich als
h
i
u,h (t, x) = F −1 eiτ∗ (ξ)t h−s ψ(hξ) −n ϕ(x/) + Rest
(3.6)
mit glatten Funktionenϕ und ψ mit
supp ϕ ∈ B1 (0),
ϕ(0) = 1,
supp ψ ⊂ {ξ/|ξ| ≈ ξ∗ },
(3.7)
ψ(ξ∗ ) = 1,
(3.8)
schreiben lassen, wobei der Rest klein genug (für h, → 0) und durch den ersten Term
dominiert ist.
Findet man diese, so widersprechen sie der Korrektheit. Für t = 0 ist die Hs−k -Norm
von ∂tk u(0, ·) gleichmäßig in h und beschränkt, während für beliebiges (aber festes)
t > 0 Hs−M -Normen der Funktion u(t, ·) unbeschränkt in h sind.
Es gilt keine Umkehrung, nicht alle hyperbolischen Gleichungen führen zu korrekt
gestellten Cauchy-Problemen. Unter der stärkeren Voraussetzung der strikten Hyperbolizität wird dies allerdings ebenso wie im Falle konstanter Koeffizienten (lokal) folgen.
3.2 Symmetrisch hyperbolische Systeme
Wir betrachten speziell ein System erster Ordnung
∂t u =
n
X
Ak (t, x)∂xk u + B(t, x)u
(3.9)
k=1
mit selbstadjungiertem Ak (t, x) ∈ Cd×d . Wir nehmen weiter an, dass
sup kAk (t, ·)k + sup k∂xj Ak (t, ·)k + sup k∂t Ak (t, ·)k + sup kB(t, ·)k < ∞
x
2
x
x
(3.10)
x
Für eine genauere Fassung benötigt man die Theorie der Pseudodifferentialoperatoren.
39
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
gleichmäßig in x gilt. Ein solches System ist hyperbolisch, da das charakteristische Polynom
X
p(t, x, τ, ξ) = i det(τ I −
Ak (t, x)ξj )
(3.11)
k
nur reelle Nullstellen P
τ = τj (t, x, ξ) besitzt. Diese sind gerade die Eigenwerte der selbstadjungierten Matrix k Ak (t, x)ξj .
Lösungen eines symmetrisch hyperbolischen Systems erfüllen Energieabschätzungen.
Das folgende Resultat ist konditional in dem Sinne, dass wir die Existenz einer Lösung
annehmen.
Lemma 3.3 (Energieabschätzung). Angenommen, u besitzt für jedes t kompakten Träger
in x und löst (3.9). Dann gilt für die L2 (Rn ; Cd )-Norm von u
1
ku(t, ·)k2 ≤ e 2
Rt
0
C(s) ds
ku0 k2
(3.12)
für
n
X
(∂xk Ak (t, x)) .
C(t) = sup 2 Re B(t, x) −
x (3.13)
k=1
Beweis. Sei u eine Lösung. Dann gilt (unter Ausnutzung der Symmetrie von Ak )
∂t ku(t, ·)k22 =
n
X
n
X
Ak ∂xk u, u +
u, Ak ∂xk u + (Bu, u) + (u, Bu)
k=1
=
k=1
2 Re B −
n
X
!
!
(∂xk Ak ) u, u
≤ C(t)ku(t, ·)k22 .
(3.14)
k=1
Also folgt mit der Gronwallschen Ungleichung
Z t
1
ku(t, ·)k2 ≤ exp
C(s) ds ku(0, ·)k2
2 0
(3.15)
und damit die Behauptung.
Insbesondere folgt, dass die Lösung u eindeutig durch die Daten u0 bestimmt ist
(sofern sie für jedes t kompakten Träger besitzt oder zumindest schnell genug fällt).
3.3 Strikt hyperbolische Gleichungen zweiter Ordnung
Als zweites Beispiel sollen strikt hyperbolische Gleichungen zweiter Ordnung der Form
∂t2 u −
n
X
j,k=1
40
aj,k (t, x)∂xj ∂xk u +
n
X
j=1
bj (t, x)∂xj u + c(t, x)u = 0
(3.16)
3.3 Strikt hyperbolische Gleichungen zweiter Ordnung
mit entsprechenden Anfangsdaten
u(0, ·) = u0 ,
∂t u(0, ·) = u1
(3.17)
betrachtet werden. An die Koeffizienten setzen wir Glattheit voraus. Die Gleichung ist
strikt hyperbolisch genau dann, wenn die quadratische Form
q(t, x, ξ) =
n
X
aj,k (t, x)ξj ξk
(3.18)
j,k=1
für reelle ξ reellwertig und positiv definit ist. Wir nehmen also an, dass
n
X
aj,k (t, x)ξj ξk ≥ c0 (t, x)|ξ|2
(3.19)
j,k=1
mit einer positiven von t und x abhängenden Konstanten c0 (t, x) > 0 gilt. Weiter sei
aj,k (t, x) = ak,j (t, x) und (damit die entstehende Form reell wird) aj,k (t, x) reell. Unter diesen Voraussetzungen erfüllen Lösungen der Differentialgleichung mit kompaktem
Träger in x schon Energieabschätzungen. Diese sollen im folgenden hergeleitet werden.
Angenommen, u(t, x) löst obige Differentialgleichung für t ∈ [0, T ] und besitzt kompakten Träger bezüglich x für jedes solche t. Dann kann man die Gleichung mit ∂t u
multiplizieren und über [0, T ] × Rn integrieren. Dies führt (nach Bilden des Realteils)
auf


Z TZ
n
n
X
X
0 = 2 Re
(∂t u) ∂t2 u −
aj,k ∂xj ∂xk u +
bj ∂xj u + cu dx dt
0
Z
T
=
j=1
j,k=1
Z n
n
X
X
2
(∂xj aj,k )∂t u∂xk u+
∂t |∂t u| + ∂t
aj,k ∂xj u∂xk u + 2 Re
0
j,k=1
j,k=1
−
n
X
(∂t aj,k )∂xj u∂xk u + 2 Re
n
X
bj ∂t u∂xj u + 2 Re c∂t uu dx dt,
(3.20)
j=1
j,k=1
wobei wir in der letzten Zeile bezüglich x partiell integriert haben. Die ersten beiden
Terme sind Ableitungen, deren Integration wir einfach ausführen. Dies führt auf
T
Z
Z TZ
2
E(T ) − E(0) = |∂t u| + q(t, x, ∇u) dx
=
Q(t, x, u, ∂t u, ∇u) dx dt (3.21)
t=0
0
mit von t und x abhängenden quadratischen Form Q(t, x, · · · ) in den Variablen u, ∂t u
und ∇u. Da nach Voraussetzung q positiv definit war, gibt es Konstanten c1 (t, x) mit
Q(t, x, ρ, τ, ξ) ≤ c1 (t, x) τ 2 + q(t, x, ξ) + ρ2
(3.22)
und damit
Z
E(T ) ≤ E(0) +
T
Z
c1 (t, x) |∂t u|2 + q(t, x, ∇u) + |u|2 dx dt.
(3.23)
0
41
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
Wir haben vorausgesetzt, dass die Lösung kompakten Träger in x besitzt. Damit gilt
c1 (t, x) ≤ c2 für alle t ∈ [0, T ] und x im Träger von u. Weiter gilt (Poincare-Ungleichung)
Z
Z
Z
2
2
|u| dx ≤ c3 |∇u| dx ≤ c4 q(t, x, ∇u) dx
(3.24)
mit wiederum vom Träger abhängenden Konstanten c3 und c4 . Zusammengefasst folgt
Z T
E(T ) ≤ E(0) + M
E(t) dt
(3.25)
0
und damit nach Gronwall
E(T ) ≤ eM T E(0).
(3.26)
Die erhaltene Konstante M hängt vom Träger der Lösung ab.
Da auf dem Träger der Lösung q(t, x, ξ) äquivalent zu |ξ|2 ist, kann man dies auch als
Normabschätzung für die Sobolevnorm im H1 (Rn ) schreiben. Es gilt
Lemma 3.4 (Energieabschätzung). Angenommen, u löst auf [0, T ] × Rn die strikt hyperbolische Gleichung (3.16) und besitzt für jedes t kompakten Träger in x. Dann gilt
(mit einer vom Träger abhängenden Konstanten) M
ku(t, ·)kH1 (Rn ) + k∂t u(t, ·)kL2 (Rn ) ≤ eM t ku0 kH1 (Rn ) + ku1 kL2 (Rn ) ,
t ∈ [0, T ]. (3.27)
Insbesondere ist jede solche Lösung eindeutig durch die Cauchy-Daten u0 und u1 bestimmt.
3.4 Pseudodifferentielle Symmetrisierer
Im folgenden wollen wir allgemeiner zeigen, dass Lösungen strikt hyperbolischer Probleme stets Energieabschätzungen erfüllen. Dazu wollen wir systematischer als im letzten
Abschnitt vorgehen und explizit Diagonalisierer beziehungsweise Symmetrisierer hyperbolischer Systeme konstruieren. Diese sind im allgemeinen singuläre Integraloperatoren
beziehungsweise Pseudodifferentialoperatoren. Dazu einen kurzen Exkurs.
3.4.1 Das Pseudodifferentialkalkül
Definition 3.5. Sei m ∈ R. Dann bezeichne S m (Rn × Rn ) die Menge aller Symbole
a ∈ C∞ (Rn × Rn ) mit
|Dβx Dαξ a(x, ξ)| ≤ Cα,β hξim−|α|
(3.28)
für alle Multiindices α und β. Dabei heiße m die Ordnung des Symbols a. Wir sagen
ein Symbol a ist klassisch, falls es eine Folge aj ∈ C∞ (Rn × Sn−1 ) und eine Abschneidefunktion ψ ∈ C∞ (Rn ) mit ψ(ξ) = 0 für |ξ| ≤ 1 und ψ(ξ) = 1 für |ξ| ≥ 2 gibt, so
dass
N
−1
X
a(x, ξ) −
ψ(ξ)|ξ|m−j aj (x, ξ/|ξ|) ∈ S m−N (Rn × Rn )
(3.29)
j=0
42
3.4 Pseudodifferentielle Symmetrisierer
m (Rn ×Rn )
für alle N gilt. Die Menge der klassischen Symbole der Ordnung m wird als Scl
bezeichnet.
Beispiel 3.1. Symbole p(x, ξ) von Differentialoperatoren p(x, D) der Ordnung m mit
m (Rn × Rn ).
entsprechenden beschränkten Koeffizienten gehören zu Scl
m (Rn × Rn ) klassisch, so sind die Funktionen a (x, ω) ∈ C∞ (Rn × Sn−1 )
Ist a(x, ξ) ∈ Scl
j
eindeutig bestimmt. So gilt
a0 (x, ω) = lim ρ−m a(x, ρω).
ρ→∞
(3.30)
Ist a nicht klassisch, so muss dieser Grenzwert nicht existieren. Symbole sind interessant,
da man ihnen Operatoren zuordnen kann. Diese werden zuerst auf dem Schwartz-Raum
S (Rn ) definiert. Dort ordnet man jedem Symbol a ∈ S m (Rn × Rn ) und f ∈ S (Rn )
durch
Z
−n
eix·ξ a(x, ξ)fb(ξ) dξ
(3.31)
a(x, D)f = (2π)
eine glatte Funktion a(x, D)f zu. Diese gehört zu S (Rn ). Die so konstruierten Operatoren a(x, D) : S (Rn ) → S (Rn ) werden als Pseudodifferentialoperatoren bezeichnet,
m (Rn × Rn ) sei Ψm (Rn ). Die
die Menge aller solcher Operatoren mit Symbolen aus Scl
cl
Zuordnung a(x, ξ) 7→ a(x, D) ist injektiv.
n
∞
n
n−1 ) definiert,
n
m
Auf Ψm
cl (R ) sei weiter die Abbildung σ0 : Ψcl (R ) → C (R × S
welche dem Operator A = a(x, D) die homogene Komponente a0 (x, ω) zuordnet. Man
bezeichnet σ0 (A) als das Hauptsymbol des Operators A.
Die für uns wichtigsten Sätze zu Pseudodifferentialoperatoren sind im folgenden zusammengefasst. Für einen Beweis verweisen wir auf die Literatur.
Satz 3.6 (Beschränktheit von Pseudodifferenatialoperatoren). Jeder Operator A ∈ Ψ0 (Rn )
ist auf
• L2 (Rn ) und allen Sobolevräumen Hs (Rn ), s ∈ R;
• Lp (Rn ), 1 < p < ∞;
• den Hölder-Räumen Cm,κ (Rn ), κ ∈ (0, 1) und den Zygmund-Räumen Cs∗ (Rn )
beschränkt.
Dazu eine kurze Bemerkung: Die Beschränktheit auf L2 (Rn ) ist noch relativ leicht (und
im wesentlichen mit dem Satz von Plancherel) zu beweisen und wird uns im folgenden
genügen. Pseudodifferentialoperatoren sind im Allgemeinen nicht stetig auf den Räumen
Ckb (Rn ) der beschränkten k-fach stetig differenzierbaren Funktionen. Hier benötigt man
Hölder-Räume und entsprechend Zygmund-Räume als Ersatz.
Satz 3.7 (Hauptsymbole).
1 +m2
Ψm
(Rn ) und
cl
m2
n
n
1
1. Ist A ∈ Ψm
cl (R ) und B ∈ Ψcl (R ), so gilt A ◦ B ∈
σ0 (A ◦ B) = σ0 (A)σ0 (B).
(3.32)
43
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
n
∗
m
n
2. Ist A ∈ Ψm
cl (R ), so ist der formal adjungierte Operator A ∈ Ψcl (R ) und es gilt
σ0 (A∗ ) = σ0 (A).
(3.33)
3. Ψ0cl (Rn ) ist eine ∗-Algebra von Operatoren und die Zuordnung des Hauptsymbols
n
n−1 ) ein ∗-Homomorphismus.
σ0 : Ψ0cl (Rn ) → C∞
b (R × S
Alle Aussagen folgen aus dem Pseudodifferentialkalkül, welches im folgenden zusammengefasst ist. Für klassische Symbole sind die so konstruierten Symbole stets wieder
klassisch.
Satz 3.8 (ΨDO-Kalkül).
1. Seien a ∈ S m1 (Rn × Rn ) und b ∈ S m2 (Rn × Rn ). Dann
m
+m
1
2 (Rn × Rn ), so dass a(x, D) ◦ b(x, D) = c(x, D) gilt. Das
existiert ein c ∈ S
Symbol c erfüllt
X 1
c(x, ξ) ∼
(∂ξα a(x, ξ))(Dαx b(x, ξ)),
(3.34)
α!
α
d.h., für jedes N gilt
c(x, ξ) −
N
−1
X
j=0
1 α
(∂ a(x, ξ))(Dαx b(x, ξ)) ∈ S m1 +m2 −N (Rn × Rn ).
α! ξ
(3.35)
Wir bezeichnen c mit a]b.
2. Seien a ∈ S m (Rn × Rn ). Dann existiert ein b ∈ S m (Rn × Rn ), so dass a(x, D)∗ =
b(x, D) gilt. Das Symbol b erfüllt
b(x, ξ) ∼
X 1
∂ξα Dαx a(x, ξ).
α!
