Die Gleichnisse Jesu 1 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung
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Die Gleichnisse Jesu 1 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung
Gt 08020 / p. 17 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu Eine Leseanleitung zum Kompendium Ruben Zimmermann Die Gleichnisse Jesu zählen zum Kernbestand des Neuen Testaments, sie sind zugleich ein Stück Weltliteratur. Sie zu kennen, ist eine Pflicht für alle, die zu den Wurzeln abendländischer Kulturgeschichte vordringen wollen. Sie zu verstehen, ist besonders für Menschen, die im christlichen Glauben stehen, eine Herausforderung, die ihr ganzes Leben betrifft. Die vorliegende Einführung soll eine erste Annäherung für beide Perspektiven bieten. So verbindet sie historische und hermeneutische Fragen ebenso wie theologische und forschungsgeschichtliche (1). Auch die literarische Form des Gleichnisses wird eigens diskutiert (2). Doch eine Einleitung kann nur Vorentscheidungen des Kompendiums offenlegen, die Vorgehensweise beim Gesamtwerk und den Einzelauslegungen erklären (3) und somit einige Orientierungsmarken für die Lesenden setzen. Sie soll dabei nichts weiter als eine Hinführung zum Eigentlichen sein. Worauf es ankommt, sind die Gleichnistexte selbst. Sie gilt es zu kennen und zu verstehen. 1 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung 1.1 Zur Überlieferung: Der erinnerte Gleichniserzähler In vielen solchen Parabeln sagte er ihnen das Wort, so wie sie es hören konnten. Ohne Parabel redete er nicht zu ihnen. (Mk 4,33 f.) Jesus war ein Gleichniserzähler. Diese Einschätzung wird nicht nur durch die Fülle der Gleichnisse innerhalb der urchristlichen Jesusüberlieferung gewonnen. Eine bereits in den Evangelien sichtbare Reflexion klassifiziert die Verkündigung Jesu in übergeordneter Weise insgesamt als bildliche Redeweise (Mk 4,33 f.; Joh 16,25). Auch die neueste Phase der Jesusforschung hat diese Grundüberzeugung wieder bestätigt (Funk 1996, 136.165; Theißen/Merz 3 2001, 286-310; Schröter 2006, 188-213). Durch die Gleichnisse hofft man deshalb besonders nah an die Verkündigung des geschichtlichen Jesus heranzukommen, in ihnen glaubt man einen Nachklang der Stimme Jesu hören zu können. So hatte die historische Rückfrage bereits Adolf Jülicher in seinem epochalen Werk »Die Gleichnisreden Jesu« (2 1910) bestimmt und wurde 1947 in das berühmte Diktum des Gleichnisforschers Joachim Jeremias gegossen: »Wer sich mit den 41 Gleichnissen Jesu, wie sie uns die drei ersten Evangelien überliefern, beschäftigt, steht auf besonders festem historischen Grund; sie sind ein Stück Urgestein der Überlieferung.« (Jeremias 11 1998, 7). Allerdings waren die Forscher dieser Zeit auch der Meinung, dass uns die Worte Jesu in den biblischen Texten nicht ungebrochen überliefert seien. Zwischen dem Akt des Sprechens Jesu und der schriftlichen Fixierung in einem der Evangelien vergingen im3 Gt 08020 / p. 18 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium merhin mindestens 40 Jahre, eine Zeit, in der die Texte während eines mündlichen und schriftlichen Überlieferungsprozesses erweitert, ausgelegt und verändert wurden. Es entsprach denn auch der methodischen Grundüberzeugung dieser Zeit, dass man versuchte, die in den Evangelien überlieferten Gleichnisse von ihren redaktionellen Übermalungen zu befreien, um die ureigenste Stimme (ipsissima vox) Jesu wieder hörbar werden zu lassen. Es sollte der Versuch unternommen werden, »den ursprünglichen Ort im Leben Jesu wiederzugewinnen, (damit) Jesu Worte wieder ihren ursprünglichen Klang erhalten« (Jeremias 11 1998, 19; vgl. noch Funk/Hoover 1993). Die Ergebnisse dieser Rekonstruktionsversuche waren allerdings keineswegs konsensfähig. Zu unterschiedlich waren die literarkritischen Analysen, zu sehr waren sie von theologischen Vorentscheidungen geprägt, die durch ein bestimmtes Jesusbild diktiert wurden. Doch auch wenn heute die Rekonstruktion von originalen Jesusworten und -gleichnissen weitgehend aufgegeben wurde, so besteht das Interesse am so genannten ›historischen Jesus‹ ungemindert, ja ist durch den so genannten »third quest« (die dritte Phase) der Jesusforschung neu entfacht worden. Gleichwohl ist man methodisch sehr viel vorsichtiger in der Rekonstruktion von so genannten ›historischen Fakten‹ geworden, da sie sich schon aufgrund der Quellenlage, aber mehr noch aus geschichtsphilosophischen und erkenntnistheoretischen Gründen verbieten. Im vorliegenden Kompendium wird die historisch-diachrone Rückfrage deshalb wesentlich auf folgende Aspekte begrenzt: 1) Die Gleichnisse werden als Medien der Jesuserinnerung betrachtet. 2) Die Gleichnisse können als Spiegel der realen Lebenswelt historisch befragt werden (dazu unter 3.2.3 »Bildspendender Bereich«, 36-39). 3) Die Gleichnisse stehen in einem Prozess der literarischen Rezeption und Produktion. So werden einerseits geprägte Bedeutungen und Motive aufgenommen (dazu unter 3.2.4 »Bildfeld-Tradition«, 39-41), andererseits setzen die Gleichnisse ihrerseits einen Überlieferungs- und Rezeptionsprozess in Gang (dazu unter 3.2.6 »Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte«, 43 f.). Mit Blick auf die hier interessierende Frage nach Jesus, kann grundsätzlich bejaht werden, dass der geschichtliche Jesus von Nazareth ein Gleichniserzähler war. Allerdings zeigt schon die Mehrfachüberlieferung einzelner Gleichnisse, dass der Prozess der Weitergabe seine Spuren auch in den Texten hinterlassen hat. Man kann deshalb wohl kaum davon ausgehen, dass die in den urchristlichen Texten überlieferten Gleichnisse genau in diesem Wortlaut von Jesus gesprochen wurden. Bei einigen ist es sogar eher unwahrscheinlich, dass Jesus überhaupt der Urheber dieser Gleichnisse war. Doch wo und mit welchen Kriterien und Wertmaßstäben will man hier differenzieren? Können Exegeten tatsächlich verbindliche Aussagen über die Authentizität einzelner Gleichnisse treffen? Und wenn ja, in welcher Intention? Wird nicht oft genug mit dogmatischen Vorentscheidungen ausgewählt und bewertet? Die Suche nach dem authentischen Jesusgleichnis ist im Ansatz verfehlt. Denn sie geht vielfach davon aus, dass das Urchristentum beliebig in Verfälschung und Widerspruch zu Jesu Verkündigung Gleichnisse hinzuerfunden hätte. Nach neuen Kriterien der Jesusforschung müssen wir in der Zuschreibung von Gleichnistexten zu Jesus hingegen ein Zeugnis der Wirkungsplausibilität erkennen (Theißen/Merz 3 2001, 116-120). Auch spätere Fixierungen von Gleichnisgut können authentische Elemente bewahrt haben und stehen schon durch die Rückbindung in einer Beziehung zu Jesus. Das vorliegende Kompendium verzichtet deshalb bewusst auf literarkritische und historische Rekonstruktionsversuche, in denen mündliche Vor- oder Urstufen der 4 Gt 08020 / p. 19 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung Gleichnisse rekonstruiert werden (abgesehen von der durch Mehrfachbezeugung plausiblen Q-Rekonstruktion, dazu unten). Gleichwohl nimmt es die Grundüberzeugung des Urchristentums auf, nach dem Jesus als der Gleichniserzähler wahrgenommen wurde. Während die rabbinischen Gleichnisse auf eine Vielzahl von Rabbis als Sprecher verteilt wurden, wurden die Gleichnisse des Urchristentums von den ersten Quellen bis zum Thomasevangelium fast immer Jesus zugeschrieben: Jesus ist der Gleichniserzähler par excellence. Doch die urchristlichen Texte machen damit keine Aussage über ein historisches Faktum. Vielmehr geben sie die Überzeugung wieder, dass man sich an Jesus als Gleichniserzähler erinnerte. Diese in den Einleitungen und narrativen Darbietungen der Gleichnisse manifestierte Erinnerung war ausschlaggebend für die Auswahl der vorliegenden Gleichnistexte. Sofern in biblischen und weiteren urchristlichen Quellen Gleichnistexte Jesus zugeschrieben wurden, wurden sie auch in dieses Kompendium aufgenommen, ohne Prüfung, ob aufgrund des Inhalts oder Alters der Schrift diese Zuschreibung höhere oder weniger hohe Plausibilität besitzt. Weiterführend ist vielmehr die Frage, warum diese beachtliche Konzentration auf und Rückbindung der Gleichnisse an Jesus erfolgte. M. E. kann man hierbei eine Konvergenz zwischen Form und Inhalt erkennen: Gleichnisse sind prädestinierte Medien der Jesuserinnerung (ausführlich dazu R. Zimmermann 2008c). Erinnerung erfolgt nie sprachlos und frei, sondern vollzieht sich in bestimmten Medien und Formen (Erll/Nünning 2004; dies. 2005). Eine Form, derer sich der Erinnerungsprozess bedient, ist allerdings kein inhaltsleeres Gedächtnisvehikel, sondern kann aufgrund der »Semantisierung der Formen« (Nünning 2005, 603) auch inhaltlich maßgeblich auf den Erinnerungsgegenstand einwirken. Dass man sich an Jesus als denjenigen erinnerte, der bildhaft, in Gleichnissen von Gott sprach, konvergiert mit dem christologischen Bekenntnis, dass Christus selbst das »Bild Gottes« (2Kor 4,4; Kol 1,15) ist, der den Vater sichtbar macht (Joh 1,18; 14,7). Der Gleichniserzähler ist selbst das »Gleichnis Gottes« (so nach Jüngel 7 2001, 491.495; Schillebeeckx 1992, 555 f.; vgl. Fuchs 1965). 1.2 Zu Tradition und Umfeld: Maschal, Beispiel oder Fabel? (…) damit erfüllt würde, was durch den Propheten geredet ist, der spricht: »Ich werde meinen Mund öffnen in Parabeln; ich werde aussprechen, was von Grundlegung der Welt an verborgen war.« (Mt 13,35) Die Suche nach authentischen Jesusgleichnissen war in hohem Maße auch von der Überzeugung geprägt, dass sich die Jesus-Gleichnisse wie ein erratischer Block aus Tradition und Umfeldtexten abhoben: »Jesu Gleichnisse sind zudem etwas völlig Neues« (Jeremias 11 1998, 8). Jülicher hatte zwar die Nähe der Gleichnisse zu Parallelen in der jüdischen, (insbesondere) rabbinischen Literatur anerkannt, aber vor allem um sie als Kontrastfolie zu benutzen, vor der sich die Meisterlichkeit und Originalität der Jesus-Gleichnisse abheben sollte: »Der Gegensatz zwischen Jesu Lehrweise und der seiner schriftstellerischen Zeitgenossen aus Israel ist riesengross. (…) Jesus (…) steht als Parabolist über der jüdischen Hagada. Seine Originalität ihr gegenüber ist durch seine Meisterschaft erwiesen. Nachahmer leisten nie Grosses, Unsterbliches.« (Jülicher I 2 1910, 165.172). 5 Gt 08020 / p. 20 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Die zum Teil sogar deutlich antijudaistische Einschätzung Jülichers wurde bereits von seinem Zeitgenossen Paul Fiebig heftig kritisiert (Fiebig 1912, 119-222; vgl. die Debatte in ZNW 13, 1912). Im Bannkreis Jülichers dauerte es aber bis ins letzte Fünftel des 20. Jh., bis dann die jüdischen Wurzeln bzw. rabbinischen Parallelen zu den Gleichnissen Jesu in eigenständigen Untersuchungen differenzierter wahrgenommen wurden (bahnbrechend hierzu Flusser 1981; ferner Dschulnigg 1988). Inzwischen wird kaum mehr bestritten, dass die Gleichnisse Jesu schon rein formal in den Horizont jüdischer Erzählweise eingeordnet werden müssen. So können bereits in der hebräischen Bibel, dem Alten Testament, etwa im »Weinberglied« (Jes 5,1-7), in »Nathans Strafrede an David« (2Sam 12,1-15), in den Pflanzenfabeln von Jotam (Ri 9,7-15) und Joas (2Kön 14,8 ff.) oder der Adler-Fabel in Ez 17,3-10 Texte gefunden werden, die formal und funktional als Vorläufer der ntl. Gleichnisse betrachtet werden können (vgl. C. Westermann 1984). Daneben wurde immer wieder auf den hebr. Begriff lU5m5 māschāl als mögliche Wurzel hingewiesen, zumal der Begriff in der Septuaginta vielfach mit dem griech. parabolffi parabolē wiedergegeben wurde. Die am Paradigma eines normativen Klassifikationsrasters (Zymner 2003b, 10-23) ausgerichtete ältere Formgeschichte hatte allerdings Mühe damit, dass so unterschiedliche Texte der hebr. Bibel mit diesem Begriff bezeichnet wurden. Maschal sei folglich kein Gattungsbegriff im engeren Sinn, sondern diene »zur Bezeichnung einer Reihe literarischer Gattungen (…) im AT: Volkssprichwort, Lehrspruch, Lehrrede, Gleichnis, Orakelrede.« (Eissfeldt 1913, 20). Die konkreten Belege sind in der Tat vielfältig: Neben einer häufigen Belegung in prophetischen (Ez 12,22 f.; 18,2 f. etc.) oder weisheitlichen Texten (Ps 49,5; summarisch dann Spr 1,1; 10,1; 25,1), wo vielfach einzelne Sentenzen und Sprichwörter māschāl genannt werden (z. B. 1Sam 10,12: Ist Saul auch unter den Propheten?) finden sich auch 7 Belege in der Bileam-Erzählung, wo die bildhafte, von Vergleichen lebende Rede Bileams als lU5m5 māschāl bezeichnet wird (Num 23,7.18; 24,3.15.20 f.23, dazu Caesar 2005, Schüle 2008). Gleichwohl zeigt der Gebrauch des Terminus lU5m5 māschāl bzw. in der LXX parabolffi parabolē, dass die Autoren des AT damit eine Gattungsbestimmung erkennen lassen, die ein funktionales Verständnis der Parabel voraussetzt. Durch eine genaue Analyse aller Belege konnte Karin Schöpflin zeigen, dass man mit einem veränderten Gattungsverständnis im Vergleichsvorgang ein übergreifendes und verbindendes Element der verschiedenen Texte wahrnehmen kann, so dass man māschāl als »Gleichwort/Vergleichswort« übersetzen könnte. »Ein lUm entsteht durch einen Vergleichsvorgang. Der Vergleich kann zunächst sowohl in einem Analogie- als auch in einem Kontrastverhältnis zweier Größen bestehen« (dazu Schöpflin 2002, 22 f.). Bernard B. Scott hat darüber hinaus auf die deutungsbedürftige Rätselhaftigkeit als übergeordnetes Moment hingewiesen (Scott 1989, 13). Es ist unschwer zu erkennen, dass ein solches Gattungsbewusstsein auch maßgeblich auf die ntl. Autoren eingewirkt hat, die mit einer entsprechenden funktionalen Bestimmung eine Vielfalt textlicher Formen unter dem Begriff parabolffi parabolē vereinen (mit Scott 1989, 13.21). Dass »Jesus als jüdischer Gleichnisdichter« (Kollmann 2004) betrachtet werden kann und dass besonders in den rabbinischen Gleichnissen eine Fülle (Thoma/Lauer nennen je nach Zählweise 500 bis 1400 Gleichnisse, vgl. Thoma/Lauer 1986, 12) von Vergleichstexten gegeben ist, kann inzwischen als allgemeiner Konsens betrachtet werden. Unklarer ist hingegen die Frage, welche Bedeutung man den reichhaltigen rabbi6 Gt 08020 / p. 21 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung nischen Gleichnissen im Einzelnen beimessen kann. Können sie herangezogen werden, um auf die jüdischen Wurzeln Jesu hinzuweisen (so etwa Young 1989 im Untertitel: »Rediscovering the Roots of Jesus’ Teaching«)? Allerdings wird diese diachrone Fragestellung schon deshalb in ihre Grenzen gewiesen, weil die meisten rabbinischen Gleichnisse in ihrer redaktionellen schriftlichen Überlieferung kaum vor das 3./4. Jh. n. Chr. zu datieren sind (etwa die Pesiqta de Rav Kahana im 5. Jh. n. Chr.). Auch wenn einzelne Texte in ihrer literarischen Rohform in die vorrabbinische Zeit (PesK 11,3) oder in das 2. Jh. (PesK 1,3, nach Thoma/Lauer 1986, 63 f.) zurückzuverfolgen sind, kann damit kaum eine Basis für überlieferungsgeschichtliche Hypothesen gewonnen werden. Der Begriff māschāl wird in der Mischna etwa nur dreimal gebraucht (mSuk 2,9; mNid 2,5; 5,7; dazu Neusner 2006, 259-261). Weiterführend waren hingegen Untersuchungen, die eher in synchroner Weise auf Parallelen zwischen den rabbinischen Gleichnissen und den Gleichnissen Jesu im Blick auf Gattung, Motive, Sujet und Stil hingewiesen haben (vgl. Flusser 1981; Dschulnigg 1988; Young 1989; ders. 1998; F. Stern 2006). Auch die innerjüdische Diskussion um die Rolle der Gleichnisse im Midrash, insbesondere die Frage, ob der nimschal, d. h. die beigefügte Sachdiskussion, als Bestandteil des eigentlichen Gleichnisses (Goldberg 1981; Boyarin 1985) oder als sekundäre Erweiterung (D. Stern 1991; Thoma/Lauer 1986) anzusehen ist, hat sich für einen Dialog als fruchtbar erwiesen. Denn in jedem Fall wurde hierbei die Bedeutung des literarischen Kontextes für das Gleichnisverständnis neu gewürdigt, so dass die Einbettung in christliche oder jüdische Kontexte gerade zum Ausgangspunkt intertextueller Vergleiche werden kann (Hezser 2008). In eine ganz andere Richtung weisen Versuche, durch die die Gleichnisse des Neuen Testaments in den Horizont der griechisch-hellenistischen Literaturgeschichte und antiken Rhetorik eingeordnet wurden (Berger 1973, 25-33; ders. 1984b, 1110-1124; Rau 1990, 18-107; Dormeyer 1993, 140-158). Wie schon Jülicher gesehen hatte (Jülicher I 2 1910, 69 ff., dazu Alkier 1999, 41-47), erfüllen die Gleichnisse Jesu die argumentative Funktion der Überzeugung, und da man sie weithin der mündlichen Rede zuordnete (noch Dormeyer 1993, 140 ff.; Lampe 2006,150-160), konnten sie in den Horizont der antiken Rhetorik-Lehren eingeordnet werden. Dies war umso leichter möglich, als innerhalb der Systematik der antiken Rhetoren wie Aristoteles oder Quintilian gerade auch die ntl. Begriffe parabolffi parabolē und – was bisher übersehen wurde – paroimffla paroimia verwendet wurden. Unter der Hauptkategorie des Beispiels (paradefflgma paradeigma) hatten sowohl Aristoteles im zweiten Buch seiner Rhetorik (Arist. rhet. 1393a, 28-31) als auch Quintilian im 11. Kapitel des 5. Buches seiner »Institutio Oratoria« (Quint. inst.) die parabolffi parabolē als eines der Gestaltungs- und Überzeugungsmittel der Rede angeführt. Auch wenn die von den Rhetoren gegebene Systematik nicht ohne weiteres auf die ntl. Texte übertragen werden darf (dazu unter 2.1.3, ferner R. Zimmermann 2007a), so wurde doch zweifellos zu Recht erkannt, dass die Gleichnisse Jesu vor dem Hintergrund der antiken Literatur und Rhetorik wahrgenommen werden müssen. Auch die von Jülicher ausgegrenzte Kategorie der »Allegorie« (griech. ⁄llhgria allēgoria) muss in diesem Zusammenhang wieder rehabilitiert werden, denn die Nähe zu den ntl. Gleichnissen ist nicht zu übersehen. Während dies im dt.sprachigen Raum nur mühsam gelingt (vgl. dazu Sellin 1978a; Klauck 2 1986; Erlemann 2008b), ist die englisch-sprachige Gleichnisliteratur offener, die Allegorie als Deutungskategorie auch der ntl. Gleichnisse ein7 Gt 08020 / p. 22 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium zubeziehen (vgl. Boucher 1977; Crossan 1973, 8-10, Sider 1985; Blomberg 1990, dt. 1998). Schließlich wurde eine Nähe zur Fabel postuliert, indem seit Jülicher (Jülicher