Fachliche Empfehlungen zur Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII

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Fachliche Empfehlungen zur Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII
Fachliche Empfehlungen zur Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII
Beschluss des Landesjugendhilfeausschusses vom 8. April 2003 (AZ: 4 55 03/009/01)
1.
Stellenwert und Funktion der fachlichen Empfehlungen
1.1
Einordnung der Heimerziehung und sonstiger betreuter Wohnformen als Hilfe zur
Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII
1.1.1
Hilfe zur Erziehung in einer Einrichtung über Tag und Nacht, in einem Heim oder in einer sonstigen betreuten
1
soll unter
den gesetzlichen Leistungsvoraussetzungen mit ihren spezifischen
Wohnform
sozialpädagogischen, heilpädagogischen und therapeutischen Möglichkeiten Kindern und Jugendlichen
Heimat und Geborgenheit in einer Gruppe geben und sie alters- und entwicklungsgemäß fördern.
1.1.2
Durch die Verbindung von Alltagserleben und gezieltem pädagogischen und im Bedarfsfall damit
verbundenem therapeutischen Handeln wird durch die stationäre Erziehungshilfe die Rückkehr in die eigene
oder eine andere Familie ermöglicht, andernfalls eine auf längere Zeit angelegte Lebensform angeboten und
auf ein selbstständiges Leben vorbereitet. Dies schließt für Jugendliche die Eingliederung in Ausbildung und
Beschäftigung mit ein.
1.2
Fachliche Standards für den Aufgabenbereich Heimerziehung
1.2.1
Die Empfehlungen beschreiben die fachlichen Standards, die bei der Unterbringung von Kindern und
Jugendlichen nach § 34 SGB VIII zu beachten sind. Sie dienen - angepasst an die Erfordernisse des
Einzelfalls - als orientierender Maßstab für den Hilfeverlauf.
1.2.2
Die Empfehlungen beschreiben gleichzeitig die Grundlagen der staatlichen Aufsichtsfunktionen des Schutzes
von Kindern in Einrichtungen gemäß §§ 45 ff. SGB VIII.
1.2.3
Die Empfehlungen richten sich im Wesentlichen sowohl an Jugendämter als auch an Einrichtungen der
Erziehungshilfe. Die Verantwortung für die Steuerung des Hilfeprozesses liegt beim zuständigen Jugendamt,
die Verantwortung für die Durchführung der Hilfe beim Einrichtungsträger.
2.
Leitlinien zur pädagogischen Aufgabenstellung
2.1
Grundlegende Rechte von Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung
2.1.1
Kinder und Jugendliche sind Personen mit eigener Würde. Sie haben ein Recht auf Förderung ihrer
Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit.
2.1.2
Kinder und Jugendliche haben das Recht, sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an
das Jugendamt zu wenden.
2.1.3
Die Grundrechte sind Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung uneingeschränkt und unabhängig von
Alter und Einsichtsfähigkeit zu garantieren. Mit der Aufnahme eines Kindes oder Jugendlichen in ein Heim als
Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII werden keine grundrechtsbeschränkenden Sachverhalte begründet.
2.1.4
Das Recht auf Glaubens- und Gewissensfreiheit und auf die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen
Bekenntnisses ist zu wahren. Soweit Kinder und Jugendliche einer Religionsgemeinschaft angehören, ist
ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Religion auszuüben.
2.1.5
Bereits bei der Entscheidung über Ort und Ausgestaltung der Hilfe ist im Hinblick auf die Grundrichtung der
Erziehung, die Gleichberechtigung von Mädchen und Jungen sowie die besonderen Belange der Kinder und
Jugendlichen mit Migrationshintergrund nicht nur der Wille der Eltern, sondern auch der des Kindes oder
Jugendlichen zu berücksichtigen.
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2.1.6
Kinder und Jugendliche haben das Recht, ihre Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und sich
umfassend zu informieren. Das Recht auf Wahrung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses ist zu
achten.
2.1.7
Kinder und Jugendliche haben das Recht, Eigentum im Rahmen ihrer Geschäftsfähigkeit zu erwerben, es so
zu verwahren, dass es anderen Personen nicht zugänglich ist, und frei darüber zu verfügen.
2.1.8
Kinder und Jugendliche haben einen Anspruch auf Umgang mit ihren beiden Elternteilen sowie mit
Geschwistern, Großeltern und Personen, zu denen eine besondere Beziehung besteht.
2.1.9
Eine Interessenvertretung der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung ist zuzulassen und zu unterstützen.
Die Bildung von Gremien, die der Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen in allen Angelegenheiten des
Heimlebens dienen, ist zu fördern.
2.1.10
Kinder und Jugendliche haben das Recht, sich zu beschweren. Wird ihrer Beschwerde einrichtungsintern oder
vom zuständigen Jugendamt nicht abgeholfen, haben sie das Recht, sich an die für die Aufsicht zuständige
Stelle zu wenden.
2.2
Pflichten von Kindern und Jugendlichen in der Heimerziehung
2.2.1
Kinder und Jugendliche in Heimerziehung sind nicht nur Träger von Rechten. Sie sollen sich selbst und der
sozialen Gemeinschaft gegenüber auch Verantwortung übernehmen. Rechte und Pflichten gehören
zusammen.
2.2.2
Insbesondere sollen sie an ihrer Erziehung und der Förderung ihrer Entwicklung aktiv mitwirken.
2.2.3
Die Kinder und Jugendlichen sollen die im Alltag erforderlichen Pflichten im Hinblick auf ihre eigene
Lebensführung, ihre sozialen Beziehungen und die Bewältigung alterstypischer Aufgaben übernehmen.
2.3
Rechte und Pflichten der Eltern
Durch die Hilfe zur Erziehung außerhalb der Familie bleiben Rechte und Pflichten der elterlichen Sorge
zunächst unberührt. Soweit keine gerichtlichen Einschränkungen erfolgt sind, dürfen und sollen die Eltern,
wenn auch unter besonderen Bedingungen, ihrer Erziehungsverantwortung nachkommen.
2.4
Kindeswohl als handlungsleitendes Prinzip
2.4.1
Für Kinder und Jugendliche in Heimerziehung sind Lebensbedingungen zu schaffen, die ihren
Entwicklungsbedürfnissen und ihren Erziehungsbedarfen entsprechen. Neben der Gestaltung einer
kindgerechten Lebensumwelt stehen Verständnis, Wertschätzung und Toleranz im alltäglichen Umgang sowie
die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an allen Entscheidungen, die sich unmittelbar auf ihr Leben
auswirken, im Vordergrund.
2.4.2
Kinder und Jugendliche werden umfassend auf ein individuelles Leben in einer demokratischen Gesellschaft
vorbereitet und im Geist des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Verantwortung und der
Solidarität erzogen.
2.4.3
Die stationären Jugendhilfeeinrichtungen müssen nach ihrer pädagogischen Konzeption, der personellen und
baulichen Ausstattung sowie nach ihrer wirtschaftlichen Führung und betrieblichen Organisation in der Lage
sein, das leibliche, geistige und seelische Wohl der anvertrauten Kinder und Jugendlichen zu gewährleisten.
Das Kindeswohl als handlungsleitendes Prinzip erfordert aber auch seitens der Jugendämter eine
angemessene Personalausstattung, Arbeits- und Ablauforganisation.
2.5
Planerische Grundsätze
2.5.1
Öffentliche und freie Jugendhilfe arbeiten zum Wohl der Kinder und Jugendlichen und ihrer Familien
zweckgerichtet partnerschaftlich zusammen. Im Ergebnis zeigt sich der Erfolg dieser Kooperation in der
Bereitstellung und Entwicklung eines bedarfsgerechten und zugleich wirtschaftlichen Einrichtungsangebots
unter Beachtung eines koordinierten Einsatzes öffentlicher und privater Mittel.
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2.5.2
Heime und sonstige Wohnformen im Sinne des § 34 SGB VIII sollen so geplant werden, dass vor Ort ein
möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Jugendhilfeleistungen
vorgehalten wird, das in der Lage ist, auf unterschiedliche, im Hilfeverlauf auch wechselnde
Bedarfssituationen zu reagieren.
2.5.3
Dem Prinzip der regelhaften wohnortnahen Versorgung entsprechend, sind die regionale Infrastrukturplanung
sowie die Hilfeplanung im Einzelfall vorrangig so anzulegen, dass die Kontakte der Kinder oder Jugendlichen
zu ihrer Familie und zum sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können.
2.5.4
In begründeten Fällen wie bei der Unterbringung in einer pädagogisch-therapeutischen Intensivgruppe, unter
speziellen Voraussetzungen zur Erfüllung der Schulpflicht oder zur Berufsausbildung, aber auch in Fällen, in
denen eine Distanz zum Elternhaus oder der bisherigen sozialen Umgebung angezeigt ist, kann es notwendig
sein, von dem Prinzip der wohnortnahen Unterbringung Abstand zu nehmen.
2.5.5
Es empfiehlt sich, auf örtlicher Ebene vertragliche Vereinbarungen mit den Trägern stationärer Einrichtungen
zu schließen, um eine erforderlichenfalls rasche Aufnahme von Kindern und Jugendlichen unbeschadet der
Regelungen zur Inobhutnahme auch in dringenden Fällen tatsächlich sicherstellen zu können.
2.6
Pädagogische Eckpunkte
2.6.1
Individualisierungsgrundsatz
2.6.1.1
Ausgangspunkt für die richtige Hilfe ist die sozialpädagogische Diagnose. Sie bringt fachliche und subjektive
Gesichtspunkte der Leistungsadressaten so auf einen Nenner, dass vor einem realistischen
Erwartungshorizont eine passgenaue Hilfe entsteht.
2.6.1.2
Die diagnostische Vorklärung findet gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit Erziehungsberatungsstellen,
anderen Diensten der Jugendhilfe oder kinder- und jugendpsychiatrischen und psychotherapeutischen
Diensten statt. Durch interdisziplinäre Verfahren der Bedarfsermittlung werden Synergien im Hinblick auf eine
bedarfsgerechte Hilfe im Einzelfall freigesetzt, ohne die Steuerungskompetenz des örtlich zuständigen
Jugendamts in Frage zu stellen.
2.6.1.3
Der Anspruch von Heimerziehung oder Erziehung in sonstigen betreuten Wohnformen realisiert sich in der
Gestaltung eines gelingenden Alltags. Von daher sind dem Grad der Spezialisierung und dem Umfang
therapeutischer Maßnahmen in der stationären Erziehungshilfe Grenzen gesetzt.
2.6.2
Anhaltspunkte für das Vorliegen von Notwendigkeit und Eignung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII
2.6.2.1
Beim betroffenen Kind oder Jugendlichen2 liegen schwerwiegende
Anpassungsstörungen bis hin zu sozialer Abweichung und Delinquenz vor.
2.6.2.2
Die bisherigen erzieherischen Bezugspersonen sind ohne Kompensationsmöglichkeit durch das unmittelbare
soziale Umfeld ausgefallen.
2.6.2.3
Vermögen und Bereitschaft zu einer Veränderung der Erziehungsbedingungen können nicht ohne weiteres
vorausgesetzt werden. Die Beziehung der Eltern zu ihrem Kind ist erheblich belastet.
2.6.2.4
Die Prognose im Hinblick auf eine zeitnahe Verbesserung der Situation von Eltern und Familie ist eher
ungünstig.
2.6.2.5
Schwere, Dauer und Häufung der festgestellten belastenden Merkmale lassen gemessen am erzieherischen
Bedarf eine ambulante oder teilstationäre Leistung als nicht ausreichend erscheinen.
2.6.2.6
Die Hilfe ist voraussichtlich für längere Zeit, d. h. mindestens für sechs Monate notwendig.
2.6.2.7
Ein Wechsel des Milieus, sei es im Hinblick auf die innerfamiliäre Situation, das soziale Umfeld oder auf den
Freundeskreis, erscheint notwendig.
2.6.2.8
Die Erziehung in einer anderen (Pflege-)Familie kommt aufgrund der vorliegenden psychosozialen
Belastungen nicht in Frage oder eine andere Familie steht nicht zur Verfügung.
Verhaltensauffälligkeiten
und
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2.6.2.9
Die soziale Integration in eine Gruppe erscheint möglich.
2.6.2.10
Die Voraussetzungen als Jugendhilfeleistung gemäß § 27 SGB VIII sind auch im Verhältnis zu einem etwaig
vorrangig zuständigen anderen Sozialleistungsträger festgestellt.
2.6.2.11
Leistungsadressaten und Leistungserbringende stimmen der Wahl der Heimerziehung oder einer sonstigen
betreuten Wohnform als Hilfeart zu.
2.6.2.12
Ein auch im Hinblick auf Schule oder Berufsausbildung geeigneter Platz ist frei.
2.6.3
Verhältnis zu anderen Hilfen und Leistungen
2.6.3.1
Ambulante, teilstationäre und stationäre Hilfen stehen gleichwertig nebeneinander. Art und Umfang der Hilfe
haben sich nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall zu richten.