α
(3.36)
3.4.2 Symmetrisierer
Sei im folgenden
Dt u =
n
X
Ak (t, x)Dxk u + B(t, x),
D = −i∂,
(3.37)
k=1
1+n ; Cd×d ). Das System ist
ein strikt hyperbolisches System mit Ak (t, x), B(t, x) ∈ C∞
b (R
strikt hyperbolisch genau dann, wenn das matrixwertige3 Symbol
A(t, x, ξ) =
n
X
Ak (t, x)ξk
(3.38)
k=1
3
Das ändert wenig am Pseudodifferentialkalkül, ausser dass Matrixmultiplikation nicht kommutativ ist
und somit Kommutatoren nicht von niederer Ordnung sind.
44
3.4 Pseudodifferentielle Symmetrisierer
für reelle ξ ∈ Rn nur reelle Eigenwerte τ1 (t, x, ξ), . . . , τd (t, x, ξ) besitzt. Wir nehmen an,
dass diese gleichmäßig separiert sind, also
inf inf |τi (t, x, ω) − τj (t, x, ω)| > 0
t,x |ω|=1
(3.39)
für i 6= j gilt. Dann folgt
Lemma 3.9.
1+n × Sn−1 ).
1. Es gilt τj ∈ C∞
b (R
2. Sei Pj (t, x, ξ) die Eigenprojektion der Matrix A(t, x, ξ) zum Eigenwert τj (t, x, ξ).
Dann gilt Pj (t, x, λξ) = Pj (t, x, ξ) für λ > 0 und die Einschränkung auf |ξ| = 1
1+n × Sn−1 ; Cd×d ).
erfüllt Pj ∈ C∞
b (R
Ist nun ψ(ξ) eine Abschneidefunktion ψ ∈ C∞ (Rn ) mit ψ(ξ) = 0 für |ξ| ≤ 1 und
ψ(ξ) = 1 für |ξ| ≥ 2, so folgt
ψ(ξ)τj (t, x, ξ) ∈ S 1 (Rn × Rn ),
ψ(ξ)Pj (t, x, ξ) ∈ S 0 (Rn × Rn )
(3.40)
jeweils gleichmäßig in t. Man beachte, dass das zweite Symbol matrixwertig ist. Bezeichne
Pj (t) ∈ Ψ0 (Rn ) den Pseudodifferentialoperator zum Symbol ψ(ξ)Pj (t, x, ξ) und sei weiter
H(t) =
d
X
Pj (t)∗ Pj (t) + R(t) ∈ Ψ0 (Rn )
(3.41)
j=1
mit einem noch zu bestimmenden nichtnegativen Operator R(t) ∈ Ψ−1 (Rn ) (der differenzierbar von t abhängt). Dann ist H(t) ein Symmetrisierer des hyperbolischen Systems.
Genauer gilt mit A(t) ∈ Ψ1 (Rn ) dem Operator zum Symbol A(t, x, ξ)
Lemma 3.10 (Symmetrisierer).
1. Im(H(t)A(t)) ∈ Ψ0 (Rn )
2. H(t) ∈ C1 (R; L(L2 )) ist bezüglich t differenzierbar und es gilt ∂t H(t) ∈ Ψ0 (Rn )
3. R(t) ∈ Ψ−1 (Rn ) kann so gewählt werden, dass H(t) invertierbar ist.
Beweis. [1.] Nach Konstruktion ist jeder der Summanden in
2i Im(H(t)A(t)) = H(t)A(t) − A∗ (t)H(t)
(3.42)
ein Operator der Ordnung 1. Es genügt also zu zeigen, dass beide Hauptsymbole übereinstimmen.
Dies folgt aus
σ0 (H(t)A(t)) =
d
X
Pj (t, x, ξ)∗ Pj (t, x, ξ)A(t, x, ξ) =
j=1
d
X
τj (t, x, ξ)Pj (t, x, ξ)∗ Pj (t, x, ξ)
j=1
und
σ0 (H(t)A(t)) =
d
X
j=1
∗
∗
A(t, x, ξ) Pj (t, x, ξ) Pj (t, x, ξ) =
d
X
τj (t, x, ξ)Pj (t, x, ξ)∗ Pj (t, x, ξ)
j=1
45
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
da die Pj gerade Eigenprojektoren der Matrix Aj zu den Eigenwerten τj sind. Da die τj
reell sind, folgt die Behauptung. [2.] Die Symbole Pj (t, x, ξ) sind glatt in t und damit
Pj (t) ∈ C1 (R; L(L2 )). [3.] Das Hauptsymbol von H(t) erfüllt
σ0 (H(t)) =
d
X
Pj (t, x, ξ)∗ Pj (t, x, ξ),
(3.43)
j=1
Vektoren können nur im Kern dieser Matrix liegen, wenn sie im Kern aller
pProjektoren Pj
liegen. Da dies nur für den Nullvektor gilt, ist σ0 (H(t)) invertierbar und σ0 (H(t)) glatt.
Wir können oBdA annehmen, dass H(t) Quadrat eines Pseudodifferentialoperators der
Ordnung Null ist (ohne das Hauptsymbol zu ändern).pSei nun Sei p
nun H ] (t) ein Operator
mit Hauptsymbol σ0 (H(t))−1 . Dann gilt R(t) = I − H(t)H ] (t) H(t) ∈ Ψ−1 (Rn ) und
somit
p
p
(u, u)L2 = (H ] (t) H(t)u, H(t)u)L2 + (R(t)u, u)L2
≤ C(H(t)u, u)L2 + (R(t)u, u)L2
(3.44)
und die Behauptung folgt.
Damit kann man nun eine Energieabschätzung für Lösungen des strikt hyperbolischen
Systems beweisen. Es gilt
Satz 3.11 (Energieabschätzung). Angenommen, u(t, x) löst (3.37) und supp u(t, ·) sei
kompakt für alle t. Dann gilt für jedes s ∈ R
ku(t, ·)kHs ≤ C1 eC2 t ku0 kHs ,
t ≥ 0.
(3.45)
Beweis. Wir betrachten zuerst den Fall s = 0. Da H(t) nichtnegativ und invertierbar
ist, gilt
1
kuk2 ≤ (H(t)u, u)L2 ≤ ckuk2 ,
(3.46)
c
p
das H(t)-Innenprodukt erzeugt auf dem L2 (Rn ; Cd ) also eine äquivalente Norm k H(t)uk.
Für diese gilt
p
Dt k H(t)u(t, ·)k2 = Dt H(t)u, u L2 + H(t)Dt u, u L2 − H(t)u, Dt u L2
= 2i Im(H(t)A(t)) + Dt H(t) + 2i Im(H(t)B(t)) u, u L2 , (3.47)
|
{z
}
∈Ψ0 (Rn )
wobei B(t) die Multiplikation mit der Matrix B(t, x) bezeichne. Da Operatoren der
Ordnung 0 auf dem L2 beschränkt sind, folgt also
p
p
∂t k H(t)u(t, ·)k2 ≤ Cku(t, ·)k2 ≤ C 0 k H(t)u(t, ·)k2
(3.48)
unter Ausnutzung der Äquivalenz der Normen und damit die Behauptung
p
p
0
k H(t)u(t, ·)k2 ≤ eC t k H(0)u0 k2 .
46
(3.49)
3.5 Existenz von Lösungen
Den Fall s 6= 0 reduzieren wir auf den Fall s = 0. Dazu nutzen wir das Symbol hξis und
den zugeordneten Pseudodifferentialoperator hDis : Hs (Rn ) → L2 (Rn ), der die beiden
Räume isometrisch identifiziert. Damit folgt
1
kuk2Hs ≤ (H(t)hDis u, hDis u)L2 ≤ ckuk2Hs
c
(3.50)
und wiederum
p
Dt k H(t)u(t, ·)k2Hs
= Dt H(t)hDis u, hDis u L2 + H(t)Dt hDis u, hDis u L2
− H(t)hDis u, Dt hDis u L2
= 2i Im(H(t)Ã(t)) + Dt H(t) + 2i Im(H(t)B̃(t)) hDis u, hDis u L2 , (3.51)
{z
}
|
∈Ψ0 (Rn )
wobei Ã(t) = hDis A(t)hDi−s ∈ Ψ1 (Rn ) und B̃(t) = hDis B(t)hDi−s ∈ Ψ0 (Rn ) gesetzt
wurden und man σ0 (A(t)) = σ0 (Ã(t)) ausgenutzt hat. Wie oben folgt daraus aber sofort
die Behauptung.
3.5 Existenz von Lösungen
Im folgenden werden wir die Existenz von Lösungen strikt hyperbolischer Gleichungen
zeigen. Die Existenzaussage basiert auf den schon gezeigten a posteriori Abschätzungen.
Die Beweisidee geht in dieser Form auf K.O. Friedrichs zurück.
Sei im folgenden wiederum Ak , B ∈ C∞ (R1+n ; Cd×d ) und bezeichne
Lu = Dt u −
n
X
Ak (t, x)Dxk u − B(t, x)u.
(3.52)
k=1
Wir nehmen wiederum an, dass das System strikt hyperbolisch ist und betrachten auf
dem Streifen S = [0, T ] × Rn das Problem
Lu = f,
u(0, ·) = u0
(3.53)
zu gegebener rechten Seite f und Anfangsdaten u0 . Sind u ∈ C1 (S; Cd ), f ∈ C(S; Cd )
und u0 ∈ C1 (Rn ; Cd ), so soll u klassische Lösung des Problems heißen. Um die Existenz
von Lösungen zu zeigen, benötigen wir zuerst (zwei) schwächere Lösungsbegriffe.
Definition 3.12. Seien f ∈ L2 (S; Cd ) und u0 ∈ L2 (Rn ; Cd ).
1. Eine Funktion u ∈ L2 (S; Cd ) heißt starke Lösung von (3.53), falls es eine Folge
u(j) ∈ C1 (S; Cd ) gibt, so dass
u(j) → u,
Lu(j) → f
(3.54)
in L2 (S; Cd ) konvergieren und u(j) (0, ·) → u0 in L2 (Rn ; Cd ) konvergiert.
47
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
2. Eine Funktion u ∈ L2 (S; Cd ) heißt schwache Lösung von (3.53), falls für jede
1+n ) mit supp ϕ ∩ {t = T } = ∅ und mit L∗ dem formal zu
Testfunktion ϕ ∈ C∞
0 (R
L adjungierten Operator
Z
Z
Z
∗
f (t, x)ϕ(t, x) dt dx (3.55)
u(t, x)L ϕ(t, x) dt dx + i u0 (x)ϕ(0, x) dx =
S
S
gilt.
Für starke Lösungen gelten Energieabschätzungen.
Lemma 3.13 (Energieabschätzung). Sei u starke Lösung von (3.53). Dann gilt
kukL2 (S) ≤ C1 kf kL2 (S) + C2 ku0 kL2 (Rn )
(3.56)
Beweis. Analog zum letzten Abschnitt gilt für jede der Funktionen u(j)
p
∂t k H(t)u(j) (t, ·)k22 ≤ cku(j) (t, ·)k22 + c0 kLu(j) (t, ·)k2 ku(j) (t, ·)k2
(3.57)
und damit nach Anwendung der Gronwallschen Ungleichung und Ausnutzung der Eigenschaften von H(t)
ku(j) (t, ·)k22 ≤ ect ku(j) (0, ·)k22 + c0
t
Z
ec(t−s) kLu(j) (s, ·)k22 dts
(3.58)
s
Damit folgt insbesondere (nach Integration in t)
ku(j) k2L2 (S) ≤ C1 ku(j) (0, ·)k22 + C2 kLu(j) k2L2 (S)
(3.59)
und mti j → ∞ folgt nach Definition der starken Lösung die Energieabschätzung.
Insbesondere sind starke Lösungen zu (3.53) eindeutig durch ihre Daten f ∈ L2 (S; Cd )
und u0 ∈ L2 (Rn ; Cd ) bestimmt.
Lemma 3.14 (Eindeutigkeit schwacher Lösungen). Schwache Lösungen von (3.53) sind
eindeutig durch ihre Daten f und u0 bestimmt.
Beweisskizze. Die Aussage soll auf starke (oder klassische) Lösungen reduziert werden.
∞
Sei also u schwache Lösung von
R (3.53) mit u0 = 0 und f = 0. Sei weiter ψ ∈ C0 (R) mit
ψ ≥ 0, supp ψ ⊂ [−1, 1] und ψ(r) dr = 1 und für > 0
−n−1
ψ (t, x) = ψ
t + 2
Y
n
k=1
ψ
xk + 2
.
Dann bilden die so definierten Funktionen eine δ-Folge und es gilt
Z
()
J u(t, x) = u (t, x) =
ψ (t − s, x − y)u(s, y) ds dy → u(t, x)
S
48
(3.60)
(3.61)
3.5 Existenz von Lösungen
in L2 (S) für → 0 und u() ∈ C∞ (R1+n ). Weiter gilt supp ψ (t, x) ∩ {t ≥ −} = ∅, also
1+n )
insbesondere u() (t, x) = 0 für alle t ≤ . Weiter gilt für jedes ϕ ∈ C∞
0 (R
Z
Z
Z
ϕ(t, x)LJ u(t, x) dt dx =
J∗ L∗ ϕ(t, x)u(t, x) dt dx − i ϕ(T, x)J u(T, x) dx.
S
S
(3.62)
Dabei ist J∗ die Faltung mit ψ (−t, −x). Weiter ist [L, J ] = L ◦ J − J ◦ L ein Integraloperator mit dem Kern
X
(3.63)
−
Dyk Ak (t, x) − Ak (s, y) + (B(t, x) − B(s, y)) ψ (t − s, x − y).
k
Angenommen, wir wissen, dass dieser in L2 (S) stark gegen Null strebt. Dann kann man
(3.62) umschreiben in
Z
Z
Z
∗ ∗
ϕ(t, x)[L, J ]u(t, x) dt dx − i ϕ(T, x)J u(T, x) dx
L J ϕ(t, x)u(t, x) dt dx +
... =
S
S
(3.64)
und das erste Integral kürzt sich (da u schwache Lösung war) mit dem letzten, während
das mittlere für → 0 gegen Null strebt. Damit ist aber J u selbst Lösung zu
L(J u) = [L, J ]u,
J u(0, ·) = 0
(3.65)
und erfüllt die Energieabschätzung
kJ ukL2 (S) ≤ Ck[L, J ]ukL2 (S) .
(3.66)
Mit [L, J ] → 0 stark in L2 (S) folgt die Behauptung.
Es bleibt, den Integraloperator mit Kern (3.63) zu betrachten. Wie man leicht sieht,
ist der Operator mit Kern B(t, x) − B(s, y)ψ (t − s, x − y) in der Norm O(). Für die
restlichen Terme zeigt man ebenso leicht eine gleichmäßige Normschranke O(1), ebenso
ist das Integral über den Kern selbst (als Ableitung) gleich Null. Wendet man den
Operator auf charakteristische Funktionen kleiner Quader in S an, so schneidet der
Träger des Kerns für kleine relativ selten den Rand der Quader. Damit zeigt man,
dass das Bild solcher Treppenfunktionen unter dem Integraloperator gegen Null geht.
Da die Linearkombinationen der Treppenfunktionen dicht in L2 (S) sind, folgt starke
Konvergenz und die Aussage ist gezeigt.