I 2 1910, 94-101) Formparallelen zwischen den ntl. Parabeln und den antiken Fabeln etwa des Stesichoros und des Aesop erkannt wurden (Harnisch 4 2001, 97-105; Beavis 1990; Vouga 1992). Dabei wurde nicht nur das narrative oder ›komische‹ Moment als Strukturparallele wahrgenommen, für F. Vouga ist der Vergleich mit den Fabeln auch überlieferungsgeschichtlich erhellend, weil »die äsopische Tradition den Übergang zwischen der mündlichen Überlieferung und der literarischen Dichtung von Erzählminiaturen explizit reflektiert« (Vouga 2001, 153). Die urchristlichen Gleichnisse Jesu können somit literaturgeschichtlich in den Horizont hellenistisch-römischer Rhetorik ebenso eingeordnet werden wie in den Rahmen des hebr. māschāl oder der jüdischen Erzählgattungen. Wie das Neue Testament überhaupt in vieler Hinsicht eine Synthese zwischen griechisch-hellenistischer und orientalisch-jüdischer Welt markiert, so zeigen sich auch bei den ntl. Gleichnissen Merkmale aus beiden Traditionen. Es würde dabei allerdings den konkreten Texten nicht gerecht, wollte man sie etwa aufgrund der literarischen Gestalt wie z. B. der Länge oder der Funktion im Kontext der einen oder anderen Tradition zuordnen. So war etwa geäußert worden, dass sich kürzere Sentenzen (z. B. Gleichnisse i. e. S. nach Jülicher) eher der māschāl-Tradition und Lang-Parabeln der hellenistischen Rhetorik zuweisen lassen. Eine solche Aufteilung wird weder dem Begriffs-Gebrauch der verschiedenen Traditionsbereiche noch der Komplexität des ntl. Befunds gerecht. Ferner ginge die Einordnung der Gleichnisse Jesu in ihr jüdisches bzw. hellenistisches literarisches Umfeld im Sinne einer »Unter-Ordnung« ebenso fehl wie die erratische Isolation früherer Zeit. Die Jesusgleichnisse können nur angemessen verstanden werden, wenn wir sie in ihrem literarischen Vor- und Umfeld wahrnehmen. Ihre Wirkung kann aber auch nur angemessen gewürdigt werden, wenn man den kreativen und innovativen Umgang mit den vorfindlichen Formen und Motiven anerkennt. Auch wenn die spätere jüdische Tradition – durchaus unabhängig von Jesus – eine weit größere Fülle von rabbinischen Parabeln hervorgebracht hat, finden sich in den ältesten Quellen noch vergleichsweise wenige Texte (s. o.). Wie die neuere Gattungsforschung betont hat, handelt es sich bei Gattungen um »Wiedergebrauchsformen«, die allerdings nicht nur benutzt werden, um einer Botschaft Form zu verleihen, sondern die im Sinne eines dynamischen Gattungsbegriffs durch die Botschaft wiederum in ihrer Form verändert und variiert werden. Die Einbettung in den literaturgeschichtlichen Horizont darf folglich nicht zu überlieferungsgeschichtlichen Engführungen oder gar zu monokausalen genealogischen Ableitungen führen. Traditionelle Formen wurden gerade auch benutzt, um damit Neues zu sagen. Die ntl. Gleichnisse sind insofern auch eine eigene, neue Größe, die in Form, Vielfalt und Quantität, aber vor allem auch hinsichtlich ihrer Botschaft und Theologie für sich gewürdigt werden muss. 8 Gt 08020 / p. 23 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung 1.3 Zur Theologie: Von Gott reden mit Bildern der Welt Er sagte nun: Wem ist das Königtum Gottes gleich, und wem soll ich es vergleichen? (Lk 13,18) Die Frage nach der theologischen Dimension der Gleichnisse kann beim Begriff »Theologie« selbst ansetzen. Theologie (qeologffla theologia) ist – wörtlich übersetzt – das Wort, die Rede von Gott. Doch wie kann man von Gott reden? Steht jeder Versuch eines Menschen von Gott zu reden nicht von vornherein unter dem Verdacht einer Projektion? Sind es nicht, wie in religionsphilosophischer oder psychologischer Kritik vorgebracht, menschliche Ideale oder Sehnsüchte, die dann in den Himmel verlagert werden? Es war vor allem die dialektische Theologie um Karl Barth, die der Gefahr einer solchen Vermenschlichung der Gottesrede bzw. einem entsprechenden Theologieverständnis ein radikales ›Nein‹ entgegensetzte. Gott darf nicht zum Objekt menschlichen Redens und Denkens werden. Theologie könne nicht menschliches Reden über Gott, sondern nur Gottes Reden zu den Menschen bezeichnen. Das eine Wort Gottes, das es dabei vor allem zu hören gelte, sei »Jesus Christus«. Die Theologie als ›Lehre von Gott‹ wird in dieser Weise als eine von Gott selbst stammende Lehre verstanden, die den Menschen durch Offenbarung zugänglich gemacht ist. Menschen können folglich gar nicht von Gott reden. Zugleich sollen sie es zumindest als Gläubige und als Theologen aber tun. Karl Barth hatte zunächst eine selbstbegrenzende, doxologische Vermittlung dieser Spannung vorgeschlagen: »Wir sollen Beides, daß wir von Gott reden sollen und nicht können, wissen und eben damit Gott die Ehre geben.« (K. Barth 1924, 176). Der späte Barth benennt dann allerdings doch eine Weise, wie konkreter gesprochen werden kann: »(D)ie neutestamentlichen Gleichnisse sind so etwas wie das Urbild der Ordnung, in welcher es neben dem einen Wort Gottes, durch dieses beschaffen und bestimmt, ihm genau entsprechend, ihm vollkommen dienend und darum in seiner Macht und Autorität auch andere, wahre Worte Gottes geben kann.« (K. Barth KD IV/3,1, 126). In diese Richtung soll hier weitergedacht werden und wurde natürlich auch schon längst weiter- und vorgedacht. Es entspricht sogar schon dem Selbstverständnis der neutestamentlichen Gotteserkenntnis, wie sie beim Evangelisten Markus sichtbar wird: In der markinischen Wiedergabe lautet das diesem Kapitel überschriebene Jesuswort wie folgt: »Und er (Jesus) sprach: Womit sollen wir das Königtum Gottes vergleichen? Oder in welcher Parabel sollen wir es darstellen?« (Mk 4,30). Der zweite Satz beinhaltet bereits die Antwort auf die im ersten gestellte Frage. Wir können von Gott und Gottes Reich nicht in direkter Weise sprechen. Wir können nur näherungsweise, vergleichend, eben in Gleichnissen bzw. Parabeln davon erzählen. Gleichnisse sind dabei nicht nur irgendeine Weise, vom Reich Gottes, von Gottes Welt zu erzählen. Die Gleichnisse sind die der Sache einzig angemessene Rede von Gott. So radikal hatte etwa Eberhart Jüngel im Rückgriff auf Ernst Fuchs den Eigenwert und Ereignischarakter des Gleichnisses betont. Gott und seine Herrschaftsweise lassen sich nur in der Gleichnisrede adäquat darstellen, lautete die These (Jüngel 1982, 281-342). Dies hängt mit der Sprachform und Metaphorizität des Gleichnisses zusammen. Das Gleichnis stellt, wie es in der Etymologie des Quellenbegriffs parabolffi parabolē 9 Gt 08020 / p. 24 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium (aus para-b€llein para-ballein – nebeneinandersetzen) festgehalten ist, nebeneinander. Es handelt vom Irdischen, das wir kennen, und weist auf das Göttliche, das wir nicht kennen. Gleichnisse reden von Gott mit Bildern der Welt. Besonders offensichtlich wird dieses ›Nebeneinander‹, wenn durch die Einleitungsformel die nachfolgende Erzählung unmittelbar auf das Königtum bzw. die Königsherrschaft Gottes (basileffla to‰ qeo‰ basileia tou theou) bezogen wird. Doch auch wenn diese Zuordnung nicht explizit erfolgt, oder die »Reich-Gottes-Metapher« fehlt, bleibt das Gewöhnliche im Kontext der urchristlichen Überlieferung doch immer in irgendeiner Weise auf die Wirklichkeit Gottes bezogen. Gleichnisse verknüpfen somit die menschliche und die göttliche Welt miteinander, mehr noch: Sie setzen sie – folgt man der Interaktionstheorie der Metapher (dazu s. u.) – nicht nur analogisierend zueinander in Beziehung, sie setzen sie ineinander, sie setzen sie gleich. So lautet etwa eine häufige Einleitungsformel: »Das Reich Gottes ist gleich wie …« (ˆmoi@ ¥stin homoios estin …, Q 6,48 f.; 7,32; Lk 12,36; Mt 13,52 etc.). Doch diese Gleichsetzung folgt nicht der Logik der Mathematik. Indem semantisch Nicht-Zusammengehöriges syntaktisch zusammengezwungen wird, bleibt im »Ist wie« zugleich das »Ist nicht« transparent. Die somit im Gleichnis erzeugte spannungsvolle Zuordnung bewahrt das Wissen um die Begrenzung jeder menschlichen Rede über Gott. Sie wagt sich in ihrer poetischen Fiktion aber zugleich in Grenzbereiche der Einsichts- und Sprachfähigkeit hinein, was zur theologischen Erkenntnis führen kann. Besonders die innovativen Potenziale der Metapher (dazu Buntfuß 1997, 227; R. Zimmermann 2000a, 30-33) erlauben es, das bisher Verborgene, das, wofür es bislang keine Begriffe und Vorstellungen gab, in Sprache zu fassen. Gleichnisse können deshalb zu einer neuen Erschließung von Welt und Sein führen. Jüngel und andere gingen hier noch einen Schritt weiter: Aufgrund des Ereignischarakters dieser Texte komme dem Gleichnis nicht nur eine Erkenntnis-, sondern eine eigene Offenbarungsdimension zu: »Die Basileia kommt im Gleichnis als Gleichnis zur Sprache. Die Gleichnisse Jesu bringen die Gottesherrschaft als Gleichnis zur Sprache« (Jüngel 6 1986, 135). Für Jüngel gewann dieser Satz vor allem im Verständnis der Verkündigung Jesu Relevanz. Die Gleichnisse Jesu sind »der die Verkündigung Jesu einigende Grund. Von ihnen her sind Jesu Gottesanschauung, Eschatologie und Ethik in ihrer ursprünglichen Zusammengehörigkeit zu verstehen. (…) Das Sprachereignis der Gleichnisse bringt indirekt das Gottesverhältnis Jesu selbst zur Sprache.« (Jüngel 6 1986, 173). Doch lässt sich die Wirkweise der Gleichnisse nicht auf den »Sitz im Leben Jesu« begrenzen. Sie haben für uns vor allem einen »Sitz in der Literatur« und entfalten ihre Wirkung somit im Akt des Lesens. Die Bedeutung des Satzes von Jüngel ist deshalb vor allem hermeneutisch zu fassen (Stoellger 2003, 330). Die Gleichnisse geben dabei nicht nur Gott und sein Reich zu verstehen, im Prozess der Aneignung vollzieht sich ein umfassender Prozess des Selbst- und Weltverständnisses. So verwischen die Grenzen zwischen der wirklichkeitsstrukturierenden und wirklichkeitsschaffenden Funktion der Gleichnisse. Gleichnisse sind besonders in ihrer theologischen Dimension nicht nur Spiegel oder Abbilder vorhandener Wirklichkeit, sie können etwa im Sinne einer »verdoppelten Referenz« (Ricœur 1974, 53) zum Modell und Vorbild von Wirklichkeit werden. Sie bieten Visionen, sind Vorgeschmack des Kommenden. Nicht selten entwerfen die Gleichnisse sogar eine kontrafaktische Gegenwelt, die vorhandene Weltentwürfe kritisch in Frage stellen will (z. B. Gerechtigkeitskonzeptionen in Mt 20,1-16) oder die zur Befreiung von in der gegenwärtigen Weltordnung Marginalisierten führen möchte (Suche des 10 Gt 08020 / p. 25 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung Verlorenen in Lk 15). Die Botschaft und ihr Verkündiger sind dabei nicht zu trennen. »Durch Jesus schreibt sich die Herrschaft Gottes in die Geschichten der Menschen ein, ihren Glauben, ihre Hoffnung und Liebe, auch ihr Versagen, ihre Schuld und Verblendung (…). Wenn die Gleichnisse kleine Dramen – Tragödien und Komödien – erzählen, die auf der Bühne des Lebens spielen, machen sie den dynamischen Prozess deutlich, in dem die Gottesherrschaft kommt und alles neu macht« (Söding 2007, 11). Die im Gleichnis von Jesus erzählte Weltordnung Gottes soll somit nicht nur zur Kenntnis genommen werden, sie soll aufgrund der Appellstruktur der Gleichnisse (dazu unten unter 2.3) unmittelbare Wirkungen hervorrufen, sie soll ins Leben greifen, zum Glauben führen. Wenn sich Menschen durch die Gleichnisse ansprechen lassen, dann werden die Visionen einer neuen, anderen Welt schon ein Stück Wirklichkeit. Die theologische Funktion der Gleichnisse beschränkt sich nicht auf Erkenntnis und Glauben. Sie besteht auch im Bereich der Kommunikation. So sehr die Gleichnisrede anspricht und die oder den Einzelne/n erreichen will, so sehr setzt sie in der Polyvalenz ihrer Deutungspotenziale gerade auch einen Kommunikationsprozess in Gang. Um das rechte Verstehen der Gleichnisse muss gemeinsam gerungen werden. Dies gilt in besonderem Maße für Menschen, die aus der Bibel und speziell aus den Gleichnissen Lebensorientierung und Sinnstiftung erwarten. Aber ist die Weise des Sprechens deshalb auf eine Binnenkommunikation beschränkt? Sprechen die Gleichnisse – um eine gängige Chiffre aufzunehmen – die ›Sprache Kanaans‹, die ihre Aussagekraft als Insidersprache am Rand einer spezifischen Gruppe z. B. von Gläubigen verliert? Gleichnisse sprechen die Sprache der Menschen. Indem die Gleichnisse die ›Bilder der Welt‹ verwenden, indem sie konkrete Ereignisse erzählen und theologische Begriffsbildungen vermeiden, bieten sie Anknüpfungspunkte für einen Dialog weit über Theologie und Kirche hinaus. Und sie können sich hierbei auch hinsichtlich ihrer erkenntnistheoretischen Grundlagen durchaus in einen breiten geistesgeschichtlichen Diskurs einmischen. Menschliche Erkenntnis wurde und wird in hohem Maße von metaphorischen Prozessen bestimmt. So hat Taureck eine ganze Philosophiegeschichte anhand von »Metaphern und Gleichnissen« entworfen (Taureck 2004; vgl. auch Blumenberg 1998). Der menschliche Geist braucht Modelle und Bilder, um Neues zu denken. Er braucht Übertragungsvorgänge, um zur Erkenntnis zu gelangen, zumindest dann, wenn sich der Gegenstand, der verstanden werden soll, unmittelbarer Anschauung entzieht. Dies gilt in der Geistesebenso wie in der Naturwissenschaft, wie z. B. bei makro-kosmischen oder mikro-kosmischen Forschungsfeldern. Schon die Sprache etwa im ›Zwergenreich‹ der Nano-Technik (griech. n€nno@ nannos = Zwerg) verrät die metaphorische Durchdringung der Wissenschaft. Immer dann, wenn sich ein Gegenstandsbereich dem sinnlichen Zugriff entzieht, müssen die Daten, die etwa Messinstrumente liefern, in einen Bereich der konkreten Vorstellung übertragen werden. Es vollzieht sich ein metaphorischer Prozess, wenn wir z. B. das Licht als »Teilchen« oder als »Welle« betrachten. Selbstreflexive Naturwissenschaftler können deshalb Hans-Peter Dürr beipflichten: »Auch die Wissenschaft (als Naturwissenschaft) spricht nur in Gleichnissen« (Dürr 2 2004). Das Gleichnis ist somit nicht nur ein urmenschliches, sondern auch wissenschaftlich etabliertes Erkenntnismedium. Die Einsichten, die darüber gewonnen werden, können und dürfen Diskurse entfachen. Dies gilt besonders für die theologische Botschaft 11 Gt 08020 / p. 26 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium der Gleichnisse Jesu, die aller Welt gilt und die die Frage wachhält, was diese Welt überhaupt ›gleichnisfähig‹ macht. Gleichnisse bleiben hierbei eine theologische Sprachkunst im Bewusstsein um die menschliche Begrenzung. So können die im Gleichnis behaupteten Aussagen über Gott und seine Wirkweise zwar nicht bewiesen werden, man kann sie aber ebenso wenig verneinen, denn »poetische Fiktionen (…) sind negationsimmun«. (Hörisch 1999, 121). Manche Leserin und mancher Leser wird nach diesem Abschnitt fragen, was ist denn nun die Theologie der Gleichnisse, was genau wird in den Gleichnissen über die Gottesherrschaft, über Gottes Wirksamkeit ausgesagt oder was erfahren wir über die Theologie des Gleichniserzählers Jesu. Es wäre verfehlt, hier begrifflich z. B. mit Theologumena wie »Gerechtigkeit« oder »Barmherzigkeit« resümieren zu wollen, was Jesus bewusst der bildhaften Rede der Gleichnisse vorbehält. Wer die Theologie der Gleichnisse inhaltlich zu erfassen versucht, kann nicht anders, als sie zu lesen, in ihre Welt einzutreten, um sie von innen heraus zu verstehen. 1.4 Zum Verstehen: Die Leser(innen-)Orientierung der Gleichnisse Und er sagte: Wer Ohren hat zu hören, der höre! (Mk 4,9) Gleichnisse sind Rätselworte. Sie sind nicht klar und eindeutig. Sie folgen ebenso wenig den Gesetzen philosophischer oder mathematischer Logik wie sie bloße Binsenweisheiten formulieren. Nicht erst ein Blick in die Vielfalt späterer Auslegungs- und Rezeptionsgeschichte muss diese Einschätzung bestätigen. Schon die Unterschiedlichkeit im Verständnis dieser Texte innerhalb der ersten Jahrzehnte der Rezeption, wie sie sich anhand der Parallelüberlieferungen von Mt, Lk oder EvThom ablesen lässt, dokumentiert eine Deutungsvielfalt. Und sogar auf der narrativen Ebene eines Evangeliums wird die Notwendigkeit von Auslegung literarisch inszeniert: So kommen die Jünger zu Jesus und bitten: Deute uns die Parabel (…)! (Mt 13,36). Zu zwei Gleichnissen werden dann auch explizit Deutungen gegeben (zum Sämann: Mk 4,13-20par.; zum Unkraut im Weizen: Mt 13,36-43). Auch die markinische Parabel- bzw. Verstockungstheorie kann auf pragmatischer Ebene als ein literarisch verarbeiteter Ausdruck der Deutungsambivalenz der Parabeln verstanden werden. Offenbar waren diese Texte gerade nicht sofort verständlich, ja für manche sogar gänzlich unzugänglich, was zum theologischen Verarbeitungsmodell der ›Verstockung‹ geführt hat (dazu Erlemann 2008a). Auch die traditionsgeschichtlichen Bezüge etwa zum hebr. māschāl fügen sich in dieses Bild, da der māschāl explizit als Rätselrede (z. B. Ez 17,2; Spr 1,6) aufgefasst werden kann. Jülicher hingegen hatte der in seiner Zeit zum Teil wilden Allegorisierung von Gleichnissen, d. h. einer willkürlichen Sinnzuschreibung und textfremden Aneignung, entgegentreten wollen und deshalb die Klarheit und Eindeutigkeit besonders der Gleichnisse im engeren Sinn proklamiert. »Sie vertragen keine Deutung, sie sind so klar und durchsichtig wie möglich, praktische Anwendung wünschen sie sich. Wenn man (…) jemandem einen Spiegel vorhält, dass er seine Hässlichkeit oder Schmutzflecke, die ihn entstellen, wahrnehme, so bedarf man dazu keines weiteren erklärenden Wortes; der 12 Gt 08020 / p. 27 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung Spiegel deutet eben besser, wie es in Wahrheit steht, als man es mit den längsten Beschreibungen zu Stande brächte.