2.6.3.2
Heimerziehung hat ihre Grenzen, wenn der Schwere der Störung in vorrangig erzieherischer Weise derzeit
nicht begegnet werden kann.
2.6.3.3
Ausschlusskriterien sind zwar in der Jugendhilfe nicht normiert, ergeben sich jedoch aus der Abgrenzung zu
Medizin und Justiz wie etwa bei manifester Suchterkrankung, extremen psychischen Störungen sowie massiv
verfestigter Delinquenz.
2.6.4
Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie
2.6.4.1
Heimerziehung ist grundsätzlich zu einer zukunftsgerichteten Arbeit mit der Herkunftsfamilie verpflichtet. Bei
Hilfen zur Erziehung außerhalb der Familie ist das Gebot der Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie in § 37
SGB VIII gesetzlich normiert.
2.6.4.2
Mit dem in der Struktur der Heimerziehung angelegten Loyalitätskonflikt zwischen Eltern und pädagogischen
Fachkräften müssen Mitarbeiter fachlich verantwortlich umgehen.
2.6.4.3
Die Verantwortung für die Erziehung liegt in der Regel bei den Eltern, auch wenn die Kinder auf Zeit oder
Dauer außerhalb der Familie untergebracht sind. Über den Inhalt und den Umfang der übertragenen Rechte
der Personensorge der Sorgeberechtigten gemäß § 1688 BGB muss Einvernehmen hergestellt werden. Eine
schriftliche Vereinbarung zur Übertragung des Sorgerechts bzw. von Sorgerechtsanteilen ist sinnvoll.
2.6.4.4
Im Wirkungsgefüge Familie - Jugendamt - Heim muss eine nach Möglichkeit wechselseitige Wertschätzung
zum Ausdruck kommen, die das Gelingen der stationären Erziehungshilfe bzw. einer Rückkehr in die
Herkunftsfamilie erleichtert.
2.6.4.5
Die Zusammenarbeit mit der Familie besteht auch darin, die Eltern nach Möglichkeit in die Bewältigung der
Erziehungsaufgaben einzubinden.
2.6.4.6
Eine darüber hinaus gehende Arbeit mit der Familie zur Veränderung des erzieherischen Verhaltens und zur
Verwirklichung der Rückkehroption kann Bestandteil der Leistungserbringung der Einrichtung oder eine
daneben zu erbringende Leistung sein. Näheres ist im Hilfeplan festzuhalten.
2.6.4.7
Eine psychotherapeutische Behandlung der Eltern ist nicht Bestandteil der Jugendhilfe.
2.6.5
Bedeutung der Gruppe
2.6.5.1
Heimerziehung findet in der Regel in altersgemischten Gruppen statt, die Geschwisterkonstellationen ähnlich
sind. Die Gruppe bildet den emotionalen Bezugsrahmen, der Zugehörigkeit vermittelt und in dem
selbstständige, eigenverantwortliche und sozial orientierte Handlungsweisen erprobt und erlernt werden
können. Sonstige betreute Wohnformen arbeiten mit kleineren sozialen Gebilden bis hin zur Einzelbetreuung.
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2.6.5.2
Ob anstelle einer Erziehung in der Gruppe eine alternative Ausgestaltung notwendig und geeignet ist, muss
bereits frühzeitig im Kontext des Hilfeplanverfahrens festgestellt werden. Manche Kinder und Jugendliche sind
aufgrund ihrer persönlichen Problemlage mit dem Leben in einer Gruppe überfordert bzw. würden diese mit
ihrer Problematik überfordern. Gegebenenfalls ist eine Unterbringung im Rahmen der Intensiven
Sozialpädagogischen Einzelbetreuung (§ 35 SGB VIII) in Betracht zu ziehen.
2.6.6
Besonderheiten
2.6.6.1
Den Leitprinzipien der Gleichstellung von Mädchen und Jungen sowie von deutschen und von Migration
betroffenen Kindern und Jugendlichen und dem Abbau geschlechtsspezifischer und ethnischer
Benachteiligungen ist in der pädagogischen Grundkonzeption wie im erzieherischen Alltag Rechnung zu
tragen.
2.6.6.2
Orientiert am erzieherischen Bedarf im Einzelfall kann von der grundsätzlich sinnvollen koedukativen
Ausrichtung von Heimen abgewichen werden. Insbesondere für Kinder und Jugendliche mit sexuellen
Gewalterfahrungen kann eine geschlechtsspezifische Ausgestaltung den notwendigen Schutz- und
Schonraum sinnvoll ermöglichen.
2.6.6.3
Bei der Personalgewinnung und -entwicklung ist der Gesichtspunkt der Gleichstellung weiblicher und
männlicher Mitarbeiter zu beachten.
2.6.6.4
In koedukativ geführten Gruppen ist die Beschäftigung von Männern und Frauen anzustreben.
2.6.6.5
Für ältere Jugendliche mit ihrem durch Berufsausbildung veränderten Tagesrhythmus und ihren
zunehmenden Freiheiten empfiehlt sich die Alterstrennung.
2.6.7
Hilfeplanung
2.6.7.1
Der Zugang zur Heimerziehung ist in die Verantwortlichkeit des öffentlichen Jugendhilfeträgers gestellt, der
den Bedarf festzustellen und das Hilfeplanverfahren gemäß § 36 SGB VIII durchzuführen hat. Eine
Selbstbeschaffung von Leistungen der Hilfe zur Erziehung durch Kinder oder Jugendliche,
leistungsberechtigte Eltern oder anderweitige Personensorgeberechtigte ist nicht zulässig.
2.6.7.2
Das zentrale Instrument der Steuerung und der Kooperation ist der Hilfeplan, der von der zuständigen
Fachkraft im Jugendamt zusammen mit dem Kind oder Jugendlichen und den Personensorgeberechtigten
aufgestellt und schriftlich fixiert wird.
2.6.7.3
Die dort getroffenen Feststellungen über den Hilfebedarf, die Option einer Rückkehr und die vereinbarten
Leistungen sollen halbjährlich und darüber hinaus auch Anlass bezogen auf ihre weitere Notwendigkeit und
Eignung hin überprüft werden. Der Hilfeplan ist also regelhaft fortzuschreiben.
2.6.7.4
Die Voraussetzungen für eine engmaschige Verständigung über Fortgang und Erfolg einer zeit- und
zielgerichteten Hilfe müssen unter dem Gesichtspunkt der Qualitätsentwicklung sowohl im Jugendamt als
auch im Heim geschaffen werden.
2.6.8
Erziehungsplanung
2.6.8.1
Ausgehend vom festgestellten erzieherischen Bedarf und von den im Hilfeplan festgelegten Zielsetzungen
werden im Erziehungsplan Teilziele für die einzelnen Lebensbereiche formuliert, damit die Entwicklungsziele
und die erbrachten Leistungen überprüft, dokumentiert und den Beteiligten in geeigneter Weise zur Kenntnis
gebracht werden können.
2.6.8.2
Der Erziehungsplan ist das operative Steuerungsinstrument der leistungserbringenden Einrichtung und damit
verpflichtender Bestandteil des einrichtungsinternen Qualitätssicherungssystems. Eine angemessene
Beteiligung der Leistungsadressaten ist sicherzustellen. Der Erziehungsplan wird schriftlich fixiert und
regelmäßig fortgeschrieben, mindestens im Turnus der Hilfeplanfortschreibung.
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2.6.9
Entwicklungsbericht
2.6.9.1
Die Verzahnung von Hilfe- und Erziehungsplanung erfolgt durch den Entwicklungsbericht, der auf die im
Hilfeplan vereinbarten Zielsetzungen Bezug nimmt. Die Inhalte sind mit den Betroffenen im Vorfeld zu
besprechen.
2.6.9.2
Der Entwicklungsbericht enthält Auskünfte über den Prozessverlauf, insbesondere über die Mobilisierung von
Ressourcen in den Bereichen Persönlichkeit, Wohngruppe, Schule/Ausbildung, Herkunftsfamilie, (bisheriges)
soziales Umfeld, Freizeit sowie Aussagen zu den bisher erreichten Effekten der Hilfe und Überlegungen über
mögliche weitere Perspektiven.
2.6.9.3
Der Entwicklungsbericht wird rechtzeitig vor der Fortschreibung des Hilfeplans dem Jugendamt vorgelegt. Er
versetzt die Teilnehmer der Hilfeplankonferenz in die Lage, den Fortgang der Hilfe konkret zu beurteilen und
die nächsten Etappenziele zu vereinbaren.
2.6.10
Zusammenarbeit von Heimerziehung und Schule
2.6.10.1
Der überwiegende Teil von Kindern und Jugendlichen in Heimen oder sonstigen Wohnformen sind
Schülerinnen oder Schüler. Diese Tatsache verpflichtet Schule und Jugendhilfe gleichermaßen zu einer engen
Zusammenarbeit.
2.6.10.2
Lehrkräfte und Fachkräfte der Jugendhilfe müssen mit dem Kind oder Jugendlichen und seinen
Bezugspersonen gemeinsam individuelle Lösungswege hinsichtlich der Realisierung auch des schulischen
Erziehungs- und Bildungsauftrags erarbeiten.
2.6.10.3
Für die Heimerziehung ist Schule stets ein wichtiger Standortfaktor. Eine rechtzeitige wechselseitige
Beteiligung an der Planung von Schulangeboten und Einrichtungen der Jugendhilfe auf allen Ebenen trägt
maßgeblich dazu bei, strukturelle Belastungen zu vermeiden und ein bedarfsgerechtes Infrastrukturangebot
sicherzustellen.
2.6.10.4
Die Mitwirkung von Lehrkräften an der Hilfeplanung ist ebenso sinnvoll und notwendig wie die Beteiligung von
zuständigen Fachkräften der Jugendhilfe an schulischen Entscheidungen, welche die erzieherische Situation
des Kindes oder Jugendlichen wesentlich berühren. Datenschutz- oder versicherungsrechtliche Probleme
dürfen dem nicht entgegenstehen.
2.6.10.5
Auch der Übergang von Schule zu Beruf ist eine Gemeinschaftsaufgabe von stationärer Erziehungshilfe und
Schule. Sie haben gemeinsam darauf hinzuwirken, dass alle Kinder und Jugendlichen in Heimen eine Chance
zur beruflichen Integration erhalten. Durch entsprechende Leistungsangebote beider tragen sie in den Phasen
der beruflichen Orientierung, der Berufsvorbereitung, der Berufsausbildung oder der Beschäftigung zum
Abbau von Benachteiligungen und zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit bei.
2.6.11
Freiheitseinschränkende Maßnahmen und Anwendung von Zwangsmitteln
2.6.11.1
Mit Ausnahme der Krisenintervention bei Gefahr für Leib und Leben des Minderjährigen oder eines Dritten ist
die Jugendhilfe gesetzlich nicht befugt und vom fachlichen Verständnis her auch nicht der geeignete Raum,
Kinder und Jugendliche in einem dem Strafvollzug ähnlichen Sinne "geschlossen" unterzubringen. Die
Ausübung von körperlichem Zwang gehört in den Aufgabenbereich der Polizeibehörden, unbeschadet aktuell
oder situativ notwendiger pädagogischer Grenzsetzungen.
2.6.11.2
Wo es im Ausnahmefall bei schwerst auffälligen Kindern und Jugendlichen einer intensiv-therapeutischen
Betreuung unter Zuhilfenahme einer zeitweiligen individuellen Freiheitsbeschränkung bedarf, ist eine
sorgfältige Klärung und Beachtung der Voraussetzungen unabdingbar. Dies sind insbesondere die Einholung
eines psychiatrischen Gutachtens und die Genehmigung durch das Familiengericht einschließlich der
Festlegung der Unterbringungsdauer. Die Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) sind hierbei sorgfältig zu beachten.
2.6.11.3
Heimerziehung achtet das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen
und andere entwürdigende Maßnahmen sind keinesfalls erlaubt. Einrichtungen, Dienste und Personen, die
schwierige und in ihrer Entwicklung gestörte Kinder und Jugendliche aufnehmen, müssen in der Lage sein,
eine an sozial- und heilpädagogischen Grundsätzen orientierte Erziehung zu leisten.
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2.6.11.4
Nur in besonders begründeten Ausnahmefällen, etwa bei Gefahr für Leib und Leben, darf eine kurzfristige
Absonderung unter entsprechenden Bedingungen erfolgen, um eine akute Selbst- oder Fremdgefährdung
auszuschließen.
3.
Qualitätsmerkmale im Hilfeverlauf
3.1
Beachtung des Gesamtprozesses
3.1.1
Phasen des Prozesses
Der Verlauf einer gelingenden Hilfe zur Erziehung nach § 34 SGB VIII lässt sich idealtypisch in fünf Phasen
beschreiben:
1. Vorberatungsphase,
2. Einleitungsphase,
3. Orientierungsphase,
4. Kernphase,
5. Abschlussphase.
3.1.2
Entwicklungsaufgaben
Im Hilfeverlauf sind Entwicklungsaufgaben in mindestens folgenden Lebensbereichen in Betracht zu ziehen:
1. Persönlichkeit des Kindes oder Jugendlichen,
2. Wohngruppe,
3. (Aus-)Bildung,
4. Herkunftsfamilie,
5. bisheriges soziales Umfeld,
6. Freizeit.
3.1.3
Handlungserfordernisse
Im Hilfeverlauf und bei allen Entwicklungsaufgaben sind regelhaft Handlungserfordernisse seitens
1. des Jugendamts,
2. des Heims,
3. der Personensorgeberechtigten,
4. des Kindes oder Jugendlichen selbst,
5. Dritter wie insbesondere der Schule oder Ausbildungsstelle
gegeben und bei der Ausgestaltung der Hilfe zu berücksichtigen.