Satz 3.15 (Friedrichs, Existenz starker Lösungen). Zu jedem f ∈ L2 (S) und jedem
u0 ∈ L2 (Rn ) existiert eine (starke) Lösung u ∈ L2 (S) zu (3.53).
Beweis. Sei
W = {(f, v0 ) ∈ L2 (S; Cd ) × L2 (Rn ; Cd ) : ∃u ∈ L2 (S; Cd ) mit (3.53)}
(3.67)
49
3 Gleichungen mit variablen Koeffizienten
die Menge der Daten, zu denen eine starke Lösung existiert. Dann ist W abgeschlossen
(das ist gerade die Definition der starken Lösung), es genügt also zu zeigen, dass W dicht
in L2 × L2 ist.
1+n )
Sei also (g, v0 ) ⊥ W. Dann gilt für jede Testfunktion ϕ ∈ C∞
0 (R
(Lϕ, g)L2 (S) + (ϕ(0, ·), v0 )L2 (Rn ) = 0.
(3.68)
Angenommen, supp ϕ ∩ {t = 0} = ∅. Dann ist g schwache Lösung des Problems
L∗ g = 0,
g(T, ·) = 0
(3.69)
für den (ebenso strikt hyperbolischen) Operator L∗ und mit Cauchy-Daten am anderen
Streifenende. Da diese Lösungen eindeutig ist, folgt g = 0. Nimmt man entsprechend
Testfunktionen supp ϕ ∩ {t = T } = ∅ so folgt v0 = −ig(0, ·) = 0 und damit g = 0 und
v0 = 0. Also folgt W = L2 (S; Cd ) × L2 (Rn ; Cd ).
50
4 Streutheorie
4.1 Fragestellungen und Modelle
Im weiteren betrachten wir eines der folgenden Modelle.
1. Sei O ⊂ Rn beschränkt, abgeschlossen und ∂Ω glatt. Sei weiter Ω = Rn \ O. Dann
betrachten wir Lösungen des Rand-Anfangswertproblems
utt = ∆u,
(t, x) ∈ R × Ω,
(4.1)
u(t, x) = 0,
(t, x) ∈ R × ∂Ω,
(4.2)
x ∈ Ω.
(4.3)
u(0, x) = u0 (x),
ut (0, x) = u1 (x),
Mitunter sollte man voraussetzen, dass O konvex ist.1
2. Sei wiederum O beschränkt, abgeschlossen, ∂O glatt, sowie Ω = Rn \ O. Seien
weiter Ak , B ∈ Cd×d selbstadjungiert. Darüberhinaus sei zu jedem Randpunkt
x ∈ ∂Ω ein (maximaler) Unterraum V(x) ⊂ Cd mit
n
X
νk (v, Ak v)Cd = 0,
∀v ∈ V(x)
(4.4)
k=1
für den äußeren Normalenvektor ν gegeben. Dieser bestimmt die Randbedingungen
an ∂Ω.
Damit betrachten wir das Rand-Anfangswertproblem
n
X
(t, x) ∈ R × Ω,
(4.5)
u(t, x) ∈ V(x),
(t, x) ∈ R × ∂Ω,
(4.6)
u(0, x) = u0 ,
x ∈ Ω.
(4.7)
Dt u =
Ak Dxk u + Bu,
k=1
3. Seien Ak (x) und B(x) glatt vonP
x abhängende Matrizen, Ak (x)∗ = Ak (x) selbst∗
adjungiert und B(x) = B (x) − k Dxk Ak (x), sowie Ak (x) = Ak und Bk (x) = Bk
konstant sobald |x| > R gilt. Dann betrachten wir das symmetrisch hyperbolische
System
Dt u =
n
X
Ak (x)Dxk u + B(x)u,
(t, x) ∈ R1+n ,
(4.8)
x ∈ Rn .
(4.9)
k=1
u(0, x) = u0 (x),
1
oder, wie wir es nachfolgend tun, annehmen, dass lokale Energie aller Lösungen gegen Null strebt.
51
4 Streutheorie
In allen drei Fällen gilt Energieerhaltung. So folgt für das erste Model
Z
E(u; t) =
|ut |2 + |∇u|2 = const. = E(u; 0)
(4.10)
Ω
und entsprechend für das zweite und dritte Modell
ku(t, ·)k2L2 (Ω) = ku(0, ·)k2L2 (Ω) .
(4.11)
Das erste Modell kann auf das zweite zurückgeführt werden. Dazu betrachtet man den
Vektor mit den 2n Komponenten ut ± uxk , k = 1, . . . , n. Die Randbedingungen beim
zweiten Modell sind dabei gerade so gewählt, dass Randintegralterme bei partieller Integration verschwinden. Die Existenz von Lösungen folgt für alle drei Modelle analog zum
letzten Abschnitt mit dem Friedrichsschen Verfahren.
In allen Fällen kann man danach fragen, wie sich Lösungen für große Zeiten t →
±∞ verhalten. Dazu vergleichen wir die Lösungen des (durch das Hindernis O oder die
variablen Koeffizienten) gestörten Problems mit einem entsprechenden freien Problem
(auf Rn und mit konstanten Koeffizienten). Wir skizzieren kurz, wie dies vonstatten geht.
Wir machen eine Annahme und fordern, dass für jede beschränkte Teilmenge von
n
R \ O (im dritten Modell sei vereinfachend O = ∅) die in ihr enthaltene Energie für
t → ±∞ gegen Null strebt. Im ersten Modell wäre dies also
Z
lim
(|ut |2 + |∇u|2 ) dx = 0,
(4.12)
t→±∞ B
in den anderen
lim ku(t, ·)kL2 (B) = 0
t→±∞
(4.13)
für jede beschränkte Menge B ⊂ Ω = Rn \ O. Unter dieser Annahme erwartet man, dass
sich für t → ±∞ alle Lösungen des gestörten Problems wie Lösungen des entsprechenden
freien Problems verhalten, d.h., dass es entsprechende freie Lösungen u± mit
lim E(u − u± ; t) = 0
t→±∞
lim ku(t, ·) − u± (t, ·)kL2 (Ω) = 0
bzw.
t→±∞
(4.14)
gibt. In der Streutheorie geht es darum, die Zuordnungen u 7→ u± und u− 7→ u+ zu
untersuchen. Die entsprechenden Zuordnungen der Cauchy-Daten (in t = 0) werden als
Wellenoperatoren W± bezeichnet und bestimmen (falls die Wellenoperatoren surjektiv
sind) den Streuoperator S = W+ ◦ W−−1 .
Direkte Streutheorie besteht darin, aus den Streudaten (O bzw. die variablen Koeffizienten) die Wellen- oder Streuoperatoren zu bestimmen. Inverse Streutheorie versucht
aus Approximationen der Operatoren W± oder S die Streudaten zu rekonstruieren.
Betrachtet man speziell Modellproblem 1 für n = 3, so kann man die freien Lösungen
der Wellengleichung durch die Radontransformation darstellen. Es gilt also
Z
u± (t, x) =
k± (x · ω − t, ω) dω
(4.15)
S2
52
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
mit entsprechenden Funktionen k± : R × S2 → C. Weiter gilt
ZZ
2
|k(r, ω)|2 dr dω.
E(u± ; t) = kkkL2 (R×S2 ) =
(4.16)
Die Zeitevolution entspricht dabei einer Translation von k± in der ersten Komponente,
deshalb bezeichnet man die Darstellung der freien Lösungen u± durch Funktionen k±
als Translationsdarstellung.
Aufgrund seiner Definition kommutiert der Streuoperator S : u− 7→ u+ mit der Zeitevolution des Problems (warum?) und muss sich somit als Faltung
Z
(Sk)(r, ω) = S(r − s)k(s, ω) ds
(4.17)
in der Translationsdarstellung schreiben lassen. Die Funktion S(r − s) ist dabei operatorwertig und agiert in ω. Zum untersuchen von S bietet sich insbesondere die (inverse)
Fouriertransformierte M (σ) von S(r) an, wie wir später sehen werden ist diese analytisch in der unteren komplexen Halbebene. Die Funktion M (σ) wird als Streumatrix
bezeichnet.
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
Wir formulieren die Streutheorie nach Lax und Phillips abstrakt. Sei dazu H ein Hilbertraum und sei weiter U (t) für jedes t ∈ R ein unitärer Operator in H mit
U (s + t) = U (s)U (t),
s-lim U (t) = I.
(4.18)
t→0
Unter diesen Voraussetzungen bezeichnet man U als stark stetige Gruppe unitärer Operatoren, als Beispiel kann man an Lösungsdarstellungen der obigen Modellprobleme denken.
Bevor wir die allgemeine Situation untersuchen, betrachten wir ein diskretes Modell.
In diesem wird statt der stark stetigen Gruppe unitärer Operatoren U (t) die diskrete
Gruppe V k , k ∈ Z, für einen unitären Operator V auf H betrachtet.
4.2.1 Diskrete Lax–Phillips-Theorie
Ausgangspunkt ist folgender Satz.
Satz 4.1 (Translationsdarstellung unitärer Operatoren). Angenommen, es existiert ein
Unterraum D+ ⊂ H mit V D+ ⊂ D+ und
\
[
V j D+ = {0},
V j D+ = H.
(4.19)
j∈Z
j∈Z
'
Dann existiert ein Hilbertraum N und ein isometrischer Isomorphismus H ←→ `2 (Z; N),
so dass V als Shift agiert
V k+ (t) = k+ (t − 1),
k+ ∈ `2 (Z; N)
(4.20)
53
4 Streutheorie
und D+ gerade dem Unterraum `2 (Z≥0 ; N) entspricht. Der Raum N ist bis auf Isomorphie eindeutig bestimmt.
Beweis. Der Beweis erfolgt durch nachrechnen. Sei N = D+ ∩ (V D+ )⊥ , wir zeigen
H=
M
V j N,
D+ =
∞
M
V jN
(4.21)
j=0
j∈Z
und die Aussage folgt, indem man den Isomorphismus
X
X
H3h=
V j nj 7→ k+ = (nj )j∈Z ∈ `2 (Z; N),
khk2H =
knj k2N = kk+ k2`2 (4.22)
j∈Z
j∈Z
verwendet. Offenbar agiert V als Shift auf der Folge (nj ).
Nun zum Beweis. Es gilt (da V unitär)
⊥
V N = V D + ∩ V 2 D+
⊂ V D+ ⊂ N ⊥
(4.23)
N ⊕ V N = D+ ∩ (V 2 D+ )⊥ .
(4.24)
N ⊕ V N ⊕ · · · ⊕ V k−1 N = D+ ∩ (V k D+ )⊥
(4.25)
und damit
Per Induktion folgt
und mit k → ∞ somit die Darstellung von D+ als direkte Summe. Wendet man darauf
negative Potenzen von V an, so folgt für alle `
V
−`
D+ =
∞
M
V jN
(4.26)
j=−`
und wiederum mit ` → ∞ die Darstellung von H als direkte Summe.
Den obigen Isomorphismus nennen wir die Translationsdarstellung von H bezüglich
V und D+ . Dieser ordnet jedem h ∈ H ein Element k+ ∈ `2 (Z; N) zu. Man kann nun
Fourierreihen nutzen, um eine sogenannte Spektraldarstellung von H bezüglich V und
D+ abzuleiten. Wir geben zwei Varianten, zuerst nutzen wir ganz klassisch Fourierreihen
und betrachten die Zuordnung
1 X ijθ
H 3 h 7→ (nj )j∈Z 7→ √
e nj ∈ L2 ((0, 2π); N).
2π j∈Z
(4.27)
Beide Pfeile sind unitär. In der Spektraldarstellung entspricht der Anwendung von V
gerade die Multiplikation mit der Funktion eiθ . Für unsere Zwecke ist es günstiger die
komplexe Variable z = eiθ zu betrachten, dann liest sich die Spektraldarstellung als
X
H 3 h 7→ b
k+ (z) =
zj nj ∈ L2 (T; N),
(4.28)
j∈Z
54
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
wobei T = {z ∈ C : |z| = 1} den Rand der Einheitskreisscheibe D = {z ∈ C : |z| < 1}
bezeichne. Angewandt auf den Teilraum D+ erhält man bei dieser Darstellung Funktionen
∞
∞
X
X
z j nj ,
wobei
knj k2N < ∞.
(4.29)
j=0
j=0
Diese sind (als konvergente Potenzreihen) analytisch in D mit (ebenso nach Konstruktion) quadratintegrierbaren Randwerten auf T, beides jeweils hilbertraumwertig.
Definition 4.2. Der Hardyraum H2 (D) besteht aus allen analytischen Funktionen f :
D → C mit quadratintegrierbaren Taylorkoeffizienten. Weiter bezeichne H2 (D; N) den
Raum der analytischen Funktionen D → N der Form (4.29).
Man kann (z.B. mit dem Satz über majorisierte Konvergenz zusammen mit Parseval)
leicht zeigen, dass jede Funktion aus H2 (D; N) Randwerte in L2 (T; N) annimmt. Dabei
ist für b
k ∈ H2 (D; N)
Z 2π
kb
k(ρeiθ )k2N dθ = kb
kkH2 (D;N)
(4.30)
lim
ρ→1 0
und H2 (D; N) kanonisch als Unterraum des L2 (T; N) interpretierbar.
Folgerung 4.3 (Spektraldarstellung unitärer Operatoren). Es existiert ein isometri'
scher Isomorphismus H ←→ L2 (T; N), so dass V in dieser Darstellung als Multiplikation
Vb
k+ (z) = z b
k+ (z),
b
k+ ∈ L2 (T; N)
(4.31)
agiert und D+ gerade dem Unterraum H2 (D; N) entspricht.
Die diskrete Lax-Phillips Theorie besteht nun aus folgenden Ingredienzen. Angenommen wir haben einen Hilbertraum H, einen unitären Operator V und zwei Unterräume
D+ und D− , welche
V D + ⊂ D+ ,
\
V j D+ = {0},
j
[
V j D+ = H
(4.32)
j
und entsprechend
V −1 D− ⊂ D− ,
\
V j D− = {0},
j
[
V j D− = H
(4.33)
j
erfüllen. Wir nehmen weiter an, dass D+ ⊥ D− gilt. Unter diesen Voraussetzungen
bezeichnet man Elemente von D− als einlaufend (engl. incoming) und Elemente von
D+ als auslaufend (engl. outgoing). Mit Satz 4.1 kann man zu beiden Unterräumen
Translationsdarstellungen konstruieren. Es gilt also
H 3 h 7→ k+ ∈ `2 (Z; N)
(4.34)
55
4 Streutheorie
und
H 3 h 7→ k− ∈ `2 (Z; N0 )
(4.35)
mit geeigneten Hilberträumen N und N 0 . Bei der zweiten werde dabei D− auf `2 (Z<0 ; N0 )
abgebildet. Beide der Abbildungen sind unitär und wir nennen k− einlaufende Translationsdarstellung (engl. incoming representer) und k+ auslaufende Translationsdarstellung
(engl. outgoing representer) des Elements h ∈ H.
Lemma 4.4. Angenommen `2 (Z; N) und `2 (Z; N0 ) sind isometrisch isomorphe Hilberträume. Dann gilt N ' N 0 .
Beweis. Siehe z.b. Lax–Phillips oder Reed–Simon.
