FLUCHTPUNKT UNTERFRANKEN
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FLUCHTPUNKT UNTERFRANKEN
Juli 2015 9. Jahrgang 31 Unterfränkische Schule Zeitschrift des Unterfränkischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes - Bezirksverband des BLLV Fluchtpunkt Unterfranken Flüchtlingskinder an Schulen brauchen Hilfe Editorial/Inhalt Sie kommen. Inhalt Liebe Leserin, lieber Leser, sie kommen: Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, Mütter und Väter, ja ganze Familien. Sie kommen aus verschiedenen Ländern und Regionen – zum Beispiel aus Afghanistan und Syrien, aus Eritrea und Somalia, aber auch vom Balkan. Und sie kommen aus ganz unterschiedlichen Motiven. Die einen fliehen vor Krieg und Gewalt, andere treibt der Hunger aus ihrem Land, wieder andere sehen keine Perspektive in der Heimat und manche lockt die vage Hoffnung auf Teilhabe an einer Konsumgesellschaft, in der – auf den ersten Blick – alle alles haben. Die Rede ist von Flüchtlingen. Die Kommunen wissen nicht mehr, wie sie diese unterbringen sollen. Landespolitiker versuchen „gute“ von „schlechten“ Flüchtlingen zu unterscheiden. Die „Guten“ sind die, die unter das Asylrecht fallen. Sie dürfen bleiben. Die „Schlechten“ kommen aus so genannten „sicheren Herkunftsländern“ und sollen möglichst umgehend abgeschoben werden. Und die EU scheitert schon am Vorhaben, die Vielen gerecht auf die 28 EU-Nationen zu verteilen. Die Schulen haben andere Sorgen. Vor ihren Türen stehen die Flüchtlingskinder. Sie brauchen Zuspruch und wollen unterrichtet werden. Dittelbrunn wünscht sich deshalb dringend eine Übergangsklasse. Wiesentheid hat eine solche, aber auch nicht weniger Probleme, nur andere. Die Mönchbergschule in Würzburg hat zumindest viel Erfahrung im Umgang mit Kindern aus anderen Ländern und Kulturen. Und in Lohr am Main konnten Politiker aller im Landtag vertretener Parteien auf Einladung des ULLV erfahren, wie Förderstunden umgewidmet und Gruppen zusammengelegt werden, um Deutschförderkurse für Flüchtlingskinder auf die Beine zu stellen. Mehr Flüchtlingskinder brauchen eben mehr Hilfen, personell und finanziell. Oder wie es Steve Bauer formuliert: Helft uns, damit wir helfen können. Eines gerät in der öffentlichen Diskussion um übervolle Flüchtlingsheime, geplante Abschiebezentren und fehlende Flüchtlingskontingente ins Abseits. Der Grund für die große Zahl an Flüchtlingen ist eine zutiefst ungerechte Verteilung von Besitz und Chancen. Solange wir in Frieden und Überfluss leben, während viele Regionen in Hunger, Not und Gewalt versinken, werden sich immer Menschen auf den Weg machen. Auf Dauer hilft nur eines: die Sorgen und die Nöte, aber auch den Besitz und die Chancen zu teilen. Bis es soweit ist, gilt: Sie kommen. Es grüßt Peter Nossol Leiter des Referates Öffentlichkeitsarbeit Unterfränkische Schule im Internet Die vergangenen Ausgaben der Zeitung finden Sie im Web unter: http://unterfranken.bllv.de/usch/index.shtml 2 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 THEMA 03Kommentar 04 Rein ehrenamtlich geht‘s nicht länger 06 Flüchtlingsstrom reißt nicht ab 07 Fluchtpunkt Unterfranken 09 Riesige Leistungsschere 10 „Du bist in Ordnung!“ 12 Fördermaßnahmen für Flüchtlingskinder 13 Mehr Ressourcen für Deutschförderung 14 Mehr Flüchtlingskinder brauchen mehr Hilfen 16 Handwerk profitiert von Flüchtlingen VERBAND 18 5 + 6 = 16: Vindest duh den fela? 19 Engagiert für Schüler, Lehrer und Studenten 19 ABJ organisiert Workshop 20 Fit für digitale Zukunft 21 Marktheidenfelder Senioren auf Kulturreise IMPRESSUM Herausgeber: Bezirksverband Unterfranken des Bayerischen Lehrerund Lehrerinnenverbandes BLLV, www.unterfranken.bllv.de Vorsitzender: Gerhard Bleß Hinterer Rosengarten 11; 97253 Gaukönigshofen Telefon privat: 09337 2293; Telefon dienstl.: 0931 380-1761 Referat Öffentlichkeitsarbeit: Peter Nossol, Neubergstraße 7a, 97072 Würzburg, Tel.: 0931 72778; E-Mail: [email protected] Redaktion: Joachim Huppmann, Linsenweg 7, 97332 Gaibach, Tel.: 09381 715773, Fax: 09381 715773, E-Mail: [email protected] Druck und Layout: Druckerei Lang, Storchengasse 12-14, 97616 Bad Neustadt, Telefon 09771 6233-0, www.langdruck.de Der Bezugspreis ist für Verbandsmitglieder im Mitgliedsbeitrag enthalten. Für Nichtmitglieder beträgt der Bezugspreis jährlich 8 +. Nichtmitglieder können die „Unterfränkische Schule“ bei der Redaktion bestellen. Namentlich gekennzeichnete Artikel stellen die Meinung der Verfasser dar. Die Zeitschrift erscheint jährlich viermal. Hinweis: Adressänderungen und sonstige Personalia bitte an: Referat Mitgliederverwaltung und Statistik Peter Kiesel, Wurmerich 14, 97720 Nüdlingen Telefon privat: 0971 6993267, Telefax privat: 0971 69523 E-Mail: [email protected] Veränderungen beim dienstlichen Einsatz und bei der Besoldung (Altersteilzeit, Kürzung der Versorgungsbezüge, Beförderung usw.) bitte dem zuständigen Kreiskassier mitteilen! Thema Helft uns, damit wir helfen können! Von Steve Bauer, Leiter der Abteilung Schul- und Bildungspolitik im ULLV Kurz vor acht in einer Grundschule irgendwo in Unterfranken. Mahamadou, Zahira und Rashad stehen plötzlich vor der Türe des Sekretariats. Heimatlos, sprachlos, hilflos. So hilflos wie weitere 1.200 Flüchtlinge. Alleine in dieser Woche. Alleine in Bayern. wenigen Fördermaßnahmen für andere Kinder, um ein Mindestmaß an Unterstützung für die Flüchtlinge bieten zu können. Übergangsklassen wachsen teilweise auf fast 20 Schüler an. Und schließlich werden die Regelschulen mit den Flüchtlingen meist alleine gelassen, während sich andere Schularten drücken. Keine Zeit für Diskussionen Es muss eine Grundfeste im Selbstverständnis unseres Berufsstandes sein, dass wir nun alles daran setzen, diesen Kindern zu helfen - egal, wie herausfordernd die Situation für uns selbst gerade sein mag. Ihnen Zuspruch zu geben, einen schnellen Spracherwerb und viele Erfolgserlebnisse zu ermöglichen. Übergangsklassen sind an vielen Stellen sicher eine gute und richtige Lösung. Schulen, Schulämter und Regierung bemühen sich um Nachschub. Mittlerweile haben wir 32 solcher Klassen in Unterfranken - Tendenz steigend. Und an anderer Stelle kann es vielleicht gut sein, zwei oder drei Kinder einer Klasse zuzuordnen. Wenn dort eine Lehrkraft mit entsprechender Ausbildung, genügend Zeit und Unterstützung arbeitet und die anderen Kinder nicht vernachlässigt werden. Aber wo ist das in der Realität der Fall? Steve Bauer Und nicht nur die Schulen machen die Grätsche! Denn meist stoßen wir beim Versuch, das alles zu leisten, massiv an unsere Grenzen. Kaum in DaZ ausgebildet, mit verhaltensauffälligen Kindern und Inklusionsbemühungen längst über das Leistbare hinaus gefordert. Das ist die Situation vieler Lehrkräfte! Da bleibt entschieden zu wenig Kapazität für traumatisierte Kinder, die kein Wort deutsch sprechen. Die stetig steigende Zahl an Flüchtlingen führt auch andere Einrichtungen schon zum Kollaps - und das verstärkt die Probleme für die Schulen. Vor allem laufen viele Jugendämter auf Flüchtlingsprogramm, kümmern sich hoch engagiert unter anderem um Unterbringung und Betreuung. Da kommt die Familie von Kevin aus der 6a und Nina aus der 3b derzeit viel zu kurz. Fatal. Zudem ist die Arbeit schon schwierig genug: Die Lehrerversorgung ist ohnehin schon extrem auf Kante genäht, Stunden fehlen für das, was zu unserem „Normalprogramm“ wurde. Und jetzt? Schulen streichen mit schlechtem Gewissen die Und schließlich steht unsere gesamte Gesellschaft auf dem Prüfstand. Immer mehr Menschen sind so verunsichert, dass sich Ablehnung gegenüber dem Fremden verbreitet. Erschreckend - aber längst Realität! Wir brauchen deshalb... • ... sofort und ohne bürokratischen Vorlauf eine deutliche Aufstockung der Lehrerstunden, um Flüchtlinge angemessen fördern zu können, • ... Einsicht in der Politik und der Verwaltung, dass diese Förderung keinesfalls auf Kosten der anderen Kinder gehen darf, • ... bewusst investierte Mittel für die Arbeit mit diesen anderen Kindern, damit diese Verständnis, Empathie entwickeln, sich gegen die in der Gesellschaft derzeit aufkommende Ablehnung wenden können, • ... mehr Übergangsklassen mit einer konsequenten Beschränkung der Gruppenstärke auf höchstens zehn Schüler, • ... mehr Beratungszeit für Fachkräfte wie Schulpsychologen, • ... eine deutliche Ausweitung guter Fortbildungsangebote, um Professionalität in der Förderung zu sichern, • ... mehr geeignetes Material für die Arbeit mit jugendlichen Sprachlernern, • ... und mehr Bereitschaft zur Unterstützung in den Realschulen und Gymnasien Bayerns. Alle Schularten haben den selben humanitären Auftrag! Ja, wir alle wollen helfen. Das ist unsere menschliche, ethische und im Falle der Lehrerschaft auch unsere pädagogische Pflicht. Dafür braucht es aber nicht nur unser Herzblut und das ehrenamtliche Engagement williger Bürger, sondern dringend auch mehr Unterstützung, Mittel und Zeit! Bildung ist Aufgabe des Staates. Jetzt ist es nötig, viel Geld in die Hand zu nehmen, um später nicht noch mehr in einen gesellschaftlichen Reparaturbetrieb investieren zu müssen. Und dieses Geld kann im bayerischen Nachtragshaushalt bereitgestellt werden. Wenn man sich einig wird. Das Schicksal von Mahamadou, Zahira und Rashad und allen anderen Kindern muss es uns doch wert sein, oder? Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 3 Thema Rein ehrenamtlich geht’s nicht länger Die Volkschule Dittelbrunn braucht dringend eine Übergangsklasse Omar (Mitte) und Kalid zeigen Migrationsberaterin Martina Weigand, wie sie das Tablet zum Deutschlernen benutzen. Dittelbrunn. Mit den Artikeln hat Kalid noch Probleme. Heißt es „ein Schwester“? Oder „eine Schwester“? Ida Ziegler lässt den Jungen kurz überlegen. Dann hilft sie nach: „Es heißt ‚eine Schwester’!