Gefühlsachterbahn in Paris

Transcrição

Gefühlsachterbahn in Paris
Kino
28
NUMMER 24
Noch mal so
wie früher
Kino kompakt
ANCHORMAN 2
Derbe Sprüche und
reichlich Machogehabe
Der rote Anzug ist Programm,
ebenso wie der Schnauzer und die
Föhnfrisur: Ron Burgundy, einst legendärer Nachrichtensprecher,
will an seinen alten Ruhm anknüpfen. Dazu holt er seine alte Erfolgstruppe zusammen. Den schrägen Wetteransager Brick, den
Frauenhelden Brian und den derben
Champ. Gemeinsam wollen sie in
New York die Stars eines neuen
Fernsehsenders werden. Doch der
Aufstieg ist schwieriger als gedacht,
nicht zuletzt, weil Burgundy sich
mit seinem riesengroßen Ego immer
wieder selbst im Weg steht. „Anchorman – Die Legende kehrt zurück“ bietet derbe Sprüche und
viel Machogehabe, Fremdschämen
inklusive. Neben Will Ferrell als
Ron Burgundy und Darstellern wie
Steve Carell oder Christina Applegate sind auch Stars wie Jim Carrey,
Will Smith oder Sacha Baron Cohen dabei. (dpa)
**
Start in vielen Kinos der Region
O
DISCONNECT
Die dunklen Seiten
des Social Web
Kinderpornografie, Mobbing und
Betrug: Der Film „Disconnect“
beschäftigt sich mit den dunklen
Seiten des nicht immer sozialen
Social Web. Der Oscar-nominierte
Regisseur Henry-Alex Rubin erzählt in diesem Episodenfilm von einem Pärchen (Alexander Skarsgard, Paula Patton), das Opfer von
Online-Betrug wird und schließlich mittellos ist; von einem Jungen
(Jonah Bobo), der in der Schule
gemobbt wird; und von einer Journalistin (Andrea Riseborough), die
einem Kinderporno-Ring auf die
Spur kommt. Ihre Wege kreuzen
sich eher zufällig, eine Gemeinsamkeit haben die Protagonisten trotzdem: Sie sind einsam und den Online-Gefahren anscheinend schutzlos ausgeliefert. (dpa)
***
Start in Ulm
O
Paula Patton und Alexander Skarsgard
in „Disconnect“.
Foto: dpa
Weiter sehenswert
● The Wolf of Wall Street *****
Scorseses Epos über die Gier.
● 12 Years A Slave *****
Schonungslos Sklavendrama
● Nebraska ****
Charmantes Roadmovie
Unsere Wertungen
* sehr schwach
** mäßig
*** ordentlich
**** sehenswert
***** ausgezeichnet
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DONNERSTAG, 30. JANUAR 2014
Heiter und nah am
Leben: „Le Weekend“
VON FRED DURAN
Hier ist einiges zu klären: Ali Mosaffa (Ahmed), Tahar Rahim (Samir) und Berenice Bejo (Marie) sind verstrickt in ein Beziehungsdrama.
Foto: Carole Bethuel/Camino Film
Gefühlsachterbahn in Paris
Le Passé Dem iranischen Ausnahmeregisseur Asghar Farhadi ist ein turbulenter, intensiver und
stimmiger Liebeskrimi gelungen, der den Zuschauer zum Ermittler und Komplizen macht
VON DIETER OSSWALD
Nach dem Goldenen Bären und dem
Oscar für „Nader und Simin – Eine
Trennung“ bleibt der iranische
Ausnahmeregisseur Asghar Farhadi
seinem Thema treu. Schauplatz des
neuen Beziehungsdramas ist diesmal
nicht Teheran, sondern Paris. Dort
will der Held Ahmad nach vier Jahren Trennung endlich die Scheidungspapiere unterschreiben. Dass
seine Frau längst einen neuen Liebhaber hat, sorgt indes für alte Eifersucht – und das ist erst der Anfang
einer raffiniert konstruierten Gefühlsachterbahn. In „Le Passé – Das
Vergangene“ überzeugt Farhadi erneut mit exzellenter Dramaturgie,
eindrucksvollen Bildern, dem empathischen Blick auf seine funkelnden Figuren sowie einem exquisiten
Ensemble. Bérénice Bejo („The Artist“) wurde für ihre Leistung in
Cannes mit einer Palme prämiert.