« (Jülicher I 2 1910, 114, s. o.). Gewiss, es mag Sprachbilder geben, die unmittelbar einleuchten. Doch gerade auch dann hat sich bereits ein hermeneutischer Prozess ereignet, der nur überraschend schnell zum Ziel gekommen ist. Was Jülicher zu Recht erkannt hatte, ist dies, dass der Verstehensprozess zum Teil mit einer suggerierten Eindeutigkeit des bildspendenden Bereichs arbeitet. Die Selbstverständlichkeit, mit der hierbei Zustimmung erwartet wird, ist dabei ein Aspekt der rhetorischen Funktion, der die Parabel unterliegt. Das intendierte Verstehen eines Gleichnisses kommt allerdings erst dann zum eigentlichen Ziel, wenn der mitunter ganz alltägliche Vorgang, z. B. das Aufstellen einer Lampe, übertragen wird auf eine religiöse Dimension. So ›einleuchtend‹ die vorgestellte Szene auf den ersten Blick scheinen mag, der Übertragungsvorgang ist alles andere als eindeutig. Die von Jülicher postulierte Reduktion auf ein einziges ›tertium comparationis‹ (das Dritte des Vergleichs) muss gerade hier scheitern. Es gibt zwar eine Reduktion von Sinnmöglichkeiten: In der Jesusmetapher von der Tür (Joh 10,7) kann man etwa ausschließen, dass die materiale Beschaffenheit der Tür (z. B. aus Holz) übertragen werden soll. Gleichwohl bleibt eine ganze Reihe von Aspekten bzw. Funktionen der Tür (Ausgang, Eingang, Öffnung etc.) übrig, die sinnvolle Deutungen eröffnet. Die Übertragungsleistung, die hier Bildlichkeit bzw. Metaphorizität genannt wird, impliziert Uneindeutigkeit. Denn sie wird zwar durch Transfersignale in Text und Kontext vorstrukturiert. Sie zu vollziehen, die Sinnfindung auf höherer Ebene auch tatsächlich zu leisten, bleibt aber einem Leser oder einer Leserin überlassen. Der Mehrdeutigkeit eines Gleichnisses entspricht somit seine Appellstruktur. Weil der Sinn der Bildersprache textlich nicht genau festgelegt ist, muss er von Lesenden erst gesucht und gefunden werden. Weil die Gleichnisse deutungsoffen sind, sind sie zugleich deutungsaktiv, d. h. sie evozieren eine Deutung. Anders formuliert: Gleichnisse laden die Lesenden und Hörenden ein, sich auf einen Prozess des Verstehens einzulassen. Der in Mk 4,9 noch einmal explizit formulierte Appell zu hören, liegt schon in den Gleichnistexten selbst. Er geht über die Aufforderung einer auditiven Wahrnehmung hinaus. Die Gleichnisse wollen nicht nur gehört oder kognitiv erfasst werden, sie wollen auch begriffen, gefühlt oder sogar erlebt werden. Indem die Gleichnisse eine eigene Welt entwerfen, in der z. T. Identifikationsfiguren agieren und reden, in Krisen geführt werden und daraus wieder auftauchen, ziehen sie die Lesenden buchstäblich in ihre Welt hinein. Sie können – wie C. Link es trefflich formuliert – »bewohnte Bildwelten« werden. »Verstehen beruht hier (…) geradezu auf der Möglichkeit, in das Szenarium ›einzusteigen‹ und die Rolle eines seiner Akteure zu übernehmen« (Link 1999, 149). Aber Gleichnisse sind kein bloßes Spiel, das zum Eintreten in eine Scheinwelt etwa im Sinne der fiktiven Internetwelt ›second life‹ verführt. Die Auseinandersetzung mit dem Gleichnistext verhilft den Lesenden, sich selbst und ihre konkrete Lebenswelt in einem neuen Licht zu sehen. Das Verstehen der Gleichnisse bedeutet dann, »sich selbst dem Text auszusetzen und von ihm ein erweitertes Selbst zu gewinnen, einen Existenzentwurf als wirklich angeeignete Entsprechung des Weltentwurfs.« (Ricœur 1974b, 33). Um es mit Worten der Tradition zu sagen: Gleichnisse wollen zum Glauben, konkreter: zum Leben aus dem Glauben führen. Diese unmittelbare Ausrichtung auf den je konkreten Leser und die je konkrete Leserin impliziert weit reichende methodische Konsequenzen für die Auslegung. Wenn 13 Gt 08020 / p. 28 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium das hermeneutische Ziel des Gleichnisses nur im je und je vollzogenen Lesevorgang erreicht werden kann, wenn es gerade nicht um historische Fakten- oder allgemeine Vernunftwahrheiten, sondern um konkrete Lebenswahrheiten geht, dann kann es auch keine vorschreibende Auslegung geben. Das Kompendium trägt dieser Leser(innen)orientierung Rechnung, indem Verstehenswege und Deutungshorizonte angeboten werden (dazu 3.2.5), die zu konkreten Aneignungen des Textes einladen. 1.5 Zur Forschung: Ein integratives Modell Wenn sie aber allein waren, erklärte er seinen Jüngern (und Jüngerinnen) alles. (Mk 4,34) Zuletzt soll der vorliegende Ansatz forschungsgeschichtlich eingeordnet werden. Hierbei kann es nicht darum gehen, einen wirklichen Forschungsbericht zu geben (vgl. dazu Erlemann 1999, 11-52; Snodgrass 2000, 3-29; P. Müller 2002, 16-47; R. Zimmermann 2008b). Stattdessen sollen Leitlinien der Annäherung benannt werden, die in unterschiedlichen Phasen der Gleichnisexegese in den Vordergrund getreten sind. Dabei möchte ich idealtypisch drei Perspektiven unterscheiden. Zum einen lassen sich historisch-diachrone Zugänge benennen, die freilich ganz unterschiedliche Gestalt annehmen konnten. So hatte A. Jülicher nach den authentischen Ursprüngen der Gleichnisrede Jesu zurückgefragt (Jülicher 2 1910), was von Ch. H. Dodd (Dodd 1935) oder J. Jeremias hinsichtlich der Frage nach der konkreten Situation eines Gleichnisses im Leben Jesu, ja sogar nach den ipsissima verba (ureigenen Worte) Jesu zugespitzt wurde (Jeremias 11 1998, 14.19 ff.). Neuerdings spricht etwa Scott von »ursprünglichen Strukturen« (Scott 1989, 35-42.54 f.: ipsissima structure). Ähnlich wie Jeremias hat auch J. D. Crossan in seiner ersten Annäherung die Gleichnisse im Leben Jesu zu verankern versucht und dabei besonders die eschatologische Dimension hervorgehoben (Crossan 1973). Daneben wurde der anti-allegorische Zugang von Jülicher vor allem durch sozialgeschichtliche Fragestellungen weitergetrieben. Besonders J. Jeremias hatte hier in seinem Gleichnisbuch Pionierarbeit geleistet (Jeremias 11 1998). In jüngerer Zeit sind dann vor allem die Arbeiten von W. R. Herzog II (Herzog 1994) und L. Schottroff (Schottroff 2005) zu nennen, die eine genaue Situierung der Gleichnisse bzw. ihrer Ersthörer(innen) in einer sozio-kulturell bestimmten Gesellschaftssituation vorschlagen. H.-J. Klauck (Klauck 2 1986) und später E. Rau (Rau 1990) vollziehen eine ›konsequente Historisierung‹, indem die Gleichnisse in ihren literaturgeschichtlichen Horizont eingeordnet werden. Einen anderen diachronen Zugang beschreitet J. Liebenberg, der Überlieferungswege einzelner Gleichnisse nachzeichnet, allerdings nicht, um zu vorschriftlichen Ursprungsstadien zurückzugelangen, sondern um die literarische Fortschreibung und Applikation eines Stoffes innerhalb unterschiedlicher Rahmentexte Q – Mt – Lk – EvThom zu beschreiben (Liebenberg 2001). Einen zweiten Bereich der Gleichnisforschung kann man im Bereich literarischer Zugänge sehen, die sich besonders im Zuge der sprachlichen Wendung (des linguistic turn) der Exegese etabliert haben. Nicht mehr die historische Entstehungssituation oder textliche 14 Gt 08020 / p. 29 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu – eine Hinführung Vorgeschichte, sondern die überlieferten Texte selbst rückten hier in den Mittelpunkt. Eine bahnbrechende Wirkung hatten hier die Arbeiten von Robert Funk (Funk 1966) und Dan O. Via (Via 1967/dt. 1970). Während D. O. Via vor allem die literarisch-ästhetische Qualität der Gleichnisse als »genuine Kunstwerke« (Via 1970, 9) in den Mittelpunkt rückte, war es das Verdienst von R. Funk, die metaphorische Dimension der Gleichnisse neu gewürdigt zu haben. Hatte Jülicher und die ihm folgende Gleichnisforschung die Metapher als Baustein der Allegorie abgewertet, so konnte Funk – nicht zuletzt aufgrund eines veränderten Metaphernverständnisses – die Metaphorizität als Grundkategorie aller Gleichnisse erweisen und ihre kreativen Potenziale und Wirkungen mit Blick auf die Rezipienten herausarbeiten (Funk 1966, 133.137; vgl. auch Funk 1982). Es war dann im europäischen Raum vor allem P. Ricœur, der in Anknüpfung an I. Richards und M. Black die so genannte »Interaktionstheorie« in seiner »lebendigen Metapher« ausarbeitete (Ricœur 3 2004). Die Metapher wurde hierbei nicht auf ein substituiertes Wort begrenzt, sondern immer auf ein Stück Text bezogen (Ricœur 3 2004; zum Überblick R. Zimmermann 2000b), innerhalb dessen eine Wechselwirkung zwischen zwei semantischen Bereichen erzeugt wird, die gewöhnlich nicht zusammengehören. Damit war der Weg für ein metaphorisches Verständnis längerer Erzähltexte geebnet, was Ricœur selbst für die Gleichnisse Jesu fruchtbar machte (Ricœur 1974; ders. 1975; vgl. Perrin 1976). Bis in die Gegenwart werden nun die »Gleichnisse Jesu als Metaphern« (Weder 1978 [= 4 1990]; Klauck 2 1986; Meurer 1997) betrachtet, wobei die Akzente unterschiedlich gesetzt werden können, indem etwa zwischen der »metaphorischen Erzählung« (Harnisch 4 2001) oder der »erzählten Metapher« (Heininger 1991) unterschieden wird. Eine gewisse Ausnahme stellt Ch. Hedrick dar, für den Parabeln keine Metaphern oder Symbole darstellen, sondern »potentially radical poetic fictions that competed with Judaism’s paradigmatic narrative rigidity« (Hedrick 1994, 87; vgl. ders. 2004). Hatte zwar Ricœur schon die Verknüpfung zwischen Narrativität und Metaphorizität in den Gleichnissen wahrgenommen, so hat besonders W. Harnisch die erzählerische und sogar dramaturgische Komposition der Parabeln herausgearbeitet (Harnisch 4 2001). Ferner wurde in dieser Zeit die kontextuelle Verortung der Gleichnisse innerhalb der literarischen Ganzschrift, wie z. B. im Lukasevangelium (dazu Sellin 1974/1975) benannt. Zuletzt möchte ich hermeneutische bzw. leserorientierte Zugänge eigens benennen. Die Ausrichtung auf den Leser war zwar in ethischer oder existenzialer Weise immer wieder benannt worden. Die hermeneutischen Ansätze von E. Fuchs (Fuchs 1958, 219-230) oder die These der »Verschränkung« zwischen dem Urteil des Erzählers und dem Hörenden von seiner Schülerin E. Linnemann (Linnemann 7 1978) gingen weit über die primär historisch ausgerichtete Forschung ihrer Zeit hinaus. Dass die Rezipienten aber nicht nur Adressaten, sondern regelrecht Teilnehmer der Gleichniserzählung seien, wurde erst seit den 70er Jahren intensiver bedacht. So hatte Funk 1966 die Deutungsoffenheit der Parabel aufgrund ihrer Metaphernstruktur gewürdigt, was von M. A. Tolbert (1979) zur polyvalenten Deutungstheorie ausgebaut wurde. E. Arens oder H. Frankemölle verstehen die Gleichnisse als »kommunikative Handlungen« (Arens 1982; Frankemölle 1982), bei denen die drei Dimensionen Sprecher/Hörer, Text und Sache berücksichtigt werden müssen (Arens 1982, 13). Unter Aufnahme der Sprechakttheorie könne man die Gleichnisse Jesu als innovative Sprachhandlungen bezeichnen, in denen Sach- und Beziehungsaspekte miteinander kor15 Gt 08020 / p. 30 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium relieren. Den kommunikativen Aspekt der Gleichnisse hat auf andere Weise C. Kähler vertieft, indem er ihnen verändernde und sogar therapeutische Wirkung zuschreibt und sie als »Phänomene heilender Rede« (Kähler 1995, 125) klassifiziert. D. Massa hat hingegen die kognitiven Prozesse, die im Verstehensvorgang beim Leser ausgelöst werden, unter literaturtheoretischer und kognitionspsychologischer Perspektive in den Blick genommen (Massa 2000). Einen hermeneutisch-positionellen Zugang wählt schließlich M. A. Beavis, die die Perspektive von Frauen – sei es als Akteurinnen auf Erzählebene, sei es als rezipierende Leserinnen – in den Mittelpunkt rückt (Beavis 2002). Betrachten wir die hier idealtypisch vorgeführten Zugänge als historisch, literarisch und hermeneutisch, dann kann das vorliegende Modell als integrativ bezeichnet werden, denn alle drei Perspektiven werden in spezifischer Weise aufgenommen. So geht es zwar in historischer Perspektive nicht um die Rekonstruktion der authentischen Jesusworte und eines postulierten Überlieferungsweges. Gleichwohl werden historische Fragen gestellt, wenn sozialgeschichtlich nach dem »bildspendenden Bereich« gefragt wird, wenn die Übertragungsvorgänge diachron in »Bildfeldtraditionen« eingeordnet werden oder wenn mit der Parallelüberlieferung der Texte eine frühe Wirkungsund Rezeptionsgeschichte wahrgenommen wird. Die literarische Fragestellung wird insofern aufgenommen, als im ersten Analyseschritt eine genaue, linguistisch ausgerichtete »sprachlich-narrative Analyse« geleistet wird. Hierbei spielt die Untersuchung der Erzählweise des Textes ebenso eine Rolle wie die Ermittlung von Transfersignalen und Interaktionsweisen, die seine Metaphorizität anzeigen. Um den Text vor ideologischen Eintragungen und vorschnellen Aneignungen zu schützen, soll er möglichst genau erst einmal in seiner sprachlichen Gestaltung und ästhetischen Struktur untersucht und dargestellt werden. Gleichwohl werden die Parabeln in diesem Kompendium nicht als »autonome Kunstwerke« betrachtet, die isoliert verstanden werden könnten. Die Einordnung in den literarischen Kontext ist ebenfalls ein wesentlicher Aspekt der sprachlichen Analyse, die besonders als Zuordnung zum jeweiligen Quellenbereich verstanden wird. Das Ziel der Gleichnisse ist aber die Auslösung eines Verstehensprozesses. Historische und sprachliche Aspekte sollen nicht zum Selbstzweck ermittelt werden, sondern dienen letztlich einem vertieften Verstehen. Sie bewahren den hermeneutischen Zugang vor einer einseitigen oder vorschnellen Vereinnahmung des Textes und machen sein Eigengewicht, seine Fremdheit deutlich. Historische Hintergründe und sprachliche Gestalt geben die Verstehensrichtung vor, so dass nicht beliebig in den Text hineininterpretiert werden kann. Gleichwohl sollen sie zu einem vertieften Verstehen führen, das zwar durch Auslegungsimpulse vorstrukturiert wird, aber letztlich von jedem Leser und jeder Leserin je neu vollzogen werden muss. 16 Gt 08020 / p. 31 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse 2 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse 2.1 Zur Jülicher-Klassifikation und deren Kritik 2.1.1 Gleichnis – Parabel – Beispielerzählung Es war zweifellos eines der großen Verdienste von Adolf Jülicher, das Gleichnismaterial (das er strikt von der Allegorie unterschied) einer klaren und relativ einfachen Systematik unterworfen zu haben (Jülicher I 2 1910, 25-118): So differenzierte er »Gleichnis« (im engeren Sinn), »Parabel« und »Beispielerzählung«. Bultmann hat das Repertoire noch um »Bildworte« erweitert, die er auf der untersten Stufe bildlicher Redeweise ansiedelt und mit Metaphern und Vergleichen parallelisiert (Bultmann 10 1995, 181-184). Diese Klassifikationen haben (von geringfügigen Modifikationen abgesehen) – zumindest im deutschsprachigen Raum – kanonischen Charakter angenommen, sind sie doch ungeachtet mancher Kritik vom Proseminar bis zum Examen, von Lehrbüchern bis hin zu Spezialuntersuchungen zum Thema und bis in neuere und neueste Gleichnisliteratur hinein anzutreffen (vgl. Knoch 3 1987, 18-20; Strecker 1992, 181-189; Vouga 1999, 76; Reiser 2001, 141-149). Die weite Verbreitung der Begründung dieser Gattungstypen, lässt es gerechtfertigt erscheinen, hier die Wiederholung des Rasters auf einige wenige Skizzen zu beschränken. Als Bildworte werden kurze vergleichende Sentenzen ohne Vergleichspartikel (so wie …) bezeichnet, die häufig doppelgliedrig gestaltet sind. Das Gleichnis i. e. Sinn ist nach Jülicher »die Veranschaulichung eines Satzes durch Nebenstellung eines anderen ähnlichen Satzes« (Jülicher I 2 1910, 69), also ein ausgeführter Vergleich auf der Basis einer Ähnlichkeitsbeziehung. Bei der Schilderung des typischen und wiederkehrenden Geschehens werde das Präsens verwendet. Indem das Gleichnis i. e. S. auf einen allgemein bekannten und natürlichen Vorgang bzw. auf Erfahrungswissen zurückgreife, sei eine gesonderte Deutung überflüssig. Im Kontrast hierzu stehe die Parabel, bei der ein ›ungewöhnlicher Einzelfall‹ frei erfunden werde. Die Geschichte wird nach Jülicher »zum Teil mit einer selbst in kleinen Nebenzügen verschwenderischen Ausführlichkeit« (Jülicher I 2 1910, 93) im Vergangenheitstempus Aorist erzählt. Die Extravaganz des Erzählten erfordere hier eine eigene Deutung. Jülicher hatte darüber hinaus noch die Beispielerzählung als eigene Gleichnisgattung benannt und damit vier Texte des lukanischen Sonderguts klassifiziert (barmherziger Samariter, Lk 10,30-35; reicher Kornbauer, Lk 12,16-21; reicher Mann und armer Lazarus, Lk 16,19-31; Pharisäer und Zöllner, Lk 18,9-14). Die erzählte Geschichte repräsentiere hier bereits, worauf es ankomme, sei also »ein Beispiel des zu behauptenden Satzes« (Jülicher I 2 1910, 112) und ziele auf eine ethische Anwendung. Die Erzählfiguren sollten folglich zum Modell, zum Beispiel des eigenen Handelns werden. Im Folgenden sollen Brüche und Grenzen dieses Modells aufgezeigt werden. Denn die Einfachheit und Klarheit, der die Differenzierung ihren Erfolg verdankt, hält einer Prüfung am konkreten Text und historischen Kontext kaum stand. 