“ So schreibt der Elfjährige das nun in sein Übungsheft. Es ist Dienstagmorgen. Für zwei Stunden kommt Ida Ziegler an diesem Tag an die Volksschule in Dittelbrunn (Kreis Schweinfurt), um zwei Flüchtlingskindern für jeweils eine Stunde Deutsch beizubringen. Sie tut das jeden Dienstag. Und zwar komplett freiwillig. „Wir erfuhren im Jahr 2013, dass Kinder aus Flüchtlingsfamilien zu uns kommen werden“, berichtet Schulleiter Walter Schäffer. Das stellte das Lehrerkollegium vor viele Fragen. Welche Kinder aus welchen Ländern und mit welchen Fluchtge- 4 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 schichten werden wohl in Dittelbrunn eintreffen? Wie heißt man diese Kinder willkommen? Wie bringt man ihnen Deutsch bei? Wer kümmert sich genau um was? Die Angst nehmen Eine Konferenz wurde einberufen und alles besprochen. Eingebunden war schon damals Martina Weigand, die im gesamten Landkreis Schweinfurt in Sachen Integration unterwegs ist. „Seit 2006 beschäftige ich mich mit diesem Thema“, sagt die Lehrerin, die derzeit in Niederwerrn eine Übergangsklasse unterrichtet. Weigand nahm ihren Dittelbrunner Kollegen die Angst vor dem Neuen, das nun auf sie zukommen würde. „Bedenken gab es zum Beispiel wegen der Leistungsbewertung“, erläutert Schäffer. Denn natürlich erhalten auch Flüchtlingskinder Noten und Zeugnisse. Allerdings wird berücksichtigt, dass sie oft an die Schule kommen, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Ende März 2014 war es so weit, 16 Flüchtlingskinder wurden in der Dittelbrunner Volksschule aufgenommen. Dass es gelang, sie zu integrieren, ist nicht zuletzt dem Helferkreis rund um das Wohnheim im Dittelbrunner Ortsteil Hambach zu verdanken. Insgesamt 40 Bürgerinnen und Bürger, darunter einige pensionierte Lehrkräfte, engagieren sich für die Neuankömmlinge aus aller Herren Länder. Es gibt verschiedene Arbeitsgruppen. Unter anderem eine, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Schule in Dittelbrunn zu unterstützen. Die Helferinnen und Helfer übernehmen all das, was Flüchtlingseltern nicht leisten können. Thema Wenn Kinder fehlen „Manchmal fehlt ein Kind morgens“, erklärt Schulleiter Schäffer. Nicht unbedingt, weil es krank ist. Es kam nicht, weil es vergaß, dass es heute hätte in die Schule gehen müssen. Oder weil es keine Lust hatte. Oder nicht rechtzeitig aufgewacht ist. „Die Eltern wissen teilweise nicht, dass in Deutschland Schulpflicht besteht“, sagt der BLLV-Kreisvorsitzende. Nun kann man die Väter und Mütter vom Sekretariat aus nicht einfach kontaktieren, wie man das beim Fehlen deutscher Kinder tun würde. Sie würden am Telefon ja gar nicht verstehen, was der Anrufer von ihnen will: „Darum wird einer der Helfer kontaktiert.“ Der fährt ins Wohnheim, klopft an – und findet das Kind nicht selten im Bett vor. Keiner hat daran gedacht, es zu wecken und in die Schule zu schicken. Der Helfer gibt den Eltern freundlich zu verstehen, dass das Kind zum Unterricht muss. Und nimmt es mit. Lothar Gerne ist einer der beiden Sprecher des Helferkreises. Ihm ist sehr daran gelegen, dass die Kinder aus den Flüchtlingsfamilien eine gute Schulbildung erhalten. Wie hervorragend sich so mancher Junge und manches Mädchen in den letzten Monaten entwickelt hat, ist ihm eine große Freude. Kalids Bruder Omar zum Beispiel zeigt, wie gut Integration in Dittelbrunn gelingt. Das Trio kam an der Schule an, Lothar Gerne lotste Vater und Sohn zum richtigen Klassenzimmer, klopfte – und erlebte mit den beiden Flüchtlingen einen überwältigenden Empfang: „Alle standen an der Tür, der Klassensprecher zuerst, und begrüßten den Neuankömmling.“ Jeder stellte sich vor, sagte seinen Namen. Auch hatte die Klasse gemeinsam ein Plakat gemalt. Auf Arabisch stand da zu lesen. „Herzlich willkommen!“ Heute ist Omar ein lebhafter Siebtklässler, der in der Dittelbrunner Schule schon viele Freunde gefunden hat. Wie alle anderen Schüler aus Flüchtlingsfamilien erhält er zusätzliche Deutschförderung neben dem regulären Unterricht von einem Sprachpaten aus dem Helferkreis. Sein Pate ist der Pensionist Günther Hartlieb, ehemals stellvertretender Leiter des Schulamts für Stadt und Landkreis Schweinfurt und davor Fachbetreuer für Ausländerpädagogik. Er hatte sich bereit erklärt, einer größeren Gruppe von Siebtund Achtklässlern ehrenamtlich Deutsch beizubringen. Tränen auf der Fahrt Vor ziemlich genau einem Jahr kam der syrische Junge in den Landkreis Schweinfurt. Lothar Gerne persönlich fuhr ihn am Tag nach der Ankunft der Familie zusammen mit seinem Vater in die Schule: „Die ganze Fahrt über hat Omar geweint.“ Was würde da jetzt auf ihn zukommen? Wie sollte er, wo er doch kein Wort Deutsch verstand, einen ganzen Tag ohne die Familie mit lauter fremden Menschen bewältigen? Omar mag das Tablet, das ihm die Schule zur Verfügung stellte, um selbstständig Deutsch zu lernen. Lernen mit dem Tablet Nach wie vor versteht Omar nicht alles, was um ihn herum gesprochen wird. Doch er übt fleißig. Und spricht mit jedem Tag besser. Derzeit lernt er unter anderem mit einem Tablet, das er von der Schule bekam. Zu verschiedenen Themen kann er damit Bilder aufrufen. Im Moment ist er dabei, sich Vokabeln rund um das Thema „Motorrad“ anzueignen. Denn das interessiert ihn sehr. Auf dem Tablet erscheint just ein Motorradhelm. Omar drückt auf die Sprachausgabe, hört das Wort „Motorradhelm“ und spricht es nach. Ehrenamtliches Engagement Im Augenblick werden elf Flüchtlinge in Dittelbrunn unterrichtet. Sie sind auf alle Jahrgangsstufen verteilt. „Für ihre Integration erhielten wir in diesem Schuljahr keine einzige zusätzliche Stunde“, berichtet Schäffer. Ein guter Teil der Integrationsarbeit ruht damit auf den ehrenamtlichen Schultern der Mitarbeiter vom Helferkreis. Der wird koordiniert von Sabine Horbelt, Lehrerin ohne Klassenführung, die an 14 Stunden pro Woche an der Dittelbrunner Schule tätig ist. Drei Stunden hat die Spezialistin für „Deutsch als Fremdsprache“ laut Schäffer pro Woche für die Koordinierung der freiwilligen Deutschförderung Zeit: „Diese Stunden stammen aus unserem eigenen Budget.“ Als fachliche Beraterin ist weiterhin Martina Weigand in der Schule aktiv. Auch sie findet es überaus beachtlich, wie engagiert die Helferinnen und Helfer sind. Bisher gelang es, jedem einzelnen Schüler mit Fluchterfahrung auf rein freiwilliger Basis Förderstunden in Deutsch zu geben. Sollten jedoch mehr junge Flüchtlinge kommen, wird das Patenmodell an den Rand seiner Möglichkeiten gebracht. „Wir müssen aufpassen“, so Weigand, „dass wir unsere Ehrenamtlichen nicht überfordern.“ Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 5 Thema Patin Ida Ziegler übt mit Kalid die deutsche Sprache. Es kommen immer mehr Flüchtlinge an Schulen auch im April in einer Resolution an die Staatsregierung klar gemacht. Flüchtlingsstrom reißt nicht ab Inzwischen weiß Walther Schäffer, dass er im kommenden Schuljahr weitere Flüchtlinge wird aufnehmen müssen. In der Nähe der Schule soll es eine neue Unterkunft für jugendliche Flüchtlinge ohne elterliche Begleitung geben: „Diese zehn Jugendlichen sollen ab September bei uns unterrichtet werden.“ Dies geht allerdings nicht mehr in bisheriger Form: „Wir brauchen hierfür unbedingt eine Übergangsklasse.“ Die Reaktion des Ministeriums hierauf war für ihn allerdings ernüchternd. Man verwies auf das A-Budget. Doch die Praxis zeigt, dass das Stundenkontingent nicht ausreicht. Dadurch, dass es an die Schülerzahl gekoppelt ist, der Anteil an Migrantenschülern allerdings permanent steigt, verringerte sich sogar noch die Stundenzahl für die betroffenen Kinder. Würzburg. Der Flüchtlingsstrom reißt nicht ab. Auch die Zahl der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge steigt, wie die Regierung von Unterfranken mitteilt. Im Regierungsbezirk sind 343 Plätze belegt (Stand: 26.06.2015). Das Sozialministerium hat die Prognose für Bayern mittlerweile auf 10.000 unbegleitete Flüchtlinge für 2015 erhöht. Auf Unterfranken würden demnach 1030 unbegleitete Jugendliche nach dem Königssteiner Schlüssel entfallen. Aktuell müssen wöchentlich rund 30 unbegleitete Jugendliche in Unterfranken neu aufgenommen werden. Eine gewaltige Herausforderung für die unterfränkischen Jugendämter. Die hat Schäffer inzwischen auch beantragt. Ebenso wie Stunden aus dem sogenannten A-Budget der Staatsregierung für Deutschförderung. Eine zusätzliche Stunde pro Schüler wäre nach seiner Ansicht dringend nötig. Denn auch wenn sich abzeichnet, dass alle Ehrenamtlichen aus dem Helferkreis im kommenden Schuljahr wieder Woche für Woche an die Dittelbrunner Schule kommen werden. An speziellem Förderunterricht durch pädagogisches Fachpersonal, zusätzlich zum Engagement der Paten, geht für Schäffer kein Weg vorbei. Das hatte er 6 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Ohne Übergangsklasse keine weiteren Flüchtlinge Ob er zusätzliche Stunden für Förderunterricht und eine Übergangsklasse für die neuen jungen Flüchtlinge bekommen wird, weiß Schäffer noch nicht. Momentan ist der Schulleiter zuversichtlich. Er macht aber auch deutlich: „Ohne Übergangsklasse werden wir die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge nicht aufnehmen können.