Eigentlich nur ein Routinebesuch. Vier Jahre nach der Trennung
reist der Iraner Ahmad (Ali Mosaffa) von Teheran nach Paris, um endlich die Scheidung von seiner französischen Noch-Ehefrau Marie (Bé-
rénice Bejo) offiziell zu besiegeln.
Schon auf der gemeinsamen Fahrt
vom Flughafen fliegen freilich die
Fetzen. Dass seine künftige Ex mit
dem attraktiven Wäscherei-Besitzer
Samir längst einen neuen Liebhaber
hat, missfällt dem überraschten Gatten. Noch ärgerlicher reagiert er auf
ihre aktuelle Schwangerschaft.
Aller Frustration zum Trotz entpuppt Ahmad sich alsbald als erstaunlich einfühlsamer Gast in Maries baufälligem Häuschen in der
Vorstadtsiedlung. Rührend kümmert er sich dort um seine aufsässige
Stieftochter Lucie sowie um den rebellischen Fouad, den kleinen Sohn
aus Samirs erster Ehe.
Der neue Mann in Maries Leben
ist gleichfalls wenig begeistert von
der Ankunft des potenziellen Rivalen, und er scheint obendrein allerlei
Geheimnisse zu hüten, die (ohne zu
viel zu verraten!) von eifersüchtigen
Intrigen über verschmähte Liebe
und verhängnisvolle Affären bis
zum tragischen Suizidversuch reichen. Klingt kompliziert, konstruiert und überladen? Erweist sich jedoch als das genaue Gegenteil!
Mit enormer Eleganz und souveräner Leichtigkeit präsentiert Farhadi dieses raffiniert konstruierte
Beziehungspuzzle im Stil eines
spannenden, vergnüglich Haken
schlagenden Liebeskrimis. Der Zuschauer wird zum Ermittler und
Komplizen gleichermaßen, denn
Hochgelobter Regisseur
● Asghar Farhadi, 1972 im Iran geboren, drehte zwar schon als Jugendlicher kleine Filme. Doch erst
2003 schuf er sein erstes abendfüllendes Werk. Seither folgten fünf weitere Filme, darunter „Alles über
Elly“, der 2009 den Silbernen Bären in
Berlin erhielt, und „Nader
und Simin“, der hochgelobte
Film über die Scheidung eines Ehepaars im Iran. Der Film
erhielt 2012 als erster iranischer Beitrag einen Oscar.
(AZ)
jede dieser Figuren fällt mit all ihren
Macken und Widersprüchen überzeugend stimmig aus und verführt
mit dieser Wahrhaftigkeit schnell
zum Mitfiebern mit diesen Akteuren. Sensibilität statt Sentimentalität
heißt das dramaturgische Zauberwort des Regisseurs, mit dem er sein
Beziehungsdrama vor genreüblichen Klischee- und Kitschgefahren
sowie gängiger Vorhersehbarkeit
bewahrt.
„Alles ist nur ein Missverständnis“, sagt der Held Ahmad einmal
und gibt damit das Thema um vermeintliche und echte Schuldgefühle
dieser Vergangenheitsbewältigung
vor. Stolze zwei Monate hat Farhadi
seinem Ensemble für die Proben
Zeit gegeben, ein Luxus à la Michael
Haneke, der sich auf der Leinwand
nun auszahlt. Punktgenau präsentieren die Schauspieler ihre
komplexen Rollen mit perfekter Präzision. Da fällt kein falscher Satz, jede Geste stimmt:
Intensität ohne Übertreibung.
*****
OStart in Augsburg
und Ulm
Eigentlich eine schöne Idee: zum 30.