3.2
Vorberatungsphase
3.2.1
Schwerpunkt: Erkennen und Feststellen des Erziehungshilfebedarfs
3.2.1.1
Dem Beginn einer stationären Unterbringung kann eine schon längere Beratung (auch durch andere Stellen)
vorausgegangen sein. Die Vorberatungsphase beginnt mit der Feststellung eines unverkennbaren
Erziehungshilfebedarfs. Spätestens hier wird das Jugendamt tätig.
3.2.1.2
Im Vorfeld der Inanspruchnahme stationärer Erziehungshilfen müssen ambulante bzw. teilstationäre
Alternativen und deren Leistungsfähigkeit geklärt werden. Gegebenenfalls wird die Möglichkeit einer Adoption
geprüft.
3.2.1.3
Zentrale Arbeitsfelder bilden Zuständigkeitsprüfung, Problemerfassung (Betroffene ersuchen Hilfe,
Gefährdung des Kindeswohls), Beratung, Klärung der individuellen Situation und Entscheidung über die
notwendige und geeignete Hilfe. Hinzu kommen die Klärung der Finanzierung einschließlich einer etwaigen
Kostenbeteiligung der Leistungsadressaten und gegebenenfalls die gezielte Weiterleitung an einen
zuständigen Fachdienst im Jugendamt.
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3.2.2
Beratung
3.2.2.1
Die Beteiligten erhalten vollständige, verbindliche und verständliche Informationen über allgemeine
Leistungsmöglichkeiten der Jugendhilfe (§ 27 ff. SGB VIII), ihre Rechte (insbesondere zum Personensorge-,
Aufenthaltsbestimmungs-, Wunsch- und Wahlrecht) und Pflichten (insbesondere zur Kostenbeteiligung,
Mitwirkungsverpflichtung, Elternverantwortung) sowie den Ablauf der Inanspruchnahme einer Hilfe zur
Erziehung von den dafür zuständigen Mitarbeitern des Jugendamts.
3.2.2.2
Dabei ist, neben den Voraussetzungen für eine Hilfeleistung, auch auf den möglichen Zeitrahmen bis hin zur
Rückführung des Kindes oder Jugendlichen in seine Herkunftsfamilie oder eine andere Alternative
einzugehen.
3.2.2.3
Es soll allen Beteiligten bewusst werden, dass das Kind bzw. der Jugendliche, zumindest in der nächsten Zeit,
nicht in seiner Familie bleiben kann, sondern über Tag und Nacht außerhalb seiner Familie leben wird. Es wird
deutlich, dass eine einschneidende Veränderung in der Lebenssituation aller bevorsteht.
3.2.3
Beteiligung
3.2.3.1
Die rechtzeitige und umfassende Beteiligung der Angehörigen und vor allem des Kindes oder Jugendlichen
selbst sind maßgeblich für den Erfolg einer jeden Hilfeleistung. Der Motivationsarbeit bei den Hilfeempfängern
kommt dabei eine wichtige Rolle zu. Von Bedeutung ist eine wertschätzende Haltung gegenüber den
Leistungsbetroffenen als Experten in eigener Sache.
3.2.3.2
Indem die Beteiligten ihre Vorstellungen, Erwartungen und Zielsetzungen selbst formulieren, bekunden sie
ihre Mitwirkungsbereitschaft. Sie werden eigenverantwortlich tätig und erarbeiten aktiv erste eigene
Handlungsperspektiven.
3.2.3.3
Insbesondere bei unabweisbar notwendigen Maßnahmen zum Schutz des Kindes können abweichende
Positionen zwischen den Beteiligten auftreten und einer Konsensbildung im Weg stehen. Oft ist es dennoch
möglich, trotz eines eingeschränkten Personensorgerechts, z. B. des Aufenthaltsbestimmungsrechts der
Erziehungsberechtigten, diese zumindest in Teilbereichen am Planen der Hilfe zu beteiligen.
3.2.4
Planungserfordernisse
3.2.4.1
Bedarfsermittlung
3.2.4.1.1
Der Bedarf wird durch die Erhebung von Risiken und Ressourcen im Erleben und Handeln des Kindes oder
Jugendlichen sowie der sie umgebenden Erziehungs- und Entwicklungsbedingungen in den für sie relevanten
Lebensbereichen (Persönlichkeit des Kindes oder Jugendlichen, Schule/Ausbildung/Beruf, Herkunftsfamilie,
bisheriges soziale Umfeld, Freizeit) anhand der Sozialpädagogischen Diagnose3 ermittelt.
3.2.4.1.2
Defizite und Stärken werden zueinander in Beziehung gesetzt. Damit können im Fortgang der Hilfe Ziele
konkret vereinbart und erforderliche Handlungsschritte verbindlich nachvollzogen werden.
3.2.4.1.3
Gute Zielvereinbarungen sind konkret, messbar, erreichbar und zeitlich terminiert, positiv und genau
formuliert. Sie sind untereinander widerspruchsfrei, konzentrieren sich auf das Wesentliche und sind von den
Beteiligten anerkannt.
3.2.4.1.4
Bei Hinweisen auf mögliche gesundheitliche Einschränkungen, Leistungsprobleme, Verhaltensstörungen
sowie psychische Auffälligkeiten sollen einschlägige, etwa medizinische oder (schul-)psychologische,
diagnostische Befunde bzw. Stellungnahmen eingeholt werden.
3.2.4.2
Prüfung der Rückkehroption
3.2.4.2.1
Bereits im Zuge der Bedarfsfeststellung sind die optionalen Perspektiven der Rückkehr in die Herkunftsfamilie
oder einer auf Dauer angelegten außerfamiliären Erziehung einschließlich einer Adoptionsmöglichkeit zu
entwickeln. Insbesondere das Verwerfen der Rückkehroption muss im Hilfeplan schlüssig begründet werden.
3.2.4.2.2
Soweit absehbar ist, dass das Kind bzw. der Jugendliche nur vorübergehend in einem Heim bleibt, ist eine
intensive zeit- und zielgerichtete Arbeit auch mit den Eltern zwingend.
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3.2.4.2.3
Die Rückkehroption kann sich auch auf die Rückführung von der Förderschule, beispielsweise einer Schule
zur Erziehungshilfe, in die Grund- oder Hauptschule (am Standort der Einrichtung oder am Ort der
Herkunftsfamilie) erstrecken, wofür eine intensive Zusammenarbeit zwischen den schulpädagogischen und
den sozialpädagogischen Verantwortlichen unerlässlich ist.
3.2.4.3
Entscheidung über die Hilfe
3.2.4.3.1
Die federführende Fachkraft im Jugendamt fasst die Ergebnisse der Sozialpädagogischen Diagnose in einem
leistungsbegründenden Vermerk zusammen. Sie stellt diese Ergebnisse den dafür bestimmten
Entscheidungsgremien der Dienststelle vor und empfiehlt eine angemessene Hilfe.
3.2.4.3.2
An der fachlichen Entscheidung werden im Bedarfsfall weitere Fachkräfte aus den Bereichen Kindergarten,
Schule, Erziehungsberatung, Krisenintervention oder aus anderen Diensten beteiligt.
3.2.4.3.3
Im Einzelfall kommt die Einbeziehung weiterer Kooperationspartner in Frage wie z. B. Einrichtungen der
beruflichen Aus- und Weiterbildung, die Arbeitsverwaltung, Gesundheitsdienste, Ärzte sowie die Polizei- und
Ordnungsbehörden.
3.2.4.3.4
Der im Zusammenwirken der Fachkräfte erarbeitete Vorschlag wird dem Kind bzw. Jugendlichen und dessen
Sorgeberechtigten persönlich unterbreitet.
3.2.4.3.5
Gemeinsam werden einvernehmlich die Rahmenbedingungen der Hilfe wie z. B. Wohnortnähe, Art der
Gruppe, Wohnform, Alters- und Geschlechtsstruktur der Gruppe, spezielle Vorstellungen hinsichtlich der
religiösen Erziehung festgelegt.
3.2.4.3.6
Unterschriftlich erklären sich alle Beteiligten mit den Vereinbarungen und der Einleitung einer stationären Hilfe
zur Erziehung einverstanden.
3.2.5
Ergebnis
3.2.5.1
Am Ende der Vorberatungsphase ist im Ergebnis davon auszugehen, dass der Hilfebedarf im Fachteam
geklärt ist und Zielsetzungen umrissen sind. Ferner sind die Leistungsvoraussetzungen festgestellt, das
Hilfeangebot wurde dem Kind bzw. Jugendlichen und dessen Sorgeberechtigen unterbreitet, und die
Leistungsberechtigten haben durch Antragstellung ihre Zustimmung zu einer stationären Erziehungshilfe
bekundet.
3.2.5.2
Perspektiven hinsichtlich einer möglichen Rückkehr in die Herkunftsfamilie oder einer anderen, auf Dauer
angelegten Lebensform außerhalb der Herkunftsfamilie wurden erarbeitet.
3.2.5.3
Es liegen die ersten Bestandteile des Hilfeplans vor, der dann im Fortgang der Hilfe Zug um Zug
fortgeschrieben, vervollständigt und gegebenenfalls revidiert wird.
3.2.5.4
Die Phase der Vorberatung kann individuell unterschiedlich lange dauern. Sie soll im Hinblick auf eine
zeitnahe, zielgerichtete und wirksame Hilfe allerdings in einem zeitlichen Rahmen von maximal drei Monaten
erfolgen.
3.3
Einleitungsphase
3.3.1
Schwerpunkt: Auswahl der geeigneten Einrichtung
3.3.1.1
Die Einrichtungen stellen den örtlichen Jugendämtern gegenüber ihr Leistungsangebot transparent und
differenziert dar, in der Regel durch die Bekanntgabe der Leistungs- und Qualitätsentwicklungsvereinbarung,
die der jeweiligen Entgeltvereinbarung zugrunde liegen4.
3.3.1.2
Das Jugendamt stellt seinerseits der in Aussicht genommenen Einrichtung die wesentlichen Informationen zur
Bedarfsfeststellung (siehe Hilfeplan) zur Verfügung, die zur Prüfung der Anfrage und Entscheidungsfindung
dienen.
3.3.1.3
Im Rahmen der bestehenden Leistungsvereinbarung prüft die angegangene Einrichtung, ob und auf welche
Weise sie der Anfrage gerecht werden kann.
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3.3.1.4
Eine zeitnahe Entscheidung für die geeignete Einrichtung ist für die Betroffenen von hoher Bedeutung und
sollte in einem Zeitraum von höchstens einem Monat nach Antragstellung durch die Leistungsberechtigten
erfolgt sein.
3.3.2
Vorstellungsgespräch
3.3.2.1
Bei Aufnahmebereitschaft der Einrichtung organisiert das Jugendamt mit allen Beteiligten ein
Vorstellungsgespräch, an dem im Idealfall das Kind bzw. der Jugendliche, seine Sorgeberechtigten, die
federführende Fachkraft des Jugendamts, eine Fachkraft der voraussichtlichen Wohngruppe, gegebenenfalls
eine einrichtungsinterne gruppenergänzende Fachkraft sowie die Einrichtungsleitung teilnehmen.
3.3.2.2
Das Vorstellungsgespräch findet in der jeweiligen Einrichtung statt.
3.3.2.3
Inhalte des Gesprächs sind der Austausch grundlegender Erwartungen aller Beteiligten und die Benennung
der Erziehungsziele durch die Sorgeberechtigten und das Kind bzw. den Jugendlichen. Zwischen den
Beteiligten sind zwei bis drei Etappenziele einvernehmlich und möglichst konkret zu vereinbaren. Erste
Vereinbarungen, z. B. möglicher Aufnahmetermin, Besuchs- bzw. Heimfahrtsregelungen, werden getroffen.
3.3.2.4
Unter anderem bedarf es verständlicher Informationen über das Leben in der Wohngruppe und das
pädagogische Handeln der Fachkräfte hinsichtlich Tagesablauf, Gruppen- und Teamstruktur, über Regeln wie
Wochenend- und Ferienheimfahrten oder Fernsehgepflogenheiten, über Beschwerdewege, Unternehmungen,
Taschengeld sowie das Therapieangebot für das Kind oder den Jugendlichen, Formen der Zusammenarbeit
mit den Eltern, Regelungen des Schulbesuchs, Aktivitäten im Jahreskreis, Angebote der außerhäuslichen
Umgebung, schließlich eine Führung durch die Wohnräume und das Gelände.