17 Gt 08020 / p. 32 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium 2.1.2 Kritik an der so genannten »Beispielerzählung« Die Kritik an Jülichers Klassifikation wurde bislang vor allem an der Untergattung »Beispielerzählung« ausgeführt (vgl. Harnisch 4 2001, 84-97; Baasland 1986, ausführlich Tucker 1998). Während die Parabel indirekt auf etwas Anderes verweise, präsentiere die Beispielerzählung bereits in der Erzählfolge das, worauf es eigentlich ankomme. Doch Jülichers Postulat einer Identität von Sach- und Erzählebene bei der Beispielerzählung ist fragwürdig: Dies wird schon an den von ihm konkret genannten Sachinhalten deutlich. So postulierte Jülicher, dass es beim Samaritergleichnis um den Wert der »echten, opferfreudigen Liebe« gehe, beim Pharisäer und Zöllner um »Demut« (Jülicher I 2 1910, 112; II, 596); beim reichen Kornbauern werde die falsche Sicherheit durch Reichtum thematisiert (die Erkenntnis, »wonach es Thorheit ist, sein Glück durch Reichtum gesichert zu wähnen«, a. a. O., 616), während beim reichen Mann und armen Lazarus »Freude an einem Leben im Leiden« und »Furcht vor dem Genussleben« (a. a. O., 638) erzeugt werden soll. Allein die vielfältige Auslegungsgeschichte der genannten Texte wie z. B. zum Samaritergleichnis widerlegt diese interpretatorischen Engführungen. Auch die unmittelbare Vorbildfunktion der Erzählfiguren ist nicht nachvollziehbar: Denn dass z. B. beim Samariter-Gleichnis jüdische Hörer im Samariter ihre Identifikationsfigur finden sollen, ist kaum vorstellbar. Ferner ist das angeblich fast völlige Zurücktreten der Bildlichkeit bei den Beispielerzählungen nicht erkennbar. Die Nennung von Ortsangaben (Jerusalem; Jericho) oder der Namen einzelner Akteure (Lazarus) entbindet den Leser/die Leserin nicht davon, über das konkrete Szenario hinaus eine abstrakte Sinnebene zu suchen. Ganz wie bei anderen Parabeln wird ein Einzelfall konstruiert, der aber in grundlegendere und auch sachfremde Bedeutungsebenen hinein übertragen werden muss. Der Tiefensinn des realitätsbezogen Erzählten erschließt sich auch hier erst durch metaphorische Interaktion (so auch Funk 1982, 29-34). Konkret: Dass es bei dem Hilfshandeln des Samariters um die Erfüllung des Tora-Gebots der Nächstenliebe geht, wird in der Erzählung selbst gar nicht gesagt, sondern erst im »Neben- und Ineinander« zwischen Kontext und Erzählung sichtbar. Umgekehrt gibt es auch eine ganze Anzahl anderer Parabeln, in deren Erzählwelt das religiöse Leben eine Rolle spielt (z. B. Mk 2,18-20: Fasten; Mk 3,2226: Beelzebul; Mk 7,14-23: rein-unrein; Mt 25,32 f.: Menschensohn), ohne dass sie von Jülicher zu den Beispielerzählungen gerechnet wurden. Überhaupt erscheint es fraglich, ob sich aus vier Texten des lukanischen Sonderguts eine eigene Textsorte rekonstruieren lässt. Eine Zuordnung zur Exempla-Klassifikation der antiken Rhetorik rechtfertigt keineswegs die Absonderung einer Untergattung »Beispielerzählung«, denn alle Formen faktualer Erzählungen und fiktionaler Gleichnisse werden von den Rhetoren unter das große Dach der paradefflgmata (paradeigmata – Beispiele) vereint: Parabeln sind Beispiele (vgl. Quint. inst. V 11, dazu Tucker 1998, 275-395.413; R. Zimmermann 2007a). Schließlich verbietet die Einsicht der neueren Forschung zu literarischen Formen und Textsorten eine weitgehend von Inhalten bestimmte Definition einer Gattung, wie Jülicher sie hier vollzogen hatte. Zuletzt ist auch die Gegenprobe stichhaltig, denn nicht nur die als Beispielerzählungen abgesonderten Texte sind unmittelbar an den Leser appellierende Texte. Alle Parabeln fordern eine Parteinahme, ein Urteil, ja ein bestimmtes Verhalten von den Leserinnen und Lesern, so dass die Appellstruktur keine Sonderstellung rechtfertigt. 18 Gt 08020 / p. 33 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse Fazit: Die Texte, die Jülicher als Beispielerzählung klassifiziert hat, lassen sich problemlos mit den Kriterien der Parabel beschreiben. 2.1.3 Kritik an der Unterscheidung von »Gleichnis i. e. S.« und »Parabel« Unkritischer wird hingegen bis in neueste Veröffentlichungen hinein die Unterscheidung zwischen »Gleichnis im engeren Sinn« und »Parabel« aufrechterhalten. Die hierbei angeführten Unterscheidungskriterien müssen jedoch aus einer Reihe von Gründen in Zweifel gezogen werden: Quellensprachliche Kritik Eine terminologische Differenzierung zwischen Gleichnis i. e. S. und Parabel (oder gar Beispielerzählung) lässt sich an den ntl. und urchristlichen Schriften nicht nachweisen. Die Autoren der ntl. Schriften sprechen in der Einleitung gerade auch zu solchen Texten von parabolffi parabolē, die in der Forschungstradition den Gattungen »Bildwort«, »Gleichnis im engeren Sinn« oder »Beispielerzählung« zugewiesen wurden. Dies sei kurz am Beispiel des Verfassers des Lukasevangeliums erläutert: Hier werden so genannte »Bildworte« wie vom »neuen Flicken auf altem Gewand« (Lk 5,36) oder vom »blinden Blindenführer« (Lk 6,39) in der Einleitung parabolē genannt. Ferner werden so genannte »Gleichnisse i. e. S.« wie z. B. »Die Rangordnung der Tischgäste« (Lk 14,7) oder »Von der Frucht des Feigenbaums« (Lk 21,29) als parabolaffl parabolai eingeführt. Auch die von Jülicher als »Parabeln« klassifizierten Texte wie das Sämann-Gleichnis (Lk 8,4.9.11) oder die »bittende Witwe« (Lk 18,1) werden mit demselben Terminus belegt, ebenso wie schließlich die so genannten »Beispielerzählungen« »Vom reichen Kornbauern« (Lk 12,16) oder »Vom Pharisäer und Zöllner« (Lk 18,9). Eine entsprechende Breite der Texte lässt sich auch bei den anderen Evangelisten nachweisen. Die urchristlichen Evangelisten verwenden insgesamt zwei Begriffe zur Klassifikation der Gleichnistexte: parabolffi parabolē und paroimffla paroimia. Dabei zeigt sich eine quellenspezifische Differenz, denn während die Synoptiker ausschließlich und in auffälliger Häufigkeit von der parabolffi parabolē sprechen, nennt der vierte Evangelist den Begriff gar nicht und spricht stattdessen von paroimffla paroimia (nur vier Mal), wobei sich nur der Beleg in Joh 10,6 auf einen konkreten Text bezieht, die Nennung in Joh 16,25bis.29 hingegen den Begriff als eine übergeordnete sprachlich-hermeneutische Kategorie versteht (R. Zimmermann 2004a, 29-45; Poplutz 2006). Beide Begriffe werden aber in der LXX als Übersetzung des gemeinsamen hebräischen Begriffs lU5m5 māschāl benutzt. Wenn wir versuchen wollen, zunächst das Gattungsbewusstsein der urchristlichen Autoren einschließlich verwendeter Termini aufzunehmen, dann lässt sich m. E. keine terminologisch manifestierte Gattungsdifferenz aus den Quellensprachen ableiten, denn diese wäre nur zu bestimmen, wenn ein Autor mehrere Begriffe (z. B. parabolē und paroimia) auf ähnliche Texte unterschiedlich anwendete. Zugleich kann man aber feststellen, dass die Autoren durchaus ein Gattungsbewusstsein mit den jeweils verwendeten Begriffen verbinden, sei es, dass eine Meta-Reflexion ausgeführt wird (vgl. die so genannte Parabel-Theorie in Mk 4,10-12; oder zu paroimia in Joh 16,25-29), sei es, dass z. B. Lukas übernommene Texte abweichend von der Vorlage nun explizit als parabolffi parabolē klassifiziert (so etwa Lk 6,39; vgl. Q 6,39 / Mt 15,14 ohne Parabel-Begriff; Lk 5,36 im Vgl. zu Mk 2,21; Mt 9,16). 19 Gt 08020 / p. 34 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Will man aus der Quellensprache dennoch einen übergreifenden Gattungsbegriff ableiten, bietet sich am ehesten die »Parabel« an. Zwar ist die etymologisch nahe liegende Übersetzung von parabolffi parabolē mit »Parabel« nicht zwingend, allerdings ist sie dem terminologischen Bewusstsein der urchristlichen Autoren, die gerade mit dem Begriff parabolffi parabolē ein Gattungsbewusstsein zeigen (so z. B. zu Matthäus Münch 2004, 73 ff.), näher als alle anderen Begriffe. Dies gilt umso mehr, als die griech. Sprachwelt bekanntlich ausgehend etwa von Aristoteles durchaus reich an verschiedenen Termini der Bildsprache war: Man denke etwa an t ˆmoion to homoion (das Ähnliche), ¡moith@ homoiotēs (Ähnlichkeit/Gleichheit), metafor€ metaphora (Metapher), ⁄llhgorffla allēgoria (Allegorie), sÐmbolon symbolon (Symbol), m‰qo@ mythos (Mythos), a—nigma/a§nigm@ ainigma/ainigmos (Rätsel) etc. (vgl. R. Zimmermann 2004a, 62). Kritik im Horizont der antiken Rhetorik Immer wieder wurde darauf hingewiesen, dass die Binnendifferenzierung zwischen »Gleichnis i. e. S.« und »Parabel« mit einer Unterscheidung von Gattungen der antiken Rhetoriken korreliere. So sei etwa die terminologische Differenz zwischen parabolffi parabolē und lgo@ logos bei Aristoteles im 20. Kapitel des zweiten Buches der Rhetorik (Arist. rhet. 1393a, 28-31) oder zwischen similitudo und collatio, wie sie Quintilian im 11. Kapitel des 5. Buches seiner »Institutio Oratoria« vollziehe, eine unmittelbare Entsprechung zu Jülichers Unterscheidung. Betrachtet man die innerhalb der Rhetoriken gegebene Klassifikation im Einzelnen (vgl. Details bei R. Zimmermann 2007a), dann wird vor allem die Inkongruenz der Termini und der damit bezeichneten Phänomene mit den Rastern der Gleichnisforschung evident. So gibt Aristoteles in seiner Rhetorik Gestaltungshinweise für Reden, wobei er unter anderem die »Beispiele« (paradefflgmata paradeigmata) in Analogie zur Induktion als mögliches Überzeugungsmittel anführt. Neben den Beispielen, die auf geschehene Dinge zurückgreifen, gebe es fiktive, also frei erfundene Beispiele, die Aristoteles wiederum in parabolaffl parabolai und lgoi logoi unterteilt, wobei erstere sokratische Analogien aus dem Erfahrungsbereich bezeichnen, letztere Fabeln wie die Äsopischen oder Lybischen. Aristoteles benutzt also gerade den Begriff »Parabel« für das, was Jülicher »Gleichnis i. e. Sinn« genannt hatte, eine Identifikation der logos-Fabel mit der Jülicherschen »Parabel« ist aber aus Aristoteles nicht abzuleiten. Auch bei dem lateinischen Rhetoriklehrer Quintilian (ca. 35-96 n. Chr.) findet sich die parabolffi parabolē in seinen Ausführungen zu den Beweisgründen unter der Überschrift der exempla (vgl. von Moos 1988, 48-68). In scheinbarer Anknüpfung an Aristoteles differenziert auch er zwischen den geschichtlichen und den erfundenen Beispielen, allerdings werden dann die geschichtlichen Beispiele als »Beispiele im engeren Sinn« bezeichnet, die »die Erwähnung eines (…) nützlichen, wirklichen oder angeblich wirklichen Vorgangs« (id est rei gestae aut ut gestae utilis … commemoratio, Quint. inst. V 11,6) beinhalten. Daneben stehen die fiktiven Beispiele, denen Quintilian die Fabeln (abschätzend ›fabella‹ genannt) und paroimfflai paroimiai zuordnet, letztere seien »eine Art kürzere Fabel und allegorisch zu verstehen« (Quint. inst. V 11,21). Als weitere, von den bisher genannten abzugrenzende Gruppe benennt Quintilian nun noch die similitudines, wobei er weiter in similitudo im engeren Sinn als Vergleichung ohne Übertragung und collatio (synonym mit dem Lehnwort parabolffi parabolē) als Vergleich von weit her (z. B. aus dem leblosen Bereich) differenziert (s. Tab.). 20 Gt 08020 / p. 35 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse Tab. Exempla-Differenzierung nach Quintilian (inst. V 11), in Weiterführung des Schaubilds von Dormeyer 1993, 146. Wer nun versucht ist – wie seinerzeit noch D. Dormeyer (Dormeyer 1993, 142-146) –, in der von Quintilian gegebenen Unterscheidung von similitudo und collatio das metaphernlose »Gleichnis i. e. S.« und die den ungewöhnlichen Einzelfall schildernde »Parabel« im Sinne Jülichers wiederzuerkennen, der wird durch die konkreten Beispiele des Quintilian eines Besseren belehrt. Entscheidend ist für Quintilian nicht die Alltäglichkeit oder Außergewöhnlichkeit des Erzählten, sondern vielmehr die Nähe oder Ferne des Vergleichsgegenstands zum Erklärungsgegenstand. So kann der besondere Fall, dass sich Kandidaten, die sich auf dem Wahlplatz haben Geld geben lassen, zur similitudo für bestechliche Richter werden, während der alltägliche Vorgang der Pflege des Ackerbodens als Beispiel einer »aus der Ferne« geholten collatio/parabolē angeführt wird (Quint. inst. V 11,22.24). Das maßgebliche Kriterium für die Gattungsdifferenzierung ist eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen zwei Ebenen. Die Bildungsmechanismen oder Formen des Ineinandergreifens werden dann z. T. sehr differenziert beschrieben (Teil – Ganzes, vom Kleineren zum Größeren und vice versa, ähnlich – unähnlich – gegensätzlich, von Nahem – von Weitem etc.) Zwar werden innerhalb antiker Rhetorik mit parabolffi parabolē und sogar paroimffla paroimia Termini verwendet, die auch im Neuen Testament vorkommen. Eine Entsprechung der damit beschriebenen Phänomene zur Binnendifferenzierung der Gleichnisse in der Jülicher-Tradition kann aber keineswegs erkannt werden. Forschungsgeschichtliche Kritik Mag die Klarheit der Binnendifferenzierung vielleicht im Sinne wissenschaftssprachlicher Codes noch einen heuristischen Sinn haben, so wird im Blick auf die konkrete Anwen21 Gt 08020 / p. 36 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium dung des Rasters auf das Korpus der Gleichnisse gerade auch dieser Wert zweifelhaft. Denn Forscher, die sich zu dem genannten Klassifikationsraster von »Gleichnis i. e. S.« und »Parabel« bekennen, kommen in Applikation auf die konkreten Texte zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Als Beispiel möchte ich hier nur auf die für die Formgeschichte in unserem Bereich prägenden Exegeten Jülicher und Bultmann verweisen, die diesselben Texte teilweise in konträrer Weise unterschiedlichen Gattungen zuordnen: Text Mk 4,26-29 (selbstwachsende Saat) Mk 4,30-32 (Senfkorn) Lk 7,31-35 (spielende Kinder) Lk 15,4-7 (verlorenes Schaf) Lk 15,8-10 (verlorene Drachme) Mt 13,44-46 (Schatz im Acker; Kaufmann und Perle) Mt 13,47-50 (Fischnetz) Jülicher Parabel Parabel Parabel Parabel Parabel Parabel Parabel Bultmann Gleichnis Gleichnis Gleichnis Gleichnis Gleichnis Gleichnis Gleichnis Jülicher selbst gesteht bereits die Schwierigkeit der Abgrenzung ein: »Allerdings sind die Grenzen fliessende; man kann bei einigen Perikopen zweifeln, ob sie mit mehr Recht zu der ersten Gruppe oder zu einer höheren gezählt werden dürfen, z. B. bei Mt 7,24-27 dem Bildwort vom Hausbau auf Felsen oder Sand, bei Lk 11,5-8 der parabolffi vom ungestüm bittenden Freund.« (Jülicher I 2 1910, 92). Auch Bultmann muss die Begrenzung der Anwendung seines Rasters auf konkrete Texte eingestehen (Bultmann 10 1995, 189). Eignet sich aber ein Klassifikationssystem gerade nicht, um zu klaren, konsensfähigen Ergebnissen zu gelangen, sollte man die postulierten Kriterien oder übergeordnete Deutungskategorien wie die genannten Teil-Gattungen in Frage stellen. Sprachlich-formale und inhaltliche Kritik Überzeugend schien die Differenz vor allem auch wegen einer Konvergenz sprachlicher und inhaltlicher Kriterien: So war man der Überzeugung, dass das Gleichnis i. e. S. im Präsens von einem alltäglichen Vorgang berichte, während die Parabel von einem außergewöhnlichen Einzelfall im griech. Vergangenheitstempus Aorist erzähle (s. o.). So evident diese Unterscheidung auf den ersten Blick schien, so wenig konnte sie durch die Fülle der ntl. Texte bestätigt werden. Schon mit Blick auf die Tempusverwendung ist der Befund alles andere als eindeutig: So finden sich bei vielen Texten Zeitenmischungen (»Schatz im Acker« Mt 13,44; »wachende Knechte« Lk 12,35-38; »Weg zum Gericht« Lk 12,58 f.; »Brot der Hunde« Mk 7,27 f. etc.), ferner wechseln die Zeitformen innerhalb der synoptischen Überlieferung: So wird z. B. das Senfkorngleichnis bei Mk 4,30-32 im Präsens als Grundzeitform wiedergegeben, während dasselbe Gleichnis unter Lk 13,18 f. und Mt 13,31 f. im Aorist erzählt wird. Haben Matthäus und Lukas hier tatsächlich aus dem ›Gleichnis i. e. S.‹ eine ›Parabel‹ gemacht? Auch die von Jülicher eingeführten und im Weiteren immer wieder rezipierten Differenzierungen hinsichtlich des Referenzbereichs halten einer kritischen Prüfung nicht stand: Denn ist es angesichts antiker Aussaatpraxis wirklich so außergewöhnlich, wenn einiges Saatgut auf Wege oder in Dornen fällt? Oder handelt es sich um einen alltäglichen Vorgang, dass ein Blinder sich als Blindenführer anbietet oder dass ein Hausherr auf 22 Gt 08020 / p. 37 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse Reisen sein Haus den Sklaven überlässt? Oder »mutet es wirklich sensationell an« (Harnisch 4 2001, 67), wenn ein Richter aus dem Bedürfnis, endlich seine Ruhe zu haben, einer insistierenden Witwe nachgibt (Lk 18,2-5)? Und welcher Vater würde sich nicht über die Rückkehr seines verloren geglaubten Sohnes freuen und feiern? Ein außergewöhnlicher Einzelfall? Die Grenzen zwischen Alltäglichem und Außergewöhnlichem, zwischen Allgemeinem und Individuellem sind fließend. Alltäglich erscheinende Vorgänge wie die Brotteigbereitung erweisen sich bei näherem Hinsehen (Teigmenge; Auslassung des Knetvorgangs) gerade als ungewöhnlich (vgl. dazu die Auslegung von Q 13,20 f.). Außergewöhnlich erscheinende Begebenheiten (wie die nächtliche Ankunft eines Bräutigams nach Mt 25,113) lassen sich hingegen durch vertiefte Kenntnis der sozialgeschichtlichen Ausgangssituation wie hier des Hochzeitsrituals als normal einstufen (vgl. dazu R. Zimmermann 2002). Die Beurteilung von extravaganten Zügen hängt in hohem Maße von der Kenntnis des bildspendenden Bereichs und der Kommunikationssituation ab, die uns aber vielfach nicht (mehr) zugänglich sind oder hypothetische Konstrukte bleiben. Hieraus ein Gattungs-Kriterium abzuleiten, erscheint deshalb problematisch. Bei jedem Text vollzieht sich in seinem übertragenen Referenz-Kontext eine Abstraktion vom Allgemeinen oder Individuellen, die erst ein Verstehen ermöglicht. Eine kategoriale Unterscheidung der Texte scheint mir deshalb im Blick auf ihren bildspendenden Bereich nicht möglich. Fazit: Die genannten Kritikpunkte machen deutlich, dass die Differenzierung des ntl. Gleichnisstoffes in Bildwort, Gleichnis i. e. S., Parabel und Beispielerzählung den ntl. Texten eine sachfremde Logik aufzwingt, die nicht länger fortgeschrieben werden darf. So ist es an der Zeit, sich nicht nur von der Untergattung »Beispielerzählung« zu verabschieden, sondern auch den Gattungsbegriff »Gleichnis im engeren Sinn« aufzugeben und den traditionellen Begriff »Gleichnis« nur noch als unscharfen Oberbegriff bildlicher Redeformen beizubehalten. Ausgehend von dem Gattungsbewusstsein und Terminusgebrauch der ntl. Autoren sowie der Fülle des Textmaterials scheint mir »Parabel« die einzige angemessene Bezeichnung zu sein, die auch in diesem Kompendium maßgeblich wurde: Parabel – sonst nichts! 