Hochzeitstag noch einmal nach Paris
in die Stadt der Liebe, wo alles begann. Aber als Nick (Jim Broadbent) und Meg (Lindsay Duncan) in
dem Hotel ankommen, in dem sie
ihre Flitterwochen verbracht haben,
hat sich die romantische Herberge in
eine Billig-Absteige verwandelt.
Meg macht auf dem Absatz kehrt
und übernimmt die Kontrolle. Ein
Luxushotel mit Eiffelturm-Blick
und eine Suite, in der schon Tony
Blair übernachtet hat, sind gerade
gut genug. Aber die luxuriöse Umgebung garantiert noch kein romantisches Revival und die beiden haben nach 30 Ehejahren nicht nur
eine langjährige Vertrautheit, sondern auch eine Menge Enttäuschungen, geplatzte Träume und partnerschaftlichen Überdruss im Gepäck.
Während Nick sich redlich, aber
unbeholfen um ein amouröses
Comeback bemüht, scheint Meg
wild entschlossen ihre Frustrationen
nicht mehr länger unter den Teppich zu kehren. So schwankt das
Wochenende in Paris zwischen romantischer Erinnerung und emotionaler Offenbahrung.
Mit „Le Weekend“ ist Roger Michell („Notting Hill“) eine Komödie
über eheliche Verschleißerscheinungen und wechselseitige Sehnsüchte gelungen, die sich nicht auf
dem Sofa nostalgischer Versöhnlichkeiten einrichtet. Unsentimental
blickt der Film auf die unbeholfenen
Versuche des Ehepaares, die eingerostete Liebe wieder in Gang zu bekommen, und findet ebenso zu Szenen präziser Situationskomik wie zu
Momenten herzzerreißender Aufrichtigkeit. Jim Broadbent und die
wunderbare Lindsay Duncan – eine
Meisterin des vernichtenden Blicks
– erforschen die tragischen und komischen Aspekte langjähriger Liebe
mit sichtbarer Spielfreude. Jeff
Goldblum hat einen fabelhaften
Auftritt als ehemaliger Studienkollege, der mit seinem mondänen Lebensstil zum Katalysator in der Beziehungsdynamik wird. Endlich ein
Film, der sich an die Generation
Ü-50 wendet und sein Publikum
ernst nimmt, statt es mit Altersverklärungen abzuspeisen.
****
O Start in Augsburg und Ulm
Denkmal für einen Helden
Aussätziger Krieger
Mandela Der Freiheitskämpfer zwischen Politik und Privatem
47 Ronin Schwache Mythos-Verwertung
VON MARTIN SCHWICKERT
Der kürzlich verstorbene AntiApartheit-Kämpfer Nelson Mandela gehört zu den politischen Ikonen
des 20. Jahrhunderts. Sein Name
steht für Integrität und Beharrlichkeit im Kampf um Gleichberechtigung gegen ein staatliches System,
das den Rassismus zum Verfassungsgrundsatz erhoben hatte. Der
britische Regisseur Justin Chadwick
hat nun die Aufgabe übernommen,
dem ersten schwarzen Präsidenten
Südafrikas ein filmisches Denkmal
zu setzen. Ein schwieriges Unterfangen. Nicht nur, weil hier fast ein
Jahrhundert südafrikanischer Geschichte auf dem Plan steht, sondern
auch, weil Mandela gut die Hälfte
seines Erwachsenenlebens in Haft
verbrachte. Aber der um Vollständigkeit bemühte Erzählansatz lohnt
sich, weil Mandela hier nicht nur als
Leidensfigur gezeigt wird.
Hauptdarsteller Idris Elba verleiht seiner Figur die Aura eines bodenständigen, jungen Lebemannes,
der gerne boxt, feiert und mit Frauen ausgeht, aber als Jurist die Augen
vor der rassistischen Ungerechtigkeit in seinem Land immer weniger
verschließen kann. Am politischen
Engagement im ANC zerbricht seine erste Ehe. Als er Winnie (Naomie
Harris) kennenlernt, ist schnell klar,
dass die beiden nicht nur die Liebe,
sondern auch der politische Veränderungswille verbindet. Aber schon
bald fliegen die ANC-Kämpfer auf
und werden zu lebenslanger Gefängnisstrafe verurteilt. 27 Jahre
sitzt Mandela in Haft.