Damit können wir N und N 0 identifizieren. Die obigen Abbildungen entsprechen in
ihren Eigenschaften gerade den Wellenoperatoren der Einleitung, wir definieren also den
zugehörigen Streuoperator als
S : k− 7→ k+ ,
(4.36)
wobei k− und k+ gerade die beiden Translationsdarstellungen eines Elements h ∈ H
seien. Der so definierte Operator S besitzt offenbar folgende Eigenschaften:
Lemma 4.5.
1. S : `2 (Z; N) → `2 (Z; N) ist unitär.
2. S kommutiert mit Shifts.
3. S : `2 (Z<0 ; N) → `2 (Z<0 ; N).
Beweis. Die Aussagen 1 und 2 sind offensichtlich. Es bleibt 3. Sei k− ∈ `2 (Z<0 ; N)
einlaufende Translationsdarstellung von h ∈ H. Dann gilt h ∈ D− . Sei nun h̃ ∈ D+ ,
dann gilt h̃ ⊥ h und für die auslaufende Translationsdarstellung gilt k̃+ ∈ `2 (Z≥0 ; N).
Nach Konstruktion folgt also wegen h ⊥ h̃
Sk− = k+ ⊥ k̃+ .
Da h̃ ∈ D+ beliebig war folgt die Behauptung.
Wir wollen nun zeigen, dass in der Spektraldarstellung dem translationsinvarianten
Operator S ein Multiplikationsoperator M entspricht. Sei dazu
M :b
k− 7→ b
k+ .
(4.37)
Sei weiter H̄2 (1/D; N) der komplementäre Hardy-Raum, also die Menge aller
−1
X
j=−∞
j
z nj ,
wobei
−1
X
knj k2N < ∞.
(4.38)
j=−∞
Dies sind gerade die auf |z| > 1 analytischen Funktionen mit Werten in N, die im
Unendlichen regulär sind und dort verschwinden sowie Randwerte im L2 (T; N) besitzen.
Dann gilt
56
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
Lemma 4.6.
1. M : L2 (T; N) → L2 (T; N) ist unitär.
2. M kommutiert mit Multiplikationen mit z und 1/z.
3. M : H̄2 (1/D; N) → H̄2 (1/D; N).
Damit kann man ein erstes strukturelles Resultat für den Streuoperator in der Spektraldarstellung zeigen. Der Beweis nutzt wesentlich die Analytizität der Hardyfunktionen.
Satz 4.7 (Analytizität der Streumatrix). Angenommen N ist separabel. Dann ist M ein
Multiplikationsoperator
b
k+ (z) = M (z)b
k− (z),
z ∈ T.
(4.39)
Dabei gilt
1. M (z) ist analytisch in |z| > 1 und nimmt fast überall Randwerte im Sinne starker
Konvergenz an;
2. kM (z)kN→N ≤ 1 für |z| > 1;
3. M (z) ist unitär für fast alle z ∈ T.
Beweis. Schritt 1. Sei n ∈ N beliebig. Dann ist die konstante Funktion b
k(z) = n ∈
L2 (T; N) und es gilt z −1 b
k(z) ∈ H̄2 (1/D; N). Also folgt z −1 M b
k(z) = M (z −1 b
k(z)) ∈
H̄2 (1/D; N), also
Mb
k(z) ∈ z H̄2 (1/D; N).
(4.40)
Also sind die Werte M b
k(z) punktweise für |z| > 1 definiert.
b = m die zugeordneten konstanten
Schritt 2. Sind nun m, n ∈ N und b
k(z) = n sowie `(z)
j
b
b
Funktionen. Dann sind k(z) und z `(z) für alle j 6= 0 orthogonal. Da M unitär ist, gilt
dies auch für die entsprechenden Bilder und somit
Z
b
z −j M b
k(z), M `(z)
dz = 0,
j 6= 0.
(4.41)
N
T
b
Da dies aber gerade den Fourierkoeffizienten der skalaren Funktion z →
7
Mb
k(z), M `(z)
N
entspricht, folgt
b
Mb
k(z), M `(z)
=
const.
=
m,
n
,
|z| = 1 f.ü.
(4.42)
N
N
und insbesondere
kM b
k(z)kN = knkN ,
|z| = 1
f.ü.
(4.43)
Schritt 3. Weiter gilt für |z| > 1 (analog zum skalarwertigen Fall) die Darstellung von
Mb
k(z) als Poissonintegral
Mb
k(reit ) =
Z
2π
Pr (t − θ)M b
k(eiθ ) dθ
(4.44)
0
57
4 Streutheorie
über die Randwerte in T. Der auftretende
Poissonkern Pr (θ) ist dabei positiv, Pr (θ) > 0
R
für alle r > 1 und alle θ, sowie Pr (θ) dθ = 1. Damit folgt aber mit der MinkowskiUngleichung
Z
2π
Pr (t − θ)kM b
k(eiθ )kN dθ = knkN .
kM b
k(reit )kN ≤
(4.45)
0
Schritt 4. Wir definieren für |z| > 1 den Operator M (z)n := M b
k(z).
Dann ist M (z) : N → N und es gilt nach dem vorigen Schritt kM (z)kN→N ≤ 1. Weiter
ist M (z) offenbar analytisch in z für |z| > 1. Es bleibt zu zeigen, dass M (z) Randwerte
für |z| → 1 besitzt. Da N separabel ist, existiert also eine dichte Folge (nj ), nj ∈ N. Für
jedes j existiert weiterhin eine Teilmenge Ej ⊂ T mit
M (ρz)nj → M (z)nj ,
ρ & 1,
(4.46)
punktweise auf T\Ej . Dies folgt aus der oben zitierten Poissonschen Integraldarstellung.
Da die Normen von M (z) beschränkt sind, folgt somit nach Banach-Steinhaus
M (ρz)n → M (z)n,
ρ & 1,
(4.47)
S
punktweise auf T \ E mit E = j Ej . Formel (4.42) gilt für n = nj und m = mk fast
überall auf dem Rand. Fügt man die (abzählbar vielen) Ausnahmenullmengen zu E
hinzu, so ist auf der verbleibenden Teilmenge von T der Operator M (z) eine Isometrie.
Schritt 5. Wir zeigen, dass auf L2 (T; N) der gegebene Operator M und die Multiplikation
mit M (z) übereinstimmen. Auf konstanten Funktionen ist das nach Konstruktion so. Da
M mit der Multiplikation mit z und z −1 kommutiert ebenso auf allen (trigonometrischen)
Polynomen. Da diese dicht im L2 (T; N) sind, gilt für alle b
k ∈ L2 (T; N)
Mb
k(z) = M (z)b
k(z).
(4.48)
Schritt 6. Es bleibt zu zeigen, dass die Grenzwerte M (z) für z ∈ T fast überall unitär sind.
Sei dazu nun nj eine vollständige Orthonormalbasis von N. Sei weiter ñj (z) = M (z)nj
für z ∈ T\E. Dann sind die ñj (z) ein Orthonormalsystem von N (da M (z) eine Isometrie
ist). Für ein beliebiges i betrachten wir
X
g(z) = ni −
(ni , ñj (z))N ñj (z).
(4.49)
j
Die Funktion g ist nach Konstruktion meßbar ist und nach der Besselschen Ungleichung
gilt
kg(z)kN ≤ kni kN .
(4.50)
Also ist g ∈ L2 (T; N). Weiter gilt für alle k und j
(g(z), z k ñj (z))N = 0
(4.51)
und g(z) ist orthogonal zu (z k ñj (z))k,j . Da dies aber gerade das Bild der Orthogonalbasis
z k nj von L2 (T; N) ist, folgt g = 0 fast überall. Damit ist aber das Bild von M (z) dicht
für fast alle z ∈ T und somit M (z) unitär fast überall.
58
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
4.2.2 Kontinuierliche Lax–Phillips Theorie
Nun wenden wir uns der allgemeineren Streutheorie zu und betrachten eine stark stetige
Gruppe unitärer Operatoren U (t) zusammen mit Unterräumen D+ und D− von H,
welche
D− ⊂ U (t)D− ,
U (t)D+ ⊂ D+
(4.52)
für alle t > 0 erfüllen und für die
\
U (t)D± = {0},
t∈R
[
U (t)D± = H
(4.53)
t∈R
gilt. Wir nehmen weiter an, dass D− ⊥ D+ gilt.
Das Analogon zu Satz 4.1 ist dabei
Satz 4.8 (Sinai). Angenommen, es gibt einen Unterraum D+ ⊂ H mit (4.52) und (4.53).
'
Dann existiert ein Hilbertraum N und ein isometrischer Isomorphismus H ←→ L2 (R; N),
so dass U (t) als Shift agiert
U (t)k+ (s) = k+ (s − t),
k+ ∈ L2 (R; N)
(4.54)
und D+ entspricht dabei dem Unterraum L2 (R+ ; N) der auf [0, ∞) getragenen Elemente.
Wir wollen diese Translationsdarstellung H → L2 (R; N) als auslaufend bezeichnen.
Analog existiert eine zweite Translationsdarstellung H → L2 (R; N0 ), welche den Unterraum D− in L2 (R− ; N0 ) überführt. Da beide unitär äquivalent sind, folgt N ' N 0 und
wir können oBdA annehmen N = N 0 . Wiederum nennt man k+ auslaufend und k−
einlaufende Translationsdarstellung des Elements h ∈ H.
Beweis. Wir folgen dem Argument von Lax–Phillips, für einen alternativen Beweis siehe
Reed–Simon. Wir skizzieren nur die wesentlichen Schritte.
Schritt 1. Der unitären Gruppe U (t) wird ihr Erzeuger A zugeordnet. Dies ist der (unbeschränkte) Operator
U (t)h − h
Ah = lim
(4.55)
t→0
it
definiert auf der Menge D(A) ⊂ H für die der angegebene Grenzwert existiert. Der
so definierte Operator ist offenbar symmetrisch, (Ah, h) = (h, Ah), h ∈ D(A), und
darüberhinaus selbstadjungiert.
Schritt 2. Wir betrachten die Cayley-Transformierte des Erzeugers A, also den unitären
Operator
V = (1 + iA)(1 − iA)−1 .
(4.56)
Dann gilt
Lemma 4.9. Es gilt U (t)D+ ⊂ D+ für alle t > 0 genau dann, wenn V D+ ⊂ D+ .
59
4 Streutheorie
Zum Beweis nutzt man die Darstellung der Cayley-Transformierten als Integral
Z ∞
−1
V = 2(I − iA) − I = 2
e−t U (t) dt − I
(4.57)
0
sowie allgemeiner die Darstellung der Resolvente
Z ∞
−1
e−λt U (t) dt.
(λI − iA) =
(4.58)
0
Ist D+ vorwärtsinvariant unter U (t), so impliziert das erste Integral V D+ ⊂ D+ . Ist
umgekehrt V D+ ⊂ D+ , so folgt daraus (I − iA)−1 D+ ⊂ D+ und durch analytische
Fortsetzung der Resolvente
(λI − iA)−1 D+ ⊂ D+ für λ > 0. Dann folgt aber für h ∈ D+
R ∞ −λt
und h̃ ⊥ D+ sofort 0 e (U (t)h, h̃)H dt = 0 und nach dem Identitätssatz für die
Laplacetransformation U (t)h ⊥ h̃.
Schritt 3. Wir zeigen
P =
\
k∈Z
V k D+ = {0},
P0 =
[
V k D+ = H.
(4.59)
k∈Z
Dazu nutzen wir obiges Lemma.TDer Durchschnitt
ist sicher invariant unter U (t) und in
T
D+ enthalten. Somit folgt aber U (t)P ⊂ S
U (t)D+ = {0}.
S Umgekehrt gilt wegen der
Invarianz von P 0 und D+ ⊂ P 0 die Inklusion t U (t)D+ ⊂ t U (t)P 0 = P 0 .
Schritt 4. Nun können wir Satz 4.3 auf den Unterraum D+ und den Operator V anwen'
den. Dies liefert eine Spektraldarstellung H ←→ L2 (T; N) für einen bis auf Isomorphie
eindeutig bestimmten Hilbertraum N . In dieser entspricht V dem Multiplikationsoperator mit z.
1−z
1+iσ
Wir nutzen nun die Transformation σ = i 1+z
, z = 1−iσ
, die die Einheitskreisscheibe
D konform auf die obere Halbebene C+ abbildet. Zusammen mit Normierungsfaktoren
ergibt dies die Zuordnung
1 + iσ
L2 (T; N) 3 b
k(z) 7→ π −1/2 (1 − iσ)−1 b
k
∈ L2 (R; N).
(4.60)
1 − iσ
Dies ist ein isometrischer Isomorphismus beider Räume. Damit haben wir eine unitäre
'
Abbildung H ←→ L2 (R; N), so dass dem Operator V gerade die Multiplikation mit der
1+iσ
entspricht. Damit entspricht die Anwendung von A der MultiplikaFunktion σ 7→ 1−iσ
tion mit σ.
Schritt 5. Der Raum D+ entsprach im Kreismodell gerade dem Hardyraum H2 (D; N).
Die obige Transformation
1 + iσ
H2 (D; N) 3 f (z) 7→ π −1/2 (1 − iσ)−1 f
∈ H2 (C+ ; N)
(4.61)
1 − iσ
bildet diesen entsprechend auf den Hardyraum auf der oberen komplexen Halbebene ab.
Die Abbildung ist isometrisch-isomorph. Die entstehenden Funktionen sind analytisch
in C+ und besitzen Randwerte an der reellen Achse im L2 -Sinne.
60
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
Schritt 6. Da A der Multiplikation mit σ entspricht, ist U (t) durch die Multiplikation
mit eiσt dargestellt.
Schritt 7. Wendet man auf die gerade konstruierte Spektraldarstellung die Fouriertransformation
Z
1
2
b
L (R; N) 3 k(σ) 7→ k(t) = √
e−iσt b
k(σ) dσ ∈ L2 (R; N)
(4.62)
2π
an, so erhält man die gesuchte Translationsdarstellung der Gruppe U (t). Der Unterraum
D+ wird dabei auf L2 (R+ ; N) abgebildet (Satz von Paley–Wiener, L2 -Version).
Damit kann man nun dem Programm aus der diskreten Theorie folgen. Der Streuoperator S ist wieder definiert als
S : k− 7→ k+ ,
(4.63)
wobei k± die beiden Translationsdarstellungen des Elementes h ∈ H sind. Damit folgt
Lemma 4.10.
1. S : L2 (R; N) → L2 (R; N) ist unitär.
2. S kommutiert mit Translationen.
3. S : L2 (R− ; N) → L2 (R− ; N).
Wir wollen nun wiederum zeigen, dass in der Spektraldarstellung dem translationsinvarianten Operator S ein Multiplikationsoperator entspricht. Sei also M
M :b
k− →
7 b
k+ .
(4.64)
Sei weiter H2 (C− ; N) der Hardyraum in der unteren Halbebene (was gerade dem Bild
von H̄2 (1/C; N) unter der obigen konformen Abbildung entspricht). Dann gilt
Lemma 4.11.
1. M : L2 (R; N) → L2 (R; N) ist unitär.
2. M kommutiert mit Multiplikationen mit σ 7→ eiσt für alle t ∈ R.
3. M : H2 (C− ; N) → H2 (C− ; N).
Satz 4.12 (Analytizität der Streumatrix). Angenommen N ist separabel. Dann ist M
ein Multiplikationsoperator
b
k+ (σ) = M (σ)b
k− (σ),
σ ∈ R.