3.3.2.5
Gegebenenfalls werden zunächst ein Probewohnen (zum Beispiel für ein Wochenende) oder die Teilnahme
an Aktivitäten der Einrichtung vereinbart.
3.3.2.6
Hinsichtlich der Ausübung der Personensorge werden Regelungen zur Aufgabenverteilung zwischen
Personensorgeberechtigten und der Einrichtung besprochen und schriftlich festgehalten.
3.3.3
Planungserfordernisse
3.3.3.1
Entscheidungen
3.3.3.1.1
Die Einrichtung unterbreitet dem Jugendamt ein geeignetes Angebot einschließlich des möglichen
Aufnahmetermins. Das Kind oder der Jugendliche und die Sorgeberechtigten werden aktiv beteiligt, indem sie
ihrerseits dem Jugendamt ihre Entschlüsse mitteilen.
3.3.3.1.2
Der einvernehmliche Stand des Verfahrens wird seitens der zuständigen Fachkraft im Jugendamt im Hilfeplan
festgehalten und den Verfahrensbeteiligten, je nach Sachlage auch der Schule, Ausbildungsstelle oder
anderen relevanten Dritten, zur Kenntnis gebracht.
3.3.3.1.3
Die Leistungsberechtigten erhalten vom Jugendamt einen rechtsmittelfähigen Bescheid über die Leistung und
gegebenenfalls zu tragende Kosten. Die Einrichtung erhält eine Erklärung zur Kostenübernahme.
3.3.3.2
Hilfeplan, Leistungsbegründung und Kostenklärung
3.3.3.2.1
Der Hilfeplan liegt jetzt in einer Fassung vor, die nicht nur die bedarfsbezogene Notwendigkeit, die Eignung
der Hilfeart und grobe Zielsetzungen dokumentiert, sondern auch Aussagen zur Ausgestaltung, zum
Leistungsumfang und zur Zusammenarbeit enthält.
3.3.3.2.2
Zu diesem Zeitpunkt werden die vereinbarten Zielsetzungen sowie die Aussagen hinsichtlich der Option
Rückführung oder Erziehung in einer anderen Familie oder auf längere Zeit angelegte Hilfe in der Einrichtung
mit der Perspektive der Verselbstständigung nochmals überprüft und gegebenenfalls korrigiert.
Seite 10
3.3.4
Ergebnis
3.3.4.1
Im Ergebnis der Einleitungsphase haben das Kind bzw. der Jugendliche, Sorgeberechtigte und Fachkräfte
gemeinsam ein passgenaues Hilfeangebot erarbeitet. Dabei wurden die individuellen, sozialen und kulturellen
Vorstellungen und Eigenarten des Kindes bzw. Jugendlichen und seiner Familie berücksichtigt.
3.3.4.2
Die Fachkräfte von Jugendamt und Einrichtung haben die relevanten Informationen ausgetauscht und die
Eignung der konkret in Betracht gezogenen Wohneinheit geprüft. Der Auftrag an die Einrichtung ist geklärt.
Der Einzugstermin ist festgelegt. Die Leistungsgewährung ist seitens des Jugendamts bestätigt. Ein
eventueller Zuständigkeitswechsel innerhalb des Jugendamts hat spätestens jetzt stattgefunden.
3.3.4.3
Die Einleitung der stationären Erziehungshilfe soll in einem Zeitraum von vier Wochen erfolgt sein. Die
nachfolgende Bewilligung der Leistung oder gegebenenfalls deren Ablehnung erfolgt innerhalb von weiteren
vier Wochen durch Bescheid.
3.4
Orientierungsphase
3.4.1
Schwerpunkt: Grundlegung der pädagogischen Arbeit
3.4.1.1
Die Eindrücke des Aufnahmetags wirken auf Kinder und Jugendliche besonders nachhaltig. Deshalb ist dieser
sorgfältig zu planen und zu begleiten. Kinder und Jugendliche benötigen Zeit, sich in die veränderte
Alltagssituation schrittweise einzuleben. Ihre Herkunftsfamilie muss sich mit der veränderten häuslichen
Situation und der Entscheidung, dass ihr Kind vorübergehend im Heim lebt, auseinander setzen.
3.4.1.2
Die Fachkräfte der Einrichtung nutzen die Eingewöhnungszeit, um Vertrauen unter den Beteiligten zu bilden
und bestimmte Regeln in der Alltagsbewältigung und im Zusammenleben mit der Gruppe zu etablieren. Sie
gewinnen wichtige Informationen für das Planen von Perspektiven in der Hilfeplanfortschreibung sowie in der
daran anknüpfenden konkreten Erziehungsplanung.
3.4.2
Pädagogisches Handeln und Zusammenleben in der Wohngruppe
3.4.2.1
Die Fachkräfte folgen in ihrem Alltagshandeln neben dem lebensweltorientierten und dem systemischen
Ansatz auch dem Ansatz der Hilfe zur Selbsthilfe. Vorhandene Ressourcen des Kindes, seiner Familie und
der Wohngruppe sowie des sozialen außerhäuslichen Umfelds werden dabei besonders genutzt.
3.4.2.2
Im alltäglichen Zusammenleben innerhalb der Wohngruppe sind eine klar erkennbare Tagesstruktur, Normen,
Regeln und Pflichten, Zeit für persönliche Gespräche sowie Gespräche in der Gruppe, Gelegenheit für
lebenspraktische Tätigkeiten und Projekte wie Kochen, Einkaufen, Zimmergestaltung, gemeinsame Aktivitäten
und Unternehmungen prägende Faktoren für das Gelingen des Erziehungsauftrags.
3.4.2.3
Der zu gewährende Barbetrag (Taschengeld) steht dem Kind bzw. Jugendlichen zur freien Verfügung. Soweit
die zustehende Barschaft für Gemeinschaftsveranstaltungen oder zur Regulierung eines Schadens
einbehalten werden soll, wird dies mit dem Betroffenen besprochen. Die für das Kind oder den Jugendlichen
entstehenden Einschränkungen müssen sich in einem vertretbaren Rahmen halten.
3.4.3
Zusammenarbeit mit den Sorgeberechtigten
3.4.3.1
Für die Zusammenarbeit mit den Eltern ist es wichtig, dass innerhalb der Wohngruppe eine für sie zuständige
pädagogische Fachkraft mit Fallverantwortung als verbindliche Ansprechpartnerin benannt ist.
3.4.3.2
Im Rahmen der Arbeit mit den Eltern werden relevante Themen wie der Loyalitätskonflikt des Kindes zwischen
konkurrierenden Erziehungspersonen, das Dilemma der pädagogischen Arbeit im Spannungsbogen zwischen
Erfolg und Scheitern sowie das Aufarbeiten von Schuldgefühlen der Beteiligten bearbeitet.
3.4.3.3
Die Eltern wirken ihren Möglichkeiten entsprechend aktiv am Erziehungsauftrag ihres Kindes mit. Auch wenn
das Machbare und das Wünschenswerte hier zu unterscheiden sind, soll die elterliche
Erziehungsverantwortung unabhängig von der Übertragung von Teilen des Sorgerechts respektiert und
gefördert werden.
Seite 11
3.4.3.4
Die Eltern erlauben ihrem Kind, neue Beziehungen einzugehen und sich auf das neue Lebensumfeld
einzulassen.
3.4.4
Außerhäuslicher Bereich
3.4.4.1
Für den Bereich Schule oder Berufsaubildung werden Zielsetzungen so zeitgerichtet und differenziert
vereinbart, dass auch in diesen Leistungsbereichen Erfolgserlebnisse möglich werden.
3.4.4.2
Inwieweit die Kontakte zum bisherigen sozialen Umfeld weiter gepflegt, wieder aufgenommen werden können
oder zunächst eingeschränkt werden, wird vereinbart. Dabei sind dortige Ressourcen zu benennen.
Gegebenenfalls müssen sie neu erschlossen oder aufgebaut werden.
3.4.4.3
Aktivitäten im Freizeitbereich werden unterstützt und entsprechend den Neigungen und Wünschen des Kindes
bzw. Jugendlichen gefördert, so weit sie seiner Entwicklung zuträglich sind.
3.4.5
Planungserfordernisse
3.4.5.1
Erziehungsplanung
3.4.5.1.1
Im Rahmen der Erziehungsplanung werden aufgrund der ersten Erfahrungen mit dem Kind oder Jugendlichen
und seiner Familie deren Ressourcen, Defizite und Risiken sowie daraus resultierende Entwicklungsziele und
differenzierte erzieherische Vorgehensweisen benannt und angemessen dokumentiert.
3.4.5.1.2
Der Erfolg der Eingewöhnung während der Orientierungsphase wird anhand der Kriterien persönliches
Wohlbefinden, Kontakte, lebenspraktische Fertigkeiten, schulische oder berufliche Situation, Integration in die
Gruppe und das neue Lebensumfeld, Freizeitgestaltung, Kooperation, Umgang mit den vereinbarten
Etappenzielen beurteilt.
3.4.5.1.3
Im
Bedarfsfall
erfolgt
eine
ergänzende
Diagnostik,
z.
B.
von
Teilleistungsstörungen,
Entwicklungsverzögerungen oder psychischen Auffälligkeiten. Alle Beobachtungen und Befunde fließen in die
Zielentwicklung und die zeitliche Perspektivenplanung bei der anstehenden Fortschreibung des Hilfeplans ein.
3.4.5.1.4
Das Jugendamt wird seitens der Einrichtung über den Verlauf der Eingewöhnung und die Ergebnisse der
bisherigen Erziehungsplanung informiert.
3.4.5.2
Hilfeplanfortschreibung
3.4.5.2.1
Spätestens zum Ende der Orientierungsphase soll die erste Hilfeplanfortschreibung erfolgen. Verantwortlich
ist das Jugendamt.
3.4.5.2.2
Die federführende Fachkraft des Jugendamts lädt gegen Ende der Orientierungsphase alle am Hilfeplan
Beteiligten zum Hilfeplangespräch ein. Sie führt das Gespräch, das nach Möglichkeit in der Einrichtung
stattfindet.
3.4.5.2.3
Zu Beginn der Hilfe festgelegte Zielvereinbarungen, Absprachen sowie Aussagen zur Anschlussperspektive
nach Abschluss der Maßnahme werden überprüft und konkretisiert.
3.4.5.2.4
Insbesondere erfolgt spätestens hier die Weichenstellung, ob entsprechend dem Alter und Entwicklungsstand
des Kindes oder des Jugendlichen sowie den Möglichkeiten der Verbesserung der Erziehungsbedingungen in
der Herkunftsfamilie
1. eine Rückkehr in die Familie zu erreichen versucht oder
2. die Erziehung in einer anderen Familie vorbereitet oder
3. eine auf längere Zeit angelegte Lebensform geboten und auf ein selbstständiges Leben vorbereitet werden
soll.
3.4.5.2.5
Auf dieser Grundlage wird festgelegt, in welchem voraussichtlichen zeitlichen Rahmen die Hilfe kurz-, mitteloder langfristig erforderlich sein wird.
Seite 12
3.4.5.2.6
Wegen der gemeinsamen Verantwortung und der Transparenz des Verfahrens ist es wichtig, ein Protokoll
über die Fortschreibung des Hilfeplans zu erstellen und den Teilnehmern der Hilfeplankonferenz zu
übermitteln. Es wird mit den Adressaten besprochen.
3.4.6
Ergebnis
3.4.6.1
Das Kind bzw. der Jugendliche hat seinen Platz in der Wohngruppe gefunden. Es hat sich bei allen Beteiligten
eine Vertrauensbasis gebildet, die ihren Veränderungswillen stärkt und ein tragfähiges Arbeitsbündnis
ermöglicht.
3.4.6.2
Sowohl Kind bzw. Jugendlicher als auch Sorgeberechtigte sind zumindest in Teilbereichen grundsätzlich zur
Mitarbeit bereit. Die Eltern und andere wichtige Bezugspersonen stehen zu ihrer Entscheidung zur
Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen in der Wohngruppe.
3.4.6.3
Ein realistischer Erwartungshorizont im Hinblick auf mögliche pädagogische Zielsetzungen ist umrissen, damit
verbundene Handlungsperspektiven wurden konkretisiert und im Hilfeplan dokumentiert. Erste vernetzende
Kontakte an relevanten Schnittstellen (z. B. Schule, berufliche Bildung, Therapie) wurden angebahnt.
3.4.6.4
Im Rahmen der Erziehungsplanung sind von der leistungserbringenden Einrichtung Teilziele und daraus
resultierende Handlungsschritte erarbeitet und im weiteren Verlauf umgesetzt worden.
3.4.6.5
Die Orientierungsphase soll in maximal sechs Monaten abgeschlossen sein.
3.5
Kernphase
3.5.1
Schwerpunkt: Gezieltes Arbeiten an der Verbesserung der Kompetenzen des Kindes oder Jugendlichen in
den verschiedenen Lebensbereichen
5
Die pädagogische Grundversorgung stellt den notwendigen sichernden Rahmen für die Umsetzung der
Entwicklungsaufgaben dar. Alle pädagogischen Maßnahmen sind so weit wie möglich mit dem Alltagserleben
des Kindes oder Jugendlichen verbunden. Dies gilt auch für bedarfsweise damit einhergehende
therapeutische Interventionen.