“ Text und Fotos: Pat Christ Thema Fluchtpunkt Unterfranken Trauma, Alphabet und Leistungsschere Materialgeleiteter offener Unterricht in der Übergangsklasse. Wiesentheid. Ein hochgewachsener farbiger Junge geht ruhig durch die Tür des Nebeneingangs. Der Jugendliche trägt ein grünes Sweatshirt, neue Turnschuhe und eine Baseballkappe. Er verschwindet in Richtung des Rauchertreffs. „Der ist jeden Tag da hinten“, erklärt der Hausmeister. Als ich den Klassenlehrer der Übergangsklasse anspreche und den Schüler beschreibe, sagt der: „Das ist Salman. Der raucht ganz sicher nicht. Nein. Der sucht sich einen Platz, wo er seine Ruhe hat.“ Markus Bauer, seit Februar Leiter einer neu gegründeten Übergangsklasse an der Nikolaus-Fey-Schule in Wiesentheid, erzählt weiter: „Er musste mit ansehen, Er musste mit ansehen, wie seine Eltern umgebracht wurden. Deswegen braucht er seine Ruhe. Dann wird ihm das alles, die vielen Menschen, zu viel.“ Flucht aus Somalia Salman kommt aus Somalia. Bürgerkriegsland. Warum und welche Milizen sich dort bekämpfen, das weiß keiner mehr. Salman gehört zu 60 Millionen Flüchtlingen weltweit. Mehr als im zweiten Weltkrieg. Ohne Begleitung hat er die Flucht aus dem Foto: Joachim Huppmann ostafrikanischen Staat bis nach Deutschland geschafft. Menschen in das Boot: Gewinnmaximierung für Schleuser! Salmans Weg nach Deutschland dauerte zwei Jahre. Die Flucht könnte Prototyp einer afrikanischen Emigrantenbiografie sein. In Somalia wurden sein Vater und seine Geschwister von der Al-ShabaabMiliz ermordet. Zusammen mit seiner Mutter machte er sich auf nach Norden. Nach fünf Tagen ist das Boot in Seenot. Salman wird von der italienischen Küstenwache gerettet. Über Italien und Österreich geht es nach Deutschland. Endstation Franken. In einem Kinderdorf ist er untergebracht. Er wird dort mit dem Nötigsten an Kleidern und Schulmaterial ausgestattet. Mit im Kinderdorf ist Abdullah. Seine Familie hat 6000 Dollar zusammen gekratzt, um wenigstens ihm die Chance auf ein besseres Leben zu ermöglichen. Nach der Sahara erreichten die beiden Lybien. Dort wurde seine Mutter vor seinen Augen vergewaltigt und ermordet. Den Teenager schlugen die Milizionäre mit dem Gewehrkolben zusammen. Salman trug Verletzungen an Leber und Milz davon. Vor zwei Wochen ist er daran operiert worden. Der hagere Jugendliche zeigt mir seine Zähne. Die Männer haben sie ihm ausgeschlagen, als er seine Mutter retten wollte. Sie sind notdürftig geflickt, haben eine andere Farbe als die verbliebenen Reste. „Ich bin der letzte meiner Familie“, sagt er. Der verletzte und traumatisierte 16-Jährige schaffte es auf ein Boot in Richtung Italien. 120 Menschen an Bord. Kein Wasser, kein Essen. So passen mehr Äthiopien ist Spitze Auf dem Landweg hat er sich durchgeschlagen. „Ich bin viel zu Fuß gegangen, viel zu Fuß...“ sagt er mir nachdenklich. „Von Afghanistan über die Türkei und Griechenland bis nach Deutschland.“ Der 16-Jährige ist ein begabter Fußballer. Im Sportunterricht vergisst er seine Sorgen. Der örtliche Fußballverein hat ihn aufgenommen. Ein kleines Stückchen Zuhause für Abdullah! Deutschland steht auf der Liste der Flüchtlinge aufnehmenden Länder auf Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 7 Thema Platz 49 weltweit eher im Mittelfeld. Die höchste Aufnahmequote bezogen auf die Wirtschaftskraft hat Äthiopien. Die meisten afrikanischen Flüchtlinge bleiben in Afrika. Tschad, Uganda und Kenia sind sehr in der Aufnahme von Flüchtlingen engagiert. Unbegleitete Jugendliche, so sie Deutschland erreicht haben, werden sofort in ihrer Aufenthaltsberechtigung anerkannt und stehen unter Betreuung eines Vormunds. Viele Menschen, die politisch von einem Staat oder nichtstaatlichen Akteur, wie etwa einer Miliz verfolgt werden, erhalten automatisch zuerst Flüchtlingsschutz. Das bekannteste Verfahren ist das Asylverfahren. Hier wird Schutz vor politischer Verfolgung durch einen Staat gewährt. Ist der Antragsteller beispielsweise über einen sicheren Drittstaat eingereist, kann er kein Asyl bekommen und wird abgeschoben. Asyl wird immer nur für drei Jahre gewährt. Alle andere Einwanderer werden in Unionsbürger und Drittstaatenangehörige aufgegliedert. Jeder Drittstaatenangehörige benötigt für Deutschland einen Aufenthaltstitel, wie zum Beispiel ein Visum, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine blaue Karte. Alle Schüler, die die Deutsche Sprache erlernen müssen, kommen in die Übergangsklasse. Für die schulische Erstausstattung erhalten Asylbewerber, Flüchtlinge und unbegleitete Kinder 70 Euro. Später im Nachschlag nochmals 30 Euro, etwa für neue Hefte. Erstklassunterricht? Die Leistungsschere unter den Schülern in der Übergangsklasse ist riesig. Eher selten tauchen Jugendliche und Kinder auf, die noch nie eine Schule von innen gesehen haben. Alphabetisierung ist dann angesagt. Der Unterricht ist dann dem Erstklassunterricht sehr ähnlich. Eine somalische Anlauttabelle kann sehr hilfreich sein. Wimmelbilder sind der Bringer! 8 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Es ist jedoch nicht so, dass alle Afrikaner ungebildet sind. Manche schaffen es auch nach wenigen Monaten in eine reguläre Mittelschule oder auf die Realschule. Der Unterricht in der Übergangsklasse kann nur als materialgeleiteter offener Unterricht gestaltet werden. Dazu sind spezielle Lernmaterialien, wie etwa Bildkarteien nötig. Die sind wegen der kleinen Stückzahlen sehr teuer. In vielen dieser Klassen herrscht leidvoller Mangel. Lehrer hausieren bei der Bank, dem Förderverein und dem Rotary-Club, um Lehr- und Lernmaterialien für ihre Klasse kaufen zu können. An manchen Schulen fehlen schlichtweg die Räume, und Mobiliar, wie Tische und Stühle. 12 ist die Grenze Auch ist nicht abzusehen, wie viele Jugendliche, woher und warum, plötzlich dazukommen. So kann dann die ursprünglich kleine Klasse, in der zielgerichtet gearbeitet und differenziert wird, von einem Tag auf den anderen, nicht nur räumlich aus allen Nähten platzen. „Auf einmal standen ohne Vorwarnung sieben Syrer bei uns auf dem Pausenhof,“ erzählt mir ein anderer Übergangsklassenlehrer. Das Spektrum reicht vom Gastprofessor bis hin zum rumänischen Fliesenleger, der in der Firma vor Ort sein Geld sauer verdient. Die Tochter des Fliesenlegers, Linda, ist auf einem guten Weg. Im kommenden Schuljahr wechselt sie in die M-Klasse. Die Schüler besuchen wie ihre deutschen Schulkameraden den Fachunterricht, zum Beispiel etwa das Fach „Technik“. Dort werden Sie schonend integriert und zum „Normalunterricht“ hingeführt. Die Schüler dort wirken fröhlich und sind dankbar, dass sich jemand für sie interessiert. Nach meinem Besuch in Markus Bauers Klasse habe ich Pausenaufsicht. Ich sehe Salman wieder. Das grüne Sweatshirt verschwindet gerade aus dem Nebeneingang. Er wird pünktlich wieder da sein. Ich gehe nicht hinterher. Joachim Huppmann Hinweis: Sämtliche Namen der Schüler wurden geändert. „Wenn du dann 16 oder 20 Schüler in der Klasse hast, dann ist vernünftiges Arbeiten unmöglich.“ Insgesamt sind Übergangsklassen zu dünn gesät. Es bleibt zu hoffen, dass vom Landtag mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden und das Geld vor Ort in den Mittelschulen und Grundschulen ankommt. Nicht nur Flüchtlinge sind in der Übergangsklasse. Wie der Name schon sagt, dient die Klasse dazu, die Kinder und Jugendlichen schnell für die Regelklassen fit zu machen. Natürlich ist dabei der Spracherwerb das Wichtigste. So kommen Kinder dazu, deren Eltern für eine gewisse Zeit beruflich in Deutschland tätig sind. Markus Bauer, Leiter einer Übergangsklasse an der Nikolaus-Fey-Schule in Wiesentheid. Thema Riesige Leistungsschere Interview mit Markus Bauer, Leiter einer Übergangsklasse Wiesentheid. Markus Bauer (Bild) ist Leiter einer neu gegründeten Übergangsklasse an der Nikolaus-Fey-Schule in Wiesentheid. Er steht der Unterfränkischen Schule Rede und Antwort. Herr Bauer, Sie sind seit Februar 2015 Leiter der Übergangsklasse in Wiesentheid. Warum mitten im Schuljahr? Bauer: Weil ich erst im Februar mit meinem Referendariat fertig geworden bin und ab da auf der Suche nach einer Stelle war. Für Gymnasiallehrkräfte mit Englisch sieht die Einstellungssituation ja eher schlecht aus. Eben da wurde die Übergangsklasse, die ich jetzt leite, gestartet. Welche Schüler kommen in die Klasse? Bauer: Die Klasse ist sehr heterogen. Ich habe Jungen und Mädchen im Alter zwischen 11 und 18 Jahren aus elf verschiedenen Nationen. Aus welchem Grund kommen sie? Bauer: Die Gründe sind ebenfalls sehr unterschiedlich. Wir haben Eltern aus EUStaaten, die hierherkommen, weil sie von ihrer Arbeit versetzt wurden oder auf der Suche nach einer neuen Stelle sind. Wir haben Familien, die aus Kriegsgebieten oder vor Milizen geflohen sind und nicht zuletzt auch Familien, die ihren Kindern durch bessere Ausbildung eine bessere Zukunft bieten wollen. Dabei haben wir auch einige extreme Fälle, bei denen die Kinder alleine und traumatisiert in Deutschland angekommen sind. Welche Defizite haben die Schüler? Bauer: Die Defizite sind zum einen ähnlich denen, die „unsere“ Schüler aufweisen: LRS, Rechenschwächen, etc. Dazu kommt eben die Schwierigkeit, dass viele noch kein Wort Deutsch können. Teilweise haben die Kinder auch noch nie eine Schule besucht. Bei mir sind aber Gott sei Dank bisher noch keine Schüler angekommen, die bisher noch nicht alphabetisiert waren. Auf Fortbildungen habe ich von solchen Fällen aber schon gehört und dies gilt nicht nur für das Grundschulalter. Wie werden die Jugendlichen gefördert? Bauer: Ich versuche meinen Unterricht in DaZ stark kommunikativ auszulegen. Meiner Erfahrung nach haben die Kinder so am schnellsten gelernt. Zudem greife ich auf die Verlagsbücher zum DaZ und DaF-Unterricht zurück. Im Internet gibt es auch einige schöne Anlaufstellen: schubert-verlag, schule.at, goethe-institut oder auch die digitale schule bayerns, darüber hinaus hab der br und die dw eigene Seiten für DaF-Unterricht, die ich für sehr empfehlenswert halte. Unsere Schule hat sich Materialboxen vom FinkenVerlag liefern lassen. Diese bieten eine sehr schöne Basis für den Unterricht, da sie viel Material und einige interessante Unterrichtskonzepte bietet. Im kommenden Schuljahr will der Verlag sein Angebot um tiptoi-Materialien erweitern. Das klingt für mich ziemlich interessant, da die Schüler hier stark selbst aktiv werden könnten. Leider kenne ich noch keine attraktiven Computerprogramme, die den Schülern helfen könnten. Wozu dient die Übergangsklasse? Bauer: Die Einrichtung soll den Schülern helfen, im Umfeld anderer Kinder, die ebenfalls neu in Deutschland sind, die deutsche Sprache und die Grundlagen des Sachunterrichts zu erwerben. Durch Unterrichtseinheiten mit Regelklassen soll zudem die Integration gefördert werden. Wie gehen Sie mit der riesigen Leistungsschere in Übergangsklassen um? Bauer: Das ist momentan mein größtes Problem. In meiner Klasse habe ich so ziemlich alle Leistungsstufen vertreten. Kinder die nächstes Jahr probeweise den M-Zug besuchen werden, Schüler, die in die Regelklasse wechseln und einige, die noch in der Übergangsklasse bleiben müssen, weil sie kaum ein Wort Deutsch sprechen. Ich baue hier auf die Hilfe einer Dame im Bundesfreiwilligendienst, die immer wieder mit den schwächeren Schülern einfachere Aufgaben bespricht, während ich mit den Fortgeschrittenen ein neues Thema beginne. Darüber hinaus betreibe ich ein Helfersystem. Die alteingesessenen Schüler helfen so den Neulingen. Mit welchen Probleme kämpfen Sie? Bauer: Es fehlt leider an einer guten Organisation, v.a. von politischer Seite. In meiner Übergangsklasse sind nun schon 17 Schüler, die über das Jahr hinweg zu unterschiedlichen Zeiten zur Klasse dazu gestoßen sind. Ein effizienter Unterricht ist kaum mehr möglich, da eben krasse Unterschiede zwischen den einzelnen Schülern existieren.“ Warum übernehmen Sie diese Klasse nicht auch im nächsten Schuljahr? Bauer: Zum einen, weil ich denke, dass eine Lehrkraft mit mehr Erfahrung den Kindern noch weit mehr bieten kann als ich. Zum anderen liegt es am Arbeitsverhältnis. Ich habe aus verschiedenen anderen Bundesländern Planstellenangebote für Gymnasien und Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe erhalten und kann so auf eine angemessenere Bezahlung und Absicherung meiner Familie hoffen. In Bayern würde mich im besten Fall die Chance auf eine Sondermaßnahme erwarten, das hieße aber zwei weitere Jahre im Angestelltenverhältnis, bei im Verhältnis geringer Bezahlung und der Aussicht, in den Sommerferien Termine beim Arbeitsamt zu machen. Von daher habe ich mich für ein festes Arbeitsverhältnis in Niedersachsens Hauptstadt entschieden.“ Interview: Joachim Huppmann Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 9 Thema „Du bist in Ordnung!“ In der Mönchberg-Schule lernen 40 verschiedene Nationen zusammen allerdings, würden sich die ausländischen Eltern stärker für das Schulleben engagieren. Zum Beispiel im Elternbeirat. Hierzu werden sie auch aktiv motiviert. Doch bislang noch ohne rechten Erfolg. Die Dritt- und Viertklässler der Übergangsklasse studieren mit Clownin Patricia Fersch von „Zirkus Frosch“ gerade eine Clownsnummer ein. Fotos: Pat Christ Würzburg. „Wie schaffen Sie das bloß?“ Stephan Becker, Leiter der Würzburger Mönchberg-Schule, erlebt oft Verwunderung, wenn er von seiner Bildungsinstitution erzählt. Denn die allermeisten Kinder und Jugendlichen, die hier unterrichtet werden, sprechen ursprünglich nicht Deutsch. In der Grundschule liegt der Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund bei rund 40 Prozent. „In der Mittelschule gibt es überhaupt keine Jugendlichen mit Deutsch als Muttersprache.“ Sehen Schulkonzepte in solchen besonderen Schulen anders aus als in Schulen, die mehrheitlich von deutschen Schülern besucht werden? Eigentlich nicht, meint Stephan Becker. „Im Mittelpunkt unseres Konzepts steht das Miteinander“, sagt er und zeigt auf das „Regelwerk“ der Mönchberg-Schule, das aus fünf einfachen, leicht verständlichen Prinzipien besteht. „Ich sehe gut aus“, lautet das erste Prinzip. „Du bist in Ordnung“, das zweite. „Wir leben gemeinsam“, das dritte. Dann folgen die Regeln „Die Schule sieht gut aus“ und „Ich lerne gut“. Unter jeder Regel sind jeweils drei Beispiele angeführt, um zu verdeutlichen, was genau gemeint ist. Gut auszusehen bedeutet etwa, keine Kappe im Schulhaus zu tragen. Die Regel „Du bist in Ordnung“ impliziert, dass niemand 10 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 ausgelacht wird. Wie ungeschickt er sich vielleicht auch verhalten mag. Mehr als diese fünf Regeln braucht es auch nicht, um für Gemeinschaft zu sorgen. Konflikte, die es in der Mönchberg-Schule natürlich ebenso wie in allen anderen Schulen gibt, werden auf Grundlage dieses Regelwerks gelöst. So gibt es Schüler, die gelernt haben, dass man auch mit großsprecherischem Gehabe und subtilen Drohungen an sein Ziel kommt. Becker schildert ein Beispiel: „Ein Schüler bemalt sich während des Unterrichts den Arm mit Tattoos, statt aufzupassen, und versucht, auch die anderen zu animieren, dies zu tun.“ Damit verstößt er gegen die Gemeinschaftsregel, weil er den Unterricht stört, und gegen die Regel das Aussehen betreffend. Ein solcher Schüler wird zum Gespräch geladen. Das darf man sich nicht als Tribunal vorstellen: „Wir reden ganz freundlich mit ihm.“ Die Regeln und ihre Wichtigkeit werden ihm noch einmal erklärt. Und er darf vorschlagen, was er denn tun möchte, um den Regelverstoß wiedergutzumachen. Sowohl der Lehrerin als auch den Mitschülern gegenüber. Für die deutschen Eltern ist es kein Problem, dass ihre Kinder mit Gleichaltrigen aus anderen Ländern lernen. „Sie erleben das zum weitaus größten Teil als Bereicherung“, sagt der Schulleiter. Wünschenswert wäre Deutschlandweit wird beklagt, dass Elternvertreter mit Migrationshintergrund an allen Schulen stark unterrepräsentiert sind. Die Zurückhaltung der Eltern, die aus beruflichen oder privaten Gründen nach Deutschland auswanderten oder hierher flohen, hat viele Gründe. Becker: „Die Unsicherheit ist natürlich groß. Zum einen wegen der Sprache. Aber viele dieser Eltern bringen auch von ihrer Heimat ein ganz anderes Bild von Schule mit.“ In Schulen anderer Länder herrscht mitunter Druck und Drill. Teilweise gehen die Kinder auch gar nicht zur Schule, weil der Schulweg viel zu lang ist oder die Kosten für Bücher zu hoch sind. Becker: „Schließlich besitzen nicht alle dieser Eltern ein Auto.“ Sich abends mit anderen Eltern zu treffen, um Projekte auszutüfteln, ist für sie deshalb schwierig. Erfüllendes Arbeiten „Ich habe hier meine Erfüllung gefunden“, berichtet Lehrerin Andrea Wendlandt von der „Mäuse“-Klasse. In dieser Übergangsklasse werden Erst- und Zweitklässler unterrichtet. Momentan nimmt Wendlandt die Geschichte von der kleinen Raupe Nimmersatt durch. Die Kinder sind just dabei, einen in Puzzleteile zerschnittenen Schmetterling zusammenzufügen. Sie lernen ganz nebenbei, dass ein Schmetterling „Flügel“ und „Fühler“ hat, außerdem werden am Beispiel des bunten Schmetterlings die Farben besprochen. Am Ende soll ein Schmetterling selbstständig gezeichnet, auf eine Filzplatte übertragen und gefilzt werden. Einigen Kindern merkt man an, wie erleichtert sie sind, dass sie endlich Sicherheit gefunden haben, sagt Wendlandt. Viele haben schlimme Erlebnisse hinter sich. Thema Vor allem bei den Jugendlichen wird oft sichtbar, was hinter ihnen liegt, sagt Becker: „Aufgrund ihrer Traumatisierungen kommt es zu Flashbacks.“ Das bedeutet auch für das Lehrerkollegium eine Herausforderung. Als äußerst hilfreich wird eine zu Beginn des Jahres angebahnte Kooperation mit der Würzburger Kinder- und Jugendpsychiatrie erlebt. Dessen Direktor, Professor Marcel Romanos, kommt regelmäßig in die Mönchberg-Schule, um das Kollegium zu coachen. Das macht er rein freiwillig, betont Becker. Nicht zuletzt vom Engagement solcher Menschen hängt nach seinen Worten ab, ob es wirklich gelingt, Kindern und Jugendlichen aus Migranten- und Flüchtlingsfamilien via Schule eine neue Heimat zu geben. Viele Menschen und viele Organisationen haben das inzwischen verstanden, die Solidarität mit der Mönchberg-Schule ist groß. So ist derzeit über das Projekt „Integration durch Sport“ das Duo „Zirkus Frosch“ in der Schule aktiv. Der kleine Amodeeb, der mit Clownin Patricia Fersch und den anderen Kindern im Moment eine Clownsnummer einübt, ist davon schwer begeistert. Überhaupt fühlt sich der Junge in der Schule sehr wohl, wobei es nicht einfach sei, die deutsche Sprache zu lernen, meint der Zehnjährige, der von indischen Eltern abstammt und in Italien aufwuchs. Das findet auch seine Klassenkameradin Annamaria, die aus Rumänien stammt. Doch auch sie fühlt sich in der MönchbergSchule pudelwohl. „Hier ist es leicht und leicht und leicht“, jubelt die neunjährige Taima aus Syrien, die vor einem Monat in die Übergangsklasse für die Dritt- und Viertklässler kam. Dass es in Schulen so etwas wie ein Zirkusprojekt gibt, ist allen drei Kindern neu. Viele kennen Schulen, in denen es strenger und weniger lustig zugeht. Keines der Kinder will mehr aus der Mönchberg-Schule fort. Alle drei bestätigen, dass die Lehrerinnen und Lehrer supernett sind. „Die anderen Kinder allerdings nicht immer“, bemerkt Annamaria. Nun ja. Kleine Kabbeleien kommen in den besten Familien vor. Und natürlich müssen sich die Kinder erst zusammenraufen. Weil es gar nicht so leicht ist, Deutsch zu sprechen, switchen viele Schülerinnen und Schüler im Pausenhof auf ihre Muttersprache um. „Natürlich verstehen die Lehrkräfte dann nicht, was sie sagen“, meint Becker. Das muss man als Lehrkraft aushalten. Im Unterricht allerdings wird, mit wenigen Ausnahmen, Deutsch gesprochen. Denn Deutsch zu lernen, Die Erst- und Zweitklässler der Übergangsklasse beschäftigen sich mit der kleinen Raupe Nimmersatt. das ist die wichtigste Aufgabe - gerade in der Mittelschule. Wer als Mittelschüler genug Deutsch versteht, darf von der Sprachanfängergruppe, wo Jugendliche ohne jede Deutschkenntnis sitzen, in die Übergangsklasse wechseln. Becker: „Wer fließend spricht, wechselt in die Mittelschulklasse einer anderen Schule.