2.2 Was ist überhaupt eine »Gattung«? Bevor nun im Folgenden die für dieses Kompendium maßgebliche Gattungsdefinition der Parabel gegeben wird, ist es hilfreich, einige grundsätzliche Bemerkungen zu Form und Gattung voranzustellen. Entgegen der früheren Überzeugung von der Existenz eines übergeschichtlichen Klassifikationssystems von Gattungen, in das dann Einzeltexte aufgrund von Übereinstimmung oder Abweichung einzelner Merkmale eingeordnet werden könnten, wird heute in der literaturwissenschaftlichen Gattungstheorie an der geschichtlichen Kontingenz eines Gattungssystems nicht mehr gezweifelt (vgl. Duff 2000; Zymner 2003a, 7-36). Gattungen müssen »als eine bestimmte kommunikative Praxis, die immer auch eine hermeneutische Praxis ist« (Zymner 2003a, 59), betrachtet werden. Gattungen sind Teil eines Kommunikationsprozesses, bei dem sich die Teilnehmer/innen auf ein bestimmtes 23 Gt 08020 / p. 38 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Merkmalsbündel verständigen und Übereinstimmungen oder Abweichungen erkennen können. Dabei können Gattungen jedoch nicht im Sinne der normativen oder auch induktiven Gattungspoetik als allgemeine Idealformen oder natürliche Urformen beschrieben werden. Vielmehr sind sie »offene Systeme«, die im Sinne von Wittgensteins Familienähnlichkeit durch Übereinstimmung einer Vielzahl von Merkmalen konstituiert werden. Dieser Ansatz besagt zugleich, dass sich Gattungen »nicht mehr trennscharf voneinander unterscheiden, sondern fließende Grenzen haben und sich ob ihrer Nichtabgeschlossenheit auch leicht ausdehnen, verengen oder verlagern können« (Wenzel 2004, 214). Auf diese Weise können nicht nur Transformationsprozesse innerhalb der Entstehung und Veränderung einer Gattung leichter erfasst werden, auch Mischgattungen (hybride genres) sind erklärbar, da Einzeltexte an den Merkmalen unterschiedlicher Gattungen partizipieren können. Wenn sich Gattungen somit nicht mehr allein aus philologischen Kriterien ableiten lassen, können sie rezeptionsästhetisch als Konstrukte im Bewusstsein ihrer Leser(innen) betrachtet werden (vgl. auch Ricœur 1982, 277: »kein Mittel der Klassifikation, sondern ein Mittel des Herstellens«). Die Feststellung von Merkmalsähnlichkeiten hängt damit aber letztlich vom Ermessen einer Kommunikationsgemeinschaft ab. Im Blick auf die formgeschichtliche Bestimmung der Gleichnisse Jesu besagt dies Folgendes: Statt eines übergeordneten Klassifikationssystems kann man verschiedene Kommunikationskreise bestimmen, innerhalb derer ein bestimmtes Bewusstsein für die Gleichnis-Gattung besteht. Auf der einen Seite ist hier an die urchristliche Kommunikationsgemeinschaft zu denken, bei der ein bestimmtes Gattungsverständnis vorausgesetzt werden darf. Auf der anderen Seite steht die Interpretationsgemeinschaft gegenwärtiger Leser(innen). Eine Deckungsgleichheit zwischen beiden Gruppen wird zwar nicht zu erzielen sein, allerdings sollten gravierende Widersprüche vermieden werden, wie sie etwa im Falle der genannten Jülicher-Klassifikation aufgezeigt wurden. Ausgangspunkt ist also zunächst das Gattungsbewusstsein der urchristlichen Autoren, die offensichtlich eine Fülle unterschiedlicher Texte unter ihren Gattungsbegriffen vereinen konnten. Wir müssen entsprechend fragen, welche Merkmale alle unter den Begriffen paroimffla paroimia und parabolffi parabolē genannten Texte aufweisen. So kann man eine kleinste gemeinsame Schnittmenge von Merkmalen bestimmen, die z. B. Narrativität und Metaphorizität als Minimalkriterien umfasst. Andere wie Kontextualität oder Fiktionalität ließen sich hinzunehmen. Ist die Selbstklassifikation zwar ein hilfreiches und auch hinreichendes Kriterium zur Bestimmung von Parabel-Texten, so ist sie doch keine notwendige Bedingung. Dies wird besonders daran sichtbar, dass Parabel-Texte im Laufe der synoptischen Überlieferung ihren Textcharakter beibehalten, aber nicht von allen Evangelisten gleichermaßen als parabolffi parabolē klassifiziert werden. Umgekehrt werden Texte, die ähnliche oder sogar gleiche Merkmale aufweisen, nicht konsequent mit dem Gattungsbegriff eines Autors belegt, was z. B. in den narrativen Quellen wie den Evangelien auch dem Stil der Erzählung geschuldet ist. Es gibt also Texte, die durchaus aufgrund eines bestehenden Merkmalsbündels zu den Parabeln gerechnet werden dürfen, auch wenn die terminologische Benennung im Einzelfall fehlt. So gilt es, zwar ausgehend von den urchristlichen Texten, aber im heuristischen Sinn darüber hinausführend, ein Merkmalsbündel zu bestimmen, das dann bei der Untersuchung und Bestimmung von Parabeltexten angewandt werden kann. 24 Gt 08020 / p. 39 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse 2.3 Das Merkmalsbündel der Gattung »Parabel« Ungeachtet der Verschiedenheit der sprachlichen Gestaltung zeigen die Texte, die im NT paroimffla paroimia oder parabolffi parabolē genannt werden, doch verbindende Charakteristika, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, hier von einer gemeinsamen »Gattung« zu sprechen. Als markanteste Kriterien werden vielfach »Narrativität« und »Metaphorizität« benannt (Ricœur 1982, 248; Heininger 1991, 21-30; Söding 2003a; Dormeyer 2008 u. a.), manche fügen noch die »Kürze« hinzu (Crossan 1980, 2-5; Rau 1990, 73-83; Scott 1989, 35: »a short narrative fiction«). Allerdings stehen diese Merkmale im engen Verbund mit anderen Kriterien, die zur Präzisierung ebenfalls benannt werden müssen (Erlemann 1999, 75 f. nennt sogar 12 gemeinsame Merkmale). In Anlehnung an die von R. Zymner vorgeschlagene Beschreibung (Zymner 2003b, 502) soll für das Kompendium folgende Definition gelten: Eine Parabel ist ein kurzer narrativer (1), fiktionaler (2) Text, der in der erzählten Welt auf die bekannte Realität (3) bezogen ist, aber durch implizite oder explizite Transfersignale zu erkennen gibt, dass die Bedeutung des Erzählten vom Wortlaut des Textes zu unterscheiden ist (4). In seiner Appellstruktur (5) fordert er einen Leser bzw. eine Leserin auf, einen metaphorischen Bedeutungstransfer zu vollziehen, der durch Ko- und Kontextinformationen (6) gelenkt wird. Zugespitzt auf Attribute lassen sich sechs Merkmale der Parabel unterscheiden, die im Folgenden näher erläutert werden. Definieren heißt nicht nur bestimmen, sondern im ureigenen Sinn auch begrenzen, deshalb sollen bei den Kurzcharakteristika in idealtypischer Weise auch Abgrenzungen der Parabel zu anderen Gattungen benannt werden: 25 Gt 08020 / p. 40 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium 1) Narrativ Parabeln sind kurze Erzählungen, d. h. narrative Texte, bei denen mindestens eine Handlungssequenz oder eine Statusveränderung berichtet oder vorgestellt wird. Parabeln unterscheiden sich deshalb von bildhaften Stilformen/Tropen (Wortmetaphern, Symbol, Metonymie) oder Vergleichen. So liegen in Q 17,24 (Menschensohn »wie Blitz vom Himmel«) oder Mt 10,16 (Jüngersendung »wie Schafe unter Wölfe«) bloße Vergleiche vor. In Mt 5,13 f. (»Ihr seid das Salz der Erde … ihr seid das Licht der Welt«) fehlt die Vergleichspartikel, statt dessen werden Satzmetaphern der Form »A ist B« gebildet, die aufgrund mangelnder Narrativität isoliert betrachtet noch keine Parabeln darstellen. Parabeln sind Erzählminiaturen, die auf das Wesentliche konzentriert sind und im Extremfall nur z. B. aus einem Handlungsverb bzw. einem Handlungssubjekt bestehen. Vielfach wird aber von unterschiedlichen Figuren in komplexeren Beziehungskonstellationen und mehrstufigen Handlungssträngen erzählt. Gleichwohl bleibt die Erzählung auf wenige Sätze beschränkt und unterscheidet sich deshalb von längeren Erzählgattungen (Epos, Roman, Kurzgeschichte etc.). 2) Fiktional Die Parabel ist eine »fiktionale Erzählung«, sie ist ausgedacht – im Gegensatz zu einer »faktualen Erzählung«, die sich auf tatsächlich stattgefundene (oder als solche geglaubte) geschichtliche Ereignisse bezieht (Genette 1992, 66). Obgleich auch die ›faktualen Erzählungen‹ in hohem Maße fiktional sind, es also immer nur die »Fiktion des Faktischen« geben kann (H. White 1991, 145-160; zur Antike Backhaus/Häfner 2007, 1-29), gibt es Erzähltes, das von vornherein nicht den Anspruch auf eine geschichtliche Referenz erhebt. Um solche erdachten und erdichteten Erzählungen geht es hier. Auch die antike Rhetorik unterschied bereits zwischen geschichtlichen und erfundenen Beispielen. So hatte Aristoteles im 2. Buch der Rhetorik (20) im Rahmen seiner Erörterung von Beweisverfahren unter dem Oberbegriff »Beispiele« (paradefflgmata paradeigmata) das paradefflgma (paradeigma) im engeren Sinn als historisches Beispiel definiert und davon die »künstlichen«, d. h. frei erfundenen, Beispiele abgegrenzt, für die unter anderem der Begriff parabolffi parabolē verwendet wurde. Entsprechendes lässt sich bei Quintilian beobachten. Ein ntl. Beleg für ein historisches Beispiel wäre hier etwa Mt 12,40: »Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Seeungetüms war, so wird der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein.« Hier handelt es sich zweifellos um eine kleine Erzählung, die metaphorisch auf einen anderen Sachverhalt (Menschensohn) übertragen wird. Allerdings ist die Erzählung nicht fiktional, sondern bezieht sich auf ein geschichtlich vorgestelltes Ereignis (Prophet Jona). Es handelt sich hier folglich nicht um eine Parabel im Sinne des Kompendiums. Andere biblische Beispiele wären die joh Semeia-Erzählungen wie z. B. die Hochzeit von Kana (Joh 2,1-11), deren metaphorischer Charakter in der Perspektive eines narrativen Rollentauschs kaum geleugnet werden kann (vgl. R. Zimmermann 2004a, 203-215), die aber im narrativen Rahmen als faktuale Erzählung bestimmt wird. 26 Gt 08020 / p. 41 / 18.10.2007 Die Form bzw. Gattung der Gleichnisse 3) Realistisch Die Parabel weist einen engen Realitätsbezug auf, sie erzählt von der erlebbaren Welt. Die Parabeln sind zwar erfunden, aber – um es mit U. H. J. Körtner zu sagen – es geht um ›erfundene Wahrheit‹ (Körtner 2001, 370-373). Das, was hier erzählt wird, könnte tatsächlich so stattgefunden haben, Parabeln sind deshalb ›realistisch‹ (vgl. Erlemann 1999, 75: »pseudorealistisch«). Parabeln unterscheiden sich in dieser Weise deutlich von fantastischen Erzählungen (science fiction) oder apokalyptischen Visionen. Sie unterscheiden sich mit ihrem Realitätsbezug auch von Fabeln, in denen z. B. Tiere oder Pflanzen in anthropomorphisierender Weise sprechen und handeln, oder von Mythen, in denen die allgemeine Erfahrungswelt z. B. durch menschlich agierende Götter gesprengt wird (mit Zymner 2003b, 502). 4) Metaphorisch Die Parabel weist anhand von internen oder externen Transfersignalen (Zymner 1991, 87-96) auf eine Ausssage hin, die jenseits der primären Sinnebene liegt. Die Parabel hat also eine »metaphorische« oder so wörtlich »übertragene« (meta–fffrein meta-pherein = übertragen) Bedeutung. Mit anderen Worten findet ein semantischer Bedeutungstransfer zwischen verschiedenen Sinnbezirken statt. Das hierbei vorausgesetzte Metaphernverständnis knüpft an die von I. Richards und M. Black beschriebene und von P. Ricœur weiterentwickelte »Interaktionstheorie der Metapher« an. Eine Metapher ist demnach nicht auf ein substituiertes Wort begrenzt, sondern schließt immer ein Stück Text ein (Ricœur 3 2004; zum Überblick R. Zimmermann 2000b), innerhalb dessen eine Wechselwirkung zwischen zwei oder mehreren semantischen Bereichen erzeugt wird. Es ist nicht auszuschließen, dass einzelne Parabeln darüber hinaus Wortmetaphern etwa im Sinn einer Metonymie oder Synekdoche oder symbolische Elemente beinhalten, vorrangig soll aber die Funktionsweise des Parabeltextes als Ganzem hier »metaphorisch« genannt werden. 5) Appellativ – Deutungsaktiv Die Parabel spricht an, sie will gedeutet werden. Gerade auch aufgrund des metaphorischen Charakters wird unterstrichen, dass der Sinn einer Parabel nicht schon in den Buchstaben festgelegt ist. Der metaphorische Prozess ist nicht schon abgeschlossen, sondern muss im Akt des Lesens je und je neu vollzogen werden. R. Zymner hat hier von der »Appellstruktur« der Parabel gesprochen (Zymner 1991, 60-62). Die Parabel ist also deutungsaktiv, weil sie eine Sinnkonstitution vom Leser/von der Leserin erwartet. Sie ist zugleich notwendig deutungsoffen, weil die Sinnkonstitution nicht festliegt und auf je unterschiedliche Weise erfolgt. Gerade auch die narrativen Elemente wie rhetorische Fragen, offenes Ende etc. rufen den Deutungsprozess hervor. Sie provozieren einen Leser oder eine Hörerin zur Stellungnahme. Sie drängen ihn oder sie zu einer Einsicht, zu einem vertieften Verstehen, ja sogar zum Handeln. 27 Gt 08020 / p. 42 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium 6) Ko- bzw. Kontextbezogen Parabeln sind eingebettet in größere Erzählzusammenhänge oder in Reden und Argumentationsgänge, die die Sinnkonstitution und Leserlenkung in hohem Maße beeinflussen. Diese Kontextbezogenheit der Parabel wird hier als konstitutiv betrachtet. Sowohl die Transfersignale, die den metaphorischen Charakter einer Parabel anzeigen, als auch die Verstehensimpulse, die die Sinnstiftung des Textes vorstrukturieren, liegen meist nicht ausschließlich in der Parabel selbst. Erst der konkrete Ort innerhalb einer Sammlung von Sprüchen, im literarischen Umfeld bzw. im Kontext der Ganzschrift erlauben eine Sinnzuschreibung (wie z. B. bei parallel überlieferten Parabeln sichtbar wird). Ferner sind sogar die Sprech- und Lesesituation sowie die Lebenswelt der Kommunikationssituation einschließlich der geprägten Sprachformen (z. B. Bildfelder) als Ko-texte in den hermeneutischen Prozess einzubeziehen (mit Heininger 1991, 26). 3 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen 3.1 Grundentscheidungen Auswahl und Anzahl der Texte In diesem Kompendium werden alle eruierbaren Parabeln übersetzt und kommentiert, die die urchristliche Tradition Jesus zugeschrieben hat (s. o.). Die Forschung ist sich allerdings keineswegs einig, wie viele Texte dies sind. So hatte Adolf Jülicher in seiner Sammlung 53 Texte (28 Gleichnisse im engeren Sinn, 21 Parabeln und 4 Beispielerzählungen; vgl. Jülicher II 2 1910, VIIf.) benannt und analysiert, eine Zahl, die bislang nur von Rudolf Bultmann übertroffen wurde. Dieser führte in seiner Formgeschichte 56 gleichnishafte Texte auf (18 Bildworte, 17 Gleichnisse im engeren Sinn, 15 Parabeln sowie 6 Beispielerzählungen mit Lk 14,7-11 und 12-14, vgl. Bultmann 10 1995, 181-193). Joachim Jeremias ging von 41 Gleichnissen aus (Jeremias 11 1998, 7.242), Otto Knoch listete 36 Texte auf, darunter vier Doppelgleichnisse, so dass er insgesamt auf eine Zahl von 40 kam (Knoch 3 1987); auch Detlev Dormeyer begrenzte in seiner Literaturgeschichte noch auf die Langparabeln und listete ebenfalls 36 Texte auf (Dormeyer 1993, 149 f.). Bernard Brandon Scott kommentierte 31 Gleichnisse (Scott 1989), während Arland Hultgren 38 Texteinheiten als Parabeln im weiteren Sinn klassifizierte (Hultgren 2000, 3). In einem neueren Standardlexikon werden 43 Gleichnisse aufgezählt (Rose 2003, 450). Die Abweichung der Zahl ist zum einen in der unterschiedlichen Bewertung der Gattung begründet, denn gerade die kleineren Parabeln, die von Bultmann »Metaphern« oder »Bildworte« genannt wurden, werden oft nicht als Gleichnisse wahrgenommen. Andererseits ist die Mehrfachüberlieferung und Auswahl der Quellen für die unterschiedlichen Zahlenangaben verantwortlich. 28 Gt 08020 / p. 43 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen Im vorliegenden Kompendium werden 104 Gleichnisse Jesu mit eigenen Kommentierungen aufgeführt, wobei zwei Doppelgleichnisse zusammen besprochen werden (Mt 13,44-46: Schatz und Perle; Lk 14,28-33: Turmbau und Feldzug); einige Gleichnisse mit gleichem Grundbestand werden aufgrund der abweichenden Überlieferung separat analysiert (Gastmahl: Mt 22,1-14; Lk 14,12-24; Fischnetz/Fischer: Mt 13,47-50; EvThom 8; Dieb: Q 12,39 f.; Agr 45; Säue/Entweihung: Mt 7,6; Agr 165). Damit wird deutlich, dass auch dieses Kompendium nicht den Anspruch erhebt, eine absolute Zahl festzulegen. Stattdessen wird im vorliegenden Buch eine integrative Strategie verfolgt, nach der auch Grenzfälle in die Besprechung einbezogen wurden. Ferner werden erstmals in größeren Gleichnis-Zusammenstellungen Texte aus dem Johannesevangelium, Thomasevangelium und Agrapha berücksichtigt. Anordnung und Gruppierungen der Texte bzw. Auslegungen Es gibt ganz unterschiedliche Möglichkeiten, den urchristlichen Gleichnisstoff zu ordnen und zu präsentieren. Jülicher hatte die Gleichnisse bekanntlich in seinem analytischen zweiten Teil nach den zuvor eingeführten Gattungen »Gleichnis im engeren Sinn«, »Parabel« und »Beispielerzählung« geordnet (Jülicher II 2 1910). Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Gleichnisstoff nach den postulierten Adressaten zu differenzieren, wie etwa GegnerGleichnisse (z. B. Mk 12,1-12) oder Jünger-Gleichnisse (Lk 12,41-44). Beliebt sind auch Zuordnungen nach sprachlichen Kriterien, seien es die spezifischen Einleitungen, wie etwa tffl@ ¥x ¢m¾n (tis ex hymōn – wer von euch; Q 11,11; 12,25; Lk 11,5; 14,28; 17,7) oder die Wendung ˝nqrwp@ ti@ (anthrōpos tis – ein Mensch; vgl. Q 19,12; Lk 10,30; 14,16; 15,11; 16,1.19; vgl. Lk 20,9) sowie die Kombination aus beidem tffl@ ˝nqrwpo@ ¥x ¢m¾n (tis anthrōpos ex hymōn – welcher Mensch von euch; Lk 15,4; vgl. Mt 12,11). Ferner kann man die Parabeln nach einer bestimmten Vergleichsformel zusammenfassen, sei es mit der Partikel £@ (hōs – wie: Mk 4,26.31, vgl. Joh 15,6) bzw. ¯sper (hōsper – wie: Lk 17,24; Mt 13,40; 25,32), sei es mit der Wendung ˆmoi@ ¥stin (homoios bzw. homoia estin – … ist gleich wie …; Q 6,48 f.; 7,32; Lk 12,36; Mt 13,52 etc.) oder mit Derivaten des Verbs ¡moiw (homoioō – vergleichen: Q 7,31; 13,18; 13,20: ¡moiðsw; Mt 13,24; 18,23; 22,2: £moiðqh; Mt 7,24.26; 25,1: ¡moiwqffisetai). Oder die Anzahl der handelnden Personen gab den Ausschlag für eine Zusammenführung von »Zwei-Personen-Gleichnissen« (Lk 12,16-21; Lk 16,1-8; 18,1-8) oder »Drei-Personen-Gleichnissen« (Mt 18,23-35; 20,1-16; 22,1-14; 25,1-13.14-30; Mk 12,1-12; Lk 10,29-37; 15,11-32; 16,1-13.19-31, nach Funk 1974, 51), wobei die Zuordnung der Personen vielfach ein antithetisches Zwillingspaar (zwei Söhne, Schuldner, Wanderer) im Gegenüber zu einer dritten Person zeigt (Lk 7,41-42; Lk 10,30-35; 15,1132; 16,19-31; vgl. dazu Sellin 1974, 181 f.). Wenn zwei unterschiedliche Bildbereiche so eng verbunden und parallel strukturiert sind, dass man von einer sprachlichen Einheit ausgehen kann, hat man von »Zwillings- oder Doppelgleichnissen« als eigener Gruppe gesprochen: Hierunter zählen die Parabeln vom Schatz und der Perle (Mt 13,44-46par.), vom Turmbau und Kriegführen (Lk 14,28-33par.), von den launischen Kindern (Q 7,31-35). Ferner werden in der Literatur (z. B. Knoch 1 1987, 20) thematische Einheiten von Senfkorn und Sauerteig (Q 13,18 f.20 f.; Mt 13,31-33; Lk 13,18-21), Unkraut und Fischnetz (Mt 13,24-30.47-50) 29 Gt 08020 / p. 44 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium sowie verlorenes Schaf – verlorene Drachme (Lk 15,4-10) als Doppelgleichnisse betrachtet, obgleich hier die Zuordnung sprachlich nicht so eng und eindeutig ist. Auch die Reihe der so genannten »Doppelbildworte« kann hier genannt werden, bei denen zwei unterschiedliche Bildbereiche eng zugeordnet werden (vgl. Steinhauser 1981; ferner die Liste bei Jeremias 11 1998, 89), wobei teilweise erzählende Elemente eine Zuordnung zu den Parabeln erlauben (so z. B. beim Flicken und Weinschlauch, Mk 2,21 f.par. bzw. Leuchter und Maß, Mk 4,21-25), teilweise aber auch reine Metaphern vorliegen (so z. B. Salz und Licht, Mt 5,13 f.). Eine stärker thematisch orientierte Anordnung erfolgte durch Dan O. Via, der zwischen tragisch endenden Gleichnissen z. B. Mt 18,23-35; 22,1-13 (»The Tragic Parables«, Via 1967, 110 ff.) und gut endenden »komischen« Gleichnissen z. B. Mt 20,1-16; Lk 16,19; 15,11-32 (»The Comic Parables«, Via 1967, 145 ff.) differenzierte. John D. Crossan (Crossan 1973) unterschied zwischen Reich-Gottes-Gleichnissen (Parables and the Temporality of the Kingdom, a. a. O., 4 ff.), Ankunfts-Gleichnissen (parables of Advent, a. a. O., 37 ff.), Umkehr-Gleichnissen (parables of Reversal, a. a. O., 53 ff.) sowie ethischen Handlungs-Gleichnissen (parables of action, 79 ff.). Versucht man solche thematischen Zuordnungen etwas präziser zu fassen, kann man m. E. zwischen Gruppierungen nach Bild-Bereichen und Gruppierungen nach Referenz-Bereichen unterscheiden. Bei einer Anordnung nach Bild-Bereichen ist der bildspendende Bereich für eine thematische Gliederung maßgeblich (ausführlich dazu unten). So kann man hier Wachstums-Gleichnisse (z. B. Mk 4,26-29; Mt 13,24-30; Joh 12,24), Ernte-Gleichnisse (Q 6,4345; 10,2; 12,24; Joh 4,35-38; EvThom 63), Knechts- bzw. Sklaven-Gleichnisse (Q 12,4246; Mk 13,33-37; Lk 17,7-10; Mt 18,23-35; Joh 8,35 u. a.) sowie Hochzeitsgleichnisse (z. B. Mk 2,18-20par.; Lk 14,7-11; Mt 22,1-14; Mt 25,1-13) und Tiergleichnisse (Mt 7,6; 13,47 f.; Joh 10,1-5; EvThom 47,1; Agr 165; 208) zu je eigenen Gruppen zusammenfassen. In der Literatur werden darüber hinaus noch größere Einheiten gebildet, indem z. B. Naturgleichnisse oder Sozialgleichnisse differenziert werden. So gliedert etwa Scott (1989) den Stoff in drei große Teile: a) Family, Village, City, and Beyond (a. a. O., 79 ff.); b) Masters and Servants (a. a. O., 205 ff.); c) Home and Farm (a. a. O., 301 ff.). Eine andere thematische Anordnung wird bei Shillington (vgl. Shillington 1997) vorgeschlagen, der thematische Blöcke unter den Überschriften »parables of the Temple« (a. a. O., 21 ff.), »parables of the Land« (a. a. O., 53 ff.), »parables of the Economy« (a. a. O., 85 ff.) und »parables of the People« (a. a. O., 139 ff.) bildet. Auf der anderen Seite werden Referenz-Bereiche zum Strukturierungsmotor, indem der bildempfangende Bereich (s. u.) das einende Band unterschiedlicher Gleichnisse darstellt. Am bekanntesten ist hier die Zusammenstellung der so genannten »Reich-GottesGleichnisse« bei denen meist in der Einleitung die Zuordnung des Erzählten zum ReichGottes vorgegeben wird, so z. B. in Q 13,20: tfflni ¡moiðsw t¼n basilefflan to‰ qeo‰; (tini homoiōsō tēn basileian tou theou – womit soll ich das Reich Gottes vergleichen?). Eine ganze Fülle von Texten weist explizit das Reich Gottes als einen solchen Bezugsbereich aus (Q 13,20; Mk 4,26-29; 4,30-32; Mt 13,24-30; 13,44-46; 13,47-50; 13,52; 18,23-35; 20,1-16; 21,28-32; 22,1-14; 25,1-13; Joh 3,3-5; EvThom 22; 64; 97; 98). Gleichwohl wäre es angesichts der Fülle des Materials verfehlt, im Reich Gottes den einzigen oder auch nur primären Referenz-Bereich sehen zu wollen, oder gar eine dia30 Gt 08020 / p. 45 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen chrone Vorentscheidung zu treffen, nach der die Reich-Gottes-Gleichnisse als ältestes Material z. B. des ›irdischen Jesus‹ eingeordnet würden. Allein der literarische Textbefund, nach dem gerade in den ältesten eruierbaren Quellen (Mk und Q) vergleichsweise selten eine solche Zuordnung erfolgt, spricht gegen diese Einschätzung. Weitere, weniger prominente Gruppierungen nach Referenz-Bereichen wurden mit der Zusammenfassung zu so genannten »Krisis-Gleichnissen« (Lk 10,30-35; 13,6-9; 15,1-7.8-10.11-25), »Parusie-Gleichnissen« (Q 12,39 f.; 19,12-26; Mt 25,1-13) oder zu »Beelzebulgleichnissen« (so Jülicher II 2 1910, 214-240: Mk 3,22-27; Mt 12,22-30.43-45; Lk 11,14-26) vollzogen. Richard N. Longenecker (Longenecker 2000) strukturiert seinen Sammelband nach »Kingdom« (a. a. O., 79 ff.), »Warning and preparedness« (a. a. O., 151 ff.) und »Christian Life« (a. a. O., 199 ff.). Anordnung nach Quellen So hilfreich und im Verständnis einzelner Texte weiterführend derartige Gruppierungsund Strukturierungsversuche sind, so bieten sie doch entweder bei der Orientierung an sprachlichen Kriterien kein das ganze Material übergreifendes Gliederungsraster. Vielfach werden anhand bestimmter sprachlicher Kriterien nur sehr wenige Texte zu Gruppen zusammengefasst, und schon in der Parallelüberlieferung verändern sich die Formulierungen (z. B. Q 6,47-49!Mt 7,24-27). Oder bei thematischen bzw. auf Bildbereiche bezogenen Kriterien sind Schnittmengen aufgrund der Polyvalenz der bildspendenden Bereiche oder Unklarheiten hinsichtlich der bewusst offenen Referenz-Zuordnung unvermeidlich. »Am unverfänglichsten ist es, die G.se anhand der Quellenlage einzuordnen: Texte aus dem Mk-Stoff, aus Q, aus dem Mt-Sondergut und aus dem Lk-Sondergut, obwohl sich auch dabei Überschneidungen einstellen (z. B. bei Doppelüberlieferungen).« (Klauck 1991a, 854, vgl. auch Rose 2003, 450). Diese Einschätzung war auch für die Anordnung des Gleichnismaterials im vorliegenden Kompendium leitend. Dabei wurde eine lose zeitliche Reihenfolge der Quellen postuliert, die mit Q und Mk beginnt, dann die Evangelien nach Mt, Lk, Joh, Thom anführt und mit den Agrapha endet. Die Reihenfolge Mt – Lk folgt der kanonischen Anordnung, ohne dass hier eine Entscheidung über die Entstehungszeit erfolgt wäre, die auch derzeit in der Forschung nicht konsensfähig möglich ist. Neben den textlich überlieferten Ganzschriften wird die Logienquelle Q als eine eigene Quelle betrachtet. Auch wenn die diachrone und vor allem in den Bereich mündlicher Tradition zurückreichende literarkritische Fragestellung im Kompendium zugunsten der synchronen Endtextexegese zurückgedrängt wurde, wird hinsichtlich der Q-Hypothese (vgl. dazu die Einleitung zu Q) ein eigener Quellenbereich ausgewiesen, der von einer postulierbaren schriftlichen Quelle ausgeht. Die seit Mitte des 19. Jh. diskutierte Annahme einer zweiten, von Mk unabhängigen gemeinsamen Quelle von Mt und Lk konnte bislang durch keine bessere Hypothese ersetzt werden. Ferner liegt nun der Versuch einer schriftlichen Rekonstruktion von Q (Critical Edition 2000, vgl. Robinson/Hoffmann/Kloppenborg 2000) vor, an der zwar einige Probleme und Unsicherheiten von Q evident werden, die aber insgesamt doch eine brauchbare Arbeitshypothese darstellt. Werden Texte innerhalb des Überlieferungsprozesses mehrfach bezeugt, werden sie ausführlich im Bereich der ältesten Quelle besprochen, während die Parallelüberlieferung dann nur noch kurz unter dem Punkt Parallelüberlieferung (s. u.) aufgenommen wird. 31 Gt 08020 / p. 46 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Dies führt dazu, dass unter den Quellenbereichen Mt, Lk und EvThom nur noch Sonderguttexte besprochen werden. Um die Gleichnisverarbeitung in diesen Ganzschriften im Überblick wahrzunehmen, werden deshalb Einleitungen vorangestellt, die den Gleichnisdiskurs im gesamten Evangelium unter Einbeziehung aller Parabeltexte im Blick haben. Eine tabellarische Auflistung aller Parabeltexte einer Quellenschrift soll zusätzlich einer verzerrenden Wahrnehmung entgegenwirken. Ein weiteres Wagnis stellt die Einbeziehung neuer Quellenbereiche dar. So werden über die synoptischen Parabeln hinaus auch Texte aus dem Johannesevangelium, dem Thomasevangelium sowie versprengte Einzelworte, so genannte »Agrapha«, untersucht, die in ihrer Textgestalt auf eine Ebene mit synoptischen Texten gestellt werden können. Die Ausgrenzung dieser Texte aus der Parabel-Diskussion lag im Fall von Johannes an der kategorischen Abwertung allegorischer Bildtexte bei Jülicher, im Falle von EvThom an dem noch nicht vorhandenen gnostischen Text, der erst 1946 in Nag Hammadi gefunden wurde. Um bei der Erschließung dieses Neulands eine diskutable Grundlage zu haben, wurden bei diesen Texten eher großzügig auch Grenzfälle einbezogen, auch wenn im Einzelfall nicht alle Parabel-Kriterien sofort evident erscheinen (z. B. Joh 6). So wird z. B. das Kriterium der Kontextualität bei den Agrapha nicht vollständig eingeholt werden können. Im Prozess der Entstehung des Kompendiums wurde immer wieder deutlich, dass Auslegungen und überhaupt Wahrnehmungen von biblischen Texten in hohem Maße von hermeneutischen Traditionen geprägt sind. So wird heute die enge Verflechtung z. B. der mt oder lk Parabeln im literarischen und theologischen Kontext ihrer Schrift weithin anerkannt. Gleichwohl war man gewohnt, diese Texte auch isoliert, sei es als »ursprüngliche Jesusgleichnisse«, sei es als »autonome Kunstwerke« zu verstehen, was bei Joh nicht in diesem Maße der Fall war. Deshalb ist aber eine gesonderte Betrachtung joh Parabeln nicht weniger lohnend oder berechtigt. Parabeln bei Joh und EvThom wie auch bei den Synoptikern sind in Kontexte eingewoben und können nur in diesem Zusammenhang verstanden werden. Die Differenz in der Auslegungstradition wird u. a. auch darin evident, dass für die synoptischen Parabeln (ausgehend von Jülicher und Bultmann) so genannte »klassische Titel« benannt werden können, was für die Parabeln in Joh und EvThom nicht gleichermaßen gilt. 3.2 Die einzelnen Auslegungsschritte Die Auslegungen im vorliegenden Kompendium werden von einer Vielzahl von Personen vorgenommen. So unterschiedlich die Positionen einzelner Ausleger und Auslegerinnen auch sein mögen, so bewusst die Vielfalt der Deutungen in diesem Kompendium bejaht wird, so treffen sich doch alle Mitwirkenden in bestimmten Grundentscheidungen und vor allem auch in der Einhaltung einer einheitlichen Basisstruktur. Diese Struktur erhebt nicht den Anspruch, völliges methodisches Neuland zu erschließen, sondern integriert Ansätze früherer Gleichnisbücher (z. B. Klauck 2 1986, 141-143 zum ›Bildfeld‹; sowie die Fortführung bei Heininger 1991: »Realien und Bildfeld« [124 ff.; 172 ff.]; Kähler 1995, passim: »Bildspenderseite« und »Bildempfängerseite«; Harnisch 4 2001, 15-41 zur narrativen-szenischen Analyse u. a.). Leitend für die einzelnen Analyseschritte waren ferner die Grundcharakteristika der Parabel (s. o.). Parabeln werden in diesem Kompendium als leserorientierte metaphorische Erzähltexte definiert, die in kommunikativen Kontexten 32 Gt 08020 / p. 47 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen stehen. Entsprechend wird die Schrittfolge der Auslegung verschiedene Schwerpunkte unterscheiden, die dieser Definition Rechnung tragen. Um die meist kunstvolle literarische Gestalt dieser fiktionalen Texte wahrzunehmen, setzt die Auslegung mit einer genauen sprachlichen Analyse ein, die die Narrativität und Metaphorizität als Basiskriterien der Parabel herausarbeitet. Um metaphorische Übertragungsvorgänge zu verstehen, müssen ferner zwei Aspekte berücksichtigt werden, die in den folgenden Auslegungsschritten in den Blick genommen werden: Einerseits müssen die Realien, von denen die Parabel redet, in ihrem historischen Kontext erhellt werden, andererseits stehen Metaphern immer schon in einer Bildfeldtradition, die das Verständnis von Neubildungen entscheidend mitbestimmt. Wie dann im konkreten Text die Interaktions- und Übertragungsvorgänge vollzogen werden und welche Deutungsmöglichkeiten sie hervorrufen, wird in der »zusammenfassenden Analyse« dargelegt. Schließlich werden Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte benannt. So entsteht folgendes Auslegungs- und Darstellungsraster, das im Folgenden noch detaillierter erläutert werden soll: (1) Titel (2) Übersetzung (3) Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) (4) Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) (5) Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition) (6) Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) (7) Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte (8) Literatur zum Weiterlesen 3.2.1 Titel und Übersetzung Die ›Titelei‹ der einzelnen Parabeln setzt sich aus kreativem Titel, klassischem Titel sowie Stellenangaben zusammen. Da viele Parabeltexte durch die Titelvorgaben schon auf einen bestimmten Deutungshorizont verengt werden oder zumindest in der Auslegungstradition in dieser Weise wahrgenommen wurden, werden zu allen Parabeln kreative Titel(neu)bildungen gegeben. »Kreativ« meint dabei, dass der Titel einerseits durchaus schon die Pointe der Auslegung andeuten kann, andererseits aber auch durch seine provokante oder ungewohnte Formulierung das Interesse des Lesers und der Leserin wecken möchte. Gleichwohl sollen die von Jülicher und Jeremias eingeführten und zum Teil auf ältere Traditionen zurückgehenden »klassischen Titel« zum Zweck der Wiedererkennung und Orientierung in Klammern beigegeben werden. Als »klassische Titel« gelten vorrangig die Überschriften bei Jülicher (Jülicher II 2 1910, VIIf.), sofern dort nicht vorhanden, die der exegetischen Tradition. Die Stellenangaben der Paralleltexte folgen dem Gesamtaufriss des Kompendiums, d. h. Q – Mk – Mt – Lk – Joh – EvThom – Agrapha. Dazu zwei Beispiele: Gott knetet nicht (Vom Sauerteig) Q 13,20 f. (Mt 13,33 / Lk 13,20 f. / EvThom 96) »Einstürzende Neubauten« (Hausbau auf Felsen oder Sand) Q 6,47-49 (Mt 7,24-27 / Lk 6,47-49) 33 Gt 08020 / p. 48 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Die im Kompendium besprochenen Texte werden jeweils in einer von den Autoren und Autorinnen selbst angefertigten Übersetzung dargeboten. Die hermeneutische Problematik von Bibel-Übersetzungen wurde in jüngster Zeit heftig diskutiert. Wer immer sich mit historischer Semantik einmal beschäftigt hat, wer immer fremdsprachige Texte in die eigene Sprachwelt überführen will, weiß, dass Übersetzungen nicht ›neutral‹ oder ›wörtlich‹ sein können. Dies wird auch innerhalb des Kompendiums sichtbar. Je nach hermeneutischem Standpunkt werden unterschiedliche Prämissen für die Übersetzung gesetzt. Einige Übersetzerinnen fühlen sich hierbei stärker der bekannten, z. B. von Luther herkommenden Übersetzungstradition verpflichtet, andere wollen – auch unter Einbuße deutscher Sprachästhetik – möglichst nahe an der griech. Syntax bleiben. Wieder andere fühlen sich als Übersetzer(innen) in der »Bibel in gerechter Sprache« den Grundentscheidungen dieses Projektes verpflichtet. Alle Autorinnen und Autoren und vor allem auch das Herausgeberteam sind sich darin einig, dass Übersetzungen bereits eine implizite Interpretation darstellen. Ungeachtet der Weite des gebotenen Spektrums soll immer eine hermeneutische Sensibilität gegenüber diesen Fragen sichtbar werden, sei es bereits in der Übersetzung selbst, sei es in der Benennung von Übertragungsproblemen innerhalb der nachfolgenden Analyse. Insbesondere wurde darauf geachtet, dass keine frauendiskriminierende und auf antijudaistische Stereotypen rekurrierende Sprache verwendet wurde. Dies betrifft die Bezugnahmen auf die im bildspendenden Bereich handelnden Personen ebenso wie die generellen Bezugnahmen auf die Adressatenschaft des Textes (in der Antike und heute). So kann man aufgrund von sozialgeschichtlichen Analysen deutlich machen, dass z. B. bei der Getreideernte Frauen eine zentrale Rolle spielten. Hier nur von »Arbeitern« und nicht auch von »Arbeiterinnen« oder allgemein »Arbeitskräften« zu reden, würde den historischen Sachverhalt verstellen. Natürlich sollen hierbei auch nicht umgekehrt historische Sachverhalte verfälscht werden. Wo eindeutig ausschließlich Männer gemeint sind, sollte die Übersetzung das auch zeigen. Doch hat die sozialgeschichtlich-feministische Forschung der letzten Jahrzehnte für viele Lebensbereiche der Antike eine viel intensivere Partizipation von Frauen nachgewiesen, als es bisher in Übersetzungen und wissenschaftlicher Literatur präsent ist. Jesus sprach ferner nicht nur zu Hörern, sondern auch zu Hörerinnen, hatte nicht nur Jünger, sondern auch Jüngerinnen, die Evangelisten und auch wir haben nicht nur Leser, sondern auch (möglicherweise sogar überwiegend!) Leserinnen. Sie alle bleiben unsichtbar und werden marginalisiert, wenn ausschließlich der so genannte generische oder inklusive Plural maskulinum verwendet wird. So finden sich schon bei der Übersetzung, aber auch bei den Auslegungstexten inklusive Sprachformen. Wie die gewünschte Balance zwischen Textgemäßheit, hermeneutischer Eindeutigkeit und Verständlichkeit im Einzelfall gefunden wurde, blieb den einzelnen Autorinnen und Autoren überlassen. Die somit gegebene Toleranz gegenüber der Vielfalt der Interpreten und Interpretinnen ist auch charakteristisch für das Gesamtwerk. 