3.5.2
Entwicklungsaufgaben
3.5.2.1
Zu einer erfolgreichen Schullaufbahn mit qualifiziertem Abschluss gehören insbesondere eine individuell
angemessene
Beschulung,
Schulwegbewältigung,
Integration
in
den
Klassenverband,
Hausaufgabenerledigung, Lernverhalten, Zusammenarbeit mit der Schule.
3.5.2.2
Die berufliche Integration umfasst insbesondere die Arbeitsschwerpunkte Berufswahl, Entscheidung über die
geeignete Ausbildungs- oder Arbeitsstelle, Arbeitsmotivation, Selbstbild, Frustrationstoleranz und
Stressbewältigung.
3.5.2.3
Der adäquate Umgang mit der eigenen Persönlichkeit berührt unter anderem Themenkomplexe wie
psychische und physische Konstitution, Motivation, Identität, Sexualität, Emotionalität, Werteorientierung.
3.5.2.4
Das
Leben
in
der
Wohngruppe
fordert
vom
Einzelnen
die
Auseinandersetzung
mit
Gemeinschaftsverantwortung, Mitbestimmung, Regeln, Rechten, Pflichten, Grenzen, Rollenzuschreibung und
-findung.
3.5.2.5
Eine gelungene Integration ins soziale Umfeld verlangt Respekt vor anderen, Abgrenzungsfähigkeit,
eigenverantwortliches Handeln, Kontaktfähigkeit und Unternehmungsgeist.
3.5.2.6
Bei der Erarbeitung eines angemessenen Freizeitverhaltens und einer sinnvollen Freizeitgestaltung stehen die
Klärung der Interessen und Kompetenzen, Selbstständigkeit, Mobilität, aber auch der gegebene finanzielle
Rahmen im Vordergrund.
3.5.2.7
Ereignisse im Alltag stationärer Erziehungshilfe folgen nicht immer der Logik und der Struktur des Hilfeplans.
Etwaige Rückschritte und Krisen müssen thematisiert, analysiert und bearbeitet werden. Sie sind
gegebenenfalls Anlass zur Überprüfung der Zielsetzungen.
Seite 13
3.5.3
Zusammenarbeit mit der Familie
3.5.3.1
Zur Klärung der Beziehungen in der Herkunftsfamilie ist insbesondere die Auseinandersetzung mit
emotionalen Bindungen, Zugehörigkeit, Familiengeschichte, Erziehungskompetenzen der Sorgeberechtigten
erforderlich.
3.4.3.2
Durch Elternberatung, Elternkompetenztraining, Übernahme von Erziehungsaufgaben und Übernahme bzw.
Weiterführung gängiger Anforderungen im Alltag soll die elterliche Erziehungskompetenz im erforderlichen
Maß gesichert und gestärkt werden. Eventuell muss auch an lebensbewältigenden Lösungsstrategien
einzelner Familienmitglieder oder der gesamten Familie gearbeitet werden.
3.5.3.3
Das Jugendamt muss sich im Falle der Rückkehroption darum kümmern, dass gegebenenfalls mit im Hilfeplan
definierter Zielsetzung entweder es selbst, ambulante Maßnahmen der Erziehungsberatung oder andere
familienunterstützende Programme an der Verbesserung der dortigen Erziehungsbedingungen arbeiten,
soweit diese Aufgabe nicht ohnedies vereinbarter Bestandteil der Leistungserbringung der Einrichtung ist.
3.5.3.4
Selbst wenn ein junger Mensch seine Eltern verloren hat oder von ihnen verlassen worden ist und somit eine
Rückkehroption nicht existiert, bleibt seine Familie biographisch bedeutsam und muss in der erzieherischen
Arbeit berücksichtigt und thematisiert werden, sei es real oder in seiner Vorstellungswelt.
3.5.4
Zusatzleistungen
Eventuelle individuelle Zusatzleistungen außerhalb der Regelleistungen müssen streng bedarfsbezogen im
Hilfeplan definiert werden und auf die regionale Versorgungsstruktur zurückgreifen.
3.5.5
Planungserfordernisse
3.5.5.1
Erziehungsplanung
3.5.5.1.1
Die leistungserbringende Einrichtung hat die Aufgabe, die im Hilfeplan vereinbarten Maßgaben in umsetzbare,
konkretisierte und überschaubare Handlungsziele zu untergliedern, diese in Handlungsschritte umzusetzen
und mit einem zeitlichen Rahmen zu versehen.
3.5.5.1.2
Darüber hinaus werden Indikatoren festgelegt, die es ermöglichen, Verhaltensweisen oder Sachverhalte
beobachtbar, erfassbar und messbar zu machen, so dass bewertet werden kann, inwieweit man der
Zielerreichung näher gekommen ist. Die Ergebnisse werden mit den Betroffenen reflektiert, gemeinsam
ausgewertet und dokumentiert.
3.5.5.1.3
Die Fortschreibung
vorzunehmen.
3.5.5.2
Hilfeplanfortschreibung
3.5.5.2.1
Verantwortlich für das Verfahren der Hilfeplanfortschreibung ist wiederum die federführende Fachkraft des
Jugendamts (siehe Orientierungsphase).
3.5.5.2.2
Die Hilfeplanfortschreibung erfolgt halbjährlich, falls im Einzelfall erforderlich auch in kürzeren Abständen. Die
Sorgeberechtigten, das Kind bzw. der Jugendliche, die federführende Fachkraft des Jugendamts, die
fallverantwortliche Fachkraft der Einrichtung und gegebenenfalls weitere am Geschehen beteiligte Fachkräfte
oder Stellen sowie die Erziehungsleitung reflektieren gemeinsam die Entwicklungen seit der letzten
Fortschreibung des Hilfeplans und prüfen die Erfolge anhand der festgelegten Maßgaben. Anschließend wird
gemeinsam der weitere Fortgang der Maßnahme besprochen und vereinbart.
3.5.5.2.3
Ist eine weiterführende Betreuung notwendig und geeignet, werden erneut Ziele vereinbart, im Rahmen der
Erziehungsplanung konkretisiert und mit den Betroffenen zusammen realisiert.
der
Erziehungsplanung
ist
prozessbegleitend,
mindestens
jedoch
halbjährlich
Seite 14
3.5.6
Ergebnis
3.5.6.1
Das Kind bzw. der Jugendliche hat ein differenzierteres Problembewusstsein entwickelt, seine wachsende
Veränderungsbereitschaft hat sich positiv auf seine Entwicklung ausgewirkt. Mehr und mehr konnten seine
Identität gefestigt und realistische Vorstellungen über seine Zukunft entwickelt werden. Das Kind bzw. der
Jugendliche ist bereit, Aufgaben und die damit verbundene Verantwortung für sich und andere zu
übernehmen.
3.5.6.2
Die Entwicklungserfolge wurden in der halbjährlich stattfindenden Fortschreibung des Hilfeplans überprüft.
Gegebenenfalls wurden weitere Ziele vereinbart und wiederum umgesetzt, bis zu dem Punkt, an dem ein
Abschluss der Maßnahme ins Auge gefasst werden konnte.
3.5.6.3
Die federführende Fachkraft hat den Fortgang der Hilfe auch in der Kernphase begleitet, unterstützt und
kontrolliert und bei Krisen bzw. unvorhergesehenen Ereignissen gegebenenfalls interveniert.
3.5.6.4
Die Eltern haben sich entweder damit arrangiert, dass ihr Kind langfristig nicht mehr bei ihnen leben wird, oder
sie haben mit Unterstützung und Erfolg daran gearbeitet, dass ihre Lebensumstände es zulassen, eine
Rückkehr ihres Kindes konkret in Aussicht zu nehmen.
3.5.6.5
Ist eine Rückführung des Kindes bzw. des Jugendlichen in die Herkunftsfamilie vereinbart, soll die Kernphase
in einem Zeitraum von zwölf bis achtzehn Monaten zum Erfolg geführt werden können. Ist der Verbleib in
einer anderen Familie in Aussicht genommen, muss diese Option spätestens im Laufe eines halben Jahres
verwirklicht werden. Ist Heimerziehung als Lebensform auf längere Zeit angelegt, richtet sich die zeitliche
Perspektive womöglich bis zur Volljährigkeit, wobei davon auszugehen ist, dass die Betreuungsintensität mit
zunehmender Selbstständigkeit des jungen Menschen kontinuierlich abnimmt.
3.6
Abschlussphase
3.6.1
Schwerpunkt: Qualifizierte Beendigung der Hilfe
3.6.1.1
Für alle Beteiligten ist möglichst frühzeitig Klarheit über den Zeitpunkt und die Gestaltung der Beendigung
sowie über die nachfolgende Lebenssituation des Kindes oder Jugendlichen zu schaffen.
3.6.1.2
Soweit erforderlich ist eine Begleitung des Übergangs in die neue Lebenssituation zu sichern und eine
Klärung weiterer Unterstützungs- und Hilfsmöglichkeiten herbeizuführen, zum Beispiel in Form von
Selbsthilfegruppen, durch andere Institutionen oder in Therapien.
3.6.2
Indikatoren
3.6.2.1
Indikatoren zur Überprüfung von Erfolg und Stabilität in der Lebensführung sind für alle Beteiligten
insbesondere eine realistische Lebensplanung, eine gelingende Alltagsbewältigung, konstruktive
Konfliktlösungsstrategien, tragfähige soziale Beziehungen, Unterlassung von Straftaten.
3.6.2.2
Im Blickfeld stehen dabei besonders der regelmäßige und pünktliche Besuch der Schule bzw.
Ausbildungsstelle, der konsequente Besuch vereinbarter Zusatzhilfen wie Therapie oder Lernhilfe, die
zuverlässige Übernahme vereinbarter häuslicher Pflichten, die Einhaltung festgelegter Absprachen, die Pflege
stabiler Kontakte zu wichtigen Freunden und Bezugspersonen, eine aktive Freizeitgestaltung.
3.6.2.3
Bei Kindern ist darüber hinaus die unproblematische Bewältigung des Schulwegs, eine motivierte Mitarbeit im
Unterricht und die Erstellung der Hausaufgaben in erforderlichem Maß ausschlaggebend.
3.6.2.4
Eltern nehmen Unterstützung in der Stärkung ihrer Erziehungsaufgabe und der familiären Alltagsgestaltung an
und setzen sie um.
3.6.3
Ablösung
3.6.3.1
Die Einrichtung bietet Möglichkeiten einer individuellen Erprobung der zukünftigen Lebens- und Wohnsituation
sowohl innerhalb der jetzigen als auch in der zukünftigen Umgebung an.
Seite 15
3.6.3.2
Unter Anleitung werden Alltagsaufgaben zunehmend auf das Kind oder den Jugendlichen bzw. seine
Angehörigen zurückverlagert und der Betreuungsaufwand schrittweise reduziert.
3.6.3.3
Die Ablösung des Kindes oder Jugendlichen von seiner Gruppe muss für alle erlebbar und fachlich vertretbar
gestaltet werden. Der Erfolg des Ablösungsprozesses wird in vierwöchigem Abstand im Rahmen der
Erziehungsplanung überprüft. Treten Schwierigkeiten auf, ist die federführende Fachkraft im Jugendamt zu
informieren.
3.6.4
Abschied
3.6.4.1
Das Abschlussgespräch mit den Betroffenen und den an der Arbeit beteiligten Fachkräften rundet den Verlauf
des Hilfeprozesses und die gemeinsame Arbeit ab.
3.6.4.2
Das bewusste Abschied nehmen von wichtigen Personen im Umfeld der Wohngruppe lässt das Kind oder den
Jugendlichen die Veränderung seiner Lebenssituation erfahren. In einem gestalteten Abschied mit der
Wohngruppe spiegeln sich noch einmal die Wertschätzung und die Beziehungen der Einzelnen zum Kind oder
Jugendlichen wider.
3.6.5
Varianten der Beendigung
3.6.5.1
Rückführung
3.6.5.1.1
Ist die Rückführung in die Herkunftsfamilie geplant, sind die Kontakte der Eltern zu ihrem Kind zu
intensivieren, mit gezielter Übernahme von Kernaufgaben wie Grundversorgung, Hausaufgabenbetreuung,
Familienleben am Wochenende. Phasen der Beurlaubung nach Hause werden ausgedehnt und eventuell mit
dem probeweisen Besuch der Schule am Heimatort verknüpft. Gegebenenfalls kann von den
Sorgeberechtigten eine unterstützende Beratung seitens der Einrichtung in Anspruch genommen werden.
3.6.5.1.2
Im Freizeitbereich wird versucht, den Wünschen und Neigungen des Kindes entsprechend Kontakte zu
geeigneten Angeboten aufzubauen.