“ Es braucht viel Flexibilität Die Schülerinnen und Schüler der Mönchberg-Schule brauchen Verständnis und individuelle Unterstützung. An letzterem mangelt es an den Regelschulen, so Becker. Deshalb brauche es so spezielle Zentren wie die Mönchberg-Schule. Wobei es ohne Zweifel besser wäre, wären alle Schulen so ausgestattet, dass sie die Möglichkeit hätten, Sprachanfänger zu integrieren. Doch es mangelt an Ressourcen. Und oft auch an Flexibilität. Es gibt, ist man für Flüchtlingskinder offen, manchmal sehr turbulente Tage, bestätigt Becker. Ständig müssen Neuankömmlinge in die verschiedenen Klassen integriert werden. Wer wann kommt, ist in Zeiten der Flüchtlingsströme kaum planbar. Plötzlich stehen wieder ein, zwei Kinder vor der Türe. Becker: „Erst letzten Freitag bekamen wir wieder neue Schüler.“ Dass alle miteinander eine Gemeinschaft bilden, trotz extremer Unterschiedlichkeit in Bezug auf Herkunft, Sprache, Sozialisation und Erfahrungshintergrund, bedeutet eine permanente Herausforderung. Dass sie gut bewältigt wird, ist nicht zuletzt Schulsozialarbeiter Naoufel Hafsa zu verdanken. Weil er selbst einen Migrationshintergrund hat, wird er von den ausländischen Kindern, Jugendlichen und Eltern sehr geschätzt. „Er kann Türen öffnen, die wir nicht so einfach aufbekommen würden“, sagt Becker. Diese Erfahrung spricht nach seiner Ansicht auch dafür, mehr Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund einzustellen. Doch die sind noch rar. Auch an der Mönchberg-Schule. Text und Fotos: Pat Christ Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 11 Thema Fördermaßnahmen für Flüchtlingskinder Regierung stellte 1520 zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung Würzburg. Die Regierung von Unterfranken bietet für Schüler mit Migrationshintergrund ein Bündel an Fördermaßmaßnahmen mit dem Ziel, Sprachkenntnisse in Deutsch zu erwerben bzw. auszubauen. Von rund 11.000 von den Schulämtern der Regierung gemeldeten Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund weisen rund 6.500 Kinder Defizite in der deutschen Sprache auf. Diese werden in Deutschfördermaßnahmen aufgenommen. Für die Förderangebote stehen in Unterfranken insgesamt 1520 zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Keine Migrantenklassen mit mehr als 25 Kindern An Unterfrankens Grund- und Mittelschulen gibt es nach Auskunft der Regierung keine Klasse mit mehr als 25 Kindern, sofern über die Hälfte dieser Kinder einen Migrationshintergrund aufweisen. Für die notwendigen Teilungen werden in Unterfranken 420 Unterrichtsstunden für den Grundschulbereich und 298 für die Mittelschulen zusätzlich zur Verfügung gestellt. Diese Regelung verbessert die Erziehungs- und Unterrichtssituation für alle Schülerinnen und Schüler. Die Fördermaßnahmen im Einzelnen: Vorkurse: Um Defizite in der deutschen Sprache frühzeitig und nachhaltig abzubauen, werden in diesem Schuljahr 301 Vorkurse in Unterfranken angeboten. Dieses Kooperationsmodell zwischen Grundschule und Kindergarten setzt bereits in der zweiten Hälfte des vorletzten Kindergartenjahres an und stellt ein Angebot sowohl für deutschstämmige Kinder mit Sprachförderbedarf als auch für Kinder mit Migrationshintergrund dar. Der Besuch eines Vorkurses ist nicht verpflichtend, jedoch ist die früh ansetzende Förderung die beste Gewähr dafür, dass sich während der Schulzeit Defizite nicht noch weiter verstärken. Deutschförderklassen (ehemals Sprachlernklassen): Diese sollen gezielt dem intensiven Spracherwerb und der Integration der nichtdeutschen Mitschüler dienen. Dabei wird innerhalb einer Klasse eine Lerngruppe gebildet, die zusätzlich gefördert wird. Dafür stehen auch zusätzliche Förderstunden zur Verfügung. Deutschförderkurse: Für Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache in deutschen Regelklassen werden Deutschförderkurse angeboten. Dazu werden je nach Bedarf Kurse mit insgesamt bis zu 530 Wochenstunden in Unterfranken eingerichtet. Übergangsklassen: Schüler mit nichtdeutscher Muttersprache mit großen Defiziten in Deutsch, deren Teilnahme am Unterricht einer Regelklasse nicht sinnvoll ist, können Übergangsklassen besuchen. 20 Klassen werden in Unterfranken schwerpunktmäßig an Schulen eingerichtet bzw. weitergeführt. Nach dem Besuch der Übergangsklassen sollen die Schülerinnen und Schüler sich so entwickelt haben, dass sie in eine Regelklasse wechseln können. Für den Islamischen Unterricht, der ausschließlich in deutscher Sprache unterrichtet wird, stehen in Unterfranken 113 Unterrichtsstunden zur Verfügung. Zusätzlich werden in Unterfranken syrischorthodoxer und alevitischer Religionsunterricht angeboten. Hinweis: Nach Auskunft der Regierung hat ein Schüler Migrationshintergrund, wenn die Staatsangehörigkeit nicht Deutsch und/oder die Sprache im Haushalt nicht Deutsch und/oder das Geburtsland nicht Deutschland ist. Kunterbunt: In Unterfrankens Grund- und Mittelschulen leben und lernen rund 11000 Kinder mit Migrationshintergrund. 12 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Jiuli 2015 Thema Mehr Ressourcen für Deutschförderung Regierungsschuldirektor Herbert Brenner wartet auf neue Zahlen te zu unterstützen, sie für diese Aufgabe vorzubereiten. Fortbildungen in diesem Bereich werden stark nachgefragt und gut angenommen. Würzburg. Regierungsschuldirektor Herbert Brenner verantwortet im Bereich Schulen an der Regierung von Unterfranken das Sachgebiet Organisation und Personal an Grund- und Mittelschulen. In seine Zuständigkeit fällt auch zusätzliches Lehrpersonal zur Förderung von Flüchtlings- und Migrantenkindern. Für die Unterfränkische Schule nahm er sich mitten im „Klassenbildungsstress“ Zeit, um Fragen zu beantworten. Dafür besten Dank. Die Regierung von Unterfranken bietet für Schüler mit Migrationshintergrund ein Bündel von Maßnahmen mit dem Ziel der Deutschförderung - von Vorkursen, über Deutschförderkurse und -klassen bis zu Übergangsklassen. Welche Maßnahmen greifen, welche gehen eher am Bedarf vorbei? Brenner: Seit sich die Zahl der Kinder von Flüchtlingen und Asylsuchenden erheblich und andauernd erhöht, ist das für das Personal zuständige Sachgebiet, vor allem aber die Lehrkräfte vor Ort, intensiv gefordert. Durch Zuweisung von Personalressourcen auch während des Jahres in regelmäßiger Absprache mit dem Staatsministerium konnte die Versorgung immer wieder angepasst werden. Leider standen kaum mehr freie Lehrkräfte zur Verfügung. Das zugewiesene Budget zur Deutschförderung wird durch die Regierung den Staatlichen Schulämtern in Abhängigkeit des gemeldeten Bedarfs zur Verfügung gestellt. Den Staatlichen Schulämtern obliegt es nun, diese Ressourcen möglichst effektiv an den Schulen einzusetzen. Die Vorkurse können zu Beginn des Schuljahres gut vorgeplant werden, Deutschförderkurse und Deutschförderklassen können hier etwas flexibler gestaltet werden. Im Grunde greifen alle Maßnahmen. Die entscheidende Frage ist immer, ob die Förderung von Kindern mit Migrationshintergrund in einer Regelklasse oder in einer Übergangsklasse effektiver ist. Für beide Möglichkeiten gibt es genü- Ziel der Übergangsklassen ist es, den Schülern den Wechsel an Regelklassen zu ermöglichen. Wie sind die „Übertrittsquoten“? Regierungsschulrat Herbert Brenner Foto: privat gend gute Argumente. Die Entscheidung obliegt den Staatlichen Schulämtern im Zusammenwirken mit den Schulen. Selbstverständlich spielt allein die Anzahl der zu fördernden Kinder eine wesentliche Rolle. Für Förderangebote standen in Unterfranken über 1500 zusätzliche Lehrerwochenstunden zur Verfügung. Gleichzeitig klagen Schulen vor Ort, dass sie die Integrationsarbeit nur mit massiver Hilfe von Ehrenamtlichen leisten können. Sind die dafür vorgesehenen Mittel zu knapp bemessen? Brenner: Die Zahlen für das Schuljahr 2015/2016 liegen noch nicht vor, eine Ausweitung der Ressourcen soll aber erfolgen. Im Schuljahr 2014/2015 und 2013/2014 standen dafür 1922 Lehrstunden für Grund- und Mittelschulen zur Verfügung, 1580 Lehrerstunden waren es im Schuljahr 2012/2013 noch. Zusätzliche Lehrerstunden sind allerdings nur ein Teil, das Engagement unserer Lehrkräfte und Schulleiter vor Ort, die diese Stunden ausfüllen, ihr Einsatz hilft diese Herausforderung anzugehen. Das ist in erster Linie ein Verdienst unserer Lehrkräfte. Von Seiten der Regierung versuchen wir die Lehrkräf- Brenner: Der Besuch einer Übergangsklasse ist, wie der Name schon sagt, zeitlich begrenzt. Die Schüler sollen nach dem Besuch einer Übergangsklasse vor allem im Spracherwerb so weit sein, dass sie dem Unterricht in einer Regelklasse folgen können. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass bereits nach 6 Monaten die Eingliederung in eine Regelklasse sinnvoll sein kann. Sicher wird es auch Fälle geben, in denen der Wechsel in eine Regelklasse nach einem Jahr noch Schwierigkeiten bereiten kann. Ein zahlenmäßiger Überblick bzw. Wechselquoten liegen nicht vor. Das sind Entscheidungen, die von den Lehrkräften bzw. Schulleitern vor Ort getroffen werden müssen und aus meiner Sicht auch verantwortungsvoll getroffen werden. Aktuell werden in Unterfranken täglich 30 sogenannte „minderjährige unbegleitete Flüchtlinge“ aufgenommen. Eine gewaltige Herausforderung zunächst für die Jugendämter. Wann kommen diese Jugendlichen an die Schulen? Brenner: Die Zahl 30 kann ich nicht bestätigen. Bei den minderjährigen unbegleiteten Flüchtlingen sind neben den Mittelschulen vor allem die beruflichen Schulen betroffen. In diesen Fällen gehen außer Personalanfragen kaum Rückmeldungen im Sachgebiet ein. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Kommunikation zwischen Schulen, Jugend- und Schulämtern gut geregelt ist und auch gut funktioniert. Interview: Peter Nossol Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Pa 13 Thema Mehr Flüchtlingskinder brauchen mehr Hilfen ULLV-Veranstaltung „Schule trifft Politik“ an der Mittelschule Lohr am Main Auf Einladung des ULLV informierten sich Politiker an der Mittelschule Lohr am Main über die Integration von Flüchtlingskindern. Lohr am Main. Eltern, Lehrer, Schulleiter und BLLV-Mitarbeiter waren sich einig: Um die drastisch anwachsende Zahl an Flüchtlings- und Asylantenkindern an Grund- und Mittelschulen in Unterfranken bewältigen zu können bedarf es einer noch stärkeren Unterstützung durch Politik und Administration. Auf Einladung des ULLV trafen sie sich Ende Juli an der Gustav-Woehrnitz-Mittelschule Lohr am Main. Gemeinsam mit den Landtagsabgeordneten Katie Petersen (SPD), Thorsten Schwab (CSU), Thomas Mütze (Bündnis 90/Die Grünen) und Günther Felbinger (FW) erörterten sie unter der Gesprächsleitung von Ingrid Otto (Stv. ULLV-Vorsitzende) die Herausforderungen in der aktuellen Situation, die aufgrund der während des Schuljahres 2014/15 zugezogenen Flüchtlinge und Asylanten entstanden ist. Laut amtlicher Prognosen wird sich das im kommenden Schuljahr noch deutlich verschärfen. ULLV-Vorsitzender Gerhard Bleß forderte „ein Sonderprogramm von Seiten der Politik, um den Schulen kurzfristig und unbürokratisch Hilfe anbieten zu können.“ Schulleiterin Susanne Rinno und mehrere Lehrkräfte der Schule zeigten den Politi- 14 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 kern an konkreten Beispielen eindringlich auf, wie wichtig, aber auch wie herausfordernd und aufwändig die Arbeit mit den oftmals traumatisierten Kindern aus den unterschiedlichsten Ländern, Religionen und Kulturkreisen ist. Sie stünden teils ohne Ankündigung im Schulhaus – ohne Deutschkenntnisse, ohne Papiere, oft traumatisiert und desorientiert, schilderte BLLV-Kreisvorsitzender Christoph Rüttiger die Situation. Die Kinder würden mangels vorhandener Übergangsklassen dann auf die Klassen verteilt und könnten nur ansatzweise genügend gefördert und betreut werden. Schulleiter, Lehrkräfte, Schulsekretariate seien in diesen Fällen völlig überfordert. „Sie können ohne zusätzliche Mittel und Unterstützung den Herausforderungen nicht mit den nötigen Maßnahmen begegnen“, so Rüttiger. Flüchtlingskinder kommen ohne Ankündigung In Lohr wird neben den auf die Klassen verteilten Kindern auch eine ganze Klassen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen (UMF) betreut. Diese stellen für die Schule und das Haus St. Michael in Neustadt, in der sie leben, eine besondere Herausforderung dar. Steve Bauer, ULLV-Abteilungsleiter für Schul- und Bildungspolitik, stellte heraus, dass die im Schuljahr 2014/15 oftmals durch die Schulen erbrachten, aus der Not geborenen Lösungen wie die Umwidmung von Förderstunden, Arbeitsgemeinschaften im musischen Bereich oder Zusammenlegung von Gruppen zugunsten von Deutschförderkursen für Flüchtlingskinder im kommenden Schuljahr nicht mehr vorkommen dürften. „Nun ist die Entwicklung vorhersehbar – und daher ist die Politik in der Pflicht, den Schulen schon von Beginn des Schuljahres an die erforderlichen Ressourcen an Lehrerstunden zur Verfügung zu stellen“, forderte Bauer. „Unterstützung auf Kosten der anderen Kinder fördert Unverständnis und Ablehnung - eine Brutstätte für Fremdenhass.“ Julia Schuck, Leiterin der ULLV-Abteilung Berufswissenschaft, forderte ein Ende der Politik des permanenten Löcherstopfens. Vielmehr bedürfe es eines schlüssigen Gesamtkonzeptes, in das auch die notwendige Unterstützung der Schulen durch Personal, das in den Bereichen Deutsch als Zweitsprache, Schulpsychologie und Traumapädagogik ausgebildet ist, eingebunden wird. Thema Die Abgeordneten aller Oppositionsparteien – die Abgeordneten Felbinger, Petersen und Mütze - waren sich einig, dass die Situation im Schuljahr 2015/16 nur durch zusätzliches Personal zu bewältigen sein wird. Der vom CSU-Vertreter Schwab favorisierte vermehrte Einsatz von Ehrenamtlichen sei zwar ebenfalls zu befürworten und dringend geboten, aber „der Staat steht hier in erster Linie in der Pflicht“, so Petersen wörtlich. Sowohl Mütze als auch Felbinger und Petersen unterstützten die vom ULLVVorsitzenden Gerhard Bleß erhobene Forderung, dass die von der CSU-Fraktion bereits beschlossenen 2,3 Milliarden EUR, welche im Nachtragshaushalt 2016 für die Flüchtlings- und Asylsituation bereitgestellt werden, zu einem erheblichen Teil in den Schulbereich investiert werden müssen. Schwab stellte abschließend fest, dass er sich innerhalb der CSU-Fraktion dafür einsetzen werde, dass neben dem derzeit alles überlagernden Thema der Unterbringung der Asylbewerber und Flüchtlinge auch der Blick auf die Schulen geschärft wird. Außerdem werde er sich einsetzen, dass geeignete Schülerinnen und Schüler verstärkt auch in Realschulen und Gymnasien gefördert werden und geeignetes Personal für die Betreuung der Flüchtlinge an allen Schularten ohne bürokratische Hürden rekrutiert werden kann. Konkret ging es vor Ort um die Weiterbeschäftigung einer an der Mittelschule Lohr derzeit für Deutsch als Zweitsprache eingesetzten Fremdsprachenkorrespondentin. Im Rahmen der Veranstaltung stand auch eine Begehung des Schulhauses auf dem Programm, bei der neben dem Besuch einer Klasse, in der Flüchtlingskinder integriert werden, besonders das vor wenigen Wochen eröffnete Vivarium auf Interesse stieß. Rund 40 verschiedene Tier- und Insektenarten leben in kleineren und größeren Terrarien und Aquarien in dem Schulhaus. An die Schule geholt hat sie die PCB-Lehrerin Kerstin Schwarz. Im September ging das Vivarium-Projekt an den Start. Im Juni wurde offiziell Eröffnung gefeiert. Frau Schwarz wies darauf hin, wie engagiert sich hier die Flüchtlingskinder einbringen würden, da die Arbeit mit den Tieren auch ohne Sprache möglich sei. Steve Bauer und Gerhard Bleß Flüchtlingskinder in der Mittelschule Lohr am Main Lohr am Main. Die Situation an der Gustav-Woehrnitz-Mittelschule Lohr a. Main: Zur Zeit leben und lernen dort 13 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (umF), die in Haus St. Michael Neustadt untergebracht sind, 7 Kinder und Jugendliche (Flüchtlinge), die mit ihren Eltern in Lohr und Umgebung leben und 6 Jugendliche von Zuwanderern. Im Schuljahr 2015/2016 werden 22 weitere unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aus Lohr und Neustadt erwartet. Der Unterricht 2014/2015 wurde wie folgt abgedeckt: Eine der Mobilen Reserven ist für den Deutschunterricht der umFs „freigestellt“. Dieser Unterricht findet „separat“ statt. Zusätzlich unterstützt eine Lehrkraft mit neun Wochenstunden über das Haus St. Michael den Unterricht an der Schule. Die Kinder aus den Asylbewerberfamilien, die jünger sind, werden in den jeweiligen Jahrgangsstufen beschult. Sie verlassen den Klassenunterricht zum Deutschunterricht. Die Förderlehrerin gibt insgesamt 8 Wochenstunden Deutschförderunterricht. Drei ehrenamtliche pensionierte Kolleginnen unterstützen das Programm mit insgesamt 8 Wochenstunden. Der Unterricht 2015/2016 wird wie folgt abgedeckt: Es werden zwei Klassen mit Jugendlichen mit kaum bis wenigen Deutschkenntnissen gebildet. Diese werden „separat“ unterrichtet. Die weiteren Jugendlichen werden in die Jahrgangsstufe 5-9 eingebunden. Keine Berührungsängste: Die Landtagsabgeordneten Thorsten Schwab (CSU), Thomas Mütze (SPD), Kathie Petersen (SPD), Günther Felbinger (FW) und ULLV-Vorsitzender Gerhard Bleß im Vivarium, einem Schulprojekt an der Mittelschule Lohr am Main, das auch bei Flüchtlingskindern auf großes Interesse stößt. Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 15 Thema Handwerk profitiert von Flüchtlingen Handwerkskammer fordert Bleiberecht für Flüchtlinge nach Ausbildung herrschen, problematisiert rund die Hälfte der befragten Betriebe. Bleiberecht ausweiten Deshalb fordert die Handwerkskammer für Unterfranken, dass Flüchtlinge nach ihrer Ausbildung noch mindestens zwei Jahre Bleiberecht genießen sollen. Diese Forderung wird von rund 90 % aller ausbildenden Handwerksbetriebe unterstützt. Auch im Zimmerer-Handwerk können Flüchtlinge Fuß fassen. Würzburg. „Berufliche Integration ist der wichtigste Schritt zu gesellschaftlicher Integration. Im Handwerk lebt die Integration, hier wird sie verwirklicht“, sagt Rolf Lauer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken und belegt dies mit Zahlen. Im Jahr 2014 hatten die Auszubildenden 52 unterschiedliche Staatsangehörigkeiten. Von den insgesamt 7704 Auszubildenden über alle Lehrjahre hinweg haben 432 einen ausländischen Pass. Zudem kommt noch eine Vielzahl an Auszubildenden mit Migrationshintergrund, die die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen haben. Die meisten ausländischen Auszubildenden kamen im vergangenen Jahr aus der Türkei, gefolgt von Italien und dem Kosovo. Flüchtlinge gewinnen Die Handwerkskammer für Unterfranken will sich auch verstärkt darum bemühen, Flüchtlinge für das Handwerk zu gewin- 16 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Foto: HWK nen. „Davon profitieren die Flüchtlinge, die damit einen wichtigen Schritt zur Integration gehen können und unsere Handwerksbetriebe, die auf der Suche nach Auszubildenden und Fachkräften sind“, so Lauer. Wie Flüchtlinge vom Handwerk und das Handwerk von Flüchtlingen profitieren können, zeigt eine Sonderumfrage der Handwerkskammer für Unterfranken. Nahezu 90 Prozent der Betriebe bestätigten, dass sie im derzeitigen Flüchtlingsstrom eine Chance für das Handwerk erkennen, Fachkräfte zu gewinnen. Hauptproblem Bürokratie Die unterfränkischen Handwerksbetriebe erkennen als Hauptproblem bei einer möglichen Ausbildung von Flüchtlingen eine hohe Bürokratiebelastung. Das ist auch eindeutig nachzuvollziehen, müssen die Handwerksbetriebe nahezu jedes Jahr eine Mehrung der Bürokratiebelastung hinnehmen. Die ungenauen politischen Rahmenbedingen, die derzeit noch bei einer potenziellen Ausbildung von Flüchtlingen „Den Blick alleine auf die Zeit der Ausbildung von Flüchtlingen zu legen, ist zu kurz gegriffen. Handwerksunternehmen investieren viel Zeit und Geld in die Ausbildung und womöglich müssen sie bei Flüchtlingen, besonders zu Beginn der Ausbildung, noch etwas mehr investieren. Das Bleiberecht 2 Jahre plus x nach der Ausbildung gibt nicht nur den Handwerksunternehmen Sicherheit, sondern auch dem Flüchtling und spornt sicherlich dazu an, die Ausbildung so gut wie möglich zu absolvieren“, erklärt Hauptgeschäftsführer Rolf Lauer. Zudem fordert die Handwerkskammer für Unterfranken, Flüchtlingen sofort einen Deutschkurs zu ermöglichen. Die Forderung unterstützen 92 % der befragten Ausbildungsbetriebe. Rolf Lauer: „Deutsch zu verstehen und zu sprechen ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, um eine duale Berufsausbildung zu bestehen.“ Ohne Sprachkenntnisse werden Theorie und Praxis zu keiner Zeit zu bewältigen sein. Deutsch-Kurse ermöglichen Bei den Grundvoraussetzungen, die handwerkliche Ausbildungsbetriebe an potenzielle Auszubildende stellen, gibt es nahezu keine Unterschiede zwischen Flüchtlingen und anderen Auszubildenden. „Zuverlässigkeit“ und „gute praktische Veranlagung“ liegen an den ersten beiden Stellen, gefolgt von „guten Deutsch- Thema kenntnissen“. Dieses Ergebnis zeigt, wie pragmatisch die unterfränkischen Handwerksbetriebe mit der Flüchtlingsthematik umgehen. Mit den Ergebnissen der Umfrage möchte die Handwerkskammer einerseits deutlich machen, welches Potenzial Flüchtlinge für die regionalen Handwerksbetriebe haben, aber auch, welch große gesellschaftliche Verantwortung die Betriebe übernehmen würden. Rolf Lauer: „Wir wünschen uns, dass diese Ergebnisse dazu dienen, den politischen Entscheidungsprozess in der Flüchtlingsthematik zu beschleunigen. Das Handwerk ist bereit für konkrete Entscheidungen.“ Übergang ins Berufsleben Die wichtigste Grundvoraussetzung für Flüchtlinge, auch für die minderjährig unbegleiteten, um in eine Ausbildung zu starten, sind Deutschkenntnisse. Etabliert hat sich hier ein System der speziellen Berufsschulklassen für Asylbewerber und Flüchtlinge. Nahezu alle Berufsschulen in Unterfranken haben, bzw. werden die Klassen einrichten. Abläufe kennenlernen Neben dem Deutschlernen müssen die Schüler die Abläufe in einer Berufsschule kennenlernen, bevor es mit der Berufsorientierung losgehen kann. Zudem werden die Schüler sozialpädagogisch begleitet, auch bei der Praktikums-Vermittlung in Handwerksbetriebe, die vor der Ausbildungs-Vermittlung angesiedelt ist. Zudem muss vielen Flüchtlingen erst einmal der Wert einer Ausbildung verdeutlicht werden, da sie sofort arbeiten möchten, um Geld zu ihren Angehörigen in den Herkunftsländern zu schicken. Es beschäftigen sich sehr viele Netzwerkpartner mit der Flüchtlingsthematik auf operativer Ebene in Unterfranken mit dem großen Ziel, Flüchtlinge in Ausbildung und Beruf zu bringen. Denn es gilt weiter: Nur wer beruflich integriert ist, wird sich auch gesellschaftlich integrieren. Rolf Lauer, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken Foto: Buhl-Löwinger/HWK Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 17 Verband 5 + 6 = 16: Vindest duh den fela? ULLV-Seminar zu den Themen Dyskalkulie und Legasthenie Bad Königshofen. 40 Teilnehmer, vorwiegend aus dem Bereich der Förderlehrer, waren nach Bad Königshofen gekommen, um an zwei Tagen Dr. Petra Küspert zu hören. Die ausgewiesene Expertin für Teilleistungsstörungen überzeugte mit einem immensen Fachwissen und einem reichen praktischen Erfahrungsschatz aus ihrer Arbeit mit betroffenen Kindern. Organisiert hatten das ULLV-Seminar zu den Themen Dyskalkulie und Legasthenie die Fachgruppen „Beratung“ und „Förderlehrer“. Breiten Raum nahm die Vermittlung von Hintergrundwissen zu Lese- und Rechenstörung ein. Nicht nur der aktuelle Forschungsstand, sondern vor allem auch die konkrete therapeutische und fördernde Arbeit standen im Mittelpunkt. Besonders beeindruckend waren die Offenheit und Flexibilität der Referentin bei Anliegen und Fragen der Lehrer, da jeder für sich aus den jeweiligen Tätigkeitsfeldern ein eigenes „Päckchen“ mitgebracht hatte. So stand neben einer eingehenden Darstellung von Symptomen und Diagnosen immer auch die Frage nach konkreten Hilfestellungen im Mittelpunkt. Dabei wurde klar, dass vor allem im vorschulischen Bereich beim Erkennen und Fördern eine entscheidende Phase für einen späteren Schulerfolg oder eben Misserfolg abläuft. Kinder, deren tiefgreifende Probleme nicht oder zu spät erkannt werden, durchlaufen meist eine extrem belastete Schullaufbahn, sie werden als „faul“ abgestempelt, weil ewig ausgedehnte Übungsphasen nur zu geringem Ergebnis führen und extrem ermüden. In Folge davon kommt es dann über Überforderung, Frustration und Verweigerungsverhalten zu einem umfassenden Schulversagen. Nicht wenige dieser Betroffenen geraten in tiefe Depression oder sogar in Suizidgefährdung. Zu wenig Förderstunden für Legastheniker Aber auch bei „diagnostizierten“ Legasthenikern bzw. „Dyskalkulikern“ sind die Hilfsmöglichkeiten von Seiten der Schule alles andere als befriedigend: So stehen für eine Legasthenie trotz rechtlicher Anerkennung über den Nachteilsausgleich viel ULLV-Seminar zu den Themen Dyskalkulie und Legasthenie: Samina Zierhut, die künftige ULLV-Fachgruppenleiterin Förderlehrer, Silvio Rummolino, der noch amtierende Fachgruppenleiter, Ulrich Hofmann, ULLVFachgruppenleiter Beratung,und Dr. Petra Küspert, Diplompsychologin vom Würzburger Institut für Lernförderung. 18 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 zu wenige Förderstunden zur Verfügung, die dann auch noch durch zusätzliche Aufgaben der Beratungs- und Förderdienste ausgedünnt werden. Tatsächlich gibt es mehrzügige Schulen ohne jeden Förderlehrer. Noch schwieriger sieht es bei den Kindern mit Rechenschwäche aus: Da ihre Dyskalkulie keinerlei rechtlich verbindliche Anerkennung findet, können sie auf dem Hintergrund der Lernzielgleichheit oft kaum den Mittelschulabschluss erreichen: Entweder quälen sie sich bei gleicher Leistungsmessung mit den anderen Schülern zu einer wohlwollenden „5“ in der Abschlussklasse, die bei sonst tragfähiger Begabung durch andere Fächer mit Mühe kompensiert werden kann. Oder sie verzichten auf eine lernzielhomogene Beschulung und Benotung, womit sie aber eben keinen erfolgreichen Schulabschluss erreichen können. Ulrich Müller und Silvio Rummolino, die Fachgruppenleiter, stellten kurz ihre politische Arbeit der vergangenen Jahre vor, bei der in enger Kooperation mit der Frauenunion Unterfranken versucht worden war, zumindest einen minimalen Nachteilsausgleich „Dyskalkulie“ auf bayerischer Ebene durchzusetzen. Dies scheiterte aber an Widerständen auf Ebene des Kultusministeriums, wo spürbar massive gymnasiale Ressentiments das Projekt ausbremsten. So blieb am Ende einer intensiven Veranstaltung einige Bitterkeit über die ausbleibende personelle und rechtliche Unterstützung seitens der bayerischen Schulpolitik. Dennoch überwogen die positiven Eindrücke bei den Teilnehmern, die in einem wunderschönen Tagungsambiente und aus professioneller Quelle konkrete Antworten für Theorie und Praxis für ihre Arbeit im Bereich „Teilleistungsstörung“ mitnahmen. Silvio Rummolino Verband Engagiert für Schüler, Lehrer, Studenten Erna Holzinger, ehedem BLLV-Vizepräsidentin, feierte 90. Geburtstag ihren engagierten Einsatz für die Lehrerrechte als langjährige BLLV-Vizepräsidentin (1967 bis 1984) und als Vorstandsmitglied des bundesweiten Verbandes Bildung und Erziehung. Holzinger sorgte für die Gleichberechtigung der Lehrerinnen in den Verbandsgremien, vertrat die Lehrkräfte über mehrere Wahlperioden im Hauptpersonalrat in München und war Mitglied im Europakomitee des Weltlehrerverbandes. Erna Holzinger Foto: Peter Nossol Würzburg. Ende Juli feierte Erna Holzinger ihren 90. Geburtstag. Weit über Bayern hinaus wurde sie bekannt durch In Unterfranken lag ihre berufliche Heimat. Ausgebildet an der Lehrerinnenbildungsanstalt in Aschaffenburg, erhielt sie zunächst Schulstellen am Untermain. Die weitaus längste Zeit wirkte sie in Würzburg, zuletzt bis 1985 als Rektorin an der Goethe-Hauptschule. Der Kampf um gerechte Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen hat sie geprägt. Sie erreichte mit Geduld und Überzeugungs- kraft große Fortschritte für viele Kinder und brachte