3.2.2 Sprachlich-narrative Analyse (Bildlichkeit) Die Parabeln sind sprachlich meist kunstvoll gestaltete Texte. Dies herauszuarbeiten ist die Aufgabe der sprachlich-narrativen Analyse. Ohne hierbei einer speziellen Sprachtheorie oder dem linguistischen Fachvokabular verpflichtet zu sein, sollen einzelne 34 Gt 08020 / p. 49 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen sprachliche Gestaltungsmittel möglichst genau beschrieben und erfasst werden. Dabei werden je nach Text Beobachtungen auf Wort-, Satz- oder Perikopenebene wiedergegeben: Wie ist der Text aufgebaut? Welche syntaktische und strukturelle Anordnung des Textes ist zu erkennen? Welche leser(innen)orientierten sprachlichen Stilmittel (z. B. rhetorische Fragen; offenes Ende) werden eingesetzt? Da die Parabeln narrativ und metaphorisch sind, sollen gerade auch diese beiden Aspekte besonders benannt werden. So ist in narrativer Perspektive zu fragen: Welche Zeit- und Raumangaben werden gemacht? Welche Personen oder Gegenstände kommen innerhalb der Parabel vor, und wie werden diese zueinander in Beziehung gesetzt? (Figurenkonstellationen; Haupt- und Nebenpersonen; wer ist aktiv?; wer ist passiv?). Wie gestaltet sich der Handlungsverlauf (ggf. Einleitung, Spannungsbogen, Höhepunkt, Schluss)? Worin besteht die (Mini-)Sequenz der Handlung bzw. Zustandsveränderung (vgl. Parabeldefinition!). Man kann besonders hinsichtlich der narrativen Ausgestaltung der Parabeln deutliche Unterschiede wahrnehmen. Bei einigen Texten ist die Handlungssequenz nur angedeutet und muss vom Leser vervollständigt werden, bei anderen zeigt sich ein ausgeführtes kleines Drama, das einen mehrstufigen Handlungsverlauf mit unterschiedlichen Personen und zum Teil sogar wörtlicher Rede als Dialog oder innerer Monolog aufweist. In jedem Fall liegen aber bei allen Texten ausgeführte oder suggerierte MiniaturHandlungen bzw. Zustandsveränderungen von einem Status zu einem anderen vor. So wird etwa nicht nur das Führen eines Blinden durch einen Blinden vor Augen gemalt, sondern auch noch die Folge (in die Grube fallen) als nächste Szene in Aussicht gestellt (Q 6,39). Oder man erfährt nicht nur vom Anzünden einer Lampe, sondern auch noch von ihrem Aufstellen und schließlich von der Wirkung im Haus (Q 11,33), so dass eine dreistufige Handlung innerhalb nur eines Verses erzeugt wird. Andere Parabeln berichten selbst auf knappstem Raum von einem Dialog zwischen Brüdern über einen Splitter im Auge (Q 6,41 f.). Die Übergänge zu längeren Erzähltexten sind hier fließend. Eine Differenz zwischen den einzelnen Texten kann bestenfalls quantitativ, nicht aber qualitativ oder sprachlich (zum Tempus s. o.) wahrgenommen werden. Im Vergleich zu größeren Erzählgattungen (z. B. Bios, Kurzgeschichte, Epos) sind auch die so genannten »Lang-Parabeln« des Urchristentums immer noch Miniatur-Gattungen, die sich durch ihre Kürze und Prägnanz auszeichnen. Crossan hatte neben Metaphorizität und Narrativität sogar die »Kürze« (»brevity«) als drittes notwendiges Gattungskriterium benannt (Crossan 1980, 2: »This is the third necessary element in the generic definition of parables: Parable is a very short metaphorical narrative.«). Dementsprechend darf man aus einer Längendifferenz z. B. von 2 zu 8 Versen keine Gattungsklassifikation ableiten. Die Erzähltexte weisen über ihren primären Wortsinn hinaus, sind also im Sinne der oben genannten Definition »metaphorisch«. Wie diese Metaphorizität erzeugt wird, woran ein Leser bzw. eine Leserin erkennen kann und soll, dass eine zweite Sinnebene anzusteuern ist, ist ganz unterschiedlich. So kann es wie bei »kühnen Metaphern« zu semantischen Widersprüchen kommen (z. B. fastende Hochzeitsgäste Mk 2,18-20; Perlen vor Säuen Mt 7,6), ferner können extravagante Züge innerhalb der erzählten Welt als interne Transfersignale wahrgenommen werden (z. B. Hilfe eines Samariters Lk 10,33 f.; Zerstörung der ganzen Stadt, Mt 22,7). Häufig wird aber erst durch den Kontext eine Übertragung der Bedeutung nahe gelegt. Dabei kann die Leserlenkung durch externe Transfersignale wie z. B. Einleitung (»das Himmelreich gleicht …«, Mt 13,31.33) oder Schlussverse 35 Gt 08020 / p. 50 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium (»so …«, Mt 12,45; 13,49; 20,16) erfolgen. Teilweise bleibt der Übertragungsimpuls aber auf implizite Hinweise des Gesamtkontextes begrenzt. Das Neben- und Ineinander der unterschiedlichen Bedeutungsebenen ist in jedem Text unterschiedlich gestaltet. Dabei ist es ein Idealbild der alten Formgeschichte, dass man klar z. B. zwischen dem »reinen Gleichnis i. e. S.« bei den Synoptikern und etwa den »allegorischen Bildreden« bei Joh unterscheiden könne. Auch bei den Synoptikern finden sich Texte wie z. B. Q 16,13 (Dienst an zwei Herren); Mk 3,22-26 (Beelzebul-Text) oder Mt 25,32 f. (Menschensohn als Hirte), in denen die theologische Dimension in die Erzählwelt hineinragt, wie umgekehrt bei Joh recht klar abgrenzbare Szenarien prima vista auf die reine Erfahrungswelt (z. B. zum Weizenkorn in Joh 12,24; zum Hirten in Joh 10,1-5) beschränkt bleiben. Aufgrund der Komplexität und Individualität der Vergleichs- und Übertragungsvorgänge und fließender Übergänge zwischen einzelnen Gestaltungsmöglichkeiten soll deshalb auf eine vorordnende kategoriale Einteilung innerhalb des Kompendiums bewusst verzichtet werden. Die unterschiedliche Funktionsweise der Metaphorizität der Parabeln muss je im Einzelfall beschrieben werden. Bereits in der Wahrnehmung externer Transfersignale ist die Einbeziehung des Kontextes unentbehrlich. Auch wenn die Parabeln im Kompendium als sprachliche Einheiten je für sich besprochen werden, bleiben sie eng eingebunden in ihre jeweiligen Kontexte und Diskurse (dazu Reinmuth 2008). Das Kriterium der »Kontextualität« (s. o.) soll insofern ernst genommen werden, als der nähere und weitere Kontext der Einzeltexte in der sprachlichen Analyse im Blick bleiben muss. Dies beginnt mit den Einleitungen und Schlussformeln (vgl. beispielhaft zu Mt Münch 2004, 129-160. 249-290), geht weiter mit der Einordnung in die Perikope bzw. den engeren literarischen Kontext und mündet in eine Verortung im Gesamtarrangement der Quellenschrift und dabei insbesondere mit Blick auf die anderen Parabeln. So stellt sich die Frage, ob es in der Perspektive einer kontextuellen Endtextexegese überhaupt Sinn macht, einzelne Parabeln je für sich zu besprechen. Die Antwort ist freilich mit dem Kompendium selbst gegeben. Ja, es macht Sinn und zwar deshalb, weil die einzelnen biblischen Texte eine gewisse literarische Geschlossenheit aufweisen und innerhalb ihrer Auslegungsgeschichte in Predigt, Unterricht und Kunst auch immer schon je für sich betrachtet wurden. Gleichwohl werden sie deshalb nicht zum ›autonomen‹ Kunstwerk. Wir müssen also nicht ein literarkritisches Konstruktionsmodell bemühen, um eine gesonderte Betrachtung einzelner Parabeltexte zu rechtfertigen. In den Auslegungen wird allerdings der Kontext so weit wie möglich als Referenzrahmen berücksichtigt. 3.2.3 Sozialgeschichtliche Analyse (Bildspendender Bereich) Die Parabeln Jesu beziehen ihre Kraft aus der Übertragung realer Erfahrungen und konkreter lebensweltlicher Zusammenhänge in den religiösen Bereich. Um diesen Prozess der Transformation verstehen zu können, ist es unerlässlich, die ›eigentliche‹ Bedeutung der verwendeten Vorstellungsbereiche und beschriebenen Vorgänge zu kennen. Bevor ich ermessen kann, was es bedeutet, wenn das Reich Gottes in der Parabel mit einem Senfkorn, Sauerteig oder Sämann verglichen wird, muss ich erst einmal wissen, was ein Sauerteig ist, wie ein Senfkorn aussieht oder wie ein Sämann arbeitet. Um die Bedeutung des Verlusts einer Drachme einschätzen zu können, muss der Wert dieses Geldstücks ermittelt werden. Um die Tragweite des Reinigungsschnitts eines Weinstocks ermessen zu kön36 Gt 08020 / p. 51 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen nen, muss ich etwas über antike Weinkultur erfahren. Oder was sind etwa ein ›Weinschlauch‹, ein ›Scheffel‹ oder ein ›Quadrans‹ ? Wer ist ein ›Samariter‹, der ›Mammon‹ oder der ›Beelzebul‹ ? Die letzten Beispiele zeigen, dass zwar quellensprachliche Spezialbegriffe durchaus in der Gegenwartssprache geläufig sind, dass sie aber in einem ganz anderen Sinn verwendet werden können. So ist ausgehend vom Samaritergleichnis und seiner Wirkungsgeschichte der Begriff »Samariter« in der deutschen Sprache positiv besetzt, für die jüdischen Ersthörer Jesu stand der Terminus hingegen in einem recht negativen Horizont, weil er einen missachteten Ausländer und Außenseiter bezeichnete. Entsprechend darf der in der Parabel erzählte Umgang mit Talenten oder mit Schulden nicht vorschnell in unser kapitalistisches Wirtschaftssystem hinein übertragen werden. Die Konkretion und Lebensnähe der Parabeln ist nur zum Preis historischer Gebundenheit zu haben. Jenseits einiger elementarer menschlicher Grunderfahrungen, wie z. B. das Licht auf einem Leuchter oder ein bittendes Kind, spiegeln die Gleichnisse vorrangig die Lebenswelt der Menschen im Palästina oder weiter gefasst im Mittelmeerraum des 1. Jh. n. Chr. wider. Wenn wir die Gleichnisse verstehen wollen, müssen wir folglich versuchen, in diese Lebenswelt einzudringen. Ein Ausleger oder eine Auslegerin muss deshalb nach dem im historischen Kontext plausiblen Sinn einzelner Begriffe wie auch ganzer Vorgänge und Szenarien Ausschau halten. Die Ermittlung dieses Bedeutungshintergrunds muss also zunächst notwendig zu einer Verfremdung führen. Wer die Parabeln Jesu verstehen will, muss in historischer Perspektive in eine fremde Welt eintauchen. Dies soll mit dem Auslegungsschritt »Sozialgeschichtliche Analyse« erfolgen. Dieser Begriff wird hierbei verwendet, weil er innerhalb des Methodenkanons der Exegese zu einem Leitbegriff für Analyseschritte geworden ist, die die Frage nach den konkreten Lebensverhältnissen, geschichtlichen Bedingtheiten und archäologischen Evidenzien stellen. Die Erforschung von Geographie, Kleidung und Nahrung, Gebrauchsgegenständen, Arbeitsformen etc. sind hier ebenso von Interesse wie politische und sozio-kulturelle Bedingtheiten. »Sozialgeschichtliche Analyse« meint also in einem weiten Sinn die Frage nach den realkundlichen Verstehensvoraussetzungen und wird nicht auf die menschlichen Sozialverhältnisse oder die Soziologie des Urchristentums beschränkt. Über die in den biblischen Schriften oder sogar in den urchristlichen Parabeln selbst gegebenen Informationen über diese Hintergründe hinaus, müssen vor allem Umfeldtexte, seien es die jüdischen oder christlichen Apokryphen sowie hellenistisch-römische Texte befragt werden. Auch rabbinische Schriften werden einbezogen. Ferner spielen nichtschriftliche Quellen wie archäologische Funde (z. B. Münzen) bei der Rekonstruktion der Realia eine zentrale Rolle. Der in den urchristlichen Parabeln angesprochene konkrete bildspendende Bereich ist äußerst vielfältig. So werden nahezu alle Bereiche des privaten sowie öffentlichen Lebens einbezogen: Angefangen von elementaren Lebenssituationen wie Geburt (Joh 16,21) und Tod (Joh 12,24 f.) oder Krankheit und Gesundheit (z. B. Sehschwächen in Q 6,39; 41 f.; Pflege in Lk 10,34 f.), über die Stillung von Grundbedürfnissen wie Schlafen (Mt 25,5; Lk 11,7; EvThom 61), Essen und Trinken (Q 11,11 f.; Lk 11,5; Joh 4,13 f.; EvThom 60) einschließlich der Nahrungszubereitung (z. B. Q 13,21: Sauerteig) oder einzelnen Bestandteilen der Speisen (z. B. Salz in Q 14,34 f.; Brot in Mk 7,27 f.; Joh 6,31-51; Mehl in EvThom 97) oder Kleidung (Q 12,26-28; Mk 2,21; Lk 10,30; 16,19), bis hin zu den räumlichen Lebensverhältnissen wie das Bauen oder Abreißen eines Hauses (Q 6,4737 Gt 08020 / p. 52 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium 49; EvThom 71), die Wohnräume im Haus (Joh 14,1-4) oder der Erwähnung einer ganzen Stadt (Mt 5,14; EvThom 32; Mt 22,1-14). Häufig geht es aber weniger um die Beschaffenheit eines Gegenstandes als um die damit verknüpften sozialen Verhältnisse. So ist – um am Beispiel des Hauses zu bleiben – die Spaltung der Hausgemeinschaft (Q 17,34 f.; Mk 3,25; EvThom 61) von Interesse. Gerade die spannungsvollen Beziehungen unter Menschen werden zum Anschauungsgegenstand, so etwa das Verhältnis zwischen Eltern und Kind (Q 11,9-13) oder speziell zwischen Vater und Sohn bzw. Söhnen (Lk 15,11-32; Mt 21,28-32), zwischen Brüdern (Lk 14,12; 16,28) und Bettgefährten (EvThom 61) oder Freund(inn)en (Lk 11,5-8; 15,810) bis hin zum Streit zwischen Kindern (Q 7,31-35). Einen ganz eigenen Bereich stellt auch die Thematisierung der Beziehung zwischen Sklaven und Herren dar, wobei wiederum ein breites Spektrum an Lebenssituationen von der grundsätzlichen Loyalität im Dienstverhältnis (Q 16,13) über spezielle Funktionen wie denen des Türhüters, des Wachpersonals (Lk 12,35-38; Joh 10,3) oder der Geschäftsführer bei Abwesenheit (Q 19,12-26) bis hin zu Einzelsituationen wie dem Schuldenerlass (Mt 18,23-35) oder einem Abendessen nach der Arbeit (Lk 17,7-10) herangezogen wird. Auch Arbeits- und Dienstverhältnisse im weiteren Sinn wie z. B. Beziehung zwischen Pächtern und Besitzer eines Weinbergs (Mk 12,1-12), die Entlohnung von Tagelöhnern (Mt 20,1-16) oder die Entlassung eines Verwalters (Lk 16,1-8) spielen eine Rolle. Innerhalb der Arbeitswelt wird häufig auf Verhältnisse Bezug genommen, wie sie im kleinbäuerlichen Milieu etwa des galiläischen Dorfes anzunehmen sind. Hierbei spielen neben dem Fischfang (Mt 13,47-50; EvThom 8) vor allem der Getreide-Ackerbau (Aussaat – Ernte, vgl. Mk 4,3-9; Q 10,2; Joh 4,35-38; 12,24; Wachstum und Pflege: Mk 4,26-29; Mt 13,24-30; Mt 15,13), der Weinbau (Mk 12,1-12; Joh 15,1-8; EvThom 40) oder die Viehzucht, insbesondere die Schafhaltung (Q 15,4-7; Mt 25,32 f.; Joh 10,1-5) eine zentrale Rolle. Besonders wird hier auch die Lebenswelt der Frauen zur Geltung gebracht, wie z. B. implizit bei Teigbereitung (Q 13,20 f.) oder Erntearbeit (Q 10,2) oder explizit, indem handelnde Frauen erwähnt werden (z. B. beim Verlust eines Geldstücks in Lk 15,8-10; bei Mägden in Mt 25,1-13). Doch die erzählte Welt der Parabeln lässt sich nicht auf eine bestimmte soziale Schicht und deren Lebenswelt begrenzen. So steht etwa bei einer ganzen Reihe von Parabeln der Bereich der Finanzen und Ökonomie im Mittelpunkt, sei es, indem z. B. vom Kauf eines Ackers (Mt 13,44), der Kalkulation kostspieliger Vorhaben (Lk 14,28) oder der Verteilung des Hausschatzes (Mt 13,52) erzählt wird, sei es, dass die Schuldenproblematik (Mt 18,23-35; Lk 7,41-42; 16,1-8), die Verleihung von Geld (EvThom 109) oder die Geldwechsler (Agr 31) zum bildspendenden Bereich werden. Ein eigenes, selten beachtetes Anschauungsfeld liegt auch mit dem Rechtsbereich vor: So wird von Prozessgegnern beim Gang zum Gericht (Q 12,58 f.), von Rechtsvollmacht (Joh 5,19-24), von dem Konflikt eines Richters mit einer Witwe (Lk 18,1-8) oder vom Strafvollzug (Q 12,58 f.; Mt 18,30.34) erzählt. Schließlich kann auch der außermenschliche Bereich eigens in den Mittelpunkt gerückt werden, indem z. B. Tiere oder Pflanzen die Hauptakteure bzw. Anschauungsfelder der Parabeln darstellen. So lesen wir von Schweinen (Mt 7,6; Agr 165), von Hunden (Mk 7,27 f.; EvThom 102, vgl. Lk 16,21) und Pferden (EvThom 47,1-2) ebenso wie von Raben (Q 12,24), Wölfen (Joh 10,12) und Aasgeiern (Q 17,37). Auch von Pflanzen wie dem Feigenbaum (Mk 13,28 f.; Lk 13,6-9) und der Dattelpalme (EpJac NHC I 7,2338 Gt 08020 / p. 53 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen 35), den Lilien (Q 12,27) oder sogar einzelnen Senf- (Mk 4,30-32) und Weizenkörnern (Joh 12,24; EpJac NHC I 8,10-27) ist die Rede. Eine detaillierte Auflistung der unterschiedlichen Lebensbereiche nach Motiven findet sich in einer Tabelle im Anhang (S. 1003 ff.). Die Art der Bezugnahme ist sehr unterschiedlich. Teilweise scheint mit einem Stichwort wie z. B. dem »Dieb« (Q 12,39 f.; Agr 45) bereits ein ganzer Vorstellungsbereich vor Augen gestellt, teilweise werden Einzelheiten bis hinein zu inneren Monologen (Lk 15,17-19) oder mehrstufigen Handlungsverläufen (Mt 20,1-16) über längere Zeiträume hinweg (Q 19,12-26) erzählt. Zum Teil werden einzelne, scheinbar nebensächliche Details hervorgehoben wie die Lampen/Fackeln beim Hochzeitszug (Mt 25,1-13), das Abfüllen des neuen Weins (Mk 2,22), die Tischordnung von Gästen (Lk 14,7-11) oder das Verhalten des Lohnhirten bei der Schafhaltung (Joh 10,12 f.). Häufig geht es um Grundlegendes einer bestimmten Handlung (Aufstellen der Lampe Q 11,33; Hausbau Q 6,47-49; Aussaat Mk 4,3-20; Festeinladung Mt 22,1-14). Die reale Lebenswelt kann anhand des vorhandenen Materials freilich nur näherungsweise ermittelt und rekonstruiert werden. Wie bei einem Mosaik kann man Einzelinformationen unterschiedlicher Quellen zu einem Gesamtbild zusammensetzen, das aber in den meisten Fällen doch ein Fragment bleiben muss. Ferner muss man reflektieren, dass viele antike Texte gerade entgegen ihrer eigenen Intention und Funktion hinsichtlich ihres historischen Informationsgehalts ausgewertet werden. Diese nur literarisch und damit deutend-tendenziell vermittelte Information darf folglich nicht 1:1 mit der realen Lebenswelt gleichgesetzt werden. Wird aus einzelnen Parabeln erst eine Lebenswelt zur Deutung anderer Parabeln abgeleitet, kann es zu hermeneutischen Zirkelschlüssen kommen (dazu Ostmeyer 2008). Im Kompendium wird versucht, anhand des vorhandenen Quellenmaterials möglichst konkret Einzelaspekte des Erzählten zu erhellen, die dann zum »bildspendenden Bereich« für die Parabel werden können. Da der bei der metaphorischen Interaktion vollzogene Selektions- und Übertragungsprozess jedoch letztlich durch das interpretierende Subjekt vollzogen werden muss, werden bei diesem Auslegungsschritt mehr Hintergründe und Verstehensangebote geliefert, als in der zusammenfassenden Auslegung nutzbar gemacht werden können. Auf diese Weise wird es den Rezipienten ermöglicht, auch andere, eigene Zuordnungen zu vollziehen. 