(4.65)
Dabei gilt
1. M (σ) ist analytisch in Im σ < 0 und nimmt fast überall Randwerte im Sinne starker
Konvergenz an;
2. kM (σ)kN→N ≤ 1 für Im σ < 0;
3. M (σ) ist unitär für fast alle σ ∈ R.
61
4 Streutheorie
Die Funktion M (σ) wird als Streumatrix bezeichnet. Bevor wir uns wieder den konkreten hyperbolischen Modellen zuwenden, wollen wir die analytische/meromorphe Fortsetzung von M (σ) in die obere Halbebene C+ diskutieren. Die Fortsetzung erfolgt mit
dem Schwarzschen Spiegelungsprinzip.
Lemma 4.13 (Analytische Fortsetzung der Streumatrix). Angenommen, M (σ) ist stetig
auf R und ist für σ ∈ C− mit Ausnahme endlich vieler Punkte invertierbar. Dann ist
M (σ) meromorph auf C und es gilt
M (σ) = (M ∗ (σ))−1 ,
σ ∈ C+ .
(4.66)
4.2.3 Die Lax–Phillips Halbgruppe
⊥ . Sei weiter K = (D ⊕ D )⊥ . Betrachtet
Seien nun P± Orthogonalprojektoren auf D±
−
+
man nun die Operatoren
Z(t) = P+ ◦ U (t) ◦ P− ,
(4.67)
so bilden diese auf dem Teilraum K eine Kontraktionshalbgruppe.
Lemma 4.14 (Lax–Phillips Halbgruppe). Die Operatoren Z(t) bilden eine Kontraktionshalbgruppe auf K. Genauer gilt
1. Z(t)D+ = Z(t)D− = {0} für alle t > 0;
2. Z(t) : K → K mit kZ(t)kK→K ≤ 1 für alle t > 0;
3. auf K gilt Z(t + s) = Z(t)Z(s) für t, s > 0;
4. s-limt→∞ Z(t) = 0.
Beweis. [1.] Da P− D− = {0} und U (t)P− D+ = U (t)D+ ⊂ D+ folgt die erste Aussage.
[2.] Nach Definition ist das Bild von Z(t) senkrecht auf D+ , es genügt zu zeigen, dass
es auch senkrecht auf D− ist. Sei also h ⊥ D− . Dann gilt U (t)P− h = U (t)h ⊥ D−
(da U ∗ (t) = U (−t) den Raum D− in sich abbildet) und somit Z(t)h ⊥ D− , da P+ das
⊥ auf sich abbildet. Da U (t) unitär ist und P Orthogonalorthogonale Komplement D−
±
projektoren sind folgt kZ(t)kH→H ≤ 1.
[3.] Auf K gilt Z(t) = P+ U (t) und damit (da D+ unter U (t) invariant ist)
Z(t)Z(s) = P+ U (t)P+ U (s) = P+ U (t)U (s) − P+ U (t)(I − P+ ) U (s) = Z(t + s). (4.68)
|
{z
}
=0
S
[4.] Da s U (s)D+ dicht in H ist existiert für jedes k ∈ K und jedes > 0 ein h ∈ D+
und ein s > 0, so dass kk − U (−s)hkH < . Da P+ U (t) Kontraktion ist folgt damit aber
kP+ U (t)k − P+ U (t)U (−s)hkH = kZ(t)k − P+ U (t − s)hkH < .
Für t → ∞ gilt U (t − s)h → 0 und somit folgt die Behauptung.
62
(4.69)
4.2 Lax–Phillips Streutheorie und Translationsdarstellungen
Die Lax–Phillips-Halbgruppe Z(t) beschreibt das lokale Verhalten des Systems in der
Nähe des Hindernisses. Es liegt daher Nahe, dass die Halbgruppe und ihr Erzeuger eng
mit der Streumatrix M (σ) zusammen hängen.
Satz 4.15 (Lax–Phillips). Sei γ ∈ C mit Re γ < 0. Dann sind äquivalent
1. Es existieren genau m linear unabhängige Elemente k1 , . . . , km ∈ K mit
Z(t)kj = eγt kj .
2. γ ist m-facher Eigenwert des infinitesimalen Erzeugers G
Z(t)k − k
,
k→0
t
Gk = lim
D(G) = {k ∈ K : lim existiert in K}
der Halbgruppe Z(t).
3. dim ker M ∗ (iγ) = m.
Beweis. [1. impliziert 2.] Jedes kj ist ein Eigenvektor von G zum Eigenwert γ. Das folgt
direkt durch Einsetzen in die Definition von G. Es gilt auch die Umkehrung.
[2. impliziert 3.] Sei nun k ∈ D(G) ein Eigenvektor von G zum Eigenwert γ und k+
die auslaufende Translationsdarstellung von k. Da k ⊥ D+ gilt, folgt k+ ∈ L2 (R− ; N).
Weiter folgt Z(t)k = eγt k und somit
k+ (s − t) = eγt k+ (s),
s < 0.
(4.70)
Das impliziert aber
(
e−γs n,
k+ (s) =
0,
s ≤ 0,
s>0
(4.71)
für ein n ∈ N. Für die spektrale Darstellung erhält man somit (wegen M (σ)−1 = M ∗ (σ)
für σ ∈ R)
b
k+ (σ) =
1
n,
iσ − γ
b
k− (σ) = M ∗ (σ)b
k+ (σ) =
1
M ∗ (σ)n
iσ − γ
(4.72)
für σ ∈ R. Nach Konstruktion sind b
k− ∈ H2 (C+ ; N) und b
k+ ∈ H2 (C− ; N) analytisch in
∗
den jeweiligen Halbebenen. Ebenso ist M (σ) analytisch in C+ . Damit impliziert (4.72)
aber, dass M ∗ (iγ)n = 0 gelten muss, und es gilt n ∈ ker M ∗ (iγ).
[3. impliziert 1.] Sei n ∈ ker M ∗ (iγ). Dann ist b
k− (σ) = (iσ − γ)−1 M ∗ (iσ)n analytisch
in σ und gehört zu H2 (C+ ; N). Sei nun k ∈ H das Element mit einlaufender Translationsdarstellung k− . Dann ist k ⊥ D− und, wie oben, b
k+ (σ) = (iσ − γ)−1 n. Das impliziert
k+ (s) = eγs n1R− (s) und somit k ⊥ D+ sowie Z(t)k = eγt k.
In Anwendungen ist Z(t) für t > 0 oft ein kompakter Operator. Dann besitzt Z(t) diskretes Spektrum in D und (falls M (σ) auf R stetig ist) folgt die meromorphe Fortsetzung
von M (σ) auf ganz C.
63
4 Streutheorie
Abbildung 4.1: Zur Definition des einlaufenden Teilraums
4.3 Streutheorie für Wellen
4.3.1 Translationsdarstellungen
Zurück zu den Modellproblemen. Wir beschränken uns auf Modell 1 im Rn , n ungerade, und betrachten die Wellengleichung außerhalb eines Hindernisses O mit DirichletRandbedingungen auf ∂O. Dazu setzen wir als H den Raum der Cauchy-Daten mit der
Energienorm, betrachten also Paare von Funktionen u0 und u1 in der Norm
Z
1
k{u0 , u1 }k2 =
|∇u0 |2 + |u1 |2 dx
(4.73)
2 Ω
2
und definieren den Energieraum H als den Abschluß von C∞
0 (Ω; C ) in dieser Norm. Wir
setzen weiter im folgenden voraus, dass O ⊂ BR (0) in der Kugel vom Radius R um den
Ursprung enthalten ist. Dabei bezeichne {u0 , u1 } das Paar bestehend aus u0 und u1 (um
Verwechslungen mit Innenprodukten zu vermeiden).
Als Unterräume D+ und D− wählen wir den Raum der Cauchydaten {u0 , u1 } für
Lösungen u(t, x) mit
D− :
u(t, x) = 0
|x| ≤ R − t,
t<0
(4.74)
D+ :
u(t, x) = 0
|x| ≤ R + t,
t > 0.
(4.75)
Bezeichne nun U (t) die Abbildung der Cauchy-Daten {u0 , u1 } auf {u(t, ·), ut (t, ·)}. Dann
ist U (t) eine stark stetige Gruppe unitärer Operatoren auf H und nach Konstruktion
64
4.3 Streutheorie für Wellen
gilt für alle t > 0
U (t)D+ ⊂ D+ ,
D− ⊂ U (t)D−
(4.76)
U (t)D− = {0}.
(4.77)
sowie
\
U (t)D+ =
t∈R
\
t∈R
Die Definition der Unterräume D+ und D− stetzt deren Elemente in direkten Bezug zur
freien Wellengleichung (d.h. O = ∅). Zu gegebenem {u0 , u1 } ∈ D− kann man die Lösung
u(t, x) betrachten, diese für t < 0 trivial auf Rn fortsetzen und erhält eine freie Lösung
u− (t, x) für t < 0. Elemente von D− können auf diese Weise mit freien Wellen u− (t, x)
identifiziert werden (mit denen sie auf t < 0 nach Definition übereinstimmen) und diese
wiederum durch die inverse Radon-Transformation dargestellt werden. Wir modifizieren
die Darstellung leicht und schreiben
Z
u(t, x) = u− (t, x) =
(−∂t )(n−3)/2 k− (x · ω − t, ω) dω,
t≤0
(4.78)
Sn−1
mit einer Funktion k− . Diese ist durch
2(2π)n−1 k− (r, ω) = ∂r(n+1)/2 R[u0 ](r, ω) − ∂r(n−1)/2 R[u1 ](r, ω)
(4.79)
gegeben. Die Ableitungen sind gerade so gewählt, dass k− quadratintegrierbar ist, die
folgende Aussage ergibt sich direkt aus der Fourierdarstellung der Radontransformation
in Verbindung mit dem Satz von Plancherel.
Lemma 4.16. Die so definierte Abbildung
D− 3 {u0 , u1 } 7→ k− ∈ L2 (R; L2 (Sn−1 ))
(4.80)
ist isometrisch und der Operator U (t) entspricht für t < 0 gerade der Translation von
k− um t nach rechts.
Die Trägereigenschaft der Lösungen zu Daten aus D− impliziert eine Trägereigenschaft
der Funktion k− .
Lemma 4.17. Angenommen {u0 , u1 } ∈ D− und k− ∈ L2 (R; L2 (Sn−1 )) sei die zugeordnete Translationsdarstellung. Dann gilt k− (r, ω) = 0 für alle r > −R.
Beweis. Sei u− die freie Lösung. Da diese in x = 0 verschwindet, gilt für alle t ∈ (−∞, R)
und alle Multiindices α
∂xα u− (t, 0) = 0
(4.81)
insbesondere also
Z
Sn−1
ω α ∂r|α|+(n−3)/2 k− (−t, ω) dω = 0.
(4.82)
Multiplikation mit einer Testfunktion in (−∞, R) und partielle Integration liefert damit
Z R Z
|α|+(n−3)/2
ω α k− (−t, ω)∂t
ϕ(t) dω dt = 0.
(4.83)
−∞
Sn−1
Da Linearkombinationen von Funktionen ω α (∂t )|α|+(n−3)/2 ϕ(t) für beliebige Testfunktionen ϕ dicht in L2 ((−∞, R) × Sn−1 ) sind, folgt k− (−t, ω) = 0.
65
4 Streutheorie
Folgerung 4.18. Die Abbildung
D− 3 {u0 , u1 } 7→ k− ∈ L2 ((−∞, −R); L2 (Sn−1 ))
(4.84)
ist unitär.
Beweis. Da die Abbildung isometrisch ist genügt es Surjektivität zu zeigen. Sei also k ∈
L2 (R; L2 (Sn−1 )) mit supp k ⊂ (−∞, −R). Dann kann man durch Falten in r die Funktion
()
glätten und mittels (4.78) freie Wellen u− (t, x), < δ definieren. Nach Konstruktion ist
()
u− (t, x) = 0 für alle |x| ≤ R −−t, t < 0. Damit sind ihre Restriktionen auf Ω = Rn \O,
()
t < 0, Lösungen und es existiert eine Lösung u() (t, x) die für t < 0 mit u− (t, x)
übereinstimmt. Für → 0 konvergieren diese Lösungen aber im Energieraum und liefern
damit eine einlaufende starke Lösung u(t, x) mit Cauchy-Daten {u0 , u1 } ∈ D− .
Die unitäre Abbildung D− 7→ L2 ((−∞, −R]; L2 (Sn−1 )) kann man unter Ausnutzung
der unitären Gruppe U (t) zu einer isometrischen Abbildung
H− =
[
U (t)D− 7→ L2 (R; L2 (Sn−1 ))
(4.85)
t
fortsetzen, so dass U (t) gerade der Translation in L2 (R; L2 (Sn−1 )) entspricht. Da sie
offenbar surjektiv ist (die Translate des L2 ((−∞, −R); L2 (Sn−1 )) sind dicht) ist sie auch
unitär.
Analog kann man zu Elementen {u0 , u1 } ∈ D+ die Lösung u(t, x) auf t > 0 betrachten.
Diese ist trivial auf Rn fortgesetzt eine freie Lösung u+ (t, x) für t > 0 und es gilt
Z
u(t, x) = u+ (t, x) =
(−∂t )(n−3)/2 k+ (x · ω − t, ω) dω,
t ≥ 0.
(4.86)
Sn−1
2 n−1 )) unitär abgebildet und es gibt wiederum eine
Dabei wird D+ in L2 ([R, ∞);
S L (S
unitäre Fortsetzung H+ = t U (t)D+ 7→ L2 (R; L2 (Sn−1 )).
Folgerung 4.19 (Translationsdarstellungen im Außengebiet). Die beiden so konstruierten Translationsdarstellungen
H± 3 {u0 , u1 } 7→ k± ∈ L2 (R; L2 (Sn−1 ))
(4.87)
sind unitär.
Bezeichne H0 = Ḣ1 (Rn ) × L2 (Rn ) den Energieraum des freien Problems. Dann kann
man H als Teilraum von H0 auffassen (indem man {u0 , u1 } in O durch Null fortsetzt).
Sei weiter U0 (t) die unitäre Gruppe zum freien Problem. Die soeben konstruierten Translationsdarstellungen stimmen auf D± mit der freien Translationsdarstellungen überein.
Da diese H0 → L2 (R; L2 (Sn−1 )) unitär ist und die Bilder von D− und D+ Funktionen
mit disjunkten Trägern sind, folgt
Folgerung 4.20. Es gilt D− ⊥ D+ .
66
4.3 Streutheorie für Wellen
Da wir noch nicht alle Voraussetzungen der Lax–Phillips Theorie geprüft haben, sollte
man hier einige Worte der Vorsicht einbauen: Falls H− = H+ = H gilt, so sind die
konstruierten Abbildungen die Translationsdarstellungen der Lax–Phillips Theorie. Es
könnte aber auch sein, dass H± echte Teilräume sind. Stimmen diese überein, so ist man
(auf dem reduzierten Energieraum) wiederum im Rahmen der Lax–Phillips Theorie,
wenn nicht muß man mit einem Paar von Energieräumen leben.