Als er 1990 entlassen wird, ist er
eigentlich ein müder alter Mann, der
aber noch die Kraft findet, das vom
Bürgerkrieg bedrohte Land auf den
Weg der Versöhnung zu bringen.
Die schwierigen Entscheidungsprozesse am Wendepunkt der Geschichte arbeitet Chadwick besonders deutlich heraus. Dabei zeigt er
auch, wie die Beziehung zwischen
Nelson und Winnie an der politi-
schen wie emotionalen Entfremdung zerbricht. Die Darstellung
dieser kraftvollen, aber keineswegs
unzerstörbaren Liebe bildet den
emotionalen, doch nicht rührseligen
Kern des Filmes. Bei allem historischen Pathos verschließt Chadwicks
episches Porträt nicht die Augen vor
der Bitterkeit, die mit dem errungenen Sieg einhergeht. Dass Mandela
trotzdem den Mut zur Versöhnung
als einzige historische Alternative
gefunden hat, zeugt von der wahren
Größe dieses Mannes.
****
VON GÜNTER H. JEKUBZIK
Start in Augsburg, Donauwörth, Kaufbeuren, Kempten, Neu-Ulm, UIm
Fast eine ganze Stunde ist dem Film
der Prolog der alten Ronin-Geschichte wert: Wie der gute Fürst
von einem Konkurrenten mithilfe
einer mächtigen Hexe hinterhältig
in den Selbstmord getrieben wird
und wie des Fürsten Tochter und
seine Samurai herrenlose Ronin
werden. Im Zentrum steht dabei Kai
(Keanu Reeves), als niederer Diener
eigentlich eine Randfigur, Sohn einer Japanerin und eines Westlers.
Als Findling im verwunschenen
Wald aufgelesen, wächst er mit der
Fürstentochter auf. Der Rest ist Ro-
Idris Elba als Nelson Mandela (rechts) und Naomie Harris als Winnie, verliebt in einer
Szene des Films „Mandela – Der lange Weg zur Freiheit“.
Foto: Senator/ dpa
Keanu Reeves (links) in dem FantasyAbenteuer „47 Ronin“.
Foto: dpa
O
nin-Geschichte, aufgehübscht mit
viel Fantasy. Hier verschmilzt Mythisches aus Japan und aus Hollywoods Computern. Das IndustrieProdukt „47 Ronin“, das einen alten
Kult eher verwertet als ihm Ehre erweist, wird notdürftig mit bekannten japanischen Gesichtern wie Cary-Hiroyuki Tagawa („Die Geisha,
Pearl Harbor“), Tadanobu Asano
(„Thor – The Dark Kingdom“,
„Battleship“) und Rinko Kikuchi
(„Pacific Rim“, „Babel“) aufgewertet, die allerdings Randfiguren bleiben müssen – ausgerechnet neben
der „Langnase“ Reeves.
Das Remake des wirkungsmächtigen japanischen Ronin-Mythos
verirrt sich irgendwo im Mix aus japanischer Tradition und FantasyElementen. Reeves gibt den aussätzigen Krieger, die eindrucksvolle
Staffage um ihn herum wirkt nur
zeitweise. Mehr Eindruck machen
da die bunten Fabelwesen aus dem
Computer. Reeves ist mit Vollbart
und einer stark wiedererkennbaren
Mimik oft am Rande der Lächerlichkeit, er hätte vielleicht nicht
auch noch zwischendurch die Merkel-Raute machen dürfen. Insgesamt verpufft der ganze Aufwand
und übrig bleiben nur 4,7 Ronin auf
der nach unten offenen Richterskala
der Klassikerverfilmungen.
**
O Start in vielen Kinos der Region