zusammen mit ihren Lehrerorganisationen das Schulwesen voran. Heute noch profitieren viele Studenten von ihrem sehr großen Engagement: Als 2. Vorsitzende des Vereins Studentenwohnheime des BLLV kümmerte sich Erna Holzinger um den Bau von Wohnheimen in Augsburg und Regensburg. Das Haus in der Würzburger Mariannhillstraße 6 ließ sie sanieren und auf 170 Plätze erweitern und meisterte dabei viele Schwierigkeiten. Der BLLV und der ULLV würdigten ihren unermüdlichen Einsatz jeweils mit der Ehrenmitgliedschaft. Ehemalige Schülerinnen und Schüler und die Lehrerschaft wünschen Erna Holzinger, dass sie ihr Interesse für Bildung und Schule für einige weitere Jahre beibehalten kann. Walter Roth ABJ organisiert Workshop zum Thema Visualisierung Würzburg. Ende April lud die ABJ Unterfranken zum kreativen Visualisierungsworkshop. Ulla Adam, Hochschulreferentin des BLLV, wies die Teilnehmer in die Geheimnisse der Kunst ein, Plakate lebendig, prägnant und ansprechend zu gestalten. Ob als Alternative zu lieblos entwickelten Powerpoint-Präsentationen oder um Tafelbildern, Arbeitsblättern oder Plakaten ein neues Design zu geben: Eifrig wurden die vielfältigen Symbole auf Flipcharts und großen Plakaten geübt und weiterentwickelt. Das Bild zeigt von links: Martina Bohla, die BLLV-Hochschulreferentin Ulla Adam, Johannes Krug, Sabine Jäger, die Vorsitzende der ABJ Unterfranken Linda Wörner, die ULLV-Referatsleiterin Studentenarbeit Gabi Simon, Teresa Gottwald und Stefanie Lazarek. Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 19 Verband Fit für digitale Zukunft Lehrerinnen und Lehrer bilden sich beim ersten ULLV-Medientag Margetshöchheim. Der frühe Veranstaltungbeginn am Samstagmorgen hielt zahlreiche Kollegen nicht ab, den ersten Medientag des Unterfränkischen Lehrerund Lehrerinnenverbandes (ULLV) zur Wissenserweiterung zu nutzen. Es ist kein Zufall, dass eine Arbeitsgruppe zusammen mit Vorstandsmitgliedern Stephan Debes und Julia Schuck die Veranstaltung auf den Weg brachte. Durch die fortschreitende Medialisierung des Unterrichts entsteht bei den Pädagogen akuter Fortbildungsbedarf. Viele Schulen werden mit interaktiven Tafeln ausgerüstet, das Ende der Tafelkreide propagiert. Ist die Idee „bring your own device“ („Bringe Dein eigenes Gerät mit“) wirklich im Trend? Und was ist im Klassenzimmer sinnvoller: Tablets oder Laptops? Um darauf vorbereitet zu sein wurden fast ausschließlich unterfränkische Experten als Referenten für diesen Tag verpflichtet. Natürlich war der Einsatz von interaktiven Whiteboards ein Riesenthema. Über den technischen und finanziellen Aspekt Ist das White-Board die Zukunftstafel? informierten lokale Firmen. Die richtige Nutzung der „Zukunftstafeln“ - denn „neue“ Medien können kein Selbstzweck sein - wurde ebenfalls in einem Workshop erarbeitet. Der Auffrischungskurs Office brachte die Lehrer auf den neuesten Stand. Sicherheitstipps für den PC waren ebenfalls im Angebot. Ein Film wurde mit einfachen Mitteln, beispielsweise Schülerhandies, gedreht. Der Samstagmorgenwecker klingelte auch für eine Gruppe von Grundschülern zusammen mit ihrer Lehrerin. Sie demonstrierten die sinnvolle Nutzung von i-Pads im Unterricht und erstellten einen Zeichentrickfilm. Eine Einführung in die bayerische Medienplattform MEBIS ergänzte das Angebot. Eine Gruppe Lehrer informierte sich über die Gestaltungsmöglichkeiten von schulischen Webseiten. Welche Geräte eine Schule wirklich braucht, stellte ein lokaler IT-Ausstatter dar. Auch Schüler der Mittelschule opferten ihre Freizeit und bewirteten die Gäste perfekt. Am Ende waren sich Veranstalter wie Teilnehmer einig, dass sich das samstägliche Zeitopfer gelohnt hatte. Joachim Huppmann Können Tablets im Unterricht sinnvoll eingesetzt werden? 20 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Verband Marktheidenfelder Senioren auf Kulturreise Marktheidenfeld. Auch in diesem Jahr unternahmen die Senioren des BLLVKreisverbandes Marktheidenfeld eine dreitägige Kulturreise. Das Ziel war der Edersee und das Waldecker Land. Bevor man nun das Reiseziel erreichte, machte man Station im Mathematikum in Gießen. Auch wer keine guten Erinnerungen an dieses Schulfach hatte, der fand hier viel Spaß und viel Freude. Nach Herzenslust konnte man experimentieren, Puzzles legen, Brücken ohne Nägel und Leim bauen oder ganz einfach den Abläufen der komplizierten Kegelbahnen zuschauen. Im Jahre 1905 wurde das preußische Wasserstraßengesetz verabschiedet. Mit dem Ederstausee sollte der Mittellandkanal reguliert und die Weser schiffbar gehalten werden. 5 Jahre dauerte der Bau an der 47 Meter hohen Sperrmauer. Dabei mussten 1000 Personen umgesiedelt werden. Die Einweihung sollte im Jahre 1914 stattfinden. Sie fand aber nie statt, weil der erste Weltkrieg ausbrach. Hoch über dem See erhebt sich die Burg Waldeck. Von hier aus hat man einen herrlichen Ausblick auf den Eder- Das Mathematikum in Gießen – nicht nur ein Ausflugsziel für Seniorengruppen see und auf den Nationalpark Kellerwald. Aber die Burg hat auch eine düstere Vergangenheit. Im 18. und auch im 19. Jahrhundert diente sie als Zucht- und auch als Arbeitshaus und viele mussten dort unter erbärmlichen Bedingungen ihre Strafen verbüßen. Zwei Stunden lang fuhr man mit dem „Stern von Waldeck“ über den Edersee. Am nächsten Tag hatte man vom Baumwipfelpfad einen herrlichen Ausblick auf den See und auf das Naturschutzgebiet. Foto: Mathematikum Zum Abschluss der Reise besichtigte man die Dom- und Kaiserstadt Fritzlar mit ihren herrlichen Fachwerkhäusern. Während der dreitägigen Reise kam auch die Geselligkeit nicht zu kurz. Alte Bekannte trafen sich wieder und erzählten aus früheren Zeiten. Und die Freude war groß als Reiseleiter Adi Krebs versprach auch im kommenden Jahr ein attraktives Reiseziel auszusuchen. Arnold Väth Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 21 Verband Jetzt bequem wechseln und 100,– € Sommer-Bonus kassieren. Das Ko nto spe zie den öff entlich ll für en Dien Bundes st. weit für Sie da: Mit nd wac Direk hsende m Filialn tetz. © fabioberti.it - fotolia.com bank u Das kostenfreie Bezügekonto* mit 100,– € Sommer-Bonus – nur bis zum 31.07.2015 Profitieren Sie jetzt von einem Wechsel: ✔ Exklusiv für BLLV-Mitglieder ✔ Kostenfreie Kontoführung inkl. BankCard ✔ Kostenfreier Konto-Umzugsservice * Voraussetzung: Bezügekonto; Genossenschaftsanteil von 15,- €/Mitglied. Bonus gilt nur für Neumitglieder; nicht mit anderen Prämien kombinierbar. 22 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 Weitere Infos unter www.bllv-wd.de/bbbank.html oder unter Telefon 089/28 67 62-6. Verband Unsere Kinder- und Jugendzeitschriften T O G A R Der neue LehrplanPLUS bekräftigt es: Lesen ist unbestritten eine der Kernkompetenzen, mit deren Hilfe sich Schulkinder die Welt erschließen. Beim Erwerb der Lesekompetenz müssen wir unsere Schüler im Unterricht unterstützen und anleiten. Dabei leisten FLOHKISTE und floh! einen ganz wichtigen Beitrag. Gerhard Bless, BLLV-Bezirksvorsitzender Warum ich Schülerinnen und Schülern und deren Eltern FLOHKISTE oder floh! zum Bezug empfehle? „ Die FLOHKISTE motiviert Kinder in vielen Bereichen. Sie ermöglicht auch bereits Leseanfängern nach kurzer Zeit selbstständiges und vielseitiges Lesevergnügen und eignet sich gut als erster Kontakt mit der Zeitschriftenwelt.“ Natascha Kessler GS WürzburgHeuchelhof TR A Verraten Sie uns, was Sie den Eltern sagen? 089/179134 70 O „ Ich habe die FLOHKISTE selbst schon als Kind gelesen. Heute empfehle ich sie meinen Schülern, weil sie Kindern aller Altersklassen die Möglichkeit bietet, sich kreativ mit dem Lesen und der Sprache auseinanderzusetzen.“ Linda Wörner St.-HedwigGrundschule Kitzingen G S Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 23 Tipps Bezirksverband Unterfranken BLLV · Linsenweg 7 · 97332 Gaibach ZKZ 75210 · PvSt. · Deutsche Post AG · Entgelt bezahlt Lust auf Grün Zu Besuch auf der Gartenschau in Alzenau Noch bis 16. August ist die Gartenschau in Alzenau mit all ihren Attraktionen geöffnet. Doch auch nach dem offiziellen Ende gibt es dort noch viel zu entdecken, denn viele der neuen Anlagen bleiben dem Städtchen im äußersten Nordwesten Unterfrankens auch nach Ausstellungsende erhalten. Die Gartenschau ist zweigeteilt: Im „Generationenpark“ gibt es viele Ideen und Anregungen rund um Haus, Hof und Garten. Die jungen Besucher und werden sich vor allem im „Energiepark“ wohlfühlen. Der steht ganz im Zeichen der erneuerbaren Energiequellen. Es gibt viel zu entdecken und auszuprobieren; ob basteln, plan- …. und in unmittelbarer Nachbarschaft nagelneu: Die Wasserinsel Alzenau In der letzten Schulwoche wurde sie offiziell eröffnet: Die Wasserinsel Alzenau. Dabei handelt es sich um eine neue angelegte Insel an einem ruhigen Seitenarm des Flüsschens Kahl. Die Wasserinsel wurde für Kindergärten und Schulen, aber auch für die Öffentlichkeit angelegt. An fünf Lehrtafeln und interaktiven Stationen wird großen und kleinen Inselbesuchern das Thema Wasser näher gebracht. 24 Unterfränkische Schule Ausgabe 31 Juli 2015 (Besonders zum HSU-Lehrplan der 3./4. Klasse passen alle Themen hervorragend!) Genauso gut kann man aber auch völlig gefahrlos durch das seichte Wasser der Kahl waten, Staudämme bauen, mit Eimer und Kescher das Leben im Wasser erforschen - oder sich einfach ans Ufer setzen und das gemächliche Treiben von Mensch und Natur genießen. schen, klettern – es ist für jeden etwas dabei. Dabei sind Sonnen-, Wind- und Wasserkraft in den verschiedenen SpielLerngärten so angelegt, dass durch Spaß und Selbsttätigkeit ganz unauffällig zum Nachdenken angeregt wird.