S
Um zu zeigen, dass U (t)D± dicht in H ist, benötigen wir die Annahme, dass die
Energie lokal gegen Null strebt, also für jede beschränkte Teilmenge B ⊂ Ω
Z
lim
|∇u(t, x|2 + |ut (t, x)|2 dx = 0
(4.88)
t→±∞ B
gilt. Wir nutzen die Schreibweise k{u0 , u1 }kH(r) für die lokale Energie in B = Br (0) ∩ Ω.
S
Lemma 4.21. Angenommen, es gilt (4.88). Dann sind t U (t)D± beide dicht in H.
S
Beweis. Schritt 1. Angenommen, t U (t)D+ ist nicht dicht in H. Dann existiert ein
0 6= p = {v, w} ∈ H mit (p, U (t)g+ )H = 0 für alle t und alle g+ = {u0 , u1 } ∈ D+ . Da
U (t) unitär ist, folgt
(U (−t)p, g+ )E = 0.
(4.89)
Also ist U (s)p ⊥ D+ für alle s ∈ R.
Schritt 2. Sei nun q ⊥ D+ und sei u+ (t, x) die freie Welle mit den (trivial fortgesetzten)
Cauchy-Daten q. Dann ist die freie Translationsdarstellung dieser Welle ein Element von
L2 ((−∞, R]; L2 (Sn−1 )) = L2 ([R, ∞); L2 (Sn−1 ))⊥ . Also folgt
U0 (t)q = 0
für |x| ≤ −t − R, t < −R
(4.90)
und da diese Lösung für t < −2R in O verschwindet auch
U0 (t)q = U (t + 2R)U0 (−2R)q
für t < −2R.
(4.91)
Schritt 3. Wir nutzen die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeit. Für jedes Element h ∈ H
gilt
U0 (−2R)h = U (−2R)h
für |x| > 3R
(4.92)
und entsprechend für die lokale Energie
kU0 (−2R)hkH(3R) ≤ khkH(5R) ,
kU (−2R)hkH(3R) ≤ khkH(5R) .
(4.93)
Schritt 4. Es folgt ein Widerspruch. Sei p wie in Schritt 1. Dann existiert wegen (4.88)
zu jedem > 0 ein s ∈ R mit
kU (s)pkH(5R) < .
(4.94)
Damit folgen
kU0 (−2R)U (s)pkH(3R) < ,
kU (s − 2R)pkH(3R) < (4.95)
67
4 Streutheorie
und insbesondere
kU0 (−2R)U (s)p − U (s − 2R)pkH(3R) < 2.
(4.96)
Da U (s)p ⊥ D+ gilt, stimmen beide Terme für |x| > 3R überein. Es gilt also (da der
erste Term auch zu H und nicht nur H0 gehört)
kU (2R − s)U0 (−2R)U (s)p − pkH = kU0 (−2R)U (s)p − U (s − 2R)pkH < 2.
(4.97)
Für s > 2R gilt aber U (2R − s)U0 (−2R)U (s)p = U0 (−s)U (s)p nach Schritt 2 und somit
da dies für |x| < s − 2R verschwindet
kpkH(s−2R) < 2.
(4.98)
Da s und beliebig war, folgt p = 0.
Damit sind alle (basierend auf der Annahme lokaler Energieabschätzungen) Voraussetzungen für die Lax–Phillips Theorie erfüllt.
4.3.2 Morawetz-Abschätzungen
Lokale Energieabschätzungen sind im allgemeinen falsch. Sie gelten (ganz offenbar) nicht,
wenn der Erzeuger der unitären Gruppe U (t) Eigenwerte besitzt. Zugeordnete Eigenfunktionen als Anfangsdaten führen zu Lösungen deren lokale Energie erhalten bleibt. Wir
bleiben bei dem Modell aus dem letzten Abschnitt und betrachten Wellengleichungen
außerhalb eines Hindernisses O in ungeraden Raumdimensionen.
Satz 4.22 (Morawetzabschätzung). Angenommen O ist sternförmig mit glattem Rand
und p ∈ H mit supp p ⊂ Bk (0). Dann gilt für alle t > 2h die lokale Energieabschätzung
kU (t)pkH(h) ≤
Ck
kpkH .
t
(4.99)
Folgerung 4.23. Ist O sternförmig mit glattem Rand so gilt (4.88).
Der Beweis der Aussage besteht auf einer (auch für sich genommen) interessanten
Identität. Sie erlaubt den Beweis von Energieabschätzungen und ist ein Erhaltungssatz
in differentieller Form.
Lemma 4.24 (Morawetzidentität). Sei u(t, x) eine reellwertige Lösung der Wellengleichung
utt − ∆u = 0
68
(4.100)
4.3 Streutheorie für Wellen
in einer offenen Teilmenge des R1+n , n ≥ 3, und sei weiter
|x|2 + t2 2
n−1 2
(ut + |∇u|2 ) + 2tut x · ∇u + (n − 1)tuut −
u
2
2
x
x
(t + |x|)2
n − 1 2 (t − |x|)2
n−1 2
ut +
ut −
=
· ∇u +
u +
· ∇u −
u
4
|x|
2|x|
4
|x|
2|x|
!
2
x
(n − 3)(n − 1) 2
|x|2 + t2
2
|∇u| −
u
· ∇u +
+
2
|x|
4|x|2
2
n−1
|x| + t2
−
ux
(4.101)
div
4
|x|2
e(t, x) =
die konforme Energiedichte und
f (t, x) = (|x|2 + t2 )ut + 2tx · ∇u + (n − 1)tu ∇u + t(u2t − |∇u|2 )x.
(4.102)
Dann gilt
∂t e(t, x) − div f (t, x) = 0.
Da für beliebige differenzierbare reelle Funktionen offenbar
2
x
· ∇u ≤ |∇u|2
|x|
(4.103)
(4.104)
gilt, ist e(t, x) die Summe positiver Terme und einer Divergenz. Ist nun Σ ⊂ R1+n eine
Teilmenge mit glattem Rand und ν der äußere Normalenvektor auf ∂Σ, so gilt für jede
Lösung der Wellengleichung auf Σ die Identität
Z
Z
d
e(t, x) =
f (t, x) · ν
(4.105)
dt Σ
∂Σ
und, falls das Randintegral negativ ist, folgt eine Abschätzung der konformen Energie
in Σ,
Z
Z
e(t, x) ≤
e(0, x),
t > 0.
(4.106)
Σ
Σ
Damit folgen einige interessante lokale Abschätzungen.
Beweis zu Satz 4.22. Sei oBdA O sternförmig bezüglich des Ursprungs und u(t, x) die
Lösung der Wellengleichung auf Ω = Rn \ O zu Cauchydaten p ∈ H mit supp p ⊂ Bk (0).
Dann gilt für die konforme Energie der Lösung
Z
Z
d
e(t, x) =
f (t, x) · ν
(4.107)
dt Ω
∂Ω
mit ν dem inneren Normaleneinheitsvektor an ∂O. Da u(t, x) = ut (t, x) = 0 für alle
x ∈ ∂O gilt, ergibt sich für das Randintegral
f (t, x) · ν = 2t(x · ∇u)(ν · ∇u) − t|∇u|2 x · ν = t|∇u|2 (x · ν) ≤ 0,
(4.108)
69
4 Streutheorie
letzteres unter Ausnutzung von ∇u = (ν · ∇u)ν auf ∂O und der Sternförmigkeit von O
(und damit x · ν ≤ 0). Also gilt die Energieungleichung
Z
Z
e(t, x) dx ≤
Ω
Ω
e(0, x) dx ≤ Ck 2 kpk2H ,
t ≥ 0.
(4.109)
Bei der Abschätzung der Anfangsenergie haben wir den kompakten Träger einerseits
zum Abschätzen der |x|2 -Faktoren genutzt, zum anderen aber auch für die Abschätzung
von u2 . Dies impliziert sofort eine Reihe von Ungleichungen, es gilt
Z
Ω
(t + |x|)2
4
x
n−1 2
ut +
· ∇u +
u
dx ≤ Ck 2 kpk2H ,
|x|
2|x|
x
n−1 2
ut −
· ∇u −
u
dx ≤ Ck 2 kpk2H ,
|x|
2|x|
Ω
2 !
Z
x
|x|2 + t2
|∇u|2 −
· ∇u
dx ≤ Ck 2 kpk2H ,
2
|x|
Ω
(t − |x|)2
4
Z
(4.110)
(4.111)
(4.112)
und
Z
Ω
|x|2 + t2 (n − 3)(n − 1) 2
u dx ≤ Ck 2 kpk2H .
2
4|x|2
(4.113)
Ersetzt man nun die Integration über Ω durch die Integration über Ω ∩ Bh (0), so folgt
aus (4.112)
2 !
Z
2Ck 2 kpk2H
x
2
|∇u| −
· ∇u
,
(4.114)
dx ≤
|x|
t2
Ω∩Bh (0)
für t > 2h aus (4.110) und (4.111)
Z
Ω∩Bh (0)
u2t
+
!
2
2Ck 2 kpk2H
x
n−1
x
n−1 2
· ∇u +
u
· ∇u +
u
dx
≤
.
|x|
|x|
|x|
4|x|2
t2
(4.115)
Weiterhin gilt
1
u
|x|
2 x
u
n − 2 u2
· ∇u = div
x
−
|x|
2|x|2
2 |x|2
(4.116)
und damit folgt nach Integration, dass die letzten beiden Summanden in (4.115) ein
nichtnegatives Integral besitzen. Also folgt nach Addition von (4.114) und (4.115) die
Behauptung
Z
k 2 kpk2H
.
(4.117)
u2t + |∇u|2 dx ≤ 4C
t2
Ω∩Bh (0)
70
4.3 Streutheorie für Wellen
4.3.3 Spektrale Eigenschaften
Es gibt einen zweiten Zugang das lokale Energieabfallen (4.88) zu beweisen. Dazu setzen wir es in einen Zusammenhang zu den spektralen Eigenschaften des Erzeugers der
unitären Gruppe U (t).
Satz 4.25 (Rellich-Vekua). Sei Ω = Rn \ O zusammenhängend und mit glattem Rand,
n ≥ 2. Dann gilt
1. Sei ∆u = 0 mit u(x) = 0 auf ∂O. Gilt dann u ∈ L2 (Ω), so ist u = 0.
2. Gilt ∆u + λ2 u = 0 auf Ω für ein λ ∈ R \ {0} und u ∈ L2 (Ω), so gilt u = 0.
Beweis. Wir bemerken zuerst, dass jede Distribution u mit ∆u = λu für ein λ ∈ C schon
glatt ist, wir im folgenden also schon a priori u ∈ C∞ (Ω) annehmen können. Dies folgt
z.B. mit dem Pseudodifferentialkalkül.
[1.] Gilt ∆u = 0 für ein u ∈ L2 (Ω), so folgt ∇u ∈ L2 (Ω) (da u ∈ H2 (Ω) ∩ H10 (Ω)) und
durch partielles Integrieren unter Ausnutzung der Randbedingungen
Z
Z
0 = − u∆u dx =
|∇u|2 dx.
(4.118)
Ω
Ω
Also ist u(x) = 0 f.ü.
[2.] Das ist die eigentliche Aussage von Rellich und Vekua. Sie gilt ohne Randbedingungen. Da λ reell ist, können wir oBdA annehmen, dass u(x) reellwertig ist. Wir
entwickeln u(x) für |x| > R in eine Reihe von Kugelfunktionen
X
u(x) =
bj (r)Yj (ω),
x = rω, r > R,
(4.119)
j
wobei
∆ω Yj (ω) + µj Yj (ω) = 0
(4.120)
gerade paarweise orthogonale und normierte reellwertige Eigenfunktionen des LaplaceBeltrami Operators ∆ω auf Sn−1 sind. Da diese ein vollständiges Orthogonalsystem des
L2 (Sn−1 ) bilden und für den Laplaceoperator die Darstellung
∆ = ∂r2 +
n−1
1
∂r + 2 ∆ω
r
r
(4.121)
in Polarkoordinaten gilt, impliziert die Gleichung ∆u + λ2 u = 0 nach Koeffizientenvergleich
µj
n−1 0
b00j (r) +
bj (r) − 2 bj (r) + λ2 bj (r) = 0,
j ∈ N.
(4.122)
r
r
Weiterhin impliziert u ∈ L2 (Ω) die Quadratintegrierbarkeit von cj (r) = r(n−1)/2 bj (r),
Z
XZ ∞
XZ ∞
2
2 n−1
|cj (r)| dr =
|bj (r)| r
dr =
|u(x)|2 dx.
(4.123)
j
R
j
R
|x|>R
71
4 Streutheorie
Weiter gilt
1 − n (1−n)/2−1
r
cj + r(1−n)/2 c0j
(4.124)
2
(n2 − 1) (1−n)/2−2
b00j =
r
cj − (n − 1)r(1−n)/2−1 c0j + r(1−n)/2 c00j
(4.125)
4
und damit
(4n − n2 − 3 − 4µj )
c00j (r) +
cj (r) + λ2 cj (r) = 0.
(4.126)
4r2
Die Gleichung impliziert, dass auch c0j quadratintegrierbar ist. Multiplikation mit cj und
Integration über ein Intervall liefert
Z L
Z L
(4n − n2 − 3 − 4µj )
0
2
0 L
2
cj (r) dr +
(4.127)
cj cj R −
+ λ cj (r)2 dr = 0
2
4r
R
R
b0j =
und mit einer Folge L → ∞ für die c0j (L) → 0 strebt folgt die Behauptung. Andererseits
kann man die Gleichung auch mit 2c0j multiplizieren und integrieren. Dies führt auf
Z ∞
cj (s)c0j (s)
0
2
2
ds − λ2 cj (r)2
0 = −cj (r) + (4n − n − 3 − 4µj )
2s
r
(4n − n2 − 3 − 4µj )
= −c0j (r)2 −
cj (r)2
4r
Z ∞
cj (s)2
+ (4n − n2 − 3 − 4µj )
ds − λ2 cj (r)2 .
(4.128)
3
2s
r
Der erste und der ditte Term sind nichtpositiv (n ≥ 2 und µ1 ≥ 1). Ebenso ist die
Summe aus zweitem und viertem Term für große r nichtpositiv. Da insgesamt Null
enstehen muss, sind alle Summanden gleich Null und somit cj (r) = 0 für r hinreichend
groß. Da cj (r) aber Lösung einer Differentialgleichung ist, folgt daraus cj (r) = 0 für alle
r.
Damit folgt supp u ⊂ BR (0). Eindeutigkeit folgt damit durch Anwenden von Holmgren’s Theorem.
Folgerung 4.26. Der Erzeuger der unitären Gruppe U (t) besitzt keine Eigenwerte.
Nachfolgend wollen wir zeigen, dass dies schon eine schwache Form der lokalen Energieabschätzung impliziert. Dazu benötigen wir den Spektralsatz für selbstadjungierte
Operatoren zusammen mit folgendem Lemma.
Lemma 4.27 (Wiener-Lemma). Sei µ ∈ M(R) ein komplexwertiges beschränktes Maß.
Angenommen, es existieren keine Punkte λ ∈ R mit µ({λ}) 6= 0. Dann folgt für die
Fouriertransformation
Z
µ
b(t) = (2π)−1/2 e−iλt dµ(λ) ∈ L∞ (R)
(4.129)
die Abschätzung
1
T →∞ T
Z
T
lim
72
−T
|b
µ(t)|2 dt = 0.