3.6.5.1.3
Ergänzende Hilfsangebote wie z. B. Lernhilfen, Kindertagesbetreuung, schulbezogene Jugendsozialarbeit,
Angebote der Jugendarbeit, unter Umständen weiterführende Beratungs- oder Therapieangebote, die zur
Stützung der künftigen Alltagsbewältigung beitragen können, werden erschlossen und zunehmend genutzt.
3.6.5.1.4
Die erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten im familiären und schulischen Alltag, aber auch im
Freizeitbereich und sozialen Umfeld sollen nun verstärkt zum Tragen kommen.
3.6.5.2
Verselbstständigung
3.6.5.2.1
Zur Verselbstständigung in eigener Lebensführung müssen insbesondere die Festigung lebenspraktischer
Fertigkeiten, die für ein eigenverantwortliches Leben notwendig sind, und eine gelungene Alltagsbewältigung
unterstützt werden.
3.6.5.2.2
Geübt werden jetzt insbesondere Tätigkeiten, welche die Planung und Organisation des Alltags betreffen wie
Einkaufen, Kochen, Aufräumen, Putzen, Körperhygiene, Kleidereinkauf, Wäschepflege, Planung und Umgang
mit Geld, Umgang mit Medien und Behörden, Freizeitgestaltung.
3.6.5.2.3
Der Jugendliche muss sich nun aktiv auf Wohnungssuche begeben. Dabei wird er nach den Maßgaben des
Hilfeplans bezüglich Zeitrahmen, Finanzierung und gegebenenfalls Betreuung hinsichtlich der
bedarfsgerechten Ausstattung, Lage, Infrastruktur sowie der Finanzierbarkeit der Wohnung unterstützt und
begleitet.
3.6.5.2.4
Es ist im Einzelfall abzuwägen, ob eine zeitgleiche Beendigung der stationären Hilfe mit dem Beginn einer
Berufsausbildung bzw. dem Eintritt in die Arbeitswelt stattfinden soll.
3.6.5.2.5
Hinsichtlich seiner Persönlichkeit arbeitet der Jugendliche mit pädagogischer Begleitung durch die Einrichtung
in dieser Phase gezielt an einem adäquaten Umgang mit den ihm zwar bekannten, aber immer noch
problematischen Verhaltensmustern. Der Aufbau selbstständiger Freizeitaktivitäten und Kontakte außerhalb
der Einrichtung wird verstärkt.
Seite 16
3.6.5.3
Stützangebote außerhalb der Hilfen zur Erziehung
3.6.5.3.1
In der Regel wird die Maßnahme mit dem Auszug des Kindes oder Jugendlichen aus der Einrichtung
abgeschlossen sein. Bedarfsbezogen können außerhalb der Hilfen zur Erziehung begleitende, nachsorgende
Hilfsangebote bzw. den Alltag stützende Aktivitäten vereinbart werden, die der Familie bzw. dem Kind oder
Jugendlichen über die Heimunterbringung hinaus für einen gewissen Zeitraum Rückhalt geben.
3.6.5.3.2
Neben dem Aufbau von Kontakten zur neuen Schule kommen Aktivitäten der Erziehungsberatung, Angebote
der Jugendarbeit oder Jugendsozialarbeit oder auch Hausaufgaben- oder Nachmittagsbetreuung in Betracht.
3.6.5.4
Wechsel der Hilfeart
3.6.5.4.1
In begründeten Einzelfällen kann, abhängig vom Alter des Kindes bzw. Jugendlichen und dessen
Entwicklungsstand sowie von der familiären Situation, ein Wechsel in eine stabilisierende
Anschlussmaßnahme im Sinne einer anderen betreuten Wohnform angebracht sein.
3.6.5.4.2
Eine gezielte Unterstützung mit individuell festgelegter Stundenzahl erfolgt nach Maßgabe des Hilfeplans.
3.6.5.4.3
Ist ein Wechsel der Hilfeart angezeigt, bereitet die Einrichtung das Kind bzw. den Jugendlichen und seine
Familie auf die Veränderung vor.
3.6.5.4.4
Wird die Hilfeart geändert, so kann dies durchaus ein Beleg für den erfolgreichen Abschluss einer Maßnahme
sein. Stets ist dies aber auch ein Anlass für die sorgfältige Analyse von etwaigen Schwachstellen in der
bisherigen Prozesssteuerung und Leistungserbringung, nicht jedoch zwangsläufig ein Indiz für das Scheitern
der gewählten Hilfeart.
3.6.5.4.5
Aus der Dokumentation der Umstände, die zum Wechsel der Hilfeart geführt haben, können Jugendamt und
Einrichtung Schlüsse für die Qualitätsentwicklung ziehen.
3.6.6
Planungserfordernisse
3.6.6.1
Überprüfung des Hilfeplans
3.6.6.1.1
Im Hilfeplangespräch wird zeitnah zum Auszug des Kindes oder Jugendlichen von allen Beteiligten überprüft,
inwieweit die Ziele der Maßnahme erfolgreich umgesetzt werden konnten. Dabei werden sichernde sowie
stützende Elemente herausgearbeitet und zu lösungsorientierten Zielen für die Zukunft weiterentwickelt.
3.6.6.1.2
Was die Familie an Veränderungen erreicht hat, wird wahrgenommen und wertgeschätzt. Es kann durchaus
festgestellt werden, dass die Zielerreichung zwar noch nicht optimal gelungen ist, dass aber im Rahmen der
laufenden Hilfe auf absehbare Zeit mehr nicht erreicht werden kann. Oder die Lebensumstände der
Hilfeempfänger haben sich so weit geändert, dass eine Beendigung erfolgen kann. Es wird besprochen,
inwieweit die Beteiligten die Inanspruchnahme der Hilfe als positiv und entlastend erlebt haben sowie vormals
belastende Rollen aufgelöst und neu definiert werden konnten.
3.6.6.1.3
Im Wissen darum, dass Abschied Raum und Zeit braucht, wird gemeinsam über die Beendigung der
Maßnahme entschieden und der richtige Zeitpunkt des Auszugs festgelegt.
3.6.7
Ergebnis
3.6.7.1
Der gesamte Verlauf der Maßnahme ist auf seinen Erfolg hin reflektiert und ausgewertet. Zur Zeitperspektive
wird auf 3.6.3.3 verwiesen.
3.6.7.2
Das Kind bzw. der Jugendliche und die Familie haben eine hinreichende Stabilität entwickelt. Sie bewältigen
schwierige Lebenssituationen, indem sie selbstständig Lösungswege suchen und Lösungen finden, ohne die
Hilfe über Tag und Nacht in Anspruch nehmen zu müssen.
3.6.7.3
Die notwendigen Grundlagen für die künftige Lebensbewältigung sind geschaffen. Insbesondere die
schulische oder berufliche Situation ist geklärt. Das Kind bzw. der Jugendliche geht eigenverantwortlich mit
alltäglichen, aber auch besonderen Erfordernissen und Herausforderungen des Lebens in seiner Familie um.
Seite 17
3.6.7.4
Das künftige soziale Umfeld trägt zur Konsolidierung der Lebensführung bei. Lebt der Jugendliche in
selbstständiger Lebensführung, so bestehen im Idealfall noch Kontakte zur Einrichtung als ehemaligem
Lebensort.
3.6.7.5
Ein geplanter und bewusster Abschied hat stattgefunden. Der erfolgreich abgeschlossene Hilfeverlauf ist im
Hilfeplan nachvollziehbar dokumentiert und steht dem Kind oder Jugendlichen zur Verfügung.
3.7
Unplanmäßige Beendigung
3.7.1
Kommt es zum Abbruch der Maßnahme, zum Beispiel durch Entweichen ohne Rückkehr, Herausnahme des
Kindes durch die Familie oder Beurlaubung durch die Einrichtung, so sind das zuständige Jugendamt,
Personensorgeberechtigte bzw. Eltern über die Vorgänge unverzüglich in Kenntnis zu setzen. Ggf. sind auch
Schule bzw. Ausbildungsstelle und andere relevante Dritte zu informieren.
3.7.2
Die Einrichtung erstellt einen Bericht, der Auskunft über Hergang und Gründe der unplanmäßigen Beendigung
gibt. Es liegt in der Verantwortung der federführenden Fachkraft im Jugendamt zu klären, ob und in welcher
Form die Weiterbetreuung erforderlich ist.
3.7.3
Wo möglich, ist die Rückkehr in eine frühere Etappe des Phasenverlaufs in Betracht zu ziehen.
3.7.4
Eine überstürzte Beendigung der Maßnahme oder Wegverweisung des Kindes oder Jugendlichen ohne
verbindliche Klärung der aufsichtsrechtlichen Situation und weiterführender Perspektiven ist in jedem Fall zu
vermeiden. Es muss mindestens geklärt werden, wer das Kind bzw. den Jugendlichen in Obhut nimmt.
4.
Merkmale zur Struktur und Ausstattung der Einrichtungen
4.1
Standort
4.1.1
Die Wahl des Standortes hat sich nach Zweck und Aufgabe der Einrichtung bzw. Wohnform zu richten. Bei
der Standortwahl und auch bei der Einrichtungsgröße (siehe unten) spielen die Gemeindegröße, die
Verkehrsanbindung, die vorhandene Infrastruktur, die schulischen Möglichkeiten wie auch die soziale
Integrationskraft der Gemeinde eine entscheidungserhebliche Rolle.
4.1.2
Bereits bei der Planung von Einrichtungen ist für eine bestmögliche Integration in das bestehende
Gemeinwesen Sorge zu tragen. Verkehrsreiche, emissionsbelastete oder anderweitig gefährdende Standorte
sind zu vermeiden.
4.2
Gebäude, Raumstruktur und Raumausstattung
4.2.1
Allgemeine Merkmale
4.2.1.1
Raumprogramm und -ausstattung, Anlagen und sonstige Einrichtungen müssen baulich und funktional so
beschaffen sein, dass sie den Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen und der besonderen pädagogischen
Zweckbestimmung entsprechen. Für Spiel und Sport sind insbesondere für Kinder ausreichende Freiflächen
im Außenbereich zu schaffen oder zugänglich zu machen.
4.2.1.2
Zugunsten einer lebensweltlich orientierten Struktur soll auf eine ausschließlich zentrale Versorgung verzichtet
werden. Essenszubereitung und Wäschepflege sollen so weit wie möglich in die Wohngruppen verlagert
werden. Hierfür sollen ausreichende Voraussetzungen für die Erledigung der hauswirtschaftlichen Tätigkeiten
vorgehalten werden.
4.2.2
Anforderungen an die Gestaltung der Wohneinheiten
4.2.2.1
Die Räume für eine Gruppe sind als eigenständige Wohneinheit so zu gestalten, dass sie den Arbeits-,
Freizeit-, Ernährungs-, Schlaf- und Hygienebedürfnissen der dort lebenden Kinder und Jugendlichen
altersgemäß Rechnung tragen.
Seite 18
4.2.2.2
In den Schlafzimmern sollen sich Kinder oder Jugendliche auch tagsüber aufhalten können. Es sollen ein
abschließbarer Schrank für die persönlichen Dinge und zweckdienliche Gelegenheiten für Spielen und Lernen
zur Verfügung stehen. Eine ausreichende Zahl von Einzelzimmern ist vorzuhalten. Mehrbettzimmer sollen in
der Regel mit nicht mehr als maximal drei Kindern bzw. Jugendlichen belegt sein.
4.2.2.3
Für Mädchen und Jungen sind getrennte Schlaf- und Sanitärräume bereitzustellen.
4.2.2.4
Für Kräfte im Gruppendienst ist ein Bereitschaftszimmer mit entsprechender Sanitärausstattung vorzuhalten.
4.2.2.5
Der Raumbedarf für die Einrichtung insgesamt wird bedarfsweise Räumlichkeiten für gruppenergänzende
Fachkräfte, Werk-, Mehrzweck- und Abstellräume sowie Büros für Leitung und Verwaltung,
Besprechungsräume und gegebenenfalls Besucherzimmer mit entsprechender Sanitärausstattung beinhalten
müssen.
4.2.2.6
Eine zeitgemäße Medienausstattung einschließlich Personalcomputer und Internetanschluss, die den Kindern
und Jugendlichen auch tatsächlich zur Nutzung zur Verfügung steht, ist erforderlich.
4.3
Baurechtliche Hinweise
Die Gebäude müssen den geltenden baurechtlichen Vorschriften sowie den Bestimmungen zum baulichen
Brandschutz entsprechen. Baurechtliche, gewerbeaufsichtliche und gesundheitsbehördliche Belange werden
im Zuge der Erteilung und fortlaufenden Überprüfung der Betriebserlaubnis berücksichtigt.
4.4
Einrichtungsgröße
4.4.1
Die Einrichtungen sollen sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Mitarbeiter überschaubar
sein. In größeren Einrichtungen wird diesem Gesichtspunkt durch eine adäquate Binnenstruktur Rechnung
getragen.
4.4.2
Struktur und Größenordnung von Einrichtungen der Erziehungshilfe müssen es zulassen, auf wechselnde
Nachfragesituationen und flexible Bedarfe zu reagieren.