3.2.4 Analyse des Bedeutungshintergrunds (Bildfeldtradition) Die Analyse des ›bildspendenden Bereichs‹ ist nur eine Voraussetzung für eine solide Beurteilung des Sinnfindungsprozesses. Die zweite ist die Erhebung von geprägten Metaphern und Symbolen, die innerhalb der Sprachgemeinschaft des Urchristentums geläufig waren und die maßgeblich auf ein Verständnis von Parabel-Texten eingewirkt haben können. Während A. Jülicher und noch L. Schottroff die Existenz von solchen Prägungen als allegorisiernde Überformung der Gleichnistexte leugneten, halte ich es für unabdingbar, gerade auch die Einbettung von Übertragungsphänomenen in sprachliche Konventionen und Traditionen zu eruieren. Damit ist eine gewisse »Rehabilitierung der Allegorie« (so schon Gadamer 6 1990, 39 Gt 08020 / p. 54 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium 76 ff.) zum Ausdruck gebracht, womit eine der letzten großen Verdikte der Jülicher-Tradition angetastet wird. Anders als die allegorische Auslegungstradition etwa der Alten Kirche, die z. B. in den beiden Denaren des Samariters die Sakramente erkannte, d. h. eine völlig freie Sinnzuschreibung an Textelemente vollzog, soll die Konvention von Übertragungen jedoch methodisch kontrollierbar bleiben, um der Gefahr einer ›wilden‹ oder auch ›willkürlichen‹ Allegorisierung entgegenzutreten. Es wird allerdings auch nicht zu bestreiten sein, dass innerhalb der Konvention einer Sprachgemeinschaft Tiefensinn an einzelnen Semantemen haftet, für jeden Teilnehmer dieser Kulturgruppe sofort evident ist, auch wenn er nicht unmittelbar textlich zum Ausdruck gebracht wird. So ist z. B. in unserem gegenwärtigen Kulturkreis die »Rose« als Liebessymbol erkennbar, oder das »Kreuz« kann als christliches Grundsymbol wahrgenommen werden, ohne dass deutliche Transfersignale auf Textebene beigefügt werden müssen. Entsprechend gibt es einzelne Motive, die innerhalb der jüdisch-christlichen Sprachgemeinschaft des 1. Jh. n. Chr. kaum ohne Tiefensinn verwendet werden konnten, man denke z. B. an den »Weinberg«, der auf Israel hindeutet, oder an das »Haus (Gottes)« als Hinweis auf den Tempel. Am deutlichsten können solche konventionalisierten Übertragungsphänomene bei stehenden Metaphernfeldern nachgewiesen werden. In Anknüpfung an die Theorie von H. Weinrich, soll hierbei von »Bildfeldern« gesprochen werden, bei denen eine traditionelle Kopplung von Sinnbereichen nachweisbar ist (Weinrich 1976, 276-290; dazu auch R. Zimmermann 2001, 41-44). Eine Sprachgemeinschaft kann bestimmte semantische Bereiche immer wieder aufeinander beziehen, so dass auch Metaphern-Neubildungen in diesem Horizont sofort einsichtig und verständlich sind. Ein Beispiel aus der gegenwärtigen Sprachwelt kann dies verdeutlichen: So gibt es derzeit das Bildfeld von »GeldWasser«, bei dem der komplexe Bereich des Geldwesens immer wieder auf Phänomene des Wassers abgebildet wird. Entsprechend entstehen Einzelmetaphern wie »Geldquelle«, »ich bin liquide«, die »Geldhähne wurden zugedreht«. Auch aktuelle Neubildungen, wie etwa die »Überschwemmung mit Studiengebühren«, können vor dem Hintergrund des bekannten Bildfelds sofort sinnvoll eingeordnet werden. Übertragen auf die Parabeltexte besagt dies: Die in den urchristlichen Texten angelegten metaphorischen Zuordnungen sind in Bildfelder eingebunden, die es zu erheben gilt – und, das ist im Vergleich zur freien Allegorisierung ein entscheidender Unterschied, die auch mit einiger Wahrscheinlichkeit erhoben werden können. So zeigen sich z. B. zum Hirten innerhalb der Schriften Israels klar erkennbare Koppelungen von semantischen Bereichen, die es erlauben, Bildfelder wie die des »Königs-Hirten« (2Sam 5,2; Ps 78,70-72), des »JHWH-Hirten« (Jes 40,10 f.; Ps 23,1; Ps 80,2) oder des »Messias-Hirten« (Ez 34,11-22; PsSal 17,32) zu benennen (vgl. dazu R. Zimmermann 2004b, 101-106). Wird nun innerhalb einer Parabel von einem Hirten erzählt (Q 15,4-7; Joh 10,1-5), dann ist es wahrscheinlich, dass sowohl Jesus als Urheber der Erzählung als auch seine Hörer(innen) sofort ein entsprechendes Bildfeld ins Bewusstsein bringen. Entsprechendes gilt, wenn etwa vom Vater (Lk 15,11-32), vom Richter (Lk 18,1-8) oder vom König (Mt 18,23-35; Mt 22,1-14) die Rede ist, womit klassische Gottesmetaphern der jüdischen Tradition in Erinnerung gerufen werden (man denke etwa an die JHWH-Königs-Psalmen). Ob und in welcher Notwendigkeit im einzelnen Text tatsächlich dieses Bildfeld abgerufen werden soll, lässt sich freilich nicht exakt bestimmen. Als Faustregel kann folgendes Wechselverhältnis gelten: Je stärker die konventiona40 Gt 08020 / p. 55 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen lisierte Festlegung einer stehenden Metapher, desto geringer können die Textsignale sein, die auf eine solche Übertragung hindeuten und umgekehrt. Auf der anderen Seite muss diese Festschreibung im Sinne der hier im Kompendium intendierten Deutungsoffenheit (s. u.) auch gar nicht erfolgen. Entscheidend ist zunächst nur, dass der Leser und die Leserin auf mögliche antike bzw. präziser im jüdischchristlichen Raum geprägte Bildfelder hingewiesen wird, die Verstehensvoraussetzung sein können. Dabei wird versucht, wiederum möglichst weit auszugreifen und Sprachkonventionen neben dem Urchristentum selbst aus unterschiedlichen Traditionsbereichen, sei es des Alten Testaments und Frühjudentums, des rabb. Judentums oder auch der griech. Sprachwelt einzuholen. 3.2.5 Zusammenfassende Auslegung (Deutungshorizonte) In der zusammenfassenden Auslegung sollen die Linien aus den vorgenannten Analyseschritten zusammengeführt werden, um zu einer bzw. mehreren kohärenten Gesamtdeutungen zu gelangen. Viele Exegeten sehen ihre Aufgabe darin, eindeutige, zwingende Auslegungen vorzustellen. Nicht selten werden diese aufgrund philologischer oder historischer Argumentation als die einzig möglichen Verstehenswege präsentiert. Das vorliegende Kompendium möchte hier bewusst einen neuen Weg versuchen. Abgesehen davon, dass schon erkenntnistheoretisch und hermeneutisch betrachtet historische Eindeutigkeit ein uneinholbares Ideal bleibt, ist es vor allem bei den hier verhandelten bildlichen Texten eine Fehleinschätzung zu glauben, dass es eine interpretatio sancta geben könne. Es ist m. E. sogar eine bewusste Missachtung der in Parabeln selbst gegebenen Textform, wenn man eine solche allgemein verbindliche Auslegung suggerieren würde. Es war vor allem die Einsicht der phänomenologischen Hermeneutik etwa von H.-G. Gadamer (Gadamer 6 1990), die das Postulat eines objektiven Verstehens ad absurdum führte und stattdessen die intentionale Bezogenheit zwischen Rezipienten und Verstehensgegenstand herausarbeitete. Die gerade innerhalb exegetischer Arbeiten dominante Suche nach der historischen Ursprungssituation muss nicht nur aufgrund geschichtstheoretischer Rahmenbedingungen auf einen relativen Rekonstruktionsversuch beschränkt bleiben, sie reduziert auch die Sinnpotenziale eines Textes in unbefriedigender Weise auf einen Horizont der Vergangenheit, worauf schon Gadamer hingewiesen hatte: »Der Sinnhorizont des Verstehens kann sich weder durch das, was der Verfasser ursprünglich im Sinn hatte, schlechthin begrenzen lassen, noch durch den Horizont des Adressaten, für den der Text ursprünglich geschrieben war.« (Gadamer 6 1990, 398). Gilt diese Einsicht prinzipiell für jeden historischen Text, so muss die Gegenwartsbezogenheit der Sinnstiftung umso mehr bei biblischen Texten im Bewusstsein sein, die mit der Erwartung gelesen (und auch wissenschaftlich erforscht) werden dürfen, theologische Bedeutung für aktuelle Lebensfragen zu stiften. Neben diese hermeneutische tritt auch eine literarische Notwendigkeit zur polyvalenten Deutung. So hatte der Literaturwissenschaftler Peter Szondi das Fehlen von Eindeutigkeit z. B. in Celans Texten als Strukturelement gewürdigt: »Die Ambiguität ist nicht Mangel noch bloßes Stilmittel, sondern die Struktur des poetischen Textes selbst« (Szondi 1978, 374). Ästhetische Hermeneutik ist für Szondi gerade dadurch gekennzeichnet, dass »sie den ästhetischen Charakter der auszulegenden Texte nicht erst in einer Würdi41 Gt 08020 / p. 56 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium gung, die der Auslegung folgt, berücksichtigt, sondern zur Prämisse der Auslegung selbst macht«. (Szondi 1975, 13). Was hier sehr allgemein für poetisch-ästhetische Texte formuliert wird, lässt sich bei bildlich-metaphorischen Textformen zuspitzen. Sprachbilder besitzen eine »offene Sinndynamik« (dazu R. Zimmermann 2000a, 25-35). Es entspricht also genuin der Form metaphorischer Texte und im Besonderen auch der Parabeln, dass sie polyvalent ausgelegt werden müssen, will man ihre sprachliche Gestalt ernst nehmen. Diese Einsicht hat weit reichende Konsequenzen für Methode und Ziel der Auslegung. So wäre es verfehlt, die Gleichnisse in begriffliche Sprache zu übersetzen oder aus ihnen theologische Fundamentalsätze ableiten zu wollen. Auch die Zuspitzung auf ein allgemeines ethisches Prinzip (so Jülicher) oder eine bestimmte historische Situation im Rahmen der Wirksamkeit Jesu (so Dodd, Jeremias) gingen fehl. Dem metaphorischen und appellativen Charakter der Parabeln entspricht es vielmehr, dass die Parabeln nicht nur auf eine (historisch mehr oder weniger rekonstruierbare) Leserschaft ausgerichtet sind, sondern jeden Lesenden immer wieder neu in einen Verstehensprozess hineinziehen. Die Beteiligung des Auslegers am Verstehensprozess (vgl. Harnisch 1999a, 59 f.) wird insofern noch radikalisiert, als sie nicht auf den Fachexegeten oder die Fachexegetin beschränkt bleibt, sondern auf jeden Leser und jede Leserin ausgeweitet wird. Es wäre vermessen, wenn Exegeten oder sonstige z. B. kirchliche Instanzen vorschreiben wollten, wie ein biblischer Text verstanden werden muss. Was Jesus und die urchristlichen Autoren bewusst in der Uneindeutigkeit bildlicher Sprache formuliert haben, sollte von keinem Exegeten auf das Prokrustesbett von univoker, eindeutiger Sprache gepresst werden. Bildersprache folgt gerade nicht den Gesetzen der Definitionslogik. Die Auslegungen im vorliegenden Kompendium wollen in der Nennung unterschiedlicher Deutungsvarianten diesem Spezifikum der Gleichnisrede Rechnung tragen. Die Aufgabe des Exegeten oder der Exegetin besteht also vorrangig darin, mögliche Verstehenswege aufzuzeigen, die die Lesenden dann selbst gehen müssen, um zu einer Sinnstiftung, zu einem persönlichen Verstehen, ja zum Glaubens- und Lebensgewinn zu gelangen. Die Bejahung der Polyvalenz in der Auslegung von Gleichnissen hatte zuerst Mary Ann Tolbert in ihrer Arbeit »Perspectives on the Parables. An Approach to Multiple Interpretations« (Tolbert 1979) reflektiert. Sie hat dabei zeigen können, dass die Offenheit der Interpretation durch sprachliche Form, Kontext und Interpreten gleichermaßen bedingt wie begrenzt werden. Insbesondere in der englisch-sprachigen Gleichnisexegese wurde die Mehrdeutigkeit forthin reflektiert und positiv gewürdigt (vgl. »polyvalence in parable interpretation« bei Crossan 1980, 102; Shillington 1997, 17 f.). Gleichwohl darf diese Offenheit der Interpretation nicht mit Beliebigkeit oder postmodernem Verstehensverlust verwechselt werden. Ein treffendes Bild für diese Spannung aus Offenheit und Begrenzung hat Erwin Straus mit der Metapher des »Spielraums« eingeführt (Straus 2 1978, 274 ff., dazu auch R. Zimmermann 2000a, 25 f.). Man kann klare Grenzen des Spielfeldes benennen, jenseits derer kein Spiel mehr möglich ist, der Ball ins »Aus« geht. Bezogen auf unseren Gegenstand heißt das, es gibt klare Grenzen des Verstehens, die z. B. durch philologische Eindeutigkeit oder historische Plausibilität markiert werden und jenseits derer man von einem »Missverstehen« sprechen muss. Innerhalb dieser Grenzen ist allerdings ein recht freies Spiel an Interpretationsmöglichkeiten gegeben. Sinnstiftung und Auslegungen vollziehen sich nicht in den Bahnen monokausaler Erklä42 Gt 08020 / p. 57 / 18.10.2007 Anlage des Kompendiums und Einzelaspekte der Auslegungen rungswege. Der Spielraum des Verstehens kann somit als ein Feld zwischen Offenheit und Verbindlichkeit benannt werden. Diese leserorientierte Grundoffenheit anzuerkennen ist aber nicht nur eine hermeneutische Pflicht oder erkenntnistheoretische Last. Sie birgt auch Chancen. Denn nur so bleiben die Parabeln auch für neue kreative Interpretationen offen. Nur so kann der »tote Buchstabe« immer wieder neu zu einem »lebendigen Wort Gottes« werden. Die Auslegungen wollen in dieser Hinsicht als Einladungen an die Lesenden verstanden werden, selbst einzutreten in den Interpretationsvorgang. Die Vielfalt und Offenheit der Deutungsmöglichkeiten kann erst im Lesevorgang des einzelnen Lesers und der einzelnen Leserin zur Eindeutigkeit einer individuellen Interpretation verarbeitet werden. Denn Sinn kann nur je individuell, je kontextuell gefunden werden. Wenn das Kompendium als Orientierung oder gar Katalysator zu dieser individuellen Sinnstiftung durch die Gleichnisse Jesu beiträgt, dann hat es schon seinen Zweck erfüllt. 3.2.6 Aspekte der Parallelüberlieferung und Wirkungsgeschichte Die Parabeln Jesu wurden gelesen, sie wurden zu verstehen versucht, ihre Sinnpotenziale wurden in unterschiedlichen Kontexten und Situationen zur Entfaltung gebracht. Bereits im Urchristentum lässt sich dieser Prozess nachweisen, wenn eine Parabel mehrfach in unterschiedlichen Quellen überliefert ist. Hans Weder hatte m. W. als Erster die »Wirkungsgeschichte« der Gleichnisse in den Blick genommen und versteht darunter »nicht nur die (nachkanonische) Geschichte der Wirkung neutestamentlicher Texte (…), sondern überhaupt die Geschichte eines Sprachereignisses von seinem Ursprung bis zur Gegenwart des Auslegers.« (Weder 4 1990, 73). Doch während Weder die wirkungsgeschichtliche Fragestellung »aus technischen Gründen auf den Bereich vom historischen Jesus bis zum Ende der synoptischen Tradition« (a. a. O., 74) beschränkt, soll im vorliegenden Kompendium gerade die umgekehrte diachrone Perspektive leitend sein. Vom Beginn der synoptischen Tradition an, konkret mit der Logienquelle bzw. Markus beginnend, bis zu den literarischen Zeugnissen im Thomasevangelium und der apokryphen Gleichnisüberlieferung (ähnlich Liebenberg 2001). Auf der Basis der Zwei-Quellen-Theorie (dazu unter Q-Einleitung) kann man annehmen, dass Parabeln aus der Logienquelle Q und aus dem Markusevangelium von Mt und Lk aufgenommen wurden, auch wenn teilweise nur Doppelbezeugung vorhanden ist (z. B. Brot der Hunde in Mk 7,27 f. und Mt 15,26 f.). Ferner gibt es parallele Überlieferungen zwischen Mk und der Logienquelle, etwa bei den Parabeln vom »Licht auf dem Leuchter« (Q 11,33//Mk 4,21) oder vom »Senfkorn« (Q 13,18 f.//Mk 4,30-32). Auch die parallelen Überlieferungen zwischen der synoptischen Tradition und Johannes gilt es zu beachten (Q 6,40//Joh 13,16; Q 10,22//Joh 5,19 f.). Schließlich finden sich auch im Thomasevangelium viele Parabeln des Neuen Testaments, zum Teil mit großer Übereinstimmung (z. B. Q 6,43-45//EvThom 45; Q 10,2//EvThom 73; Mt 13,24-30//EvThom 57), zum Teil mit markanten Abweichungen (z. B. Mt 13,47-50//EvThom 8; Q 15,4-7// EvThom 107). Einige Parallelen sind auch zu Parabeln in den Agrapha festzustellen (Q 12,39 f.//Agr 45; Mt 7,6//Agr 165). Innerhalb der Mehrfachbezeugung zeigt sich ein Interpretations- und Applikationsvorgang, der durch die kontextuelle Anordnung in der jeweiligen Schrift, durch Einleitungen und Kommentare, aber auch durch Eingriffe in den Text erzeugt wurde. 43 Gt 08020 / p. 58 / 18.10.2007 Die Gleichnisse Jesu · Eine Leseanleitung zum Kompendium Die mehrfach überlieferten Parabeln werden bis auf wenige Ausnahmen nur einmal ausführlich besprochen. Dabei war meist eine diachrone Vorentscheidung für die Zuordnung zu einem Quellenbereich ausschlaggebend. In einigen schwer zu entscheidenden Fällen (z. B. Senfkorn-Parabel) spielte auch die sprachliche Ausgestaltung bei der Zuordnung eine Rolle. Um den urchristlichen Rezeptions- und Transformationsprozess sichtbar zu machen, werden unter dem hier genannten Gliederungspunkt (Parallelüberlieferung) die anderen Bezeugungen vielfach auch mit eigener Übersetzung aufgeführt und kurz besprochen. Dabei sind allerdings nicht Paradigmen der früheren Literar- und Redaktionskritik leitend, etwa in dem Sinne, dass eine (implizit) wertende Analyse der Abweichung und Veränderung durchgeführt wird. Vielmehr geht es darum, kontextuelle Bedeutungsverschiebungen zu benennen, die als Ausdruck eines urchristlichen Relecture- bzw. Applikationsprozesses zu würdigen sind. Die schon in den ersten Jahrzehnten innerhalb urchristlicher Überlieferung sichtbar werdenden Bedeutungspotenziale der Jesusparabeln haben dann innerhalb einer nahezu 2000jährigen Rezeptionsgeschichte gewirkt. Die Parabeln wurden hierbei je neu gelesen und auf unterschiedlichste Weise verstanden, so dass ihre Sinnpotenziale in neuen Kontexten immer wieder entfaltet und zur Geltung gebracht oder gar in innovativkreativer Weise entdeckt werden konnten. Dieser Prozess der Wirkung und des Verstehens dauert bis in die Gegenwart hinein an. Die Vielfalt der unterschiedlichen Wirkungen kann bei den einzelnen Auslegungen nur sehr selektiv zur Darstellung gebracht werden. Teilweise werden größere Leitlinien der Rezeption aufgezeigt, teilweise sollen gerade auch verschüttete Details in Erinnerung gerufen werden. Teilweise werden Verarbeitungen des Parabelstoffes innerhalb der Literatur-, Kunst- oder Musik-Geschichte benannt. Wieder andere Autor(inn)en versuchen Sinn- und Applikationsmöglichkeiten in gegenwärtigen Verstehenskontexten aufzuzeigen, was dann sogar zu Impulsen für den praktisch-theologischen Diskurs führen kann. Die Offenheit in diesem Punkt kann gerade auch – ähnlich wie bei den Deutungshorizonten – als Einladung verstanden werden, als Leserin oder Leser selbst in den Interpretations- und Verstehensprozess der Parabeln mit einzusteigen. 3.2.7 Literatur zum Weiterlesen Die Auslegungen schließen mit einigen Literaturhinweisen. Hierbei werden je nach Umfang und Bedeutung des Textes bzw. der Auslegung ca. 3 bis 15 weiterführende Titel genannt. Die nicht von den jeweiligen Auslegern, sondern von den Bereichsherausgeber(innen)n verantworteten Angaben führen die einschlägige und monographische Literatur zu einem Text auf, ebenso neuere (auch englisch-sprachige) Sekundärliteratur. Zusammen mit Veröffentlichungen zu interessanten Einzelaspekten bieten sie interessierten Leserinnen und Lesern die Möglichkeit, auch jenseits des Kompendiums dem Sinn der Gleichnisse weiter nachzuspüren. Die von den einzelnen Autorinnen und Autoren herangezogene und abgekürzt zitierte Literatur (jeweils Autor, Erscheinungsjahr und Seitenzahl) bleibt aber nicht auf diese Titel beschränkt, sondern wird in einem abschließenden Gesamtliteraturverzeichnis mit vollständiger Bibliographie aufgeführt. 44 Gt 08020 / p. 59 / 18.10.2007 Allgemeine Literaturhinweise zu den Gleichnissen Jesu Die Hin- bzw. Einführung, oder sagen wir besser: Einladung zu den Gleichnissen Jesu und den im Folgenden gebotenen Auslegungen ist nun hinreichend geleistet. Wer sich der Mühe unterzogen hat, durch diese Leseanleitung an die Gleichnisse Jesu heranzutreten, dem- oder derjenigen kann in Abwandlung des Botenworts aus dem GastmahlGleichnis (vgl. Lk 14,17) nur noch zugerufen werden: Lest, denn es ist alles bereit! 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