(4.130)
4.3 Streutheorie für Wellen
Beweis. Wir betrachten für > 0 die Differenz µ(λ + ) − µ(λ − ) und deren Fouriertransformierte 2i sin(t)b
µ(t). Da nun offenbar 2t−1 sin(t)b
µ(t) quadratintegrierbar ist
und dies der Fouriertransformation der Verteilungsfunktion
Z
m(λ + ) − m(λ − ),
λ
dµ(λ)
m(λ) =
(4.131)
−∞
entspricht, folgt nach Plancherel
Z
Z
2
|m(λ + ) − m(λ − )| dλ = 4
sin2 (t)
|b
µ(t)|2 dt.
t2
(4.132)
Setzt man nun
M () = sup |m(λ + ) − m(λ − )|,
(4.133)
λ
so folgt für die linke Seite von (4.132)
Z
≤ M ()
|m(λ + ) − m(λ − )| dλ = M ()
XZ
(2k+1)
...
k∈Z (2k−1)
Z
= M ()
X
|m((2k + 1) + τ ) − m((2k − 1) + τ )| dτ ≤ 2M ()kµk (4.134)
− k∈Z
Nun ist aber m(λ) gleichmäßig stetig und damit gilt lim→0 M () = 0. Setzt man nun
T = π/(2), so ist wegen 2t/π ≤ | sin t| für |t| ≤ π/2 die rechte Seite in (4.132) größer als
1
T2
Z
T
|b
µ(t)|2 dt.
(4.135)
−T
Wählt man nun zu gegebenem δ > 0 den Parameter so klein (d.h. T so groß), dass
πM ()kµk < δ gilt, so folgt die Behauptung
1
T
Z
T
|b
µ(t)|2 dt ≤ δ.
(4.136)
−T
Satz 4.28 (schwache lokale Energieabschätzung). Sei Ω = Rn \ O einfach zusammenhängend und mit glattem Rand. Dann gibt es eine Folge sj → ∞, so dass für alle
p, q ∈ H
lim (p, U (sj )q)H = 0.
(4.137)
j→∞
Darüberhinaus existiert zu jedem p ∈ H und jedem h > 0 eine Folge sj → ∞ mit
lim kU (sj )pkH(h) = 0.
j→∞
(4.138)
73
4 Streutheorie
Beweis. [1.] Schritt 1. Wir nutzen den Spektralsatz und schreiben
Z ∞
(p, U (t)q)H =
eiλt dEp,q (λ)
(4.139)
−∞
mit dem Spektralmaß Ep,q (λ) = (p, E(λ)q). Sollte es ein λ ∈ R mit Ep,q ({λ}) 6= 0
geben, so wäre für jedes Element r ∈ 1{λ} (A)H nach dem Spektralkalkül U (t)r = eiλt r
und damit r eine Eigenfunktion und λ ein Eigenwert des Erzeugers von U (t). Diese
haben wir mit Folgerung 4.26 ausgeschlossen. Also kann auf obiges Integral das WienerLemma 4.27 angewandt werden und damit gilt
Z
1 T
lim
|(p, U (t)q)H |2 dt = 0.
(4.140)
T →∞ T −T
Schritt 2. Sei nun fk eine in H dichte Folge. Dann existiert für jedes j ein T > j mit
1
T
Z
T
−T
|(fk , U (t)fl )H |2 dt ≤
T
,
3j 3
1 ≤ k, l ≤ j.
(4.141)
Damit existiert aber ein sj ∈ (T /2, T ) mit
1
|(fk , U (sj )fl )H | ≤ ,
j
1 ≤ k, l ≤ j.
(4.142)
Da die Folge fk dicht in H war und (p, U (t)q)H ≤ kpkH kqkH gilt, folgt (4.137) für alle
p, q ∈ H.
[2.] Es genügt, die Aussage für eine dichte Teilmenge zu zeigen und wir ersetzen U (t)p
durch
Z
U (t)pϕ = ϕ(r)U (t + r)p dr
(4.143)
für ein ϕ ∈ C∞
0 (R). Dann gilt pϕ → p für eine δ-Folge ϕ. Darüberhinaus sind die so
konstruierten Lösungen {u, ut } = U (t)pϕ glatt in t, ihre t-Ableitung ebenso Lösung der
Wellengleichung. Damit erhalten wir
kutt kL2 (Ω) + k∇ut kL2 (Ω) k ≤ C
(4.144)
gleichmässig in t und (diesmal aufgrund der Gleichung für u)
k∆ukL2 (Ω) ≤ C.
(4.145)
Da ∂Ω glatt ist, implizert letzteres entsprechende gleichmäßige Schranken für alle zweiten
Ableitungen (elliptische Regularität). Damit können wir den Satz von Rellich anwenden,
die Menge {U (t)pϕ : t > 0} ist relativ kompakt im lokalen Energieraum. Es existiert
also eine Teilfolge der Folge sj aus [1.], so dass U (sjk )pϕ in der lokalen Energienorm
konvergiert. Da der schwache Grenzwert schon als Null identifiziert ist, folgt
lim kU (sjk )pϕ kH(h) = 0.
j→∞
Die Ausweitung auf alle p folgt nun mit einem Diagonalfolgenargument.
74
(4.146)
4.3 Streutheorie für Wellen
Nachtrag zum Spektralsatz: Ist U (t) stark stetige unitäre Gruppe auf einem Hilbertraum H, so kann man für λ 6∈ R die Fourier-Laplacetransformationen (mit leicht
falscher Normierung)
Z ∞
e−iλt U (t) dt,
Im λ < 0
(4.147)
R+ (λ) = −i
0
und
Z
0
e−iλt U (t) dt,
R− (λ) = i
Im λ > 0
(4.148)
−∞
betrachten. Beide konvergieren als Bochner-Integrale und definieren analytische Funktionen R± (λ) in den jeweiligen Halbebenen C∓ . Da U (t) unitär ist, gilt
Z ∞
1
kR± (λ)kH→H ≤
e−t| Im λ| dt ≤
.
(4.149)
| Im λ|
0
Weiterhin gilt eine Resolventengleichung. Wir zeigen sie nur für R+ (λ), der Beweis für
R− (λ) ist analog. Es gilt für λ, µ ∈ C−
Z ∞Z ∞
R+ (λ)R+ (µ) = −
e−iλt e−iµs U (t + s) dt ds
Z0 ∞ Z0 ∞
=−
e−iλr U (r) dr e−i(µ−λ)s ds
0
s
1
1
R+ (λ) +
R+ (µ)
=−
λ−µ
λ−µ
und damit
R+ (λ) − R+ (µ) = −(λ − µ)R+ (λ)R+ (µ).
Da die Gruppe unitär vorausgesetzt war gilt weiterhin
Z ∞
∗
Z ∞
∗
−iλt
R+ (λ) = −i
e
U (t) dt = i
eiλt U (−t) dt = R− (λ),
0
(4.150)
λ ∈ C+ . (4.151)
0
Analog kann man auch die skalaren Funktionen
Z ∞
λ 7→ (p, R± (λ)q)H = ∓i
e∓iλt (p, U (±t)q)H dt
(4.152)
0
betrachten. Diese sind ebenso holomorph in den jeweiligen Halbebenen. Als skalare
Fourier-Laplace-Transformationen kann man auf diese die Fouriersche Inversionsformel
anwenden. Damit erhält man eine (schwache) Integraldarstellung der unitären Gruppe
Z ∞
1
eiλt+t (p, R+ (λ − i)q)H dλ,
t>0
(4.153)
(p, U (t)q)H = −
2πi −∞
für beliebiges > 0, formal also
1
U (t) = −
2πi
Z
∞
eiλt+t R+ (λ − i) dλ,
t>0
(4.154)
−∞
75
4 Streutheorie
als Pettis-Integral. Für t < 0 liefert dasselbe Integral den Wert 0 (Integralsatz von
Cauchy mit → ∞). Ebenso gilt die entsprechende Darstellung für U (t), t < 0, über
R− (λ). Zusammengefasst gilt also
Z ∞
1
U (t) =
eiλt e−t R− (λ + i) − et R+ (λ − i) dλ.
(4.155)
2πi −∞
Sei nun A der Erzeuger der Gruppe U (t), also der Operator
Ap = lim
t→0
U (t)p − p
,
it
D(A) = {p ∈ H : lim existiert in H}.
(4.156)
Der so definierte Operator ist abgeschlossen und selbstadjungiert. Weiter gilt für alle
p ∈ D(A) und λ ∈ C−
Z
λR+ (λ)p = −i
0
∞
λe−iλt U (t)p dt
∞
Z
−iλt
=e
U (t)p
−
t=0
∞
e−iλt U (t)iAp dt = −p + R+ (λ)Ap (4.157)
0
und damit R+ (λ)(A − λ) = I auf D(A). Also ist R+ (λ) = (A − λ)−1 die Resolvente des
Operators A. Ebenso gilt R− (λ) = (A − λ)−1 für λ ∈ C+ und wir schreiben im folgenden
kurz R(λ) für beide Funktionen. Wir werden A nicht benötigen, es motiviert aber die
nachfolgende Konstruktion.
Es sei C0 (R) die Menge der im Unendlichen gegen Null strebenden stetigen komplexwertigen Funktionen,
C0 (R) = {ϕ ∈ C(R) : lim ϕ(λ) = 0}.
λ→±∞
(4.158)
Versehen mit der Supremumsnorm bilden diese eine Banachalgebra. Nach dem Satz von
Stone–Weierstraß ist die von den Funktionen
ϕ(λ) =
1
1
,
λ − µ1 λ − µ2
µ1 , µ2 ∈ C \ R
(4.159)
erzeugte C-Algebra dicht in C0 (R). Jede Funktion in dieser Algebra ist offenbar analytisch in einem Streifen um die reelle Achse. Sei allgemeiner A ⊂ C0 (R) die C-Algebra der
Funktionen, welche auf einen Streifen analytisch fortsetzbar sind und dort wie | Re λ|−2
fallen. Diese enthält die Funktionen (4.159). Analog zu obigem Integral kann man nun
für ϕ ∈ A
Z ∞
1
ϕ(A) :=
ϕ(λ + i)R(λ + i) − ϕ(λ − i)R(λ − i) dλ,
> 0 klein, (4.160)
2πi −∞
definieren. Die Definition ist (Integralsatz von Cauchy) unabhängig von der Wahl von
und definiert einen beschränkten Operator ϕ(A) ∈ L(H). Sei zu ϕ ∈ A die Funktion
76
4.3 Streutheorie für Wellen
ϕ∗ (λ) = ϕ(z) definiert. Dann gilt ebenso ϕ∗ ∈ A und die Zuordnung ϕ 7→ ϕ(A) ist ein
∗-Homomorphismus, d.h. sie ist linear und
ϕ∗ (A) = ϕ(A)∗ ,
(ϕψ)(A) = ϕ(A)ψ(A).
(4.161)
Die ersten Aussagen sind offensichtlich, zu zeigen wäre die letzte. Dazu nutzt man den
Integralsatz von Cauchy und eine leicht andere Schreibweise. Wir schreiben die Definition
als komplexes Kurvenintegral
I
1
ϕ(A) = −
ϕ(λ)R(λ) dλ
(4.162)
2πi
über den aus den beiden zu R parallelen Geraden bestehenden Integrationsweg (und
das − vor dem Integral kompensiert die sonst falsche Orientierung). Dann gilt unter
Ausnutzung der Resolventenidentität
I I
1
ϕ(A)ψ(A) = 2
ϕ(λ)ψ(µ)R(λ)R(µ) dλ dµ
4π
I I
R(λ) − R(µ)
1
ϕ(λ)ϕ(µ)
dλ dµ
=− 2
4π
λ−µ
I
I
I
I
1
1
ψ(µ)
1
1
ϕ(λ)
=−
ϕ(λ)R(λ)
dµ dλ +
ψ(µ)R(µ)
dλ dµ
2πi
2πi
λ−µ
2πi
2πi
λ−µ
I
1
=−
ϕ(λ)ψ(λ)R(λ) dλ = (ϕψ)(A),
(4.163)
2πi
wobei der µ-Integrationsweg außerhalb des λ-Integrationsweges gewählt wurde und deshalb nach dem Integralsatz von Cauchy
I
I
1
ψ(µ)
1
ϕ(λ)
dµ = ψ(λ),
dλ = 0
(4.164)
2πi
λ−µ
2πi
λ−µ
gilt. Wir nutzen dies um eine Abschätzung zu beweisen. Es gilt
kϕ(A)kH→H ≤ sup |ϕ(λ)|,
ϕ ∈ A.
(4.165)
λ∈R
Sei also ϕ ∈ A. Dann ist ψ = c −
p
c2 − ϕϕ∗ ∈ A und somit
c2 − ϕϕ∗ = (c − ψ)(c − ψ)∗
(4.166)
ϕ(A)ϕ(A)∗ + (c − ψ(A))(c − ψ(A))∗ = c2
(4.167)
also
und insbesondere kϕ(A)k2H→H ≤ c2 .
Abschätzung (4.165) erlaubt es, das analytische Funktionalkalkül stetig zu einem ∗Homomorphismus
C0 (R) 3 ϕ 7→ ϕ(A) ∈ L(H)
(4.168)
77
4 Streutheorie
fortzusetzen. Eine Anwendung wäre die Funktion ϕ(λ) = (λ − µ)−1 für µ ∈ C \ R.
Für diese erhält man ϕ(A) = (A − µ)−1 = R(µ) (was die Notation erklärt). Seien nun
p, q ∈ H. Dann definiert die Zuordnung
C0 (R) 3 ϕ 7→ (p, ϕ(A)q)H ∈ C
(4.169)
eine Linearform auf dem Raum C0 (R). Nach dem Satz von Riesz-Markov existiert also
ein Radonmaß (d.h. ein reguläres komplexes Borelmaß) dEp,q mit beschränkter Totalvariation auf R, so dass
Z ∞
ϕ(λ) dEp,q (λ).
(4.170)
(p, ϕ(A)q)H =
−∞
Das Maß dEp,q ist dabei bilinear in p und q und seine Totalvariation erfüllt
k dEp,q k ≤ kpkkqk.
(4.171)
Damit kann man aber für beliebige beschränkte messbare Funktionen ϕ durch diese
Formel (schwach) den Operator ϕ(A) definieren. Für jedes ϕ ∈ L∞ (R) erhält man somit
ein ϕ(A) ∈ L(H) mit kϕ(A)k ≤ kϕk∞ .
Dies trifft insbesondere auf die Funktion λ 7→ eiλt zu. Wir zeigen, dass nun
Z ∞
(p, U (t)q)H =
eiλt dEp,q (λ)
(4.172)
−∞
2
gilt. Sei dazu χ(λ) = e−λ . Dann gilt λ 7→ χ(δλ)eiλt ∈ A und damit
Z ∞
Z ∞
eiλt dEp,q (λ) = lim
eiλt χ(δλ) dEp,q (λ)
−∞
δ→0 −∞
(4.173)
und der durch das zweite Integral definiere Operator Uδ (t) konvergiert schwach. Nach
Konstruktion ist er aber ebenso als komplexes Integral (4.159) schreibbar und für dieses
sieht man, dass der starke Grenzwert für δ → 0 die unitäre Gruppe U (t) ist.