4.5
Sicherheitsmaßnahmen
Für alters- und entwicklungsgemäßen Unfallschutz wie für die regelmäßige Überprüfung der
Brandschutzanlagen und sonstiger Sicherheitsvorkehrungen zur Verhütung und Beseitigung von Gefahren
entsprechend den gesetzlichen Vorschriften ist vom Träger der Einrichtung Sorge zu tragen.
4.6
Wirtschaftsführung
Der Träger der Einrichtung bietet Gewähr für eine ordnungsgemäße Wirtschaftsführung. Insbesondere muss
der Einrichtungsbetrieb wirtschaftlich so gesichert sein, dass das Wohl der anvertrauten Kinder und
Jugendlichen gewährleistet ist.
4.7
Gesundheitsvorsorge
4.7.1
Auf körperliche Unversehrtheit und Wohlbefinden als wesentliche Elemente des Kindeswohls ist sorgfältig zu
achten. Dazu zählt auch eine altersgemäße, vollwertige und abwechslungsreiche Ernährung.
4.7.2
Im Kontext der Hilfe nach § 34 SGB VIII ist auch Krankenhilfe zu leisten.
4.7.3
Es ist Aufgabe der Einrichtung, mit Zustimmung der Eltern für die ärztliche und zahnärztliche Versorgung der
Kinder und Jugendlichen zu sorgen. Vereinbarungen hierzu werden im Hilfeplan getroffen.
4.7.4
Bei Neuaufnahmen ist, auch zum Schutz der anderen Kinder, ein aktuelles ärztliches Zeugnis vorzulegen bzw.
unverzüglich zu veranlassen, aus dem zu ersehen ist, dass das Kind bzw. der Jugendliche frei von
übertragbaren Krankheiten ist. Kostenträger sind die Krankenkassen. Gegebenenfalls leistet das für die
Unterbringung zuständige Jugendamt vor.
Seite 19
4.7.5
Soweit nicht ohnedies im Zusammenhang mit der Bedarfsfeststellung durch das zuständige Jugendamt
erledigt und dokumentiert, ist beim Einzug zeitnah zu veranlassen, dass das Kind bzw. der Jugendliche einem
Arzt vorgestellt wird, um sicherzugehen, dass eventuell notwendige medizinische Behandlungsbedarfe nicht
übersehen werden. Kostenträger sind die Krankenkassen. Gegebenenfalls leistet das für die Unterbringung
zuständige Jugendamt vor.
4.7.6
Im Übrigen wird auf die gesetzlichen Bestimmungen zur Verhütung und Bekämpfung von
Infektionskrankheiten beim Menschen, insbesondere auf die Vorschriften über meldepflichtige Krankheiten (§§
6 ff. IfSG), die Belehrung für Personen in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen (§ 35 IfSG), die
Einhaltung der Infektionshygiene (§ 36 IfSG) und die gesundheitlichen Anforderungen an das Personal beim
Umgang mit Lebensmitteln (§§ 42 f. IfSG)6 verwiesen.
4.7.7
Medikamente und Chemikalien sind unter Verschluss zu halten. Verschreibungspflichtige Medikamente dürfen
nur nach ärztlicher Verordnung verabreicht werden. Die Verabreichung muss aber auch sichergestellt werden.
Eine entsprechend ausgestattete und mindestens jährlich überprüfte Hausapotheke muss jederzeit zur
Verfügung stehen.
4.7.8
Erfordert es der Gesundheitszustand des jungen Menschen, sollen - unbeschadet der weitergehenden
Dokumentationspflicht - eventuelle Behandlungspläne, Impfnachweise und die unterschriftliche Zustimmung
der Personensorgeberechtigten zur Verabreichung von Medikamenten im Notfall für die Mitarbeiter in der
Gruppe zugänglich vorliegen.
4.7.9
Für das Halten von Tieren in Heimen oder sonstigen betreuten Wohnformen sind die entsprechenden
Vorschriften insbesondere der Gesundheitsbehörden zu beachten.
4.8
Betriebszeiten
4.8.1
Die Betriebszeiten stationärer Einrichtungen orientieren sich an den Bedürfnissen der betreuten Kinder und
Jugendlichen, an den Möglichkeiten der Eltern bzw. Personensorgeberechtigten zur Mitwirkung am
Erziehungsprozess und an deren Arbeitszeiten. Darüber hinaus sind sie so weit als möglich mit den
Betriebszeiten flankierender sozialer Institutionen oder Bildungseinrichtungen abzustimmen.
4.8.2
In Ferienzeiten, an Wochenenden und bei personellen Engpässen ist eine Zusammenlegung von Gruppen in
einer Einrichtung grundsätzlich zulässig. Es ist aber darauf zu achten, dass sich Kinder und Jugendliche nicht
immer wieder auf neue soziale Konstellationen einlassen müssen.
4.9
Dokumentation und Aktenführung
4.9.1
Eine sorgfältige Aktenführung seitens des Jugendamts ist insbesondere im Hinblick auf die Dokumentation
des Hilfeprozesses sowie einen etwaigen Zuständigkeitswechsel von Belang. Um Leistungstransparenz
herzustellen, ist eine vollständige und nachvollziehbare Falldokumentation des Hilfeprozesses im Jugendamt
unverzichtbar.
4.9.2
In der Einrichtung sind, für erzieherische Bezugspersonen zugänglich, die Personalien für jedes Kind bzw. für
jeden Jugendlichen einschließlich der Krankenversicherungsnummer, Name, Anschrift, Telefonnummern der
unmittelbaren Angehörigen sowie der Schule oder Ausbildungsstätte vorzuhalten. Insbesondere sind hier
auch die Bescheinigung der Meldebehörde über den Wohnsitz, Geburtsurkunde und gegebenenfalls der
Taufschein aufzubewahren.
4.9.3
Informationen über erlittene Krankheiten bzw. bestehende Behinderungen, erfolgte Impfungen, ärztliche
Verordnungen,
die
Versichertenkarte
sowie
für
Kinder
die
Belege
über
erfolgte
Früherkennungsuntersuchungen sollen ebenso vorliegen wie erforderliche Einverständniserklärungen der
Personensorgeberechtigten zu ärztlichen und psychologischen Untersuchungen. Auf die Zustimmung der
Personensorgeberechtigten zur Übertragung von Teilen der elterlichen Sorge in Angelegenheiten des
täglichen Lebens auf die Pflegeperson gemäß § 1688 BGB wird verwiesen.
4.9.4
Soweit zutreffend, sollen Arbeitspapiere, Ausbildungsverträge und -bescheinigungen sowie die für den
Arbeitgeber erforderlichen ärztlichen Bescheinigungen laut Arbeitsschutzgesetz verfügbar sein.
Seite 20
4.10
Meldepflichten
4.10.1
Die rechtlichen Bestimmungen zu den Meldepflichten gemäß § 47 Abs. 1 SGB VIII bei Betriebsaufnahme,
Änderungen oder Schließung der Einrichtung sind zu beachten.
4.10.2
Ferner sind die besonderen Meldepflichten aus dem Rahmenvertrag zu § 78f SGB VIII zu beachten und
einzuhalten.
4.10.3
Der Meldung von Kindern in Heimen gemäß § 47 Abs. 2 SGB VIII hat der Träger einer Einrichtung unter
Berücksichtigung der Verwaltungsvorschriften gemäß § 47 Abs. 2 SGB VIII laut Bekanntmachung des
Bayerischen Landesjugendamts vom 27.10.1997 Folge zu leisten. Auf Art. 32 Abs. 3 Bayerisches Kinder- und
Jugendhilfegesetz und § 12 Adoptionsvermittlungsgesetz wird in diesem Zusammenhang eigens hingewiesen.
4.10.4
Besondere Vorkommnisse (z. B. schwerere Unfälle oder Krankheiten, Fehlverhalten von Mitarbeitenden mit
ggf. strafrechtlicher Relevanz, Versterben eines Kindes oder Jugendlichen sowie eine notwendige, über
situative, pädagogisch-therapeutische Erfordernisse hinausgehende zeitweise Absonderung des Kindes oder
Jugendlichen) sind unverzüglich den Personensorgeberechtigten, dem zuständigen Jugendamt sowie den für
den Schutz von Kindern in Heimen zuständigen Stellen bei den Regierungen zu melden.
4.11
Datenschutz
Bei der Datenerhebung, Datenspeicherung, Datenübermittlung und Datennutzung sind die Vorschriften
gemäß §§ 61 bis 64 SGB VIII zu beachten. Daneben ist auch dem besonderen Vertrauensschutz von Daten in
der persönlichen und erzieherischen Hilfe (§ 65 SGB VIII), der zweckgebundenen Verwendung von Daten im
Sinne von § 78 SGB X, der beruflichen und dienstlichen Geheimhaltungspflicht und der eingeschränkten
Offenbarungsbefugnis, die für alle beteiligten Fachkräfte gleichermaßen Gültigkeit hat, Sorge zu tragen (§ 76
SGB X, § 203 Abs. 1 StGB).
5.
Personal
5.1
Grundsätzliches zum Personaleinsatz
5.1.1
Im Rahmen der Personalplanung und -auswahl ist dem Grundsatz der Kontinuität in der sozialpädagogischen
Beziehung in der Wohngruppe und der Fallzuständigkeit im Jugendamt Rechnung zu tragen.
5.1.2
Kinder und Jugendliche, deren Angehörige und die Fachkräfte in den leistungserbringenden Stellen brauchen
verlässliche und informierte Ansprechpartner im Jugendamt. Einrichtungen und Jugendämter müssen im
Sinne einer guten Zusammenarbeit in wichtigen Belangen in einem für beide verbindlichen Rahmen
füreinander erreichbar sein.
5.1.3
Träger von Einrichtungen müssen sich vor der Anstellung einen lückenlosen Lebenslauf, Ausbildungs- und
Arbeitszeugnisse sowie ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen lassen.
5.2
Personalausstattung
5.2.1
Personalausstattung im Jugendamt
5.2.1.1
Im Jugendamt sind mit der Hilfe zur Erziehung in stationären Einrichtungen in der Regel befasst:
° Fachkräfte in der Bezirkssozialarbeit
° bei entsprechender Binnendifferenzierung Fachkräfte im Fachdienst Stationäre Hilfen
° Fachkräfte in der Wirtschaftlichen Jugendhilfe
° Leitungskräfte
5.2.1.2
Die Qualität des Personaleinsatzes und der Arbeitsorganisation im Jugendamt ermöglicht eine zeitnahe und
zielführende Prozessgestaltung in der Einzelfallhilfe (vgl. Ziff. 3, Hilfeverlauf), die personellen
Voraussetzungen müssen dementsprechend zur Verfügung stehen.
Seite 21
5.2.1.3
Sofern die Fachkräfte im Jugendamt neben der Heimerziehung auch mit anderen Aufgaben betraut sind,
richtet sich die Personalbemessung im Jugendamt nach der vom Gesamtaufwand geschätzten
Jahresstundenzahl pro Einzelfall.
5.2.2
Personalausstattung in stationären Einrichtungen
5.2.2.1
Die Personalausstattung muss hinsichtlich der Anzahl und der beruflichen Qualifikation des eingesetzten
Personals einen ordnungsgemäßen Betrieb der Einrichtung entsprechend der jeweiligen Aufgabenstellung
und der zu betreuenden Zielgruppe gewährleisten. Die erforderlichen Festlegungen werden im Rahmen der
Betriebserlaubnis gem. § 45 SGB VIII auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung unter Beteiligung des
örtlichen Jugendamts getroffen.
5.2.2.2
Die Personalausstattung einer Einrichtung der Heimerziehung berücksichtigt die Bereiche
1. Leitung
2. Gruppendienst
3. Gruppenergänzende Aufgaben
4. Verwaltung
5. Wirtschaft und Versorgung
6. Technische Dienste
5.3
Personalbemessung
5.3.1
Personalbemessung im Jugendamt
5.3.1.1
Die Personalausstattung im Jugendamt richtet sich nach anerkannten Methoden der Personalbemessung7
unter Berücksichtigung aller fallbezogenen Tätigkeiten.
5.3.1.2
Dabei sind die steuernden Funktionen im Jugendamt besonders zu beachten und zu gewichten.
5.3.2
Personal in der Heimaufsicht
Die für den Schutz von Kindern in Einrichtungen zuständigen Behörden sind entsprechend personell
auszustatten.
5.3.3
Personalbemessung in stationären Einrichtungen
5.3.3.1
Grundsätze
5.3.3.1.1
Die Personalbemessung richtet sich nach dem Bedarf der Zielgruppe, wobei drei Gruppentypen und der
Typus der sonstigen betreuten Wohnformen unterschieden werden.
5.3.3.1.2
Die Angaben zur Personalbemessung beschreiben den Orientierungsrahmen der für den ordnungsgemäßen
Betrieb der Einrichtung notwendigen personellen Regelversorgung.
5.3.3.1.3
Der tatsächliche Stellenbedarf errechnet sich aus dem Betreuungsaufwand unter Berücksichtigung der
Betriebszeiten, des Umfangs der Mehrfachdienste sowie der vereinbarten jährlichen Arbeitszeit für die
Fachkräfte im Gruppendienst und wird in der Betriebserlaubnis festgelegt.