Das oben definierte messbare Kalkül ist ein Funktionalkalkül. Wenn man ausnutzt,
dass C0 (R) schwach-* folgendicht in L∞ (R) ist (bezüglich der Einbettung von L∞ (R) in
das Dual M(R)0 , also das doppelte Dual C0 (R)00 ; Satz von Goldstine), und beachtet, dass
schwach-* Konvergenz dabei gerade der schwachen Konvergenz der so definierten Operatoren entspricht, so erhält man einen (schwach-*) folgenstetigen ∗-Homomorphismus
L∞ (R) 3 ϕ 7→ ϕ(A) ∈ L(H). Insbesondere sieht man, dass für jede Borelmenge B ⊂ R
der Operator 1B (A) ein Orthogonalprojektor ist und die Projektoren für disjunkte Mengen paarweise orthogonal sind.
4.3.4 Die analytische Berechnung der Streumatrix
Wir wollen zum Schluss noch kurz skizzieren, wie die Spektraldarstellungen im Außengebiet sowie die Streumatrix analytisch berechnet werden kann. Dazu benötigen wir
78
4.3 Streutheorie für Wellen
Spektraldarstellungen der unitären Gruppe U (t) in Bezug auf die Unterräume D− und
D+ . Sei im folgenden weiter
0 I
A = −i
.
(4.174)
∆ 0
Versehen mit entsprechenden Randbedingungen ist A der (selbstadjungierte) Erzeuger
der unitären Gruppe U (t).
Wir betrachten zuerst das freie Problem ohne Hindernis, O = ∅. Dann gilt für
e0 (x, σ, ω) = σ (n−3)/2 e−iσx·ω {1, iσ},
σ ∈ R, ω ∈ Sn−1
(4.175)
die Gleichung
Ae0 (x, σ, ω) = σe0 (x, σ, ω).
(4.176)
Damit ist auf dem freien Energieraum H0 für kompakt getragene und glatte Elemente
p = {u0 , u1 } ∈ H0 durch
Z
(n−1)/2
b
eiσx·ω ω · ∇u0 (x) + iu1 (x) dx
(4.177)
k(σ, ω) = (p, e0 (·, σ, ω))H0 = σ
die Spektraldarstellung gegeben (um sie unitär zu machen, muss man die Konstanten
noch anpassen). Zum Beweis muss man nur die Gruppe anwenden und ableiten. Es gilt
für p glatt und kompakt getragen
− i∂t (U (t)p, e0 )H0 = (AU (t)p, e0 )H0 = (U (t)p, Ae0 )H0 = σ(U (t)p, e0 )H0 .
(4.178)
Die Spektraldarstellungen für das Problem mit Hindernis konstruiert man analog.
Dazu bestimmt man Funktionen e± (x, σ, ω), so dass für kompakt getragene glatte p ∈ H
b
k± (σ, ω) = (p, e± (·, σ, ω))H
(4.179)
gilt. Dazu nutzt man den Ansatz
e± (x, σ, ω) = e0 (x, σ, ξ) + f∓ (x, σ, ω),
x ∈ Ω = Rn \ Ω.
(4.180)
Für die Konstruktion müssen wir eine Annahme machen. Wir fordern, dass das Hindernis
keine Wellen ‘einfängt’, genauer, wir fordern, dass die Lax–Phillips Halbgruppe Z(t) für
t > 0 Spektralradius kleiner als 1 besitzt. Das ist äquivalent zu einem exponentiellen
Abklingen der lokalen Energie. Im Englischen heißt ein Hindernis mit dieser Eigenschaft
non-confining.2
Wir betrachten nur e− (x, σ, ω). Damit obige Formel wirklich die/eine Sprektraldarstellung der unitären Gruppe bezüglich D− liefert, müssen gewisse Bedingungen erfüllt
sein. Im folgenden fordern wir die dazu minimal notwendigen Eigenschaften:
2
Af+ (x, σ, ω) = σf+ (x, σ, ω),
x∈Ω
(4.181)
f+ (x, σ, ω) = −e0 (x, σ, ω),
x ∈ ∂Ω
(4.182)
(p, f+ (·, σ, ω))H = 0
für p ∈ D− kompakt getragen.
(4.183)
Äquivalent dazu ist die Forderung, dass das Billard auf dem Außengebiet eine endliche Verweildauer
besitzt. Siehe dazu letztes Übungsblatt.
79
4 Streutheorie
Lemma 4.29. Zu jedem nicht einfangenden Hindernis O mit glattem Rand und der
Eigenschaft, dass Rn \ O zusammenhängend ist, existiert ein eindeutig bestimmtes f+
mit (4.181)–(4.183). Für dieses bestimmt (4.179) eine Spektraldarstellung der unitären
Gruppe U (t) bezüglich des einlaufenden Teilraums D− .
n
Beweis. Existenz: Wir geben f+ explizit an. Sei dazu χ ∈ C∞
0 (R ) kompakt getragen in
BR (0) und χ(x) = 1 in einer Umgebung von O. Dann gilt
Z ∞
e−iσt U (t)g(x, σ, ω) dt
(4.184)
f+ (x, σ, ω) = −χ(x)e0 (x, σ, ω) + i
0
für
g(·, σ, ω) = (A − σ)χe0 (·, σ, ω).
(4.185)
Nach Konstruktion ist g glatt und kompakt getragen und somit Element von H und
damit das Integral konvergent.3 Die erste Bedingung folgt durch Ableiten, für die zweite
beachte man, dass g und damit auch U (t)g die Randbedingungen erfüllt. Für die dritte
muss man das Integral genauer untersuchen, der erste Summand erfüllt die Orthogonalitätsbedingung schon. Sei also p ∈ D− kompakt getragen. Dann gilt
Z ∞
eiσt (U (−t)p, g)H dt = 0
(4.186)
(p, f+ )H = i
0
da g in der Kugel BR (0) getragen ist.
Spektraldarstellung: Durch p 7→ (p, e− )H ist eine Spektraldarstellung der unitären Gruppe gegeben, die auf D− mit der freien Spektraldarstellung übereinstimmt. Sei p ∈ H
kompakt getragen und aus dem Definitionsbereich des Erzeugers A. Dann ist
d
(U (t)p, e− )H = (U (t)p, e− )H = i(AU (t)p, e− )H
dt
= i(U (t)p, Ae− )H = iσ(U (t)p, e− )H
(4.187)
und damit entspricht U (t)p gerade eiσt (p, e− )H . Auf D− stimmt die Darstellung nach
Konstruktion mit der freien Darstellung überein und ist somit (nach der allgemeinen
Lax–Phillips Theorie) die unitäre Spektraldarstellung.
Eindeutigkeit: Die Spektraldarstellung ist eindeutig bestimmt. Angenommen, es gäbe
zwei Funktionen mit diesen Eigenschaften. Dann ist ihre Differenz formal Eigenfunktion
von A und damit von der Form {v, iσv} für eine Funktion v. Sei nun χ beliebig kompakt
getragen, so ist {0, χv} ∈ H und somit (da beide Funktionen dieselbe Spektraldarstellung
liefern) (χv, v)L2 = 0. Damit ist aber v = 0.
Die Funktion f+ entspricht dem reflektierten Anteil der eingestrahlten Welle e0 . Damit
erwartet man, dass f+ für große |x| von der Form einer auslaufenden Kugelwelle ist. Dass
3
Punktweise in x fällt der Integrand exponentiell.
80
4.3 Streutheorie für Wellen
dies wirklich so ist, besagt nachfolgendes Lemma. Die gezeigte Asymptotik ist (in der
Form)
lim |x|(n−1)/2 ∂r f+ + iσf+ = 0
(4.188)
|x|→∞
als Sommerfeldsche Strahlungsbedingung bekannt. Sie ist äquivalent zu (4.183).
Lemma 4.30. Die Funktion f+ besitzt eine asymptotische Entwicklung der Form
f+ (x, σ, ω) = e−iσr r−(n−1)/2 m+ (θ; σ, ω) + O(r−(n+1)/2 ),
(4.189)
∂r f+ (x, σ, ω) = −iσe−iσr r−(n−1)/2 m+ (θ; σ, ω) + O(r−(n+1)/2 )
(4.190)
für r = |x| → ∞ und mit θ = x/|x| ∈ Sn−1 .
Beweisskizze. Da wir nur an großen |x| interessiert sind, handelt es sich eigentlich um
eine Aussage zu Lösungen des freien Problems. Dazu setzen wir f+ (·, σ, ω) glatt ins
Innere von O fort und nutzen
(A0 − σ)f+ (·, σ, ω) = g0 (·, σ, ω).
(4.191)
mit einer in O getragenen Funktion g0 (·, σ, ω). Damit erhalten wir die Integraldarstellung
Z ∞
e−iσt U0 (t)g0 (x, σ, ω) dt.
(4.192)
f+ (x, σ, ω) = −i
0
Nun ist mit dem Huygens-Prinzip U0 (t)g0 (x, σ, ω) = 0 für |x| < t − R und ebenso wegen
endlicher Ausbreitungsgeschwindigkeit U0 (t)g0 (x, σ, ω) = 0 für |x| > t + R. Also gilt
punktweise für alle x = rθ somit
Z r+R
e−iσt U0 (t)g0 (rθ, σ, ω) dt
f+ (rθ, σ, ω) = −i
r−R
und die Aussage folgt aus der Lösungsdarstellung der Wellengleichung über die inverse
Radontransformation
Z ∞
Z
−iσt
= −i
e
h(rθ · ξ − t, ξ; σ, ω) dξ dt
−∞
Sn−1
Z
h(σ, ξ; σ, ω) dξ
= −i
eirσθ·ξ b
Sn−1
−iσr −(n−1)/2
=e
r
m+ (θ, ω; σ) + O(r−(n−1)/2 )
(4.193)
mit einer entsprechenden Schwartzfunktion h ∈ S (R × Sn−1 ) glatt abhängend von den
Parametern σ und ω und mit Träger supp h ⊂ [−R, R] × Sn−1 und ihrer Fouriertransformierten b
h ∈ S (R × Sn−1 ) in der ersten Variablen. Die letzte Zeile folgt mit der Methode
der stationären Phase.
Satz 4.31 (Lösbarkeit des inversen Streuproblems). Die Funktion m+ (θ, ω; σ) bestimmt
das Hindernis O eindeutig.
81
4 Streutheorie
Abbildung 4.2: Zum Beweis von Satz 4.31
Beweis. Angenommen, für zwei Hindernisse O1 und O2 mit glattem Rand und zusammenhängendem Komplement stimmt der führende Asymptotikterm m+ (θ, ω; σ) überein.
Seien f+,1 und f+,2 die zugeordneten Funktionen. Dann ist jede Komponente der Differenz f+,1 (·, σ, ω) − f+,2 (·, σ, ω) quadratintegrierbar ausserhalb der Kugel mit Radius R
und formal Eigenfunktion des Laplaceoperators. Nach dem Satz von Rellich–Vekua ist
damit aber f+,1 (x, σ, ω) = f+,2 (x, σ, ω), |x| > R.
Angenommen O1 6= O2 . Dann ist jeder Punkt aus Ω2 \ Ω1 umgeben von einem Gebiet G mit stückweise glattem Rand auf welchem (nach Konstruktion) f+,1 (x, σ, ω) =
−e0 (x, σ, ω) gilt. Auf diesem Gebiet ist also jede Komponente von e0 +f+,1 eine DirichletEigenfunktion des Laplaceoperators zum Eigenwert σ 2 . Diese ist nicht identisch Null,
sonst wäre e−,1 = 0 für alle x.
In einem Gebiet mit Durchmesser ≤ 2R kann es Dirichlet-Eigenfunktionen nur für
σ > c(R) > 0 geben. Da wir aber für alle σ > 0 Eigenfunktionen konstruiert haben folgt
ein Widerspruch und O1 = O2 .
82
Index
Abhängigkeitsgebiet, 8
charakteristische Polynom, 12
charakteristische Varietät, 28
charakteristische Wurzeln, 19
d’Alembertsche Lösungsdarstellung, 6
Differentialgleichung
hyperbolisch, 12, 37
Lamé-System, 18
lineare Wellengleichung, 17
Außengebiet, 64
Maxwell-Gleichungen, 17
strikt hyperbolisch, 12
strikt hyperbolische Gleichungen zweiter Ordnung, 40
symmetrisch hyperbolisches System,
17
ebene Wellen, 31
Einflussgebiet, 8
Energieraum, 27, 64
Hardyraum, 55
Huygens-Prinzip, 6
Hyperebene
raumartig, 28
Hyperfläche
charakteristisch, 30
raumartig, 30
Polynom
hyperbolisch, 28, 37
strikt hyperbolisch, 19
Pseudodifferentialoperatoren, 42
Hauptsymbol, 42
klassisch, 42
matrixwertig, 44
Ordnung, 42
Symbole, 42
Satz
ΨDO-Kalkül, 43
Analytische Fortsetzung der Streumatrix, 62
Analytizität der Streumatrix, 57, 61
Beschränktheit von Pseudodifferenatialoperatoren, 43
Eindeutigkeit schwacher Lösungen,
48
Energieabschätzung, 39, 41, 45, 47
Friedrichs, Existenz starker Lösungen,
49
Hauptsatz über strikt hyperbolische
Polynome, 19
Hauptsymbole, 43
Huygens-Prinzip, 36
Lax–Mizohata, 38
Lax–Phillips, 63
Lax–Phillips Halbgruppe, 62
Morawetzabschätzung, 68
Morawetzidentität, 68
Paley–Wiener, 12, 22
Peetre, 10
Phragmen–Lindelöf, 25
Phragmen–Lindelöf-Prinzip, 25
Radontransformation, 34
Rouché, 16
Sinai, 59
Spektraldarstellung unitärer Operatoren, 55
83
Index
Symmetrisierer, 44
Translationsdarstellung unitärer Operatoren, 53
Translationsdarstellungen im Außengebiet, 66
schwache Lösung, 47
Sommerfeldsche Strahlungsbedingung, 80
Spektraldarstellung, 54
starke Lösung, 47
Streumatrix, 53, 62
Streuoperator, 52
Translationsdarstellung, 53, 54
auslaufend, 56, 59
einlaufend, 56, 59
unitäre Gruppe
Erzeuger, 59
stark stetige Gruppe, 53
Vektor
hyperbolisch, 28
strikt hyperbolisch, 28
Welle
auslaufend, 55
Wellen
einlaufend, 55
Wellenoperatoren, 52
84
Literaturverzeichnis
[1] Peter D. Lax. Hyperbolic Partial Differential Equations. Courant Lecture Notes 14.
American Mathematical Society, 2006. (ISBN 978-0-8218-3576-0)
[2] Sigeru Mizohata. The Theory of Partial Differential Equations. Cambridge University Press, 1973. (ISBN 0-521-087727-9)
[3] Peter D. Lax, Ralph S. Phillips. Scattering Theory. Pure and Applied Mathematics,
Vol. 6. Academic Press, 1989. (ISBN 0-12-44051-5)
[4] Sigurdur Helgason. The Radon Transform. Birkhäuser, Boston 1999. (ISBN 9780-8176-4109-2)
85

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