5.3.3.2
Personalbemessung nach Gruppentypen
5.3.3.2.1
Sozialpädagogische Gruppen
5.3.3.2.1.1
Zielgruppe sind Kinder oder Jugendliche, bei denen milieubedingte Entwicklungsdefizite vorliegen oder deren
Familie ausgefallen ist.
Schwerpunkt der erzieherischen Aufgabe ist die Verbindung von Alltagserleben mit entwicklungsföderlichen
pädagogischen Angeboten.
Seite 22
5.3.3.2.1.2
Die Gruppe umfasst maximal zwölf Plätze. Im Gruppendienst sind in der Regel vier Vollzeitstellen zu
besetzen, davon maximal eine Hilfskraft. Für gruppenergänzende Fachkräfte sind pro Woche und Platz
mindestens 0,25 Stunden anzusetzen.
5.3.3.2.2
Heilpädagogische Gruppen
5.3.3.2.2.1
Zielgruppe sind Kinder oder Jugendliche, die durch konstitutionelle oder soziale Defizite in ihrer
altersgemäßen Entwicklung erheblich beeinträchtigt sind.
Schwerpunkte der erzieherischen Aufgabe sind die Kompensation erlittener Beeinträchtigungen durch das
heilpädagogische Milieu und gezielte Behandlung von Störungsbildern.
5.3.3.2.2.2
Die Gruppe umfasst sechs bis maximal neun Plätze. Im Gruppendienst sind ca. vier bis fünf Vollzeitstellen mit
pädagogischen Fachkräften zu besetzen. Für gruppenergänzende Fachkräfte sind pro Woche und Platz ein
bis zwei Stunden anzusetzen.
5.3.3.2.3
Therapeutische Gruppen
5.3.3.2.3.1
Zielgruppe sind Kinder oder Jugendliche mit erheblichen, verfestigten und nicht nur vorübergehenden
Störungen.
Schwerpunkt der erzieherischen Aufgabe ist die gezielte pädagogisch-therapeutische Einflussnahme mit dem
Ziel, die erlebten belastenden Lebensereignisse zu verarbeiten, erforderliche Kompetenzen zu fördern und
wieder Anschluss an eine altersgemäße Entwicklung des Erlebens und Handelns zu finden.
5.3.3.2.3.2
Die Gruppenstärke beträgt je nach Zusammensetzung und Ausprägung der Störungsbilder vier bis acht
Plätze. Im Gruppendienst sind mindestens fünf Vollzeitstellen mit pädagogischen Fachkräften (nach
tatsächlichem Betreuungsaufwand) zu besetzen. Für gruppenergänzende Fachkräfte sind pro Woche und
Platz mindestens zwei Stunden anzusetzen.
5.3.3.2.4
Sonstige Wohnformen
5.3.3.2.4.1
Als sonstige Wohnformen werden familienähnliche Lebensgemeinschaften, Jugendwohngemeinschaften und
das betreute Einzelwohnen unterschieden.
5.3.3.2.4.2
Familienähnliche Lebensgemeinschaften und sonstige betreute Wohnformen können als sozialpädagogische,
heilpädagogische oder therapeutische Typen geführt werden. Die Personalbemessung wird bedarfsbezogen
im Einzelfall geregelt und in der Betriebserlaubnis festgelegt.
5.3.3.2.4.3
Zur Betreuung der Jugendlichen im Rahmen des betreuten Einzelwohnens sind in der Regel
sozialpädagogische Fachkräfte einzusetzen. Der Umfang der Betreuung (in der Regel 5 bis 10
Wochenstunden pro Jugendlichem) und der Bedarf an ergänzenden Leistungen sind im Rahmen der
Hilfeplanung mit dem zuständigen Jugendamt zu vereinbaren.
5.3.3.2.4.4
Ist das Ziel die Verselbstständigung, kann von einer geringeren oder abflachenden Betreuungsintensität
ausgegangen werden.
5.4
Leitung der Einrichtung
5.4.1
Leitungsaufgaben
Die Leitung ist verantwortlich für die Rahmenbedingungen, die Regelungen von Zuständigkeiten, die
Kommunikations- und Kooperationsstrukturen, eine ordnungsgemäße Verwaltung und die Organisationskultur
einer Einrichtung. Sie trägt die Gesamtverantwortung für die pädagogische Arbeit. Die wesentlichen
Leitungsaufgaben
sind
Personalgewinnung,
Personalführung,
Personalentwicklung
und
Qualitätsmanagement.
Seite 23
5.4.2
Eignung
Für die Leitung der Einrichtung ist eine geeignete pädagogische Fachkraft oder eine entsprechend
wissenschaftlich ausgebildete Fachkraft mit mehrjähriger Berufserfahrung einzusetzen, die in der Lage ist, das
Konzept der Einrichtung umzusetzen und weiterzuentwickeln. Bei Bedarf kann hierfür eine entsprechende
Zusatzqualifikation erforderlich sein.
5.4.3
Personalbemessung für die Leitung
5.4.3.1
In stationären Einrichtungen wird für die gesamten übergeordneten Leitungsaufgaben bis zu 0,25 Stellenanteil
pro Gruppe angerechnet. Bei fünf Gruppen ist mindestens eine Vollzeit beschäftigte Leitungskraft
einzusetzen.
5.4.3.2
Ab fünf Gruppen ergeben sich weitere Stellenanteile in Abhängigkeit von der Struktur der Einrichtung. Hierbei
sind Synergieeffekte, die sich zum Beispiel aus einer gleichartigen Gruppenstruktur, der Standortlage der
Wohngruppen und der Personalplanung ergeben, zu berücksichtigen.
5.4.3.3
Falls erforderlich sind im Rahmen des gesamten Leitungsaufwands die Anteile für die pädagogische Leitung
und die Verwaltungsleitung getrennt festzulegen.
5.4.3.4
Leitungsfunktionen im betreuten Einzelwohnen werden abhängig von der Organisationsform mit einem
Schlüssel bis zu 1:32 berechnet.
5.4.4
Informationspflicht gegenüber neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
5.4.4.1
Die Leitung einer Einrichtung ist verpflichtet, neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unverzüglich mit allen für
ihren Aufgabenbereich geltenden Bestimmungen, insbesondere über Aufsichts- und Sorgfaltspflichten,
Datenschutzbestimmungen und den grundlegenden Rechten von Kindern in Heimerziehung, vertraut zu
machen.
5.4.4.2
Es liegt in der Verantwortung der Leitung sicherzustellen, dass für die einzelnen Arbeitsbereiche
Stellenbeschreibungen vorliegen, nach denen das Personal gemäß der tariflichen Eingruppierung zum Einsatz
kommt.
5.5
Gruppenergänzende Fachkräfte
Die Wahrnehmung gruppenergänzender Aufgaben und die Mitarbeit in der Gruppe müssen sich nicht
ausschließen. Aufgabenschwerpunkte gruppenergänzender Fachkräfte richten sich nach deren
Ursprungsprofession. Sie können sich insbesondere auf diagnostische Abklärungen, Einzelförderung,
Förderung besonderer Zielgruppen, die Moderation von Entscheidungsprozessen, pädagogischtherapeutische Angebote, die Durchführung von Elterntrainings und die Vermittlung von Hilfen anderer Stellen
richten.
5.6
Praxisanleitung, Fachberatung, Fortbildung
5.6.1
Neben der sorgfältigen Einarbeitung neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind fortlaufende Beratungs- und
Fortbildungsangebote notwendig, um persönliche Einstellungs- und berufliche Handlungsmuster zu
überprüfen und weiterzuentwickeln.
5.6.2
Praxisanleitung, Supervision und Fortbildung sind zentrale Beiträge zur Qualitätsentwicklung. Jede Fachkraft
ist verpflichtet, sich fortzubilden, damit sie ihren beruflichen Aufgaben gewachsen ist.
5.7
Praktikantinnen und Praktikanten
5.7.1
Heimerziehung profitiert vom Einsatz von Praktikantinnen und Praktikanten in mehrfacher Hinsicht: Zum einen
bereichern sie mit neuen Ideen und methodischen Fertigkeiten den Praxisalltag, zum anderen gewinnen viele
Einrichtungen ihr Personal aus dieser Gruppe. Deshalb sollen die Einrichtungen geeignete Praktikumsplätze
zur Verfügung stellen und mit den Ausbildungsstätten eng zusammenarbeiten.
Seite 24
5.7.2
Für die Mitarbeit von Praktikantinnen
Einsatzmöglichkeiten zu unterscheiden:
und
Praktikanten
im
Heim
sind
folgende
Formen
und
5.7.2.1
Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Sozialpädagogischen Seminar können in sozialpädagogischen Gruppen
auf Planstellen für pädagogische Hilfskräfte im Gruppendienst eingesetzt werden.
Ihre Arbeitsleistung wird mit dem Faktor 0,33 auf den heimaufsichtlich festgelegten Stellenschlüssel der
Gruppe angerechnet. In heilpädagogischen Gruppen ist ihr Dienst überwiegend in der direkten
Zusammenarbeit mit einer pädagogischen Fachkraft zu organisieren.
5.7.2.2
Berufspraktikantinnen und -praktikanten können in sozialpädagogischen und, so weit in der Betriebserlaubnis
festgelegt, in heilpädagogischen Gruppen auf Planstellen für pädagogische Fach- oder Hilfskräfte im
Gruppendienst eingesetzt werden.
Ihre Arbeitsleistung wird mit dem Faktor 0,66 auf den heimaufsichtlich festgelegten Stellenschlüssel der
Gruppe angerechnet.
In therapeutischen Gruppen dürfen Berufspraktikantinnen und -praktikanten in der Regel nur als zusätzliche
Kräfte zusammen mit einer pädagogischen Fachkraft eingesetzt werden.
5.7.2.3
Fachhochschulpraktikantinnen und -praktikanten können in sozialpädagogischen Gruppen auf Planstellen für
pädagogische Hilfskräfte im Gruppendienst eingesetzt werden.
Ihre Arbeitsleistung wird mit dem Faktor 0,33 auf den heimaufsichtlich festgelegten Stellenschlüssel der
Gruppe
angerechnet.
In
heilpädagogischen
und
therapeutischen
Gruppen
dürfen
Fachhochschulpraktikantinnen und -praktikanten in der Regel nur als zusätzliche Kräfte zusammen mit einer
pädagogischen Fachkraft eingesetzt werden.
5.7.2.4
Kurzzeitpraktikantinnen und -praktikanten können grundsätzlich nicht auf Planstellen eingesetzt werden.
Ihre Beschäftigung ist nur zusätzlich, in einem begrenzten aufgabenbezogenen Umfeld, z. B. im alltäglichen
Gruppendienst oder im Rahmen von Ferien- oder Freizeitmaßnahmen, unter Anleitung von Fachkräften
möglich.
5.7.2.5
Die Praxisanleitung durch entsprechende pädagogische Fachkräfte der Einrichtung ist vertraglich zu regeln
und sicherzustellen.
6.
Schlussbestimmungen
6.1
Die fachlichen Empfehlungen wurden vom Landesjugendhilfeausschuss gemäß § 85 Abs. 2 Nr. 1 am 8.4.2003
beschlossen und dienen als verbindlicher Orientierungsrahmen für die Ausgestaltung der Hilfe zur Erziehung
als Heimerziehung in Bayern.
6.2
Das Bayerische Landesjugendamt wird die Umsetzung dieser fachlichen Empfehlungen durch Beratung und
Fortbildung unterstützen und die dabei zutage tretenden Erfahrungen systematisch dokumentieren und
auswerten.
6.3
Es ist beabsichtigt, nach einem Erprobungszeitraum von fünf Jahren die fachlichen Empfehlungen auf ihre
Brauchbarkeit hin sowie auf ihre Wirkung im Kontext der Qualitätsentwicklung zu überprüfen und
gegebenenfalls fortzuschreiben.
1
Aus Gründen der Lesbarkeit wird im Folgenden zusammenfassend der Begriff "Heimerziehung" verwendet. Notwendige Differenzierungen gehen
aus dem Text hervor.
2
Aus Gründen der Lesbarkeit wird bei dieser Formulierung auf die geschlechtsspezifische Differenzierung verzichtet. Gemeint sind immer Jungen
und Mädchen.
3
Vgl. Bayerisches Landesjugendamt (Hg.), Sozialpädagogische Diagnose. Arbeitshilfe zur Feststellung des erzieherischen Bedarfs, 3. Auflage,
München 2001.
4
Hier und im Folgenden wird auf die einschlägigen Rahmenverträge nach § 78f SGB VIII Bezug genommen.
5
Siehe Anhang zum Rahmenvertrag nach § 78f SGB VIII; hier als Anlage abgedruckt.
6
Infektionsschutzgesetz - IfSG vom 20. Juli 2000
7
wie z. B. nach dem Konzept der "mittleren Bearbeitungszeiten", vgl. Bayerischer Kommunaler Prüfungsverband, Geschäftsbericht 1995, S. 65 ff.
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